geschichtliche Grundbegriffe Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland Herausgegeben von j Otto Brunner Werner Conze Reinhart Kosclleck Band 1 A-D Ernst Klett Verlag Stuttgart Brnnt: Wovon ich einen Begriff habe, das kann ich auch mit Worten ausdrücken Falk: Nicht immer; und oft %eenig$ten* nicht *o, daß andre durch die Worte vollkommen eben denselben Begriff bekommen, den ich dabei habe. Lsssino Einleitung Die soziale und politische Sprache kennt eine Menge von Leitbegriffen, Schlüssel- oder Schlagwörtern. Manche tauchen plötzlich auf und verblassen schnell, viele Grundbegriffe haben sich dagegen seit ihrer Bildung in der Antike durchgehalten und gliedern noch heute — wenn auch in veränderter Bedeutung — unser politisch-Goziales Vokabular. Neue Begriffe sind hinzugetreten, alte haben sich gewandelt oder sind abgestorben. Immer hat sich die Mannigfaltigkeit geschichtlicher Erfahrung vergangener oder gegenwärtiger Zeiten in Begriffen der verschiedenen Sprachen und in ihren Übersetzungen niedergeschlagen. In Anbetracht dieses allgemeinen Befundes hat das vorliegende Lexikon eine bewußte Auswahl getroffen. 1 Der Zweck de« Lexikons Das Lexikon konzentriert sich auf die Untersuchung und Darstellung von rund 130 geschichtliehen Grundbegriffen. 1.1 Unter geschichtlichen Grundbegriffen sind nicht die Fachausdrucke der historischen Wissenschafben zu verstehen, die in eigenen Handbüchern und Me-thodenlehren dargelegt werden. Vielmehr handelt es sich hier um Leitbegriffe der geschichtlichen Bewegung, die, in der Folge der Zeiten, den Gegenstand der historischen Forschung ausmacht. Dabei ist die Historie als Wissenschaft — zwangsweise — auf den Wortgebrauch verwiesen, der in dem jeweiligen Sachbereich ihrer Fragestellung vorherrscht. Keine historische Forschung kann umhin, die sprachliche Auasage und Selbstauslegung vergangener oder gegenwärtiger Zeiten als Durchgangsphase ihrer Untersuchung zu thematisieren. In gewisser Weise ist die gesamte Quellensprache der jeweils behandelten Zeiträume eine einzige Metapher für die Geschichte, um deren Erkenntnis es geht. Das Lexikon beschränkt sich deshalb auf solche Ausdrücke, von deren Tragweite XIII und große B^^'**n,m*nh*nRe er' und durch ti*t*a yn .j^rn /^,tR «"—^S Ä****^. der wirt-toMM- "«d der *~n«hafV _ . „H.i?dch .feo um Bau»ttine für ein «' ^V, kt,,rM1 u,„l ah Indikatoren Srftet wurde, liegt schon ,n ^^.fj* beschloss A»ch Tu** «od«« Welt in der (Richte ihrer ***** «,g ^ hoffell dürferij der methodischen Klarheit und der inhaltlichen Ergiebigke z 8 Dm Lexikon behandelt vorzüglich und forschungsintensiv den Zeitraum ruiiü n«) bL an die Schwelle untrer Gegenwart. Der Schwerpunkt der Untersuchungen hegt auf der „tätlichen'' Begrifflichkeit, die mehr umfaßt ab nur moderne Bedeutungen. Gerade die Überlappungen und Verschiebungen „moderner und „alter" Wortbedeutungen werden erfragt. Deshalb wird in die Antike, auf das Mittelalter, auf Renaissance, Reformatio n und Humanismus ziirückgegriffen, soweit die Wortgeschichte der Begriffe uus diesen Zeitaltern herrührt. Ferner werden nur Begriffe des deutschen Sprachraume, wenn auch im Anschluß an die europäische Tradition, untersucht. Schließh'ch werden nur solche Begriffe analysiert, die den sozialen Umwandlungsprozeß im Gefolge der politischen und der industriellen Revolution erfassen bzw., von diesem Vorgang betroffen, umgewandelt, ausgestoßen oder provoziert werden. Das Lexikon ist also insofern gegenwartsbezogen, als es die sprachliche Erf der modernen Welt, ihre Bewußtwerdung und Bewußtmac hu ng durch Begriffe, die auch die unseren aind, zum Thema hat. Nicht aber war beabsichtigt, das gesamte politische und soziale Vokabular unserer aktuellen Gegenwart in seiner Herkunft aufzuzeigen. Ebensowenig war beabsichtigt, eine linirmstiflch abgestützte politische Semantik zu liefern, wenn auch das Lerikon für dieae - weithin noch brachliegende - Fragestellung nützliche Vorarbeit liefert. Vielmehr werden Leitbegriffe aus der vorrevolutionären Zeit über die revolutionären Ereignisse und Wandlungen ZZl m unseren Sprachraum hinein verfolgt (etwa 'Bürgerliche Gescllscha t g "fett*» Verfassungen), werden Neimen dZjJi; dt V schehen entsprechen (z.B. 'Cäsarismti*' 'K,? .^B»«!!*, die diesem Ge-'Faschismus'), und es werden R^T ' ^t^™ ' An^™tismu8', nofat, die ers JZ^Tb^^I^^ ^ ***** Wörte<* ^ schritt' oder 'G^chtr (™ Tort- XIV 1.3 Der beuri«ti*che Vorgriff der Lexikonarbeit besteht in der Vermutung, daß sich seit der Mitte de« inhtaihlih n Jahrhunderte ein tiefgreifender Bedeutungswandel klassischer topoi vollzogen, daß alte Worte neue Sinngehalte gewonnen haben, die mit Annäherung an unsere Gegenwart keiner Übersetzung mehr bedürftig sind. Der heuristische Vorgriff führt sozusagen eine „Sattelzeit" ein, in der sich die Herkunft zu unserer Präsenz wandelt. Entsprechende Begriffe tragen ein Janusgesicht: rückwärtsgewandt meinen sie soziale und politische Sachverhalte, die uns ohne kritischen Kommentar nicht mehr verständlich sind, vorwärts und uns zugewandt haben sie Bedeutungen gewonnen, die zwar erläutert werden können, die aber auch unmittelbar verständlich zu sein scheinen. Begrifflichkeit und Begreif-burkeit fallen seitdem für uub zusammen. Dieser Vorgriff hat sich, von bezeichnenden Ausnahmen abgesehen, bewährt. Die untersuchten politisch-sozialen Begriffe indizieren — auf ihre Geschichte hin befragt — einen langfristigen und tiefgreifenden, manchmal plötzlich vorangetriebenen Erfahrungswandel. Alte Begriffe haben sich in ihrem Bedeutungsgehalt den sich verändernden Bedingungen der modernen Welt angepaßt. Ohne daß Bich die Worte geändert hätten, haben z. B. 'Demokratie', 'Revolution', 'Republik' oder 'Geschichte' einen deutlich festzustellenden Übersetzungsvorgang vollzogen. Manchmal entstanden fast völlige Neuprägungen, wie 'Klasse' oder 'Sozialismus' — alte Ausdrücke, die erst unter ökonomischen Planungen und geänderten wirtschaftlichen Bedingungen zu zentralen Begriffen aufrückten, liier wird der Übergang zu Neologismen fließend, so wie es umgekehrt tradierte Worte gibt, die einen schleichenden politischen und gesellschaftlichen Bedeutungeschwund erleiden, wie 'Stand' oder 'Adel'. Der heuristische Vorgriff führt also zu einer Schwerpunktbildung, die von der geschichtlichen Fragestellung nach Dauer oder Überdauern der Herkunft und nach Wandel oder Umbruch durch die revolutionäre Bewegung bestimmt ist. Alle Be-griffsgesehichten zusammen bezeugen neue Sachverhalte, ein sich änderndes Verhältnis zu Natur und Geschichte, zur Welt und zur Zeit, kurz: den Beginn der „Neuzeit". Es ist eine vorerst noch nicht eindeutig beantwortbare Frage, ob der skizzierte Bedeutungswandel im Bereich der politisch-sozialen Terminologie, der analog natürlich für alle Epochenschwellen Tegistrierbar ist, seit rund 1750 beschleunigt stattgefunden hat. Dafür sprechen viele Indizien. Dann wäre dieNeuzeit" aufgrund ihres beschleunigten Erfahrungswandels auch als eine „neue Zeit" erfahren worden. Plötzlich aufbrechende, schließlich anhaltende Veränderungen machen den Er-fahningBhorizont beweglich, auf den die ganze Terminologie, besonders ihre relevanten Begriffe, reaktiv oder provokativ bezogen werden, Zunächst ist es auffallend und ein vom Lexikon bestätigtes Ergebnis bisheriger Forschung (Stammler), daß seit etwa 1770 eine Fülle neuer Worte und Wortbedeutungen auftauchen, Zeugnisse neuer Welterfassung, die die gesamte Sprache induzieren. Alte Auadrücke werden mit Gehalten angereichert, die nicht nur zum Vorfeld deutscher Klassik und des Idealismus gehören, sondern die in gleicher Weise die Terminologie für Staat und Gesellschaft — wie diese Bezeichnungen selber — neu profilieren. Es seien deshalb einige Kriterien genannt, kraft tierer sich der langfristige Vorgang seitdem gliedern läßt, ohne daß sie schon in alle einzelnen Artikel des Lexikons XV liflJrilun» li^.l..... Welt dehnt Mi'h der Anwendung,. I :tl Im 1* litt «ch •■flö*"'1'-" 1 im sin» ainti aktuellen Schlagworts ,^.„1, «ytc Begriff« «tu. « . tiBMhoai nachdem die lmchdruckerkunat ,im «w Art /Jrm-^-Tfrrti^. ?wa politische Flug-chriftMwtreit seit der R„, *rftjnd*a wir, der religiöse, soflaie F" Aufklärung11 beginnt sich — naob fomution alle Stande erfaßt. Aber erst ^'^^ die politische Sprühe ihrtr vorübergehenden Einen " Aus h Strutturrn' a , * U werfen- „^ben übersteigt die finanziellen und tlich luszählimgeiivonBc d<* ^^tiooen abstützen. Bedeutun^chichten eines W, .. , V ■ alao beide reg« und BflnennungsvorgÄDge a ^f olit^he und soziale Sachverbalte und um di«B*priffe vermitteln, W»ndel zielen. u zwischen Wort und Begriff ist im vorliegenden Le^ M Die *f ™h"^en Es wird also darauf verzichtet, das sprach," (Bezeichnung) - Bedeutung (Begriff) -«duftlufe D««^ für ^ Untersuchung zu verwenden. GR , che«iK„„HriHhe. . Isich^meiBtenWi der Mdbphaltoh-poKtiKhen Terminologie dehmtorisch von solchen Wfi unterscheiden lassen, die wir hier 'Begriffe', geschieht liehe Grundbegriffe nen Der Übergang mag gleitend sein, denn beide, Worte und Begriffe, sind immer m deutig.was ihre geschichtliche Qualität ausmacht, aber sie sind es auf verschft Weise. Die Bedeutung eines Wortes verweist immer auf das Bedeutete, sei es Oedanke, sei es eine Sache. Dabei haftet die Bedeutung zwar am Wort, aber speist sich ebenso aus dem gedanklich intendierten Inhalt, aus dem gesprochen oder geschriebenen Kontext, aus der gesellschafthchen Situation. Ein Wort V eindeutig werden, weil es mehrdeutig ist. Ein Begriff dagegen muß vieldeutig b ben, um Begriff sein zu können. Der Begriff haftet zwar am Wort, ist aber zugleich mehr als das Wort. Ein Wort wird - in unserer Methode — zum Begriff, wem» die Fülle ein« politisch-sozialen Bedeutnngszusammenhanges, in dem — und für den ein Wort gebraucht wirf, insgesamt in das eine Wort eingeht. waltung, SteuerZZ' f' *^Tt*m> »^tzgebung, Rechtsprechung, Vcr auf ihren Begriff gebracht B ^minolo«ie Werdeii vom Wort 'Staat' aufgegriffe», Wortbedeutungen und das &h° KoTlzentT^ vieler Bedeutungsgehalt«. fallen Bedeutung und BedeutT ****** getrennt 8edacht werden-Im sebichtücherWirkhchieitindioM^11 *U8am^. als die Mannigfaltigkeit g* "idem einen Wort iW. l^^^gkeit einpw \Vi-w*.t^ — ---ft «ü» nur XXII ort üren Sinn «faUt T i "mcs Wortes ao eingeht, daß sie nur ^ b^lffen "to- Ein Wort enthält Bedeutung. möglickkeiten, der Begriff vereinigt in sich Bedeutungsfülle. Ein Begriff kann also klar, muß aber vieldeutig sein. Er bundolt die Vielfalt geschichtlicher Erfahrung und eino Summe von theoretischen und praktischen Sachbrzügcn in eiiu'in Zusammenhang, der als solcher nur durch den Begriff gegeben ist und wirklich erfahrbar wird. Überspitzt formuliert: Wortbedeutungen können durch Definitionen exakt bestimmt werden, Begriffe können nur interpretiert werden. Am Beispiel des Begriffa 'Staat' läßt sich auch unsere Verwendung des Ausdrucks 'Terminologie' erläutern. 'Recht* ist ein Begriff, 'Rechtsprechung' dagegen ein — sachbezogener — Terminus. Das Lexikon baut, genau gesprochen, nicht auf behebigen Wörtern auf, Bondern auf der sozialen und politischen Terminologie, Ein Terminus versammelt in sich die Merkmale eines vorgegebenen Sachverhalte«, seine Bedeutung kann sach- oder fachspezinsch, wenn auc;h verschiedenp definiert werden. Ein Begriff hegt erst dann vor, wenn diejenigen Bedeutungen einzelner Termini, die einen gemeinsamen Sachverhalt bezeichnen, jenseits ihrer bloßen Bezeicbnungsfunktion in ihrem Zusammenhang gebündelt und reflektiert werden. In der Geschichte eines Begrifls verschiebt sich nicht nur eine Bedeutung des Wortes auf eine andere, sondern der ganze in das Wort eingegangene Komplex verändert sich in seiner Zusammensetzung und Bezogenheit. Eine Begriffsgeschichte birgt in sich immer den Prozeß vieler Komponenten. Alle Begriffet in denen sich ein ganzer Prozeß »cniiotiach zusammenfaßt, enteiehn sich der Definition; definierbar ist nur das, was keine Geschichte hat (Nietzsche ). 2.5 Daß die Geschichte eich in bestimmten Begriffen niederschlägt und überhaupt zur Geschichte wird, wie sie jeweils begriffen wird, ist die theoretische Prämisse der hier angewandten historischen Methode. Insofern liegt unser Vorhaben nicht nur in der Mitte zwischen einer Wortgeschichte, an der sie nicht haften bliebe, und einer Sachgeschichte., die sie nicht liefern wollte. Es interpretiert die Geschichte durch ihre jeweiligen Begriffe so wie es die Begriffe geschichtlich versteht: die Be-griffsgesehichte hat die Konvergenz von Begriff und Geschichte zum Thema. Diese Konvergenz wird freilich nicht als Identität von Begriff und Geschichte verstanden oder dahingehend verflacht. Der naive Zirkelschluß vom Wort auf den Sachverhalt und zurück wird durchbrochen. Zwischen beiden besteht eine Spannung, die bald aufgehoben wixd, bald wieder aufbricht, bald unlösbar erscheint. Wortbedcutungswandel und Sachwandel, Situation«Wechsel und Zwang zu Neubenennungen korrespondieren auf je verschiedene Weise miteinandern Im Schnittpunkt solcher insgesamt geschichtlicher Vorgänge liegt ein jeweiliger Begriff, Man denke etwa an die Institutionsgeschichte der 'Säkularisation' und die dem entsprechende und doch weit abführende Geschichte desselben Ausdrucks. Unsere Methode pendelt deshalb zwischen semasiologischen, onomasiologisohen sowie sach- und geistesgeschichtlichen Fragestellungen hin und her: alle sind erforderlich, um den geschichtlichen Gehalt eines Begriffs zu erfassen. Ein treffender Begriff mag sogar fehlen, er kann tastend gesucht werden, er kann von alters her sich anbieten, aber nicht mehr stimmen, neue Worte treten hinzu, Bindestrich-bildungen häufen sich, weil neue Erfahrungen oder Hoffnungen formuliert sein wollen (vgl. etwa 'Social-Demokratie'). Gerade die Unzulänglichkeit beatiranr Begriffe für bestimmte Ereignisse oder Zustände macht sich sprachlich bemerkba wie etwa die schwerfällige Auseinandersetzung über die Verfassung des alten deut- XX1T1 «-hen Reicta » früh« ■jSSTlThU^r,........ Erw.rtu.*.hor,aoM ~ W«U0 oder deren - 1 ^ ^ für .»rechlich* Prägungen, der e-ndhch erfüllt »im. Bunde-taat1 um lft« für da. sich .ufk**nd* Reich. (Ire Methode er.rbe.tet abo kein* Sechverhalte aus d,n w.r^Wnea QuTn Ebensowenig trinkt * s.ch «f <* ^tigen Äuöerun^n v«JW~ S,e vermeidet die UeUteegeecbkhte ab eine (ieechichte der Ideen oder ie materieller Prot». «• führt vielmehr heran an die in den j*. ,aen enthalten. Erfahrung und an die in ihn« angelegt« Theorie. ,ie deckte jene theorief, b igen Prämien auf, deren Wandel «ethematmert. In der Praxi- gibt ea »hrreicbe Vollrtge oder Verheltensweben, die vor ihm »precluiehen Benennung xnt