Historische Hilfswissenschaften: Sammelbegriff für ein konkretes Fächerbündel, typisch für den deutschsprachigen und ostmitteleuropäischen Raum; in Westeuropa ist „Auxiliary Sciences of History“ eine reine Übersetzung des deutschen Begriffs; man spricht hier eher von konkreten Disziplinen (diplomatic[s], palaeography usw.). Die gründliche Beschreibung einer schriftlichen Quelle muss im Prinzip die Materialität der Überlieferung im Auge behalten, also auch die Terminologie der einzelnen Spezialdisziplinen anwenden (Beispiele: Folien 2-20). Schon im Mittelalter ist die Frage nach der Echtheit von Urkunden verbunden mit einer Beobachtung der äußeren Merkmale der Stücke, vor allem der Beglaubigungsmittel (Siegel, graphische Symbole, Schrift) und der inneren Merkmale (Inhalt, Diktat, Stil). Bis heute werden Historische Hilfswissenschaften gerne der Mediävistik zugeordnet (oft ist das Fach an den Universitäten auch einen Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte geknüpft), tatsächlich sind sie aber ein epochenübergreifendes Instrumentarium. Die Bezeichnung „Historische Hilfswissenschaften“ entwickelt sich im 18. Jahrhundert: erstmals „Auxilia historica“ als Titel einer geschichtswissenschaftlichen Publikation (Anselm Desing OSB, 1741), der deutsche Begriff „Historische Hülfswissenschaften“ begegnet erstmals 1761 in Johann Christoph Gatterers „Einleitung in die synchronistische Universalhistorie zur Erläuterung seiner synchronistischen Tabellen“. Einzelne Fächer, wie etwa die Heraldik, haben aufgrund ihrer traditionell stark ausgeprägten Fachsprachlichkeit schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine feststehende Terminologie ausgebildet (Folien 21-27). Dennoch verläuft der wichtigste Entwicklungsstrang der Historischen Hilfswissenschaft über die Diplomatik. Nach bzw. den bella diplomatica des 16. Jahrhunderts und frühen 17. Jahrhunderts ist es vor allem die Auseinandersetzung zwischen Bollandisten (Jesuiten) und Maurinern (Benediktinern), in der es um die Legitimation der jeweiligen Ordenstraditionen geht. Im Mittelpunkt stehen dabei frühe (merowingische) Königsurkunden, deren Echtheit (oder Unechtheit) ein wichtiges Argument in diesem Konflikt darstellt. Auf Seite der Bollandisten begründet Daniel Papebroch die Notwendigkeit des „Discrimen veri ac falsi in vetustis membranis“ in einem Artikel in den Acta Sanctorum. Methodisch ausgereifter und auf einer großen Zahl von Urkunden aufbauend ist die Antwort der Mauriner, Jean Mabillons „De re diplomatica libri VI“ (2. Aufl. Paris 1709). Das Werk, mit zahlreichen Kupferstichen zu Schriftproben aus Urkunden versehen, hat großen Einfluss auf ähnliche Publikationen aus Mitteleuropa, z. B. Gottfried Bessels „Chronicon Gottwicense“ von 1732: Geplant war eine umfangreiche Geschichte der Benediktinerabtei Göttweig, erschienen ist aber nur der Vorausband (Tomus prodromus) zur Diplomatik der Kaiserurkunden des Mittelalters (Folien 28-39). Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts verfeinert sich das Instrumentarium der diplomatischen Handbücher, einen Höhepunkt bedeutet der „Traité de diplomatique“ von Tassin/Toustain (1755; Folie 40). Ein anderer Strang hilfswissenschaftlicher Beschäftigung verläuft über die antiquarische Auseinandersetzung der Humanisten des 15. und frühen 16. Jahrhunderts mit den Inschriften des (römischen) Altertums. Handschriftlichen Sammlungen aus Italien folgen ab 1501 (Inscriptiones sacrosanctae vetustatis Augustae Vindelicorum des Konrad Peutinger) zunehmend andere gedruckte epigraphische Syllogen. Manche beziehen auch die materielle Gestaltung der Inschriftenträger in die Wiedergabe mit ein (Holzschnitte oder Kupferstiche). Allmählich finden auch nachantike (mittelalterliche und neuzeitliche) Inschriften Berücksichtigung, solange bis populäre antiquarische Beschäftigung mit Epigraphik im 18. Jahrhundert sogar zum Gegenstand der Satire wird (Fol. 41-54; Ausführlicheres siehe in der Zusammenfassung zur Epigraphik). „Nationale“ Interpretation von Schriften führt zu einer ideologischen Vereinnahmung auch der als „unpolitisch“ geltenden Paläographie etwa im Rahmen der deutschen Volkstumsforschung in den 1930er Jahren. In diesen Zusammenhang fällt auch die Begründung des Editionsunternehmens „Die Deutschen Inschriften“ 1937, das die Entwicklung deutschen Volkstums im Spiegel der Inschriften bis 1650 demonstrieren wollte (Folie 55-57) Im 19. Jahrhundert wird das bereits kanonisierte Fächerbündel „Historische Hilfswissenschaften“ verstärkt und als eigenständiges Fach in der universitären Lehre verankert. Meist wurde ein Zusammenhang mit archivischer Forschung und vaterländischer Geschichtsschreibung hergestellt. Dementsprechend spielt die Ausbildung in den Historischen Hilfswissenschaften eine bedeutende Rolle in Lehrgängen wie jenen der École des Chartes in Paris oder dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung in Wien (Folie 58-60). Im 20. Jahrhundert gibt es Versuche, die mitunter als pejorativ aufgefasste Bezeichnung des Fachs als „Hilfswissenschaften“ aufzuwerten; das alternative Etikett „Grundwissenschaften“ (Karl Brandi) konnte sich jedoch nie durchsetzen. Fast durchwegs besteht Einigkeit über den Umfang des Fächerbündels und seiner Teildisziplinen (Folie 61). Die jeweils auf die Quellen der Frühen Neuzeit ausgerichteten Fächer haben jedoch erst spät einen Prozess der Systematisierung und Verwissenschaftlichung durchlaufen; lange haben sie im Unterschied zu den etablierten mediävistischen Teilfächern deutschsprachige Namen beibehalten (also: Paläographie des Mittelaltzers, aber Schriftenkunde der Neuzeit).