33 B. Cousin, Les ex-votosprovenqaux, Paris 1986. 34 In seinem wegweisenden Aufsatz kündigte F. Braudel sie schon an, dachte aber noch an eine »Geschichte«. 35 P. Vilar, »Histoire marxisté, histoire en construction«, in: Faire de l'histoire, Bd. 1, Paris 1974, S. 195 [dt. »Marxistische Geschichte, eine Geschichte im Entstehen. Versuch eines Dialogs mit Althusser«, in: M. Bloch u. a., Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zur systematischen Aneignung historischer Prozesse, Hg. C. Honegger, Frankfurt/M. 1977, S. 108-168, hierS. 146]. 36 C. Gaignebet und M. Florentin, Le Carnaval, essais de mythologie populaire, Paris 1974. 37 Die Tagung fand 1974 in Göttingen statt. 38 M. Meiss, Painting in Florence and Siena after the Black Death. Arts, Religion and Society in the Mid-Fourteenth-Century, New York 1964. 39 Ph. Aries, »Huizinga et les themes macabres«, in: Johan Huizinga, 1877-1972, Den Haag 1973, S. 104-115. 40 UHistoire sociale. Sources et méthodes, op. cit., S. 35 ff. 41 Faire de l'histoire, Hg.J. Le Goff und P.Nora, 3 Bde., Paris 1974-1978, Bd. I, S. 210-228. 42 A. Siegfried, Tableau politique de la France de l'Ouest sous la 111' Répuhlique, Paris 1913. 43 P. Joutard, La legende des Camisards. Une sensibilitě au passé, Paris 1977. 44 M. Agulhon, Vie sociale en Provence Interieure, op. cit.; ders., Penitents et Francs-Macons de ľancienne Provence. Essai sur la sociabilitě méridionale, Paris 1968. 45 M. Vovelle, Pietě baroque et déchristianisation, op. cit.; ders., Religion et Revolution, la déchristianisation de ľan II, Paris 1976. 46 P. Chaunu, LamortäPans,XVľ,XVIľ,XVIIľsiěcles, Pans 1978. 47 M. Ozouf, Lafete révoluúonnaire, 1789-1799, Paris 1976. 48 P. Vilar in Faire de l'histoire, op. cit., Bd. I, S. 187 [dt. S. 135]. 49 P. Vilar mFaire de l'histoire, op. eh., Bd. I, S. 203 [dt. S. 159; bezieht sich auf K. Marx, Grundrisse, S. 27, und auf L. Althusser und E. Balibar, Das Kapital lesen, Bd. II, S. 253]. Philippe Ariěs Die Geschichte der Mentalitäten Lucien Febvre erzählte gern eine Geschichte, die ich hier aus der Erinnerung wiedergebe und die mir immer - so, wie sie mir im Gedächtnis ist, verzerrt und vereinfacht, aber darauf kommt es in diesem Zusammenhang nicht an - als eine überraschende, treffende Anwendung des schwierigen Konzepts der Mentalität erschienen ist. Im Morgengrauen verließ König Franz I. das Bett seiner Geliebten und wollte inkognito in sein Schloß zurückkehren. Auf seinem Weg kam er in dem Augenblick an einer Kirche vorbei, als die Glocken zum Gottesdienst riefen; tief bewegt hielt er inne, um an der Messe teilzunehmen und andächtig zu beten. Wir haben die Wahl zwischen zwei Interpretationen. Die erste Interpretation könnte folgendermaßen lauten: Die Glocke der heiligen Stätte weckt im König die Reue über seine Sünde; er betet und bittet Gott um Vergebung. Damit handelt er wie ein Mensch von heute, der Dostojewski) nicht gelesen hat und Freud mißachtet: wie der Richter oder der Geschworene eines Berufungsgerichts. Er ist davon überzeugt, daß moralische Kohärenz natürlich und notwendig ist. Menschen, bei denen sie sich auflöst, werden aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Diese Normalität ist ein unveränderlicher Wert. Eine solche Interpretation wäre die eines klassischen Historikers, der dazu neigt, in allen Epochen und in allen Kulturen, zumindest den zivilisierten und a forteriori den christlichen Kulturen, dieselben Gefühle am Werk zu sehen. Die zweite Interpretation wäre die des Mentalitätenhistorikers. Der König war auf genauso spontane und naive Weise in seiner Andacht wie in seiner Liebe ernsthaft und spürte noch nicht, daß zwischen beiden ein Widerspruch bestand. Er begab sich in die Kirche und ins Bett seiner Geliebten mit derselben unschuldigen Leidenschaftlichkeit. Die Wahrhaftigkeit seines Gebets wird nicht getrübt durch den üblen Dunst des Alkovens; die Stunde der Reue kommt erst später. Heutzutage wird die quasi gleichzeitige Bekundung einander widersprechender Gefühle nicht mehr stillschweigend geduldet. Trotz der Anstrengungen (z. B. mittels der Tiefenpsychologie), sie für zulässig zu erklären, wehrt sich die öffentliche Meinung dagegen, selbst wo es den Anschein hat, sie respektiere sie. Es handelt sich hierbei nicht nur um den Unterschied zwischen einem gefühlsbetonten, abergläubischen und einem moralisch anspruchsvollen, rationalen Christentum. Der Unterschied kommt aus sehr viel weiter zurückliegenden Perioden; die religiösen Reformen des 16. und 17. Jahrhunderts sind nicht der Grund, wohl aber eine der Manifestationen dieses Unterschieds. Lucien Febvre hat noch ein anderes Beispiel für die Vereinbarkeit von Einstellungen gegeben, die in der Folgezeit unvereinbar geworden sind: Margarete von Navarra, die Schwester von Franz I., hat ohne Skrupel nacheinander das Heptameron, eine Sammlung freizügiger Geschichten, und den Miroir de l'äme pecheresse, eine Sammlung geistlicher Gedichte, verfaßt. Die Sitten heute tolerieren einen derartig naiven Doppelkodex nicht mehr. Bestimmte Dinge, die in einer bestimmten Epoche und in einer bestimmten Kultur möglich und unstrittig waren, sind dies in einer späteren Epoche und Kultur nicht mehr. Daß wir 138 uns heute nicht mehr mit der gleichen Gutgläubigkeit und Unbekümmertheit wie die beiden Aristokraten des 16. Jahrhunderts verhalten können, zeigt an, daß inzwischen ein Mentalitätenwandel stattgefunden hat. Nicht so sehr deshalb, weil wir nicht mehr dieselben Werte haben, sondern vielmehr, weil die elementaren Regungen nicht mehr dieselben sind. Das ist es, was wir seit Lucien Febvre unter »geistigen Einstellungen« verstehen. Entstehung und Entwicklung der Mentalitätenhistorie Die Idee der Mentalität entstand kurz nach dem Ersten Weltkrieg in einer Gruppe von Historikern, den Franzosen Lucien Febvre und Marc Bloch, dem Belgier Henri Pirenne, Geographen wie A. Demangeon, den Soziologen L. Levy-Bruhl, Maurice Halbwachs usw., einer Gruppe, die ab 1929 den geistigen Motor der berühmten Annales d'histoire economique et sociale bildete. Man spricht oft von der »Schule der Annales«. Das verdunkelt leicht die Beiträge unabhängiger Einzelgänger, deren Gedankengänge und Einsichten von großer Wirkung gewesen sind. Ich erinnere an den niederländischen Historiker Huizinga, den Deutschen Norbert Elias, dessen Perspektiven stiftende Bücher der Zweite Weltkrieg aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängte und die jetzt wiederentdeckt werden1, oder an Autoren, deren Nachbarschaft zur Mentalitätenhistorie nicht sofort erkannt wurde, wie Mario Praz, den Historiker der »verrufenen Literatur«, der die Austauschprozesse zwischen dem literarischen Wort und dem kollektiven Imaginären erkundet hat.2 Alle diese Autoren, ob sie nun zur Gruppe der Annales gehörten, ihr fern standen 139 oder nur am Rande eine Rolle spielten, betrachteten die Geschichte unter anderen Vorzeichen als denen des bewußten und gewollten Handelns, das auf die politische Entscheidung, die Verbreitung von Ideen, die Lenkung von Menschen und den Ablauf der Ereignisse gerichtet ist. Für Huizinga zum Beispiel war die Dimension des Imaginären, des Gefühls, des Spiels, des Unmotivierten ebenso bedeutsam wie die Ökonomie. Er sagt es explizit in Herbst des Mittelalters: »Die Kulturgeschichte muß sich genauso mit den Träumen von der Schönheit und mit der Illusion des Romans beschäftigen wie mit den Zahlen der Bevölkerung und der Steuern [...], schon die Illusion, in der die Zeitgenossen gelebt haben, besitzt einen Wahrheitswert.« Auf diese Sätze antwortet fünfzig Jahre später Jacques Le Goff in seinem Vorwort zu Pour un autre Moyen Age3: »[Ich möchte] solide Grundlagen schaffen für die Untersuchung des mittelalterlichen Imaginären.« Der berühmte Huizinga, der scharfsinnige Praz, der unbekannte Elias - sie hätten es nicht geschafft, eine Schule zu begründen, die Sperre der traditionellen Geschichtswissenschaft zu durchbrechen. Der kleinen Straßburger Gruppe der Annales gelang es. Die erste Generation um L. Febvre und M. Bloch Zu jener Zeit, nennen wir sie die Zeit der Gründerväter, war die Mentalitätenhistorie, so wie wir sie oben skizziert haben, in Wirklichkeit nur ein Aspekt einer weitgespannten Geschichtsschreibung, die sich der Wirtschafts- und Sozialgeschichte widmete und die bereits eine »totale« Historiographie ins Auge faßte; die Totalität wurde, wie man damals meinte, in der und durch die Ökonomie sichtbar. Sie wurde en bloc der Politischen Geschichtsschreibung, die von den Ereignissen handelte, gegenübergestellt. Unter dem gleichen Namen, »social history«, kannte und betrieb man sie in England und in den Vereinigten Staaten. Die traditionelle Geschichtswissenschaft interessierte sich fast ausschließlich für Individuen, für die Oberschichten der Gesellschaft, für ihre Eliten (die Könige, die Staatsmänner, die großen Revolutionäre) und für Ereignisse (Kriege, Revolutionen) oder von diesen Eliten beherrschte Institutionen (politische, wirtschaftliche, religiöse...). Die Sozialhistorie dagegen beschäftigte sich mit der Bevölkerungsmehrheit, die von den Machtinstanzen ausgeschlossen und ihnen unterworfen war. Diese Orientierung beschränkte sich übrigens nicht auf die Erforschung der Vergangenheit; sie prägte auch die neuen Wissenschaften, die sich mit der Gegenwart befaßten - in der französischen Sprache nennen wir sie die Humanwissenschaften: Soziologie, Psychologie, Ethnologie, Anthropologie; sie haben sich ihrer älteren Schwester zugesellt, der Nationalökonomie. Das Englische bringt sie unter dem Oberbegriff »social sciences« zusammen. In Frankreich entspricht die Trennung zwischen der alten Nationalökonomie und den jüngeren Humanwissenschaften den beiden Abteilungen der Geschichtswissenschaft, wie sie im Titel der Annales der dreißiger Jahre erschien: Annales d'histoire economique et sociale. Es handelte sich gewiß um zwei wohlunterschiedene Bereiche; doch wir haben gesehen, wie selbstverständlich Lucien Febvre die Mentalität als eine »psychologische Tatsache« begriff. Heute, nach fünfzig Jahren einer spezialisierten, mit mathematischen Methoden operierenden Wirtschaftstheorie haben wir Mühe zu verstehen, daß sie damals so innig mit der Psychologischen Historiographie verflochten werden konnte. Der Grund liegt darin, daß beide die Geschichte der 140 141 einfachen Leute erforschten. Die ökonomischen Tatsachen (Preise, Löhne, Steuer, Kredit, Markt) machten sich im Leben aller Menschen bemerkbar (Teuerung, Elend oder Bereicherung, Hungersnöte, Epidemien, Sterblichkeit). Man erkannte, daß sie beobachtbare Sachverhalte waren und daß die kontinuierliche Reihe des in Zahlen umgesetzten Materials einen qualitativen Einblick in den Alltag erlaubte. Der Wirtschaftsentwicklung galt dabei von Anfang an das Hauptaugenmerk. Der diskontinuierlichen Geschichte der Individuen, der Ereignisse, die sie bewirkten, der Institutionen, die sie kontrollierten, stellte man eine sowohl kontinuierliche als auch kollektive Geschichte gegenüber, die sich in den langen Zeitabläufen, in der »longue duree« abspielt-die Geschichte einer anonymen Menschheit, in der sich jedoch jeder von uns wiederzuerkennen vermochte. Die zweite Generation Heute wären die Gründerväter fast hundert Jahre alt. Die nachfolgende Generation hat mittlerweile das sechzigste Lebensjahr überschritten. Ohne es immer zuzugeben, hat sie einen gewichtigen Teil dessen aufs Altenteil gesetzt, was bei M. Bloch und L. Febvre vom Imaginären, von der Kollektivpsychologie und vom Kulturellen ins Soziale hinüberwies. Statt dessen privilegierte man die Ökonomie, freilich nicht irgendeine Ökonomie. Die französischen Historiker haben sich damals - mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich brachte - auf eine Wirtschaftshistorie in humanistischer Absicht verständigt, deren Aufmerksamkeit den Lebensverhältnissen der Massen, der einfachen Leute galt. Sie verweigerten sich einem Ökonomie-Begriff, der über mathematische Modelle definiert werden kann - eine Tendenz, die sich dort durchgesetzt hat, wo die Wirtschaftshistorie wie in den Vereinigten Staaten zum »Department of History« zählt.4 Die Entscheidung dieser Generation erklärt sich durch die gewaltige Expansion der Weltwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Frankreich der dreißiger Jahre lebte noch in einem Rhythmus, der eine ganze Reihe von Sitten und Bräuchen aus der Endphase des Ancien Regime aufrechterhielt. Mit seinem Kolonialreich bildete es zudem eine Welt für sich, einen Kosmos, der die Illusion des Exotismus und der Universalität erzeugte; heute dagegen scheint sie uns als ein geschützter Winkel, in den die großen, den ganzen Planeten erfassenden Wogen nicht vordrangen. Nach den Erschütterungen des Krieges öffnete sich das Hexagon weit den internationalen Strömungen, tiefgreifend verändert durch den wirtschaftlichen Wohlstand, die Explosion des Konsums und der Bedürfnisse, durch eine massive Industrialisierung und Urbanisierung. Die Chinesische Mauer war gefallen. Die jungen Intellektuellen waren von den sozioökonomi-schen Kräften fasziniert, die sie für die Hauptagenturen dieser beispiellosen Umwälzung hielten; die Historiker suchten die Bebenwellen der Gegenwart in die Vergangenheit zurückzuverfolgen und dort die Ursprünge (oder den historischen Rückstand) des technischen und ökonomischen Wandels zu ermitteln, der sie mit sich riß. Die Mentalitäten erschienen ihnen nebensächlich. Eine der Spielarten der Wirtschaftshistorie, wie man sie traditionell in Frankreich bestimmte, sollte jedoch die Phänomene der Mentalität wieder in die allgemeine Problemstellung integrieren: das Studium der Bevölkerungsentwicklung. Eines der ersten Mittel, Wirtschaftsgeschichte zu schreiben, war die Monographie über eine Region. Die Autoren dieser Monographien konzentrieren sich frühzeitig auf die Wechselbeziehungen zwischen der Bevölkerungsentwick- 142 143 lung einerseits und den Subsistenzmitteln, den Hungersnöten und den Epidemien andererseits. Wie Jacques Dupaquier5 richtig schreibt, beginnt »das Abenteuer [...] 1946 mit der Veröffentlichung eines Aufsatzes des verstorbenen J. Meuv-ret mit dem Titel >Les Crises de subsistances et la Demographie de la France d'Ancien Regime< in einer der ersten Nummern der Zeitschrift Population«.6Tatsächlich ist Meuvret repräsentativ für die zweite Generation der Annales. Dem breiten intellektuellen Publikum ist er nicht sonderlich vertraut, weil das große Werk, an dem er arbeitete, erst posthum erschienen ist. Er hatte zuvor höchst material- und gedankenreiche Aufsätze veröffentlicht. Mit diesen Aufsätzen und vor allem durch seinen Rat übte er beträchtlichen Einfluß auf die jüngeren - französischen und ausländischen - Historiker aus, die später Meister ihrer Zunft wurden. Einer seiner Aufsätze, der berühmteste, oben von J. Dupaquier zitierte, beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Hungersnöten und Epidemien, ökonomischer Konjunktur und Sterblichkeitsrate, wobei der Zusammenhang der sozioökonomischen und demographischen Daten mit dem kulturellen Kontext deutlich expliziert wird. In der gleichen Zeit, zwischen 1944 und 1956, arbeitete ein Schüler von J. Meuvret, P. Goubert, an seiner Untersuchung Beauvais et le Beauvaisis de 1600 ä 1730.7 Sie war fraglos ein »Beitrag zur Sozialgeschichte Frankreichs im 17. Jahrhundert«, galt jedoch in der Folgezeit als Muster einer historisch-demographischen Analyse. Sie hatte viele Nachfolger, begründete eine ganz neue Gattung und ist einer der wichtigsten Beiträge dieser Generation zur Historiographie. Das Interesse für die Bevölkerungsgeschichte machte übrigens nicht nur den eingefrorenen Teil des Erbes der Gründerväter wieder lebendig, sondern entriß auch die Mentalitätenhistorie dem anekdotischen Impressionismus der Uterarischen Tradition, vermittelte ihr eine statistische Quel- lenbasis und ermutigte sie schließlich zu einer weit ausholenden Interpretation, die unumgänglich geworden war. Diesen Weg bin ich selbst mitgegangen. In den vierziger Jahren war ich ebenfalls stark von der Demographie angezogen, mich frappierte die demographische Situation Frankreichs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und daß sie sich eklatant von der im Ancien Regime unterschied. Wie ließ sich eine solche Veränderung erklären, die zudem nicht die gleiche Chronologie aufwies wie zum Beispiel in England? Natürlich habe ich mich von Anbeginn weniger für die Demographie im strengen Sinne interessiert, für die Mechanismen der Bevölkerungsentwicklung oder deren politische und soziale Auswirkungen, als vielmehr für die geheimen psychischen Einstellungen, die sie dem enthüllte, der ihre Statistiken zu lesen verstand. Der Hebel meiner Forschungen waren zwar die demographischen Daten, aber ich hatte es eilig, ihn aus der Hand zu legen, um - vielleicht vorschnell - zu den Realitäten zu gelangen, die sie verdeckten. Über diese Realitäten, die Einstellungen zum Leben, zum Alter, zur Krankheit, zum Tod, sprachen die Menschen von einst selten und ungern, und meist waren sie sich ihrer nicht einmal bewußt. Die Zahlenreihen über lange Zeiträume, die »longue duree«, ließen Verhaltensmuster ans Tageslicht treten, die sonst nicht zugänglich waren und verborgen geblieben wären. So tauchten die Mentalitäten am Ende einer Analyse der demographischen Statistiken auf. Diese Erfahrung ist keineswegs außergewöhnlich. Fast alle Demographen dieser Generation teilten sie. Sie konnten nicht in den statistischen Grenzen der Rekonstruktion einer Bevölkerung der Vergangenheit verharren. Im Schatten ihrer Auswertungen erschienen Fragen, die psychologische und anthropologische Deutungen geboten, die früher Medizinern, Moralisten oder Juristen vorbehalten gewesen waren oder die 144 145 sich in nichtkatalogisierten Überlieferungen bewegten. Dorthin vorzudringen war den Historikern bislang nicht eingefallen, vielleicht weil sie glaubten, die von der Demographie gemessenen Phänomene seien zu nahe an der Natur. Richtig ist auch, daß die ersten Forschungen vor allem die Anpassung der Bevölkerung an die vorhandenen Subsistenzmittel, an den Stand der Ökonomie zu ihrem Thema machten. Man hat jedoch schnell bemerkt, daß diese Anpassung weder sofort noch automatisch geschah, daß es zwischen dem demographischen Verhalten und dem Niveau der Ressourcen so etwas wie ein optisches System gab, welches das Bild der Wirklichkeit veränderte: das System der Mentalitäten. So wurde die Mentalitätenhistorie dank der Historischen Demographie ein zweites Mal geboren. Eine dritte Generation? In den sechziger Jahren entfesselte das Thema der Mentalitäten eine Umwälzung der französischen Historiographie von Grund auf. Die Inhaltsverzeichnisse der wichtigen Zeitschriften, selbst der konservativsten, änderten sich, genauso die Fragestellungen der Magisterarbeiten und Dissertationen. 1973 widmete die »Societe de démographie historique« eine Sondernummer ihrer Zeitschrift dem Thema »Enfants et Societe«. 1972 publizierten die Annales eine 433 Seiten starke Sondernummer über die Familie. Es wurden zahllose Aufsätze über den Tod, die Sexualität, die Kriminalität und Straffälligkeit, die »Soziabilität«, die Altersklassen oder die Volksfrömmigkeit verfaßt. Früher hatten nur wenige Historiker der hohen staatlichen Institutionen oder Kunsthistoriker den »Minutier central«8 konsultiert. Jetzt avancierten plötzlich die Testamente - aufgrund der Forschungen von M. Vovelle, R Chaunu und ihren Schülern - zu einer Auskunftsquelle über religiöse Mentalitäten. Dieser fundamentale Umbruch der Historiographie ist, wie mir scheint, einem sonst so aufmerksamen und sensiblen Beobachter wie L. Stone entgangen. Er spricht in einer neueren Studie9 von den Annales wie von einem Block, der sich seit den Gründungstagen nicht bewegt habe, und notiert lediglich die Erosion durch Zeitströmungen und eine gewisse, durch Wiederholung verursachte Ermüdung. Nein, die Annales sind heute etwas anderes als früher, und man kann erst heute von der Mentalitätenhistorie als einem für die zeitgenössische Kultur charakteristischen Projekt sprechen. Sie wirkt über den kleinen Kreis der Spezialisten hinaus, sie dringt in die Medien vor, sie verkauft sich zuweilen gut bei einem breiten Publikum, das sie für sich eingenommen hat. Die gängige Bezeichnung für sie ist »nouvelle histoire«. Weshalb? Der mit dem Thema vertraute Leser mag überrascht gewesen sein, daß ich in meiner Darstellung den Humanwissenschaften so wenig Platz eingeräumt habe. Ihre Wirkung hält man jedoch gewöhnlich für ausschlaggebend - am Anfang zum Guten, jetzt vielleicht zum Schlechten, wenn ich den Aufsatz von L. Stone richtig interpretiere. Sicher haben die Soziologie und die Ethnologie L. Febvre und vielleicht noch stärker den M. Bloch der Rois tbaumaturges beeinflußt, ihren Wahrnehmungshorizont erweitert, ihre Neugier erregt. Insgesamt jedoch blieben die Historiker - ebenso wie die Intellektuellen am Ende des 19. Jahrhunderts - von der Überlegenheit unserer aus der griechisch-römischen Antike und dem Christentum hervorgegangenen Kulturen überzeugt. Zumindest dieses Vorurteil haben die Ethnologen zum Einsturz gebracht. In Frankreich freilich beeindruckten sie die Arbeit der Historiker nicht ähnlich nachhaltig wie an den amerikanischen Universitäten, wo der »Soziakhistoriker sich 146 147 nicht vorwagt, ohne die anderen Sozialwissenschaften konsultiert und bei ihnen ein Deutungsmodell ermittelt zu haben, das zu seinem Quellenmaterial paßt. Mit der Umstellung des Titels im Jahre 1946 wollten die Annales eine Zeitschrift der Sozialwissenschaften einschließlich der Geschichtswissenschaft werden, deren Dirigenten die Historiker sein sollten.10 Ihre inhaltliche Erweiterung kündigte die Zeitschrift genau in dem Augenblick an, als sie sich in Wirklichkeit, wie bereits gesagt, an der Ökonomie orientierte. Gewiß, man darf nicht vergessen, daß die Ökonomie damals als Schlüsseldisziplin galt, für die Gegenwart und -warum nicht? - auch für die Vergangenheit. Die Historiker erhoben den Anspruch, den gemeinsamen Nenner aller für das neue Projekt der Annales mobilisierten Sozial- oder Humanwissenschaften zu kennen. Doch die wenigen Uber-schneidungen mit den Sozialwissenschaften, die man damals ausmachen konnte, erklären das Ausmaß des gegenwärtigen Wandels der Historiographie nicht. Eine Art Äquator trennt heute die Alten und die Jungen. Ende der Aufklärung? Die Geschichtswissenschaft entgeht ebensowenig wie die anderen intellektuellen Tätigkeiten den großen kulturellen Stürmen, die über die westliche Welt hinwegfegen. Die jungen Leute, die Ende der Sechziger zwischen 20 und 35 Jahre alt waren, haben begonnen, die Wirklichkeit mit anderen Augen als ihre Vorgänger zu betrachten. Ihre Einstellung zum ökonomischen Fortschritt, zu seiner wohltätigen Wirkung hat sich gewandelt. Wir erleben heute, im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, möglicherweise das Ende der Aufklärung, jedenfalls das Ende des Vertrauens in die Unumkehrbarkeit und in die absolut wohltätigen Segnungen des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts. Sicherlich nicht das Ende des Fortschritts, wohl aber der Fortschrittsreligion. Vielleicht ist das eine befristete Reaktion auf eine allzu schnelle und brutale Industrialisierung. Es bleibt jedoch wahr, daß die Fortschrittskritik an Brisanz und an Lautstärke zugenommen hat. Und ich meine (das ist eine Hypothese), daß es einen Zusammenhang gibt zwischen der neuen Skepsis gegenüber der Moderne einerseits und der Leidenschaft, mit der sich die jungen Historiker dem Studium der vorindustriellen Gesellschaften und ihrer Mentalitäten widmen, andererseits. Sie gestehen der Geschichte keinen festen Sinn mehr zu. Eine seltsame Sache: Während die Historiker von der Syn-chronie angezogen werden, geben die Humanwissenschaften sie preis und konzentrieren sich auf die langen Zeitabläufe. Die Schranken zwischen der Geschichtswissenschaft und den anderen Humanwissenschaften fallen; das Ereignis liegt weniger lange zurück, als man glauben könnte, nach fünfzig Jahren einer ständig proklamierten, aber nie in die Praxis umgesetzten Interdisziplinarität. Ein herausragendes Beispiel für diesen Wandel ist das Werk von Michel Foucault, einem unserer intelligentesten Historiker. Er ist jedoch im Grunde Philosoph und von der Philosophie zur Historie gekommen, ohne das Fegefeuer der Psychologie oder anderer Humanwissenschaften, jener (provisorischen) Refugien der Philosophen seiner Generation, durchmessen zu haben. Er hätte wie andere Metaphysiker oder Spezialisten der Humanwissenschaften ein theoretisches System errichten können, das außerhalb der Zeit oder in einem willkürlich festgelegten Zeitrahmen, der mit der Alltagserfahrung nichts zu tun hat, argumentiert. Das Gegenteil ist der Fall. Foucault analysiert die Geschichte der modernen Mächte in dem Moment, in dem sie sich mit den Formen des 148 149 "Wissens vermengen (seit dem 17. Jahrhundert) und die Gesellschaft durchdringen wie das Blut den Körper. Der Empirismus der Historiker hat es diesem Philosophen, der in Wahrheit Philosoph geblieben ist, ermöglicht, der Eindeutigkeit der Systeme (und vielleicht der Philosophien) zu entgehen und die außerordentliche Vielfalt der menschlichen Strategien zu erfassen. Als Philosoph geboren, ist er, um Philosoph zu bleiben, Historiker geworden, kraft der Bewegung seines Denkens, aus Gründen, die nicht sonderlich verschieden sind von denen, die heute der Mentalitätenforschung ihre Popularität sichern. Wir beginnen zu ahnen, daß der Mensch heute von der Historiographie das erwartet, was er seit jeher von der Metaphysik und noch gestern von den Humanwissenschaften erwartet hat: eine Geschichtsdarstellung, welche die Themen der philosophischen Reflexion wiederaufnimmt, sie jedoch in der Zeit ansiedelt, in der die Menschen ihre Unternehmungen hartnäckig immer wieder aufs neue beginnen. Das Konzept der Mentalität Ein allgemeines Merkmal der Mentalitätenhistorie - trotz der Begeisterung für die Synchronie und trotz dem Mißtrauen gegenüber der »Eindimensionalität« (E. Morin) - ist das Bemühen, den Übergang zur Moderne besser zu verstehen. Hier einige Beispiele ele Das Beispiel der Steuern Das erste Beispiel ist einem Werk von Georges Duby entnommen. Er versucht herauszufinden, welchen Sinn die Abgaben oder Tauschprozesse, die wir heute zum Bereich der Ökonomie zählen würden, für die Zeitgenossen hatten.11 Die Uberschrift des Kapitels ist bezeichnend: »Les attitudes mentales «. Es handelt von dem, was wir heute die Steuern nennen. Für Duby ähneln sie der »Gabe«, die Marcel Mauss und die Soziologen in den »primitiven« Gesellschaften analysiert haben. Diese Gaben wurden dem Herrscher, den jeder für den natürlichen Fürsprecher des Volkes bei den jenseitigen Mächten hielt, »dargebracht«; sie garantierten Wohlstand für jedermann, sie verhießen fruchtbaren Boden, reiche Ernten und das Ende der Pestausbrüche. So war es im Hochmittelalter. Doch im 12. Jahrhundert unterschied sich das System noch sehr von den Marktwirtschaften der Neuzeit und der Gegenwart: »Den Männern damals erschienen die ökonomischen Realitäten genau wie ihren entfernten Vorfahren als Nebensächlichkeiten. [...] Die ökonomische Wirklichkeit galt als marginal; die wahren Strukturen waren geistiger Art und stammten aus dem Bereich der übernatürlichen Kräfte.« So bildete sich ein weitgespanntes und kompliziertes Tauschsystem zwischen dem Jenseits und dem Diesseits heraus, das über das Testament zu einer Umverteilung der Besitztümer führte. Dieser Prozeß konnte bis zur völligen Vernichtung eines Besitzes gehen, etwas, das uns heute verwirrt und das wir nicht verstehen können, ohne - durch Distanzierung von unserer eigenen Kultur- die damalige Mentalität als ein kohärentes Ganzes zu rekonstruieren. Die Neigung zu unnützen und verrückten Ausgaben hatten Reiche wie Arme. An den Festtagen verschleuderten die Armen rücksichtslos das Wenige, was sie erarbeitet hatten, und die Zuwendungen der 150 151 Mächtigen: »In jener Welt der Armut waren selbst den geringsten Arbeitern Feste nicht unbekannt, Feste, bei denen regelmäßig zu bestimmten Zeiten das Gefühl der Verbundenheit belebt und das Wohlwollen der unsichtbaren Kräfte durch eine gemeinsame, kurzlebige und fröhliche Zerstörung von Gütern inmitten eines Reiches von Entbehrungen erzwungen werden sollte.« Das Beispiel der Zeit Damit die moderne Ökonomie mitsamt ihren Bedingungen -dem Sparsamkeitsgeist, dem Willen, Genuß und Lustgewinn in die Zukunft hinauszuschieben, der Geldanlage, der kapitalistischen Akkumulation und schließlich der Arbeitsteilung -entstehen konnte, mußte sich, vor dem Wandel der Technologie und der Produktivkräfte, zunächst die geistige Einstellung zu Reichtum und Genuß ändern. Das Mittelalter ist eine Epoche des Mentalitätenumbruchs. J. Le Goff hat in einer glanzvollen Studie »Temps de l'Eglise et temps des mar-chands« eine andere Veränderung enthüllt. Die Zeit der Kirche wurde von der Glocke geordnet, welche die Mönche und Kanoniker zum Chordienst, zu den Stundengebeten rief. Das war eine nach unseren Gewohnheiten ungleichmäßige Zeit: Der Tag gliederte sich nach römischer Art in Phasen von ungefähr drei Stunden, die Einschnitte der in Gebet und Ruhezeit aufgeteilten Nacht bildeten die Vesper am Abend, die Messe um Mitternacht und die Laudes bei Sonnenaufgang. Das waren festgelegte Stunden, die dem Arbeitstag der Bauern eine gewisse Regelmäßigkeit auferlegten. Die Zeit des Mönchs und die Zeit des Bauern fügten sich zusammen, ob-schon sie nicht vollständig übereinstimmten. Das änderte sich mit der, wie J. Le Goff es nennt, »Zeit des Händlers«, die zu- gleich die »Zeit der Arbeit« war, eine Zeit, die sich ihre Glocke von der Kirche borgen mußte, die Werkglocken, die »sie [die Arbeiter von Amiens] im Stadtturm aufgehängt haben« und die sie »läuten konnten, [.. .] wann jeder des Werktagmorgens die Arbeit beginnen sollte, wann sie zum Essen gehen und wann sie danach ihre Arbeit wieder aufnehmen sollten«. Nichts ist konservativer als das Maß der Zeit. Auch die Zeit des Arbeiters war zunächst der Zeit der Kirche nachgebildet worden, d. h. den Stunden des Gottesdienstes. Der Tag be ;ann mit dem Morgengebet gegen sechs Uhr und endete mit den Nonen etwa um drei Uhr nachmittags. Kurz, man hatte einen »durchgehenden Arbeitstag«. Im ^.Jahrhundert nun genügte diese Zeit einerseits nicht mehr den Bedürfnissen, weder denen der Kaufleute und Arbeitgeber noch denen der Arbeiter, andererseits hielt man die Erfindung einer anderen, besser angepaßten Zeit noch für unmöglich (der Zeit, die später durch die mechanische Uhr Schritt für Schritt durchgesetzt wurde). Also wurde die Zeit der Kirche auf hinterlistige Weise manipuliert und durch eine Art Kompromiß der Zeit der Arbeiter dienstbar gemacht. »Man hat festgestellt«, schreibt J. Le Goff, »daß vom 10. Jahrhundert bis zum Ende des 13. Jahrhunderts ein Element des Tagesablaufs einer Entwicklung unterworfen ist: Die >None<, die zunächst ungefähr unserer heutigen Zeit von zwei Uhr nachmittags entsprach, verschiebt sich langsam, um schließlich bei zwölf Uhr mittags stehenzubleiben.« (Daher das englische Wort für Mittag: »noon«). »>None<«, fährt J. Le Goff fort, »bezeichnet die Pause des Arbeiters auf der städtischen Baustelle. Wahrscheinlich geht von hier der Druck aus, der über die Verschiebung der >None< schließlich eine wichtige Unterteilung der Arbeitszeit schafft: den Halbtag, der übrigens im H.Jahrhundert noch stärker hervortreten wird.« Hier erscheint unsere moderne Zeiteinteilung, der in zwei Hälften, den Vor- 152 153 mittag und den Nachmittag geteilte Tag, den das Mittagessen unterbricht. Dies ist ein charakteristischer Ausdruck dessen, was wir Mentalität nennen, und der in dem Augenblick auftaucht, in dem die Mentalität sich wandelt - in der zweiten Hälfte des Mittelalters. Das Beispiel des Teuflischen In einem Aufsatz über die Hexerei in den Annales im Jahre 1948 hat Lucien Febvre seinen Eindruck von der Unterschiedlichkeit der Mentalitäten wie folgt beschrieben: »In ihrer Tiefenstruktur muß sich die Mentalität der aufgeklärten Menschen am Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts grundlegend von der Mentalität der aufgeklärten Menschen unserer Zeit unterschieden haben.« Das ist ein klarer Kontrast, den allerdings, wie ich vermute, die jüngeren Mentalitätenhistoriker nicht mehr behaupten würden. Nicht den großen Transformationen auf der Makroebene, dem Ubergang zur Moderne, gehört ihre Vorliebe, sondern den kleinen, komplexeren und widersprüchlicheren, lange währenden Wandlungen, in denen sich übrigens der suspekt gewordene Übergang zur Moderne zu verflüchtigen scheint. Trotzdem war und bleibt R. Mandrous13 »historisch-psychologische Analyse« in ihrer trockenen Eleganz ein klassisches Muster einer Untersuchung der Mentalitäten (ein Wort übrigens, das er sehr sparsam verwendet, er spricht lieber, wenn es sich "denn nicht vermeiden läßt, von »geistiger Struktur«). Hier also, in seinen Worten, das Problem: »Anfang des 17. Jahrhunderts gehörten die Strafverfolgungen wegen Hexerei noch zu den wichtigsten Aufgaben des weltlichen Justizapparats [...]; diese riesige Institution, von Menschen bevölkert, die überaus gebildet waren (aber noch nicht >auf- geklärt<), verfolgt ohne Zögern (mit einigen Ausnahmen) die Jünger Satans, die Komplicen einer schreckenerregenden Perversion, die das Seelenheil der Menschen bedroht [. ..]. Ende des Jahrhunderts verzichten die zuständigen Institutionen auf solche Anklagen und befinden nur noch über [. . .] Schäfer, die als Giftmischer wirken, Betrüger, die mit der Leichtgläubigkeit des Publikums operieren, und heuchlerische Frömmler. Wie konnte eine Rechtsprechung, die sich auf das solide Fundament einer jahrhundertelangen kontinuierlichen Praxis stützte, in Frage gestellt und schließlich innerhalb weniger Jahrzehnte aufgegeben werden ? Die Frage ist es wert, bedacht zu werden. [. . .] Die ganze geistige Welt der Richter (und der Angeklagten) steht auf dem Spiel, denn die täglich von Satan und seinen Helfershelfern begangenen Verbrechen zeugen von der Anwesenheit des Teufels. In den Verfahren wird ihre Vorstellung von der Macht, die vom Menschen, von Gott und Satan über die Natur und die anderen Menschen ausgeübt wird, mit verhandelt und am Ende verworfen. [...] Mit einem Wort, die Aufgabe der Strafverfolgungen wegen Hexerei bedeutet die Auflösung einer geistigen Struktur, die jahrhundertelang fester Bestandteil der Zweiteilung der Welt war.« Am Schluß dieses langen, ein Jahrhundert währenden Wandels - über dessen Ablauf und Etappen man streiten kann, nicht aber über seine Bedeutung und Richtung - erscheint das, was wir die Moderne nennen: »nicht nur der wissenschaftliche Fortschritt, die Wahrheit der Wissenschaften, über die sich das 18. Jahrhundert entzückte; nicht nur die Debatten um Ideen, zu denen jeder große Philosoph beiträgt, [...] sondern weiterreichende Bewußtwer-dungsprozesse, welche die Art und Weise zu denken und zu fühlen, die eingefleischten geistigen Strukturen in Frage stellen. Von einer weit zurückliegenden Vergangenheit ererbte Sichtweisen, die von bestimmten Gruppen oder der 154 155 Gesamtgesellschaft anerkannt werden, bilden diese geistigen Strukturen.« Die »wesentliche Mutation« ist die folgende: »Gott und Satan greifen nicht mehr täglich in den natürlichen Lauf der Dinge und in das gewöhnliche Leben der Menschen ein.« Das gilt zwar nicht für Gott, wie die Prieres secretes des Franqais d'aujourd'hui von Pater Serge Bonnet14 beweisen, aber es stimmt für das Teuflische und das Böse, die damals ihren Rückzug aus der Phantasie und der Erfahrung der Menschen antraten. Das Beispiel der Empfängsnisverhütung Mein letztes Beispiel hat mit der Bevölkerungsgeschichte zu tun. Es zeigt, daß der Historiker zunächst ökonomische oder demographische Daten anders interpretiert hat als die Wirtschaftswissenschaftler oder die Demographen. Es veranschaulicht den Übergang von der Bevölkerungshistorie im eigentlichen Sinne zur Historiographie der Mentalitäten. Das Beispiel ist die Empfängsniverhütung. Man weiß, daß die Bevölkerungsentwicklung in den traditionellen Gesellschaften bis zum 18. Jahrhundert durch extreme Schwankungen gekennzeichnet war: auf Perioden hoher Sterblichkeit, aufgrund von Seuchen und Hungersnöten, folgte ein rascher Ausgleich des Bevölkerungsverlusts, da die Geburtenzahl konstant hoch blieb. Bestimmte Mittel zur Geburtenregulierung spielten eine Rolle, etwa das späte Heiratsalter, die Unfruchtbarkeit der Frauen während der Stillzeit. Trotzdem war die Zahl der Schwangerschaften groß und bedrohte die Gesundheit und das Leben der Mütter. Das war bekannt, und man konnte versucht sein, die Bedrohung durch andere Mittel als die Abtreibung, die Enthaltsamkeit oder den Kindsmord zu ver- ringern. Dennoch scheint es, daß die Ehepaare nie ernsthaft versucht haben, den Sexualakt zu manipulieren, um Fortpflanzung zu verhindern. Die Techniken waren zweifellos bekannt, sie werden in den Bußbüchern, den Manualen der Beichtväter, den Moraltraktaten beschrieben. Tatsache ist, daß sie nicht angewendet wurden. Doch plötzlich verbreiten sich Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts diese Techniken, so daß sie die allgemeine Bevölkerungsentwicklung, die Alterspyramide, beeinflussen - ihre Verbreitung läßt sich an den Statistiken ablesen. Wie kam es zu diesem Verhaltenswechsel? Auf diese Frage sind zwei verschiedene Antworten gegeben worden. Die einen (zu denen ich gehöre) haben einen Wandel der Mentalitäten dafür verantwortlich gemacht. Selbst wenn man von empfängnisverhütenden Praktiken wußte, setzte ihre Anwendung im Sexualakt eine Fähigkeit zur Voraussicht und eine Selbstbeherrschung voraus, die in der alten Gesellschaft nicht »denkbar« waren und dies erst im 19. Jahrhundert wurden. Andere Autoren haben dagegen die Ansicht vertreten, daß die Menschen mit empfängnisverhütenden Praktiken vertrauter waren, als man zugeben wollte. Wenn diese Praktiken nicht weiter verbreitet waren, dann deshalb, weil die wirkungsvolle Überwachung der Sitten durch die Kirche, die Furcht vor Sanktionen und das Fehlen öffentlicher Aufklärung dem im Wege standen. Ihre Verbreitung begann, als die kirchlichen Sperren nachgaben, als die geographische Mobilität und die Verweltlichung der Sitten die Gewissen und die Zungen befreiten. Im ersten Fall legt man das Hauptgewicht auf die Mentalitäten, im zweiten auf Faktoren des Wandels, die weniger spezifisch und auch in anderen politischen, religiösen, sozioökonomischen Phänomenen wirksam sind. Die Historiker, die nachweisen wollten, daß es die Empfängnisverhütung schon immer gab, selbst wenn sie nur we- 156 157 nig gebraucht wurde, zitieren kirchliche Autoren. Tatsächlich sind deren Texte jedoch mehrdeutig. Sie prangern zwar widernatürliche Praktiken an, aber diese Praktiken, die ein Leser des Playboy oder des Kamasutra als die klassischen der »Ars erotica« erkennen würde, erscheinen den Bevölkerungshistorikern als Methoden der Empfängnisverhütung. Sicherlich ist der Erotismus unfruchtbar, Mißgeschicke ausgenommen; doch man muß wenigstens zugeben, daß die Unfruchtbarkeit nicht sein erstrebtes Ziel war. Man sieht also aus dieser ursprünglich demographischen Diskussion eine Historiographie der Sexualität hervorgehen, wie sie heute von J.-L. Flandrin, L. Stone, M. Foucault betrieben wird. Das Territorium des Historikers Die Beispiele zeigen, daß die Einführung des Konzepts der »Mentalität« eine außerordentliche Erweiterung des »Territoriums des Historikers«, nach dem von P. Nora und E. Le Roy Ladurie geprägten Wort, bewirkt oder impliziert. Der Historiker liest heute noch einmal die von seinen Vorgängern entzifferten Quellen, freilich mit einem neuen Blick und mit einem anderen Interesse. Dieses Interesse heftet sich an das Arbeitsleben, die Familie, die Lebensalter, die Erziehung, die Sexualität, den Tod, d. h. es vagabundiert in den Grenzzonen zwischen Natur und Kultur. Andere Themen rufen neue Forschungen auf den Plan: die somatischen Variationen (Körpergröße, Hautpigmentierung, Augenfarbe, der Gang usw.), die Ernährung (ein wesentliches Merkmal der Kultur), die Gesundheit und die Krankheiten, die Frauenkrankheiten, die E. Shorter untersucht, die Straffälligkeit, mit der sich Nicole Castan befaßte, die »Soziabili- tät«, die E. Le Roy Ladurie, Yves Castan, M. Agulhon erörtern. Der Historiker sucht den Schlüssel zu den gemeinschaftlichen Strategien, den Wertesystemen, den kollektiven Organisationen, d. h. zu den Verhaltensformen, die eine ländliche oder städtische Volks- oder Elitekultur begründen. Er analysiert das Fest (M. Vovelle, Y.-M. Berce), die Alltagsmythen, die Volksreligion, die einen zentralen Platz in der Historiographie erobert hat (J. Delumeau, K. Thomas, C. Ginz-burg und N. Z. Davis). In der Regel sind die von mir genannten Themen in einem umgrenzten geographischen Raum untersucht worden, d. h. im Rahmen einer Regionalgeschichte. Die Mentalitätenhistoriker haben sehr genau auf die regionalen Unterschiede geachtet, ebenso genau wie auf die sozialen. Dies trifft auf alle drei Generationen der Annale s-Schule zu; es hängt zusammen mit dem anhaltenden Einfluß, den das Werk der großen Geographen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - die man, nach dem Namen ihres Gründers, unter dem Begriff »Schule von Vidal de La Blache« versammelt hat - auf die französische Historik ausgeübt hat. Vidal de La Blache verfaßte die geographische Einleitung zu der monumentalen Histoire de France, die unter der Leitung von E. Lavisse entstand. Diese Geographen waren in der Tat die Vorläufer der »nouvelle histoire«. Sie haben mit Studien über Großregionen wie Flandern (R. Blanchard) oder die Picardie (A. Demangeon) die ersten Modelle einer regionalen Kulturhistorie geliefert. Und neuerdings präsentiert die von P. Wolff herausgegebene Reihe L'univers de la France15 die beachtlichen Ergebnisse einer neue Wege beschreitenden Historiographie. Alle diese Schriften, und es ließen sich leicht noch andere nennen, haben miteinander gemein, daß sie zwischen zwei Mentalitäten differenzieren: einer, die man für bekannt hält, die als »Zeuge« dient und auf die man sich bezieht, und eine 158 159 andere, geheimnisvolle, die eine terra incognita ist, die man entdecken will. Aber entdecken heißt hier zunächst, einen Unterschied verstehen. Verständnis zwischen Menschen zweier heutiger Kulturen ist selten, wir wissen es nur zu gut von unseren Ländern, in denen die Rassenkonflikte zwar gemildert und maskiert, aber immer noch häufig sind. Verständnis ist ebenso schwierig zwischen zwei zeitlich weit auseinander liegenden Kulturen. In beiden Fällen ist die Differenz die Bedingung der Besonderheit und die Bedingung dafür, sie zu verstehen. Eine Kultur erscheint uns zunächst stets im Verhältnis zu unserer eigenen Mentalität als eine andere Kultur.16 Die Faszination, welche heute von der Mentalitätenhistorie ausgeht, erklärt sich vielleicht aus einer schweren Verwundung unserer Mentalität. Die Menschen der klassischen Epochen, der Aufklärung, des industriellen Fortschritts, d. h. die Westeuropäer vom 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts waren sich des Fortbestands und der Überlegenheit ihrer Kultur sicher. Sie akzeptierten die Idee nicht, daß es diese Kultur nicht immer gegeben habe, auch wenn Perioden der Dekadenz ihre Kontinuität zu unterbrechen schienen. Sie tauchte mit den Renaissancen wieder auf. Die positivistische Historiographie im 19. Jahrhundert und zu Anfang des 20. Jahrhunderts räumte technologische und ökonomische Ungleichheiten ein, »Rückständigkeit« aufgrund mangelnder Kenntnisse, Verfallsperioden, aber keine Differenzen auf der Ebene der Wahrnehmung und der Sensibilität. Diese Vorstellung hat sich abgeschwächt. Wir erkennen heute dort unterschiedliche und gleich interessante Kulturen, wo der klassische Historiker nur eine Kultur und verschiedene Formen der Barbarei erkannte. Der klassische Historiker neigte dazu, nach Ähnlichkeiten mit einem universellen Modell zu fahnden. Deshalb hat die von uns geschilderte Transformation der Geschichtsschreibung, die sich ursprünglich auf das Mittelalter und die Frühe Neuzeit bezog, an der Schwelle zur Zeitgeschichte innegehalten. Sie war eine Reflexion des Menschen über die Zeit, in der er lebte. Inzwischen beobachten wir, wie sich vor unseren Augen ganze Blöcke dessen, was wir noch gestern als unsere Gegenwart ansahen, lösen und sich in den Kontext der traditionellen Gesellschaften einfügen. Deutlich sichtbar wird diese Unterhöhlung der Zeitgeschichte in der Arbeit von M. Agulhon, der aus dem 19. Jahrhundert eine »Kultur für sich« gemacht hat, die dank seinen Analysen im Vergleich zur unsrigen vielleicht genauso fremd erscheint wie die des Ancien Regime, mit eigenen Institutionen der Geselligkeit wie dem Cafe oder dem Zirkel.17 Und auch R. Girardet argumentiert an der Zollstation zwischen zwei Epochen, die zeitlich nahe beieinander liegen und sich gleichwohl gegeneinander abgrenzen. Er hat gezeigt, wie der militärisch inspirierte französische Nationalismus von der Linken auf die Rechte überging, während in derselben Periode das Engagement für ethnische Besonderheiten von einer kolonialistischen Rechten zur revolutionären und antiwestlichen Linken wanderte.18 Die Analyse dieser Transfers von Ideen und Sensibilitäten ermöglicht es, aus der Gegenwart Schichten der Vergangenheit herauszuheben und die Gegenwart so weit zu verdünnen, daß sie transparent wird. So nähert sich uns die Vergangenheit, die Zeit der Differenz, und es wird immer schwieriger, sie zu ignorieren, so wie wir die afrikanische, indische oder präkolumbianische Kunst nicht länger ignorieren können. Sie brennt uns auf den Nägeln. Die Differenzen aller Zeitalter belagern uns, und doch bleibt unsere naive, unmittelbare Wahrnehmung die unserer Gegenwart, unseres einzigen Fixpunktes in der Zeit. Man mag sich fragen, ob die neuesten Forschungen auf dem Gebiet der Volksreligion oder der Alphabetisierung 160 161 nicht einen Begriff nahelegen, der helfen könnte, die Schwierigkeiten zu verringern, die im Verhältnis der Gegenwart zur Vergangenheit wurzeln. Dieser Begriff zielt auf die Überschneidungen vier grundlegender kultureller Sphären, die seit der Erfindung der Schrift in unseren Gesellschaften stets nebeneinander existiert haben. Nach der Formulierung von F. Füret und J. Ozouf sind unsere Kulturen »Mischlinge«, zugleich mündliche und Schrift-Kulturen; der Rhythmus ihrer Geschichte wird vielleicht bestimmt durch die reziproken Bewegungen des Mündlichen und Schriftlichen, durch den Wechsel von - wie die Historiker einst sagten - »Dekadenzen« und »Renaissancen«, Rückflüssen und Fortschritten. Der Mentalitätenhistoriker folgt diesen Strömen. Er entdeckt dabei, daß in unserer heutigen Kultur mit ihrem Triumph der Rationalität der Schrift alte, verdrängte mündliche Formen verdeckt fortbestehen, entweder als getarnte Überbleibsel oder als Hohlräume, klaffende Abgründe. Der Erfolg der Psychoanalyse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts rührt wohl daher, daß sie eine Antwort auf die individuellen Ängste anbot. Das Interesse, das heute der Mentalitätenhistorie entgegengebracht wird, scheint mir ähnliche Gründe zu haben, wobei das von den mündlichen Kulturen bevorzugte und von den Schriftkulturen verdrängte kollektive Unbewußte an die Stelle des individuellen Unbewußten träte oder es überlagerte. Aber was ist das kollektive Unbewußte? Man müßte wohl sagen: das kollektive Nichtbewußte. Kollektiv, weil es zu einem bestimmten Zeitpunkt Gemeingut der gesamten Gesellschaft ist. Nichtbewußt, weil es selbstverständlich scheint, so wie die Gemeinplätze, die Codes der Moral, die Konformismen oder die Verbote, die auferlegten oder verpönten Ausdrucksformen von Gefühlen oder Phantasmen. Die Historiker sprechen von »geistiger Struktur« oder »Weltsicht«, um die kohärenten und logisch stringenten Züge einer psychischen Totalität zu bezeichnen, die sich den Zeitgenossen aufzwingt, ohne daß sie es wissen. Es könnte sein, daß die Menschen heute das Bedürfnis verspüren, Gefühle ins Bewußtsein zu heben, die sich einst in den Tiefen der kollektiven Erinnerung verkrochen. Die Mentalitätenhistorie wäre dann die unterirdische Suche nach namenlosen Weisheiten: nicht nach der Weisheit oder der Wahrheit, sondern nach den praktischen Vernunftregeln für die alltäglichen, vertrauten Beziehungen der Gemeinschaften zu jedem Einzelnen, zur Natur, zum Leben, zum Tod, zu Gott und zum Jenseits. Anmerkungen 1 N. Elias, 1897 in Breslau geboren, floh 1930 aus dem nationalsozialistischen Deutschland. Er hielt sich einige Zeit in Frankreich auf und ließ sich dann in Großbritannien nieder, wo er an der Universität Leicester lehrte. Siehe N.Elias, Über den Prozeß der Zivilisation, Basel 1939; Bern 1969 usw. [frz. Paris 1974]; Die höfische Gesellschaft, Darmstadt und Neuwied 1969; Frankfurt a. M. 1983 [frz. Paris 1974]. 2 Man muß darauf hinweisen, daß diese Bewegung weniger pariserisch als vielmehr zunächst »lothringisch« war. Ihre Wandlung zu einer Pariser Gruppe fand erst spät statt, übrigens kurz danach, nach dem Zweiten Weltkrieg, gefolgt von einer Änderung der Zielvorstellungen. 3 J. Le Goff, Pour un untre Moyen Age, Paris 1979 [dt. Teilausg. Für ein anderes Mittelalter, Frankfurt a. M. 1984,2Weingarten 1987, Zitat S. 26J. 4 Uber das Verhältnis der Annales zur Ökonomie siehe R. Forster, »Achievements of the Annais' School«, in: Journal of Economic HistoryXXXVlUA (März 1978), S. 58-76. 5 J. Dupaquier, Introduction ä la demographie historique, Paris usw. 1974. 162 163 6 Population ist die Zeitschrift des »Institut national d'etudes demo-graphiques« (I.N.E.D.), das von A. Saury gegründet wurde, und die damals bedeutende Aufsätze zur Geschichte veröffentlichte, die wesentliche Einschnitte in der Entwicklung der Historiographie darstellen. Der Aufsatz von J. Meuvret, »Les Crises de subsistances et la Demographie de la France d'Ancien Regime«, in: Population (1946), ist wiederabgedruckt in: Annales E.S.C. 32 (1971). 7 P. Goubert, Beauvais et le Beauvaisis de 1600 a 1730. Contribution ä l'histoire sociale de la France du XVIP siede, Paris 1960, gekürzter Ndr. unter dem Titel Cent mille Provinciaux au XVIP siede, Paris 1968 [dt. Ludwig XIV. und zwanzig Millionen Franzosen, Berlin 1974]. 8 »Minutier central«: das Depot der Archive der Pariser Notare. 9 L. Stone in: The Feature of History, hg. von C. F. Dclzcll, Nashville 1977. 10 Nachdem die Annales während des Krieges mehrfach den Titel gewechselt hatten, nannten sie sich 1946 Annales. Economies - Socie-tes- Civilisations (Annales E.S.C). 11 G. Duby, Guerriers et Paysans, 2Paris 1974 [dt. Krieger und Bauern, Frankfurt a. M. 1977]. 12 J. Le Goff, »Temps de l'Eglise et temps des marchands«, in: Annales E.S.C. (1960), wiederabgedruckt in: Pourun autre Mayen Age, Paris 1978 [dt. »Zeit der Kirche und Zeit des Händlers im Mittelalter«, in: Claudia Honegger (Hg.), Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zur Aneignung historischer Prozesse, Frankfurt a. M. 1977, S. 393—414]. [Die im Text folgenden Zitate stammen aus Le Goffs Aufsatz »Le Temps du travail dans la >crise< du XIVs siecle: du temps medieval au temps moderne« (1963), in: Le Mayen Age LXIX (1963), wiederabgedruckt in: Pour un autre Moyen Age, Paris 1977, S. 75 — 76 [dt. »Die Arbeitszeit in der >Krise< des 14. Jahrhunderts: von der mittelalterlichen zur modernen Zeit«, in: Für ein anderes Mittelalter, Frankfurt a. M. 1984, Weingarten 1987, S. 29-42, A.d.Ü.]. 13 R. Mandrou, Magistrats et sorciers en France au XVII' siecle. Une analyse de Psychologie historique, Paris 1968. 14 Pere S. Bonnet, Prieres secretes des Franqais d'aujourd'hui, Paris 1976. 15 L'univers de la France, von P. Wolff herausgegebene Reihe (Toulouse). 16 Hier ein Beispiel: Ich lese in dem Aufsatz von P. Veyne »Die Liebe in Rom«, daß die antike römische Gesellschaft oft zur Adoption griff, alternativ zur natürlichen Filiation. Die Tatsache interessiert mich als solche, läßt mich aber gleich an die ganz andere Einstellung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaften denken: sie waren besessen von der Furcht, keine Erben zu haben, und doch wurde die Adoption nicht praktiziert. Schließlich springt mein Gedanke zu unserer heutigen Gesellschaft, in der die Adoption den Eltern eine Entscheidungsfreiheit gibt und häufiger wird, allerdings immer noch auf psychologische und juristische Hindernisse stößt. 17 M. Agulhon, Penitents etFrancs-Macons de l'ancienne Provence. Essai sur la sociahüite meridionale, Paris 1968; ders., Le Cercle dans la France bourgeoise, Paris 1977. 18 R. Girardet, L'Idee coloniale en France, 1871-1962, Paris 1972.