üTTü BRUNNER LAND ,UND HERRSCHAFT Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Osterreichs im Mittelalter 1981 WISSENSCHAFTLICHE BUCHGESELLSCHAFT DARM STADT ! zulänglich als unvollkommener Vorläufer des bürokratis.men. Sta~~es der Neuzeit beschrieben werden. So gewinnt man audi hier die Möglidikeit, die Fehde als ein vom Staat zugelassenes Rechtsinstitut zu erklären. Dieser Versum scheitert daran, daß die "Lehnfähigen" zwar Fehderemt besitzen diese aber keineswegs nur Lehen sondern weithin Eigen innehaben. Das Fehderecht gehört ins Landr.emt und hat. mit dem Lehnrecht nichts zu tun. Die Berufung auf einen allgememen, vagen Feudalismusbegriff läßt die Herkunft dieser überle~unge~ erkennen. Es ist das am absoluten Staat und der staatsburgerhmen Gesellsmaft der Revolution entwickelte Gegenbild der "Feudalgesellschaft", in dem sidi bequem alles unterbringen läßt, was man am Mittelalter nicht versteht"]. [oadiim Gernhuber hat sicher recht, wenn er das Ziel der Landfriedensbewegung im Aufbau einer Strafrechtsordnung sieht, "in der die Fehde etwas Sekundäres, ein zwar notwendigerweise noch geduldetes, aber doch mit allen Mitteln zu bekämpfendes übel war." Er hat aber ebenso betont, daß "der dualistische Gewaltenaufbau" (von Staatsgewalt und Selbsthilfe) bis ans Ende des Mittel~lters bestand, "aktuell repräsentiert durch das Fehderecht der oberen Stande, potentiell durch die Reste der Bußgerichtsbarkeit"2). Das Kapitel über die Fehde wurde an die Spitze des Buches gestellt, weil es sidi hier um einen Komplex von Erscheinungen handelt, der geeignet ist, in die Andersartigkeit des mittelalterlimen "Staates" unmittelbar einzuführen. Man wird seine Verfassung nur unter BeD rücksichtigung der Fehde beschreiben können. Dies heißt aber nicht, daß die Fehde dabei, wie mehrfach behauptet wurde, "im Mittelpunkt" stehen müsse. Der Zentralbegriff der älteren Verfassungsgeschichte ist ja, wie deutlidi gesagt wurde, nicht die Fehde sonder,~ ~er Friede, allerdings ein Friede eigener Art, der "rechte Gewalt im Inner.n kennt. Von hier aus kann man sowohl dem Phänomen der Fehde wie den sie bekämpfenden, schließlich überwindenden Bemühungen um den Landfrieden gerecht werden. Nur muß dabei gefragt werden, was unter diesen Umständen "Staat" und "Remt" bedeuten. 1) Vgl. 0, Brunner, Neue Wege d, Sozialgeschichte, 1956, S. 15 ff. ') J. Gernhuber, a, a, O. S. 227, 231. 110 II. 5 T A A T, R E C H TUN D VER F ASS U N G 1. ,,5 t a a t" und "G e s e l l s c h a f t" Unsere Untersudrungen über Friede und Fehde haben zu dem Ergebnis geführt, daß im Mittelalter mit Vorstellungen von Staat und Verfassung zu rechnen ist, die mit dem, was wir mit diesen Worten bezeichnen, nicht übereinstimmen. Wir wenden uns nunmehr der Frage zu, wie unter diesen Umständen der innere Aufbau, die Ver~ fassung jener politischen Gebilde, die wir gemeinhin auch im Mittel= alter "Staaten" nennen, sachgemäß beschrieben werden kann. Unter Verfassung soll hier mit Carl Schmitt der "Gesamtzustand der politischen Einheit und Ordnung" verstanden werden']. Wir müssen fragen: Hat es im Mittelalter einen Staat gegeben, einen modernen Staatj"] Wollte man diese Frage verneinen, so ergäbe sich sofort die Frage, welcher Art dann die weltliche Ordnung des Mittelalters war. Denn daß sie nur Nicht-Staat, Unordnung, Chaos und Anarchie, "Faustrecht" gewesen sei, wird niemand im Ernste behaupten"). Finden sich solche Thesen, so meinen sie gerade, daß es auch im Mittelalter nach der Absicht der Menschen dieser Zeit einen Staat hätte geben sollen, der aber durch den Mißbrauch der feudalen Gewalten immer wieder in Anarchie verfallen sei. "Staat" ist ein Begriff aus der politischen Welt der Neuzeit"]. Er ist aber im 19. Jahrhundert zum "allgemeinen Normalbegriff der poli- 1) C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 3. ') Z~m geschichtlichen Begriff d~s modernen Staates vgl. G. v. Below, Die Anfange des modernen Staats mit besonderem Blick auf die deutschen Territorien. Territorium und Stadt, • 192), S. 161 H. O. Hintze, Wesen und Wandlungen d~s modernen Staats. Ders., Die Enstehung des modernen Staatslebens, SItZ.=Ber. d. Berl. Ak. philohist. Kl. 19)1, 19)2. F. Hartung, Epochen der a~soluten Monarchie.in der neueren Geschichte. H. Z, 145 (1932), S, 46 H., auch In Volk und Staat In der dt. Geschichte, 1940, S. 41 H. E, Kern, Moderner Staat u. Staatsbegriff, 1949, ') Doch fehlt auch diese Meinung nicht. Ein so einflußreiches Buch wie P'.Rot~s Feudalität und U!1ter.tanenverband, 186), sieht die "gesetzlosen ZUD stände des Mittelalters, die nicht germanisch, sondern aus dem Feudalinstimtionen erwachsen seien, als "mit etwas Cultur bedeckte Barbarei der schlimm. sten A~t" an (S. )4). Dazu vgl. man die Darlegungen J, Fickers, Forschungen zur Reichs. und Reditsgeschidue Italiens 1 (1868), S. XX H. ') A, O. Meyer, Zur Geschichte d. Wortes Staat, Die Welt als Geschichte 10 (1950), S. 229 H. 111 tisdien Organisationsformen aller Zeiten und Völker" geworden'), zum Oberbegriff für jedes dauernd geordnete Zusammenleben im politischen Verband"). Er gehört heute noch unserer Begriffssprache an und kann vorläufig nicht entbehrt werden, ohne Gefahr, das Moment der "politischen Einheit und Ordnung" zu vernadtlässigen. In diesem Sinn wird das Wort Staat überall dort zu verwenden sein, wo es kein Mißverständnis hervorruft") und sein Verhältnis zu konkreteren Begriffen wie Reich oder Land geklärt wird. So wird es auch in Schriften gebraucht, die an sich Wert darauf legen, den geschichtlichen Ort des Staatsbegriffes näher zu bestimmen, audi in dem vorliegenden Buch. Gerhard Sappok') hat, den Anregungen Carl Schmitts und dieses Buches folgend, vorgeschlagen, im frühmittelalterlichen Osteuropa nicht von "Staatsgründungen", sondern von "Herrschaftsbildungen" zu sprechen. Doch ist sidt Sappok darüber im klaren, daß es nicht genügt, das Wort "Staat" durch das dem quellenmäßigen Befund allerdings mehr entsprechende Wort "Herrschaft" zu ersetzen, sondern daß die in Frage kommenden geschichtlichen Gebilde in ihrem inneren Bau zu beschreiben sind. Mit der Ausschaltung des Wortes "Staat" wäre nichts getan, wenn nicht die bisher Staat, nunmehr "Herr= schaft", "Reich" oder "Land" genannten Einheiten genau gekennzeidinet werden. Bleibt man aber bei "Staat", so muß jeweils präzis angegeben werden, was demgegenüber als "nichtstaatlich", "unstaatlich" oder "vorstaatlich" bezeichnet wird. So betrachtet Th. Mayer") den von Sappok behandelten Vorgang als übergang von "Konglomeraten von Gaufürstentümern" zu "einheitlichen Staaten". Wenn er gleichzeitig darauf verweist, daß sich damit die Westslawen und Magyaren die Grundlage für ihre Nationalstaaten gelegt haben, so wird deutlich, daß hierin dem Gebrauch des Wortes "Staat" ein historisch-politisches Urteil über die dauernde Wirkung dieser "Staatengründung" liegt. Der abstrakte Staatsbegriff ließe sich wohl auf jene "Gaufürsten= tümer" anwenden, die "Herrschaftsbildungen" sind. Wenn sie auch zur Zeit ihrer Entstehung noch nicht Staaten im jüngeren Sinne waren, so sind sie doch zu solchen geworden. Kennzeichnend, daß man sich ') C. Schmitt, Staatliche Souveränität u. freies Meer, Das Reich und Eu. ropa, 1941, S. 79 H. ') E. Kern, a. a. O. S. 51. ') Vgl. etwa A. Schulte, Der deutsche Staat, Verfassung, Macht und Grenzen, 19)), oder H. Mitteis, Der Staat d. hohen Mittelalters, 195). ') G. Sappok, Grundzüge der osteuropäischen Herrschaftsbildungen im frühen Mittelalter, Deutsche Ostforschung 1 (1942), S. 20 H. ') Deutsche Ostforschung 1 (1942), S. )01. 112 scheut, das Wort "Staat" auf kurzlebige Gebilde wie das Groß= mährische Reich anzuwenden. So ruht denn auch das Interesse an der "Staatlichkeit" der deutschen Territorien darauf, daß sich in ihnen und nicht im Reich der moderne Staat ausgebildet hat, da diese Staaten den deutschen Bund und das Reich von 1871 bildeten, das ein Bundesstaat war. Heißen diese Gliedstaaten seit 1919 Länder, so sind sie doch Staaten, nichtsouveräne Staaten. In der Redeweise des Alltages und in der politischen und staatlichen Terminologie der Deutschen stellen die Länder den "Staat" dar. Eine wesentliche Wurzel des modernen Staates liegt gewiß im Phänomen der "Herrschaft". Wir werden in der Folge viele Arten von Herrschaft, Obrigkeit kennen lernen. Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie Herrschaft im allgemeinsten Sinn sind, d. h. "die Chance Gehorsam für einen bestimmten Befehl zu finden" (MaxWeber). "Gebot und Verbot", "Zwing und Bann" erscheinen als der innerste Kern der Herrschaft. Darnach lassen sich die Arten der Herrschaft nicht scheiden, sondern nur nach dem Objekt der Herrschaft. Herrschaft übt man über Völker, Reiche, Länder, über Grund- und Vogtholden usw. Auch in genossenschaftlichen Verbänden wie der Stadt- und Dorfgemeinde wird Herrschaft geübt. Reduziert man alle diese verschiedenen Formen auf das ihnen gemeinsame Element der Herrschaft und die verschiedenen Arten der Abhängigkeit unter einen generellen Begriff der "Gefolgschaft", so erhält man eine Grundstruktur, die dem Verhältnis von Herrscher und Untertanen im neuzeitlichen Staat so weit zu entsprechen scheint, daß sie als dessen geschichtliche "Wurzel" angesprochen werden kann. Die Möglichkeit, einen generellen Begriff der "Gefolgschaft" zu bilden, ist dadurch gegeben, daß alle Herrschaftsbeziehungen auf "Treue" beruhen'), Dem gegenüber hat die Darstellung der Struktur der beherrschten Gebilde, die weithin "Genossenschaft" sind, ihr gutes Recht und es muß nach den geistigen Voraussetzungengefragt werden, unter denen "Treue" ein tragendes Strukturprinzip der Verfassung sein kann. Ein allzuhäufiger und weiter Begriff des Staates trägt die Gefahr in sich, politische Gebilde des Mittelalters, die uns "Staat" sind, nicht genau genug zu bezeichnen und wesentliche Merkmale, auf denen ihr Bestand ruht, zu vernachlässigen, vor allem aber doch auch Merkmale des modernen Staates auf das Mittelalter zu übertragent]. Etwas ') Angesichts der von H. Kuhn, Z. f. RG. 7J (1956), S. 1 H. nachgewiesenen anderen Arten der Abhängigkeit, bleibt die Frage nach dem gemeinsamen Element der 11Treue" bestehen. . ') Dafür kennzeichnend F. Keutgen, Der deutsche Staat d. Mittelalters, 1918. 113 anderes ist das durchaus berechtigte und in letzter Zeit mit so großem Erfolg ergriffene Unternehmen, den geschichtlichen Wurzeln des modernen Staates im Mittelalter nachzugehen. Ich nenne etwa die neueren Untersuchungen über den Ursprung des modernen Souveränitätsbegriffes und Th. Mayers Arbeiten über den "institutionellen Flächenstaat". Eine kaum minder wichtige Aufgabe ist die Erforschung des Fortlebens mittelalterlicher Ordnungen und Denkweisen in den neueren [ahrhunderten'). Lebt doch die im Mittelalter erwachsene innere Ordnung, wenn auch verändert und erstarrend, vielfach bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fort und ist erst damals völlig abgetragen worden"). Wenn im folgenden mittelalterlicher und neuzeitlicher Staat einander gegenübergestellt werden so nicht darum, um den engen genetischen Zusammenhang zu leugnen, sondern um den spezifischen Charakter der mittelalterlichen Staatlichkeit herauszuarbeiten und zu verhindern, daß durch einen angeblich allgemeinen Staatsbegriff verdeckte Merkmale de~ ne~zeit~ lichen Staates auf das Mittelalter übertragen werden. WIr wissen heute, daß die "Allgemeine Staatslehre" des 19. Jahrhunderts ihre Begriffe am Modell des monarchisdi-konsrutionellen Staates ihrer Zeit gebildet hat und die Gegenüberstellung von "Staat" und "Gesell= schaft" voraussetzt. So erscheint bewußt oder unbewußt als Idealtypus der Verfassung die "Konstitution" des 19. Jahrhunderts, der bü~ger= liche "Rechtsstaat", der wieder nur im Rahmen des bureaukratischmilitärischen Staates, den der Absolutismus geschaffen hat, denkbar ist. Am modernen Staat gemessen erscheint daher der mittelalterliche Staat als "unfertig"3), man spricht von Anarchie oder Chaos und findet vieles an ihm merkwürdig und sonderbar. Der Staat als Macht= apparat des Fürsten, dann als "juristische Person" ist es, der uns in der neueren Staatslehre entgegentritt. Zugleich aber wird das Wort Staat in einem allgemeinen Sinn für den politischen Verband überhaupt oder doch einen sehr weiten Kreis politischer Verbände, etwa der seßhafter Menschen, verwendet. Hier besteht nun jene Gefahr, der so viele Erörterungen über den mittelalterlichen Staat erlegen ') Man könnte die von O. Lauffer, Die Begriffe "Mittelalter" und "Neuzeit" im Verhältnis z. deutschen Altertumskunde, 1936, vorgetragenen Gedanken ohne weiters auch auf die die Verfassungsgeschichte a~wen.den. Da~u vgl. man die Epochenscheidung bei E. Schmidt, Einführung In die Geschichte d. deutschen Strafrechtspflege, • 1951. ") Sehr instruktiv ist dafür das Buch von H. RaU, Kurbayern 1745-1801, 1952. ") G. [ellinek, Allgemeine Staatslehre 1921, S. 316 ff. 114 sind, spezifische Merkmale des modernen Staatsbegriffes für den Staat in irgendeinem allgemeinen Sinn in Anspruch zu nehmen. Demgegenüber ist die Scheidung zwischen dem "Staat" seit dem Absolutismus und dem älteren Begriff der Respublica, des Gemeinwesens, festzuhalten, der in der ganzen älteren Denktradition bis an die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert gegeben ist und der etwa in der katholischen Staatslehre, soweit sie ihre ursprünglichen antiken Grundlagen festhält, auch heute noch fortlebt. Läßt sich im 19. Jahrhundert der "Staat" der Gesellschaft, dem Volk, gegenüberstellen, so heißt es bei Thomas von Aquin und Franz Suarez "Respublica sive societas civilis sive populus", ist die Respublica die societas civilis oder das organisierte Volk, die von einer einheitlichen, "Politik" genannten Wissen~ schaft behandelt werden. Civilis ist nicht der Gegensatz zu politisch, dessen übersetzung es ja ursprünglich war, sondern zu naturalis. Der societas civilis, der bürgerlichen Gesellschaft steht nicht der Staat, sondern der status naturalis des bellum omnium contra omnes entgegen. Erst nach der Mitte des 18. Jahrhunderts beginnen sich allmählich Staat und bürgerliche Gesellschaft als eigengesetzliche Organisationsformen zu sondern und die Lehre vom Gemeinwesen, der Respublica (Polis), die Politik, der bisher die Ökonomik als umfassende Lehre vom Hause zur Seite gestanden hatte, wird in die Zweiheit Staatslehre und Gesellschaftslehre (Soziologie) geschieden, neben denen gleichzeitig die politische Ökonomie, Volkswirtschaftslehre, als Lehre vom Markt im Staatsraum, nicht vom Hause, entstehe). In Deutschland schieden sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Wissenschaften von Staat und Gesellschaft. Es entstehen auf sich stehende Einzeldisziplinen. so daß man von einem "Trennungsdenken" sprechen konnte. Darüber darf man freilich nicht übersehen, daß nur in den historischen Fachwissenschaften vom Typus der Rechts- oder der Wirtschaftsgeschichte jene eindringliche, historische und begriffliche Arbeit geleistet werden konnte, die durch die Beschränkung auf "Eigengesetzlichkeit" des Objektes der betreffenden Wissenschaft möglieh wurde"). Durch die grundlegende Trennung von Staat und Gesellschaft wird der Staat zur "juristischen Form und normativen Ordnung", die Gesellschaft zur "Trägerin der geistigen und materiellen Werte". So scheint der Staat entweder ein abstraktes Normensystem oder aber ein "überbau", ein Geschöpf der Gesellschaft zu sein. Gleichzeitig aber scheidet dieses Denken zwischen Staat und Recht. ') .Zur.vorgeschichte P. Joa~imsen, Zur Psychologie d. dt. Staatsgedankens. Die DIOskuren, Iahrb. f. Geisteswissenschaften 1 (1922), S. 106 ff. ') O. Brunner, Neue Wege d. Sozialgeschichte, 1956, S. 33 H. 115 Hier wird der Staat ganz im Gegensatz zur ersten Unterscheidung bloße Macht und Willkür, das Recht Ausformung eines eigengesetzlichen Wertsystems. Da aber das Recht wie von Staat und Politik auch ..v~n der Sittlichkeit getrennt wird, so schwebt dieses Wertsystem völlig in der Luft, will man es nicht aus der Willkür staatlicher Satzung entspringen lassen oder bloß als Ausdruck "soziologischer Kräfte" verstehen. Begreiflich, daß gerade die Rechtswissenschaft und mit ihr die Rechtsgeschichte lange Zeit an einer positivistischen Haltung fest. hielten"). Alle diese verschiedenen Positionen erscheinen ,nun auch im Bereich der Geschichtswissenschaft. Hier kann der Staat entweder als pure "Macht", so bei den "politischen" Historikern, erscheinen, oder aber bei den Verfassungshistorikern entweder in einer konservativen, an die Stellung des Herrschers und seines Verwaltungsapparates anknüpfenden Deutung als "Herrschaft", "Anstalt", "Zwangsanstalt" oder in einem liberalen Sinn als "Genossenschaft", freie Einung der von der bürgerlichen Gesellschaft umschlossenen Individuen. Diese Begriffe werden auch auf die älteren Jahrhunderte übertragen, sei es, daß sie als allgemein gültig erklärt oder aber, daß sie zur Konstruktion eines Gegenbildes verwendet werden, in dem die älteren Zustände als "unvollkommen", "unfertig" erscheinen. Wir haben hier eine Erscheinung vor uns, die uns in der Begriffsbildung der Geisteswissenschaften immer wieder begegnet. An einem konkreten, beschränkten Erfah. rungsmaterial werden relativ allgemeine Typenbegriffe gebildet u~d diese weiter verallgemeinert. Da aber der historische Typenbegnff die Beziehung zu seinem konkreten Ausgangspunkt nicht auf. geben kann, schwebt er ständig in der Gefahr, entweder inhaltsleer zu werden oder historisch einmalige Erscheinungen zu verall- gemeinern. Angesichts dieser Lage haben wir die Frage aufzuwerfen, in welcher Weise die uns beschäftigenden Probleme in der Literatur dargestellt werden. Es lassen sich zwei Hauptgruppen scheiden. Die Handbücher der Deutschen Rechtsgeschichte und für unser engeres Gebiet der "Osterreichischen Reichsgeschichte" und dann jene Bücher und Auf. sätze, die den Titel tragen: "Der deutsche Staat des Mittelalters". Die zweite Gruppe von Arbeiten trägt einen stark polemischen Charakter: sie alle wollen zeigen, daß es einen "Staat" im Mittelalter gegeben ') E. R. Huber, Die deutsche Staatswissenschaft. Z. f. d. ges, Staatswissen· sdiaft 95 (1935)' S. 1 H. O. Westphal, Bemerkungen über die Entwicklung der allgemeinen Staatslehre in Deutschland. Vom staatlichen Werden und Wesen. Festschr. f. E. Marcks, 1921, S. 26 H. 116 habe, und grenzen diesen Staat und seine Verfassung ab gegen Ersdieinungen, die nichts mit Staat und Verfassung zu tun haben und die sie der "Sozial. und Wirtschaftsgeschichte" zuweisen. Diese Abgrenzung ihres Gebietes gegen die "Sozial. und Wirtschaftsgeschichte" ist dieser Literaturgattung mit den Rechtsgeschichten gemeinsam. Beide gehen von der Voraussetzung aus, daß eine relativ autonome Sphäre "Recht" oder "Staat" von der Wirtschaft und den durch diese fundierten sozialen Verhältnissen in derselben Weise wie seit dem 19. Jahrhundert zu sondern sei. Man sollte also erwarten, daß Hand. bücher der Wirtschafts. und Sozialgeschichte nichts für unser Problem Wesentliches enthalten. Dem ist aber nicht so. Alle Handbücher der Wirtschaftsgeschichte enthalten umfassende rechts. und verfassungsgeschichtliche Abschnitte, die einen sehr erheblichen Teil des Raumes in Anspruch nehmen'). Das ist diesen Werken nicht selten geradezu zum Vorwurf gemacht worden. Es scheint aber, daß sie ihre Aufgabe ohne Hereinziehung der Rechts. und Verfassungsgeschichte nicht zu lösen vermögen. Auch ein Buch wie etwa Alfons Dopschs "Wirtschaft. liche und soziale Grundlagen der europäischen Kulturentwicklung" (21922/3) beschäftigt sich ausführlich mit verfassungsrechtlichen Fragen. Angesichts dieser Sachlage ist die Frage nicht unberechtigt, ob denn überhaupt die Behandlung des inneren Baues der mittelalterlichen Welt eine Scheidung in autonome Sphären "Recht", "Staat", "Wirtschaft" usw. verträgt, wenn man sie in ihrem Funktionieren begreifen will"). Ist doch diese Auseinanderlegung in autonome Kultursphären Ergebnis eines geschichtlichen Prozesses, der, wenn er seine Voraus. setzungen auch im Mittelalter hat, doch erst in den neueren Iahrhunderten durchgedrungen ist. Gewiß, für eine Analyse der mittelalterlichen Welt wie jeder vergangenen Kultur ist ihr Auseinanderlegen nach ihren Funktionen und die Durcharbeitung in den Begriffen der für jene Sachbereiche entwickelten geschichtlichen und theoretischen Wissenschaften unentbehrlich. Nur so kann der innere Bau dieser Welt überhaupt verstanden werden. Doch wird man nicht darauf verzichten, die konkreten Gebilde dieser vergangenen welt in ihren verschiedenen Funktionen als Ganzes zu erfassen. Das Ausgreifen der Rechts- und Verfassungsgeschichte in die Wirtschaftsgeschichte und umgekehrt weist bereits auf die Grenzen der einzelnen Fachwissen') Vgl. R. Kötzschke, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, 1924. ') Vgl. ~. Br~nner, ~um Problem der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Z. f. Nationalökonornie 7 (1936), S. 671 H. Ober die Stellung der Rechtsgeschichte zwischen Rechts. und Geschichtswissenschaft vgl. H. Mittels, Vom Lebenswert d. Rechtsgeschichte, 1947. 117 sdiaften hin1). Sie haben auch ihre eigene Aufgabe. Redusgesduchte wie Wirtschaftsgeschimte sind ja keineswegs von Historikern im engeren Sinn geschaffen worden, sondern von Juristen und National" ökonomen. Im Rahmen einer Wissenschaft vom Recht und von der Wirtschaft haben sie ihre selbständige Bedeutung"), Doch ist für den Historiker die Aufgabe noch nicht gelöst, wenn er ihre Ergebnisse ein" fadi hinnimmt, vielleicht aus seiner umfassenderen Quellenkenntnis und schärferen Handhabung der quellenkritischen Methode viele Einzelheiten zurechtrückt und die Ergebnisse der einzelnen historischen Fachwissenschaften übernimmt und zusammenfaßt. Man darf fragen, ob nicht vielmehr die Gefahr besteht, wesentliche Erscheinungen im Aufbau der mittelalterlichen Welt zu übersehen, weil sie im systematischen Zusammenhang der modernen Fachwissen" schaften an einen Ort gehören, von dem aus ihre Bedeutung für die älteren Jahrhunderte nicht gesehen werden kann. Damit ist die Frage einer wesensgemäßen Theorie der mittelalterlichen Welt und der Dar" stellung ihrer inneren Struktur aufgeworfen. Wie sehr diese Frage zum entscheidenden Problem werden kann, zeigt nichts stärker als das Buch von Ernst K. Winter über Rudolf IV. von Österreich"), Hier wird der Versuch unternommen, "die ausgetretenen Pfade der Universitätstheorie" zu verlassen und ein soziologisches Buch vorzulegen, das doch letztlich den Anspruch erhebt, über die bloß sammelnde und vorbereitende Arbeit der "Historiker" zu einer wissenschaftlichen Form historisdr-soziologischer Arbeit fortzuschreiten. In breiter Front vollzieht sich hier der Einbruch der theoretischen Wissenschaften, und zwar erfreulicherweise nicht in Gestalt allgemeiner Thesen, die mit dem geschichtlichen Material nur in einem losen Zusammenhang ') Sehr aufschlußreich für diese Problematik ist der Aufsatz von O. v. Zwiedinek-Südenhorst, Hlstorisdi-soziologische Untersuchungen zu Mitteis' Wertung des Lehenrechts. Ibb. f. Nati?nalökonomi~ und ~tat!stik .143 .(19~~), S. 1 H. Der Nationalökonom Z. Wirft dem Iuristen Mitreis "eme einseing juristische Betrachtungsweise" vor und fordert stärkere Berücksichtigung des Einflusses der wirtschaftlichen Entwicklung. (Dazu Mitteis' Erwiderung in: Wirtschaft und Kultur. Festschr. f. A. Dopsch, 1938, S. 567 H.) Zwiedinek selbst aber geht von den "drei Kategorien Staatsgewalt, Recht und Wirt. schaft", deren "Interdependenz" es zu erforschen gelte. aus. Inzwischen.h~t auch W. Kienast den Widerspruch des "politischen" Historikers gegen Mitreis angemeldet, ihm ist die "Macht" das Entsch.eid~nde. (Lehnrecht und ?,taats. gewalt im MA. H. Z. 158 [1938], S. 9 f.). Mittels (a. a. O. S. 567 f] halt da. gegen am Primat des Rechts fest. 2) Vgl. E. Rothacker, Die dogmatische Denkform in de~ Geistes~js5~nscha~t(ln u. das Problem d. Historismus. Abh. d. Ak. d. WISS. u. Ln. 111 Mainz, geist. u. sozialw. Kl. 1954/6. a) E. K. Winter, Herzog Rudolf IV. von Österreich, 1934/36. 1.1.8 stehen, so.ndern an einer konkreten, zu den Quellen selbst vordringenden Emzeluntersuchung eines wichtigen Gegenstandes. Es wird nun ~lles davon abhängen, ob Winter zu einer Theorie der mittel. alterliehen Welt gelangt ist. Er geht von der These aus, daß die konstan~en Faktoren in der Struktur des Menschen und der Gesellschaft ents0eld.ende.r seie~.als die variablen. Die Richtigkeit dieser These wollen ~Ir hier nkhr erortern. Es ist nämlich durchaus die Frage, ob es Winter uberhaupt gelungen ist, diese konstanten Faktoren zu ermitteln und wissensch~ftlidlzu f?rmu.lieren, .von einer ersten, wie er sagt, erkenntnis= theoretischen SozlOlo?le zu emer zweiten, historischen, fortzuschreiten. Das muß man vernemen. ~enn der soziologische Begriffsaparat, den er .~nbe~ehen auf das Mittelalter überträgt, ist ganz der neueren SO~lOlogle entnommen, wesentlich sogar in der Gestalt, wie er in der ~itt~ des 19· Jah~hunderts ausgebildet wurde. "Soziologie" aber und die Ihr seschtdulich nahestehende Nationalökonomie sind WissenD schaften, die als theoretische Systeme seit dem Ende des 18. Iahrhund~rts geformt worden sind'}, Ihre Begriffe sind auf die geschichtlime Sltu~tlOn der Zeit ihrer Entstehung und Weiterbildung bezogen. Sie schel~en daher den "Staat" von der »Cesellsdiafr" und kennen eine relativ autonome Sphäre der Wirtschaft, deren Gesetze erforscht werden können. All das sieht Winter bereits im 14. Jahrhundert als gegeben ~n,.und zwar nicht bloß als erste Ansätze zukünftiger Tendenzen, die im Gesamtgefüge der Zeit noch keine wesentliche Bedeutung haben, sondern als die gegebenen und gar nicht problematischen G~undstrukt~ren der mittelalterlichen Welt. So gibt es für ihn im Mittelalter ernen Staat im neuzeitlichen Sinn; der Landesherr des 12. Jahrhunderts ist "souverän", es gibt eine Sphäre Wirtschaft" in di d S " ,re er taat regulierend eingreift, indem er Wirtschafts. und Sozial" politik betreibt. Es gibt Stände, die nichts anderes sind als soziale Sdiiditen", "Wirtschaftsmämte". Kurz und gut, man kann die Welt des 1~. Jahrhunderts mit den Kategorien des 19. und 20. Jahrhunderts ausreichend beschreiben und gewinnt dadurch erst eine wissenschaft= liche, "soziologische" Einsicht in Probleme, an denen die Fachhistoriker bisher blind vorbeigegangen sind. Wir werden später Gelegenheit haben, einzelne sachliche Fragen, die Winters Buch zureichend beantwor~et zu. haben glaubt, zu erörtern. Hier genüge die Feststellung, daß er Sich nicht allzuwett von manchen Historikern befindet wenn er dieselben modernen Begriffe in theoretisch geläuterter Form verwendet, die der Historiker zumeist unbewußt aus der Alltagssprache als allgemeingültig übernimmt. ') S. Lands~ut, !:"!?i.!.' 1. Her r s c h a f t übe r Bau ern (G run d her r s c h a f t) 240: a) Grundherrschaft oder Großgrundbesitz? 240: Öffentliche und. private Herrschaft? 242. Dominium und Imperium 244. Grundherrschaft kein. nur wirtschaftliches, privates Gebilde 245. Streulage oder Streuung? 248. Grund. -{ herrschaft und Landesverfassung 251. Gewere 252. Schutz und Schirm 253. _ /' b] DosHau« alp.}<'I!!!!...EIJi!!Jil!r!!.c11.Il1.t.254: Die Herrschaft nach dem Haus des Herrn genannt 254. [las Haus als Sonderfriedensbezirk 256. Die haus. herrliche Gewalt 257. -@JIDas Wesen des Herrschaftsverhältnisses 258: Huld 258. VogteiA~flege, 'Gewalt 258. Die Holden 259. Treue 259. Huldlgung 262:. - @Jßchutz uhd Schirm 263: Nach außen 265. Gegen den Genossen 267. - e] Rat und Hilfe 269:. Rat im allgemeinen Sinn 269. Leistungen aus Rat und Hilfe 271. - f) Steuer. Rob.o.Lll11.d..ßeise ?-73: Steuer 273· Die herrschende Lehre über die mittelalterliche Steuer 273. Die Steuer in den einzelnen Ländern 277. Unterschiebung eines neuzeitlichen Steuer. begriffs 289. Steuer ist Hilfe 291. Arten der Steuern 295. Ungeld 297. Robo~gl'!fl!!!!!gJ~':u.:WehrrHich..! (Reise) 301. - g) Vogtei 303: Beziehung zwischen Vogtei uila"Steuer;'-Robot und Reise 303. Vogtei ist Schutz und Schirm, Herrengewalt 310. Anvogten von Muntmannen 315. Vogtei über Fremde, Inleute und Knechte 316. Vogtei über Inhaber "freier" Leihen 317. Vogtei über freie Bauern 320. - h] Die Schichtung der Herr. schaftsrechte 327. Grundobrigkeit und Dorfobrigkeit, Verwaltung und Gerichtsbarkeit 328. Unableitbarkeit dieser Rechte 330. Ihr Immunitäts. charakter 331. - i) Immunitiit 333: !fg.kunft des R~.J~~.lH' Immu~pri.vileg.ist.nicht..[)el~g!l!i.oE öffentlicher_.RechteimmQ.d_~n.le.J1_]üm. 336. Grenze von Haus und Herrschaft"gegenü!)er dem Lande 338. Schutz und Schirm des Immunitätsherrn Voraussetzung 339. - k] Das Gefüge der Grundherrschaft 340: Schichten der Dichtigkeit 340. Grundherrschaft der Landherren 341. - Die geistliche Grundherrschaft 342. Die ritterliche Grund. XIII herrsdtaft 343. - I) Das Verhältnis von Grundherr und Grundholden 343: Alle Beziehungen müssen in der Wemselwirkung von Sdiutz und Hilfe gesehen werden 344. Herr und Bauer in der Dichtung 34~. Einfluß von Herren und Bauern auf die bäuerlidien Weistümer 347· pie Bauernkriege 347· /""\ -----_...----.--... - /"" 2. S t a d t her r s c h a f t (H e r r s c h a f t übe r B ü r ger gern e man) 349: Stadtherr und Bürgergemeinde 349. Bürger und Bürgergemeinde 352. 3. Geistliche und weltliche Lehenschaft 354: Das Patronat 354. Das Lehenswesen 355· V. LANDESHERRSCHAFT UND LANDESGEMEINDE . . . . 1. Die Landesherrschaft 358: a) Der Landesherr als Leiter der Landesgemeinde 359: Riditer im oberen Landgericht 359. Heerführer 360. b) Der Landesherr als Herr des Landes 300: Gewere am Lande 361. Vogt des Landes 361. - c) Der allgemeine Schutz 363: Schutz des Landfriedens 363. Befestigungsredtt 367. - d) Blutbann in den unteren Landgerichten, Regalien, Lehenshoheit 367: Landgericht 367. Regalien 368. Lehenshoheit 370. - e) Der besondere Schutz 372. - f) Kammergut im weiteren Sinn 374: Prälaten 374. Städte 377. - g) Kammergut im engeren Sinn 378. Urbargut 378. Pfleggeridite 379. Juden 382. Gäste 382. Politische Bedeutung des Kammerguts 384. Kammergut und juristische Person des Staates 383. h) Der Begriff der Landesherrschaft 385. - i) Landesherrschaft und Souverä· nität 387. Der Satz "Princeps legibus solutus" 388. 2. 0 a s La n d v 0 I k 394: a) Die Lehre von den mittelalterlichen Ständen 395: Ständebegriff am Begriff der "Gesellsmaft" im Sinne des 19. Ihdts. orientiert 396. - b] Die ständische Gliederung des Landes 404: Herren 405. Ritter und edle Knechte 407. Prälaten 408. Städte und Märkte 409. Bäuerliehe Gerichte 410. Grundlage der Landstandschaft 411. Landschaft und Kammergut 412. 3. 0 a s Ver h ä I t n i s von L a n des her run d L a n d v °I k 413: a) Landtag und Landstände nach der herrschenden Lehre 414: Die übliche Definition setzt den Begriff der Fürstensouveränität voraus 415. Der Streit um das Wesen der Landstände im Vormärz 416. Die Kontroverse TeznerRadifahl 417. O. Hintze 421. Vertretung und Repräsentation 42.2. - b] Die Erbhutaigung 423. - c) Das gemeinsame Handelnin Gericht und Heer425. d) Das Miteinanderverhandeln 426. Rat und Hilfe 426. Der Landtag 430. Verhandlung über Rat und Hilfe 431. Aufgaben der Landtage 434. Stellung Vder zum weiteren Kammergut zählenden Stände 435. - e) Die Durchbildung ~es "Dualismus" von Landesherr und Landschaft 437. 4. Z usa m m e n f a s s u n g 440. ANHANG Die L ä n der in der Ö s t e r r e ich i s c h e n Mon a r chi e 441-463 XIV I. FRIEDE UND FEHDE ... Aristoteles spricht, das etlidt weis spredten und mainen, und spridit es mitsambt in, das freundtschaft und krieg ursach sindt der stiftung und störung. Cillierdtronik S. 72. I. Politik und Fehdewesen Wer die fast unübersehbare historische Literatur über das Mittelalter auch nur auf einem räumlich enger begrenzten Gebiet zu über. blicken sucht, dem muß sich bald eine eigentümliche Beobachtung auf· drängen. Wir besitzen ein außerordentlidi umfangreiches Einzelschriftturn zu allen Samgebieten des mittelalterlichen Lebens, über Staat und Verfassung, Wirtschaft und Recht, Kunst und Religion usw. Wir besitzen auch für eine Reihe von Sachgebieten zusammenfassende Handbüdier, die unsere Kenntnisse der einzelnen Kulturbereiche zu über. schauen gestatten. Dem steht aber die Tatsache gegenüber, daß die politische Gesdiidrte von all diesen Errungenschaften keinen rechten Gebrauch zu madien wußte. Man bleibt bei einer rein äußerlichen Darstellung des politisehen Geschehens oder, sehr häufig, bei einem bloßen Nebeneinander von politischer und Kulturgesdiidite. So vor allem in den Darstellungen der Landesgeschichte'). Zeitweise konnte man geradezu eine Tendenz zur Isolierung der polirisdien Geschichte beobachten. BücherwieAlexander Cartellieris "Weltgeschimte als Machtgesdudite" und ihre Fort. führungerr') wollen Weltgesmimte dadurch zum Range einer Wissen. sdiafr erheben, "daß man sie nichts aussagen läßt, was nicht bewiesen, ') An neueren Landesgesduditen kommen für unser Gebiet vor allem in Frage: M. Vancsa, Gesdiichte Nieder. und Oberösterreichs 1 (1905), 2 (1927). H. Pirdiegger, Geschichte der Steiermark l' (1936), 2 (19311. Zugleim repräsentiert jedes der beiden Werke einen eigentümlichen Typus. Vancsa gibt wesentlidt politische Gesdtidite im äußeren Sinn, aber gut erzählt und mit kritischem Urteil. Dagegen sind die dazwisdien eingestreuten "kulturgesmimtlidten" Absdmitte recht unzulänglich, Cerade umgekehrt ist Pircheggers Verfahren. Bei ihm tritt die politische Geschichte stark zurück und daher kann die weithin vortreffliche Darstellung der inneren Verhältnisse für das Er. fassen der treibenden Kräfte nicht ausgewertet werden. Den Wandel von den Landesgeschichten älterer Art zu den Handbüchern der geschichtlichen Landes. kunde kann man sidt etwa an O. Stolz, Gesdiidrte des Landes Tirol 1 (1955) vergegenwärtigen. ') A. Cartellieri, Weltgesmimte als Madttgesdiidtte 382-911, 1927. Ders., Die Weltstellung des deutsdien Reims 911-1047, 1932. Ders., Aufstieg des Papsttums 1°47-1095, 1936. Ders., Der Vorrang des Papsttums zur Zeit der ersten Kreuzzüge 1095-1150, 1941. 1