Die ewigen Wahrheiten und ewigen Rechte haben stets am Himmel der menschlichen Erkenntnis aufgeleuchtet, aber nur gar langsam wurden sie von da herab geholt, in Formen gegossen, mit Leben gefüllt, in Taten umgesetzt. Eine jener Wahrheiten ist die, dass Frieden die Grundlage und das Endziel des Glückes ist, und eines jener Rechte ist das Recht auf das eigene Leben. Der stärkste aller Triebe, der Selbsterhaltungstrieb, ist gleichsam eine Legitimation dieses Rechtes, und seine Anerkennung ist durch ein uraltes Gebot geheiligt, welches heisst: "Du sollst nicht töten". Doch wie wenig im gegenwärtigen Stande der menschlichen Kultur jenes Recht respektiert und jenes Gebot befolgt wird, das brauche ich nicht zu sagen. Auf Verleugnung der Friedensmöglichkeit, auf Geringschätzung des Lebens, auf den Zwang zum Töten ist bisher die ganze militärisch organisierte Gesellschaftsordnung aufgebaut. Und weil es so ist und weil es so war, solange unsere - ach so kurze, was sind ein paar tausend Jahre? sogenannte Weltgeschichte zurückreicht, so glauben manche, glauben die meisten, dass es immer so bleiben müsse. Dass die Welt sich ewig wandelt und entwickelt, ist eine noch gering verbreitete Erkenntnis, denn auch die Entdeckung des Evolutionsgesetzes, unter dessen Herrschaft alles Leben - das geologische wie das soziale - steht, gehört einer jungen Periode der Wissenschaftsentwicklung an. Nein; der Glaube an den ewigen Bestand des Vergangenen und Gegenwärtigen ist ein irrtümlicher Glaube. Das Gewesene und Seiende flieht am Zeitstrome zurück wie die Landschaft des Ufers; und das auf dem Strom getragene mit der Menschheit befrachtete Schiff treibt unablässig den neuen Gestaden dessen zu, was wird. […] Und hier handelt es sich noch dazu um ein Ziel, das von vielen Millionen noch gar nicht gesehen wird, von dem unzählige Menschen entweder nichts wissen, oder das sie als eine Utopie betrachten. Mächtige Interessen sind auch damit verbunden, dass es nicht erreicht werde, dass alles beim Alten bleibe. Und die Anhänger des Alten, des Bestehenden, haben einen gar mächtigen Bundesgenossen an dem Naturgesetz der Trägheit, an dem Beharrungsvermögen, das allen Dingen innewohnt gleichsam als Schutz gegen die Gefahr des Vergehens. Es ist also kein leichter Kampf, der noch vor dem Pacificismus liegt. Von allen Kämpfen und Fragen, die unsere so bewegte Zeit erfüllen, ist diese Frage, ob Gewaltzustand oder Rechtszustand zwischen den Staaten, wohl die wichtigste und folgenschwerste. Denn ebenso unausdenkbar wie die glücklichen segensreichen Folgen eines gesicherten Weltfriedens, ebenso unausdenkbar furchtbar wären die Folgen des immer noch drohenden, von manchen Verblendeten herbeigewünschten Weltkrieges. Die Vertreter des Pacificismus sind sich wohl der Geringfügigkeit ihres persönlichen Machteinflusses bewusst, sie wissen, wie schwach sie noch an Zahl und Ansehen sind, aber wenn sie bescheiden von sich selber denken, von der Sache, der sie dienen, denken sie nicht bescheiden. Sie betrachten sie als die grösste, der über haupt: gedient werden kann. Von ihrer Lösung hängt es ab, ob unser Europa noch der Schauplatz von Ruin und Zusammenbruch werden, oder ob und wie in Verhütung dieser Gefahr noch früher die Aera des gesicherten Rechtsfriedens eingeführt werden soll, in der die Zivilisation zu ungeahnter Blüte sich entfalten wird. Das ist die Frage, die mit ihren vielseitigen Aspekten das Programm der zweiten Haager Konferenz füllen sollte, statt den vorgeschlagenen Erörterungen über die Gesetze und Gebräuche des Seekrieges, Beschiessung von Häfen, Städten und Dörfern, Legung von Minen u. s. w. Durch dieses Programm zeigt sich, wie die Anhänger der herrschenden Kriegsordnung diese letztere sogar noch auf dem eigensten Terrain der Friedensbewegung zwar modifizieren, aber aufrecht erhalten wollten. Die Anhänger des Pacificismus jedoch, innerhalb und ausserhalb der Konferenz, werden zur Stelle sein, um ihr Ziel zu verteidigen und sich ihm wieder einen Schritt zu nähern. Das Ziel nämlich, welches, um Roosevelts Worte zu wiederholen, die Pflicht seiner Regierung, die Pflicht aller Regierungen darstellt: "Die Zeit herbeizuführen, wo der Schiedsrichter zwischen den Völkern nicht mehr das Schwert sein wird."