1 Das Wort-Ton-Verhältnis im Werk des mährischen Komponisten Franz Anton Mitscha (1696–1744) Jana Perutková Motto: „Gleichwie nun die Alten / also sind auch die heutigen Musici wol schwerlich einerley Meinung in dem was die Eigenschafft der Tohne betrifft / und kan auch nicht leichtlich eine Gleichförmigkeit in allen Stücken hierüber praetendiret werden / massen es wol dabey bleibet: Quod capita, tot sensus“ Johann Mattheson: Das Neu=eröffnete Orchestre, P. III, Cap. II, §6, S. 235. „Es ist eine nicht seltene Klage der Componisten, daß es ihnen sauer werde, manche zur Musik bestimmte Poesien in Noten zu bringen.“ So beginnt das Vorwort von Christian Gottlieb Krause zu seiner im Jahre 1752 erschienenen Schrift Von der musikalischen Poesie. Er setzt fort, dass der vertonte Text die „Stärke der Gedanken, und den bildervollen und neuen Ausdruck“ mitbringen solle. So hat er gleich am Anfang die Wichtigkeit der Qualität der zur Vertonung bestimmten Texte ausgesprochen.1 Mein Artikel widmet sich jener Art und Weise, in der Kapellmeister und Komponist bei Johann Adam Graf von Questenberg, Franz Anton Mitscha (Míča), die von ihm vertonten Texte behandelte. Ich habe mich seinem Schaffen in einer im Jahre 2011 erschienen Monographie gewidmet;2 hier möchte ich einige neue, bis jetzt nicht berücksichtigte Beispiele und Aspekte bringen. Mitscha war einer der Untertanen Questenbergs. Er hat den größten Teil seines Lebens in Mähren verbracht, und zwar in Jarmeritz, der Zentralherrschaft des Grafen, die auch der Ort von dessen größten Aktivitäten auf dem Gebiet der Kunst – vor allem der Musik – gewesen war. In Jarmeritz hat Questenberg seit dem Jahre 1723 bis zu seinem Tod im Jahre 1752 zahlreiche musik-dramatischen Werke aufführen lassen. Für den Grafen war Franz Anton Mitscha vor allem als Kapellmeister unentbehrlich, da dieser in seiner Funktion eine große Anzahl musikalischer Werke, namentlich italienische Opern, einstudiert hat. Außerdem war er auch ein hervorragender Tenor. Als Komponist hat er sich nach den Vorgaben des Grafen jenen musikalischen Gattungen gewidmet, die damals üblicherweise von den Hauskomponisten an verschiedenen Höfen geliefert wurden: Es waren das für die Namens- und Geburtstage des Grafen und seiner Frau komponierte Serenaten und für die Fastenzeit bestimmte Sepolcri. Mehrere Werke Mitschas haben die 1 Krause, Christian Gottfried: Von der Musikalischen Poesie, Berlin 1752, S. 3. 2 Perutková, Jana: František Antonín Míča ve službách hraběte Questenberga a italská opera v Jaroměřicích, Clavis monumentorum musicorum regni bohemiae, IV, Praha 2011. Dieselbe: Hudebně rétorické figury v gratulační serenatě Der glorreiche Nahmen Adami (Slavné jméno Adamovo) F. V. Míči, in: Slovo a hudba ako štrukturálno-architektonický celok hudobného myslenia 17.-18. storočia: zborník príspevkov z medzinárodnej muzikologickej konferencie 23.-25 novembra 2005 v Prešove, Prešov 2006, S. 111-126. 2 Questenbergschen Musiker nicht nur beim Heiligen Grab in der Jarmeritzer St. Margarethen-Kirche aufgeführt, sondern auch an anderen Orten in Mähren – in Brünn und in Olmütz. Die Gesamtzahl seiner Werke ist leider unbekannt. Von den geistlichen Werken ist nur ein Sepolcro in Partitur erhalten geblieben, es gibt jedoch quellenmäßige Hinweise auf zahlreiche weitere Kompositionen dieser Gattung. Es sind weiters vier seiner Serenaten erhalten (auch hier gibt es Hinweise auf mehrere weitere Werke) und zwei Akte seiner dreiaktigen Oper L´origine di Jaromeriz in Moravia. Es ist jedoch zu bemerken, dass in Mitschas Schaffen „große“ Werke wie eine dreiaktige Oper eher eine Ausnahme bilden. Einige seine erhaltenen Werke sind auf Texte des italienischen Librettisten Giovanni Domenico Bonlini komponiert, er vertonte weiters tschechische, deutsche und lateinische Texte des Jarmeritzer Kaplans Jacob Zieliwsky; der Librettist seines Sepolcro ist nicht bekannt. Ich werde im Folgenden Mitschas Vorgehen bei den Vertonungen der Arien-Texte behandeln. Die Opern- und Oratorienkomponisten in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts (und nicht nur damals) haben ihre Texte auf mehreren Ebenen behandelt. Erstens war das die Wahl des entsprechenden Charakters oder einer Stimmung, d. h. des Affekts, den der Komponist zu unterstützen bemüht war, z. B. mit Hilfe der Instrumentierung, auch Mittels der Musiksymbolik, z. B. durch die Betonung einzelner Worte mit Hilfe musikalisch-rhetorischen Figuren, Tonmalerei oder auf eine andere Weise. Johann Georg Sulzer schreibt in seiner Schrift Allgemeine Theorie der schönen Künste dazu: „Sind dem Tonsetzer die Worte vorgeschrieben, auf welche er den Gesang einrichten soll, so erforsche er zuerst den wahren Geist und Charakter derselben; die eigentliche Gemüthsfassung, in welcher sich eine solche Rede äußert. Er überlege genau die Umstände des Redenden und seine Absicht; dadurch setze er den allgemeinen Charakter des Gesanges fest. Er wähle die tüchtigste Tonart, die angemessene Bewegung, den Rythmus, den die Empfindung würklich hat; die Intervalle, wie sie der anwachsenden oder sinkenden Leidenschaft am natürlichsten sind. Dieses Charakteristische muß durch das ganze Stük herrschen; aber vorzüglich an Stellen, wo ein besonderer Nachdruk in den Worten liegt.“3 Die Wahl eines Affekts ergibt sich aus dem Text auf natürliche Weise, er ist durch die Texte selber jedoch nicht immer eindeutig vorgegeben, obwohl einige von ihnen bereits die Art der Vertonung gewissermaßen implizieren und bei einer unzulänglichen Interpretierung der historischen theoretischen Traktate ein solcher Eindruck entstehen kann. Wesentlich ist die Auswahl der Worte, die der Komponist im gedachten Text als Schlüsselworte versteht. In den neuzeitlichen Analysen kann es also zu ungenauen oder irrtümlichen Interpretationen kommen. Nehmen wir z. B. eine Christus-Arie aus Mitschas Sepolcro Abgesungene Betrachtungen aus dem Jahre 1727, die Vertonung des Textes über die unerschütterliche Zuneigung Christi zur (menschlichen) Seele. 3 Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der schönen Künste, Erster Theil, Ausdruk in der Musik, 2. Aufl., Leipzig 1792, S. 274. 3 Ja liebe Seel ich büß die Schuld, die du hättst sollen büssen. Erkenne daraus meine Huld, die ich dir laß geniessen. Ich wehl den Fluch, dieweil ich such, von Fluch dich zu befreyen, denck meiner Lieb, die Tugend üb, laß dich die Sünd gereuen.4 Die beständige Liebe Christi zur Seele wird durch den ruhigen, fast liebevollen Charakter der Arie ausgedrückt, was durch die Wahl der Tonart G-Dur noch unterstützt wird. Marc-Antoine Charpentier schreibt über sie, dass ihr Affekt „doucement joyeux“, also „süß- fröhlich“ sei.5 Johann Mattheson charakterisiert sie ziemlich ausführlich, und führt u. a. an, dass sie „zu [...] munteren Dingen gar geschickt“ ist.6 Der ständige innere Dialog zwischen Christus und der Seele wird von Mitscha als Dialog der Vokalstimme mit der Violine dargestellt. Wie man daraus ersieht, spielt auch die Instrumentierung und ihre Behandlung eine wesentliche Rolle. Der tschechische Musikwissenschaftler Vladimír Helfert, der sich in seinem im Jahre 1924 erschienenen, Franz Anton Mitscha gewidmeten Buch (Musik am Schloss Jarmeritz. F. A. Mitscha) mit der Analyse der Werke Mitschas befasst hat, irrt jedoch, wenn er schreibt, dass es sich hier um „eine Melodie [handelt], die eine Karikatur der ernsten Mahnung von Christus ist und Einflüsse der Opera Buffa ausweist“.7 Helfert hat dabei nicht in Betracht gezogen, dass die Ernsthaftigkeit des Textes in keinem Widerspruch zu einem zärtlichen Affekt steht. Wie bekannt, hat sich das barocke Konzept des Todes in der Poesie (und nicht nur dort) von unseren heutigen Vorstellungen unterschieden, das Erlebnis des Todes andere Aspekte hatte und die Todesangst war nicht besonders betont. Und schliesslich: In der Vertonung Mitschas sind keine Buffo-Elemente festzustellen. Das Noteninzipit der Arie:8 4 Zitiert nach dem Libretto von anonymen Autor aus 1726, das für Mitschas Vertonung übernommen wurde (A-Wst, Sign. A 5482). Dieses Libretto ist von Wiener Provenienz; Questenbergsches Libretto ist nicht erhalten. Mehr dazu in Perutková, op. cit., S. 207. 5 Charpentier, Marc-Antoine: Régles de composition, Paris cca 1690. Die Quelle ist erschienen in: Cessac, Catherine: Marc-Antoine Charpentier, Paris 2004; die Passage über Tonartencharakteristik ist auf Seiten 490-491. 6 Mattheson, Johann: Das Neu-Eröffnete Orchestre (Hamburg 1713), in: Mattheson, Johann: Die drei Orchestre-Schriften (Das Neu-Eröffnete Orchestre, Das Beschützte Orchestre, Das Forschende Orchestre), Reprint, Vorrede von Dietrich Bartel, Laaber 2002. Die Abhandlung über Tonarten und ihren Charakteristiken in §§ 7-23, S. 236-251. 7 Helfert, Vladimír: Hudba na jaroměřickém zámku. František Míča 1696-1745, Praha 1924, S. 118. 8 Die Partitur in A-Wn, Mus. Hs. 18145. 4 Als Beweis dafür, dass Mitscha einen inhaltlich ernsten Text adäquat zu vertonen fähig war, kann die unmittelbar nach der genannten Arie Christus folgende Arie des Sünders dienen. Mitscha ist dabei dem Usus gefolgt, dass die Affekte der Arien wenn möglich einander abwechseln sollten; diese Regel wurde nur in den dramatischen Ausnahmesituationen nicht eingehalten. Die Arie des Sünders steht in f-Moll, in der üblicherweise mit dem Affekt der Verzweiflung und Angst verbundenen Tonart. Der Sünder bringt seine Angst und sein Mitleiden mit Christus, der sich seinetwegen opfern musste, zum Ausdruck. Mitscha verwendet hier die Koloratur auf dem Wort „leiden“, einem Schlüsselwort nicht nur für diese Arie, sondern für das ganze Werk; es kommt im Libretto mehrmals vor und Mitscha hebt es durch verschiedene Mittel, am meisten durch die Koloratur, hervor. In dieser Arie weist die Gesangsstimme eine Koloratur mit chromatischer Tonfolge auf; die Violine schweigt, womit der Gesang an Eindringlichkeit gewinnt. Die chromatischen Töne werden dann in den Ritornellen von der Violine wiederholt. Die mehrfache Anwendung der verminderten Septime h-as suggeriert den verminderten Septakkord, womit die dramatische Spannung gesteigert wird. Es ist keine Da-capo- Arie. Ich, ich Herr Jesu, ich sollte zwar der Sünder Straffe leyden, An Leib und Seel, an Haut und Har [sic!], auch ewig aller Freuden verraubet sein, und leyden Peyn, so nimmbst du hin die Schuld, ich bleib in deiner Huld, dein Blut und Todt, bringt mich zur Gott. 5 Im einleitenden Ritornell ist ein Bogen-Vibrato vorgezeichnet, das ein Gefühl der Unruhe hervorruft. 6 Das Bogen-Vibrato verwendet Mitscha auch in der am Anfang dieses Sepolcro stehenden Sinfonia, die sehr deutlich das klagende Affekt ganzes Werkes vorzeichnet. Dies betrifft auch die Seufzer am Anfang des einleitenden Adagio. Sinfonia – kniha př. 132: Eine weitere Bedingung für die adäquate Vertonung der Texte war die Berücksichtigung der richtigen Deklamation. Johann Joachim Quantz schreibt dazu: „Es ist zu beobachten [...], ob er [= der Komponist] das Sylbenmaaß, so wie es die Poesie und die Aussprache erfodert, gehörig beobachtet habe, oder ob er nur, wie es viele machen, ohne Noth, willkührlich damit verfahren sey, und zuweilen lange Sylben in kurze, und kurze in lange verwandelt habe: wodurch die Worte nicht nur verstümmelt werden, sondern auch wohl gar eine andere Bedeutung bekommen. Diesen Fehler findet man öfters bey solchen, von welchen man es am wenigsten vermuthen sollte.“9 Mitscha hatte Probleme mit der Deklamation vor allem in der italienischen Sprache, die er nur unvollkommen beherrschte. Im Jahre 1738 hat Graf Questenberg an seinen Jarmeritzer Verwalter Widmann geschrieben: „Ich habe es zufleiss verteutschet, damit der Cammerdiener verstehe, was er componire.“10 9 Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen, Berlin 1752, §. 24, S. 290-291. 10 MZA (Moravský zemský archiv - Mährisches Landesarchiv), Fonds G 436, Kart. 767, Inv.Nr. 6187, fol. 284v. 7 Mitschas Unkenntnis des Italienischen bezeugt u. a. das Autograph seiner Serenata Bellezza e Decoro (1729), in dem die der Partitur unterlegten italienischen Worte manchmal verstümmelt sind. In der Arie des Silvandro aus der Serenata Nel giorno natalizio (1732) ist das Wort „dispergono“, in dem der Akzent an der Silbe -perstehen soll, falsch mit einem Melisma (im lombardischen Rhythmus) auf der Silbe go- komponiert.11 Ursprünglich stand im Autograph Mitschas auf der nicht akzentuierten Silbe -gosogar eine sechs Takte umfassende Koloratur, die jedoch gestrichen wurde. In anderen Sprachen waren Mitschas Probleme mit der Deklamation offenbar geringer, obwohl z. B. die tschechische Sprache in seiner Zeit nicht kodifiziert und bis in das 19. Jahrhundert in dieser Hinsicht problematisch war. Wie bereits gesagt, war es bei der Vertonung eines Textes wichtig, die für den Inhalt wichtigen Schlüsselworte hervorzuheben, sei es mit Hilfe rhetorischer Figuren, Koloraturen oder der Tonmalerei. Mitschas Art der Darstellung der Worte können wir meistens als Veranschaulichung, als Illustration verstehen. Die einfachste, universalste und auch häufigste Art ist bei Mitscha die Koloratur, und zwar auf den Schlüsselworten der einzelnen Arien – wie „ehren“, „vereinigen“, in dem Sepolcro – wie bereits gesagt – sehr oft „leiden“, im Tschechischen „slavný“ [ruhmreich], im Italienischen „speranza“, im Lateinischen „honores“ u. a. –, oder (wieder auf illustrative Weise) im Italienischen z. B. „corso“; vor allem jedoch auf den einen Zeitabschnitt bezeichnenden Worten: „langes“, „stete“, oder auch z. B. „Ewigkeit“ oder im Tschechischen „bez přestání“ [unaufhörlich]. Sehr interessant ist der Akzent auf dem Schlüsselwort „patria“ in seiner Serenata Operosa terni colossi moles. Das Wort gehört zum Part des Policardus, der in diesem Werk das Land Mähren repräsentiert. Der Zusammenhang mit dem mährischen Landespatriotismus Questenbergs und seiner Vorliebe für Jarmeritz überhaupt ist hier offensichtlich und kommt auch in anderen dort aufgeführten Werken öfter vor. Diese Koloratur ist auch vokal sehr anspruchsvoll.12 11 Bellezza e Decoro, D-B, Autogr. F. Mitscha 2 N; Mikrofilm Cz-Bm, J VII/35. 12 Operosa terni colossi moles, A-Wgm, III 27714. 8 In den Serenaten zu den Namenstagen des Grafen wird fast ohne Ausnahme der Name „Adam“ emphatisch betont, z. B. in der Arie der Fama aus der Serenata Der 9 glorreiche Nahmen Adami in der Art einer exclamatio.13 Mitscha hat auch sehr oft die Tirata-Verzierung verwendet, in der emphatischen wie in der darstellerischen /graphischen Bedeutung. Das folgende Beispiel stammt aus der Arie des Feuers aus der Serenata Der glorreiche Nahmen Adami. Mit der Tirata wird das Wort „plamen“ [Flamme] untermalt, sie drückt darüber hinaus auch die Bedeutung des ganzen Verses aus, die Richtung nach oben: „Jako plamen vzhůru cílí.“ [Wenn die Flamme empor steigt]. Eine weitere wichtige, den Inhalt des Textes unterstützende Komponente stellt die Instrumentierung dar. Zu dieser gehören auch einige typisierte Situationen. Wie es in der Barockmusik häufig vorkommt, mussten die evozierenden Instrumente manchmal nicht erklingen, es hat genügt, auf die für diese typische Intonierung zu verweisen. Das folgende Beispiel zeigt, dass Mitscha einen festlichen Ausdruck auch ohne Trompeten erreichen konnte. Am Anfang des Ritornels zur Arie des Eudoxus (Nr. 11) in der Serenata Operosa terni colossi moles erklingt eine kurze Andeutung der Fanfare, die den Text Classica promam meae cohorti (Mein Jagdhorn soll meiner Kohorte das Zeichen geben) vorwegnimmt. 13 Der glorreiche Nahmen Adami, Cz-Pu, 59 R 1915. 10 Das folgende Beispiel stammt aus der Arie des Mars aus der Serenata Der glorreiche Nahmen Adami. Bei der Erscheinung dieses Kriegesgottes wird die Instrumentierung um „militärische“ Instrumente – Pauken und Trompeten – erweitert, die im anfänglichen Ritornell über mehrere Takte ein Solo haben. Das Textinzipit der Arie lautet Der starke Martis Arm; die Vokalstimme wird von Violine und Basso continuo von den für neapolitanische Komponisten typischen pulsierenden Sechstelnoten begleitet. Die Sechsteltonbewegung wird zwar in der ganzen Arie nicht konsequent beibehalten, erzeugt aber trotzdem eine musikalisch dichte Klangunterlage, die zur Darstellung der imponierenden Figur des Mars beiträgt: Der in dieser Arie vermittelte Auftrag des Gottes Mars soll „den Neid [auf den Jubilar] mit Schröcken dämpfen“. Auch die der Arie des Mars unmittelbar vorangegangene Arie des Jupiter erwähnt im Zusammenhang mit dem Jubilar den „Neid“. Der Textinzipit lautet: Haß und Neid / Traur und Leidt / muß von ihm abweichen. Des Unglicks Tück / und falsche Blick / das Ziel niemals erweichen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es sich um eine Anspielung auf die persönliche Situation des Grafen handelte, die damals nicht gerade günstig war. Mitscha hat den Text nicht dramatisch erfasst (obwohl sich diese Lösung angeboten hätte), sondern den Affekt der Geradlinigkeit und Entschlossenheit genützt; darüber hinaus ist die Arie in F-Dur komponiert, also in einer Tonart, mit der positive Emotionen verbunden waren.14 Es sind nicht die Worte „Traur und Leid“, „Unglück“ 14 M.-A. Charpentier charakterisiert F-Dur als magnifique et joyeux. J. Mattheson schreibt über diese Tonart: „[...] ist capable die schönsten sentiments von der Welt zu exprimieren, es sey nun Großmuth, Standhafftigkeit, Liebe, oder was sonst in dem Tugend- Register oben an stehet [...].“ 11 usw. betont, sondern – vereinfacht gesagt – der Wunsch, der Jubilar solle vor allem Bösen und Negativen geschützt werden. Dies hat den damaligen Forderungen entsprochen: Die Musik sollte nicht nur einzelne Worte, sondern – und vor allem – den ganzen Textinhalt ausdrücken. Die Instrumentierung hängt oft mit der Klangmalerei zusammen. Ein Beispiel aus dem Werk Mitschas bringt das Schlussduett aus der Serenata Bellezza e Decoro, zu dem die Tromba vorgeschrieben wird: Al tuo Nome faccia viva Strepitoso suon di tromba; E con voce alta, e giuliva Viva Antonia, viva, viva, Tutto il mondo ognor rimbomba. Die Verwendung der Trompeten in Arien, in denen häufig der Reim „Tromba... rimbomba“ erscheint – von rimbombare (d. h. dröhnen, donnern) abgeleitet –, war damals in den für den Wiener Kaiserhof komponierten Serenaten sehr häufig. Dieser Reim evoziert auch, seiner Bedeutung entsprechend, in den Vertonungen noch ein 12 Echo.15 Auch Mitscha verwendet die Trompete auf ähnliche Weise – als Triller in der hohen Lage zu dem ganzen letzten Vers Tutto il mondo ognor rimbomba [ertönt es mit Donnerklang jetzt und immer durch die ganze Welt]. Mit diesem Beispiel kommen wir zur Klangmalerei, einer weiteren wichtigen Komponente bei der Vertonung von Texten. Diese erscheint oft auch als so genannte „aria di paragone“ – d. h. als Parabeloder Nachahmungsarie. Es sind dies entweder idyllische, die Natur imitierende Arien (das Lüftchen, das Bächlein, der Gesang einer Nachtigall), oder solche, die die entfesselten Elemente nachahmen (der Sturm, das Meer usw.). Sie finden sich sehr oft in den Libretti von Pietro Metastasio, bei dem die Gefühle der Personen mit diesen Erscheinungen verglichen werden (sog. Gleichnissarien). Giovanni Domenico Bonlini hat für Questenberg einige Libretti geschrieben, zwei von ihnen hat Mitscha vertont und glücklicherweise sind beide erhalten geblieben – Bellezza e Decoro (1729) und L’origine di Jaromeriz in Moravia (1730). Bonlini war sicher kein Librettist vom Rang eines Metastasio, der Text der Arie des Gualtero Gonfio torrente altero (II/9) aus der Oper L´origine di Jaromeriz ist ihm jedoch gelungen.16 Gonfio torrente altero rapido corre, e fiero romper vuol pria la sponda che il corso rallentar. Al suono di tua voce come destrier veloce nel bel sentier di gloria io mi sento spronar. Když řeka se rozvodní, když prudce běží, ustoupí spíš všechny břehy od ní, než běh svůj pozmění. Tak obtížnost nezdrží, jak ostruhou popudí tvé slovo v poli slávy běžeti nezmění Der Stromm [sic!], wann seine Wellen, von stolzen Fluthen schwellen, wird´s eher das Ufer brechen, als hemmen seinen Lauff: So hält auch keine B´schwährde, auf dein Wort, gleich dem Pferde, wann es die Sporren stechen, im Ehren=Feld mich auf. Wörtliche Übersetzung auf Tschechisch: Vzedmutý proud pyšný rychle se žene a spíše chce divoce strhnout břeh, než aby zvolnil svůj běh. Cítím, jak mne zvuk tvého hlasu jako hřebce rychlého na skvělé cestě slávy pobízí.17 15 Dazu Irena Veselá in ihrem Beitrag Trompete als Instrument, Wort und Zeichen in den Opern und Serenatas des Wiener Hochbarocks, in: Slovo a hudba ako štrukturálno-architektonický celok hudobného myslenia 17.-18. storočia: zborník príspevkov z medzinárodnej muzikologickej konferencie 23.-25 novembra 2005 v Prešove, Prešov 2006, S. 205-214. 16 Partitur von L’origine di Jaromeriz in Moravia mit italienischem und tschechischem Text in A-Wn, Mus. Hs. 17952. Das Libretto auf Deutsch: Cz-Bu, CH-0004.805, přív. 15. 17 Für die Übersetzung bedanke ich mich bei Ondřej Macek. 13 Die Wellen und ihr Wogen im Text vertont Mitscha mit einer aktiven Bewegung (Tirata), die den Gesamtaffekt der Arie wirkungsvoll ausdrückt. Das Wort „corso“ (Lauf) verziert er mit der Koloratur, im zweiten Teil der Arie dann das Wort „spronar“ (spronare – antreiben). 14 15 Das letzte Beispiel meines Beitrags hängt ebenfalls mit der Klangmalerei zusammen, aber auch mit dem Problem der Übersetzungen und ihrer Qualität. Wie bekannt, hat Graf Questenberg einige Libretti zu informativen Zwecken übersetzen lassen, einige haben jedoch auch für die Aufführungen in der diesbezüglichen Sprache gedient. Aufgrund der Quellen wissen wir, dass die Oper L´origine di Jaromeriz nicht nur im italienischen Original, sondern auch auf Tschechisch aufgeführt wurde (der tschechische Text wurde in die Partitur eingetragen), und wie aus einem Brief seines Wiener Hofmeisters Georg Adam Hoffmann hervorgeht, auch auf Deutsch. Hoffmann hatte im Namen des Grafen den Theaterautor Heinrich Rademin mit der deutschen Übersetzung beauftragt. Am 7. Mai 1730 schreibt er an den Grafen: „[...] Rademin meldet, es werde sehr gezwungen, absonderlich in Arien, herauskommen, doch werde er sich mit übersetzung alles fleisses gebrauchen, damit es auch teutsch könne gesungen werden.“ In der Arie von Bumbalka im zweiten Teil des Intermezzo wird die Klangmalerei zur Illustration des Schlagens des Herzens („tic-toc“) und der Bewegung „bald dort und da“ verwendet. Tutta brillo d´allegria e il mio cor per bizzaria tic toc /tic toc in sen mi fa. Piendi di gioia porto il petto e la sento con diletto or di qua or di la. Já jsem plná veselosti srdce mé plesá radostí To tak a tak zas tak poskakuje. Slunce světlo dává jasně Ich bin ganz entzuckt vor Luft, und das Herz in meiner Brust macht mir tic, toc, allda: alle Freud zu mir sich füget, Und ich merck es wohl vergnüget bald dahin, bald dort und da. Wörtliche Übersetzung auf Tschechisch: Celá zářím veselostí a mé srdce rozverně tik-tak v nitru mi dělá. Naplněnu radostí mám hruď 16 a veselosti překrásné sem a tam a zase okazuje. a cítím ji s potěšením hned tady a hned tam.18 Die ersten drei Verse werden viermal wiederholt, die folgenden drei nur zweimal. Vor allem wiederholen sich die onomatopoetischen Worte – im Italienischen „tic-toc“ (im Deutschen auch [eigtl. „tick-tack“], im Tschechischen „tak a tak“) und „or di qua or di la“ (auf Deutsch „dort und da“, auf Tschechisch „sem a tam“). Im Ritornell spielen die Streicher im Unisono, sie bringen zuerst den inhaltlich wichtigen Rhythmus von zwei Sechstel- und einer Achtelnote (Schlagen des Herzens), der während der ganzen Arie beibehalten bleibt. In diesem Falle haben der italienische Librettist, der Komponist, und auch beide Übersetzer – Anton Dubravius und Heinrich Rademin – gute Arbeit geleistet. Die angeführten Beispiele zeigen, dass Mitscha – obwohl ein eher durchschnittlicher Komponist – trotzdem bemüht war, die Texte adäquat zu vertonen und ihren Inhalt zu erfassen. Graf Questenberg hatte, wie es scheint, von den kompositorischen Fähigkeiten seines Kapellmeisters eine gute Meinung. Obwohl er in Jarmeritz Werke vieler bedeutenden Komponisten seiner Zeit aufführen ließ, war es Mitscha, den er mit der Komposition L´origine di Jaromeriz beauftragt hat, einer Oper, an der ihm naturgemäß gelegen war. Zweifellos hatte dieser Auftrag auch eine symbolische Bedeutung: Eine Oper über Jarmeritz sollte ein einheimischer Komponist schreiben. Der Graf hat aber ein Werk Mitschas auch im Falle der Serenata zu einem besonders feierlichen Anlass, zu seinem Namenstag im Jahre 1734, bevorzugt (Der glorreiche Nahmen Adami). Damals wurde das für einige Zeit wegen Dacharbeiten außer Betrieb stehende Jarmeritzer Schlosstheater, nunmehr neu ausgestattet und ausgeschmückt, mit 18 Für die Übersetzung bedanke ich mich bei Ondřej Macek. 17 diesem Werk wiedereröffnet. An der Vorstellung im Dezember 1734 haben viele Gäste teilgenommen, außer von Mitgliedern des österreichischen Adels besuchten Jarmeritz auch wenigstens fünf hochgestellte Aristokraten aus Deutschland. Questenberg hat also die Kompositionen Mitschas offensichtlich geschätzt, obwohl ihm auch dessen Grenzen bekannt sein mussten. Weder in den Briefen Georg Adam Hoffmanns noch in der Korrespondenz des Grafen mit seinen Jarmeritzer Verwaltern ist eine Kritik der Werke seines Kapellmeisters zu finden. Falls der Graf aber doch irgendwelche Vorbehalte hatte, so teilte er sie seinem Kapellmeister persönlich mit. Als Zeichen einer Kritik kann man die Bitte des Ballettmeisters Johann Baptist Danese sehen – dieser stand mehr als zehn Jahre in Questenbergschen Diensten – dass die Ballettmusik für die Aufführung der Oper von Leonardo Vinci Didone abbandonata nicht Mitscha, sondern Nicola Matteis schreiben solle. Man darf dabei jedoch nicht vergessen, dass Matteis ein hervorragender, anerkannter und auf die Ballettmusik spezialisierter kaiserlicher Hofkomponist war. Questenberg war, wie wir den Quellen entnehmen können, mit Matteis gut bekannt.19 Das kompositorische Werk Mitschas war nicht frei von einigen Schwächen, vor allem was die Deklamation, Gestaltung der Rezitative und manchmal ein wenig schematische Melodik betrifft. Wie die zitierten Beispiele zeigen können, war seine Fähigkeit, die vorgegebenen Texte korrekt musikalisch auszudrücken, trotzdem auf einem guten Niveau. 19 Mehr dazu in Perutková, Jana: Johann Adam Graf Questenberg (1678-1752) als Förderer der italienischen Oper in Mähren, Hollitzer Wisschenschaftsverlag, Wien 2015, im Druck.