Wi hallen ein Versprechen aus Geschichten, Mama, nickte dei Sühn entschieden und schloss die Augen, als zauberte er OhneStab und Hut, ein ganz einfaches Versprechen: niemals aufhfren zu erzählen. Wie süß Dunkelrot ist, wie viele Ochsen man für eine Wand braucht, warum das Pferd von Kraljevic Marko mit Superman verwandt ist und wie es sein kann, dass ein Krieg zu einem Fest kommt Ich kann jetzt nicht mehr, ich lasse mich jetzt fallen, ich liege jetzt da, inmitten der summenden Süße von zertretenem Fruchtfleisch. Kleine Fliegen summen um meinen Kopf, die dunkelrote Süße der Pflaumen klebt mir im Mund, um die Lippen und an den Händen, ich füttere die Fliegen, als seien sie Vögel. Wir schnäbeln. Pflaumenernte in Veletovo: Ur-Oma Mileva und Ur-OpaNi-kola haben zum Erntefest in ihr Dorf geladen. Die ganze Familie ist versammelt, noch tragen einige Schwarz wegen Opa Slavko, Schwarz ist das Gegenteil von Sommer, also brennt die beleidigte Sonne ihnen heiß auf die Rücken, das nachtragende Miststück, sagt Ur-Oma, und wischt sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Opas Tod ist das Gegenteiligste von Sommer. Den Pflaumenhunger habe ich von meiner Mutter. Neulich, als sie sah, wie sehr ich mich über die Pflaumenernte freute, erzählte sie mir, sie habe in den letzten Monaten der Schwangerschaft nur noch Eiskunstlaufen gesehen und Unmengen an Pflaumen gegessen: tagsüber Pflaumen, abends Hackfleisch mit Schokolade, zwischendurch Karotten und wenn ich Durst hatte, literweise Kaffee. Und hier und da ein Zigarettchen, was?, ergänzte mein Vater, ohne die Augen von der Zeitung zu heben. Vater hatte meine Geburt verschlafen. 32 33 I(i hin meiner Mutter paumen- und hackfleisähnlich uncjaalte für sie und mich ne Pflaume ohne Kerna Hack-flei.'fiiiuintel. AuchMutterägt heute Süß und DuElrot im Qes-hl wie einen Bart. Wir trotzdem zu Mittag e;n müs-senwarnt sie mich von deieiter, mach mal langsier! I^ch mal weniger, wäreler bessere Rat, denn:h habe gerle einen Weltrekord aiPflaumen gegessen. Z?i Welt-rekcde Magenschmerzen be ich jetzt, ich liege dmd las- se n ch umsummen. q: Pflaume ist eine verslubte Frucht. j)5 ist das Erste, worütr du lachst, Aleksanir, sagte Mut-r, als wir über die Erntsprachen. Nach Opas 'd, sagte sie r cht. rjas nd Wege für den Arscbnicht für ein Auto!, flute mein Vategestern Morgen auf dr Straße nach Veletovund sah köpf hüttelnd unter die Mcorhaube unseres gelbeYugos. Yx5os sind für vier und icht für sechs, erwidei Mutter und teckte sich eine Zigaree an. D;an liegt es nicht, es liet an seinem Charaktenh habe kejnuito, ich habe einen Es auf Reifen! Vater trat gen die Feig. Ejj Esel setzte Mama:u einer Antwort an, ltfernte sich ann aber glücklicherase, um ihre Zigarettoiit den Blun11 arn Wegesrand zu rächen. Scon bei seiner ersten Fart war unser damals ndneuer Yugcauf der kurvigen Strae nach Veletovo stehe geblieben,Qit laufendem Motor, ils wollte er sich nururz die Landcnaft anschauen: die Sräucher reifer Brombeen, den Bachmter den Tannen, Fan? in der Farbe der leucend roten puerwelle meiner Muter. Vater hatte die Häe vom Lenkld gehoben und, mehfias geht nicht, mit d< Schultern ezuckt. Ein Teil der Siecke zu den Urgroßelrn wird seitdin Jedes Mal gelaufenAuf dem Rückweg smgt der Yugtfofort an- Der Einzigerer sich niemals daragewöh-nen \ird' ^st mem Vater. Während er sich gestern die Finger am Motor schwarz reparierte, versuchte ich, meinen Onkeln und Nena Fatima klar zu machen, dass man mich beim Romme nicht gewinnen lassen muss. Die Zeit der Daumenlutscherprivilegien ist vorbei!, rief ich, ich tue doch nur so, als würde ich keine vierzehn Karten auf einmal halten können, um euch in Sicherheit zu wiegen! Ich warf mein Blatt schwungvoll in die Mitte des Steines, an dem wir hockten, um mich lauter zu machen, ohne dass meine Stimme lauter wurde. Meine Mutter war die Chefgenossin solcher Gesten. Sie konnte den Tisch verlassen, ihren Kopf schütteln, die Arme in die Seiten stemmen und die Augenbrauen so lautstark zusammenziehen, dass ich mir die Ohren zuhalten wollte. Und du, Onkel - ich tippte Bora mit dem Zeigefinger gegen die Schulter -, wenn du mir schon in die Karten siehst, dann bitte, damit du den Buben, den du übrigens selbst gebrauchen kannst, auf der Hand behältst und nicht, um ihn mir zu servieren, ich bin doch keine Inkompetenz! Das Wort »Inkompetenz« habe ich von meinem Vater. Er benutzt es, wenn im Fernsehen Politik gezeigt wird oder wenn er mit Onkel Miki über die Fernsehpolitik streitet. »Sympathisieren« ist ein anderes wichtiges Wort und hat schon mehrmals zu Michaufmeinzimmerschicken geführt und zu Ta-gelangmiteinanderkeinwortwechseln zwischen den Brüdern. Hätte ich einen Bruder, wären wir genau das Gegenteil von meinem Vater und Onkel Miki. Wir würden miteinander ernsthaft reden und trotzdem würde niemand vor unserer Lautstärke Angst haben brauchen. Inkompetenz bedeutet: etwas machen, obwohl man keine Ahnung davon hat, Jugoslawien regieren zum Beispiel. Onkel Bora sagte: in Ordnung, sammelte die Karten auf, mischte sie, und wir ließen die nächste Partie Nena Fatima gewinnen. Hinter uns knallte Vater die Motorhaube zu und Bora hielt ihm seine Zigarettenschachtel hin. Wir machten uns zu Fuß auf den Weg. 34 35 Mein Vater war ein Veletovo-Raucher. Die einzigen Zigaretten in seinem Leben rauchte er auf der Strecke Stehengebliebener Yugo - Haus der Urgroßeltern. Auch gestern: zwei Schachteln in zwei Stunden. In einer Pause, die wir für Onkel Bora einlegen mussten, der aus dem Schnaufen nicht mehr herauskam, malte ich unseren Yugo ohne Auspuff auf der Straße nach Veletovo. Früher Morgen, an den Gräsern glänzte der Tau, die Vögel trillerten und die Verwandten, deren Yugos niemals stehen blieben, überholten uns hupend. Ich krümme mich vor Magenschmerzen unter einem Himmel reifer Früchte an gebogenen Ästen und muss dringend aufs Klo. Schnell den Hügel hinauf, über die Veranda, wo Onkel Bora Plastiktischdecken in die Tische nagelt. Als heute Morgen entschieden wurde, wer hier bleibt und pflückt und wer auf der Veranda für die Feier aufbaut, wandte er sich als einziger Mann schwerfällig zum Gehen. Tante Taifun rief ihm hinterher: Einbisschenkletternwürddirguttun! Wie schnell ihre Zunge war! Wörter, die erst die eigenen Sätze, dann alles Zuhören überholten! Mir würde es vielleicht gut tun, aber denk doch mal an die armen Bäume, winkte ihr Mann ab und schleppte seine hundertfünfzig Kilo den Hügel hinauf. Und als wollte er seine Meinung über Pflaumen im Allgemeinen äußern, putzte er einen Apfel am Ärmel ab und biss mit einer Gewalt hinein, dass der Apfel auseinander brach und der Saft ihm über beide Doppelkinne lief. Unerschrocken verzog der große Mann das Gesicht und schloss genüsslich die Augen. Dasistdochdiehöhe! Dasistdochdiehöhe! Tante Taifun raufte sich das Haar. Wir starrten gebannt auf Dampfwalze und seine schwangere Naturkatastrophe, so schön muss die Liebe sein, seufzte Ur-Oma und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Meine Tante spricht eine deutsche Autobahn schnell. Seit Jahren stampft Onkel Bora in Deutschland Teer mit einer Dampfwalze zu schnellsten Autobahnen der Welt, und Tante 36 Taifun kellnert in einer Raststätte. Fragt mich jemand, was mein Onkel beruflich macht, erwähne ich die Walze nicht. Er ist Gastarbeiter, sage ich. Ich wundere mich zwar, dass es Orte gibt, wo Gäste arbeiten müssen, bei uns lässt man einen Gast nicht einmal abwaschen, aber unser Nachbar, Cika Veselin, hatte Bora einmal eine Dampfwalze genannt, der fette Geizsack brauchte gar keine Maschine, der müsste sich nur hinlegen und rollen. Ich bat meine Mutter, Onkel Bora Diät beizubringen, damit er nicht weiter anschwoll und damit die Leute nicht so schlecht über ihn redeten. Sie fand sich damals selbst zu dick und machte eine Pflaumen-Hackfleisch-Diät. Sie sagte: die Leute sind nicht gemein, weil Bora dick ist, sondern weil sie glauben, dass er einen D-Mark-dicken Geldbeutel hat. Gastarbeiter sieht man nur in der eigenen Familie gern. Onkel Bora nagelt jetzt in Zeitlupentempo die Tischdecken in die Tische, während Tante Taifun unten am Hügel zwischen den Bäumen wirbelt und an den Ästen rüttelt, Pausebrau-chenwirnichtweiterweiterweiter! Bora pfeift aus dem Hals wie Papas Kreissäge, kurz bevor sie ausgeht. Das Besteck klimpert im Plastikeimer, den Ur-Oma auf den Tisch neben den Tellerstapel knallt. Sie stellt sich mir breitbeinig in den Weg, ganz nach ihrem Vorbild, dem Chefgenossen aller Cowboys - Marschall Rooster, allerdings mit Gabeln statt Colts an der Hüfte: wohin Verbrecher? Sie trägt sogar ihre Augenklappe. Jedes Mal, wenn wir in Veletovo zu Besuch sind, muss ich mir mit Ur-Oma ansehen, wie sich der mürrische Trunkenbold Rooster und Miss Ross in die Haare kriegen. So, genauso, habe ich früher ausgesehen, nur mit rosiger Haut, seufzt Ur-Oma und zeigt auf Miss Ross. Ur-Omas Tränen beim Abspann folgt das High Noon auf der Veranda. Im Winter, wenn die Grillen nicht zu hören sind, übernimmt Ur-Oma ihre Rolle. Sie presst die Lippen zusammen und zirpt Furcht erregend. Ihre Fingerpistolen trägt sie tief, zückt sie immer schneller als der ewige Grünschnabel. Ur-Oma ist 37 schneller als der Wind und kann mit ihrer Augenklappe spöttischer dreinblicken als John Wayne. Sehr alte Menschen leben zwei Leben. Im ersten Leben husten sie, gehen gebeugt, seufzen: ach, ach, ach! Im anderen, dem Augenklappenleben, tratschen sie mit Brennnesseln über die Nachbarn, halten sich für einen Sheriff und verlieben sich in Verandastühle oder Bienen. Wohin Verbrecher?, gleitet Ur-Omas Hand an der Hüfte herab, der Daumen entsichert die Gabel. Ich täusche rechts an und stürme links an ihr vorbei ins Haus. Mann, Ur-Oma! Es ist High Noon im Bauch! Sekunden, die über Weltrekorde im Sichindiehosenmachen entscheiden, aus dem Weg! Das neue Klo. Innenklo. Die halbe Wand haben Ur-Opa und vier Ochsen dafür rausgerissen, vier Ochsen können so was gut, zwei wären besser gewesen, dann hätte man sich später nicht überlegen müssen, was tun mit zu viel Loch und dem niedergerissenen Geländer. Ur-Opa fand schnell die Lösung und fügte das neue Klo an den Balkon - der ist jetzt kleiner, dafür ist das Klo größer, und man kann es vom Balkon aus durch einen Vorhang betreten, Lüftung inklusive, sagt Ur-Oma. Gleichzeitig wurde der vierhundertjährige Zar Außenklo gestürzt und man musste nie wieder im Stehen müssen. Vor Jahren der erste Fernseher im Dorf, schwarz-weiß, zwei Programme, im zweiten die herumwuselnden Pünktchen, die sich Ur-Oma vor dem Schlafengehen ansah, jetzt das erste Innenklo - meine Urgroßeltern waren der Zeit in Veletovo immer vierzig Kilometer voraus. Das neue Klo wurde mit einem Fest eingeweiht. Im Ausland denken die Leute, dass wir hier immer feiern, sagt mein Gastarbeiteronkel. Das stimmt nicht ganz, wir müssen ja auch irgendwann das Gefeierte aufräumen. Außerdem kostet so ein Fest auch allerhand, also müssen die Eltern tagsüber arbeiten. Meinen Urgroßeltern ist für ein Fest aber tatsächlich jeder Anlass recht. Einmal haben sie zwei Nächte durchgefeiert, weil Ur-Oma einen faustgroßen Meteoriten zwischen den Karotten gefunden hatte. Das war eine Stunde, nachdem Superman im neuen Fernseher gezeigt wurde. Aus dem Meteoriten, drei Kilo Karotten und sieben Geheimgewürzen kochte Ur-Oma Suppe. Das ganze Dorf, rief sie um Mitternacht mit glasigen Augen und versuchte mit einem Judo-Griff eine Eiche zu entwurzeln, das ganze Dorf riecht nach Kryptonit! Zum Klofest kamen alle Nachbarn. Selbst Radovan Bun-da aus dem hohen Gebirge, der Strom nur vom Hörensagen kannte und mit seinen Hühnern redete. Unter Nachbarn versteht man in Veletovo nämlich etwas anderes als in Visegrad. In Veletovo gelten auch die Pesics als Nachbarn, obwohl sie einen halben Tag laufen, wenn sie zu meinen Urgroßeltern wollen. Nicht, weil sie zu arm für ein Auto sind - arm sind sie zwar auch, aber es gibt bei ihnen keine Straße, auf der irgendetwas fahren könnte. Die erwachsenen Pesics sind alle über zwei Meter groß, auch die Frauen und die Alten. Ich war einmal vor langer Zeit bei ihnen zu Hause. Ich erinnere mich an die säuerliche Ziegenmilch, an Holzspielzeug, und dass ich mich fragte, warum sie nicht höhere Decken bauen, wenn sie doch alle so riesig sind. Wird bei den Pesics oder bei uns ein Kind geboren oder heiratet jemand, besucht man einander. Man ist sich Patenzeuge und Taufzeuge. Meine Mutter sagt, dass ich keinen Patenbesuch von den Pesics bekam. Das habe etwas mit ihr zu tun und mit ihrer Seite der Familie. Nichts Schlimmes, sagt meine Mutter und fragt: wärst du gern getauft worden? Was ist das?, antworte ich. Na siehst du, sagt sie. In der Schlange vor dem neuen Klo tänzelten die Nachbarn vor Druck und aus Vorfreude. Ur-Opa durfte als Erster. Er trug seinen schwarzen Gehrock, klopfte sich auf den Bauch und prahlte lauthals: vier Tage habe ich nicht! Tam-tam, tam-tam-tam, klapperte er Anfeuerungsrhythmen mit dem Klodeckel. Einige, mich inklusive, klatschten mit. Beste Stimmung vorm Innenklo, sechzehn Zuschauer, eine Fünf-Mann-Musik- 38 39 kapellt, perfektes Klowetter, moderierte ich. Ur-Oma reichte Ur-Op> eine Schnapsflasche, feierlich, als übergebe sie ihm die Stafette der Jugend. Er setzte der Flasche das Schnapsglas wie eiien Hut auf und blieb fünfundvierzig Minuten sitzen. Draußm begannen die Nachbarn und die Verwandten laut durcheinander zu reden, um nicht alle Geräusche hören zu müssei, die im neuen Klo tobten. Wenn er nicht stöhnte und schrie md wie ein Moped ratterte, sang Ur-Opa. Ich legte das Ohr an die Tür, um seine tiefe Stimme hören zu können. Wie die Tü' vibrierte! Mein Ur-Opa klang wie die dickste Saite von ehem Bass! In seinen Liedern sprang jemand namens Kralje\ic Marko auf einem Wein trinkenden Pferd über die Drina und metzelte Türken. So viele, ich kam mit dem Zählen gai nicht nach. Spannender als die armen Schurkentürken fand ich aber die Frage, ob alle Wein trinkenden Pferde fliegen konnten. Als Ur-Opa nach fünfundvierzig Minuten herauscam und die Hand sieghaft zur Faust ballte, war der Schnaps halb leer und das Gläschen für immer verschwunden. Die Spülung, du Schaf!, lobte ihn Ur-Oma laut und ernst, sah in die Schüssel und bekreuzigte sich nach sechzig Jahren zum ersten Mal. Dann wurde der Rest der guten Birne getrunken und die Fünf-Mann-Musikkapelle spielte einen Walzer. Anschließend eröffnete sie den Tanz mit Zigeunermusik, die keinem gefiel, weil das Schnelle zu früh kam. Wir können doch nach liegen, ohne uns festzuhalten, ihr Dilettanten!, rief Ur-OpE und konnte nicht aufhören zu tanzen. Jetzt durften auch die Nachbarn das neue Klo ausprobieren, die Männer zuerst. Ich habe Herzklopfen, sagte jemand, bevor er die Tür hinter sich schloss. Radovan Bunda war der Letzte in der Schlange. Immer ungehaltener grummelte er vor sich hin und hielt sich vorne und hinten fest. Kurz bevor er an die Reihe kam, brüllte er: ja, wie quält ihr einen Weithergereisten, ihr neumodischen Vagabunden!, knöpfte sich im Laufen eilig die Hosen auf und stürmte Richtung Außenklo. Welches Außenklo?, muss sich Radovan vor Ort gefragt haben - zwei Ochsen hatten doch das Häuschen aus der Erde gerissen wie Unkraut. Ich brauch keine Schüssel, keine Spülung und keine Kacheln! Ich brauch nicht mal ein Loch!, wird Radovan später auf die Freiheit anstoßen. Das alles fällt mir im Innenklo ein, während ich dreißig Minuten, fast so lang wie Ur-Opa, furchtbar an meinem Pflaumenweltrekord leide. Endlich draußen und schon habe ich Marschall Roosters Fingercolt im Rücken - Tischdecken schrubben, Rothaut!, befiehlt Ur-Oma, die mir an der Tür aufgelauert hat. Ich fahre lustlos mit dem Tuch über die Flecken und frage sie, warum Onkel Miki gefeiert wird, wenn er doch weggeht. Ich würde lieber feiern, wenn er aus der Armee zurückkommt. Gelbe und an den Spitzen braune Zähne hat Ur-Oma, sie lacht und nickt: ja, ja. Das da, deutet sie auf einen grünlichen Klumpen, das ist Kryptowitz - Kryptonit auf Sliwowitz. Das kriegst du nicht weg. Gab zwar einen anständigen Batzen Gold, aber auch einen tüchtigen Gestank. Ur-Oma zwinkert mir zu und nimmt den Finger aus meinem Nacken, um sich die Augenklappe zurechtzurücken. Über Opa Slavko spricht Ur-Oma nicht mit mir. Ihr seid alle meine Kinder, leicht habe ich es nicht, sagte sie zu Vater, als wir in Veletovo ankamen. Den du geboren hast, willst du nicht begraben. Meine eigene Freude begrabe ich. Vater antwortete nicht. Ur-Opa antwortete, indem er nach Worten suchte. Ich vermisse ihn auch, sage ich jetzt leise und lege das Tuch weg. Ur-Oma nimmt die Augenklappe ab. Ihre braunen, großen Augen. Ein dünnes Haar aus dem Muttermal an ihrer Wange. Die geblümte Kittelschürze über dem Schwarz. Ich schleiche mich aus ihrer Laune davon. Die Sonne scheint. Ich klettere auf einen Pflaumenbaum. Vater singt selbstvergessen. Mutter lacht. Nena Fatima zieht ihre Stiefel aus. Tante Taifun füllt Eimer und Eimer und streichelt über ihren gro- 40 41 Ben 3auch. Onkel Miki hat ein Huhn an den Beinen gepackt uncbchleppt es zum Hof. Es gbt Rohwurst mit rotem Paprika und Knoblauch, es gibt geräicherten Schinken, es gibt geräucherten Speck, es gibt Ziegnkäse, Schafskäse, Kuhkäse, es gibt gebratene Kartof-felnnit Lauch, es gibt gekochte Eier; Zahnstocher gibt es, die Zahistocher stecken in der Rohwurst, im Schinken, im Käse, in doi Eierscheiben; es gibt Weißbrot, es gibt goldenes Maisbrot immer gebrochen wird das Brot, niemals geschnitten; es gbt Knoblauchbutter, Leberpastete, Kajmak, es gibt Kohl-supp, Kartoffelsuppe und auf der Hühnersuppe schwimmen dauiengroße Fettaugen, das Brot wird in die Suppen getunk; es gibt Bohnenbrühe, ein Gräuel!, es gibt gebratene Bohien, es gibt Bohnensalat; es gibt reis- und hackfieischge-füllt Weißkrautrouladen, es gibt hackfleischgefüllte Paprika, hackleischgefülltes Hackfleisch, Hackfleisch und Pflaumen: Muttr und ich sehen uns an, sie fragt nach Schokolade; es gibt Ichokolade, es gibt Hähnchen, es gibt Gurkensalat, so ein dernaßen unbeachtetes Essen wie diesen Gurkensalat habe ich roch nie gesehen; es gibt warmes Baklawa, der Sirup aus Zucler, Zimt, Honig und Nelken trieft über die Finger auf die Host auf das Hackfleisch; so süß, schreit jemand, so süß, es ist Oikel Bora, er steht vor lauter Süßgenuss auf - im Stehen und nit geschlossenen Augen leckt er sich die Finger, so süß!, nich auszuhalten!, aufhören!, mehr!; es gibt Pflaumen über Pflaunen, es gibt Pflaumenstrudel mit Vanillezucker und Pflaimenkompott, es gibt gebratene Pflaumen mit Zuckerguss es gibt Melonen, die Fünf-Mann-Musikkapelle aus Di-lettaiten macht ausgerechnet für die Melonen eine Pause, es ist rhr ein Rätsel, warum man sie nach ihrem misslungenen Kloaiftritt wieder eingeladen hat, aber sie sind da, stürzen sich iuf die Melonenstücke, schlürfen, schlotzen, schmatzen, überiaupt schlürfenschlo:zenschmatzen auf einmal alle und als Estes nach der Pause spielt die Kapelle »In der schönen, alten Stadt Visegrad«. Aaah!, fährt aber Ur-Opa dazwischen 42 vor I ,ust und Wut und spuckt eine Kanonade Melonenkerne in Riehtung Trompete, aah!, das geht nicht, so etwas Zartes doch nicht zur Melone, ihr Dilettanten! Dabei ist er längst beim Lamm - links ein Melonenboot, rechts eine Lammkeule, und dann abwechselnd nagen, aah! Ja, es gibt auch Lamm, das graue Fleisch türmt sich auf den Blumentellem, und gleich wird es auch Spanferkel geben: Tante Taifun dreht den Spieß, gießt Bier über den Schweinerücken und Wein über den Schweinebauch, vor Hitze und Anstrengung rotwangig, ei-nenstuhlbrauchichnicht, und das blonde Haar fliegt ihr um den Kopf. Tante Taifun kurbelt mit beiden Händen so wild, dass Asche unter dem Spanferkel stiebt, bistsduzulangsam-brätsnichtharmonisch. Griebe aus gekochtem, gesalzenem, gepresstem Schweinefett gibt es, es gibt gebratenen Schweinedarm, es gibt Schweinefüße und -ohren, mit Gelee überzogen, es gibt nichts, was es nicht gibt. Ich schleppe den Eimer mit der Melonenrinde zum Schweinegehege und bewerfe die Schweine damit. Schweine stört das nicht, sie haben dicke Haut, sie essen die Rinde und wühlen mit ihren weichen Schnauzen im Matsch. Ich treffe die fetteste Sau am Bauch. Sie grunzt und kümmert sich nur um die Rinde, Abdrücke meiner Zähne auf ihrem Futter, so ist das Schweineleben. Das nächste Mal, wenn wir ein Schwein schlachten, darf ich mitjagen, darf es mit zu Boden drücken, darf es aufspießen - hinten rein, unter der Wirbelsäule entlang und durch das Maul raus. Ur-Opa versprach mir das heu-te. Den Magen ausschaben und auswaschen darf ich zwar auch, ich möchte aber gar nicht mit meinen Händen dort hineingreifen, wo die Melonenrinde sein könnte. Auch das Messer lasse ich lieber meinen Vater oder meine Onkel führen. Kehle durchschneiden sei effektiv, meint mein Vater, Onkel Bora schüttelt den Kopf: wo das Herz ist, da ist es am effektivsten, Onkel Miki ist alles egal, wenn nur das Schwein am Ende ordentlich tot ist. Ginge es nach Ur-Opa, dürfte ich sowieso viel mehr machen, nicht nur Schweine schlachten. Ich könnte essen, was 43 ich wollte und müsste nicht zur Schule. Ur-Opa sagt: in der Stadt werden aus Jungen keine Männer und in der Schule aus den Dummen keine Großherzigen. In der Stadt bekommt man eine schlechte Nase und sieht zwei Meter weniger. Ur-Opa ging nur bis zum Buchstaben »t« in die Schule, weil danach nichts Wichtiges mehr kommt. Nur dreimal verließ er sein Dorf: zweimal, um Krieg zu führen und einmal, um eine Frau zu erobern. Drei Siege erlangte er. Stolz, unverwüstlich, immer singend, immer den Tränen oder dem Gelächter nah. Die Familie erzählt jedem Gast gerne, wie Ur-Opa letztes Jahr zu Ostern - immer ist es letztes Jahr zu Ostern gewesen - einen seiner Ochsen an den Hörnern packte, ihn mit einer Hand in die Knie zwang, mit der anderen das erste Maiglöckchen des Jahres für Ur-Oma pflückte und danach allein in nur vier Tagen den Acker umpflügte. Der Ochse, den ein Mensch so erniedrigen kann, soll er gesagt und dem Ochsen die Nüstern getätschelt haben, verdient es nicht, seine Hufe über meinen Boden zu ziehen. Wenn man ihn fragt, wie alt er ist, sagt Ur-Opa: ich bin noch jung, ich habe noch nie ein Schiff gesehen und noch nie einem Lügner Ehrlichkeit beigebracht. Wenn ich so alt bin wie mein Ur-Opa Nikola, werde ich ein Mal Segel gesetzt haben, ein Mal einen Lügner begrüßt und ihn als ehrlichen Menschen verabschiedet haben, ein Mal einen Esel überredet haben, meinen Weg zu gehen und ein Mal so gesungen haben wie Ur-Opa, mit einer Stimme kräftig wie ein Gebirge, ein Schiff, eine Ehrlichkeit und ein Esel zusammen. Zurück zu Tisch, denn es gibt Kaffee, und Ur-Oma liest allen aus dem Kaffeesatz die Zukunft. Mir verheißt sie eine unerfüllte Sehnsucht und drei große Liebschaften in den nächsten drei Monaten. Mutter lacht, ruft dazwischen: er ist doch viel zu jung, und Ur-Oma tadelt mich, dass ich so jung Kaffee trinke und korrigiert sich auf zwei Liebschaften und eine Affäre - die aber wird eine unkomplizierte Künstlerin sein, so grüne Augen hast du noch nicht gesehen! Für keine Zukunft braucht sie mehr als zwei Minuten, für Onkel Mikis braucht sie dreißig, wiegt sich hin und her und beendet keinen Satz; dann gibt es auf einmal Börek, es gibt Pita mit Kartoffeln, Pita mit Brennnesseln, Pita mit Kürbis, es gibt Walnusskuchen und einen Schluck Rotwein für mich; es gibt keine Reihenfolge, es gibt kein Hintereinander, es gibt ständig jemanden, der sagt, er könne nicht mehr, er bekomme unmöglich noch einen Bissen herunter, es gibt abwehrend fuchtelnde Hände und niemanden, der das Gefuchtel ernst nimmt, es gibt kein Zurück, es gibt beleidigte Gesichter, wenn jemand ernsthaft droht, beim nächsten halben Huhn sterben zu müssen; der Wein gibt dir zäheres Blut, sagt Ur-Oma und schenkt mir nach, wenn uns niemand zusieht; zu allem gibt es Weißbrot, Onkel Bora belegt kaltes Weißbrot mit warmem Weißbrot, sagt: ich bin im Weißbrothimmel, danach gehts rüber ins Apfelweinparadies - das allerdings macht am Tag der Pflaume nur Probleme, das weiß Onkel Bora auch und lacht, als ihm Ur-Opa Sliwowitz ins Gesicht hält: wie willst du ihn trinken, freiwillig oder durch die Nase? Es gibt Bier, Weinbrand, es gibt Cognac, Eis klimpert in den Gläsern. Leere Teller gibt es niemals. Und es gibt Nataša, es gibt diese Nataša im Blümchenkleid, mit nackten Füßen und roten Wangen wie im Fieber. Es gibt Nataša schon den ganzen Abend, sie jagt und jagt und jagt mich, komm geküsst!, ruft sie immerfort, komm geküsst! Sie findet jedes meiner Verstecke. Ich fliehe unter den Tisch, entschlossen, dort ein Jahrhunderttausend zu warten, bis sie von mir ablässt mit ihrer Zahnlücke und ihren gespitzten Lippen, komm geküsst, komm geküsst! Ausgerechnet der lautere Marschall Rooster verrät mich ruchlos, unter dem Tisch ist er, schnapp ihn dir, so sind die Jungens aus der Stadt, fürchten sich vor uns, verkriechen sich zwischen die Tischbeine! Taucht Nataša also zu mir ab und robbt auf mich zu, und wie sie da so robbt, muss ich an Petak denken, Ur-Opas Schäferhund, wie er sich heute auf das quietschende, blutende Ferkel gestürzt hatte. Komm geküsst, komm geküsst, und die laute Trompete 44 45 und die singende Familie und niemand da, der Natasa einen Tritt gibt. Ich weiche zurück, schon mit dem Rücken an den Beinen meiner Mutter, als es das Gebrüll gibt. Es gibt eine brüllende Männerstimme und plötzlich keine Musik mehr. Es gibt keinen Gesang. Es gibt eine Stille. Natasa erstarrt neben mir. Wir spähen Kopf an Kopf unter der Tischdecke: es gibt Onkel Mikis besten Fremd Kamenko zu sehen, er steckt seine Pistole in die Trompete und brüllt, dass sich seine Wangen um zwei wütende Gesichter röter färben und sein Kopf um zwei Köpfe breiter schwillt: was soll das hier? So eine Musik in meinem Dorf! Sind wir hier in Veletovo oder in Istanbul? Sind wir Menschen oder Zigeuner? Unsere Könige und Helden sollt ihr besiigen, unsere Schlachten und den serbischen Großstaat! Mikigeht morgen in die Waffen und ihr stopft ihm am letzten Alend mit diesem türkischen Zigeunerdreck die Ohren? Ein Spanferkel zu fangen, ist nicht einfach! Weil Schweine schnell sind und gut in den Kurven liegen. Und weil Schweine mitdenken!, überraschte uns mein Vater zu Beginn des Festes mit einer Rede, der längsten, die wir all; je von ihm gehört haben. Das Schwein sieht das gewetzte Messer und rechnet zwei und zwei zusammen. Es sagt sich: in Ordnung, jetzt aber nichts wie weg hier. Hat das Schwein etwa eine Vision?, fragte mein Vater und sah in die Runie. Seit Jahren findet es keinen Ausweg aus seinem Gehege, warum sollte es in den nächsten zwanzig Sekunden anders sein? Die Schlächter sind schon zu riechen. Panik und Instinkt wohnen im Schweinekopf Tür an Tür. Im gemeinsamen Garten blüht spärlich das Mitdenken: eine helle Blume für die hellen Momente! So eine Blume pflückt das Schwein, es quiekt und prescht los! Der letzte Scilächter hat das Toi hinter sich noch nicht geschlossen. Der letzte Schlächter ist Bora. Er sieht sich den Tunnel seiner Beine an und fragt: war das etwa das Schwein? Ja, war es, mein Bora, war es, und das Schwein rauscht auch schon über den Hof und raus auf die Wiesen. Wir hinterher, das entfesselte Tier galoppiert über die Wiesen in die Freiheit! Und wisst ihr was? Einem so raffinierten Schwein, einem so schnellen und eleganten Schwein, einem Schwein, das eine Vision hat, gönne ich die Freiheit! Raus aus der kollektiven Stumpfheit und dem Stallmief und ab in die Individualität!, rief mein Vater und breitete die Arme aus. Vor dem Schwein der Wald mit den wilden Kollegen, darüber die Berge und hier - unsere Wiesen: ein gesünderes Grün hat nur die Drina, man möchte auf die Knie gehen und Gras fressen. Das Schwein quiekt, und ich sage euch, das ist der reinste Freudenruf! Das Schwein bequiekt seine Revolution! Bora bleibt als Erster stehen, ist er überhaupt hinterhergelaufen? Ich gebe es auch bald auf, nur Miki rennt weiter. Mein kleiner Bruder Miki, sagte Vater und sah zu der Stelle, wo Miki saß. Der wird ja auch Soldat, das merkt man ihm an, das Schwein hat fünfzig, vielleicht sechzig Meter Vorsprung, aber Miki will davon nichts wissen und schreit, dass man es über die Wiesen, in den Wald und hoch in die Berge hört: davon will ich nichts wissen! Gerade noch in List und in Geschwindigkeit unschlagbar, stoppt das Schwein plötzlich. Es dreht seinen Kopf zu meinem kleinen Bruder. Was ist das jetzt? Das Schwein steht da und guckt zu den Bergen, zu Miki, zu den Bergen, zu Miki. Und erst als er es fast eingeholt hat, rast es wieder los, aber nicht mehr zum Wald in die Freiheit, sondern zurück in den Hof. Es knallt zwischen Stall und Scheune und bleibt hinten, wo es enger wird, stecken. Den Rest habt ihr ja gesehen, nur mit der Kabelrolle und dem Traktor konnten wir es entkorken. Mein Vater hob sein Glas. Mein Vater, der Schlächter, rief mit glasigen Augen: auf meinen Bruder! Alle stießen auf Miki an. Ein Spanferkel zu schlachten ist kein Spaß!, rief Vater. Weil Schweine mitdenken, mein Bora hier aber eher nicht. Weil es Bora nicht mit der Kehle, sondern unbedingt mit dem Herzen machen wollte. Und weil er vergessen hat, Petak anzubinden. Dabei kannst du beim Schlachten nur zwei Fehler machen: vergessen, den Hund anzubinden, der durchdreht, 46 47 wenn er das ganze Blut riecht, oder den Stich daneben setzen, so dass auch das Vieh durchdreht und eine Ewigkeit braucht, bis es krepiert. Bis der Schmerz so groß wird, dass man ihn mit diesem Leben nicht mehr aushält, stellte ich mir vor. Onkel Bora hatte beide Fehler begangen. Fick doch die göttlichen Schweinefüße, Bora, da ist vielleicht die Niere, aber doch nicht das Herz!, hatte Onkel Miki seinen Bruder angeschrien und mit dem ganzen Gewicht sein Knie in das Schwein am Boden gedrückt. Das Blut spritzte in alle Richtungen. Schon jagte das Bellen näher. Petak schoss über den Hof, überholte die eigene Zunge. Bora, Mann!, schrie Miki, und Petak sprang um die Männer und das blutende Schwein. Er bellte nicht mehr, er schrie, der Sabber quoll durch seine gefletschten Zähne und triefte ihm die Schnauze herab. Miki konnte das Schwein nicht loslassen, weil Bora wieder mit dem Messer ausholte, Petak, aus! Aus!, schrie er, mein Vater trat nach dem Hund, der jaulte auf und Bora stach ein zweites Mal zu. Aus! Aus die Musik!, brüllt jetzt dieser Kamenko, obwohl die Dilettanten gar nicht mehr spielen und vor Kamenkos Pistole zurückweichen. Nur der Trompeter rührt sich nicht, die Trompete noch an den Lippen wie bei dem letzten heiteren Ton und der letzte heitere Ton noch in der Luft, nur nicht mehr heiter. Der Pistolenlauf rührt in der Trompete. Kamenkos Arm zittert, der Trompeter zittert, ein kalter Wind geht. Kamenko mit seinem Gebrüll und Petak mit seinem Gebell wetzen den Wind scharf wie Onkel Bora das längste Schlachtmesser für das Schweineherz. Bell nur, bell, murmelt Kamenko mit starrem Blick und zieht langsam die Pistole aus der Trompete. Bleib unten, flüstert meine Mutter und schiebt meinen Kopf unter den Tisch. Ich sehe trotzdem alles, ich sehe wie Kamenkos Arm zuckt, es gibt den Schuss, es gibt die Schreie, es gibt das Scheppern der Trompete, als sie auf dem Boden landet. Nataša fällt mir um den Hals, fällt mir in die Arme, beißt nicht, küsst nicht, sie flüstert nur: was war das? Etwas so Lautes, dass Petak verstummt. Etwas so Erschreckendes, dass meine Mutter mit den Beinen zuckt. Etwas so Wichtiges, dass es die Berge wiederholen - wie ferner Donner klingt der Hall. Mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht hält der Trompeter beide Hände an sein rechtes Ohr, krümmt sich aber, als sei er in den Magen geschlagen worden. Zu nah war die Pistole, warum so nah?, möchte ich schreien, Nataša lehnt ihren Kopf an meinen Rücken, umarmt mich. Das muss doch nicht sein, würde ich mich gern wehren, aber gerade jetzt muss das vielleicht doch sein. Aus! Aus die Musik! Gespielt wird jetzt, was ich befehle!, befiehlt Kamenko und tritt nach der Trompete. Hat unser Volk Schlachten gewonnen, damit Zigeuner auf unsere Lieder scheißen? Nur Ur-Opas Schnarchen stört die Stille nach Kamenkos Frage. Kein Schuss, kein Bellen, keine Befehle dieser Welt können einem solch melodischen Schlaf etwas anhaben. Bevor sich Kamenko erhob und das Lied von der schönen Emina unterbrach, hatte Ur-Opa die erste Strophe gesungen, singend war er auch eingeschlafen, den Kopf auf dem Tisch. Kamenko stößt den Trompeter gegen die Wand und drückt ihm den Arm unter das Kinn. Das Leder an seinen Stiefeln ist abgescheuert bis zum Metall. Der Trompeter röchelt und Ur-Oma tupft sich die Mundwinkel mit einem Blatt Kopfsalat ab, zieht ihre Augenklappe auf und stellt sich breitbeinig hinter Kamenko. High Noon, Cowboy!, ruft sie ihm zu, bewaffnet mit zwei Gabeln. Ich zähle bis drei! Eins, Kamenko, mein gesunder Kamenko, wusstest du, dass ich deinen Großvater Kosta gestillt habe, weil die Milch seiner Mutter zu schwach war? An meiner Milch wurde dein Kosta gesund und groß, für seinen großen Kopf konnte ich nichts. Er spielte mit meinem Slávko und tanzte auf unseren Festen. Und wenn deinem Kosta nach einem Lied war, schnallte er sich selbst das Akkordeon um und griff wie ein Mann in die Tasten, dass die 48 49 Musikef gar nicht hinterherkamen! Zwei, Kamenko, mein schönei' Kamenko, jetzt hast du dir dieses Haar wachsen lassen W diesen Bart, fuchtelst mit dieser Pistole herum und hast dii" auf die Mütze ein Wappen genäht, schief, aber das kann man lernen. Weißt du aber, dass dein Großvater Kosta gegen «olche Mützen und die doppelköpfigen Adler auf den Mützen in den Krieg zog, dass er zwei Mal an derselben Schulte1" verwundet wurde und zwei Mal an derselben Wade? Drei, Kamenko, mein schießwütiger Bandit, warum ballerst du in unser Haus? Mit diesen Händen haben wir es in den Boden gekellert und in die Wolken gerissen, und du schießt ihm mitten in den Hals, da, wo seine Seele sitzt! Kamenko schubst den Trompeter von sich weg und wendet sich UrOma zu. Jaja, das Haus ... Sofort erheben sich in seinem Ri!cken die Väter. Ich zahl dir den Mörtel, aber wer entschädig mich für mein von diesem Dreckspack beleidigtes Ohr? Kamenko sticht mit der Pistole zwischen Ur-Oma und den in der Ecke ineinander geknäuelten Musikern. Ur-Omas Finger spielen ungeduldig über den Gabeln in ihrem Rock. Gegen Marschall Rooster, den schnellsten Colt von Veletovo, hat Kamenko keine Chance. Miki ist mein Blutsbruder, seine Farfliü^ - meine Familie, Respekt und Ehre diesem Blut!, sagt Kamenko und dreht seine Unterarme nach außsn, weil man bei Blut und Bruder an Handgelenke denken muss. Miki starrt geradeaus und knetet Brot in der Faust. Er hit die Ärmel umgek'empelt, beißt so fest auf das Brot, dass die Muskeln in seinem Unterkiefer spannen. Die Väter huscien auf Kamenko zu. mein Vater der schnellste - noch schneller hebt Kamenko die Pistole, dreht sich um und deutet im Halbkreis für jed-n Vater einen Schuss an, bang, bang, tong, sagt er. Ich falte mir die Ohren zu, die Väter bleiben stehen. Mein Vater P Schrittstellung, die Arme angewinkelt vorgebeugt, wie vor dem entflohenen Schwein. Abel- aber, aber! Kamenko dreht eine zweite, langsamere Runde, schwenkt mit der Pistole, als würde er de? Kopf schütteln. J