universitas masarykiana brunensis fakultas philosophica concilium musicologicum disertační práce Andreas Hoffmann (Kröper) „freye Ausbrüche der musikalischen Dichterwut" Empfindsamkeit in der Musik Versuch einer Sichtweise der Musik von Innen Školitel: Prof. PhDr. Miloš ŠtSdrofi, CSc. 2003 Prohlašuji, že jsem pracoval samostatně při použití uvedené literatury. Zešov, 12.března 2003 Inhaltsverzeichnis Vorrede 3 Vorraussetzungen 4 Die Suche nach dem Wort 5 Affekt-Leidenschaft-Empfindung 11 Von der Nachahmung 25 Was ist Natur? 30 Musik und Medizin 34 Die Suche nach neuen Formen 39 Fantasie! 43 Rezitativ 45 Idylle 47 Sinfomk 49 Oper 49 (Ein Extrem 56) Melodram 64 Das Entsetzliche 66 Lieder 70 Kirchenmusik 72 Literatur und Musik 75 Schubart 75 Heins e 77 Goethe 77 Instrumente der Empfindsamkeit 79 Ich aber werde dunkel sein 79 Tasten- und "Finger"-Instrumente 81 Blasinstrumente 83 Reminiszenzen 84 (Was ist Melancholie? 83) Dies Bildnis ist bezaubernd schön 87 Empfindsame Musiktitel 90 Die Meister 92 Habe Genie! 93 Empfindsame Spiel- und Tonarten 96 Kompositionstechniken 96 Intervall- und Tonartencharakteristik 99 Die Suche nach dem langsamen Tempo 106 Spieltechniken 111 Nordismo - oder: Das vergeudete Erbe 118 North meets South 118 Musica dynamica bohemica 120 Zuviel ist zuviel 122 Nordismo in der Musik 126 Wolfgang Amade Mozart 128 Die Zauberflöte 136 Joseph Haydn 146 Ludwig van Beethoven 147 Zugabe 156 Resümee 157 Literaturverzeichnis 158 2 Vorrede Empfindsamkeit in der Musik, nicht Musik der Empfindsamkeit heisst der Untertitel vorliegender Arbeit. Zwar ist der Begriff "Musik der Empfindsamkeit" in den letzten Jahrzehnten zu einem Schlagwort der Musikforschung geworden, doch nirgends konnte ich den Versuch finden, jene zu definieren. Lexikas und Fachbücher gehen meist sehr flüchtig mit diesem Thema um, ohne jedoch dessen Bedeutung für die Entwicklung der abendländischen Musik im 19. Jahrhundert zu schmälern. Daraus wird klar, dass sich die Muskwissenschaft mit dem Begriff der Empfindsamkeit schwer tut. Empfindsamkeit ist ein nicht in Deutschland begründetes, aber dort zur vollen Blüte gekommenes Phänomen, selbst die internationale Forschung kennt keine Äquivalente und verwendet den deutschen Begriff. Empfindsamkeit ist ein in der deutschen Literaturforschung sehr genau untersuchtes Gebiet. Gerhard Sauders Arbeit1 ist als ein Meilenstein zu würdigen. Die Musikwissenschaft jedoch belies es bei einem Schlagwort, das in Verbindung mit dem ebenso wenig definierten Sturm und Drang abwechslungsweise Verwendung fand. Seit der Definition des „redenden Prinzipes" in der Musik Carl Philipp Emanuel Bachs durch den deutschen Musikwissenschaftler Arnold Schering2 im Jahre 1939 scheint kein Bedürfnis einer neuen Sichtweise der Musik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bestanden zu haben. Dabei war das „redende Prinzip" Zielsetzung jedweglicher Musik, was Joachim Burmeisters Hypomnenatum musicae poeticae von 1599 und später Johann Mattheson bereits 1737 mit dem Wort „Klang-Rede" beweist und kann sogenommen keine Gewähr einer Definition für die Musik um 1770 bieten. Da genügt ein Blick auf die als musica poetica bezeichnete Kompositionskunst, nach dem Griechischen auch als Melopoetica bezeichnet.4 Zu Anfang meiner Arbeit stand der Wunsch Empfindsamkeit in der Musik zu charakterisieren, je weiter ich bei diesem Vorhaben ging, um so klarer wurde, dass dies ohne ein Blick auf andere Künste und Wissenschaften unmöglich ist. So blieb nur ein intensives Studium der Literatur dieser ausgewählten Richtung, um Parallelen im Musikschrifrtum dieser Zeit aufzuweisen und zu verstehen. All dies spielte sich im Laufe der letzten 13 Jahre ab, dennoch kann und möchte diese Studie keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Jedes Thema, das lange Jahrzehnte unberührt schlummerte, ist bei der Untersuchung durch einen Menschen zu einer fragmentarischen Darstellung verurteilt. So bleibt mir lediglich der Versuch einer Definition. Häjenka Zesov, im Februar 2003 Nachbemerkung: Zitate sind stets in Anführungszeichen mit Textverweis gegeben, Dick- und Kursivschrift innerhalb von Zitaten finden sich ebenso im Original. Sprünge sowie meine Kommentare finden sich innerhalb der Zitate in eckigen Klammem. Titelangaben im Text sind stets in Kursivschrift. 1 Gerhard Sauder: Empfindsamkeit, Band I und III, Stuttgart 1974 und 1980 ~ Arnold Schering: Carl Philipp Emanuel Bach und das „redende Prinzip" in der Musik, in: Peters-Jahrbuch XLV, Leipzig 1939, S. 13-29 3 Johann Mattheson: Kern melodischer Wissenschaft!, Hamburg 1737, Faksimile: Hildesheim 1990 vgl. Jacob Adlung: Anleitung zu der musikalischen Gelahrtheit, Erfurt 1758, Faksimile: Kassel 1953, S 753 3 „Eine Kuh, ein Taglöhner, ein Künstler sehn ein vortrefliches Gebäude mit denselbigen sinnlichen Werkzeugen an, mit demselbigen Gefühl, aber welch einen Unterschied macht die bey jedem wirksame Kraft in der verhältnismässigen Stimmung dieses Gefühls, in den Empfindungen/'5 Jakob Michael Reinhold Lenz (1773) Voraussetzungen Würde man mich bitten, die ganze Geschichte der Empfindsamkeit in einem Satz auszudrücken, würde ich etwas überspitzt behaupten, dass sie ohne die Schwierigkeiten bei der Übersetzung des Titels eines englischen Reiseromanes vielleicht so nie entstanden wäre, der 1768 in London bei T. Becket und P.A. de Hondt mit dem Titel A Sentimental Journey Through France and Italy by Mr. Yorick unter dem Synonym Eugenius des Schriftstellers Laurence Sterne erschien.6 Noch im gleichen Jahr veröffentlichte Johann Joachim Christoph Bode, der nur wenige Jahre später den zweiten Band von Charles Burneys musikalischen Reisenotizen7 in Deutschland bekannt machen sollte, eine Übersetzung des Stemeschen Romanes unter dem Titel Yoricks empfindsame Reise durch Frankreich und Italien bei Johann Heinrich Cramer in Hamburg und Bremen. Wie modern dank dieses Buchtitels das Wort „empfindsam" wurde, lässt sich schon allein dann erahnen, wen wir einen Blick auf die weiteren Ausgaben dieses Werkes werfen, das dank seines grossen Erfolges Fortsetzungen erfuhr. Denn schon 1769 erschien von bis heute als unbekannt geltender Hand8 eine Fortsetzung von nahezu gleichem Umfang wie der erste Teil. Auch Bode machte sich sogleich an die Übersetzung dieser Fortsetzung von Freundeshand, wie er diesen weiteren Band betitelt. Dennoch liess er zuerst den originalen Teil 1768 und 1769 in zwei Teilen und zwei Auflagen erscheinen, bevor er als dritte Auflage in einem dritten und vierten Band die Fortsetzung veröffentlichte, wobei er sich bemühte, die stellenweise etwas schwächere englische Vorlage dem Sterneschen Original anzugleichen. Er ging sogar soweit ganze Kapitel des Originals zu streichen und durch eigenen Texte zu ersetzen.9 Es scheint, Bode habe sich durch das Faktum, keinen Sterneschen Originaltext vor sich zu haben, ermutigt und beflügelt gefühlt, selbst zu einem Mitautor der Fortsetzung zu werden. Eine vierte Auflage erschien in Bremen in je zwei Bänden in den Jahren 1776 und 1777, wobei die ersten beiden Bände Sternes Text, die beiden letzten die Fortsetzung enthalten. Yoricks empfindsame Reise wurde, wenngleich heute fast in Vergessenheit geraten, zu einem gefeierten Titel. Ob Lessing, Wieland oder Goethe: alle hatten sie verschlungen und gelobt. Sternes Roman wurde zu einem der Lieblingsbücher des 18. Jahrhunderts. Doch auch 5 Jakob Michael Reinhold Lenz: Meynungen eines Layen den Geistlichen zugeeignet, 1773 zitiert nach: Empfindsamkeit, Stuttgart 1976 Laurence Sterne wurde 1713 in Irland geboren, studierte in Cambridge und lebte als Pfarrer in York. 1768 verstarb er in London. Berechtigt sei hier die Frage, inwie weit der Bumeysche Buchtitel beim Leser Sternes Titel assoziierte und somit zur grossen Popularität des musikalischen Reiseberichtes beitrug. Lodwick Hartley: Yorick's Sentimental Journey Continued. A Reconsideration of the Authorship, in: The South Atlantic Quarterly, Bd.LXX, Nr. 2,1971, S. 180-190 Harvey Waterman Thayer: Laurence Sterne in Germany, London 1905, S.47-53 4 weit über dieses hinaus war es bekannt. Friedrich Nietzsche bezeichnete Sterne als „den freiesten Schriftsteller aller Zeiten [...] in Vergleich mit welchem alle anderen steif, vierschrötig, unduldsam und bäuerisch-geradezu erscheinen." Der Grund? Steme bringe „bei dem Leser ein Gefühl der Unsicherheit darüber hervor, ob man gehe, stehe oder liege: ein Gefühl, welches dem des Schwebens am verwandtesten ist. [...] Eine solche Freigeisterei bis in jede Faser und Muskel des Leibes hinein, wie er diese Eigenschaft hatte, besass vielleicht kein anderer Mensch."10 Reflexion I. Woher kommt diese Begeisterung verbunden mit dem Glauben, alles was englisch ist, sei zugleich freiheitsliebend? Sicher ist dies zur Zeit Nietzsches kein neues Gefühl, finden wir dies doch schon in Wort und Musik ausgedrückt z.B. in Mozarts Entführung aus dem Serail, wo sich zu Beginn des zweiten Aktes Constanze bei Osmin über dessen Handlungs- und Denkungsatt beschwert, denn sie sei „eine Engländerin, zur Freiheit geboren". Auch Christian Friedrich Daniel Schubart lobt am 2. Mai 1774 in der Deutschen Chronik „Engelland [...] ein Land, wo der Patriot noch rufen darf: O Freiheit, Freiheit. Silberton dem Ohre! Licht dem Verstände! Dem Herzen gross Gefühl Und freier Flug zu denken!" Nicht zu vergessen, dass Friedrich Schiller seinen Erstentwurf von Kabale und Liebe, in dem Lady Milford als heute wohl bekannteste literarische Figur ein Beispiel einer solchen Engländerin darstellt, 1782, dem Entstehungsjahr der Entführung entstand. Spätestens beim Lesen dieses Nietzsche-Zitates stellt sich die Frage: was ist empfindsam? Und was ist Empfindsamkeit in der Musik? Gerade in Verbindung mit Musik wird das Adjektiv empfindsam oder dessen Substantiv Empfindsamkeit heute wohl am häufigsten gebraucht. Die Frage nach dessen wirklicher Bedeutung erscheint mir aus musikalisch-interpretatorischer Sicht geradezu elementar, denn wir anders können wir zum Beispiel die Herkunft und wahre Bestimmung der Spielanweisung „mit innigster Empfindung" im zweiten Satz von Ludwig van Beethovens Klaviersonate opus 109 oder die Anweisung „con molto sentimento" im op. 106, 2 verstehen und befolgen? Die Suche nach dem Wort „Die älteren Schriftsteller, haben sich des Wortes empfindsam noch nicht bedienet, und es ist erst vor kurzem üblich geworden. [...] Hemach ist es durch Yoricks empfindsame Reisen dergestalt ausgebreitet worden, dass jetzt manche, dieses Wort in solchen Fällen gebrauchen, wo empfindlich offenbar besser seyn würde"11 lesen wir 1786, im Jahre von Mozarts Figaro und zwei Jahre vor dem Tod Carl Philipp Emanuel Bachs im Artikel „Empfindsam, Empfindlich" in Samuel Johann Emst Stoschs Kritischen Anmerkungen über die gleichbedeutenden Wörter der deutschen Sprache. Dies bestätigt nicht nur die Bedeutung von Bodes Ubersetzung des Sterneschen Original ins Deutsche sondern beweist auch, wie neuartig und zugleich modern - im Sinne von Zur-Mode-werden - dessen Titel in Deutschland wirken musste. Tatsächlich war die Schaffung des zitiert nach dem Umschlag-Vorwort der deutschen Neuausgabe Laurence Sterne: Yoricks empfindsame Reise durch Frankreich und Italien, Nördlingen 1986 Samuel lohann Emst Stosch: Kritische Anmerkungen über die gleichbedeutenden Wörter der deutschen Sprache. Nebst einigen Zusätzen, und beygefiigtem Etymologischen Verzeichnisse derjenigen Wörter der französischen Sprache, welche ihren Ursprung aus der deutschen haben, Bd. 4, Wien 1786, S. 206-208 5 Wortes „empfindsam" ein längerer und von fuhrenden Philosophen wie Sprachwissenschaftlern sorgsam beachteter Prozess. Stosch schrieb seine oben zitierten Zeilen rückblickend, 18 Jahre nach der Erstveröffentlichung des Sterneschen Romanes. Um das Umfeld Storsch' richtig zu bewerten sei hinzugefügt, dass dieser 1714, im gleichen Jahr wie Carl Philipp Emanuel Bach geboren, erst Schüler des Joachimthaler Gymnasiums in Berlin war bevor er nach Frankfurt an der Oder ging, wo er Theologie studierte. Auch Carl Philipp Emanuel Bach studierte in Frankfurt/Oder, diesem ehemals so wichtigen Knotenpunkt des Ost-Westhandels und Angelpunkt des Nord-Südhandels von Skandinavien bis Ungarn, wenngleich nicht Theologie, so doch Jura. Wir werden im Verlaufe dieser Studie sehen, dass die Aufenthaltsorte derer, die sich theoretisch mit dem Phänomen der Empfindsamkeit befassen, nicht zufällig mit denen, die sich musikalisch den Einflüssen der Empfindsamkeit öffneten, übereinstimmen. Ob sich Bach und Storsch persönlich trafen muss reine Hypothese bleiben, obwohl Bach gerade dort „sowohl eine musikalische Akademie als auch alle damals vorfallenden öffentlichen Musiken bey Feyerlichkeiten dirigirt und komponirt"'2 hatte, Rat, Universität und Kirche (!) benötigten Musiken. Oder begegneten sich die beiden Studiosi am 12. April 1737, als sich in beschämender und erniedrigender Weise durch niemanden Geringeren als den König Friedrich Wilhelm I. selbst, welcher bekanntlich alles, was, wie Kultur und Wissenschaften, nicht militärischen Zwecken diente, ablehnte und geradezu hasste, in „öffentlicher Disputation auf Befehl und in Anwesenheit des Königs einige Professoren der Universität dem Hofharren Morgenstern aufgrund seiner Schrift „Vernünftige Gedanken von der Narrheit und Narren" opponieren mussten?"13 Frankfurt an der Oder war nicht zuletzt aufgrund seiner Alma mater Viadrina von aufklärerischen Gedanken geprägt. Wie Bach studierten hier, vor ihm, Johann Gottlieb Janitsch und nach ihm Christian Gottfried Krause, beide wie Bach später zu den Köpfen der Berliner Liederschule zählend. Sollte die Atmosphäre der Stadt so stark auf ihr Studenten gewirkt haben, dass sich all diese später zur Empfindsamkeit bekannten? Storsch selbst arbeitete bis zu seinem Tode 1796 als Theologe. Wenngleich Stosch bezeugt, wie beliebt das Wort „empfindsam" im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in Deutschland war, zeigt er dank seiner Verknüpfung mit dem Wort „empfindlich" auf, wie leicht es mit demselben verwechselt wurde. Stosch gibt uns eine Definition des Wortes „empfindsam": „Meinem Erachten nach, kann man sich des Wortes empfindsam, sehr wohl bedienen, wenn man von einem Menschen sagen will, dass er geneigt sey, bei allerley Gelegenheiten und Umständen, sehr lebhafte und rührende Empfindungen zu haben, woran das Herz einen zärtlichen Antheil nimmt. ... Bey einem fruchtbaren Regen, welcher nach einer langen Dürre die Erde tränket, fühlet der Empfindsame, die lebhaftesten Regungen der Dankbarkeit gegen Gott; Er nimmt Theil an der Freude des Landmannes, dessen Felder dadurch fruchtbar gemacht werden, u.s.w. Bey dem Elend seines Nebenmenschen, wird er von Mitleiden gerührt, sein Herz nimmt Antheil daran, er wünscht ihm helfen zu können, und dergl. Selbst geringe Dinge und Kleinigkeiten bringen bisweilen sehr lebhafte Empfindungen bey ihm hervor. Alles rühret ihn, alles ist vermögend, sein Herz in Bewegung zu setzen."14 Empfindsamkeit als Charaktereigenschaft des Menschen. Als Zeichen religiöser Zuneigung, Gefühl des Dankes, Mitgefühl. Auf alle Fälle, und dies wird bei späterer Betrachtung der Musik noch klarer werden, Zeichen innerer Teilnahme. In Stoschs Definition ist auf alle Fälle eines klar: das Wort „empfindsam" existiert bereits in Form einer klaren Vorstellung. 12 aus C.Ph.E.Bachs Autobiographie, veröffentlicht in: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise, Dritter Band, Hamburg 1773, S. 199 ,J Ortenberg, Hans-Günther: Carl Philipp Emanuel Bach, München 1987, S. 38 4 Stosch: Kritische Anmerkungen, S. 206ff 6 Aber: war dies zur Zeit von Bodes Übersetzung des Sterneschen Originals ebenso? Noch 1771 finden wir in Definitionsversuchen deutschen Entsprechungen oftmals Originalworte aus dem Französischen, der Sprache der Philos|hie, in Klammern beigestellt. (Ähnlich wie Musikschriften einem deutschen Pendant das italienische Kunstwort beistellen.) Doch merkt man daran auch die Unsicherheit selbst führender Geisteswissenschaftler im Umgang mit einem neuen Wort, welches offensichtlich in Deutschland schon längere Zeit existierte, aber nicht als gängig verwendet wurde, bevor es Bode im wahrsten Sinne des Wortes modefahig machte. Etymologisch verwundert jedoch keineswegs, dass sich z.B. in Definitionsversuchen Thomas Abbts französische gleichbedeutende Wörter den deutschen in Klammern beigestellt finden. Denn gerade im Französischen sind seit 1314 früheste Verwendungen des Wortes „sensibilitě" nachweisbar, das auf das lateinische Wort „sensibilitas", die Fähigkeit zu empfinden, zurückgeht. Im 17. Jahrhundert kommt es zu einer Bedeutungserweiterung im moralischen Sinne („qui ressent une impression morale") und das 18. Jahrhundert sieht es als eine menschliche Spezifizität an: „qui a des sentiments humains".'s In diesem Sinne wird es bis in die Revolutionszeit hinein als Ausdruck sozialer Tugendhaftigkeit durchweg mit positiver Konnotation gesehen. Thomas Abbt, welcher nach dem Studium der Theologie in Halle als Professor für Mathematik in Rinteln (1761) wirkte, fuhrt uns auf der Suche nach einer Definition des Begriffs Empfindsamkeit nach Berlin, wo er sich längere Zeit im Kreis der Aufklärer Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai aufhielt. Mit Abbt verbinden wir natürlich aufgrund seiner Berliner Zeit nicht nur den Namen Carl Philipp Emanuel Bachs, der hier ab 1740 als Hofcembalist Friedrich II. wirkte, denn 1765 ging Abbt als Konsistorialrat und Leiter des Schulwesens nach dem unweit Rinteln liegenden Bückeburg, wo von 1750 an Bachs Bruder Johann Christoph Friedrich zuerst als Kammermusiker, später als Konzert- und Kapellmeister in der dortigen Hofkapelle wirkte. Bei Erwähnung Bückeburgs sollten wir keinesfalls Johann Gottfried Herder vergessen, der hier von 1771 bis 1776 als Hofprediger wirkte und in dem Bach einen Freund und Librettisten gewann. Herder hielt zwei Jahre nach Abbts Tod dessen Gedanken in aktuellem Licht, indem er 1768, dem Jahr der Bodeschen Ubersetzung von Sternes Empfindsamer Reise, "Über Thomas Abbts Schriften" veröffentlichte. In den 1771 in Berlin und Stettin veröffentlichten, aus der Feder Thomas Abbts stammenden Vermischten Werken, III. Theil, welcher einen Theil seiner freundschaftlichen Correspondenz [mit Mendelssohn und Nicolai] enthält, finden wir einen an ihn ohne Angabe von Ort und Datum, aber vor dem 15. September 1764 gerichteten Brief Mendelssohns, in welchem dieser Abbts Neuschöpfung des Wortes „Empfund" als deutsche Übersetzung des französischen „sentiment" kritisiert. Zwecks besseren Verständnisses sei daraufhingewiesen, dass sich Mendelssohn Begriffen der lateinischen Gramatik bedient, in welcher supinum lateinische Verbformen auf -tum oder -tu benennt, facultas bezeichnet die passive gegebene Anlage, hingegen actus die aktive Bewegung, Handlung. Interessant ist, wie einflussreich bei der Wortsuche mit dieser eigentlich in keinem Verhältnis stehende Fakten, wie Klang und Modernität, sind. Auffallend auch, das die Bedeutung des Problemes für die Diskuttierenden es wert ist, solche Kapazitäten, wie den als die Autorität für Odendichtung und metrische Probleme jedweglicher Art später angesehenen Horaz-Übersetzer Karl Wilhelm Ramler (1725-1798) in die Auseinandersetzung als Ratgeber einzubeziehen. Hören wir Mendelssohn: 15 Sauderl, S. lff. 7 "Sie sehen, dass ich mich nicht unterstehe Ihnen das Wort Empfund nachzusprechen. Sie haben es aus dem Supino empfunden, gebildet, und ich wüsste nur das einzige Wort fund das vielleicht aus dem Supino gebildet seyn mag, wo nicht gar hier das Zeitwort aus dem Nennworte gebildet worden. Gefühl bedeutet facultatem, also bleibet Fühlung, oder Empfindniss noch für den Actum übrig. Empfindniss klingt seltsam, Fühlung ist ein altes Wort, das hervorgesucht zu werden verdienet, daher haben wir (Hr. N. und ich, nachdem wir Hm. Ramler gefragt) es Ihnen statt des Empfund, empfohlen. Herr N. hat Ihnen einen guten Grund angeführt, warum sich Fühlung besser für Sensation schicke, als für Sentiment Ich glaube, dass er nicht Unrecht hat. Jedermann weiss, wie unterschieden es z.B. ist, einen Kuss fühlen, oder empfinden. Die schöne Natur sehen, hören, fühlen, oder empfinden. Sie könnten also gar fuglich Fühlung für Sensation, und Empfindung für Sentiment setzen, denn Empfund kann unmöglich bleiben."16 Abbt reagiert am 15. September 1764 von Rinteln aus, indem er zuerst die grammatische Herkunft seiner Schöpfung verteidigt, dann aber eine klare inhaltliche Definition bietet: "Herr N. denkt gar, ich habe es nach Pfund gemacht. Wenn man doch erst wider etwas eingenommen ist, wäre es auch ein armes Wort, so sehen auch die klügsten nicht mehr, was vor Augen liegt. Das Wort Empfund sollte nicht nach der Analogie gemacht seyn? Meine lieben Herren! sagen Sie mir doch einmal woher kömmt Bund? Von binden. Woher Fund? von finden. Woher Schlund! von schlinden. Woher Schund (schlechtes Zeug)? von schinden. In einigen Provinzen sagt man ein Wund Seide, von winden. Alle diese Worte sind offenbar aus dem Supinum unden gemacht. Denn wäre das Zeitwort nach ihnen gemacht, so würde es mit einem ü geschrieben, wie gründen von Grund. Noch mehr bey Verbinden, würde man Verbindung, und Verbund ganz natürlich unterscheiden, und thut es auch. Das Wort klingt seltsam; - das ist meine Schuld nicht. Das Wort Fühlung hat die doppelte Unbequemlichkeit, 1) dass man es immer auf den besonderen sensum einschränken wird, und 2) dass man sein Verhältnis zu Empfindung nicht so gut erkennt, als zwischen Empfindung und Empfund. Glauben Sie denn, dass der erste Franzose, der Sentiment gemacht hat, nicht ebenfalls ein fremdes Wort aufgebracht? Nun Hrn. N. Exempel mit der Kugel an dem Verwundeten? Freylich muss der Wundarzt sagen: ich fühle die Kugel, wenn er mit der Hand darnach greift. Der Kranke empfindet die Schmerzen, hat die Empfindung davon. Aber sein Freund der dabey steht! Ach der hat den Empfund davon. Sagen Sie was sie wollen. Solange ich diese beyde letztere nicht unterscheiden kann; so habe ich nichts gethan."17 Es wird hierbei klar, welche Dreidimensionalität Abbt ausdrücken will: der Mensch als rational handelnder (Arzt), der Mensch als subjektiv fühlender (Patient) und der Mensch als mitfühlender, mitleidender (Freund). Am 8. Dezember desselben Jahres teilt Abbt dann seinen Diskussionspartnern mit: "Der Empfund ist verworfen: ich habe Empfindung für Sensation, und für Sentiment Empfindniss gewählt. Fühlen und Gefühl sind oft Zweydeutigkeiten ausgesetzt."18 Mendelssohn/Nicolai Fremdwort Abbt Fühlung Sensation Empfindung Empfindung Sentiment Empfindnis (früher Empfund) Thomas Abbt: Vermischte Werke, III. Theil, Berlin und Stettin 1771, S.273f., zitiert nach: Empfindsamkeit, Theoretische und kritische Texte, Stuttgart 1981 ibid, S. 283 18 ibid, S. 295 8 Wie folgendes Beispiel zeigt, finden wir die Forderung nach Empfindsamkeit auch in aufklärerisch anmutenden Texten. Diese erklären gemäss der Moralphilosophie die Empfindsamkeit zu einer der Hauptaufgaben menschlichen Seins. In Karl Daniel Küsters "Sittlichem Erziehungs-Lexicon", veröffentlicht 1773 in Magdeburg, finden wir einen mit Empfindsam bezeichneten Artikel. Bereits fünf Jahre nach Bodes Übersetzung der Sterneschen Empfindsamen Reise ist das Wort empfindsam über die natürlich gegebene Eigenschaft zum Erziehungsziel hinausgewachsen und darf sich mit dem Begriff des Moralischen messen. Empfindsamkeit wird zur Grundlage zwischenmenschlicher Beziehung, "Empfindsamkeit und Menschen-Freundlichkeit, sind gewisser maassen Synonimen", wie Küster schriebt. Wir dürfen nicht vergessen, dass Küster als Erziehender im Sinne der Aufklärung spricht, nicht im heutigen Sinne als Erzieher eigener, aber als mit der Erziehung ihm anvertrauter Kinder. Karl Daniel Küster (1727-1804) war Theologe und wirkte als Prediger und Konsistorialrat in Magdeburg. "Der Ausdruck: ein empfindsamer Mensch, hat in der deutschen Sprache eine sehr edle Bedeutung gewonnen. Es bezeichnet: die vortreffliche und zärtliche Beschaffenheit des Verstandes, des Herzens und der Sinnen, durch welche ein Mensch geschwinde und starke Einsichten von seinen Pflichten bekommet, und einen wirksamen Trieb fühlet, Gutes zu thun. Je feiner die Nerven der Seele und des Cörpers sind, je richtiger sie gespannt worden, desto geschäftiger, und nützlicher arbeitet er; und desto grösser ist die Erndte des Vergnügens, welches er geniesset, wenn er nicht nur gerecht, sondern auch wohlwollend, oder gar wohltätig handeln kan. Solche empfindsame Fürsten und Princessinnen, solche empfindsamen Minister, Helden, Rechtsgelehrte, Prediger, Arzte, Schulmänner, Bürger und Landleute zu bilden, ist das angenehme und wichtige Geschäfte eines jeden selbst empfindsamen Erziehers."19 In England fuhrt - ähnlich wie in Deutschland - Sternes Roman zur Verbreitung des bislang nur sporadisch verwandten Wortes „sentimental", das Sterne selbst seit seinen Frankreich-Reisen immer häufiger verwendet. Als Bode nach einem deutschen Pendant für Sternes „sentimental" suchte, liess er sich von hoher Stelle her raten. Es war kein geringerer als Gotthold Ephraim Lessing, der sich selbst als Erfinder des deutschen Wortes „empfindsam" pries. Dass er damit im Unrecht lag kritisierten seiner Zeit schon die Allgemeine Deutsche Bibliothek und die Berliner Monatsschrift. Die deutsche Forschung geht bislang davon aus, dass der älteste bekanntgewordene Beleg aus dem Jahre 1757 stammt und dies in einem Brief der Louise Adelgunde Victorie Gottsched, wo es heisst: „Ein empfindsames Herz gehört unter die geheimen Beschwerlichkeiten dieses Lebens, es leidet bei allen leidenden Gegenständen, wenn es sich ausser Stand sieht allen zu helfen. Und doch möchte ich dieser Leiden ohngeachtet ... kein gleichgültiges Gemüth haben. Wie viel wahres Vergnügen entbehren die kalten unempfindlichen Seelen?"20 Dennoch muss man Lessing als den anerkennen, der als Ratender an Bodes Seite den Auslöser für die massenhafte Verwendung des bislang selten gebrauchten Wortes „empfindsam" zündete: „Wagen Sie, empfindsam! Wenn eine mühsame Reise eine Reise heisst, bei der viel Mühe ist: so kann ja auch eine empfindsame Reise eine Reise heissen, bey der viel Empfindung war."21 " Kar! Daniel Küster: SittLiches Erziehungs-Lexicon, Magdeburg 1773, S. 47ff, zitiert nach: Empfindsamkeit, Theoretische und kritische Texte, Stuttgart 1981 20 zitiert nach: Sauder I, S. 5 21 ibid, S. 22 9 Reflexion II. Hatte Mozart also 1781 eine empfindsame oder mühsame, im Sinne Stoschs sogar empfindliche Reise nach Wien, wie er am 17. März diesen Jahres berichtet: „bis Unterhaag bin ich mit dem PostWagen gefahren - da hat mich aber mein Arsch und dasJenigr woran er henkt, so gebrennt, dass ich es ohnmöglich hätte aushalten können.. ,"22 Schon die München-Reise im Herbst 1780 war nicht weniger empfindsam ausgefallen: denn ich versichere, dass es keinem von uns möglich war nur eine Minute die Nacht durch zu schlaffen - dieser Wagen stösst einem die Seele heraus! -und die Sitze! -hart wie stein! -von Wasserburg aus glaubte ich in der that meinen Hintern nicht ganz nach München bringen zu können! -er war ganz schwierig -und vermuthhch feüer Roth -zwey ganze Posten fuhr ich die Hände auf dem Polster gestützt, und den Hintern in lüften haltend- ,.."23_ Empfindsamkeit wird zu einer Geistesbewegung, die vor allem in der Literatur reiche Ernte bringt. Nach den Vorbildern Klopstocks, Herders und Hamanns kristallisieren in Berlin, Göttingen, Frankfurt und zeitweise Strassburg revolutionäre Bewegungen, die mit Namen wie Goethe, Klinger, Lenz, Stolberg, Hölty, Kleist und Voss verbunden sind. Klopstocks Dichtung wird nicht zuletzt aufgrund ihrer rhythmischen Vielfalt und klanglichen Spielerei zu einem Vorbild für den Göttinger Hainbund. Doch hinter all dem verbigt sich die Ablehnung gegen die allzu den Verstand in den Vordergrund stellende Aufklärung. Der Mensch entdeckt sich als subjetiv fühlendes Wesen, der Künstler als schaffendes Individuum. Hier fallen erstmals Begriffe wie Genie und Original, oftmals in der alles bestärkenden Verbindung als Originalgenie. Damit kommt es zu neuen Ausdrucksformen, wie Ballade, Ode, Lied oder vor allem das persönliche Tagebuch, der Brief und die Autobiographie. In der Musikliteratur finden wir so auch Reiseberichte in Brief und Tagebuchform, welche die subjektive Auffassung des Schreibers unterstreichen. Berechtigt ist die Frage, in welcher Weise Sternes Reisebericht Anlass für Buchtitel wie Tagebuch einer musikalischen Reise, Briefe eines aufmerksamen Reisenden die Musik betreffend u.a. wurde. Dank einiger Romanerfolge, wie Sternes Empfindsame Reisen, Goethes Die Leiden des jungen Werder, Moritz' Anton Reiser verbreitet sich die Empfindsamkeit über alle Sphären der künstlerischen Darstellung, um auch auf nicht-künstlerische Sphären überzugreifen, die diese Bewegung zu einer Mode machen, die - wie die meisten Moden -ihren eigentlichen, ursprünglichen Zweck vergessen hat. Parallel zu Veränderungen in der Literatur sind auch solche, nicht zuletzt aufgrund intensiver Kontakte zwischen Literaten und Komponisten, in der Musik nachweisbar, und zwar sowohl in theoretischen Schriften, wie auch in Kompositionen. Dies ist der Weg zu einer neuen, sich parallel zur bislang gültigen entwickelnden, Musikästhetik. Die Bildung des Adjektives „empfindsam" lag auch hier zu einer Zeit nahe, in der von „Empfindung" oft die Rede war, wie man beim Lesen der sich einer grossen Verbreitung erfreuenden Klavierschule Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen von Carl Philipp Emanuel Bach (1. Teil 1753) sieht. War in der Musik und den Musikschulen der Zeit bislang nur von Affekten die Rede, wendet sich Bach mehr und mehr dem Wort Empfindung zu. Allein hieran wird klar, welche Bedeutung der Musik bei Betrachtung des Phänomens Empfindsamkeit zukommt. Gesamtausgabe der Briefe und Aufzeichnungen der Familie Mozart, Berlin 1942, Bd.III, S.69 ibid, S.4 10 Affekt - Leidenschaft - Empfindung Diese Wörter finden sich in der Musikliteratur des 18. Jahrhunderts in zeitlichem Abstand, eine chronologische Entwicklung der Abschiednahme vom Affektbegriff hin zur Empfindung soll hier zwischen 1730-1800 dargestellt werden. 1732 Johann Gottfried Walther definiert im ersten deutschen Musicalischen Lexicon (Leipzig 1732) auf der Affektentheorie von Athanasius Kircher und René Descartes aufbauend Affekt als „eine Gemüths-Bewegung [...]Liebe, Leid, Freude, Zom, Mitleiden, Furcht, Frechheit und Verwunderung, so die Music erregen kan.", Leidenschaft oder Empfindung kennt er als Schlagwort nicht. 1737 schreibt Johann Mattheson in seinem Kern melodischer Wissenschafft (Hamburg 1737), "da z.E. ein adagio die Betrübniss; ein Lamento den Schmerz; ein lento die Erleichterung; ein Andante die Hoffnung; ein affettuoso die Liebe; ein allegro den Trost; ein presto die Begierde; etc. zum Abzeichen fuhren."24 , um dann den Wert der Instrumentalmusik zu unterstreichen „dass Melodia Instrumentalis mit keinen Worten zu thun habe; wie die vocalis. Allein hierbey ist etwas sehr unbekanntes, oder wenigstens, was unbemercktes vermacht. Nehrnlich, dass melodia Instrumentalis zwar der Worte, aber nicht der Gemüths-Bewegungen, müssig gehet. [...] Weil aber unstreitig das rechte Ziel aller Melodien nichts anders ist, als eine solche Vergnügug des Gehörs, dadurch die Affecten rege werden, so kan mir ja keiner dieses Ziel treffen, der keine Absicht darauf hat, selber nicht beweget wird, ja kaum an irgend eine Leidenschafft gedenckt."25 wobei die Wörter Affekt, Gemütsbewegung und Leidenschaft nebeneinander stehend erscheinen, offenbar mit jedem Mattheson eine andere Ebene verbindet. Musik kann demnach aufgrund des mechanischen, akustischen Reizes, der „Affecte" iniziiert, „Gemüths-Bewegungen" hervorrufen, jedoch nur, wenn der Spieler sich einer „Leidenschafft" hingibt. Dies ist eine Dreieckskonstellation, die von der zeitgenössischen Medizin, die sich dem Aminismus nähert, bestätigt wird (siehe Kapitel: Musik und Medizin). Eine transzendenteile Definition der Leidenschafften ist hier nicht gegeben. 1739 Im „Register über das Werck" seines Lehrbuches Der vollkommene Capellmeister (Hamburg 1739) schreibt Mattheson unter „Affecten, siehe Leidenschafften", das Wort Empfindung findet sich hier ebenfalls noch nicht. Leidenschaften werden nicht definiert. Mattheson fordert nur, diese zu erregen. Die Musiklehrbücher ab den späteren 40er Jahren verwenden in zunehmenden Masse das Wort Empfindung. 1745 erscheint in Halle Ernst Anton Nicolais Abhandlung über Die Verbindung der Musik mit der Artzneygelahrtheit. Dieser wissenschaftliche Versuch, nach neuesten Kenntnissen der Tonuslehre eine Verbindung zwischen akustischem Reiz und Empfindung zu definieren, soll weiter unten im Kapitel Musik und Medizin genau dargestellt werden. 1749/50 schreibt Marpurg in seiner Fortsetzung des Grandvallischen Versuchs über den guten Geschmack: Johann Mattheson: Kern melodischer Wissenschaft, Hamburg 1737, Faksimile Hildesheim 1990, S. 67 ibid, S. 66 11 Das Volek, ich vestehe das edle, Überlässet sich der Natur. Diese leitet selbiges, es leihet sich untereinander seine Einsicht, einer hilft dem andern zurecht, sein Ausspruch ist der allgemeinen Empfindung gemäss und ungezwungen"26, eine frühe Definition des Volksempfmdens! 1752 Aber: im Register von Johann Joachim Quantzens Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen (1752) verhält es sich noch ähnlich wie bei Mattheson 1739. Wen wundert's, wurde doch am frederizianischen Hofe der alte Zopf geflochten, was sich am Klarsten in Friedrich II. Schrift De la littérature allemande zeigt, in welcher er, 1780 (!) geschrieben, weder Lessing, noch Klopstock, Wieland, Herder oder Schiller kennt, Goethe nur abfällig in Hinsicht auf dessen Goetz von Berlichingen erwähnt und die damals so poplulären, als Vorbild jedweglicher Dichtung angesehenen Stücke Shakespeares als lächerliche Farcen abtut. Was kann und konnte man auch von einer Schrift über die deutsche Literatur erwarten, die unter französischem Titel herauskam?! August Friedrich Cranz, Autor der Charlatanerien, die 1780 in Berlin erschienen und so erfolgreich waren, dass sie innerhalb eines Jahres vier Auflagen erlebten, kritisierte diese Schwachstelle des Königs, der Cranzenns Ironie geradenoch duldete. Cranz muss - nicht aufgrund dieser Kritik - als wichtiger empfindsamer Schriftsteller genannt werden, denn in seiner Zielsetzung ist er durchaus mit den Autoren der Berlinischen Monatsschrift, wie Campe, Nicolai, Moritz, Ramler und Zöllner vergleichbar. Letztgenannter hatte übrigens die von Immanuel Kant berühmt gewordene Antwort auf seine Frage erhalten: Was ist Aufklärung? Ich werde im Laufe diesr Arbeit noch öfters auf Cranz zurückkommen. Und: der alte Zopf verbindet und trennt die Brüder Benda. František, der dem König und dieser ihm so freundschaftlich verbundene, hält - darf's ein Konzertchen mehr sein? - an den stilistischen Idealen von um 1740 fest, während sein Bruder Jiří, sicher auch Dank seines Wechsels von Berlin nach Gotha, alle Entwicklungen der Ästhetik, Philosophie und Literatur in sein Werk einfliessen lässt. Quantz setzt sich verhältnismässig selten mit den Leidenschaften auseinander, glaubt diese in den Satzüberschriften ausgedrückt zu finden, fordert Licht und Schatten, meint damit lediglich den Wechsel von Piano und Forte. 1753 veröffentlicht in Berlin Christian Gottfried Krause sein Werk Von der musikalischen Poesie, in welchem er das vierte Haupt stück den Empfindungen widmet, wobei auf den ersten Blick keine Differenzierung mit den zugleich verwendeten Wörtern Rührungen, Affekte, Leidenschaften, Gemüthsbewegungen zu erkennen ist. Auch nach mehrmaligem Lesen dieses wie auch der übrigen Abschnitte konnte ich keine logische Verwendung dieser Begriffe erkennen, vielmehr habe ich den Eindruck, dass er die Wortvielfalt als literarisch wertvoll sah. Krause ist allerdings darin wichtig, dass er in einem der Wort-Ton-Beziehung gewidmeten und vor allem mit Blick auf die Oper geschriebenen Buch, eine Klassifizierung in für die Musik brauchbare und unbrauchbare Empfindungen beschreibt. „Wir singen und musiciren, wenn Freude und Hofrtung, Liebe, Traurigkeit, Schmerz und Verlangen sich unserer bemeistem. Wir thun es aber nicht, wenn Furcht, Verzweiflung, Kleinmüthigkeit, Zorn und Neid das Gemüm in Unruhe setzen."27 heisst es gleich zur Einleitung dieses Kapitels. Grund zur Musik überhaupt sei der Wille „seine Empfindungen auf eine angenehme Weise auszudrücken.^..] Zwar gefallen uns auch zuweilen die finstern Empfindungen der Traurigkeit, und wir singen mit Vergnügen Lieder, die diese Gemüthsbeschaffenheit abbilden. Aber wir singen doch nimmer von uns selber [...Jim Zorn und in der Verzweiflung." n Friedrich Wilhelm Marpurg: Der critische Musikus an der Spree, Berlin 1749/50, S.191 Christian Gottfried Krause: Von der musikalsichen Poesie, Berlin 1753, Faksimile: Leipzig 1973, S. 68-102 12 Daraus folgt, dass diese vom Menschen zum Musizieren nicht verwendeten Empfindungen auch keinen Platz in der Musik haben. Alles was Furcht und Grauen erweckt, die gar zu heftigen Leidenschafften des Zorns und der Rache, Zänkereyen, mörderische Handlungen, Rasereyen, und alles gewaltsame Wesen ist auch gar nicht musikalisch. Grobe Scheit- und Schmähworte, niederträchtige Scherze, und dergleichen sind nirgends, also auch in der Musik nicht schön. Heulen, Schreyen, Brüllen, Zischen, Rasseln und so weiter, mit schönen Menschenstimmen und mit anmuthigen Instrumenten, nach dem Tact und nach der Kunst vorzustellen, ist gleichfalls ein Widerspruch. [...] es lässt sich zwar dieses Säuseln so wohl, als andere solche poetischen Mahlereyen in Noten und Tönen abbilden, aber es wird doch nur ein musikalisches Gemähide daraus. Das ist aber nicht das Vollkommenste der Musik." Krauses Bedeutung liegt in der radikalen Abwendung von der offensichtlich noch immer existierenden Ansicht, Musik solle die Worte des Textes ohne Rücksicht auf den Satzinhalt ausdrücken. Allein daran sieht man wie wichtig es ist, Komponisten ein und derselben Zeit ästhetischen Idealen zuordnen zu können, eine Aufgabe, die die Musikwissenschaft noch vor sich hat. Ein Denken in Stilepochen hilft da nicht weiter. „Es kann aber nicht so rühren, wenn man ein Wort ausdrückt, als es rühret, wenn eine Empfindung ausgedrückt wird." Wehrt sich Krause gegen die althergebrachte Meinung. Also Empfindung im Sinne von Gesamtaffekt, Affekt im Sinne von Wortbedeutung, Leidenschaft im Sinne von menschlichem Gefühl und Empfindung im Sinne von menschlicher, subjektiver Regung? Wie gesagt, es ist schwer in Krauses Wortverwendung ein System zu sehen. Eben genanntes erscheint mir — mit Fragezeichen - das einzig mögliche zu sein. 1753 (im gleichen Jahr wie Krause) veröffentlicht Carl Philipp Emanuel Bach seinen Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen. Das Wort Empfindung wird so gebraucht, dass man den gängigen Umgang des Autors mit diesem sieht. Der Musiker muss „sich selbst in alle Affekten setzen können, welche er bey den Zuhörern erregen will; er giebt ihnen seine Empfindung zu verstehen und bewegt sie solcher Gestalt am besten zur Mit-Empfindung."28 Dies erinnert nicht nur an das von Mendelssohn/Abbt/Nicolai geschaffene dreidimensionale Modell der Empfindungen, hier ist Affekt der nüchtern definierte terminus technicus, Empfindung ist die Verinnerlichung des Affektes. Schon zu Beginn des dritten Hauptstückes Vom Vortrage betont Bach, dass allein technische Fähigkeit nicht reiche, Ziel sei es „ein deutlicher, ein gefälliger, ein rührender Clavieriste" zu sein. Die Idee des Empfindungstransportes dank des Musikers wird hier deutlich, die später bei Schubart und Heydenreich noch genauer untersucht werden soll. 1755 beginnt in Berlin Moses Mendelssohns seine Briefe über die Empfindungen herauszugeben, die 1761 und 1771 Fortsetzungen erfahren. Dem Hervorrufen von Gefühlen des Vegnügens kommt der Tonkunst eine besondere Bedeutung zu: „Göttliche Tonkunst! Du bist die eintzige, die uns mit allen Arten von Vergnügen überraschest! Welche süsse Verwirrung von Vollkommenheit, sinnlicher Lust und Schönheit! Die Nachahmungen der menschlichen Leidenschaften, die künstliche Verbindung zwischen den widersinnigsten Ubellauten: Quelle der Vollkommenheit! Die leichten Verhältnisse in den Schwingungen: eine Quelle der Schönheit! Die mit allen Saiten harmonische Spannung der nervigsten Gefässe: eine Quelle der sinnlichen Lust!"29 Carl Philipp Emanuel Bach: Versuch über die wahre Art das Ciavier zu spielen, Berlin 1753 und 1762, Faksimile: Leipzig 1986, S. 122 S.115f 13 Mendelssohn gesteht jedem Sinn eine eigene Harmonie zu, die durch die Harmonie der Musik angesprochen wird. Schon im ersten Band seiner Überlegungen (1755) definiert Mendelssohn eine Vermischung von Empfindungen, deren klarstes Beispiel das Mitleid ist: Allem was ist das Mitleiden? Ist es nicht selbst eine Vermischung von angenehmen und unangenehmen empfmdungen? Hier zeigt sich ein merklicher Vorzug, durch den sich diese Gemüthsbewegung von allen andern unterscheidet. Sie ist nichts als die Liebe zu einem Gegenstande, mit dem Begriffe eines Unglücks, eines physicalischen Uebels, verbunden, das ihm unverschuldet zugestossen. Die Liebe stützt sich auf Vollkommenheiten, und muss uns Lust gewähren, und der Begriff eines unverdienten Unglücks, macht uns den unschuldigen Gliebten schätzbarer und erhöhet den Werth seiner Vortreflichkeiten. Dieses ist die Natur unsrer Empfindungen. Wenn sich einige bittere Tropfen in die honigsüsse Schale des Vergnügens mischen; so erhöhen sie den Geschmack des Vergnügens und verdoppeln seine Süssigkeiten. Jedoch nur alsdenn, wenn die beide Arten von Empfindungen, daraus die Vermischung besteht, nicht einander schnurstracks entgegen gesetzt sind."30 1756 haben wir - endlich - ein süddeutsches Werk, die Gründliche Violinschule von Leopold Mozart, geschrieben in Salzburg, veröffentlicht in Augsburg. Hierbei handelt es sich - im Vergleich zu Quantz - um eine rein instrumententechnisch ausgerichtete Schule, der Musik an sich sowie deren Darstellung wird kein Abschnitt gewidmet. Auf die Affekte kommt Mozart erst beim musikalischen „Kunstwort" „Affettuoso" zu sprechen, was „mit Affect, will, dass wir den Affect, der in dem Stücke stecket, aufsuchen, und folglich alles beweglich, eindringend und rühren abspielen sollen."31 Ja, Herr Mozart, möchte man fragen, gilt das denn nicht für alle Stücke? Auf die Antwort muss man warten, denn sie steht erst auf der letzten Seite: „[...] alle meine Bemühungen, die ich in Verfassung dieses Buches angewendet habe, ziehlet dahin: die Anfänger auf den rechten Weg zu bringen, und zur Erkänntniss und Empfindung des guten musikalische Geschmackes vorzubereiten.", und „dass nämlich noch vieles für die Herrn Concertisten zu sagen wäre". Leider hat Mozart keine Fortsetzung folgen lassen! Doch auch im Nachsatz zu seiner Erklärung der musikalischen Kunstwörter schriebt er, man sehe „Sonnenklar, dass alle Bemühung dahin gehet, den Spielenden in denjenigen Affect zu setzen, welcher in dem Stücke selbst herrschet: um hierdurch in die Gemüther der Zuhörer zu dringen und ihre Leidenschaften zu erregen." Wieder Dreidimensionalität. Reflexion III. Dieser letztzitierte Satz Mozarts mag banal erscheinen, dahinter steckt mehr, als die heutige praktische wie theoretische Musikanschauung berücksichtigt: der Komponist hat die Möglichkeit den Affekt des Stückes in einem Wort anzuzeigen, er kann dieses Wort mit einem den Affekt konotierenden konkretisieren. Auch hier könnte man den Gedanken der „vermischten Empfindungen" aufgegriffen sehen. Dann wären Worte bedeutungsvoller, als so manches zum Übersehen verdammtes Allegro operto. Und man würde sich öfter die Frage stellen, ob es sich um eine Charakter- oder Tempobezeichnung handle, ob der Blick auf das Innere oder Äussere gelenkt werden soll. Das erklärt auch, warum in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vor allem norddeutsche Komponisten zunehmend deutsche Satzüberschriften verwenden. In dem mit Vom richtigen Notenlesen (welcher Konservatoriumsbesucher würde hier heute überhaupt weiterlesen?) überschriebenen zwölften Kapitel kritisiert Mozart Musiker, „die von S.184f Leopold Mozart: Gründliche Violinschule, Augsburg 1756, 3. Ausgabe Augsburg 1787, Faksimile Wiesbaden 1983, S. 51 14 demjenigen Affekte ganz keine Empfindung haben, der in dem Stücke soll ausgedrücket werden." Empfindung als das richtige musikalische Gefühl. Keine Spur von norddeutscher Philosophie. Nicht dass Mozart diese nicht gekannt hätte, er war ein sehr belesener, mit grossen Köpfen seiner Zeit in schriftlichem Kontakt stehender Musiker, anerkannt auch im Norden, was die Tatsache beweist, dass der erste der Berliner Kritischefn] Briefe über die Tonkunst gerade an ihn adressiert war. Doch in einer Anfängern zugedachten Schule war für Philosphie kein Platz. 1758 kennt Jacob Adlung in seiner Anleitung zu der musikalischen Gelahrtheit (Erfurt 1758) keines der drei Wörter Affekt, Leidenschaft, Empfindung, was die Frage aufwirft, ob dies damit zusammenhägt, dass sein Werk stets auf die Erhaltung des alten Kirchenstils ausgerichtet ist, „da die Tonkunst bey uns Teutschen zu einer solchen Vollkommenheit gestiegen, ein Verfall derselben nahe seyn würde. Und gleichwohl ist er, in Ansehung der Kirchenmusik, schon da."32 wie der sächsisch-weimarische Kapellmeister Johann Ernst Bach am 28. März 1758 im Vorwort zu Adlungs Schule schreibt. Doch findet sich bei Adlung noch ein anderer terminus, die Wirkung: „Wenn wegen der Wirkung der harten und weichen Tonart eine Frage aufgeworfen würde, ob solche beyden verschieden sey; so gäbe ich mein Ja dazu, ohne mich lange zu bedenken, weil sie doch wesentlich von einander unterschieden sind."33 1762 Wenngleich sich nicht direkt mit Empfindung und Ausdruck derselben auseinandersetzend, findet sich im 99. Kritischen Brief über die Tonkunst (Berlin) eine ungewöhnlich detaillierte Aufzählung einer musikästhetischen Norm dieser Zeit, in deren Einleitung der unbekannte, unter Synonym Amisallos erscheinende Autor in seinem in mehreren Fortsetzungen publizierten Unterricht vom Recitativ behauptet, dass mit nachstehenden Bemerkungen „alle Tonlehrer [...] darinnen übereinkommen]". Darauf folgt eine genaue Beschreibung, wie welche Empfindungen auszudrücken seien, die ihrer Einmaligkeit wegen hier wiedergegeben werden soll. Das Wort Empfindung fällt ebensowenig wie Leidenschaft Das Hauptverdienst dieser Auflistung liegt nicht nur in der für diese Zeit einmaligen Genauigkeit, sondern auch in der Gegenüberstellung der jeweiligen Empfindungen sowie auch darin, dass hier nicht, wie bei Mattheson, Nebenaffekte durch Konnotation eines Hauptaffektes entstehen, sondern die Vermischung von Affekten zu vermischten Empfindungen führt, welche der Autor als „gemischter Affect" (Mitleid) bzw. „vermischten Ausdruck" (Bescheidenheit/Demut) bezeichnet. (Ich werde weiter unten auf die vermischten Empfindungen noch zurückkommen.) Dass dies zuerst bei der Definition von „Mitleid oder Erbarmen" geschieht, weist auf umfangreiches Studium des Mitleidsgedanken hin, wobei sich die Überlegungen dieser Zeit zum Mitleid „durchweg auf Shaftesbury und seine „Schüler" zurückfuhren"34 lassen. Anton Ashley Cooper, Earl of Shafterbury sah Gefühl und Empfindung als Ausgangspunkt von Anschauung und Erziehung, ihm folgten Samuel Richardson und Edward Young, der mit seinen The Complaint Or Night-Thoughts on Life, Death and Immortality 1742-44 in London neun Nachtgedanken in Gedichtform veröffentlichte. 32 Jacob Adlung, S. 11 Jacob Adlung, S. 223 34 Sander I,S. 185 15 Zurück zu unserem anonymen Autor, den ich im Umfeld Jiří Bendas vermuten möchte und nach welchem man allgemein wisse, I) dass die Traurigkeit, ein sehr hoher Grad des sinnlichen Misvergnügens oder Verdrusses, in langsamer Bewegung, mit einer matten und schläfrigen Melodie, die mit vielen Seufzern unterbrocher ist und oft wohl gar mitten in einem Worte gleichsam ersticket, in welcher die engem Klangstuffen vorzüglich gebraucht werden, und welche auf eine herrschende dissonierende Harmonie erbauet wird, auszudrücken ist; 2) dass die Freude, ein sehr hoher Grad der sinnlichen Lust oder des sinnlichen Vergnügens, eine geschwinde Bewegung, eine lebhafte und triumphirende Melodie, in welche die weitem Klangstuffen vorzüglich gebraucht werden, und einen herrschenden consonierenden Grund der Harmonie erfordert; 3) dass die Zufriedenheit, ein Vergnügen über das Gute, was wir ausgeübet zu haben vermeinen, ihren Ausdruck von der Freude entlehnet, und eine vergnügte gesetzte, ruhige Melodie verlanget. Aus dieser Quelle fliesset der Ausdruck für die Gelassenheit, Geduld, ingleichen Trost etc. 4) Dass die Reue, das Gegentheil der Zufriedenheit, nemlich ein Misvergnügen über das Böse, was wir gethan zu haben glauben, ihren Ausdruck von der Traurigkeit entlehnet, und eine unruhige, klagende Melodie erfordert. 5) Dass die Hofnung, ein Vergnügen über ein, unserer Meynung nach, uns bevorstehendes Gut, durch männliche, etwas stolze und frolockende Melodien auszudrücken is. Ein sehr hoher Grad derselben ist die Zuversicht. 6) dass Furcht, Angst, Bangigkeit etc. Das Gegentheil der Hoffnung, nemlich ein Misvergnügen über einen vermeintlich bevorstehendes Übel, mit zitternden und abgebrochnen Tönen, mehr in der Tiefe als Höhe vorzustellen ist. Ein sehr hoher Grad der Furcht ist die Verzweiflung. Die plötzliche Furcht wird ein Schrecken genennet. 7) Dass das Verlangen, ein Verdruss über das lange Aussenbleiben eines vermeinten Gutes, mit gezogenen, matten Tönen auszudrücken ist; 8) dass der Zweifelmuth oder der Wankelmuth, ein Wechsel der Freude und Traurigkeit über etwas Gutes, von dessen Erhaltung man noch nicht versichert ist, durch abwechselnde Hofnung und Furcht vorzustellen ist; 9) dass die Kleinmütigkeit, ein Misvergnügen über der Schwierigkeit in Erlangung eines vermeinten Gutes, ihren Ausdruck von der Furcht entlehnet, wobey sich aber der Ton manchmal aus Ungeduld erheben kann; 10) Dass die ruhige und stille Liebe, bey einer herrschenden consonirenden Harmonie, mit sanften, angenhmen, schmeichelnden Melodien, in massiger Bewegung, auszudrücken ist. Wenn die Liebe, nach Verschiedenheit der Umstände, mit Furcht, Schrecken, Zweifelmuth u.s.w. vermischt wird: so muss ihr Ausdruck in gehörigem Verhältniss mit daher genommen werden. II) Dass der Hass, das Gegentheil der Liebe, mit einer widerwärtigen, rauhen Harmonie und proportionirten Melodie vorzustellen ist; 12) dass der Neid oder die Misgunst, ein Misvergnüngen über des andern Glück, und Schwester des Hasses, murrende und verdriessliche Töne verlanget; 13) dass das Mitleid oder Erbarmen, ein gemischter Affect, der aus der Liebe gegen jemanden, und aus dem Misvergnügen über desselben Unglück entspringet, mit sanften und gelinden, doch dabey klagenden und ächzenden Melodien, in langsamer Bewegung, bey öfters einige Zeit liegen bleibendem Basse auszudrücken ist; 14) dass die Eifersucht, ein aus Liebe, Hass, und Neid zusammengesetzter Affect, mit wankenden, und bald leisen, bald starkem, verwegnen, scheltenden, und bald wieder beweglichen und seufzenden Tönen, bald in langsamerer, bald in geschwinderer Bewegung vorzustellen ist; 15) dass der Zorn, ein sehr heftiger Verdruss über ein uns zugefügtes Unrecht, der mit einem Hasse des Beleidigers verbunden ist, mit geschwinden Tiraden auflaufender Noten, bey einer plötzlichenund öftem Abwechselung des Basses, in sehr heftiger Bewegung und mit scharfen schreienden Dissonanzen auszudrücken ist; 16) Dass die Ehrliebe, ein Vergnügen über das Gute, das wir gethan haben, in so fem andere Leute gut davon urtheilen, gesetzte männliche muthige, und zuweilen trotzig vergnügte Töne erfordert; 16 17) Dass die Schamhaftigkeit, das gegentheil der Ehrliebe, nemlich das Misvergnügen, das man aus der Vorstellung der nachteiligen Urtheile andrer Leute über unsre Handlungen empfindet, mit wankenden, bald kurz abgebrochnen, bald beweglich anhaltenden Tönen auszudrücken ist; 18) dass Muth, Hcrzhaftigkeit, Entschlossenheit, Unerschrockenlieit, Standhaftigkeit, etc. Von der Hofnuna und Ehrliebe; die Zaghaftigkeit, Feigheit, Blödigkeit, etc. hingegen von der Furcht und dem Zweifelmuth ihren Ausdruck bekommen; 19) dass Vermessenheit, Verwegenheit, ingleichen Stolz, Aufgeblasenheit, etc. mit trotzig pathetisch steigenden Melodien auszudrücken ist; ^0) dass Bescheidenheit und Demuth, dem Stolz entgegen gesetzte Tugenden, einen sanften mit gelinden Dissonanzen vermischten Ausdruck verlangen; 21) dass Freundlichkeit, Gütigkeit, Wohlgewogenheit, Gunst, Huld, Leutseligkeit, Grossmuth, Versöhnlichkeit, Sanftmuth, Freundschaft, Eintracht, Dankbarkeit, etc ihren Ausdruck von der ruhigen und stillen Liebe entlehnen; 22) dass Rache, Rachbegierde, Verwünschen, Verfluchen, Wuth, Raserey, Zwietracht, llnversiihnlichkeit, etc. vom Hasse und Zorn ihren Ausdruck bekommen: 23) dass Kaltsinn, Gleichgültigkeit, Undank, etc. ins Gebiet des Hasses und Neides gehören; 24) dass die Unschuld sich des Schäferstyls hauptsächlich bedienet; 25) dass das Lachen und Scherzen mi! Tönen der Freude, und das Weinen mit Tönen der Traurigkeit abgebildet werden muss; 26) Dass Ungeduld, und schmerzhafte Unruhe, etc. durch oft abwechselnde verdriessliche Modulationen auszudrücken ist; 27) dass die Schadenfreude und Verspottung als Wirkungen des Hasses, einen Ausdruck von dieser Natur verlangen; u.s.w." Wenngleich nur neun Jahre nach Krause verfasst, sind in oben zitierter Abhandlung diesem zum Trotz alle Empfindungen als musikalisch darstellbar definiert, eingeteilt in Vergnügen und Missvergnügen, wobei es Wechselbeziehungen sowie Vermischungen zwischen beiden Lagern wie auch innerhalb dieser gibt. Nebenslehcnde Skizze soll versuchen das hier Gesagte optisch darzustellen: In die Zeit dieser Skizze fallen auch Ewald Christian von Kleists Gedanken über verschiedene Vorwürfe (vor 1759), in denen er auf die vermischten Empfindungen anspielt: „Der Schmerz macht, dass wir Freude fühlen, so wie das Böse macht, dass wir das Gute erkennen. Ist denn für uns ein Zustand von immerwährendem Vergnügen möglich, den wir immer wünschen und immer hoffen?"33 1763 veröffentlicht in Berlin Friedrich Wilhelm Marpurg seine Anleitung zur Musik überhaupt und zur Singkunst, setzt sich mit unserer Fragestellung jedoch nicht weiter auseinander, handelt es sich doch um eine rein technische Schule. 1771 erscheint in Leipzig Johann Georg Sulzers Allgemeine Theorie der schönen Künste, in welcher er Empfindung sowohl als „einen psychologischen als einen moralischen Begriff definiert. Empfindung im psychologischen Sinn sei ein Gegensatz zur „deutlichen Erkenntnis", letztere sei Ziel der Wissenschaften, erstere Ziel der schönen Künste. „Die Empfindung entscheidet über das, was gefällt, oder missfällt; die Erkenntnis utheilet über das, was wahr oder falsch ist. Daher könne es zu Diskrepanzen zwischen Empfindung im Sinne eines Wohlbefinden verursachenden Gefühles, und der Erkenntnis kommen, da Erkenntnis ein „Gegenstand, als Wirk aUSSCr UI1S lieSenden Sache" sei. Psychologische Empfindung kann nach Sulzer drei r ungen haben: Sie macht „angenehmen oder unangenehmen Eindruk auf uns", sie wirkt err.Sf 13 ■ r~~ Ü z Ü Cd > z u o z U — an > CO Ewald Chi istian von Kleist: Ihn foltert Schermut weil er lebt, Berlin 1982, S. 171 auf unsre Begehrungskräfte", d.h. sie ruft den Wunsch nach etwas weiter Entferntem hervor, oder weckt „Begriffe des Guten oder Bösen, des Angenehmen oder Widrigen". Empfindung im moralischen Sinn sei „ein durch öftere Wiederholung zur Fertigkeit gewordenes Gefühl", könne „Quelle gewisser innerlichen oder äusserlichen Handlungen" sein dass heisst, der Mensch erkenne bestimmte Gegenstände, die einen moralischen Eindruck („Empfindungen der Ehre, der Rechtschaffenheit, der Dankbarkeit") auf ihn machen, bei deren Wiederholung wieder, was den „sittlichen Charakter" des Menschen stärke. Interessanterweise taucht bei Sulzer, im Gegensatz zu Karl Heinrich Heydenreich, nicht das Wort Gedächtnis oder ein Synonym für dieses auf. Während Heydenreich in seinen Bemerkungen über den Zusammenhang der Empfindung und Phantasie36 der Ansicht ist, Phantasie und Erinnerung setzen das Gedächtnis voraus, das Vermögen, sinnliche Eindrücke und Ideen aufzubewahren, welches grösstentheils nur mechanisch zu wirken scheint." definiert Sulzer die Einbildungskraft als schöpferische Kraft, sie sei „die Mutter der schönen Künste". Sulzer spricht verschiedenen Orts von „verschiedenen Mischungen" der Empfindungen und stützt sich somit auf die Theorie der vermischten Empfindungen, jenem „Gemisch von Freude und Traurigkeit, von Vergnügen und Schmerz, was wir in uns selbst nicht unterscheiden können, und weswegen wir glauben, dass es eine ergözliche Bekümmernis und ein Schmerz sei"37, als Folge des Aufeinanderprallens gegensätzlicher Affekte, was Friedreh Maximilian Klinger, der Verfasser des Schauspiels Sturm und Drang als "comisch und tragisch mit einer bittren Sauce zusammen verschlucken"38 beschreibt.. Diese Theorie kristallisiert in Mendelssohns Rhapsodien. Zwischen psychologischen und moralischen Empfindungen gibt es nach Sulzer jedoch eine konsekutive Abhängigkeit, da die schönen Künste in erster Linie rein psychologische Empfindungen erwecken, deren „letzter Endzweck aber geht auf moralische Empfindung, wodurch der Mensch seinen sittlichen Werth bekommt." Durch diese Kunstauffassung wird das Kunstwerk als solches zu einer bislang nicht gekannten Grösse erhoben, man sieht in ihm nicht nur Unterhaltung, sondern der wahre Zewck ist die Verbesserung des Menschen. Welch' Unterschied beispielsweise zur Tafel-Musik, die Telemann noch als „Bratensymphonien" bezeichnete. Sicher darf in diesem Wort keine Abschätzung gesehen werden, es war eben die gängige Musikproduktion im wahrsten Sinne des Wortes, das Komponieren war reines Handwerk, das man, wie jedes andere, erlernen konnte. Vorraussetzung für dieses neue Musikverständnis ist, dass der Mensch „einen gewissen Grad der Empfindsamkeit für das Schöne und Hässliche, für das Gute und Böse" habe, wobei die harmonische Mischung dieser Empfindungen einen „moralischen Charakter" bilde. „Eine allgemeine, wol geordnete Empfindsamkeit des Herzens ist also der allgemeineste Zwek der schönen Künste." So ausgestattet kann der Mensch jedes Werk der schönen Künste als Übungsobjekt benutzen, um „das Schöne und Gute angenehm, das Hässliche und Böse widrig" zu empfinden. Der Künstler kann sich zu diesem Zweck dreier Mittel bedienen, zum einen muss er in jener in: Denkwürdigkeiten aus der philosophischen Welt, Bd. V, Leipzig 1787, zitiert nach Sander I, S. 163 Ubald Cassina: Analytischer Versuch über das Mitleiden, Berlin 1790, S. 398, zitiert nach: Sauder I, S. 189 Klinger am 12. September 1776 an Emst Schleiermacher, in: Klinger: Sturm und Drang, S. 75 18 Empfindung sein, in welcher er den Zuhörer sehen will, zum zweiten durch das Prinzip des Mitleiden indem er den „Gegenstand des Mitleidens uns lebhaft fürs Gesichte bringen" muss und drittens, wenn er „durch zauberische Kunst" eine Abbildung des Gegenstandes in der Phantasie des Zuhörers schafft. Mit letzterem Weg spricht Sulzer die Einbildungskraft an, welche die Ästhetiker der Aufklärung von der Phantasie nicht konkret unterschieden. Einbildungskraft ist für Sulzer das „Vermögen der Seele die Gegenstände der Sinnen und der innerlichen Empfindung sich klar vorzustellen, wenn sie gleich nicht gegenwärtig auf sie würken."39 „Der Künstler also, der, seines Berufs eingedenk, seine Kräfte fühlet, weihet sich selbst zum Lehrer und Führer seiner Mitbürger." Soziologisch gesehen, verlangt Sulzer eine Erhebung des Musikers aus seiner bislang wenig anerkannten Position, stellt ihn einem Erzieher der Menschheit gleich. Dieser Erziehungscharakter wird 1778 von Joseph Martin Kraus lächerlich gemacht: Franklin in seinen Experiments and observations on Electricity, Lond. 1769, erwartete von den ihm zugeschickten Liedern Wirkung zur Beförderung der Mässigung und Liebe zur häuslichem Sparsamkeit, und — er hat diesen wunderbaren Effekt gewiss nicht umsonst erwartet."40 1780 spricht Johann Jacob Engel in seiner Abhandlung Über die musikalische Malerei, die er dem königlichen Kapellmeister Johann Friedrich Reichardt widmet, von der „Malerei der Empfindungen". „Wie die Musik die innern Empfindungen der Seele malen, nachahmen könne? Sie wählt die Töne von so einer Wirkung auf die Nerven, welche den Eindrücken einer gegebenen Empfindung ähnlich ist. [...] Zweitens erklärt sich, warum der Musik die Malerei der Empfindungen am besten gelinge. Sie wirkt hier nehmlich mit allen ihren Kräften zusammengenommen; gebraucht hier mit eins alle ihre ihre Mittel; concentrirt hier ihrer aller Wirkung. Dieses wird fast nie der Fall seyn, wenn sie nur die Gegenstände malt, welche Empfindungen veranlassen. Die letztern kann sie fast immer nur durch einzelne, schwache, und entfernte Ähnlichkeiten, die erstem durch eine Menge sehr bestimmter Ähnlichkeiten andeuten."41 Der Wert der Musik hat sich bei Engel seit d'Alembert von der letzten auf die erste Stufe erhoben, ein Verdienst der Empfindsamkeit, das bis heute so nicht definiert wurde! Und was sagte ein knappes halbes Jahrhundert früher Krause: „...aber es wird nur ein musikalisches Gemähide daraus. Das ist aber nicht das Vollkommenste der Musik" Die Zeiten ändern sich! Engel war bei seinen Überlegungen von der Zeitdiskussion einer Ton-Farbe Verbindung beeinflusst (siehe Kapitel: Augeninstrumente)., sein Begriff der Tonmalerei barg in sich jedoch einen Widerspruch, denn Malerei und Musik waren nicht nur von einander getrennte Kunstbereiche, sondern hatten hinsichtlich der Rezeptionsfähigkeit des Menschen gesonderte Auffassungsformen, wie Junkers 1786 kritisiert: "Die Tonkunst verhält sich zur Malerey wie Fortschritt zum Stillstand; die Eindrücke der Tonkunst sind vorüber schreitend, die Eindrücke der zeichnenden Künste bleibend. [...] Die frage, warum rührt die Tonkunst stärker, als irgend eine Kunst? Liesse sich also so beantworten: 1) Das Organ, Ohr, wird stärker gerührt und getroffen, durch eine Luft, die „ Sulzi:r: Teorie, Einbildungskraft, S. 389 4i Joseph Martin Kraus: Etwas von und über Musik fürs Jahr 1777, S. 11. Johann Jacob Engel; Über die musikalische Malerei (1780), Berlin 1802, Faksimile Frankfurt am Main 1971 19 körperlicher ist, als das Element des Lichts. 2) Töne haben eine natürliche Verwandschaft mit den Leidenschaften. 3) Das Ohr ist das geschickteste Organ, in die feinsten Nuancen und Bestandtheile zu dringen."42 Auch Sulzer soll gegen den Begriff der Malerei in der Musik gewesen sein, wie Schlichtegroll in seinem Benda-Nekrolog bemerkt.4 1781 erscheint in Leipzig Johann Adam Hillers, dem Dresdner Kapellmeister Johann Gottlieb Naumann gewidmete Abhandlung Von der Musik und deren Wirkungen, die sich nicht - wie der Titel vermuten lassen würde - mit dem Problem der körperlichen Veränderungen bei Anhören von Musik auseinandersetzt, sondern sich mit musikalischen Ausdrucksformen beschäftigt. Hiller, in Dresden von der italienische Oper und deren deutschen Vertretern Graun und Hasse beeindruckt, ist ein Gegenpol zur norddeutschen Tiefsinnigkeit, und fuhrt vor allem als Leiter der Gewandhauskonzerte (früher Liebhaberkonzerte) italienische Musik in Leipzig ein. In seiner Autobiographie schreibt er, dass er sich bemüht hätte "die Meisterstücke anderer Componisten, besonders unsers Hasse, anzuschaffen, und in Leipzig bekannt zu machen"44. Dies macht deutlich, wie wenig man in Leipzig von der süddeutschen Musik wusste. Dass Hiller die norddeutsche Kunst wenig schätzte beweist auch das Verzeichnis der von ihm dargestellten Komponisten in den 1784 herausgegebenen Lebensbeschreibungen berümter Musikgelehrten und Tonkünstler neuerer Zeit: keiner der Empfindsamen ist erwähnt, weder Jiří Beda (wohl aber dessen Bruder František), noch C. Ph. E. Bach (wohl aber dessen Vater), sondern alle dem italienischen Stil nahestehenden, wie Fasch, Pisendel, Graun oder eine ganze Reihe Italiener (Jomelli, Tartini) - und das 1784! Dem Wunsch, den norddeutschen Stil gänzlich negieren zu können gibt er entsprechend der heute auf vielen Websites eingeführte faq (frequently asked questions) auf den Seiten 177-179 in einige Fragen Ausdruck, die er wohl als dem Leser einfallen könnend aufschrieb; mit dazugehörenden Antworten. Hier überrascht die Antwort auf die Frage „Hat jede Nation einen eignen Styl der Ausfuhrung, so wie sie einen eignen Accent und eine eigene Sprache hat? Antwort. Nein! Jede Nation nimmt zu gewissen Zeiten und unter Umständen einen verschiedenen Styl an. Ein einziges hervorragendes Genie ist im Stande, allen andern den Ton anzugeben." Das 19. Jahrhundert sollte zeigen, dass Hiller - in einer Zeit der Nationalstil-Diskussion - recht hatte. 1784/85 schreibt Christian Friedrich Daniel Schubart seine Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst. Ein - ausnahmsweise - süddeutsches Werk, im Schwäbischen geschrieben, in Wien erst 1802 gedruckt. Es wäre ein sinnloses Unterfangen, die Verwendung des Wortes Empfindung bei Schubart beschreiben zu wollen, seine ganze Studie ist Ausdruck der Empfindsamkeit, wer nur eine Färbung dessen, was Empfindsamkeit in der Literatur bedeuten kann, verstehen will, muss Schubarts Buch gelesen und wieder gelesen haben, sagt er nicht selbst „Das Lesen ist weit schwerer als sich manche einbilden. [...] Es verhält sich in der Musik wie in der Beredtsamkeit: gründliches, tonvolles Lesen muss der schönen Declamation vorangehen. Zu diesem Lesen wird anhaltende Uebung erfordert." Reflexion IV. 0 CarI Ludwig Junker: Über den Werth der Tonkunst, Bayreuth und Leipzig 1786, S. 15 ff H Schlichtegroll: Musiker-Nekrologe, S. 19 Johann Adam Hiller: Lebensbeschreibungen berühmter Musikgelehrten und Tonkunstler neuerer Zeit, Leipzig 1784, Faksimile: Leipzig 1975, S. 309 20 ■^^^^„^chubart keineswegs nur eine pädagogische Forderung aus. Meine ganze Arbeit wird zeigen, dass Musik und Musikschriften nur spärlich Auskunft über die Empfindsamkeit eben Das war auch nicht nötig. Jeder, der sich als allseitig gebildeter Musiker, als musicus ^erfectus sah, las und studierte, jede Veränderung in der Literaturästhetik spiegelte sich in der allgemeinen Geisteshaltung wider, es wurde gelesen und über Gelesenes diskutiert. All dies verbunden mit einem heute nicht nachvollziehbaren Hunger nach Neuerung und Neuigkeit, die fast keine Avantgarde zulies, da das, was vor einem Monat avantgardistisch hätte sein können, inzwischen schon wieder altmodisch war. Und der Musiker hatte viel zu oft mit der Vertonung von Texten zu tun, als dass er sich eine Passivität in Fragen Literaturästhetik hätte überhaupt erlauben können. Welcher Musiker liest heute pro Woche zwei neue Bücher?_ Schubarts Bedeutung ist in einer Vorausnahme der 1790 von Karl Heinrich Heydenreich in seinem System der Äthetik formulierten Unterscheidung zwischen „selbstschaffenden" und „frey nachahmenden" Empfindung zu sehen.45 Schubart fordert zwecks Realisierung des musikalischen Ausdrucks drei Grundsätze: Richtigkeit, Deutlichkeit und Schönheit' Letztere sei die Fähigkeit mit „gefühlvollem Herz [...] den Dichter und Musiker nach zu empfinden". Diesen Sätzen liegt die logische Auffassung zu Grunde, dass ein Musikwerk ohne Darstellung nicht seinen Sinn erreicht, ein Gedanke, der bislang so nicht zum Ausdruck kam. Ich glaube nicht, dass vorrangehende Schriften, die sich nicht direkt und ausschliesslich an den Interpreten wandten, diesen vergessen hatten, sondern dass diese die Einheit von Interpret und Autor sahen. Man wird schwerlich einen Musiker im 18. Jahrhundert finden, der lediglich Musik spielte! Dies ist eine Degeneration unserer Zeit, der Musiker als Replikationsmodell, und das meist in verfälschender Weise. Schubarts Bedeutung liegt allerdings in Hervorhebung des Interpreten, der auch fremde Werke mit seinem Gefühlsinhalt füllen kann. Wie weit dabei gegangen werden konnte, beweist mit leicht ironischem Ton Rochlitz bei Beschreibung eines kleinstädtischen Interpretationsansatzes bei Wiedergabe einer Beethoven-Sonate (siehe Kapitel: Nordismo, Abschnitt: Beethoven) Somit ist nicht nur der Komponist, sondern auch der Interpret auf gleicher (soziologischer) Stufe zu sehen. Zudem erklärt sich damit die Herkunft des Wortes Interpret, der Dazwischenstehende, eben zwischen Komponist und Rezipient, wobei ich für ersteren nicht das Wort des Schaffenden gebrauchen möchte, da der Interpret auch ein Schaffender ist, somit am Schaffensprozess des Komponisten sozusagen in zweiter Bahn teilnimmt. Heydenreich kommt zu der Meinung, dass „sich unter den Empfindsamen [...] 1) entweder selbstschaffende, 2) oder frey nachahmende Empfindsame [finden.]. Der selbstschaffende Empfindsame bringt den Stoff für das Interesse seiner Empfindsamkeit, selbst frey hervor. Der freynachahmende Empfindsame nimmt mit freyem Interesse an denen von jenem hervorgebrachten oder sonst vorhandenen Stoffen für die Empfindsamkeit Antheil." In gewisser Weise chrakterisiert Heydenreich damit auch den konzentrierten Zuhörer, ohne die übertragende Wirkung des Interpreten kann dies jedoch nicht funktionieren. Damit knüpft Heydenreich an Schubart an. Diese von Schubart ausgesprochene Bedeutungssteigerung des Künstlers ist prägnant für die Zeit der Empfindsamkeit. Cranz hat das 1780 sehr schön in seinen Chalatanerien formuliert: „Mancher unwissende Taugenichts vom Stande glaubt dem Künstler Gnade zu erweisen, wenn er ihn in seiner Werkstatt besucht, oder ihm stehend Audienz ertheilt, und doch könnte mancher vornehme Mann noch viel lernen, um erträglicher in seinem Geschwätz zu werden, wenn Künstler und Karl Heinrich Heydenreich: System der Ästhetik, Leipzig 1790, S. 380ff., zitiert nach: Empfindsamkeit, Texte, Stuttgart 1976, S. 101-112. 21 Kunstkenner ihm die Wohlthat erweisen, ihre edle Zeit, in welcher sie für die Nachwelt arbeiten, auf die ungewisse Karte setzen, und einen Versuch zu machen, einem Herrn von Geschmack, den er in Broderien und Firlefanz besitzet, einigen Geschmack an Meisterstücken der Kunst beyzubringen."46 1786 wird Sulzers Idee von Carl Ludwig Junker in seiner Schrift Über den Werth der Tonkunst (Bayreuth und Leipzig 1786) aufgenommen und auf die Musik übertragen, deren Wirkung die Seele „empfindsamer macht, und das Temperament harmonischer, und sanfter bildet."47 Denn Schönheit der Kunst entspricht vollkommen, der in uns liegenden feinem Empfindsamkeit; diese Empfindsamkeit wird durch die Eindrücke der Kunst gereizt, sie wird wirksam; sie fordert alle in uns liegenden Kräfte auf; Geist und Herz werden unaufhörlich von allen Arten der Vollkommenheit gereizt, und entwickelt und verfeinern dadurch immer mehr, alle in uns liegenden Kräfte"48 1802 definiert Heinrich Christoph Koch in seinem Musikalischen Lexikon Gefühl als „einen lebhaft dargestellten Abdruck der Wirkung der Empfindsamkeit."49 und verlangt vom Tonkünstler, er müsse „von der Wirkung desselben [des Werkes] durchdrungen seyn, ehe er im Stande ist, den Abdruck seiner Empfindsamkeit in sein Spiel zu übertragen." Diese rein praktisch gesehene Ansicht ist die erste der von Sulzer definierten drei Wege. Auch bei Erklärung des Begriffes Empfindung stützt sich Koch weitgehends auf Sulzers, indem er diesen seitenweise zitiert. Offensichtlich fühlte er kein Bedürfnis Sulzers Ansichten umzustrukturieren, fühlte dort all das ausgedrückt, was seiner Auffassung entsprach. Wenngleich Koch die Tendenzen einer 30 Jahre zurückliegenden Zeit aufgreift, kann man dies nicht als Historismus bezeichnen, sondern eher als Beweis dafür, welch' Gültigkeit Sulzer zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch hatte. Zudem finden sich bei Koch zwei Sätze, welche die enge Verbindung von Musik und Empfindunglehre beweisen „Hieraus siehet man zur Gnüge, wie nothwendig einem Tonsetzer das Studium der Empfindungen sey."50 und „Die Theorie der Empfindungen ist für jeden Tonkünstler von großer Wichtigkeit, und wichtiger noch insbesondere für den Tonsetzer, weil Ausdruck der Empfindungen und Leidenschaften der Zweck der Tonkunst ist."51 Schon unter dem Schlagwort „Ausdruck"52 beschäftigt sich Koch mit den Empfindungen in Anspielung auf die vermischten Empfindungen: „Der Ausdruck der Empfindungen in ihren verschiedenen Modifikationen ist der eigentliche Endzweck der Tonkunst, und daher das erste und vorzüglichste Erfordemiß eines jeden Tonstückes." „Die Aeußerung unserer Empfindungen mit ihren Modifikationen ist nicht das Werk eines Augenblicks, sondern eine Folge von Darstellung dessen, was in unserm Herze vorgehet, successiver Ausbruch der Gefühle, die, auf gewisse Veranlassungen aus ihrem Schlummer geweckt, sich unserer bemeistem. Bey der successiven Darstellung dieser Gefühle lassen sich gewisse Bewegungen wahrnehmen, wodurch sich nicht allein die verschiedenen Empfindungen selbst, sondern auch die " August Friedrich Cranz: Chalatanerien, S. 20f. Carl Ludwig Junker: Über den Werth der Tonkunst, Bayreuth und Leipzig, 1786, S. 69 ^ ibid, S. 76 H.Ch. Koch: Musicalisches Lexicon, Frankfurt am Main 1802, Faksimile: Kassel 2001, Sp. 644 ibid, Sp. 187 ibid, Sp. 534 ibid, Sp. 184 22 hiedenen Modifikationen einer jeden Empfindung insbesondere, von einander unterscheiden lassen' daher bedienet man sich auch oft zu ihrer allgemeinen Bezeichnung des Ausdruckes Gemü'thsbewegungen. Die zärtlichen Empfindungen verweilen bis zu einem gewissen Grade der Sättigung bey allen den Bildern, welche ihnen die geschäftige Einbildungskraft in diesem Seelenzustande herbey zaubert. Die Freude, weniger verweilend bey ihren verschiedeneu Modifikationen, hüpft von einem Bilde zum andern in locker an einander gereiheten Vorstellungen. Rache Zom und Wufh gleichen dem wilden und unaufhaltsamen Strome, der alles mit sich fortreißt, was sich ihm entgegen stemmt. Der Zirkel ist gleichsam enger, in welchem sich die Modifikationen dieser heftigen Leidenschaften bewegen; die Abstufungen derselben folgen schneller und mit Heftigkeit aufeinander, und ein Bild treibt das andere noch unausgemalt der Vorstellung vorüber." Bei Beschreibung der Mittel, welcher sich der Musiker zur Erweckung der Empfindungen bedienen müsse, greift Koch wieder auf Sulzer zurück. Voraussetzung ist der Musiker, der einerseits zu allen Empfindungen fähig ist, andererseits sein Handwerkszeug kennt, das es ihm erlaubt ,jede Bewegung durch Harmonie und Gesang nachzuahmen". Als diese nennt er mit Sulzer: ,1) die bloße Fortschreitung der Harmonie, ohne Absicht auf den Takt, welche in sanften und angenehmen Affekten leicht und ungezwungen, ohne große Verwickelungen und schwere Aufhaltungen; in widrigen, zumal heftigen Affekten aber, unterbrochen, mit öftem Ausweichungen in entferntere Tonarten, mit größern Verwickelungen, viel und ungewöhnlichen Dissonanzen und Aufhaltungen, mit schnellen Auflösungen fortschreiten muß. 2) Der Takt, durch den schon allein die allgemeine Beschaffenheit aller Arten der Bewegung kann nachgeahmet werden. 3) Die Melodie und der Rhythmus, welche, an sich selbst betrachtet, ebenfalls allein schon fähig sind, die Sprache aller Leidenschaften abzubilden. 4) Die Abänderung in der Stärke und Schwäche der Töne, die auch sehr viel zum Ausdrucke beytragen; 5) Die Begleitung und besonder die Wahl und Abwechslung der begleitenden Instrumente; und endlich 6) die Ausweichungen und Verweilungen in andern Tönen. Alle diese Vortheile muß der Tonsetzer wohl überlegen, und die Würkung jeder Veränderung mit scharfer Beurtheilung erforschen; dadurch wird er in Stand gesetzt, jede Leidenschaft auf das bestimmteste und kräftigste auszudrücken." Koch geht im Gegensatz zu Sulzer noch einen entscheidenden Schritt weiter, indem er die katalysatorische Funktion des Interpreten betont: Auf Seiten der Ausführer bestehet der Ausdruck in der richtigen Auffassung der in den Tonstücken enthaltenen Empfindungen und Ideen des Tonsetzers, und in dem diesen Empfindungen entsprechenden Vortrage der Haupt- und Nebenstimmen. Beyde Erfordernisse des Ausdruckes auf Seiten der Ausführer pflegt man überhaupt den guten Vortrag zu nennen."53 Hier ist der Ansatzpunkt einer Verbindung zwischen Schubart, Heydenreich und Koch zu sehen. „Empfindung"54 definiert Koch als „das Bewusstseyn des Angenehmen und Unangenehmen." Nach längerer Zitierung der Sulzerschen Empfindungsdefinition kehrt Koch seine Überlegungen wieder dem Musikmachenden, dem Interpreten zu: Die Theorie der Empfindungen ist für jeden Tonkünstler von großer Wichtigkeit, und wichtiger noch insbesondere für den Tonsetzer, weil Ausdruck der Empfindungen und Leidenschaften der Zweck der Tonkunst ist. Empfindung und Leidenschaft scheinen sich zu verhalten wie Sprosse und Baum, den sobald das Bewußtseyn des Angenehmen oder Unangenehmen, oder die Begehrungskraft des ersten 4ibid, Sp. 184 ff ibid, Sp. 533f. 23 d die Verabscheuungskraft des letztern herrschend wird, nennen wir es Leidenschaft. So nöthig aber besonders dem Tonsetzer Kenntnisse von der Natur der verschiedenen Arten der Empfindungen, und der Art sind, wie sich jede derselben zu äußern und zu modificiren pflegt, so wenig ist dieses Werk dazu geeignet, in diesen vielumfassenden Gegenstand einzugehen, der eigentlich in die Aesthetik gehört, und durch welche man sich diese Kenntnisse zu erwerben suchen muß." Der letzte Satz beweist, dass das, was um die Jahrhundertmitte für die Musik und derer richtigen Verwendung die Medizin reflektierte (siehe Kapitel: Musik und Medizin), ab Sulzer die Ästhetik mit ihrer von der Philosophie beeinflussten Denkweise war. Sieht man bei Koch unter dem Schlagwort „Leidenschaft"55 nach, wird klar, dass er auch Engels Überlegungen sehr gut kannte: Leidenschaft. Affect. "Jede lebhaftere Wirksamkeit der Seele, die eben ihrer Lebhaftigkeit wegen mit einem merklichen Grade von Vergnügen oder Mißvergnügen verbunden ist." Der Ausdruck leidenschaftlicher Empfindungen ist der Hauptgegenstand der Tonkunst, folglich kann hier eine kurze Klassifikation derselben, nebst einigen Bemerkungen, wie sich die Kunst bey dem Ausdrucke derselben verhält, nicht am unrechten Orte stehen. "Die Lehre von den Affecten (sagt ein bekannter Schriftsteller56) scheint bey dem ersten Anblicke so vielumfassend und verwickelt, die Menge der einzelnen leidenschaftlichen Seelenbewegungen so groß und unübersetzbar, daß diejenigen, welche bey dem ersten Gedanken stehen zu bleiben gewohnt sind, sich hier in einer endlosen Gegend zu befinden glauben, welche zu ermessen und zu bezeichnen die Kräfte, wo nicht der menschlichen Natur, doch gewiß die ihrigen, weit übersteige. Schon die erste vorläufige Idee, welche sich die meisten von dem Studium der Affecten machen, trägt also dazu bey, den allgemeinen Irrthum von der Unzulänglichkeit des Verstandes und der Untrüglichkeit des Gefühls, als der einzigen sichern Führerin, in Rücksicht auf diesen Punkt bilden zu helfen. Allein bey einem fortgesetzten Nachdenken wird man gar bald gewahr, daß der großen Mannigfaltigkeit der lebhaften Gemüthsbewegungen ungeachtet, sich dennoch eine kleine Anzahl einfacher Affecten bestimmen und beschreiben lasse, von denen die meisten vorkommenden Leidenschaften bloße Mischungen sind, und auf welche die Theorie der gesammten Leidenschaften, als auf einen sichern Grund gebauet werden kann." "Von diesen einfachen Affecten giebt Herr Engel folgende sehr faßliche Uebersicht. Die Wirksamkeit der Seele bey dem Affect bestehet entweder im Anschauen dessen, was ist, oder im Streben nach dem, was man möchte. Die letztere Art der Wirksamkeit wird Begierde genannt." "Die Affecten, welche im Anschauen bestehen, sind: die Bewunderung und das Lachen, für den Verstand; die Freude, das ruhige Selbstgefallen, die moralische Sympathie, die Verehrung, die Liebe, alles angenehme - die Verachtung, die Schaam, (deren Ursache bloß Herabwürdigung im Urtheil ist, statt daß die folgenden ein wirkliches Uebel zum Gegenstande haben) die Furcht, das Aergemiß oder der Unwille über eine empfangene Beleidigung, der Verdruß, welcher, sobald man ein moralisches Wesen als Ursache seines unglücklichen Zustandes erkennt, Haß wird, (welche drey Affecten im Grunde stumme, vielleicht auch nur dunkel empfundene Begierden, entweder anzugreifen, oder sich loszureißen sind) die Schwermuth, das Leiden - insgesammt unangenehme Leidenschaften des Herzens." Was die zweyte Art der Affecten, die eigentlich so genannte Begierde betrifft, so ist nach dem Vorigen, der Abscheu, welchen man jener gewöhnlich entgegensetzt, schon in derselben begriffen; auch er strebt aus der jetzigen Lage in eine bessere. Wir haben demnach eine zwiefache Art der Begierden zu unterscheiden: die eine sucht Vereinigung mit einem Gute; die andere Trennung von einem Uebel. Diese letztere ist wieder zwiefach: denn wir suchen entweder uns oder das Uebel zu entfernen. Diesem zu Folge ist es am bequemsten, sogleich dreyerley Arten von Begierden festzusetzen: die Genußbegierde, welcher man, nach ihren verschiedenen Gegenständen, verschiedene Namen geben kann, die Rettungsbegierde, welche sich bey der Furcht und dem Schrecken äußert, ohne jedoch als der einzige Bestandtheil dieser Leidenschaft angesehen werden zu 5«Koch: Lexic°n, Sp. 894 m emer Fussnote beruft sich Koch auf Lobeis Kurzgefasstes Handwörterbuch über die schönen Künste 24 können und die Begierde nach Wegräumung, welche sich stets unter der Gestalt des Zorns zeigt. Dem Spracheebrauche zu Folge scheinen zwar noch viele andere Affecten unter die einfachen zu Vi "ren welche dieses jedoch im Grunde bloß dem Namen nach sind, da sie bloß aus Mischungen von jenen bestehen. Hierher gehören die Affecten der Hoffnung, des Mitleids, des Argwohns, u.s.w. -_ ^e;n Ausdrucke dieser und der übrigen zusammengesetzten Leidenschaften kömmt es bloß darauf an daß man, nach dem man sich des wahren Ausdrucks der einfachen bemeistert hat, nicht bloß die Zusammensetzung überhaupt, sondern die Art derselben in dem besondern Falle im Auge habe, um enau zu bestimmen, welcher Affect der herrschende, welcher der untergeordnete sey, und in welchem Grade dieses Verhältniß zwischen beyden statt finde." Richten wir unsere Aufmerksamkeit noch kürzlich auf die Mittel, wodurch das Material der Tonkunst, oder die in einen gewissen Zusammenhang gebrachten Töne, zum Ausdrucke so verschiedener Leidenschaften fähig werden, so hat diese Verschiedenheit des Ausdruckes ihren Grund in der langsamem oder geschwindem Bewegung der Töne überhaupt, oder des Taktes insbesondere; in dem Gebrauche des hohem oder tiefem Theils des Umfanges einer Stimme oder eines Instrumentes; in dem mehr stufenweisen oder mehr sprungweisen, mehr zusammengezogenen oder mehr abgestoßenen Gebrauche der Töne; in der Anwendung leichter und fließender, oder harter und schwer zu intonirender Intervallen; in dem Gebrauche mehr oder weniger Accente sowohl in den guten als schlimmen Zeiten des Taktes; in der Anwendung mehr gleichartiger oder mehr vermischter Notenfiguren; in dem mehr oder minder Fühlbaren des Rhythmus; in der Verbindung mehr natürlich auf einander folgender oder mehr fremdartiger, mehr consonirender oder mehr dissonirender Akkorde u.d.gl. So verlangt z.B. der Ausdruck trauriger Empfindungen eine langsame Bewegung, mehr tiefe als hohe, mehr zusammengeschleifte als abgestoßene Töne, mit unter schwerfällige und harte melodische Fortschreitungen, viel Dissonanzen in der Harmonie und im Vortrage starke Accentuirung derselben, einen wenig hervorstechenden oder fühlbaren Rhythmus u.s.w. - Der Ausdruck der freudigen Affecten hingegen zeichnet sich durch muntere Bewegung, durch mehr hohe als tiefe, mehr abgestoßene als geschleifte, und durch mehr springende als stufenweis auf einander folgende Töne aus; der Rhythmus ist faßlich und verlangt die Vermeidung sehr ungleichartiger Theile, er ist aber nicht stark fühlbar; die Töne verlangen eine mäßige Accentuirung, und dieser Art der Affecten sind schwerfällige Fortschreitungen der Melodie und zu häufiger Gebrauch der Dissonanzen, zuwider. - Der Ausdruck des Erhabenen verlangt eine maßig langsame Bewegung, einen sehr hervorstechenden und stark markirten Rhythmus, und mehr gestoßene, als zusammengeschleifte Töne; dieser Affect verträgt sich sehr gut bey langsamen Noten mit weiten, aber consonirenden Intervallensprüngen, und verlangt eine volle und kräftige, aber keinesweges mit Dissonanzen überladene Harmonie, und äußerst kräftige Accentuirung der Töne; daher auch in Tonstücken von diesem Charakter die öftem punktirten Noten in mäßiger Bewegung. - Die angenehmen Leidenschaften lieben eine sehr mäßig geschwinde Bewegung, mehr sanft zusammengeschleifte als gestoßene, gemeiniglich auch mehr stufenweise als springende Noten, mit wenig scharfen Accenten im Allgemeinen betrachtet, aber mit starker und anwachsender Heraushebung der Vorschläge und anderer zu accentuirenden Noten; der Rhythmus darf dabey weder zu merklich herausgehoben, noch zu sehr in Schatten gestellt seyn, so wie die Harmonie aus sanft an einander gereiheten Akkorden, ohne Beymischung zu vieler Dissonanzen, bestehen muß."57 Doch würde man irren, hielte man diese chronologische Entwicklung der Wortverwendung „Empfindung" lediglich für eine Mode. Dahinter verbirgt sich weit mehr, nämlich eine Veränderung in der Auffassung des Nachahmungsbegriffs. Von der Nachahmung Dieser Begriff erfahrt mit Etablierung der Instrumentalmusik neue Dimensionen, denn jetzt kommt es zur Übertragung rhetorischer Figuren, die in der Vokalmusik bestimmten Koch, s. 894fr 23 Wörtern entsprachen, sodass Instrumentalmusik zu einer „Klang-Rede"58 wird. Eng mit der Rhetorik ist die Affektentheorie verbunden, die jedem Wort eine bestimmt Konnotation zuschreibt die als Affekt ausgedrückt werden kann. Während sich Komponisten der s "trenaissance, wie Orlando de Lasso, weitgehendst mit der musikalischen Ausdeutung einzelner Wörter zufriedengeben, ohne deren Stellung im Kontext weiter zu untersuchen, entdeckt das Barock eine gewisse Unlogik dieses Systems. Heisst der Text einer Motette etwa Mors quam pulchra es" (Tod, wie schön bist Du), wurde bei Ausdeutung des Wortes „mors" nicht anders verfahren, als wenn es in negativem Zusammenhang verwendet worden wäre, dh der positive Kontext dieses Textes ging zwischen den Wortausdeutungen unter. Das Barock sieht nun nicht nur das Wort, sondern den Kontext, die Satzaussage und kommt zu dem Schluss, dass „mors" hier durchaus als Positivum, beispielsweise im Sinne von Erlösung, gemeint ist und somit diesem Text ein freudiger Affekt zusteht. Um den Sinn der Instrumentalmusik zu definieren kommt es aber vorläufig nur zu einer Übertragung einzelner rhetorischer Figuren, die auch ohne Text ihre Verständlichkeit haben, weshalb Mattheson in den oben zitierten Abschnitt zu dem Schluss kommt , dass „melodia instrumentalis zwar der Worte, aber nicht der Gemüths-Bewegungen, müssig gehet." Der Affekt wird erst als die Einheit eines Musikstückes formend gefeiert, dann kommt es mit Definition des Galanten Stils (Mattheson, 1721) in der Musikliteratur vorerst zu einer Differenzierung der einzelnen Affekte in sich, das heisst, jetzt ist beispielsweise Liebe an sich zwar ein Affekt, der jedoch verschiedene Erscheinungsformen kennt, wie Johann Mattheson in seinem Lehrbuch Der vollkommene Capellmeister (Hamburg 1739) aufweist. „Hirbei kömt es nun hauptsächlich darauf an, dass ein Componist genau unterscheide, welchen Grad, welche Art oder Gattung der Liebe er vor sich findet, oder zu seinem Unterwurff erwehlet. Denn die obenerwehnte Zerstreuung der Geister, daraus diese Gemüths-Neigung überhaupt und vornehmlich entstehet, kann sich auf sehr verschiedene Weise begeben, und alle Liebe kann unmöglich auf einerley Fuss behandelt werden.."59 Hier findet sich eine Sichtweise, die dem Hauptaffekt Nebenaffekte zuordnet und so, durch Konotation eines Affektes, eine Entwicklung vorausahnt, die als Idee der vermischten Empfindungen in Mendelssohns Rhapsodien kristallisieren. In der praktischen Musikliteratur wird die Idee der vermischten Empfindungen nicht weiter diskuttiert, wurde aber vielleicht sogar als unbedeutend angesehen, da durch die Darstellung gegensätzlicher Affekte sich vermischte Empfindungen in Musiker und Rezipienten äusserten. In der theoretischen Musikliteratur (Koch, Engel) reflektieren sich, wie oben angeführt, Mendelssohns Überlegungen, Koch spricht von „Modifikationen"60. All dies führt in Deutschland zwischen 1720 und 1780 zu einer Flut musikalischer Bücher, die später, von Kraus etwa, als „Receptchen für Leidenschaften"61 lächerlich gemacht werden. Ende der 40er Jahre wird der Affekt als Subjektivum gesehen, der Musiker kann diesen nur ausdrücken, wenn er selbst in diesem Affekte steht. Während bei Quantz (1752) die Uberzeugung herrscht, Darstellung des Affektes sei aufgrund einer bestimmten Spielart erlernbar, stellt ein Jahr später Bach (1753) das Gefühl als Grundvorraussetzung einer Musikalität in den Vordergrund. Dieser Schritt der Entdeckung des Ichs ist ein revolutionärer. Nicht nur, dass der Musiker, sei er Interpret oder Komponist, nicht mehr nach einem vorgegebenen Muster gleich eines Kochbuchs verschiedene Affekte ausdrücken muss, 5, j'"es Wort verwendet Mattheson, so z.B. in seinem Kern melodischer Wissenschaft, Hamburg 1737 m :.ohann Mattheson: Der vollkommene Capellmeister, Hamburg 1739, S. 16 ,1 K™h: Lexicon, Artikel Ausdruck, Sp. 185 siehe S. dieser Arbeit 26 sondern dass er sich als Bestandteil der Natur mit all seinen Schwächen und Stärken sieht. Damit einhergehend kommt es zur transzendenteilen Erweiterung der Nachahmungslehre, die sich jetzt nicht mehr an der Ausdeutung eines Wortes, sondern der eines individuellen Gefühles misst. Und in jener Zeit kommt es so oft zur gleichzeitigen Verwendung der Begriffe Affekt, Leidenschaft, Gemütsbewegung, Empfindung. Man spürt direkt die Suche nach dem Wort, die Entdeckung der neuen Freiheit in der Natur und damit im Subjektiven. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass Instrumentalmusik direkt von der Literaturlektüre inspiriert sein konnte, indem sie die darin sinnlich empfundenen Empfindungen musikalisch ausdrückt: "Ich gab letzt einige Ciavierstücke von Einer bestimmten Empfindung, hervorgegangen aus dem überwallenden Gefühl. So werden mir die meisten meiner Instrumentalsrücke; andre aber auch bisweilen durch Lesung grosser oder schöner Dichterstellen. Ich lege von solcher Stelle erfüllt das Buch bey Seite, gerathe wohl ans Ciavier, fantasire, bleibe dann in bestimmten Bewegungen, und schreibe hernach, was so fest gehaftet hat, auf."62 beschreibt Reichardt 1782 seinen Kompositionshergang. Diese freiheitsliebende oder besser gesagt freiheitssuchende Tendenz geht mit der Beobachtung der Natur daher. Dieser soll nun alles entsprechen, eine Forderung, die wir eben schon zur Zeit Louis XIV. aus Frankreich kennen, formuliert 1719 vom Sekretär der französischen Akademie Jean Bapiste Abbé Dubos (1670-1742) und hier zitiert nach der noch 1760/61 (!) in Kopenhagen veröffentlichten deutschsprachigen Übersetzung von Gottfried Bendikt Funck, was die, trotz grosser zeitlicher Differenz, ständige Aktualität dieser Idee beweist und zudem die Verwendung des Wortes Empfindungen dokumetiert: „Das Höchste, was die Poesie und die Mahlerey thun können, ist, dass sie rühren und gefallen; ... Horaz sagt, und er sagt es in dem Toneeines Gesetzgebers, um seinem Ausspruche desto mehr Nachdruck zu geben: 'Es ist nicht genug das Verse schön sind; sie müssen auch vermögend seyn die Herzen zu rühren, und diejenigen Empfmdugen wirklich zu erregen, die sie erregen wollen...' ... ein Gedicht sowohl als ein Gemähide kann diese Wirkung nicht hervorbringen, wenn es weiter keine Vollkommenheit hat, als Regelmässigkeit und Zierlichkeit in der Ausfuhrung. Ein Gemähide, welches auf das schönste gemahlt, und ein Gedicht, das noch so regelmässig und correkt ist, können beyde frostig und langweilig seyn. Soll ein Werk uns rühren, so müssen, wofem es ein Gemähide ist, dit Schönheit der Zeichnung und die Wahrheit des Colorites, und wenn es ein Gedicht ist, eine klangreiche Versifikation, blos dazu dienen, andern Gegenständen das Wesen zu geben, die an sich selbst fähig sind, zu rühren und zu gefallen ... Die Ähnlichkeit der Ideen, die der Dichter aus seinem Genie hernimmt, mit den Ideen, welche diejenigen haben würden, so sich ineben den Umständen befänden, worin der Dichter seine Personen setzt ... machen also den grössten Werth eines Gedichtes ... aus. In dem Endzwecke des Mahlers oder Dichters, und in der Erfindung rührender Bilder und Gedanken, deren er sich zur Erreichung dieses Endzweckes bedient, sieht man den Unterschied zwischen einem grossen Künstler, und einem Handwerker, der in der Ausführung oftmals geschickter ist, als jener. Nicht die grössten Versemacher sind die grössten Dichter, so wie die regelmässigsten Zeichner nicht die grössten Mahler sind."" Dies bestätigt Charles Batteux (1713-1780) noch viel genauer. In seiner von dem oben erwähnten Karl Wilhelm Ramler 1769 in Leipzig in vier Bänden übersetzten Einleitung in die Schönen Wissenschaften schreibt er in der Einschränkung der Künste auf einen einzigen Grundsatz aus dem Jahre 1746: B R«chardt: Musikalisches Kunstmagazin, Band I, Berlin 1782, S. 64 ubos, JeanBaptiste: Reflexions critiques sur laPoesie et la Peinture, in: Französische Poetiken, TeilI, Keclam, Stuttgart 1975, S. 198-203 27 Die Natur ist der Gegenstand aller Künste. ... Der Geist muss also etwas haben, woran er sich halten kann wenn er sich erheben und aufrecht halten soll. Und dieses ist die Natur, Der Künstler selbst darf ' nicht schaffen, er darf sie auch nicht vernichten; er knn also weiter nichts thun, asl ihr folgen und nachahmen; und also ist seine ganze Kunst die Nachahmung. Nachahmen heisst so viel, als nachbilden; ein Wort, das zwey Begriffe in sich schliesst: erstlich den Begriff des Urbildes, welches die Züge besitzt, die man nachahmen will; zweytens den Begriff des Nachbildes, welches diese Züge vorstellt und ausdrückt. Die Natur, das heisst alles, was ist, oder was wir uns leicht als möglich vorstellen können, ist das Urbild oder das Muster der Künste."64 Natur wird in Frankreich dann aber doch schnell zu einer Idylle, die sich auf der Bühne in sogenannten Paysannerien zeigt, wird zu einem Zufluchtsort, wie Marie-Antoinettes Bauemhof im Garten von Versailles beweist. Man sieht nur die positiven Seiten des Landlebens, Natur als Zufluchtsort. Hierin liegt wohl auch der Grundstein zur Wochenendhäuser-Tradition mehrerer Nationen. Das Haus im Grünen... Ideen wie die von Batteux wurden von Jean Jacques Rousseau bis zur letzten Konsequenz erfüllt, als dieser Antonio Vivaldis „Frühling" aus den Vier Jahreszeiten für Soloflöte umschrieb und diesen Schritt mit dem nur zur Einstimmigkeit fähigen Gesang des Vogels begründete, den eine Soloflöte mit diesem Werk zu imitieren hätte. Batteuxs Ideen fanden in Deutschland jedoch auch kritische Aufnahme. Hier ist vor allem Angst zu spüren, dass bei der Forderung nach Naturnachahmung die Kunst aussen vor bleiben könne, dass die Kunst und deren Produkt, das Gekünstelte (damals ein positiv konnotierter Audruck), keine Existenzberechtigung mehr haben könnten. So veröffentlicht Friedrich Wilhelm Marpurg 1754/55 in seinen Historisch-kritischen Beyträge zur Aufnahme der Musik ein Sendschreiben eines Freundes an den anderen über einige Audrücke des Herrn Batteux über die Musik aus der Feder des Lübecker Musikdirektors Rueck. Hierin heisst es: „Der Begriff vom Natürlichen in der Musik ist falsch, wenn man das Künstliche davon ausschliessen, und keine andere Art zu moduliren zugeben will, als in einer theatralischen Declamation ganz gebräuchlich ist. ... Wäre er [Batteux] nicht ein Feind von allem, was künstlich ist würde er nicht verlanget haben, dass ein Gelehrter und Ungelehrter bey Anhörung einer Musik gleich viel empfinden müsse; sonst läge die Schuld an dem Musikus, weil er nicht die Sprache der Natur aufrichtig redete. Wenigsten kömmt mir diese Natur, um aufrichtig zu reden, viel unverdächtiger vor, als wenn man das Natur nennen will, was Kenner und Liebhaber der Musik, wie sie anitzo ist, bey der Anhörung derselben empfinden. Wie leicht wird bey diesem Empfinden, ohne einen Leitfaden der Vernunft und der Ueberlegung, ein Fehler des Einschleichens begangen?"65 In dieser Kritik sehe ich jedoch keinesfalls die Angst vor einer Unberechtigung der Kunst, sondern Angst vor der Degeradierung einer Gesellschaftsschicht, die ein Privileg für Musikverständnis zu haben glaubt. In Deutschland ist angesichts der Naturidylle vor allem Gessner zu nennen, der mit nach antiken Vorbildern gestalteten schlicht-idealen Schäfeszenen in rhythmischer Prosa geschriebenen Idyllen 1756 ein Erfolgsbuch veröffentlicht, das in 21 Sprachen übersetzt wurde! Erinnert sei auch an den schon erwähnten Göttinger Hain und seine von Klopstock inspirierte Dichtung. Spätestens hier muss das Vorbild Frankreich seine Führungsposition abgeben, denn Deutschland geht eher nun Hand in Hand mit der Entwicklung in Frankreich, wird oftmals von Frankreich aus genauestens beobachtet. Gessner ist kein Einzelfall. ibid, S. 207ff. zitiert nach Schleuning, S. 167 2S -^^criteT^^ den 1764 gestorbenen Mattheson: Dieser gute Mann war mehr mit Pedanterie und wunderlichen Einfällen begabt, als mit wahrem G nie In einer von seine Singekompositionen für die Kirche, wo im Text das Wort „Regenbogen" orkam gab er sich unendliche Mühe, dass die Noten in seiner Partitur die Gestalt eines Bogens bekamen Dies mag ein Pröbchen seyn, von seinem Geschmack und Unheil, in Ansehung dessen, was man schicklicher Weise in der Musik ausdrücken und nachahmen kann."66 Zum Glück musste Johann Sebastian Bach diese Stelle nicht mehr lesen... Johanncspassion, BWV Erwäge-Ane Vielleicht war dies eben auch einer der Gründe für Matthesons unglückliche Beerdingungsmusik, von der Burney weiter berichtet: „Seinem Testament zufolge ward an seinem Begräbnistage eine Trauermusik in der Kirche aufgefiihret, die er selbst zu diesem Endzwecke komponiert hatte. Man tat aber nichts weniger als weinen, als man solche in ihrer altfränkischen Weise hörte."67 Wie man an diesem Zitat sieht, kann ab den 40er Jahren eine andere, wenngleich auf gleicher Grundlage entstandene Auffassung verbucht werden, die zeitweise mit der älteren Nachahmungs-Theorie konkurrierte, bevor diese als veraltet und in Deutschland als „altfränkisch" verspottet wurde. Denn mit der Eigenständigkeit von Instrumentalmusik stellt sich die Frage nach derer Berechtigung. Kann Musik ohne Text existieren? "Sonate, que me veux-tu?" (Sonate, was willst du mir sagen?) formulierte dies beispielsweise der französische Literat Bernhard Fontenelle. Und dessen Frage war in Deutschland dank der Übersetzung der Überlegungen d Alemberts Uber die Freyheil der Musik in den Wöchentlichen Nachrichten und Anmerkungen die Musik betreffend Johann Adam Hillers (Leipzig 1769) bekannt geworden. Dies war der Beginn einer Diskussion, die im 19. Jahrhundert mit Eduard Hanslicks „tönend bewegte Formen"68 und im 20. Jahrhundert in Carl Dahlhaus Die Idee der absoluten Musik69 ihre Fortsetzung fand und bis heute anhält. Jean le Rond d'Alembert, Mitherausgeber der Encyklopedie, schreibt in deren Einleitung zum ersten, 1751 erschienenen Band seinen berühmten Discours preliminaire, in welchem er, wie Dubos und Batteux, die Nachahmung der Natur an erster Stelle des Aufgabengebietes der Musik sieht, deren Inhalt aber transzendell erweitert. Nicht die Nachahmung des reinen Vorbildes im Sinne einer Imitation (interessant ist, dass das legendäre Musiklexikon MGG bis heute noch immer unter dem Stichwort „ Bumcy. », S. 217, Neuausgabe S.461 m Eduard Hanslick: Vom Musikalisch Schönen, Leipzig 1854 Carl Dahlhaus: Die Idee der absoluten Musik, München 1978 29 Nachahrnungsästhetik" auf „Imitation" verweist!) sei Aufgabe der Musik, sondern das Zeichnen der Wirkungen der Natur. Damit kommt d'Alembert zu dem Schluss: Je ne vois donc point pourquoi un Musicien qui auroit a peindre un object effrayant, ne urroit pas y reussir en cherchant dans la Nature l'espece de bruit qui peut produire en nous ['emotion ia plus semblable a celle que cet object y excite." Zu dieser Formulierung eines neues ästhetischen Prinzipes musste d'Alembert gelangen, da er die Musik auf dem letzten Rang der zur Nachahmung befähigten Künste sieht. Dennoch beinhaltet oben zitierter Satz viel Neues, hier ist von „peindre un object", also vom Malen eines Objekts die Rede, welches der Künstler in der Natur hat und demzufolge „produire en nous l'emotion" in uns Emotionen erweckt. D'Alemberts Philosophie muss somit als Grundstein der Empfindsamkeits-Theorie in der Musik sowie der Tonmalerei angesehen werden. Natur war auf einmal nicht mehr nur Nachahmungsobjekt, sonder eher Inspiration. Natur sollte nicht nur klanglich nachgeahmt, sondern die mit ihr verbundenen Assoziationen sollten musikalisch zum Ausdruck kommen. Dies war allerdings keine neue Idee. Schon Piaton unterscheidet zwei Typen der Mimesis, lateinisch imitatio: die reine Kopie eines Urbildes oder die Teilhabe am höheren Sein dessen. Aber spätestens hier sei die Frage erlaubt: warum Natur und was bedeutet die Natur für den Menschen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts? Was ist Natur? Die klareste Antwort auf diese Frage gibt der im pfälzischen Edesheim geborene französische Philosoph Paul Thiry d'Holbach (geb. 1675), der neben Jean Jacques Rousseau als einer der wichtigsten Aufklärer und somit Vorbereiter der französischen Revoution gilt, wenngleich er diese nicht erleben durfte, da er am 21. Januar des Revolutionsjahres 1789 verstarb. 1770 veröffentlichte Holbach unter dem Synonym des zehn Jahre zuvor verstorbenen Mirabaud sein Hauptwerk „Syteme de la Nature", ein Werk, das weit über Frankreich hinaus Aufsehen erregte und noch lange über die Grenzen des 18. Jahrhunderts hinaus in Übersetzungen gedruckt wurde. Friedrich der Grosse reagierte auf diese Schrift ablehnend, hatte zweitweise sogar vor, eine Widerlegung des „Systeme" in Druck herauszugeben, was er aber nicht ausführte, sondern nur in Form handschriftlicher Exemplare an Voltaire und d'Alembert gab.71 Holbachs philosophische Essenz war schon 1783 in deutscher Übersetzung erschienen, nach weiteren Auflagen erschien 1841 eine weitere Übersetzung, die Holbachs Bedeutung für die deutsche Philosophie unterstreicht. Erst 1987 kam es zu einer neuen, der Holbachschen Sprach- und Gedankenführung folgenden Neuübersetzung.72 Zu Beginn des ersten Kapitels lesen wir: „Die Menschen werden sich immer irren, wenn sie Erfahrungen um solcher Systeme willen preisgeben, die durch die Einbildungskraft geschaffen wurden. Der Mensch ist das Werk der Natur, er ist ihren Gesetzen unterworfen, er kann sich nicht von ihr freimachen, er kann nicht einmal durch das Denken von ihr loskommen;vergeblich strebt sein Geist über die Grenzen der sichtbaren Welt hinaus, immer ist er gezwungen, zu ihr zurückzukehren. ... er Mensch höre also auf, ausserhalb der Welt, die er bewohnt, Wesen zu suchen, die ihm Glück verschaffen sollen, das die Natur ihm versagt: er studiere die Natur, lerne ihre Gesetze kennen und betrachte ihre Energie und die unveränderliche Art, wie sie wirkt."73 Jean le Rand d'Alembert: Discours preliminaire in: Encyklopedie, Paris 1751, S. XII, zitiert nach: Wilhelm aeidel, Alembert in: MGG, Kassel 1999 72 ?ul Thiry v»n Holbach, Philosoph der Aufklärung, Speyer 1989, S. 88 7j ^«Setzung von Fritz-Georg Voigt, Frankfurt am Main 1978. zitiert nach der neuen deutschen Übersetzung von Fritz-Georg Voigt, Frankfurt am Main 1978. 30 Zwar war der atheistische Beigeschmack einigen von Holbachs Zeitgenossen bitter, dennoch kann man seine Quintessenz als Natumachahmug durch Naturbeobachtung und Naturunterwerfung zusammenfassen. Und so stand dies in Einklang mit der Forderung Melchior Grimms, des von 1753 bis 1793 fast alle europäischen Fürstenhäuser mit Geheimkorrespondenz über Neuigkeiten aus Paris versehenden Literaten, der zur Zeit des Buffonistenstreites 1753 mit seinem Pamphlet Der kleine Prophet von Böhmischbroda in der Person des unter dem Namen Johannes Nepomucenus Franciscus de Paula Waldstorch fungierenden Böhmen Jan Stamic - damals in Paris als avantgardistischer Komponist und Interpret gefeiert - diesen mit Diderot, Rousseau und Holbach gegen die französische Musik polemisieren Hess. Ziel aller schönen Künste ist es, die Natur nachzuahmen, doch jeder sucht es mit anderen Mitteln zu erreichen. Die Täuschung der Kunst liegt einmal im Bemühen, sich der Natur soweit wie möglich zu nahem, und ihr Triumph wäre vollkommen, gelänge es ihr, sie dahin zu bringen, Nachahmung und Urbild zu verwechseln; zum anderen ruft sie gewisse Eindrücke hervor, erweckt in ihnen gewisse Gefühle durch ganz abwegige und flüchtige Mittel, deren Wirkung auf unsere Seele völlig unbekannt ist. Doch obwohl die Theorie der schönen Künste im tiefsten Dunkeln liegt, liesse sich leicht eine Rangordnung unter ihnen aufstellen, an deren einem Ende die Bildhauerei, an deren anderem die Musik stehen würde. Der Bildhauer täuscht weniger als der Maler, der Maler weniger als der Dichter; der Musiker geht in seiner Täuschung am weitesten, und man muss feststellen, je mehr sich die Täuschung einer Kunst von der Natur entfernt und unbestimmt und mehrdeutig wird, um so stärker und mächtiger sind ihre Wirkungen auf unsere Seele. Der Bildhauer kann uns ergreifen und in Staunen versetzen, der Maler uns erschüttern, der Dichter uns entflammen und unsere Seel aufwühlen, der Musiker dieses Gefühl bis zum Taumel und zum Wahnsinn steigern. Diese Rangordnung ergibt sich ... genau aus den Mitteln, die jeder Künstler anwendet. Je unbestimmter sie sind, um so stärker regen sie die Phantasie an; sie machen sie sozusagen zur Teilnehmerin an allen Wirkungen. Ein ununterbrochener und allseitiger Reiz verbreitet die erlesenste Sinneslust über alle Punkte eines dafür empfänglichen Körpers; eine starke und bestimmte Berührung macht nicht denselben Eindruck. Deshalb ist die Macht der Musik am stärksten, wenn auch am wenigste bekannt. Wahrscheinlich werden wir nie wissen, welche Beziehung zwischen dem Ton einer Saite und dem Gefühl der Trauer oder Freude besteht, das er hervorruft. Wir werden nicht so bald erklären, wie der geniale Mensch, wenn er in göttlicher Begeisterung zur Leier greift, Gesänge schafft, die dem Gefühl entsprechen, das ihn beherrscht, und welche Verbindung bestehen mag zwischen dem Ziel, das er sich steckt, und den Tönen, die er erzeugt. Noch schwieriger dürfte es sein zu sagen, wie es ihm gelingt, Ihnen gewisse Naturvorgänge in Erinnerung zu rufen, nicht dadurch, dass er plump gleich unseren französischen Musikern das Getöse der Gewitter und Stürme, das Murmeln des Wassers usw. nachzuahmen sucht, sondern indem er - was manchmal in den Werken der grossen Meister Italiens und Deutschlands in Erstaunen setzt - durch eine bestimmte Melodieart die Vorstellung gewisser zarter, seltener Erscheinungen in Ihnen hervorruft obwohl keine merkliche Beziehung zwischen beiden Wirkungen zu entdecken ist und der Künstler sich sich auch nicht ausdrücklich vornehmen konnte, sie hervorzurufen, noch erwarten durfte, dass sie eintreten würden; denn, nebenbei gesagt, in den Künsten ist alles Glückssache, und die Forderung an alle Künstler fasst sich in zwei Worten zusammen: 'Habe Genie!'"74 Reflexion V. Die Natur wurde als der einzige ewig gültige und auch unbestechbare Richtweg gesehen. Dies kommt schon gleich zu Beginn von Youngs erstem Nachtgedanken zum Ausdmck: ,By Nature's law, what may be, may be now;"75. Grimm: Über die Rangordnung der Künste, in: Melchior Grimm, Paris zündet die Lichter an, München 1977, ö. 182ff 75 >" zitiert nach: http://eir.library.utoronto.ca/rpo/display/poem2414.hrml#l 31 XfZ^ffäxein neuer Antipol zur als ewig gültig definierten Macht der Kirche. Dies führte zur Po ularität des Pantheismus, der die Einheit von Gott und Natur propagierte, was aber keine Neuerscheinung des 18. Jahrhunderts ist. Natur konnte, wie von Grimm beklagt, nur als Urbild zur reinen Nachahmung dienen oder, als allen bekanntes Medium, Assoziationen und Reize hervorrufen. Musik als Assoziationsgrundlage verbarg in sich jedoch die Möglichkeit, subjektive Elemente zur Sprache zu bringen, eine Forderung, die so bislang im Barock nicht ekannt worden war. Jetzt war es dem Künstler möglich, sein persönliches, ja intimes Erleben von Natur auszudrücken. Subjektivität und Individualität waren und sind auf der Suche nach einer neuen Klangsprache ein wichtiger Impuls und zugleich Freischein all das in Frage zu stellen, was bisher als Konvention und den Regeln entsprechend beziehungsweise diese erfüllend galt. Subjektivismus hat jedoch stets auch etwas Riskantes, nämlich die Gefahr, nicht verstanden zu werden. Das war jedoch ein Risiko, dessen man sich bewusst war und das nicht als Problem des Musikers selbst, sondern der Reflexion auf diesen, empfunden wurde. Sulzer schreibt Mut zum Ich in der Kunst machend: Noch eine Anmerkung wollen wir diesen Betrachtungen für die Künstler hinzufügen, die würklich die Absicht haben nützlich zu seyn. Wir wollen sie warnen, bey den Empfindungen, die sie erweken wollen, allzusehr nach einem allgemeinen Ideal zu arbeiten. [...] Die Empfindung, die recht würksam werden soll, muß einen ganz nahen und völlig bestimmten Gegenstand haben. Es giebt freylich allgemeine Empfindungen der Menschlichkeit, die in allen Ländern, in allen Zeiten und unter allen Völkern gleich gut sind. Aber auch diese müssen bey jedem Menschen ihre besondere, seinem Stand und den nähern Verhältnissen, darinn er ist, angemessene Bestimmung haben. [...] Je mehr der Künstler die besondern Verhältnisse seiner Zeit und seines Orts vor Augen hat, je gewisser wird er die Sayten treffen, die er berühren will. Am allerwenigsten sollten sich die Künstler einfallen lassen, Gegenstände, die blos auf einen fremden Horizont abgepaßt sind, auf dem unsrigen aufzustellen. [...] Der Künstler trifft am gewissesten den Weg zum Herzen, der einheimische Gegenstände schildert, und der das Allgemeine der Empfindung durch Localumstände fühlbarer und reizender macht."76 Nur dieses Erkennen des eigenen Ichs, der eigenen Intention sprach Mut sich selbst zu sein und - zwar auf dem Rahmen der Tradition aufbauend, da diese immer Teil der Erziehung war - alte Formen zu erweitern oder neue Formen zu definieren. Subjektivität ist im 18. Jahrhundert zugleich Ausdruck des Nicht-Höfischen, des Bürgerlichen, solange dieses noch nicht als solches definiert war, womit es sich eben dann selbst wieder Fesseln anlegte. Nicht Höfisch und daher dem kulturellen Diktat eines Regenten nicht unterworfen, was ja z.B. am Hofe Friedrich II. zum Aufbegehren vieler Musiker führte und somit eine avantgardistische, nicht-höfische Gegenbewegung geradezu förderte. Und diese Ablehnung des Despotischen ist begleitet von dem Wunsch freier Künstler zu sein, wobei diese Freiheit nur eine scheinbare bleiben muss, denn es kommt zu einer Abhängigkeit vom Bürgerlichen, welches die Produkt, des Künstlers, seien es Gedichtssammlungen, Kompositionen oder dessen pädagogisches Geschick als gefragter Klavierlehrer, kauft und so dem Künstler suggeriert, ein freier zu sein. Dies ist zugleich Höhepunkt des Mäzenatentums, wobei der Künstler, ähnlich einer in heutiger Zeit populären Hockeymannschaft, wiederum zum Aushängeschild und Reklameträger des Mäzenen, sprich Sponzoren wird._ Johann Jacob Engel geht wie viele seiner Zeitgenossen weiter als die vernunftorientierte Denkweise der Aufklärung. Er, Hauslehrer der Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt und späterer Erzieher des Prinzen Friedrich Wilhelm, des späteren Königs Friedrich Wilhelm III., sieht in der Schrift Über die musikalische Malerei für die Instrumentalmusik die Möglichkeit zu Malen, jedliche Nachahmung von Naturlauten ist ihm " Sulzer, Sp. 57ff 32 wider Auch er sieht eine Reflexion dessen, was der Mensch beim Anblick der Natur findet in der Musik. Musik, die nur nachahmte, war ihm blosses Geräusch. Anstelle der Nachahmung spricht die Musikliteratur der Zeit von Ausdruck, wie sich im allerletzten Satz der Ideen einer Ästhetik der Tonkunst (1784/85) zeigt: .Auch die populäre Musik ist ohne Naturausdruck ein Aas, das mit Recht auf dem Anger begraben wird."77 Man lese in diesem Zusammenhang nochmals, was Koch 1802 über den Ausdruck schreibt. Jedoch kann keinesfalls von einem Verschwinden der barocken Affekten- oder späteren Nachahmunglehre die Rede sein, alle Formen existieren zeitgleich und so ist es bei der Betrachtung von Kompositionen wichtig zu wissen, mit welchen Auffassungen der jeweilige Tonkünstler konfrontiert wurde. Da fällt mir etwa Ludwig van Beethoven ein, dessen erster Kompositionslehrer Christian Gottlieb Neefe das Libretto Engels Der Apotheker vertont hatte, sodass Beethoven sicher mit Engels Ideen vertraut war. Dann fällt es nicti" schwer zu verstehen, warum Beethoven in die erste Violinstimme der Sinfonie Nr. 6 (1808) "Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerey." schreibt, ganz zu schweigen davon, dass diese Sinfonie als Pastorale bezeichnet ist. Bedenkt man, dass Reichardt als Ziel der pastoralen Idylle die Darstellung von sanfter Empfindung fordert (siehe Abschnitt: Idylle, S. 40) und zudem Beethoven die entspannteste aller Tonarten, F-Dur, wählt, versteht man, warum sich hier Beethoven eines Zitates bedient, das schon fast vierzig Jahre früher (!) Ernst Wilhelm Wolf im Vorwort zu seiner Operette Das Rosenfest (1771) geprägt hatte. Allein daran sieht man, welche paralelle Entwicklungen in der Musikästhetik einhergingen. Dies beweist selbst Engel, der - so fortschrittlich bei Betrachtung der Instrumentalmusik, deren Ziel es sei, Empfindungen und Bewegungen der Seele auszudrücken - dennoch Möglichkeiten einräumt, auf die alte Nachahmungsästhetik zurückzugreifen, wenn etwa Geräusche (Schlachtenlärm, Tierlaute, Gewitter) nachgeahmt oder Eigenschaften wie Hell und Dunkel, Schnelligkeit usw. beschrieben werden sollen. Auch hier sind somit die Antipole objektiven rationalen Erkennens und subjektiven emotionalen Empfindens definiert. Lassen wir zum Schluss dieses Abschnittes eine Quelle sprechen, welche letztgesagtes literarisch in Karl Philipp Moritz' Roman Andreas Hartknopf ansiriickV. „Hartknopf nahm seine Flöte aus der Tasche, und begleitete das herrliche Recitativ seines Lehrers, mit angemessnen Akkorden - er übersetzte, indem er phantasierte, die Sprache des Verstandes in die Sprache der Empfindungen; denn dazu diente ihm die Musik."78 „ Schubert, Ideen, S. 382 Kad Philipp Moritz: Andreas Hartkopf, Berlin 1786, S. 133 33 Musik und Medizin Patience and tranquillity of mind contribute more to eure our distempers as the whole art of medecin"7' schrieb Mozart am 30. März 1787 in das Stammbuch seines Logenbruders Johann Georg Kronauer. Als Musiker wusste Mozart, dass Musik und Medizin im 18. Jahrhundert untrennbar sind. Auch wenn es uns heute unverständlich vorkommen mag, so musste ein Komponist den Schulen des 18. Jahrhunderts nach einige Kenntnisse der Medizin haben. § 55 Die Natur-Kündiger wissen zu sagen, wie es mit unsern Gemüths-Bewegungen eigentlich, und so zu reden cörperlich zugehe, und es ist einem Componisten ein grosser Vortheil, wenn er auch darin nicht unerfahren ist. §. 56. Da z.E. die Freude durch Ausbreitung unsrer Lebens-Geister empfunden wird so folget vemünfftiger und natürlicher Weise, dass ich diesen Affect am besten durch weite und erweiterte Intervalle ausdrücken könne. §. 57. Weiss man hergegen, dass die Traurigkeit eine Zusammenziehung solcher subtilen Theile unsers Leibes ist, so stehet leicht zu ermessen, dass sich zu dieser Leidenschaft die engen und engsten Klang-Stuffen am fuglichsten schicken. §. 58. Wenn wir ferner erwegen, dass die Liebe eigentlich eine Zerstreuung der Geister zum Grunde hat, so werden wir uns billig in der Setz-Kunst darnach richten, und mit gleichförmigen Verhältnissen der Klänge (intervallis n. diffusis & laxuriantibus) zu Wercke gehen. §. 59. Die Hoffnung ist eine Erhebung des Gemüths oder der Geister; die Verzweiflung aber ein gäntzlicher Niedersturtz derselben: welches lauter Dinge sind, die mit den Klängen, wenn zumahl die übrigen Umstände (absonderlich der Zeitmaasse) das ihrige mit beitragen, sehr natürlich vorstellen lassen. Und auf solche Art kann man sich von allen Regungen einen sinnlichen Begriff machen, und seine Empfindungen daraufrichten. §. 60. Alle und iede Gemüths-Bewegungen her zu zehlen dürffte freilich zu langweilig fallen; nur die vornhemsten derselben müssen wir unberühret nicht lassen. Da ist nun die Liebe wol billig unter allen oben an zu setzen; wie sie denn auch in musicalischen Sachen einen weit grossem Raum einnimmt, als die andern Leidenschafften. §.61. Hirbei körnt es nun hauptsächlich darauf an, dass ein Componist genau unterscheide, welchen Grad, welche Art oder Gattung der Liebe er vor sich findet, oder zu seinem Unterwurff erwehlet. Denn die obenerwehnte Zerstreuung der Geister, daraus diese Gemüths-Neigung überhaupt und vornehmlich entstehet, kann sich auf sehr verschiedene Weise begeben, und alle Liebe kann unmöglich auf einerley Fuss behandelt werden.. §. 62. Ein Verfasser verliebter Sätze muss seine eigene Erfahrung, sie sey gegenwärtig oder verflossen, allerdings hierbey zu Rathe ziehen, so wird er an sich, und an seinem Affect selber, das beste Muster antreffen, darnach er seine Ausdrücken in den Klängen einrichten könne. Hat er aber von sothaner edlen Leidenschaft keine persönliche Empfindung, oder kein lebhaftes Gefühl, so gebe er sich ja nicht damit ab: denn es wird ihm eher in allen andern Dingen glücken, als in dieser gar zu zärlichen Neigung."80 schreibt Johann Mattheson in seinem Vollkommenem Capellmeister. Sechs Jahre später, veröffentlicht der später an der Universität Jena zu Namen kommende Mediziner Ernst Anton Nicolai (1722-1802) in Halle 1745, im Jahr seiner Promotion, eine Abhandlung über Die Verbindung der Musik mit der Artzneygelahrtheit. In seinem Vorwort begründet der Autor sein Vorhaben damit, das er sich habe „belehren lassen, dass alle Fäserchen des menschlichen Körpers ihre Töne hätten, die sich entweder wie die Consonantien oder Dissonantien in der Musik verhielten. [...] Mein Gott! wird man sagen, wenn es mit dem menschlichen Körper eine solche Beschaffenheit hat, dass sich die Tone der Fäserchen entweder wie die Consonantien oder Dissonantien verhalten; was sollte zwischen ihm und einem musicalischen Instrumente vor ein Unterschied seyn? und würde er wohl derselbe Körper, der er ist, zitiert nach: Mozart, Dokumente, S. 145. Geduld und Gelassenheit des Gemüts tragen mehr zur Heilung E!™' Krankheiten bei, als alle Kunst der Medizin. ohann Mattheson: Der vollkommene Capellmeister, Hamburg 1739, S. 16 34 nicht vielmehr in eine Violine verwandelt werden? [...] Wer es nicht glauben will, dass ein iedes oder nie ^.^^ habe, der lese nur die Schriften der Artzneygelehrten nach. Da wird er finden, sie sehr ofte von dem Ton des menschlichen Körpers reden, zum klaren Beweise, dass derselbe Mh^erdichtet sey. Der Ton von diesem und jenem Theile, heisst es, ist sehr schwach, man muss denselben wiederherstellen. Niemand wird zweifeln, dass diese Redensart aus der Musik her enommen ist. Ich will mich also bemühen, diese Sache weiter aus einander zu setzen. Unser Y'rner ist aus lauter Fäserchen zusammengewebt, und ich will sie mit den meisten Artzneygelehrten in drey Arten eintheilen, nemlich in Arterien-Muskel- und Nerven-Fäserchen. Alle diese befinden sich eben den Umständen, darinnen wir eine gespannte Saite auf einem musikalischen Instrumente antreffen. Sie sind elastisch und gespannt so, wie diese. Nun ist bekannt, dass eine gespannte Saite mit einer gewissen Geschwindigkeit zittern kan, und folglich einen Ton habe. Derowegen werden auch alle diese Fäserchen geschickt seyn mit einer gewissen Geschwindigkeit zu zittern und einen Ton haben Aber das schlimmste ist, dass sie keinen Schall von sich geben. Doch das thut der Sache keinen Eintrag. Genug, sie sind in Ansehung ihrer zitternden Bewegungen eben so, wie die Tone unterschieden. Will man es noch nicht glauben, so nehme man an, eine gewisse Art von Fäserchen, als die Nervenfäserchen hätten keinen Ton, was würde daraus folgen? Nichts anders, als dass der Mensch keine Empfindung haben würde, und was wäre denn das für ein Mensch? Es folgt dieses ganz natürlich. Denn hätten die Nerven keinen Ton, so könnten sie nicht in eine zitternde Bewegung gerathen, und es würden keine Empfindungen entstehen, indem diese lediglich davon herrühren. [...] Aber das ist noch nicht alles, ich bilde mir sogar ein, das der Mensch gesund sey, wenn alle Fäserchen eine ihrer Dicke und Länge dergestalt proportionirte Spannung besitzen, dass sich ihre Tone wie die Consonantien in der Musik verhalten, und kranck, wenn sie sich wie die Dissonantien verhalten [...] Da nun aus vielen Consonantien zusammengenommen eine Harmonie, und aus den Dissonantien, wenn sie bey einander sind, eine Disharmonie entsteht, so müssen die Tone der Fäserchen, wenn sie sich wie die Consonantien verhalten, eine Harmonie machen, und eine Disharmonie, wenn sie sich wie die Dissonantien verhalten. Solchergestalt bestehet die Gesundheit in einer Harmonie der Fäserchen, und die Kranckheit in ihrer Disharmonie."81 Nicolais Schrift muss den Anhängern der Empfindsamkeit in der Musik aus der Seele gesprochen haben. Musik wirkt auf die Nerven und der Schall des Tones verursacht einen Schall der Nerven, die Empfindung. So könnte man Nicolais Idee zusammenfassen. Es ist eine Art medizinische Beweisführung für die Fähigkeit, dass Musik beim Menschen Empfindungen hervorrufen könne. Im Kapitel Die Musik bringt in der Seele und dem Körper Veränderungen hervor schreibt Nicolai: „Wer in den Opern gewesen ist, der wird vielleicht an sich selbst wahrgenommen haben, wie starck die Musik in das Gemüth wircken kan. Sie macht nach ihrer verschiedenen Beschaffenheit die Zuhörer bald traurig, bald frölich. Bald treibt sie dieselben bis zur äussersten Wuth, und bald bewegt sie dieselben zum Mitleiden, dass sie sich bisweilen des Weinens kaum enthalten können. Auch so gar in dem Körper ereignen sich alsdenn viele Veränderungen. Man empfindet öfters einen starcken Schauer in der Haut, wenn man eine Musik anhöret. Die Haare richten sich in die Höhe, das Blut beweget sich von aussen nach innen, die äussern Theile fangen an kalt zu werden, das Hertze klopft geschwinder, und man höhlt etwas langsamer und und tiefer Othem. Alle diese Veränderungen werden stärcker, schwächer und hören entweder auf, oder es kommen andere an ihre Stelle, nachdem die Musik verändert wird."82 Man kann Nicolais Welt nur verstehen, wenn man die medizinischen Auffassungen des 18. Jahrhunderts kennt. Keinesfalls gehört Nicolai als aufgeklärter Mediziner zu denen, die Medizin im Zusammenhang mit Aber- oder Wunderglaube und den damit verbundenen Ritualen sehen. Im 26. Kapitel kritisiert Nicolai i onI^St Ant0n Nic°lai: Die Verbindung der Musik mit der Artzneygelahrtheit, Halle 1745, Faksimile Leipzig «WO, Vorrede ~ ibid, S. 20f 35 lauben und Betrügerey [...] Es ist ja heut zu Tage der Aberglaube noch nicht völlig aus der älx^n verbannet [.. ■] Wie viel sind nicht noch ietzo so gewissenhaft, dass sie alten Frauensperonen 1 ,i xiicbi als im abnehmenden Monde die Aderlass raten, wenn auch gleich mit der Verzögerung d'e Lebensgefahr verbunden ist? [...] Die Wurtzeln, welche in die Artzneyen kommen, müssen an ' sen Tagen ausgegraben werden, denn sonst thun sie keine Wirkung, anderer Alfantzereyen mehr B . «83 zugeschweigen. Zur Zeit, da Nicolai seine Schrift veröffentlichte, existierten drei Hauptströmungen, die sich zwar, historisch gesehen, chronologisch succesiv entwickelten, aber in gleicher Weise wie die Affekten-, Nachahmungs- und Malereitheorie und der damit verbundenen Verwendungen der Wörter Affekt, Leidenschaft, Empfindung zeitgleich ihren Fortbestand hatten. Es handelt sich um die Humoralpathologie, die Solidarpathologie sowie die Tonuslehre. Erstere beruhte auf der antiken Viersäftelehre (humores=Säfte), die als Ausgangspunkt der Krankheiten die Mischung der vier Kardinalsäfte, Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle, sahen, derer richtige Mischung (Eukrasie) Gesundheit oder falsche Mischung (Dyskrasie) Krankheit garantierten. In diesem Zusammenhang wurde auch das Wort Katarrh verwendet, das soviel wie Herabfliessen bedeutet und beschrieb die dem Körper wohltuende Entfernung des krankmachenden Schleims (Phlega). Im Gegensatz zur Humoralpathologie stand die Solidarpathologie, die sich auf die festen Teile des Körpers (solida) konzentrierte wobei den Nerven eine besondere Bedeutung zukam, die bei jeder Krankheit zuerst angegriffen werden und hierdurch die krankhafte Veränderung der Säfte hervorrufen. Jedoch stellte sich die Solidarpathologie jedwegliche Bewegung als mechanischen Ablauf vor, weswegen man die Solidarpathologen auch als Iatrophysiker bezeichnete, während die sich die Neuerungen der gerade aufblühenden Chemie zu Nutzen machenden Humoralpathologen als Iatrochemiker benannt wurden. Eine dritte und für Nicolai weit bedeutendere Auffassung ist die in den 40er Jahren (schon wieder dieses Jahrzehnt!) an Popularität gewinnende Tonuslehre. Nicolai hatte ja in Halle bei Friedrich Hofftnann studiert, der als Begründer dieser Lehre angesehen werden muss, welche, aus der Solidarpathologie hervorgehend, dieser eine gewisse Dynamik (in jene Zeit fallen auch die ersten Forderungen einer musikalischen Dynamik) zugesteht, d.h. jede Faser kann sich zusammenziehen oder ausdehnen, hat also einen ihr eigenen Tonus. Dies genau beschreibt Nicolai in seiner Vorrede, eben dass eine Beziehung zwischen den drei Fasersorten (Arterien, Nerven, Muskeln) bestünde und das Verhältnis dieser zueinander gleich den Saiten eines Instrumentes darüber entscheide, ob der Mensch gesund oder krank sei. Der Mensch - nicht der Körper. Das ist im Grunde das Revolutionäre dieser neuen Theorie, die besagt, dass der Tonus der Fasern Empfindungen hervorrufe, Leidenschaften wecke und somit eine Verbindung von Köper und Seele sieht. Dies bedeutet eine Abwendung vom somatischen Blickwinkel auf den psychologischen und entspricht dem der Iatromusik diametral entgegengesetzten Prinzip des Animismus, wie ihn Georg Ernst Stahl definiert. Hier steht die Seele (anima) im Vordergrund, der Einfluss der Affekte auf den Körper spiegelt sich in der Beziehung Körper-Seele wider. Im Gegensatz zu den Iatromusikem, welche durch Musik ausgelöste Veränderungen im Körper auf rein mechanischer Basis sahen, kommt es bei Nicolai zur Ansicht, Musik riefe Leidenschaften hervor, greife die Seele an, infolge dessen der Körper reagiere. Und auf dieser Basis kommt er zu einem Schluss, der in der Theorie der Empfindsamkeit sein Gegenstück hat: "~er Einfluss der Affecten in die Gesundheit und Kranckheit eines Menschen ist so gewiss und enbar, dass er von niemanden in Zweifel gezogen werden kan. Sie werden in angenehme, 36 nehme und vermischte eingetheilet, und die Erfahrung lehret, dass die Bewegungen im Körper. U h mit denselben verknüpft sind, entweder die zum Leben und Gesundheit nöthigen Verrichtungen verhindern, oder dieselbe befördern. Die erstem sind dem Körper schädlich, die andern ber nützlich und heilsam. Die Leidenschaften, welche die erstem Bewegungen, nemlich die, so die Gesundheit befördern, verursachen, sind die angenehmen, wenn sie nicht allzuheftig sind, als das Vergnügen eine massige Freude, Zufriedenheit, Vertrauen, Hoffnung und Liebe. Die andern Gemütsbewegungen weiche schädliche Bewegungen im Körper hervorbringen, sind die unangenehmen, vornemlich, wenn sie starck sind, als Traurigkeit, Zorn, Schrecken u.s.w."84 Und bezogen auf die Musik stellt Nicolai unter Berufung auf Gottscheds Kritische Dichtkunst fest dass die Leidenschaften verschiedene Tone haben, dadurch sie sich an den Tag legen. Da nun einige Tone diese oder jene Gemüthsbewegung ausdrucken so werden auch einige Tone geschickter seyn eine gewisse Leidenschaft zu erregen, als andere. Die Herrn Componisten werden dieses am besten wissen, was vor Tone und wie man sie vermischen müsse, wenn sie eine Leidenschaft hervorbringen sollen. Ich kann mich in diese Betrachtung nicht einlassen, weil ich die Kunst zu componiren nicht verstehe. Mir ist genug, dass ich weiss, dass dieses so seyn müsse. Die Erfahrung kan auch dieses alles rechtfertigen. Die weichen Töne klingen sittsam und traurig, die harten munter scharf und lustig. Jene können leichter die Traurigkeit, Demuth, Liebe und Zärtlichkeit erregen, diese aber sind mehr geschickt die Freude auszudrucken. Die kleine Tertie macht traurig, die grosse aber frölich. Eine Musikieiter ist an sich schon geschickter vielmehr diese als eine andere Leidenschaft zu erregen. Das liest sich ja genauso, wie mehr als dreissig Jahre später Johann Philipp Kimberger, ehemaliger Schüler Johann Sebastian Bachs, in seinem Lehrbuch Die Kunst des reinen Satzes (1776) schreibt: „Die kleine Terz traurig, wefirnüthig; die grosse vergnügt."86 Und hinsichtlich der Tonarten sei auf das Kapitel Ton- und Spielarten der Empfindsamkeit verwiesen. Im 20. Kapitel setzt sich Nicolai mit der Frage auseinander Ob die Musik die Gesundheit befördern und Kranckheiten verursachen kan.87 Er setzt gleich zu Beginn voraus, dass diese Überlegung „vielen sehr lächerlich und ungereimt vorkommen wird. [...] es ist einmahl für allemahl eingeführt, dass man den Patienten Tropfen und Pillen giebt, und jetzt will man auch so gar darinnen eine Änderung machen, und den Krancken statt der Pillen und Tropfen ein gewisses musicalisches Stück vorspielen lassen. In Wahrheit, das sollte recht artig ausehen, wenn ein Medicus vordem Bette des Patientens musiciren müsste". Dieses Bild greift (bewusst?) Wilhelm Ludwig Gleim in jener Anekdote auf, in welcher er selbst den infolge eines Duells verwundeten Ewald Christian von Kleist durch den Vortrag eines eben erdichteten Liedes so zum Lachen gebracht haben soll, dass diesem die Pulsader aufsprang und seinen verwundeten Arm vor dem „kalten Brande" bewahrte. „Der Wundarzt riihmte scherzend die Wirkung der Poesie"88 Da aber, so Nicolai, nun einmal bewiesen sei, dass Leidenschaften auf den Menschen Einfluss haben, könne man diese Dank der Musik erregen und so einen psychisch kranken Menschen heilen, etwa einen der tiefen Melancholie Verfallenen durch das Anhören freudiger Musik. Auch in Leopold Mozarts Versuch einer gründlichen Violinschule findet sich 1756 die Ansicht, das Temperament eines Schülers könne durch richtige Musikwahl korrigiert werden: »Manchesmal verstehet zwar der Lehrling die Eintheilung; es ist aber mit der Gleichheit des Tactes nicht richtig. Man sehe hierbey auf das Temperament des Schülers; sonst wird er auf seine Lebenstage erüorben. Ein fröhlicher, lustiger, hitziger Mensch wird allezeit mehr eilen; ein trauriger, fauler, und Jj ibid, S. 37f. g6ibid,S.31f. Johann Philipp Kimberger: Die Kunst des reinen Satzes, Berlin und Königsberg 1776-1779, Faksimile Büdesheim 1968, S. 103 g8 Nicolai, S. 34f. zitiert nach: Ewald Christian von Kleist: Ihn foltert Schwermut, weil er lebt, Berlin 1982, S. 303 37 . n;2er hingegen wird immer zögern. Lässt man einen Menschen der viel Feuer und Geist hat leich geschwinde Stücke abspielen, bevor er die Langsamen genau nach dem Tacte vorzutragen weis; g wird ihm das Eilen lebenslänglich anhangen. Legt man hingegen einem frostigen und S°hwermüthigen Maulhänger nichts als langsame Stücke vor; so wird er allezeit ein Spieler ohne Geist ein schläfriger und betrübter Spieler bleiben. Man kann demnach solchen Fehlern, die von dem Temperamente herrühren, durch eine vernünftige Unterweisung entgegen stehen. Den Hitzigen kann man mit langsamen Stücken zurück halten und seinen Geist nach und nach dadurch massigen: den langsamen und schläfrigen Spieler aber, kann man mit fröhlichen Stücken ermuntern, und endlich mit der Zeit aus einem Halbtoden einen Lebendigen machen."89 Natürlich findet sich bei Nicolai kein Rezeptbuch, welche Krankheit wie geheilt werden soll, mit Ausnahme der Behandlung des Tarantel-Bisses, der, wie in vielen Schriften behandelt, durch langes Tanzen geheilt wurde, sowie der Melancholie. Nicolai geht es darum nachzuweisen, dass die Tonuslehre und deren Spezifikum, der Ammismus, in direktem Zusammenhang mit der Musik gesehen werden müssen und sich so neue Wege öffnen. Leseprobe ,ßraun. Alles richtig, Dokterchen: jeder Mensch ist eine Welt für sich: eine Reihe von Vorstellungen, die von seinen Empfindungen so oder so, schwarz oder hell, schön oder hässlich gefärbt wird. Webson: Wie sehr zwingt mich meine kleine Erfahrung, Ihnen Recht zu geben! Einen Gegenstand, einen Gedanken, den in dieser Minute Traurigkeit begleitete, dachte ich in einigen darauf mit Gleichgültigkeit oder gar mit Vergnügen - Braun. Wenn das Wasser aus dem Kopfe herausgeweint, herausgeniest war, oder sich sonst abgeleitet hatte - Irwing: Mit einem Worte, wenn der Reiz aufhörte, der das Gleichgewicht der Lebensgeister unterbrach. Schärfe und Säure in den Säften giebt auch den Gesinnungen Schärfe, Bitterkeit, Säure. Vor unsem Augen mag die schönste Welt stehen, die schönste Musik unsere Ohren rühren, das vortreflichste Buch unsere Einbildung beschäftigen: wenn unsere flüssigen Theile nicht eben die gehörige Mischung und den Fluss haben, den Jeder nach seiner besondern Beschaffenheit braucht, um eine angenehme Empfindung zu haben, so kommt ihm die schönste Welt wie ein Grab oder wie ein langweiliges Ding, die schönste Musik geschmacklos, und das vortreflichste Buch ekelhaft vor."90 Johann Carl Wezel, Wilhelmine Arend, oder die Gefahren der Empfindsamkeit, Erster Band, Leipzig 1782 89 , ------ 90 opld Mozart: Violinschule, §10, S. 32 Z'tiert nach Sauder, Band III, S. 304 38 ie Suche nach neuen Formen Wirft man ab den 40er Jahren des 18. Jahrhunderts einen Blick auf die Entwicklung der deutschen Kultur, und hier vor allem der bürgerlichen, die im Vergleich zur höfischen oftmals weit fortschrittlicher und nach Neuigkeiten verlangender war, so zeichnet sich ein starkes Sich-Befreienwollen ab. Einerseits ist das sich nur langsam von den Wirren des Dreissigjährigen Krieges erholende Deutschland ein kulturelles Entwicklungsland, das von italienischen und französichen Kulturwerten geradezu besetzt wird, was zu einigen Ungereimtheiten im täglichen Leben fuhrt. (Ganz ähnlich, aber von amerikanischen Kulturwerten diktiert, zeigt sich Deutschland in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg.) Nimmt man als Spiegel dieser Zeit das höfische Leben, so trifft man ein Wirrwarr kulturellen Suchens an, welcher sich in der, auch finanziell, grossen Präferenz italienischer Musiker (Sänger im Speziellen) und Musiken auf der einen Seite und der Orientierung an französische Lebenweisen (Hofsprache!) auf der anderen Seite zeigt. Die Etablierung einer Bürgerkultur nimmt dieses höfische Vorbild zunächst auf. Für den heutigen Betrachter ist hierbei ein Blick in all jene, meist unter Anonym erschienenen kritischen Beschreibungen hilfreich, wie Karl Heinrich Krögens Freye Bemerkungen über Berlin, Leipzig und Prag aus dem Jahre 1785, wo es über Leipzig heisst: „Die Damen schreien auf den Promenaden das bisschen Französisch so laut, damit man hören soll, dass sie nicht von gemeinem Herkommen sind; das Deutsche sprechen sie heimlich, weil es gemeiner ist."91 Andererseits sieht man in den Elementen barocker Ausdrucksweise das Fehlen natürlicher Vorbilder, so z..B. das Aufbegehren gegen Schnörkel in der Architektur und die damit Hand in Hand einhergehende Begeisterung für antike Bauformen. In diese Zeit fallen erste Grabungen in Herculaneum und Pompeji. Keinesfalls verwundert in diesem Zusammenhang die drei Jahre vor dessen Ermordung 1755 (und in zweiter Auflage 1756) „nur für einige Kenner der Künste geschriebene"92, in Dresden und Leipzig publizierte Schrift Über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst von Johann Joachim Winckelmann, deren erster Satz eine Essenz der ganzen Idee darstellt: "Der gute Geschmack, welcher sich mehr und mehr durch die Welt ausbreitet, hat sich angefangen zuerst unter dem griechischen Himmel zu bilden."93 Dahinter verbarg sich jedoch nicht nur Kunstgespür, aber auch Politisches, war doch Winckelmann leidenschaftlicher Feind des Regierungssystems Königs Friedrich IL, und das hinter den ästhetischen Idealen versteckte politische demokratische System der Griechen musste m einem absolutistischen Preussen geradezu provokant wirken. Dies erklärt auch, warum sich gerade in Berlin ein, auf bürgerlicher Ebene, so bewusst sich von den Schnörkeln des sich an der französischen Literatur und italienischen Oper orientierenden teudalabsolutistischen Hofes abwendender Philosophen- und Künstlerkreis etablieren konnte, in dem einige Hofmusiker eine Oase für Ideen fanden, die sie am Hofe nicht realisieren urtten. Man darf keinesfalls vergessen, dass die militärischen Handlungen Friedrich II. schon " " -■ w'^irna^]!985C'1 K™^en" ^reye Bemerkungen über Berlin, Leipzig und Prag, 1785, Neuausgabe, Leipzig und „ Winckelrnann, S. 75 Winckelmann, S. 3 39 nach dessen Thronbesteigung 1740 für viele nun von Rheinsberg nach Berlin -h^ iedelten Musiker eine grosse Enttäuschung darstellten. Dort in Rheinsberg, wo Kronprinz Friedrich als Musenprinz Musiker und Philosophen um sich sammelte, um zu einer Hochburg des Avantgardistischen zu werden, wo zugleich jede solche Neigung vor dem 'litärisch orientierten Vater geheimgehalten werden musste und der Kronprinz „oft die Jagdt vorwendete, wenn er Musik haben wollte, und hielt seine Konzerte in einem Walde oder in einem unterirdischen Gewölbe."94, dort, wo jede noch so neue musikalische Idee willkommen war dort glaubte man, dass sich dieses kleine Laborator der Künste nach Regierungsantritt Friedrichs zu einem Leitfaden für die Entwicklung der doch wenigstens preussischen, wenn nicht gar deutschen Kunst werden könne. Alle die auf dem Schlosse wohnen, geniessen die ungezwungenste Freiheit. Sie sehen den Kronprinzen und dessen Gemahlin nur bei der Tafel, beim Spiel, auf dem Ball, im Konzert oder bei anderen Festen, an denen sie teilnehmen können. Jeder denkt, liest, zeichnet, scheibt, spielt ein Instrument, ergötzt oder beschäftigt sich in seinem Zimmer bis zur Tafel. ... Alle Beschäftigungen und Vergnügungen des Kronprinzen sind unvergleichlich. Er duldet den Widerspruch und versteht die Kunst, die guten Einfälle anderer zutage zu fördern." beschreibt der Hamburger Kaufmanns-Sohn Jakob Bielfeld im Herbst 1739 das Rheinsberger Schlossleben95. Dennoch war nach Regierungsantritt gerade das Gegenteil der Fall, was zur Flucht einiger Musiker, z.B. Jifi Czarths, oder deren wiederholte Kündigungseingaben führte, auf deren Erfüllung beispielsweise Carl Phillipp Emanuel Bach als Hofcembalist fast dreissig Jahre wartete. Reflexion VI. Nach eingehendem Studium der musikalischen Materialien des Berliner und Marrnheimer Hofes, wohin Jiri Czarth flüchtete, möchte ich behaupten, dass die vom Preussenkönig so geliebte, und von ihm in den Briefen an seine Schwester als Prinzessin bezeichnete Flöte, vom Rheinsberger Musenstab zum Berliner Regentenstab mutierte, was auch die Musizierpraxis am Berliner Hof beweist. „Herr Quantz hart bei dem Konzert heute abend nichts zu machen, als bei dem Anfang eines jeden Satzes mit einer kleinen Bewegung der Hand den Takt anzugeben, ausser dass er zuweilen am Ende der Solosätze und Kadenzen „Bravo?" rief, welches ein Privilegium zu sein scheint, dessen sich die übrigen Herrn Virtuosen von der Kapelle nicht zu erfreuen haben."96 Und Reichard erinnert sich in der von Hans Michael Schletterer verfassten Biographie: „In allen Abendkonzerten des Königs... war gewöhnlich kein Zuhörer."97Das Flötenkonzert als Ausdruck des Absolutismus im Kreise der ihn nur begleitenden Hofmusiker, wobei viele derer wohl die musikalische Bildung des Königs weit übertrafen, was ein Blick auf Friedrichs Werke beweist. Am Mannheimer Hof des ebenfalls Flöte spielenden Carl Theodors war das Flötenkonzert eher eine Ausnahme, aber es findet sich hier eine ganze Reihe von Sinfonien concertante, die Flöte im Reigen anderer Soloinstrumente, der Monarch im Zwiegespräch mit anwesenden Dialogpartnem. Welch ein Unterschied zu Berlin! Uberhaupt ist die Entwicklung der Kammermusik und der Opernensembles ein Weg zur emokratisierung. Diskussion, Dialog und Gedankenaustausch werden Teil des jj Bumey, S. 399 96 nach Ge°rg Holmsten: Friedrich IL, Hamburg 1969, S.30 ibid, S. 404 97 ibid, S. 404 zitiert nach Schleuning, S. 63 40 lylusikverständnisses, man denke an die Entwicklung des Quatuor dialóge, des dialogischen Quartetts-_____-_-—---- Zwischen dem Preussenkönig und seinem Hofcembalisten war es sicher öfters zu Spannungen ľ en was sich meines Erachtens auch in der Sonate für Flöte und Cembalo ( nrün°lich für Flöte Violine und Bc) in D-Dur (Wq 151, Potsdam 1747) darstellt, wo sich der König mit seinem Cembalisten auf gemeinsamen Haltenoten traf, die Bach dissonierend darstellte. Da versteht man sogar das von Bumey überlieferte Zitat, Friedrich II. habe die Musik seines Cembalisten nicht besonders „goutiert"98. Der Regierungssitz Potsdam scheint eine Hochburg des frederizianisehen, kulturellen Diktats gewesen zu sein, als dessen Urheber man ironisch den Hund der Eheleute Quantz ansah da Frau Quantz alles tue, um diesem zu gefallen, Quantz wiederum genauso auf seine Frau reagiere und der König selbst sich in all seinen musikästhetischen Äusserungen nach Quantz richtete, der in Schletters Reichardt-Biographie sogar als „sehr despotischer Regent"99 beschrieben wird. In Potsdam scheint auch keine besondere Lebensfreude geherrscht zu haben, Reichardt beklagt die „todte Ungeseiligkeit [...], die da herrschet. Man muss sich verwundern, dass, da doch zwey Höfe sich hier aufhalten, nemlich der König, und der Cronprinz, dennoch die Lebensart so ungesellig und todt ist. Vielleicht sind aber eben jene daran schuld. Von den Hofleuten scheut sich einer für den andern, und die Stadtleute selbst haben oft Ursache, sich für jene zu scheuen, und ihren Umgang zu fliehen."100 Berlin bot für Bach jedoch etwas ganz anderes. Hier traf er sich mit einem Zirkel der führendsten Dichter und konnte mit diesen Fragen der Wort-Ton Verbindung diskuttieren, was auch in den Liedern seinen Ausdruck fand. Die Freundschaft mit dem führenden Dichter der deutschen Anakreonik Johann Wilhelm Ludwig Gleim und dessen Kreis musste für Bach eine Oase sein, in der er sich von den absolutistischen Geschmacksregeln Friedrich II. befreien konnte. Gleim selbst beschrieb diese Oase in seinem Brief: „Ramler, Lessing, Sulzer, Agricola, Krause [...], Bach, Graun, Kurz alles, was zu den Musen und freyen Künsten gehört gesellte sich täglich zu einander, bald zu Lande, bald zu Wasser."101 Man mag sich diesen Klub von Musik-Literaten einmal vorstellen: Karl Wilhelm Ramler, Verfasser zahlreicher vertonter Texte, damals 33 Jahre alt, Gotthold Ephraim Lessing, mit 29 Jahren der jüngste im Bunde, Johann Georg Sulzer, der die Allgemeine Theorie der Schöner Künste 1771 herausgeben sollte, damals 38 Jahre alt, Johann Friedrich Agricola, altersgleich mit Sulzer, hatte ein Jahr zuvor die mit Kommentaren versehene Gesangsschule von Tossi in deutscher Sprache herausgegeben, Christian Gottfried Krause, mit 39 Jahren der Zweitälteste dieser Gruppe, der fünf Jahre zuvor sein gefeiertes Buch Von der Musikalischen Poesie veröffentlicht hatte, Bach mit 44 Jahren als Ältester und einer der Brüder Graun - das war kein Studententreffen, wie sich aus dem überschwenglichen Briefion vielleicht vermuten lassen würde. Nein, hier traf sich wirklich die moderne, geistige Elite Berlins und man kann neute nur bedauern, dass die Diskussionen dieser Gruppierung nicht dokumentiert worden sind. Denn keinesfalls vertraten alle die gleichen ästhetischen Ideale! Lessing, der die tekteneinheit in Kompositionen wünschte, muss von dem die Affektenvielfalt 93 99 100 101 Charles Bumey: A General History of Music, Bd. 4, London 1789, S.664 zitiert nach Schleuning,S. 62 Reichardt: Briefe I, S. 174f. nefvom 16. August 1758, zitiert nach Ortenberg, S. 93 41 ierenden Bach ganz schön provoziert worden sein. Lessing hat diese Ideale im 27. Pr. k seiner Hamburgischen Dramaturgie 1767, dem letzten Berliner Jahr Carl Philipp c uel Bachs vor dessen Übersiedelung nach Hamburg als Nachfolger seines Taufpaten Georg Philipp Telemann, so formuliert: Nun begreife ich sehr wohl, wie uns der Dichter aus einer jeden Leidenschaft zu der ihr " eeenstehenden, zu ihrem völligen Widerspiele ohne unangenehme Gewaltsamkeit bringen kann; thut es nach und nach, gemach und gemach; er steigt die ganze Leiter von Sprosse zu Sprosse, entweder hinauf oder hinab, ohne irgendwo den geringsten Sprung zu thun. Aber kann dieses auch der Musikus9 Es sei, dass er es in e i ne m Stücke von der erforderlichen Länge ebensowohl thun könne; aber in zwei besondern, von einander gänzlich abgesetzten Stücken muss der Sprung, z.E: aus dem Ruhigen in das Stürmische, aus dem Zärtlichen in das Grausame nothwendig sehr merklich sein und alle das Beleidigende haben, was in der Natur jeder plötzliche Uebergang aus einem Aeussersten in das andere, aus der Finstermss in das Licht, aus der Kälte in die Hitze zu haben pflegt. Jetzt zerschmelzen wir in Wehmuth, und auf einmal sollen wir rasen. Wie? warum? wider wen? wider eben Den für den unsere Seele ganz mitleidiges Gefühl war? oder wider einen Andern? Alles das kann die Musik nicht bestimmen; sie lässt uns in Ungewissheit und Verwirrung; wir empfinden, ohne eine richtige Folge unserer Empfindungen wahrzunehmen; wir empfinden wie im Traume, und alle diese unordentliche Empfindungen sind mehr abmattend als ergetzend." 102 In Berlin kommt es zudem zu einem Kontakt Bachs mit dem bereits genannten Philosophen Moses Mendelssohn, so dass anzunehmen ist, dass Bach dessen Überlegungen zur Empfindsamkeit und den Empfindungen kannte. Um die konservative Haltung Friedrichs II. zu beweisen genügt ein Blick in dessen Schlossgärten, die nach französischem Vorbild angelegt waren, was in den sechziger Jahren bereits als altmodisch galt. Denn natürliche Vorbilder sucht auch die Gartenarchitektur. Hier bedeutet dies der Abschied vom als künstlich empfundenen französischen Garten und die Zuwendung zum sogenannten englischen Landschaftsgarten. „Da ein Garten zum Vergnügen, ein Ort oder Gegend ist, wo so viel als möglich die Natur in ihrer Schönheit gezeigt wird, so muss man die Schönheiten der Natur so nachahmen, dass sie als würkliche Muster auftreten; deswegen ist alle Kunst, die so deutlich in die Augen fällt, und wohl gar, wie in denen französischen Gärten, natürlichen Gegenständen eine anderer Gestalt giebt, als wie sie der Schöpfer gebildet hat, und also ganz verunstaltet, gänzlich zu verwerfen. Der Garten muss also ein Ort seyn, welcher nicht durch Gleichheit in seinen Theilen, künstliche Pflanzungen, geschnittene Hecken und dergleichen, verräth, dass es ein Platz sey, der durch die Kunst eines Gärtners, und durch Hülfe einer Garten-Schnure, zu einem Garten gemacht worden ist; sondern er muss von der Natur allein gebildet zu seyn scheinen, und das Ansehen haben, als wenn sich die Natur bemühet hätte, alle ihre Schönheiten daselbst zu vereinigen."103 heisst es in der im Todesjahr Friedrich II. veröffentlichten Schrift Kurze Theorie der empfindsamen Gartenkunst oder Abhandlung von denen Gärten nach dem heutigen Geschmack. Ebenso freiheitsliebend wirft der Dichterbund um Gleim die Fessel des Reimes ab, 1747 erscheinen ins Deutsche übersetzt die reimlosen Oden des Horaz, 1749 das Prosagedicht „Der Frühling" von Ewald Christian von Kleist. Empfangt mich heilige Schatten! ihr Wohnungen 102 103 u, Hessings Werke, Bd. 7, Berlin s.a., S. 169 HOff. ^ Vogel: Kurze Theorie der empfindsamen Gartenkunst, Leipzig 1986, zitiert nach Sauder, Bd.3, S. 42 süsser Entzückung erhöhen Gewölbe voll Laub und dunkler schlafender Lüfte! Die ihr oft einsahmen Dichtem der Zukunft Fürhang zerrissen Oft ihnen des heitern Olymps azurne Thoren eröfhet Und Helden und Götter gezeigt; Empfangt mich füllet die Seele Mit holder Wehmuth und Ruh! O dass mein Lebensbach endlich Von Klippen da er entsprang in euren Gründen verflösse! ... Fantasie! Und die Musik steht dem keinesfalls nach. Weg mit dem Taktstrich! scheint das neue Motto als Entsprechung zur Literatur zu lauten. Als Beispiel sei nur das letzte Stück am Ende des zweiten Teils von Carl Phlipp Emanuel Bachs Klavierschule gezeigt: Ewald Christian von Kl eist: Sämtliche Werke, Berlin 1982 43 Dass hier ein Beispiel aus der Werkstatt C.Ph.E. Bachs gezeigt wird, ist nicht ohne Grund, denn wenngleich sicher nicht Erfinder der Fantasie, so hat er diese doch als erster in Form eines Druckes verbreitet. Das letzte der Achtzehn Probe-Stücke in sechs Sonaten, die er seinem Versuch anhängte, ist eine Fantasie c-moll die er erst später als „freye Fantasie" benannte. Mit der Verbreitung einer gedruckten Fantasie ging Bach neue Wege, schloss doch allein der Begriff des Fantasierens jedwegliche Dokumentation aus, war spontanes Ichbewusstsein der von Mattheson in seinem Das Neu-Eröffhete Orchestre mit „Stylus phantasticus" bezeichneten Ausdrucksmöglichkeit des Künstlers, welcher die Möglichkeit des Nachahmens und somit des Gedankenraubs fremder Ideen von sich selbst ausschloss. Bach übergibt dem Spieler seine Idee, einerseits um den Ausdruck an einem klaren Beispiel zu erläutern, andererseits um Anweisung, Inspiration und Mut für den eigenen Versuch zu sein. Bachs Vater Johann Sebastian hatte ja mit seiner Chromatischen Fantasie bewiesen, dass ein fantasierender Gedanke auch schriftlich festgehalten werden kann, der Weg zum allgemein zugänglichen Druck ist jedoch etwas neues, in gewisser Weise Apell zur Freiheit - ob das Friedrich II. auch so verstand? Man geht jedoch fehl, wenn man dies für eine deutsche Neuerung halten würde. Schon die französiche barocke Cembalomusik kannte solche Kompositionen, so etwa von Louis Couperin (1626-1661) in der mit non mesure bezeichneten Notationsweise. Beim Blick auf die oben aufgezeichte Fantasie Bachs darf man keinesfalls vergessen, dass es sich bei dem Weglassen des Taktstriches um eine formale Angelegenheit handelt. Auch muss ich betonen, dass dies eine, wenngleich wichtige, so jedoch nur optische Angelegenheit ist. Zwar schreibt Carl Philipp Emanuel Bach „Das Fantasieren ohne Tackt scheint überhaupt zu Ausdrückung der Affekten besonders geschickt zu seyn, weil jede Tackt-Art eine Art von Zwang mit sich führet." doch würde man fehl gehen zu glauben, nur diese optische Richtlinie sei Freibrief für eine freie Spielweise, wie ich weiter unten im Kapitel Empfindsame Spiel- und Tonarten nachweisen werde. Lesen wir, was Mattheson noch 1737 über die Fantasie schreibt: „Fantasies, oder Fantasie, deren Arten sind: die Bouraden, Capricci, Toccate, Preludes, Ritomelli etc. Ob nun gleich diese alle das Ansehen haben wollen, als spielte man sie aus dem Stege-Reiffe daher, so werden sie doch mehrentheils ordentlich zu Papier gebracht; halten aber so wenig Schrancken und Ordnung, dass man sie schwerlich mit einem andern Nahmen, als gute Einfälle, belegen kann. Daher ihr Abzeichen die Einbildung ist."105 Dabei ist sich Mattheson nicht sicher, ob die Fantasie „eine gewisse Gattung, ich weiss nicht, ob ich sagen soll, der Melodien, oder der musicalischen Grillen"106 ist. In den Augen C. Ph. E. Bachs bezeichnet man die Fantasie 1762, also ein Viertel Jahrhundert später, als „frey, wenn sie keine abgemessene Tacteintheilung enthält, und in mehrere Tonarten ausweichet"107. Auch Kleist Hess den ihn einengenden Reim weg, da er ihn als einzwängend empfand. sotem ist dies ein formales Ausbrechen, die wirkliche Neuerung ist jedoch der sich nun frei ergiessen könnende Inhalt. 105 106 107 m D Mattheson: Kem melodischer Wissenschafft, Hamburg 1737, Faksimile Hildesheim 1990, S. 122f. f1 i tj 1£ ? c^e Definition findet sich zwei Jahre später in Matthesons Der Vollkommene Capellmeister arl Philipp Emanuel Bach: Versuch über die wahre Art das Ciavier zu spielen, 2. Bd, Berlin 1762, Faksimile Wiesbaden 1986, S. 325 44 Reflexion VII. Sobald ich Kompositionen ohne Taktstrich sehe stellt sich mir die Frage - und dies wäre Thema einer eigenen Untersuchung - wann sich eigentlich in Deutschland das Wort „taktlos" etabliert und wann es eine negative Konotation bekommt im Sinne von einem Verstoss gegen den guten TON, den auch jemand angibt. Ist das ein Aufbegehren gegen das Sich-zu-frei-zei^en? Hierzu kenne ich nur ein Zitat: Wenn in französischen Schriften das Wort Tact vorkömmt, so wird dadurch nicht der musikalische Tact, [...] sondern dasjenige verstanden, was wir durch musikalisches Gefühl, Empfindung u.s.w. sagen." Friedrich Wilhelm Marpurg: Anleitung zur Musik überhaupt, und zur Singkunst besonders, Berlin 1763, S. 68_ Rezitativ Wie bei Darstellung der chronologischen Entwicklung der Wortverwendung „Empfindung" gezeigt wurde, spielte das Recitativ bei dieser Entwicklung eine wichtige Rolle, wo es ja zu einer detaillierten Auflistung der reinen und vermischten Empfindungen gekommen war. Dass man diese Auflistung gerade in einer Abhandlung vom Rezitativ unterbrachte, beweist die Bedeutung dessen für die Musik der Empfindsamkeit. Man denke nur an Grauns Gethsemane-Rezitativ in dessen Tod Jesu. Später, bei Untersuchung des Melodramas, wird noch von Mozarts Plänen einer Vermischung von Rezitativ und gesprochenem Text die Rede sein. Denn das Rezitativ bot - mit Ausnahme Frankreichs - von jeher grosse Freiheit in Rhythmik und Ausdruck. Der rezitativische Stil wird aus diesem Grunde in jeder ästhetischen Phase der Musikentwicklung bis weit ins 19. Jahrhundert diskuttiert, modernisiert aber nie als altmodisch empfunden. Mit Aufkommen der Instrumentalmusik nimmt sich auch diese dem Rezitativ an, da fällt mir die Assoziation Lieder ohne Worte ein. Denn durch die Übertragung rezitativischer Figuren in eine Instrumentalstimme wird die Bedeutung der Musik über den Text gestellt, man versteht, was gar nicht in Worten klingt. Zudem bietet das Rezitativ etwas, das in der melodischen Kunst als verpönt gilt, oder, wenn eingesetzt, seine besondere Bedeutung hat: die Tonwiederholung. Denn beim Sprechen verändert sich die Intonation weit weniger, als beim Singen. Betrachtet man Werke der Empfindsamkeit, fallen häufige Tonwiederholungen ins Auge, das Sein-Innerstes-Ausdrücken kann ja auf einem Tone weit besser erfolgen, als auf einer Folge von verschieden hohen Tönen, deren Harmonie vom Inhalt ablenkt. Als eines von vielen Beispielen sei der Dialog zwischen Flöte und Cembalo in Johann Christoph Friedrich Bachs Sonate D-Dur wiedergegeben, die 1777 in Riga, jener Stadt, wo Johann Gottfried Müthel als empfindsamer Komponist lebte, im Druck erschien: 45 Andante Die Aktualität des Rezitatives beweisen auch die sich mit diesem beschäftigenden Abhandlungen, eingangs erwähnte Studie in den Kritischen Briefen ist nur eines von vielen Beispielen, wie ein Blick auf Jifi Bendas kritische Überlegungen Über da s einfache Rezitativ, veröffentlicht im Band I (1783) des Magazins der Musik Carl Friedrich Cramers beweist. In seinem Beitrag kritisiert Benda das Rezitativ als langweilig, unnatürlich und unverständlich. Besser sei es, diese Worte zu sprechen, Überlegungen, die eben seine melodramatische Arbeit begründen, „die Music verliehrt selbst,wo man ihr alles aufopfert. [...] Die Seele, wenn es auf die Sprache ankommt, hat ihre eignen Töne, die sich durch musicalische nicht abmessen lassen". Somit verwirft Benda das recitativo secco, allein das recitativo d'accompagnato mit Orchesterbegleitung kennt er an, wohl da es die Ideale der Parakataloge realisiert. Ein weiteres Beispiel ist Über das Harmonische Silbenmass Dichtern melodischer Verse gewidmet von Joseph Riepel109, in welchem er dem Rezitativ mit 66 Seiten ebensoviel Raum gönnt, wie den danach besprochenen Arien. Das Rezitativ wurde wie die Fantasie und andere freie Formen zu einem Symbol der Freiheit, hier fühlten sich Komponist wie Interpret weniger gebunden. Die Freiheit ist ja ein wichtiges Symbol der Empfindsamkeit - man denke allgemein nur an die Anglomanie oder konkret an das „Viva la libertä"-Zitat in der 20. Szene von Mozarts Don Giovanni, die bis heute vielen Deutungsversuchen die Stirn bietet. Ich denke, auch hier kann die Empfindsamkeitsforschung eine ganz andere Erklärungsmöglichkeit bieten. Freiheit bedeutet nicht nur Freiheit 0» Kopf, sondern auch Freiheit auf dem Kopf, das Ende der Perückentürme, die immer einer werden, bis man sich auf seine eigenen Haare besinnt. Und das Korsett verliert auch zunehmend an einengender Bedeutung! , S.750-755 Faksimile: Wien 1996 46 Der Begriff der freien Form wird nach 1800 zu einem Begriff des Romantischen. Wie gtösst man heute auf Kritik110 an Antonín Rej chas in seiner L'art du compositeur 0 {- ie (Paris 1833) beschriebenen Definition von romantischer Musik, die er in sien Capriccien, Improvisationen und Rezitativen verwirklicht sieht. Romantisch steht hier nicht' um unserem heutigen Musikverständnis zu entsprechenden, diesem Anspruch kann keine Quelle genügen, das Wort romantisch entwickelt sich aus dem wohl von Hiller 1767 erstmals verwendeten Wort „romanisch", was im Sinne von romanhaft gedacht war, und bis zur Jahrhundertwende mutiert dieses Wort - wohl aus Angst vor Verwechslung mit dem romanischen Stil - zum „romantisch", etwa wenn 1800 Wilhelm Gottlieb Becker in seinem Seifersdorfer Thal 111 vom „Landschaftsmaler romantischer Gattung" spricht, dies also noch lange vor der heute definierten Epoche der Romantik. Romanhaft war alles was empfindsam, frei ungebunden, melancholisch war, also ganz im eigentlichen Sinne der „romantischen Definition" Rejchas. So nimmt es auch kein Wunder, dass Themen, die uns heute romantisch dünken, in der Zeit der Empfindsamkeit ausgeprägt waren, wie etwa die 1779 von Johann Georg Jacobi verfasste Winterreise, um nur ein typisches Beispiel zu nennen. Idylle Aus der französischen Paysannerie entwickelt sich die sogenannt Idylle, ein Musikstück, das die Musikwissenschaft weitgehend unbeachtet lies. "Der Hauptcharakter der Idylle ist das Sanfte. Gesang, Harmonie, Bewegung, und Begleitung muss daher immer sanft bleiben. Der Ausdruck jeder Empfindung, jeder Leidenschaft muss sanft bleiben."112 beschreibt Reichardt die Idylle, deren Hauptmotiv Schäferszenen sind, und fordert vier Hauptcharakteristiken: 1) Der Gesang muss "immer gefällig und fasslich, immer gleich weit vom Niedrigen und vom Erhabenen, von Armuth und Reichthum entfernt" sein. Ideal ist der Gesang des Liedes, Arien und Rezitative eignen sich nicht zu dessen Realisierung. Die Erhaltung einer Empfindung ist Ziel des Autors, "sehr verschiedene und von einander entfernte Grade der Empfindungen" sind nicht erlaubt. Ideal ist der "Gesang des Schäfers", der freudig oder traurig sein kann, aber immer "sanft bleiben soll. [...] Der Gesang der Freude muss nicht zu lebhaft, nicht wild seyn; der Gesang Traurigkeit nicht zu finster, nicht zu tiefeindringend seyn.". 2) Die Harmonie muss einfach sein, keine "schnellen, auffallenden Modulationen enthalten", andererseits jedoch über das Tonika-Dominante-Verhältnis hinausgehen, um nicht Einförmig zu sein. "Das anhaltende Lyrische verursacht dem Komponisten die grösste Mühe." Zum Asdruck der Freude dürfen nur Dur-Tonarten verwendet werden, die nicht nach Moll modulieren dürfen. 3) Das Tempo darf weder die "schwere, majestätische, sehr langsame Bewegung" noch "feurige, heftige, wilde Bewegung" anzeigen. Einheit der Bewegung sei höchstes Ziel, jedoch ohne zu langweilen, daher müssen diese "abwechseln, um nicht einförmig und langweilig zu werden, sie müssen aber so aufeinander folgen, dass sie ineinander fliessen". 4) Die Begleitung müsse so gewählt werden, dass sie den Instrumenten gewisse Rollen zuordne, wobei das ganze Opernorchester eingesetzt werden kann. Am Geeignetsten sind Holzblasinstrumente. "Flöten, bey lieblichen und völlig sanften Gesängen, zur Begleitung weiblicher Stimmen; Hoboen bey zärtlich rührenden Gesängen; die Bmrfl 9846 ^^ov^' Theoretische Ansichten Antonin Rejchas über die Oper, in: Colloquium musicologicum, IB llhehn Gottlieb Becker: Das Seifersdorfer Thal, Leipzig 1800, Auszüge in: Sauder I, S. 117 ichardt: lieber die musikalische Idylle, in: Kunstmagazin, S. 167 47 Waldhörner können bey dem Ausdruck der Freude zu den Flöten hinzukommen. Von den Fagotten kann man doppelten Gebrauch" machen, und zwar zur Begleitung anderer Holzblasinstrumente sowie "zur besondern Begleitung der männlichen Singstimmen". So entsteht ein pastoraler Klang, den beispielsweise Johann Christoph Friedrich Bach in seiner Kindheit Jesu realisiert und von dem Beethoven sicher jene Vorraussetzungen kannte, als er seine 6. Sinfonie Pastorale schrieb {siehe Kapitel: Nordismo, Abschnitt: Beethoven). Ideale Form der Idylle ist das Rondo, welchem sich C.Ph.E. Bach ausnehmend widmet. In jener Zeit muss eine ausgesprochene Rondo-Begeisterung geherrscht haben. "Das Rondeau, welches izt so sehr gemissbraucht wird, und wodurch man izt fast todt geküzelt wird." beschwert sich Reichardt über den Missbrauch des Rondos, welches nur da seinen Platz habe, "wo eine bestimmte angenehme Empfindung unterhalten und verstärkt werden soll." C.Ph.E. Bach hat zur Aufwertung des Rondos wesentlich beigetragen. Sinfonik Steht auf der einen Seite der Wunsch aus einem festen Rahmen auszubrechen, den Formrahmen zu sprengen, gibt es etwa bei der Sinfonik den Wunsch, ein zusarrimenhängendes Gesamtwerk und kein nur aus Einzelsätzen zusammengesetztes Werk zu schreiben. Hierbei muss man mit Blick auf die damalige Konzertpraxis jedoch bemerken, dass die aus Teilen zusammengesetzte Sinfonie zerstückelt werden und nach dem ersten Satz eine ganze Reihe anderer Musikstücke folgen konnte, bevor die übrigen Sätze folgten. Betrachten wir die Sinfonik Jiri Bendas und Carl Philipp Emanuel Bachs so ist die zunehmende Tendenz, eine Abhängigkeit der Sätze von einander zu schaffen, zu erkennen. Bei Bachs sechs Streichersinfonien Wq 182 von 1773 ist die zyklische Idee durch eine attacca-Vebindung der einzelnen Sätze gelöst, bei Benda endet der erste Satz oftmals mit einer Frage, die der zweite Satz beantwortet. 7 Oper Doch nicht nur diese relativ kleinen Formen sind der Suche nach neuen Formen jusgesetzt. Die Grossform der Musik schlechthin, die Oper, wird ebenfalls der Formfrage unterzogen. Nach dem Pariser Buffonistenstreit (1753) und den damit einhergehenden Streitereien, welche Sprache die für die Musik am geeignetste sei, die in Frankreich seit 1701 für grosse Auseinandersetzungen Anlass boten113 , stellte man sich in Deutschland nach längerer Zeit wiederum die Frage, ob die deutsche Sprache nicht auch zur Musik geeignet sei. Deutsch war in Opern vor allem zu Beginn der Opernentwicklung in Hamburg verwendet worden, wo 1678 das erste deutsche Opernhaus am Gänsemarkt eröffnet worden war. Sieht man von einigen Ausnahmen, wie der heute als verschollen geltenden Eröffhungsoper Adam und Eva von Johann Theile ab, spielte man mangels geeigneter Literatur Bearbeitungen französischer und italienischer Opern, wobei die Recitative meist ins Deutsche übersetzt, die Arien jedoch in Originalsprache gesungen wurden, später nahm der deutschsprachige Anteil zu, so etwa bei Händeis Almira (1705), wo 15 italienischen Arien bereits 45 deutsche gegenüberstanden. Doch deutsch blieb in und ausserhalb Hamburgs in der Oper eine Ausnahme.114 Da brauchte es schon den Antrieb eines Ausländers, nämlich des Musikschriftstellers Charles Bumeys, der bei seiner Deutschlandreise die Schönheiten der deutschen Sprache pries. Oder war das nicht ganz so, wie es Christoph Martin Wieland in seinem Versuch über das deutsche Singspiel 1776 darstellt? „Herr Burney, dessen musikalische Reisen durch Frankreich, Italien und Deutschland einige Zeit soviel Aufsehens gemacht, wundert sich mit Recht, dass er in allen Deutschen Landen, die er durchwandert, nirgends ein Deutsches lyrisches Theater angetroffen. [...] Viele [...] haben sich bereden lassen, und sind zum Theil noch immer sehr eifrig, es andern auch weiss zu machen, dass die deutsche Sprache sich nicht zum Singen schicke. Auch hierüber ist Burney einer ganz andern Meinung; und sein Urtheil verdient unsre Aufmerksamkeit um so mehr, da er weder unsre Sprache genug versteht, um ihre ganze Schönheit zu kennne, noch die mindeste Gelegenheit giebt, einer vorgefassten Zuneigung für Deutschland beschuldiget zu werden; er, der uns in seinem Buche noch lange nicht einmahl blosse Gerechtigkeit widerfahren Hess. „Ich erstaunte, (sagt er) da ich fand, dass die Deutsche Sprache, trotz ihrer häufigen Konsonanten und Gutturalen, sich besser zur Musick schickt, als die Französische." Und wo fand er dies? Der gute Doktor Musikus würde weniger erstaunt seyn, und die Sprache, welche Kaiser Karl der Fünfte (freylich kein Deutscher, wiewohl König in Germanien!) nur mit seinem Pferd wiehern wollte, in einem sehr hohen Grade musikalisch gefunden haben, wenn er die besten Lieder eines Hagedorn, Gleim, Utz, Weisse, Jakobi, Bürger, Hölty, und andere, und die Kandidaten eines Ramler oder Gestenberg hätte lesen und ganz empfinden können."1'3 Hier muss sich Wieland den Vorwurf gefallen lassen, nur die Rosinen aus Bumeys Kuchen gepickt zu haben, denn zwar ist dort jenes erwähnte Zitat zu finden, jedoch schreibt er am be Raguenet: Parallele des Italiens & des Francois, en se qui regarde de la Musique & les opera, Paris 1702 ecer de la Vieuville: Dissertatin sur le bon gout de la Musique d'Italie, de la Musique Francoise & sur les jpera veröffentlicht in Bonnet: Histoire de la Musique, Paris 1715 '^inCqUeS Rousseau: Lettre sur lamusique francaise,Paris 1753 1734^ ^teressantes 'úcht-Hamburger Beispiel stellt die zum Namenstag des Fürsten Questenberg zu Jaroměřice Václ au Seführte Oper Die sieben Himmels-Planeten und vier Elemente des mährischen Komponisten František jje Ica (^694-1745) dar, deren erster, die Planeten darstellender Teil in deutscher Sprache, deren zweiter, iis p, mente behandelnde, jedoch, da von Kindern gesungen, in tschechischer Sprache verfasst ist. t0Ph Mart>n Wieland: Sämmtliche Werke, Bd. 26, Leipzig 1796, FaksimileHamburg 1984, S. 231-235 49 hluss seiner Deutschlandreise von Hamburg aus: „Die Sprache der Deutschen hingegen t unter denen, die zur Musik am unbequemsten sind."116 Reflexion VIII. Die Frage, ob deutsch für Vertonungen allgemein und die Oper im Speziellen geeignet sei, war ja nicht nur eine Frage des nationalen Selbstbewusstseins, sondern rein klanglich ein Problem. Das Italienische mit seinem Reichtum an Vokalen, bot dem Sänger viel mehr Möglichkeiten die Fähigkeiten seiner Stimme auf ihm gut liegenden Vokalen zu demonstrieren, was ein entscheidender Schritt für dessen Durchbruch bedeutete. Damals wie heute gab es Opernsänger, die sich bei Darstellung derer Fähigkeiten, nicht gleichmässig bei allen Vokalen, sondern nur bei ihnen gut liegenden, zeigen konnten, was Marpurg in seiner Anleitung zur Musik und zur Singkunst kritisiert: J3ie Aussprache oder Pronuntiation muss richtig seyn, und sie ist es alsdenn, wenn man jede Silbe mit dem gehörigen Buchstaben, und mit dem gehörigen Accente hören lässt. [...] Man muss zu einem Worte nicht einen Buchstaben hinzuthun. Es ist also ein Fehler, wenn Deus in Deius; Alleluja in Nalleluja; Amen in Namen oder Jamen; Eleyson in Nelejson u. s. w. verwandelt wird."117 Dies sollten heutige Opernhäuser ihren Sängern als Bettlektüre empfehlen! Deutsch als Opemsprache war jedoch nicht nur patriotische Forderung, sondern stellte erstmals Literaten vor die Aufgabe, Operntexte zu schaffen, was ein völlig neues Betätigungsfeld bedeutete. Von Mozart wissen wir nicht nur dank dessen Werke, aber auch aus seinen Briefen, dass er die deutsche Sprache für ebenso sangbar hielt, wie die anderen gängigen Opernsprachen, wobei er zwischen den Zeilen zugesteht, dass diese Opemsprache für ihn mit mehr Arbeit verbunden ist: „ich - halte es auch mit den Teutschen. - wenn es mir schon mehr Mühe kostet, so ist es mir doch lieber. - Jede Nation hat ihre Oper - warum sollen wir Teutsche sie nicht haben? - ist die teutsche Sprache nicht so gut singbar wie die französische, und Englische? - - nicht singbarer als die Russische?"118 Schade, dass man sich mit diesen Briefzitaten zufriedenstellen muss und dass Mozarts Plan, ein musikästhetisches Lehrbuch zu schreiben, wie so viele seiner Pläne, keine Erfüllung fand: „Hätte lust ein Buch - eine kleine Musicalische kritick mit Exemplen zu schreiben - aber NB: nicht unter meinem Namen."119 Dem deutschen Operabesucher des 18. Jahrhunderts war es da nicht anders gegangen als dem heutigen, der bei Konfrontation mit einem dreistündigen Werk in einer ihm fremden Sprache sich der Gefahr ausgesetzt fühlte, zu wenig zu verstehen. Untertitel-Anzeigen gab es damals schon gar nicht. »Eine italiänische Oper ist, eigentlich zu reden, nichts anders als ein Concert; und ein Concert ey Stunden ist zu lang für diejenigen, die die Sprache nicht verstehen." schreibt Marpurg 1749.120 von i o^htrleS Bumey: Tagebuch einer musikalischen Reise, Bd. 3, Hamburg 1773, Nachdruck Wilhelmshafen ^«O, S.476 Fat- netrcl1 Wühelm Marpurg: Anleitung zur Musik überhaupt und zur Singlunst besonders, Berlin 1763, ™Omule Leipzig 1975 119 vfrf Briefe' Bnefv°m 15. Februar 1783 «aä, Brief vom 19. Dezember 1782 50 sich steigernde nationale Selbstbewusstsein findet seinen Niederschlag u.a. auch in den S tischen Phantasien (1778) des osnabrückischen Staatsmannes, Historikers und Publi-*rf ° Justus Moser, der mit diesen die Veränderung der Sitten und Gewohnheiten, der Kleidungen, der Diät, des häuslichen Lebens und der Erziehung protokollierte. Hierbei liess er auch die° Empfindsamkeit zu Wort kommen, etwa in dem Schreiben einer alten Ehefrau an eine junge Empfindsame. Mit der deutschen Sprache setzt er sich in dem Artikel Über die Verfeinerten Begriffe auseinander: Mein Müller spielte mir gestern einen recht atigen Streich, indem er zu mir ins Zimmer kam und sagte Es müssen vier Stück metallene Nüsse in die Polier und Pollerstücke gegen die Kruke gemacht werden auch haben alle Scheiben, Büchsen, Bülten und Splinten ine Verbesserung nötig, der eine eiserne Pfahlhake mit der Hinterfeder ist nicht mehr zu gebrauchen, und das Kreitau -„ - „So spreche Er doch deutsch, mein Freund! ich höre wohl, dass von Seiner Windmühlen die Rede ist, aber ich bin kein Mühlenbaumeister, der die tausend Kleinigkeiten, so zu einer Mühle gehören, mit Namen kennet." Hier fing der Schalk an zu lachen und sagte mit einer recht witzigen Gebärde: "Machte es doch unser Herr Pfarrer am Sonntage ebenso, er redet in lauter Kunstwörtern, wobei uns armen Leuten Hören und Sehen verging; ich dachte, er täte besser, wenn er wie ich seiner Gemeinde gutes Mehl lieferte und die Kunstwörter für die Bauverständigen sparte."121 Von da war es nur ein kleiner Schritt zur Zeitschrift Deutschland, die vom Komponisten, Musikschriftsteller und Literaten Johann Friedrich Reichardt ab 1796 (enthält aber in die 80er Jahre rückblickende Artikel) in Berlin herausgegeben wurde. Die Etablierung der deutschen Sprache in die Oper bedeutete lange nicht den entscheidenden Schritt zur deutschen Oper. Denn die Darstellungsprinzipien der grossen Oper trafen auf teils recht heftigen Widerstand. Hatte sich's nun der Mensch zum neuen Ziele gesetzt, der Natur gemäss zu agieren, so musste dies auch in der von Menschen dargestellten Oper der Fall sein. Johann Christoph Gottsched bezeichnete in seinem Versuch einer kritischen Dichtkunst 1751 die Oper als „das ungereimteste Werk, das der menschliche Verstand jemals erfunden hat. [...] Wenn wir eine Oper in ihrem Zusammenhange ansehen, so müssen wir uns einbilden, wir wären in einer anderen Welt: so gar unnatürlich ist alles. Die Leute denken, reden und handeln ganz anders, als man im gemeiner) Leben thut: und man würde für närrisch angesehen werden, wenn man im geringsten Stücke so lebete, als es uns die Opern vorstellen. Sie sehen daher einer Zauberey viel ähnlicher, als der Wahrheit; welche Ordnung und einen zulänglichen Grund in allen Stücken erfordert. [...] Ich schweige noch der seltsamen Vereinbarung der Musik, mit allen Worten der Redenden. Sie sprechen nicht mehr, wie es die Natur ihrere Kehle, die Gewohnheit des Landes, die Art der Gemüthsbewegung und der Sachen, davon gehandelt wird, erfordert: sondern sie dehnen, erheben, und vertiefen ihre Töne nach den Phantasien eines andern. Sie lachen und weinen, husten und schnupfen nach Noten. Sie schelten und klagen nach dem Tacte; und wenn sie sich aus Verzweiflung das Leben nehmen, so verschieben sie ihre heldenmässige That so lange, bis sie ihre Triller angeschlagen haben. Wo ist doch das Vorbild dieser Nachahmungen? Wo ist doch die Natur, mit der all diese Fabeln eine Aehnlichkeit haben?"123 Ja - sollte jetzt etwa in der Oper das Singen verboten werden? Dieser sich auf den ersten k Paradox anmutenden Frage soll geradezu revolutionäre Bedeutung zukommen. Denn wenn Gesang in bestimmten Lebenssituationen als Unnatürlich empfunden werden musste, Wle sollte man dann diese Situationen in einer Oper darstellen? Hierzu gab es zwei ssangspunkte: einerseits konnte man das Sujet so wählen, dass es nur zur Erheiterung der 120 121 122 123 nedrich Wilhelm Marpurg: Der ciritische Musikus an der Spree, Berlm 1749/50, S. 361 ustus Moser: Patriotische Phantasien, Osnabrück 1778, Nachdruck Leipzig 1986, S. 176 j°. aim Fnedrich Reichardt: Deutschland, eme Zeitschrift, Berlin 1796ff, Auswahl, Leipzig 1989 ann Christoph Gottsched: Versuch einer kritischen Dichtkunst, Leipzig 1751, S.739L 51 diente, wie es der Wiener Zeitkritiker Joseph Richter alias Pater Hilarion in seiner B'ldergalerie weltlicher Missbräuche (Frankfurt und Leipzig 1785) fordert: würde ich den öffentlichen Schauspielen schon blos deswegen gut seyn, weil sie zerstreuen, und "S° Gemüth erheitern; unsre Vorfahren giengen wenigstens blos des Lachens wegen ins Theater, und würden wohl auch vielleicht lachen, wenn sie sehen sollten, dass ihre Nachkömmlinge im Theater weinen. Andererseits konnte man all jene, unnatürliche Darstellung verlangenden Elemente aus dem Operngeschehen ausschliessen. Denn welche Empfindungen für Musikdarstellung geeignet zu sein schienen, war zentrales Thema vieler Musikschriften, wobei der des Berliner Krause unter dem Titel Von der Musikalischen Poesie 1753 veröffentlichten, eine zentrale Bedeutung zukommt. Im vierten Hauptstück Von den Empfindungen, Rührungen und Affecten, welche in der Musik hervorgestellet werden liest man: singen und musiciren, wenn Freude und Hofnung, Liebe, Traurigkeit, Schmerz und Verlangen sich unserer bemeistem. Wir thun es nicht, wenn Furcht, Verzweiflung, Klemmüthigkeit, Zorn und Neid das Gemüth in Unruhe setzen. Da man nun die letztbenandten Leidenschaften dennoch gleichfals in unsem Cantaten singend einführet, so fragt sich's, ob solches natürlich und erlaubt sey?"125 Das ist schon eine neue Forderung, Johann Mattheson war da 1739 noch ganz anderer Ansichten: „Was den Zorn, den Eifer, die Rache, die Wut, den Grimm, und alle denselben anverwandte gewaltige Bewegungen des Gemüths betrifft, so sind sie wircklich viel geschickter allerley Erfndungen in der Ton-Kunst an die Hand zu geben, als die sanfftmüthigen und angenehmen Leidenschafften, welche weit feiner behandelt seyn wollen."'26 Und Krause schreibt weiter: .Aristoteles sagt in seiner Poetick, es sey uns nichts natürlicher, als die Nachahmung, und da wir femer alles gerne abzehleten, und in eine gute Übereinstimmung brächten, so sey daher die Poesie entstanden. Anfangs machte man aber nur, über allerhand Vorfälle aus dem Stegereif Verse. Man suchte hauptsächtlich seine Empfindungen auf eine angenehme Weise auszudrücken. Ein Trinker machte den andern lustig; ein Betrübter lockte seinen Zuhörern Thränen aus; ein Verliebter suchte das Herz seiner Geliebten zu gewinnen; [...] Gleiche Bewandniss hat es mit dem Gebrauch der Musik gehabt. Ein heiteres Gemüth, Zufriedenheit, Vergnügen, und die Begierde zu gefallen, lehrte die Menschen singen, und musikalische Instrumente zu erfinden. [...] Man hat an der Musik immer mehr und mehr Geschmack gefunden, und der englische Zuschauer sagt auch, die Musik, Mahlerey, Baukunst, Poesie und Beredsamkeit müssten ihre Gesetze und Regeln von dem allgemeinen Geschmack des menschlichen Geschlechts herleiten, nicht aber von den Grundsätzen solcher Künste selbst. Dem ohngeachtet aber, je weiter ein Affekt von dem ursprünglichen Gebrauch der Musik entfernt ist, je seltener muss derselbe in der musikalischen Poesie vorkommen. Es gehört dahin der Zorn, die Raserei, die Verzweiflung. Zwar gefallen uns auch zuweilen die finstern Empfindungen der Traurigkeit, und wir singen mit Vergnügen Lieder, die diese Gemüthsbeschaffenheit abbilden. Aber wir singen doch nimmer von uns selber in den höhern und bestimmtem Graden dieser Leidenschaft, im Zorn und in der Verzweiflung; folglich sind auch die Vorstellungen solcher Leidenschaften nicht eigentlich musikalisch, ob gleich ein Zorniger sich ebenfals in seiner Wuth gefält, und es uns, wie jj-g *? ^^Snügen erwecket, wenn wir bey einem, diese Gemüthsbewegung ausdrückendem Stücke, e gluckliche Nachahmung derselben gewahr werden. [...] Alles was Furcht und Grauen erwecket, die gar zu heftigen Leidenschaften des Zorns und der Rache, Zänkereyen, mörderische Handlungen, Schm"yen' UIK* 3^eS Sewa^tsame Wesen ist auch gar nicht musikalisch. Grobe Scheit- und C ähw°rte, niederträchtige Scherze, und dergleichen sind nirgends, also auch in der Musik nicht 124 125 CrtTst^lIa"°n:-Bildergalerie weltlicher Misbräuche,, Frankfurt und Leipzig 1785, Faksimile Dortmund 1977 126 Jon15*1311 Gottfried K^use: Von der Musikalischen Poesie, Berlin 1753, Faksimile Leipzig 1973. S. 69. nann Mattheson: Der vollkommene Capellmeister, Hamburg 1739, S. 18 52 Heulen Schreyen, Brüllen, Zischen, Rasseln und so weiter, mit schönen Menschenstimmen schön. fingen Instrumenten, nach dem Tact und nach der Kunst vorzustellen, ist gleichfalls ein und mit anmui^B Widerspruch. war neu in der Sichtweise der Leidenschaften, Empfindungen, Affekte, diese auf Grundlage der bekannten Zweiteilung in gute und schlechte nun neue Einteilung in für die Musik brauchbare und unbrauchbare. Und dies in Verbindung mit dem Gedanken, nur gute Leidenschaften und deren Darstellung hätten auf den Menschen positiven Einfluss: Man hat die Leidenschaften schon lange in sanfte und heftige eingetheilt. Zu den erstem, welche " wohnlich Affekten oder Gemüthsbewegungen genannt werden, gehört das Wohlwollen, das Mitleiden, die Dankbarkeit, und überhaupt alle tugendhaften und unschuldigen Neigungen. Zu den letztem zählt man den Zorn, den Hass, den Geitz, die Ruhmsucht, die Rache, übertriebene Freude oder Traurigkeit, und überhaupt alle lasterhaften und übermässigen Leidenschaften; welche wir, die Griechen nachahmend, im engen Sinne des Worts Leidenschaften nennen können. Die erstem sind der Seele heilsam, die letztem gefährlich."128 schreibt James Beattie in seinen Grundlinien der Psychologie, natürlichen Theologie, Moralphilosophie und Logik, die von keinem geringerem als Karl Moritz ins Deutsche übersetzt und 1790 in Berlin veröffentlicht wurden. Diese Einteilung der Leidenschaften findet sich ganz ähnlich in Christian Friedrich Daniel Schubarts Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst (geschrieben 1784/85, veröffentlicht 1806 in Wien): „Jeder Ton ist entweder gefärbt oder nicht gefärbt. Unschuld und Einfalt drückt man mit ungefärbten Tönen aus. Sanfte, melancholische Gefühle, mit B Tönen; wilde und starke Leidenschaften, mit Kreuztönen"129 Mit „gefärbt" meint Schubart die Töne mit Akzedenzien. Man sieht also, dass der Weg zur deutschen Oper nicht nur Formsache ist, sondern dass die Frage des Inhalts der Affektdarstellung im Vordergrund steht. Inhalt und Sprache wären ausdiskutiert. Was aber mit der Form? Wieland versuchte eine deutsche ernste Oper zu etablieren. Das Singspiel nennt er „eine neue Gattung"1'", die alles vereine was man von einem Schauspiel erwarte, nur mit dem Unterschied „dass die Musik gleichsam die Sprache des Singspiels ist."131 Voraussetzung für das Funktionieren eines Schauspiels sei ein „bedingter Vertrag des Dichters und Schauspielers mit den Zuschauern", sodass für das Singspiel dasselbe gelten müsse, um von vornehinein der Kritik zu entgehen, „dass Iphigenia oder Dido, oder Alceste, wirklich nach Noten singend, unter Begleitung von Bässen, Violinen, Flöten und Hoboen, gestorben seyen; wir verlangen nicht von euch, dass ihr poetische, musicalische und dramatische Nachahmung, und ein dadurch entstehendes Ideal für die Natur selbst halten sollt." Das Sujet dürfe keinesfalls politisch sein, müsse „grosse, moralische Karaktere, erhabene Gesinnungen, edle Kämpfe zwischen Tugend und Leidenschaft" bieten, die sich eben in der Heroik finden, »weil alles, was diese Zeit so stark von der unsrigen abstechen macht, zusammen genommen, ein etühl des Wunderbaren in uns erregt." [...] Und warum nicht auch von denen aus der poetischen die ve'^ ~ Wohl verstanden, dass darunter weder die metafysischen Seladons am Lignon, noch ie galanten Schäfer des Fontenelle, noch die faden, langweiligen Hirten in unsem ehmahligen m Krause, S. 69ff. End0"!? ^eattie: Grundluiien der Psychologie, natürlichen Theologie, Moralphilosophie und Logik. Aus dem ■Ju Und Anmerkungen und Zusätzen begleitet von Karl Philipp Moritz, 1. Band, Berlin 1790, zitiert «ach Sauder, Band I, S. 134 ibid I* Wieland, S. 244 lbid, S. 245 53 . i sondern eine Art von Hirten gemeint sind, wozu uns die Natur selbst die Originale h hat' und in manchem glücklich unbekannten Winkel des Erdbodens noch giebt. Die ^häferwelt der Dichter, das selige Hirtenleben der ältesten Menschen, wovon die Arkadien unsers ctsneTs das Ideal ist.'' und: auch nicht alle Leidenschaften schicken sich gleich gut dazu, durch Gesang und Musik gehörig " druckt und karakterisiert zu werden. [...] Die Musik - dieses ist, däucht mich, hierin das grosse entscheidende Naturgesetz! - die Musik hört auf Musik zu seyn, so bald sie aufhört Vergnügen zu machen Alles zu verschönern, was sie nachahmt, ist ihre Natur. Der Zorn, den sie schildert, ist der Zorn des Engels, der den aufrührerischen Satan in den Abgrund s[t]össt; ihre Wut ist die Wut der Liebesgöttin über den eifersüchtigen Mars, der ihren Adonis getödtet hat. Die Wut des Ödip, der sich in seiner Verzweiflung die Augen ausreisst, und dem Tage seiner Geburt flucht, ist ihr untersagt. Alle Gegenstände, die keine gebrochene Farben erlauben, alle wilden stürmischen Leidenschaften, die nicht durch Hoffnung, Furcht oder Zärtlichkeit gemildert werden, liegen ausser ihrem Gebiet." Krause, ik hör dir trapsen! Und dann klingt Wieland sehr empfindsam: Welches sind die Szenen, wo der Komponist seinem Genie einen freyen kühnen Flug erlauben, wo die Musik ihre ganze seelenbezwingende Macht ausüben kann, wo wir ganz Ohr, ganz Gefühl sind, wo unsre Herzen sich erhitzen, glühen, schmelzen? Sind es nicht diejenigen, wo der Dichter und der Tonkünstler, mit vereinigten Kräften, uns von einer Empfindung zur andern, einer Stufe des Affekts zur andern, mit sich fortreissen, und nicht eher ablassen, bis sie uns in eben dieselben Bewegungen gesetzt haben, wovon die handelnden Personen selbst durchdrungen sind? Sind es nicht alsdann nur wenige Worte, oft nur ein einziges Wort, ein Ton, ein Blick, eine Bewegung mit der Hand, die uns das Herz umkehren. [...] Indessen ist doch nicht zu läugnen, dass, in so fern im Singspiele Musik und Gesang eine Art von idealistischer Sprache ausmachen, die über die gewöhnliche Menschensprache weit erhaben ist, - dass schon aus dieser Ursache etwas in der Natur desselben liege, womit wir den Begriff des Wunderbaren zu verknüpfen uns nicht enthalten können. Wenn wir uns einen würdigen sinnlichen Begriff von einer Göttersprache machen wollten, so müsste es, däucht mich, diese musikalische Sprache seyn." Vom Dichter fordert Wieland 1) einfache Handlung, 2) Charaktere, die so gewählt sein müssen, dass sie „durch musikalische Verschönerung nichts von ihrer Wahrheit verlieren.", 3) einfacher Plan mit so wenig als möglichen Personen und ,,Endlich, 4) dass er hauptsächlich dahin zu arbeiten habe, seine Personen mehr in Empfindung und innerer Gemüthsbewegung als in äusserücher Handlung darzustellen." Empfindsamkeit, die Darstellung des Inneren, ist also auch bei Wieland oberstes Gebot. Alles in allem strebt Wieland nach Aufwertung des dichterischen Teils und kritisiert abschliessend, sich^auf Francesco Algarottis Vergleich von Oper und Singspiel Saggio sopra l'opera in musica berufend, dass „Ouvertüren [...] mit dem Stücke selbst gemeiniglich nicht die mindeste Verbindung haben" sowie „die gewöhnliche Vernachlässigung des Recitativs, über welches gemeiniglich Komponist und Sänger, als über etwas ihrer Aufmerksamketi und Kunst unwürdiges, so schnell als möglich wegeilen." Sein Ideal der durchgearbeiteten Oper Sle * er belang in Glucks Werk, nur die deutsche Sprache sollte noch berücksichtigt werden. f ^e unklar in jener Zeit die Definition einer deutschen Oper ist, zeigt allein ein Blick Verz 0ZaitS Werk Bastien und Bastienne (1768)> welches Vater Mozart, Leopold, im erzeichnis der Werke seines Sohnes als Operette bezeichnet, im Sinne der Definition ~-'----- ngrnal Livorno 1763, erschien 1769 in den Wöchentlichen Nachrichten Johann Adam Hillers, Berlin 54 • r Musikwissenschaft handelt es sich um ein Singspiel. Die Frage nach der keUÜ^hnung Oper kann aber auch nicht von der Hand gewiesen werden, denn Mozart hat (für 1 Vi n Anlass?) einige der ersten Zwischentexte als Rezitative vertont, dieses Modell aber we zuende gebracht.133 Wenn Leopold Mozart sich für das Wort Operette entscheidet, so m ft er eine immer bedeutender werdende Form auf, die sich aus die Höhenflüge der höfischen oder gutbürgerlichen Oper sarkastisch parodisierenden Sprechstücken der unteren Volksschicht entwickelte. Beispiele wie das französische Vaudeville oder die von J.Gay und Johan Christopher Pepusch erfasste Beggar's Opera gehören hierzu. Berthold Brecht und Kurt Weill griffen letztere mit ihrer Dreigroschenoper (1928) auf. Und an derben Ausdrücken, wie dem sich so oft wiederholenden „zum Geier!", fehlt es ja bei Mozart nicht. Diese Entwicklung geht Hand in Hand mit jener der Empfindsamkeit in der Musik. 1743 kommt in Berlin nach englischer Vorlage die deutsche Version der Operette Der Teufel ist los aus der Werkstatt Weisse/Standfuss auf die Bühne und feiert bis hin nach Leipzig grosse Erfolge. Mit dem musikalischen Einsatz Adam Hillers wurde die Form mit Lottchen am Hofi (1744) musterhaft. Mit der Operette, die sich einer heute nur wenig dokumentierten Beliebtheit erfreute, kam schliesslich auch das bürgerliche Leben auf die Bühne, ob Stadtschreiber, Apotheker, Lehrer, Bürgermeister, allen wurde auf der Bühne nachgespielt, tägliche Probleme wurden in leichten liedhaften Arien und Rundgesängen verwaschen gezeichnet. Das war Musik zum Nachpfeifen, wodurch die Operette eine unglaubliche Beliebtheit erfährt und zur Popmusik des 18. Jahrhunderts wird. Für die Anhänger des tiefschürfenden „körnichten"134 norddeutschen Geschmacks waren „Lieder und elender Operettensingsang"1''5 ein Greuel, die „fast allen Geschmack an emsthafter Musik verdrängt zu haben [scheinen...]" Reflexion IX. Man kann verstehen, dass der nordeutsche schwere Stil vielen Leuten einfacherer Herkunft auch im Norden zu kompliziert war, dass der Wunsch nach Verständlichkeit dominierte, was Reichardt bestätigt, wenn er in einem Vergleich den beliebten „allgemein gefälligen Componisten" Graun dem „Lieblingsdichter der Nation" Geliert gleichstellt, und im Gegensatz hierzu Bach, „der nicht so singet, dass ihr bey Anhören seiner Stücke glauben könntet, so hätte ich die Verse auch gesungen" mit Klopstock vergleicht, um zu dem Resümee zu kommen: „Bach will ebenso wenig Allen gefallen, als es Klopstock will."136 Dies drückt im Grunde auch C.Ph.E. Bach selbst aus, wenn er von Kritikern fordert, dass diese „wenn sie auch ohne Passionen, wie es doch selten geschieht, schreiben, sehr oft mit den Kompositionen, welche sie recensiren, zu unbarmherzig umgehen, weil sie die Umstände, die Vorschriften and Veranlassungen der Stücke nicht kennen.Wie gar sehr selten trift man bey einem Kritiker Empfindung, Wissenschaft, Ehrlichkeit, Muth im gehörigen Grade an. Vier Eigenschaften, die in hinlänglichem Masse bey jedem Kritiker schlechterdings seyn müssen. Es ist dahero sehr traurig für das Reich der Musik, dass die sonst sehr nützliche Kritik, oft eine Beschäftigung solcher Köpfe ist, die nicht mit allen diesen Eigenschaften begabt sind."137 133 134 vg . Andreas Kröper: Bastien und Bastienne, Programmheft der Alpenoper Arosa 2002 sächsisT NiC0laus Forkel: Musikalischer Almanach für Deutschland auf das Jahr 1782, S. 111 über den q /SC en Hoflautenisten Sylvius Leopold Weiß, dessen Compositionen seien "in dem ächten und körnichten 135 C l F°k geschrieben> wie ungefehr die Ciavier-Arbeiten des sei. Joh.Seb.Bach" 136 *nednch Cramer: Magazin der Musik, Hamburg 1786, S. 880 137 lc «täte bishier: Reichardt: Briefe I, S. 112f. öach-Dokumente (Westphal), S.36 55 ielt natürlich das zunehmend an Musikproduktionen teilnehmende Bürgertum eine welches ein ganz anderes Musikverständnis fordert, als es innerhalb eines Kreises von ^^^v^ms^^tzt werden konnte.____ So bekam Deutschland zwar seine Oper, aber es war die komische. Alle Träume einer deutschen ernsten Oper blieben ein wenig ausgeträumter Schlaf. Am Mannheimer Hof kam es, angeregt durch die Weimarer Zusammenarbeit des Librettisten Wieland mit dem Komponisten Anton Schweitzer (dem späteren Nachfolger Jifi Bendas in Gotha), deren weit diskuttiertes Produkt die Singspiele Alceste (1773) und Rosamunde (1778) darstellen, zu neuen Versuchen eine ernste deutsche Opera seria zu schreiben. Rückblickend muss man jedoch betonen, dass es, einhergehend mit den Idealen der Empfindsamkeit in Deutschland, schon früher deutsche Operndichtungen gab, wie Adolph Scheibes Thusnelda von 1749 oder F. Müllers „Niobe" (??) beweisen. Auch in Mannheim war Alceste gegeben worden und hatte bei Churfürst Carl Theodor den Eindruck verstärkt, einen weiteren Versuch einer deutschen opera seria unterstützen zu müssen, was er mit dem Auftrag an Anton Klein (Libretto) und seinen Kapellmeister Ignaz von Holzbauer realisierte. Das Produkt, die Oper Günther von Schwarzburg (1776), schöpfte zudem aus den Sagen der deutschen Kaisergeschichte, war sich also aufgrund eines vaterländischen Charakters seines Erfolges sicher. Wengleich die Musik Holzbauers, in welcher er „Deutschheit mit welscher Anmuth colorirt" sehr bewundert wurde, war das Libretto grosser Kritik ausgesetzt. Dennoch wird Günther von Schwarzburg heute zu den besten deutschsprachigen Opern des 18. Jahrhunderts gezählt — kein Wunder, gab es doch nur ein paar wenige. Die Anhänger der Empfindsamkeit, die sich mehr und mehr von jedlicher Rationalität distanzierten, um im literarischen Sturm und Drang aufzugehen, Hessen an WielandVSchweitzer kein gutes Haar. Einer von diesen, Joseph Martin Kraus, der spätere Kapellmeister der Stockholmer Hofoper, verfasste die anonym erschienene Schrift Etwas von und über die Musik fiirs Jahr 1777, die unter anderem eine starke Ablehnung des Wieland-Schweitzerischen Konzepts ist. Dies verwundert nicht, zählte sich doch Kraus zu den Anhängern des sogenannten Göttinger Hainbundes, zu welchem auch einige der in diesem Buch gelobten Literaten wie Friedrich Hahn, Graf Stolberg, Johann Heinrich Voss, Ludwig Hölty und Maler Müller zählten, ein Göttinger Studentenbund, der sich gegen die rationalen Aspekte der Aufklärung auflehnte und in KlopStocks heroischer Epik ein Vorbild sah. Ein Extrem der Empfindsamkeit in der Musik Angesichts der in unserer heutigen, stumpfen Zeit noch lebendigen Sensibilität für ablenkombinationen gewisser Jahreszahlen kann ich nur erahnen, welche Symbolik der Mensch des 18. Jahrhunderts in dem dreifachen Aufkommen der Sieben im Jahr 1777 sehen musste. Die Sieben, welche durch die Summierung der die göttliche Trias darstellenden Drei mit der das Weltliche symbolisierenden Vier (die vier Elemenete, die vier Jahreszeiten) zustandekam, nun sogar dreimal hintereinander, muss schon zu den verschiedensten P ulationen Anlass gegeben haben, und es wäre Aufgabe einer anderen Arbeit, dies gehender zu untersuchen. Diese Jahreszahl findet sich eben auch im Titel der erwähnten Chnft Von Joseph Martin Kraus. 'Schub art: Ideen, S. 131 56 Schrift ist noch weit stärker als Schubarts Ideen ein die Ideale einer rein findenden und empfundenen Musik proklamierendes Schriftstück, wobei man sich, dank einP Satire und Humor, beim Lesen an vielen Stellen auch heute nicht das Lachen kneifen kann. Der Bedeutung dieser Schrift wegen, und zum Trotz der heutigen V^v ntnis dieser brillianten Schrift sei diese hier zusammenfassend dargestellt, wobei ich ersucht habe, jedes Kapitel in einem Satz zusammenzufassen. Einleitung: Musik ist kein Handwerk, Musik ist Ausdruck des empfindungs- und damit erfindungsreichen Genies! Kraus ist von Begin an bemüht, den Leser an der Nase henimzuführen, indem er allgemeine Forderungen der aufgeklärten Musikphilosophie, wie von Mattheson, Quantz und Krause vertreten, aufzählt, um deren Gegenteil zu beweisen: „Ich wies nicht ob ihr mir alle Recht gebt wenn ich sage, dass Poesie und Musik [...] so eine eigentliche Sache fürs Herz, ganz fürs Innerste sey. Beides [...] ist fürs Gefül. Ohne Zweifel gebt ihr mir alle Recht; wo nicht: so gebt ihr mir doch Erlaubnis, dass ich Euch mit allem geziemenden Respekt nach Standesgebür [...] Dummköpfe heisse."139 Hinter diesen Zeilen steht eine Ablehnung gegen die systematischen Versuche jener Zeit das Hervorrufen von Affekten mit gewissen Mitteln zu erklären und so das Komponieren zu einem dem Kochen (Quantz verwendet diesen Vergleich sehr oft) verwandten Akt zu degradieren, der lediglich darin bestand, die richtigen Ingredenzien zusammenzufinden „und brachte endlich die Sache des Gefühls in - ein Sistem." „Packt nun die Theoretiker alle, vor und von Kircher angefangen, Fux, Rameau und die übrigen inclusive bis auf unsem lieben Kirnberger und Marpurg, die fürn Kopf schrieben, zusammen, und transportirt sie, wenn ihr wollt, nach Amerika oder nach Griechenland, oder lasst sie, wo sie sind: denn wir haben nun Fetts genug im Kopf." Dies bedeutet aber keinesfalls ein Ablehnen einer gründlichen musikalischen Ausbildung, da „alles unmittelbar aus den Grundregeln gezogen ist. [...] Es ist also platterdings nothwendig, zuerst Harmonie aus dem Grunde zu studiren." Nach einem satirischen Loblied auf die Fuge, die Kraus als „Diamant des harmonischen Verstandes" und „Quelle der Empfindungen" preist, da diese „die Leere von grossen Kirchen aus[fülle], und wenn du willst, kann sich der Zuhörer aus deinem Labyrint nicht retten", zieht er auch über den Kanon her, an welchem die Meisterschaft eines Komponisten gemessen wird. „Denkt einmal an! Ein Kanon mit 4000 Auflösungen im Jahre 1777 den und den Datum, nun im Jahre 1807 den und den, schon mit 10834000 Auflösungen. „Da ist gewiss kein Menschenverstand darinn!" Ich aber behaupte, dass nothwendigerweise keiner danrm seyn kann. Warum? Darum!" Am Ende der Einleitung schreibt Kraus zusammenfassend: „Aber die Musik nicht mehr aus dem Standpunkt als Handwerker so gut wie Blaufärberei betrachtet -angenommen für das, was sie ist: Was soll das heissen? „Zorn ist die bassartigste. Liebe die diskantartigste Leidenschaft. Stolz ist vielleicht Tenor, Traurigkeit Altartig." Was will das sagen: »Inema für die Leidenschaft des Zorns: singbaren Satz; in der Taktbewegung C mit Herrschung des asses im Dur; - oder simple Anfangsvorstellung durch Einklang. Bei der Leidenschaft des Stolzes ist Taktmaas C oder 3/4, und die Bewegung desselben, allegro: Bei der Leidenschaft der Liebe ist die iskantstimme herrschend, das Taktmaass am besten 2/4 oder auch 3/8" u. s. w. Was soll das heissen? in ° ^annicnfamSkeit wegen in aller Welt sich nicht bestimmen lassen können, auch nur soweit, als wir gekommen sind, genau in so ein Tabellchen zu bringen? Was das für eine Nation muss' "ie in einem Odem, in ebendemselben Tone von dem und dem spricht, als wäre Dreschen J°seph Martin Kraus: Etwas von und über Musik fürs Jahr 1777, Frankfurt am Main 1778, S. 6f. 57 oniren einerlei. Just so, als wenn ich sagte und bestimmte: Der Hexameter ist für das, der häus für das, der Spondens für jenes. - Rezeptchen für Leidenschaften!" kritisiert stilistisch gesehen sehr geschickt, indem er in den Text Zitate aus ^rschiedenen damals führenden Lehrbüchern einflicht, sei es aus Friedrich Wilhelm Ma urgs Abhandlung von der Fuge zweyter Theil (Berlin 1754) oder Johann Kimbergers Der allzeit fertige Menuetten und Polonaisenkomponist (Berlin 1757). Erstes Kapitel: Weg mit der altmodischen Opernform und all den ihr frönenden Komponisten! Zu Beginn stellt Kraus die Opernsujets in Frage. Er möchte lieber mythologische als historische Opernthematiken behandelt wissen, da wir uns vom Wunderbaren, wenn es uns interessant gemacht wird, am leichtesten und gewissesten täuschen lassen. Ist mythologischer Inhalt eben deswegen nicht besser als historischer? [...] Unsere eigene Mythologie, und das alte Norden mit seinen Zaubergeschichten, wäre für uns eine viel reichere Quelle, als die der Griechen und Römer; und - wir benutzen sie wenig. Ich verwerfe aus diesem Grund alle blos historischen Opem als widernatürlich." Das war natürlich auch ein Angriff gegen Wielands Singspiel-Ästehtik und seine Alceste, der weiter unten noch stärker zum Ausdruck kommen wird. Kraus sieht auch keine ururtittelbare Verpflichtung der Natur gegenüber, bei ihm wird erstmals in der Musik die Idee des Fantastischen deutlich. „Bei mythologischen [Themen] tritt das Wunderbare ein." Und Wunder können auch in der Natur ihren Ursprung haben. „Natürlich ist der Gesang, oder wenigstens am natürlichsten täuschend, wenn er entweder wunderbar, oder Institut und Gedächtnisswerk ist." Weiter kritisiert Kraus das Recitativ, es „macht [...] unsrer Empfindung wenig Ehre [...] Da kommt Cäsar, sagt der Marzia, dass er sie liebe, und trillert seine Worte mit einer Begleitung herunter!" Aber die Ersetzung des Recitatives durch lediglich gesprochenen Text ist keine Lösung. „Die Leute laufen auf dem Theater herum, schwatzen, und ehe man sich's versieht, brechen sie mit einer Arie los." Da die Arie ein Spiegel der Leidenschaften ist, kommt es ? einem Bruch der Wort-Ton-Beziehung, zu welcher Kraus ohnehin ein sehr kritisches Verhältnis hat: „Bei all dem zeigt sich's, dass die Musik von Poesie [...] - immer getrennt hält." Der Komponist könne nicht so schnell wie der Dichter seine „Ideen vorbringen", daher müsse man den Text zergliedern, was unabdingbar mit Textabschnittswiederholungen verbunden ist, wobei die da capo-Form „oder wenn's Glück gut ist, nur ein dal Segno" verworfen wird, da sie nur wiederhole, was schon gesagt worden war. „Es ist abgeschmackt, hier eine allgemeine Aeusserung der Empfindung, und eine besondere Anwendung derselben, zween Sätzen unterzuordnen" Dies erläutert Kraus anhand der ersten Arie der Alceste. „Das gar zu viele und auch nur wenig unvorsichtige Zergliedern der Worte taugt nichts zum Ausdruck, wenn Leidenschaft Leidenschaft seyn soll." Dies ist Protest gegen all das ergebrachte, gegen Konvention und Mode zugleich. Da mag das Gegenbeispiel noch so gross, der Meister noch so berühmt und geachtet sein. „Was hilfts, wenn ich das, was ich gesagt habe, mit den abscheulichsten Beispielen unsrer besten Meisters bewiese - würdet ihr arm mehr fühlen, als ihr jetzt fühlt ?" Das gilt natürlich auch für Duette, Terzette und andere - de ^e me*sten unnatürlich und durch die Kunst ganz verdorben worden. Graun m diesem Stück angebetete Graun ist durchaus das lebendige Beispiel" Dies war ein Seitenhieb gegen den Berliner Opernkomponisten Carl Heinrich Graun und ebenso gegen den KrausSenkÖrug' der sich hie und da an Musilmummern schöpferisch beteiligte. Ballette lehnt auS a^s ^em Operngeschehen nicht forderlich ab, Chöre könnten bessere Wirkung haben 58 Dichter besser wissen, wo sie sich hinschicken." Sie sind also meist am falschen ^vvenn °-'e Platze. U d das grösste Problem: Deutschland hat keine Dichter, die sich als Librettisten eignen. haben einen Wieland, Göthe, Gotter, Weise, Jakobi u.s.w. Gut! - was helfen die uns, wenn wir " • dass Klopstock der einzige wahrhaft lyrische Dichter links und rechtsum ist? [...] Klopstock ■rfitfaiso unmassgeblich der einzige wahre lyrische Dichter (und so einen brauchen wir doch zur Oper)" Aber Klopstock hatte keine Opemtexte geschaffen und daher sei es an Friedrich Leopold Graf zu Stolberg, Friedrich Müller, bekannt als Maler Müller und Friedrich Hahn, solche zu schaffen. „Dann - dann erst würden wir das Recht haben, weit - tiefherunter auf unsre Nachkommen zu blicken - dann erst würden wir wahre und gute Opern bekommen." Kraus nennt hier nur Dichter, welche die aufwühlenden Sturm und Drang-Ideale verkörperten und möchte diese (in ähnlicher Weise, in welcher Carl Philipp Emanuel Bach auf den ihn umgebenden Literatenkreis reagierte) in der Musik realisiert wissen. Von all den grossen Komponisten dieser Zeit bleibt keiner ungeschoren, am Beispiele einiger Opernarien und dem dazugehörigen Komentar Sulzers geht er zum Angriff auf dessen Allgemeine Theorie der schönen Künste über, da dieser viele Opern, wie Giro riconosciuto von Adolph Hasse, Orfeo von Carl Heinrich Graun oder Le Deserteur von Pierre-Alexandre Monsigny, die in deutscher Übersetzung gespielt wurde, gelobt hatte. „In unserer Muttersprache haben wir noch wenige grosse Opern. Die zwo, auf die wir am meisten dickthun, sind: Alzeste und Günther von Schwarzburg." Da Holzbauer als „Tonkünstler im eigentlichen Verstände" bekannt sei, wendet sich Kraus der Alceste zu. Natürlich ist es kein Zufall, dass Kraus an Holzbauer keine Kritik übt, war er doch selbst ein Kind der Mannheimer Schule. Auf mehreren Seiten findet man den brillianten Verriss des dichterischen Produktes Schweitzers, das nicht natürlich genug den jeweiligen Situationen angepasst sei. „Alzeste fühlt schon die ganze Kraft des Todes, und nun fällt ihr noch ein, ein Liedlein zu singen! 0 du, mein zweites bessres Ich, Wo bist du? „Mein zweites bessres Ich!" Einem Professor der Dogmatik, wenn er die erste Nacht nach der Hochzeit celebrirt, würde man den Ausdruck verzeihen, aber der Alzeste - Die grösste Kokette, die je auf eine Bühne gebracht worden ist!" Man hat den Anschein, Wieland hätte diese Kritik geahnt, wenn man in seinem Versuch über das deutsche Singspiel liest: „Der Abschied der sterbenden Alceste [...] thut durch die Musik eine grosse Wirkung; einem so sanften schönen Tod, als Alceste stirbt, kann man schon singend sterben." Weiter kritisiert Kraus Figuren und Scenen des Restes der Oper („Diese Scene paradirt wie Silber in einer Pfütze"), und gibt Wieland die Schuld sich an etwas gewagt zu haben, wozu er aas Zeug nicht habe: „Wieland, der in seinem Fache König ist, ist Staub, wenn er ausser seinen Kreiss nur einen Schritt thut." Da wäre Maler Müller der richtige Librettist! »0 komm - komm du, dessen Sprache Seele und Kraft ist - der mit einem Blicke zu einem Bilde ganze Welten durchläuft - mir den Odem benimmt, wenn er allmälig tief aus dem Innersten die orgensten - nie gesehne Bilder herauf - mir vor meine Seele zaubert - mich auf dem Sturme mit 'c fortschleudert, wenn er rasst und mich hinwirft, dass Wälder und Klipp' und Sterne um mich mein - dann mir auf die Brust kniet und's Innerste hinauf bis an die Augen treibt - der aus mir schüft1) kann' WaS er WÜ1 ~~ Gott' Held' Teufel und Fune ~ 0 mein Müller " nimm meine Seele ur,d und 6 h^' ^3SS S'C wieder munter wird. Ihr - die ihr noch Kraft in euch fühlt, euch ihm zu nähern ihr dann ZU erwärmen ~ letzt eme Seite aus seinem Tod Abels - eine einzige aus Faust - Könnt noch eine Zeile, eine einzige aus Alzesten verdauen - so lasst euch ins Gesicht spucken und 59 und drama. Sicher ist die Themenwahl mit Pygmalion, dem Bildhauer, der sich in eine m ihm geschaffene Statue verliebt und diese anbetet, bis sich Gott Amor bereiterklärt, diese V011' stens für kurze Zeit zu wirklichem Leben zu erwecken, gerade für ein Melodram ^^hickt geWählt, wobei Rousseaus Anteil sich auf den Text und nur Teile der Musik ^eS° ckt die weitgehends von Coignet komponiert wurde. Das Melodram muss man im % xt der allgemeinen Naturdiskussion sehen, denn gesprochener Text wirkte natürlicher als esungener, zumal die Frage, welche Sprache sich zur Musik mehr eigne, in dieser Musik-Text-Verbindung hinfällig wurde. Gerade jenes Problem hatte ja Rousseau am Ende seines lettre sur la musique francaise zur jede Hoffnung verneinenden Aussage gezwungen, dass es in der französischen Musik weder Takt noch Melodie gibt, weil die Sprache sich dazu nicht ". t. (}ass es sich beim französischen Gesang nur um ein unaufhörliches Gebelle handelt, das kein unvoreingenommenes Ohr ertragen kann; dass ihr Harmonie roh und ausdruckslos ist und einzig für eine schülerhafte Ausfüllung geschaffen; dass die französischen Arien keine Arien sind, so wie das französische Rezitataiv kein Rezitataiv ist. Woraus ich die Schlussfolgerung zog, dass die Franzosen keine Musik haben und dass sie auch keine haben können; sollten sie doch jemals eine haben, wäre das nur um so schlimmer für sie."145. Pygmalion hatte enormen Erfolg, Grimm lobt den „effet surprenant" des Werkes, die Neuigkeit der Verbindung von Text und Musik weckte Aufmerksamkeit. In Paris gab 1772 schliesslich Laurin Garcin sein Tratte du melodrame heraus. So dauerte es nicht lange, bis diese Form auch in Deutschland Fuss fasste. Hier ist vor allem Jiri Benda zu nennen, der mit seinen Melodramen Ariadne auf Naxos (1775) und Medea (1775) gefeierte Werke schuf. „Einer der Epochenmacher unserer Zeit"146 nannte ihn Schubart. „Benda hat noch diess ganz Eigene, dass er gegen das Herkommen, den Contrapunct auch im dramatischen Style anwendet. Er braucht z.B. das Allabreve und Fugenartige mehr als einmahl, und immer mit ausnehmender Wirkung. Auch als Erfinder hat er sich rümlichst gezeigt. Er war in Deutschland der erste, der die musikalischen oder declamatorischen Dramen in Aufnahme brachte, und die Sprache des Schauspielers durch seine Zaubermelodien hob. Diese seine grosse Erfindung ist unter dem Nahmen Melodram bald in ganz Europa mit allgemeinem Beyfall aufgenommen worden. [...] Durch sie ist die Würde der Declamation auf den äussersten Gipfel erhoben. Jedes Zeichen der Bewunderung, Ausrufung, Frage; jedes Comma, jeder Ruhepunkt, jeder Strich des Denkens oder der Erwartung; jedes aufbrausende oder sinkende Gefühl des Declamators; jede kaum merkliche Verflössung der Rede wird durch diese Art der Tonkunst ausgedrückt. Zuweilen stürzt auch die musikalische Begleitung in die Rede selber, aber nicht sie zu ersäufen, sondern sie auf ihren Fluthen zu tragen. [...] Hang zur süssen Schwermuth scheint indessen doch der Hauptcharakter Bendas zu seyn: daher gelingen ihm Stellen dieser Art immer vor allen andern. [...] Welch ein Glanz verbreitet nicht dieser unsterbliche Mann auf die musikalsiche Geschichte unsers Vaterlandes!"147 Und sogar Johann August Eberhard, ein scharfer Kritiker des deutschen Melodrams, musste eingestehen, dass wir „die vortrefflich Bendaische Musik der Medea, die alles leistet, was man in dieser Gattung verlangen, und mehr als man erwarten konnte, [...] dass wir mit Recht ieses neueste Geschöpf den vollkommensten und bewährtesten Gattungen theatralischer Werke an die Seite stellen können"148. Schubarts Beschreibung des Text-Musik-Verhältnisses ist geradezu brilliant und zeigt zwei cnnilcen auf: den Wechsel von Text und Musik sowie das gleichzeitige Erklingen von und Text (Parakataloge). Letzteres hatte Rousseau noch abgelehnt, Benda hingegen US .. ----- 144 ^lt!erl nacn: Jean Jacques Rousseau, Musik und Sprache, Wimelmshafen 1984 U7 Schubart: Ideen, S. 112 US ibid,S 113 ff Johann Augus Eberhard: Über das Melodrama, in: Vermischte Schriften, Halle 1784, S.lf. 65 dete es für die wichtigsten Momente. Im ersten Fall konnte die Musik den Text V onehmen, die Musik das Gesagte kommentieren und umgekehrt der Text die V° egangene musikalische Phrase in Worte fassen oder die nachfolgende Musik in Worten Inkündigen. Und dies in Hinsicht auf die Empfindungen! "Nach geendigten Perioden, bey wichtigen Momenten der Handlung, oft auch nur nach einzelnen fangen hält er inne, die Musik tritt ein, setzt die Empfindung fort, kündigt auch wohl den ( 1 den Gang der Empfindung an, während dessen der Schauspieler durch Akrtion spricht; und bey äusserst hohen Punkten der Leidenschaft, geht Musik und Rede auch wohl zugleich fort."149 Beide Techniken konnten nun aber im Sinne der Empfindsamkeit verfeinert werden, indem die Musik die Empfindungssphäre des Darstellers zeichnete, während dieser im Wort seine Überlegungen anstellte. Hier kommt es folglich zur Möglichkeit, dass Musik das Wort kommentiert, den Darsteller etwa Lügen straft, ein Prinzip, das ja Mozart sehr intensiv verwendete. Und Mozart hatte Bendas Melodramen sehr geschätzt, selbst sich mit Veränderungen des Melodramas beschäfigt. (siehe Kapitel: Nordismo, Absatz: Mozart) Was aber ist das Formenbrechende am Melodram? Es ist die endgültige Loslösung von Text und Musik in rhythmischer Hinsicht, die Sprache muss sich nicht dem rhythmischen Diktat der Musik unterordnen. "Die Metrik des gesprochenen Wortes weist eine viel grössere Anzahl von Rhythmen auf, mit ungleich mehr Abstufungen zwischen stark und schwach betonten Taktteilen (Silben), als jene der Musik; ausserdem bedient sich die Metrik des Verses viel grösserer Freiheit bei Abweichungen von der strengen Symmetrie der einzelnen Verszeilen, als es die gesungene Melodie unseres heutigen Tonsystems nachbilden kann. Eine ganze Anzahl prosodischer Schemata, darunter eines der schönsten, der funffüssige Jambus, müssen durch Verlängerung oder Verkürzung von Silbenwerten geradezahlig gemacht werden, damit man sie singen kann [...] und ähnliches gilt vom Hexameter."150 beschreibt 1919 Max Steinitzer die Vorteile der grösseren Sprachfreiheit. Diese Freiheit suggeriert andererseits eine noch viel grössere Abhängigkeit des Textes von der Musik und dieser wiederum vom Text, denn wer je ein Melodram gehört hat wird diesen ewigen Hunger, diese ewige Frage gespürt haben, welche musikalische Idee nach jenem, soeben gehörten Text komme und welcher Text auf diesen musikalischen Kommentar wohl folgen wird. Es ist ein grösseres auf und ab, ein stärkeres Licht begleitet von schärferen Schatten. Wenngleich Benda seine Nachahmer hatte, so entwickelte sich das Melodrama nicht zu einer wirklich gefeierten Kunstform. Schuld ist daran sicher die grosse Konzentration erfordernde Aufgabe der Zuhörer, da waren Operetten eine leichtere Kost. Denn wenn Rousseau das Melodram als scene lyrique bezeichnet drückt er damit aus, dass das Melodram keine grosse Handlungsfläche darstellt, es ist ein in Musik zum Ausdruck gekommenes Stillstehen der Zeit, ein Ausschnitt, der vom Zuhörer die Kenntnis all dessen, was diesem Ausschnitt vorherging, voraussetzt, eine Szene, die nicht durch Handlungs- sondern Empfindungsspannung fesselt. D*s Entsetzliche und das Schauervolle Das Melodram bot nicht zuletzt dank der ihm eigenen detaillierten Betrachtung der eren Empfindungen eines Menschen die Möglichkeit, auch die schwarzen Seiten der 150 Jttchardt: Kunstmas Max St ■ —""'iagazin' S- 86 eirutzer: Zur Entwicklungsgeschichte des Melodrams und Mimodrams, Leipzig 1917 66 hlichen Seele darszustellen, und das sehr detailliert. So entstand ein neues Sujet, bereits 1757 von Edmund Burke in seiner Schrift A Philosophical Enquiry into the we. oy our Ideas of the Sublime and Beautiful, zu deutsch als Philosophische ^Versuchungen des Erhabenen und Schönen, anzeigte. Als Gegensatz zum Erhabenen sieht das Schrecken, gegen welches das Schöne keine Chance habe. Im 15. Kapitel Of the effects of TRAGEDY schreibt Burke: jjjgjj j imagine we shall be much mistaken if we attribute any considerable part of our satisfaction * tragedy to a consideration that tragedy is a deceit, and its representations no realities. The nearer it m oaches the reality, and the further it removes us from all idea of fiction, the more perfect is its wer of what kind it will, if never approaches to what it represents. Chuse a day on which to represent the most sublime and affecting tragedy we have; appoint the most favorite actors; spare no cost upon the scenes and decorations; unite the greatest efforts of poetry, painting, music; and when have collected your audience, just in the moment when their minds are erect with expectations, let it be reported that a state criminal of high rank is on the point of being executed in the adjoining square; in a moment the emptiness of the theatre would demonstrate the comparative weakness of the imitative arts, and proclaim the triumpf of the real sympathy. I believe, that this notion of our having a simple pain in the reality, yet a delight in the representation, arises from hence, that we do not sufficiently distinguish what we would be no means chuse to do, from what we should be eager enough to see if it was once done."151 Das war ein Schlag gegen alle Realismus-Tendenzen und Darstellungsmechanismen des Schönen in der Oper. Würde, so Burke in dem oben zitiertem Text, ein Theater das effektvollste Stück auf seinem Spielplan haben, verknüpft mit der besten Ausstattung, mit dem grössten Aufwand an berühmten Schauspielern, Dichtung, Malerei und Musik und man dem in Erwartung angespannten Publikum mitteilen, dass auf einem naheliegenden Platz ein bekannter Staatsverbrecher hingerichtet würde, wäre das Theater innerhalb einiger Sekunden leer und man könne sich die Schwäche der imitierenden Künste vor Augen führen. Denn Burkes behauptet in seiner Schrift: "[...] that the idea of pain, in its highest degree, is much stronger than the highest degree of pleasure."152 Burkes Theorie verbunden mit der Vorstellung dynamischer Nerven, der Tonuslehre (siehe Kapitel: Musik und Medizin), dass "das Erhabne auf ein Gefühl der Anstrengung, das Schöne auf eine sanfte Erschlaffung der Nerven" beruhe, so Herder in seinem Kritischen Wäldchen , wurde zwar in Deutschland recipiert, hatte aber zu wenig Beziehung zu den Künsten. „Schade, dass er nicht Musik und überhaupt nicht künstlerische Erfahrung gnug besass, um über diese reflectirten Kräfte dieselben Erfahrungen anzustellen!" bedauert Herder weiterführend. Moses Mendelssohn, der sich ja sehr um die Wortprägung der Empfindung verdient gemacht alte, erkannte in Burkes Idee das Paradoxon des angenehmen Grauens und stellte sich die Frage: »Wie geht es aber zu, dass traurige Schauspiele gleichwohl sehr angenehm seyn können?"154 Die Antwort sieht Mendelssohn in der Vermischung von Empfindungen, in dem von den P iixtsamen Komponisten so proklamierten Aufeinanderprallen gegensätzlicher Affekte, ^Edm--- I U,n-T Burke: Philososophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful, 6. Auflage London 1770, S.76f. * 153 Her'S'64 **M^M0bann Gottfried: Kritisches Wäldchen, in: Gesamtausgabe, Band IV, Berlin 1877-1913 endelssohn: Rhapsodie, oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen, Berlin 1761 67 waren auf einmal wieder all jene negativ konotierten Leidenschaften, vielleicht als ^eßt nreaktion auf derer längeren Unterbindung, wieder erlaubt, ja gefragt. Diesen ^e^6scmed hatte ich ja zwischen dem anonymen Autoren über die Empfindungen im Stativ und Krause festgestellt. Zusammenhang mit Bendas von Schubart so gelobten Kompositionsweise gibt weit if1 kretere Angaben Johann Ludwig Huber in seiner mit Tamira. Nebst einer Abhandlung "ber das Melodram betitelten Schrift. Als „Stimme der Verzweiflung" bezeichnet er dissonante Akkorde. Als Beispiel greift er jenen Moment auf, an welchem sich Medea ntschliesst „Jasons Andenken von der Erde zu vertilgen, ganz melodielos! und durch die Harmonie fürchterlich!"155. Zur Technik der Parakataloge schreibt er: Man sieht, dass Benda sich einer solchen Begleitung in den affectreichsten Stellen unsrer Dramen, in der tiefsten Traurigkeit, in der quälendsten Unentschlossenheit und in der Verzweiflung und Todesangst bedient hat. Wir habens gefühlt, was für eine Kraft selbst in dieser anscheinenden Unordnung und Ungebundenheit ligt, und wie eine gute charakteristische Musik und ein natürliches Gedicht einander unterstützen und verstärken, auch dann, wenn die Declamation weder die Melodie noch den Ton, noch den Tact hält, in welchem die Musik gesetzt ist." Und über die als „Schattierung, wie die Schattierung des Forte und Piano und des Crescendo" charakterisierte Verwendung der Klangfläche des unisonos meint Huber, sie sei „an solchen Stellen angebracht, wo Furcht und Angst im höchsten Grade geschildert werden musste." Es ist schon faszinierend, wie verschieden Bendas Melodramen auch von denen aufgenommen wurden, die ihn als Komponisten schätzten. Da, wo es Huber und auch dem kritisch eingestellten Eberhard deren Worte nach richtig Gruselte, meint Schubart: „Das Entsetzliche und Schauervolle aber liegt nicht so ganz in seiner [Bendas] Sphäre." Nach Benda haben sich eine ganze Reihe von Komponisten, wie Wolfgang Amadeus Mozart (Teile von Zaide, 1779/80), Franz Danzi (Cleopatra, 1780), Christian Gottlob Neefe (1780), Johann Friedrich Reichardt (Cephalus und Prokris, 1781), Wenzel Praupner {Circe, 1789) u.a. mit dem Melodram beschäftigt, wobei dies nur selten über die Kurzform hinauswuchs. Eine Ausnahme ist der in der Aufzählung genannte Wenzel Praupner, der mit Circe ein abendfüllendes Werk schuf, das auch angesichts seines Instrumentenreichtums sowie einiger Balletteinlagen überrascht.156 Reflexion X. Man sieht, um wie viel weiter als Wieland Benda in seinen ästhetischen Ansichten war. Die Lust am Grauen war zudem schon einmal in der barocken Lyrik Thema gewesen, das auch musikalisch verarbeitet worden war. Als Beispiel sei nur auf die schon oben in Noten angeführte Betrachtungs-Arie der Johannespassion Johann Sebastian Bachs verwiesen: »Erwäge, wie sein blutgefärbter Rücken, in allen Stücken, dem Himmel gleiche geht." Als » ensch des 21. Jahrhunderts kommen mir da die schaulustigen Autofahrer, die bei jedem auf er anderen Autobahnseite entstandenen Unfall abbremsen, um möglichst viel von dessen -^jHgg^iauf^ehmen, in den Sinn. Reality TV._ Trenifta^^erUng ^ schrecklichen un^ ^er diese begleitenden Lust war nun aber die ung von Ethik und Ästhetik notwendig, um das Nichtmehr-Schöne bühnenfähig zu c en. Die Lust am Grauen war verbunden mit der Lust an der Todesbetrachtung, wobei die T 1* -~---~- 156 velT1 Ludwig Huber: Tamira. Nebst einer Abhandlung über das Melodrama, Tübingen 1791, S. 86ff rzu Alena Jakubcová: Ihr Furien kommt, in: Hudební věda 3-4, Prag 2001, S. 343f. 68 mit Selbsmordgedanken herumschlagende Hauptdarstellerin in einem Melodram sich w wirkSam sein musste. Auch Goethes Werther sollte man vor diesem Hintergrund ^Ästhetik des Grauens sehen. • Ästhetik des Grauens hätte nicht ohne Naturbeobachung begründet werden können. Diese u^Pt eine für die Empfindsamkeit noch weit wichtigere Erkenntnis: Natur ist nicht einseitig, N tur ist gezwungen, Abwechslung in ihre Werke zu bringen"157, Sonne und Regen können innerhalb weniger Minuten wechseln. „Da die Natur auf eine so weise Art die Musik mit so vielen Veränderungen begäbet hat, damit ein jeder daran Antheil nehmen könne: so ist ein Musikus auch schuldig so viel ihm möglich ist, allerley Arten von Zuhörern zu befriedigen."158 und: Natur kann grausam sein, Schrecken verbreiten und vernichten. So wird Natur zu einem Spielfeld verschiedenster, in kurzem Zeitmasse sich abwechseln könnender Affekte, Empfindungen, Gemüthszustände. Denn diese sind ebenfalls Teil der Natur, wie Holbach im 8. Kapitel Von den intellektuellen Fähigkeiten, die sich alle auf die Fähigkeit des Empfindens gründen nachweist. 1754 schreibt Charles Henri Blainville (1711-1769) seine L'esprit de l ort musical ou reflexions sur la musique , die 1767 in den Wöchentlichen Nachrichten und Anmerkungen, die Musik betreffend, herausgegeben von Johann Adam Hiller, in deutscher Übersetzung erschienen. „Überlasset euch gänzlich der Raserey, vergesset die Kunst, wenn es möglich ist, um euch bloss dem Ausdrucke zu überlassen, den ihr in starken und fühlbaren, mehr springenden als diatonischen Intervallen, ingleichen in frappanden Modulationen und Harmonien finden werdet."159 Befolgt hat in Frankreich dies vor allem Pancrase Royer, der in seinen fast destruktiv wirkenden Cembalowerken geradezu musikalische Explosionen realisierte. Dennoch ist Royer eine Ausnahmeerscheinung, Empfindsamkeit war in Frankreich bei Weitem kein so diskuttiertes Phäomen wie in Deutschland. Andre-Ernest-Modeste Gretry widmet in seinen Memoires der Empfindsamkeit ein längeres Kapitel, in welchem er die geographische Lage eines Volkes als Grund ür dessen Musikmentalität erklärt. Mit dem Phänomen der Empfindsamkeit setzt er sich in disem Kapitel nicht auseinander, eher sieht er die Lebhaftigkeit im Ausdruck als Folge der Geographie: "Man könnte fast sagen, dass die Menschen der warmen Länder ihre Melodien seufzen, weil sie allzu lebhaft empfinden, und dass die des Nordens [Deutschland gehört nach Gretry zum Norden] nach den sinnlichen Erregungen seufzen, die sie sich wünschen."160 Damit zitiert er eigentlich Rousseaus Essay über den Ursprung der Sprachen. Den Auffassungen Blainvilles kann sich Kraus nur anschliessen: „Konduite muss der Musiker nicht haben - keine soll er haben, denn der Pursch muss von der Leber wegsprechen - Thut er s nicht, so nehmt ihm die Feder und treibt sie ihm durch beide Ohren, dass ihm Hören und Sehen vergeht!"161 Dies entspricht genau dem Ideal der Empfindsamkeit: „...wenn wir zugleich die armseligen netz und Kopf einengenden Regeln von der nächsten Familienverwandtschaft der Töne, egeln von der nächsten Familienverwandtschaft der Töne, von den Ausweichungen aus Dur und Moll und umgekehrt in einemsogenannten rechtgearbeiteten Stücke abschüttelten und der reu e ihren freyen raschen hinreissenden Lauf, der Traurigkeit ihren engem bedächtigem angstlichen Gang Hessen"162 Die heutige Musikwissenschaft stellt Empfindsamkeit zwischen Z Holbach: System der Natur, S. 104 159 W-hV° Emanuel Bach: Versuch, I. Theil, S. 123 IM Andre EC/'e" Nachrichten und Anmerkungen, die Musik betreffend, II, S. 308-348?? Wilinoi^. , mest~Modeste Gretry: Memoires, aus dem Französischen übersetzt von Dorothea Gülke, ^elmshaven 1971, S. 256 Krane r 162 Kraus, S. 63 Reichardt: Musikalisches Kunstma gazin I, S. 25 69 pole die Aufklärung und den Sturm und Drang. Während Aufklärung als ZWe\ hil'osophische Strömung keinen fassbaren Niederschlag in der Musikästhetik hat, P°P , jgjj _ wie ich aufweisen konnte - die der Empfindsamkeit in der Musik intensiv s^ a Jedoch möchte ich in dieser Arbeit den Begriff des Sturm und Drangs so wenig wie W1- lieh verwenden, sei er auch aus einigen Zitaten zu spüren, denn hierbei handelt es sich in Tjme um den Titel eines, von dessen dreieinhalbmonatigem Aufenthalt im Weimarer 5Ster von Goethe, Wieland, Kaufmann und Gotter inspirierten Schauspieles von Friedrich Maximilian Klinger (Leipzig 1776)163. Nach jahrelangem Studium verschiedenster Materiale Empfindsamkeit vermag ich nicht, den Sturm und Drang als stilistisches Merkmal von dieser abzusondern, Sturm und Drang ist eher eine manieristische Spielform, die in manch überhöhten Ausdruckmomenten ihre Realisierung fand. Kalorien zugunsten der Aufklärung Nützlich soll der Mensch im Leben und im Tode sein. — Geduld! das nützliche Jahrhundert hat auch dafür gesorgt. Herr Gibbes hat entdeckt, dass tierisches Fleisch in Wasser eingeweicht, welches mit etwas Schwefelsäure geschwängert ist, in Fett und Talg verwandelt wird. Mit dem Rindvieh hat man in England diese Versuche angefangen und in Frankreich ist man damit schon wirklich bis zum Menschen angelangt. Man fängt an, Talglichter aus Kadavern zu machen, und wer nicht im Leben geleuchtet, tut es nun doch im Tode. Fette Menschen tragen so zur allgemeinen Aufklärung am meisten bei." Johann Friedrich Reichardf Deutschland, eine Zeitschrift, Berlin 1796ff, Auswahl, Leipzig 1989, S. 290 Lieder Je mehr der Künstler die besondern Verhältnisse seiner Zeit und seines Orts vor Augen hat, je gewisser wird er die Sayten treffen, die er berühren will. Am allerwenigsten sollten sich die Künstler einfallen lassen, Gegenstände, die blos auf einen fremden Horizont abgepaßt sind, auf dem unsrigen aufzustellen. [...] Der Künstler trifft am gewissesten den Weg zum Herzen, der einheimische Gegenstände schildert, und der das Allgemeine der Empfindung durch Localumstände fühlbarer und reizender macht."164 Hier definiert Sulzer im Grunde alle Züge des Volksliedes, das im 18. Jahrhundert zum Kunstwerk stilisiert wird. Gerade bei Betrachtung des Liedes, die hier nur auf das Thema meiner Untersuchungen beschränkt sein muss, fällt eine Divergenz zwischen süddeutschen und norddeutschen Empfindungsmodellen auf. Während das norddeutsche Lied aus dem noch recht choralverbundenen Kirchenlied hervorgeht und dank der Oden und Melodien der Berliner Liederschule gewisse Glättungen und Vereinfachungen erhält, um zum Kunstlied zu iormieren, orientiert sich das süddeutsche Lied am Volkslied, wie überhaupt die Orientierung an volksmusikalischen Elementen immer eine Vorliebe des Südens war. Als Grenze Nod-Süd muss die Mainlinie gesehen werden, was dmals auch so empfunden wurde (siehe Kapitel oraismo). Volkslied war aber ursprünglich nicht kontemplative Idylle, sondern kommt in Aufrj111 ^rotestsonSs der 6°er Jahre des vergangenen Jahrhunderts nahe. Es war ein .ege^ren' wenngleich meist nur musikalischer Art, gegen Zwänge der Feudalherrschaft das j^Slnzug' Existenznot, Schulpflicht, u.a.). „So wirst du oft in einem ächten Volksliede, schrieb ^^ebte, merir wahren Kunstsinn finden, als in mancher grossen Oper" e Reichardt 1782 auf Seite 2 des ersten Bandes seines Musikalischen Kunstmagazins. ~^T~7.-——- 164 SubKr % M5a^nilian Klinger: Sturm und Drang, Leipzig 1776, Neuausgabe Ditzingen 1987 70 Ausdruck vaterländischer Empfindung bot dann das vaterländische Lied, das Lied im Tiefster Liedüberlieferung war zumeist die Textdokumentation gemeint, um welche ^°^Johann Gottlieb Herder sehr verdient gemacht hat. 1774 erschien seine Sammlung Alte S*°/l/° der 1778/79 das umfangreiche Kompendium Volkslieder. Somit war es jedem Musiker möglich, auf Textvorlagen zurückzugreifen. Herders Liedsammlungen verbirgt sich der Glaube, dass nur durch tradierte Kunst ein Volk erzogen werden könne, natürlich besonders zur Vaterlandsliebe. Und dieses patriotische Gefühl konnte in Herders Augen durch die hohe Kunst nicht gefordert werden, denn diese mache ,Romanzen, Oden, Heldengedichte, Kirchen-und Küchenlieder, wie sie niemand versteht" niemand will, niemand fühlt."165 Und mit der Vorgabe eines die Empfindung ermöglichenden, deutschen Textes war es ein weiterer Schritt zu einer deutschen Musik, jetzt da wir das Glück gemessen, dass deutsche Höfe schon anfangen, deutsch zu buchstabieren und ein paar deutsche Namen zu nennen — Himmel, was sind wir nun für Leute!"166 schreibt Herder sarkastisch 1777. Keinesfalls war das Lied, wie heute oft dargestellt, nur für den privaten Gebrauch bestimmt. Bei Liedern, wie dem Nationallied Gott erhalte Franz den Kaiser (1797) mag das einleuchten, wie eine Zeitungsnotiz aus Prag bestätigt, die das Konzertprogramm im Nationaltheater referiert: „[...] Dann folgte ein Konzert auf der Posaune vom Herrn P. Stolle, und endlich ein Volkslied, betittelt: Gott erhalte den Kaiser, welches die Universität Wien erhalten hat. Allgemein war die Teilnahme an dieser Festlichkeit, allgemein die Rührung u. der lebhafteste Beifall."167 Offenbar war es in Prag (und nur dort?) üblich, mit Hilfe eines Volksliedes am Abschluss eines Konzertes das Publikum in den Prozess der Musikproduktion einzubeziehen, wie eine weitere Pressenotiz beweist: „Hen Maschek und Herr Brauptner der ältere mussten hervortreten, um den allgemeinen Beifall zu benehmen, [...] Zum Schlüsse ward wieder das beliebte Volkslied von allen Anwesenden abgesungen."168 Reflexion XI. Somit war dem Publikum die Möglichkeit gegeben, sich an den Empfindungen der Musik aktiv zu beteiligen, zu einem Gesamtempfinden beizutragen, welches die Einheit der Anwesenden stärkte. In unserer heutigen Zeit, wo nicht einmal Fussballspieler trotz ständigen Wiederholens eine Zeile ihrer Nationalhymne mitzusingen wissen, von derer intonatorischen Leistung ganz zu schweigen, mögen solche Zeitungsnotizen nicht verstanden werden. Das gemeinsame Singen zum Abschluss des Konzertes war wohl auch nur aufgrund einer gewissen musikalischen Bildung des Publikums möglich, welches solche Veranstaltungen der Musik wegen besuchte. Besondere Bedeutung kommen solchen Schritten sicher bei Stärkung --^i^ipjiaroewusstseins zu, was ein Feld weiterer Forschungen wäre. 165 jG ---"-- Yff, '. .erden Von Ähnlichkeit der mittleren englischen und deutschen Dichtkunst, in: Deutsches Museum IM ibid naCh: J G' Herder> Stimrnen der Völker in Liedern, Neuausgabe Leipzig 1945, S. 9 Prag i98ga£er °^erP0Stanitszeiťung, 14.2.1797, zitiert nach: Musicalia v pražském periodickém tisku 18. století, Prager Neue Zeitung, 2.12.1796 71 W 1t hinausprügeln: Die beste und letzte Kur für euch! Dass so ein Mann - dass Müller S.S.werden kann-Ha!" • als Komponist kommt besser weg, obgleich er sich alter Kompositionsweisen a' Alt bedeutet für Kraus zugleich das, was zu seiner Zeit gängig ist. „Was helfen uns rle Gedanken, wenn sie am unrechten Orte stehn, nicht nur in Betrachtung gegen den 3 ■ hter sondern gegen die eigne Anordnung des Musikers?" Schweitzer arbeite zu viel mit in rhetorischen Figuren, drücke bei jedem geeigneten Wort dessen Assoziazion in Notenfiguren aus, „nehmt ihm seine kleinen Bilderchen, derer er in jeder Arie ein halb Dutzend auf die Schau stellt - nehmt sie ihm: so ist er nackt." Im folgenden sei eine Stelle im Original wiedergegeben, die einerseits nochmals das in der Einleitung bereits kritisierte Problem der Wortwiederholung konkretisiert, andererseits wegen ihres Witzes ungekürzt gezeigt zu werden verdient: Ijriäeri ®Ü6< — mtißirbaflii limber, iperl'en Otu -aoriiiS: (Tups:^ — ují *S. 5rtnnJfA;fr Frjiiiq mieperbcll Line Knbc. 2iuT b-irtc beuten füllen, bau enidi foldjc I3.idj:'ti, luii Ku&c für Dtii imifKdlifdjril jfuíeritdj roóre 1 Hu bim Cicftahr bei .gMlkiílíii mít brr y.irtiicnij; Pad roei£ id), bar ber TKdjrer SJiiili1 — bie beir.uie i|lö indií, 9iiifilVrE SIí*ťr Bj ifí3 řiť beniiiic, menu cu bern ^rofdjc juüib auf cm 'Bon rwc iJj-.vcr, in ber-.'l.tc: lír flutte bcni ffjjtüliijt ic. (in öercJfdj tun Ijit'iOrrf u;ib niiljr Seinen — itirb(u< íenDrn üinreii nMcljfl, uitb batf 3»ir"J wiebeiüoht. JĎcrrulíd madji iejr fem IVeneff. Cr l»ifl betreu. Sinici glaaUg iiidji: CPaa willff, was fariii|I Hü r^uri Í 3)ie 9ii|> lucrt Brö Jjertuled l|l fptjeirbe im icinpo tiníí 9Kiirfd)(í: „Breuns — ircilnb — fremiti jircifle „mehr — trains streifte nubr! VOan ,. iJeiFults Dcrjpridbr, vrairÖ cc l£ 5 „ u-aa 74 "t<2fe3ÍEi«- ,,«'js ßerfulcG ucrTpridir: i was í5cr; „ Fulcfl »crfpriebr, bau -rrirb cr növpeifte nidjt, streifte Hiebt, .'rennb ,. ppciflc nidji, tvaa ßcrrulio r/Crf:n.tif, „ööil rrirb er bal----ten, Jfrcnnb ». jircirtc (iid)i, jrcunb steifte nicbr, pJfftEilb jvrciric iiKbC/ OPM ^i'rfukd Nrfpridht, iviú Jírríulců pcrfprtcbc, >, ^ij ivirí> er balten, ůjq u*trb cr l;-lrcnř „bii wir? ťr b-llren, ucJd ^l'rFuU'ei rer; .. fpndj:, Sin n>irb er ---ten. (\lm crťieSiv.ii i.L'ii lo Cr.ifreu. ) ,, Klif ,,íieiiicn lliiir jurřieť ! ruf biiinün illtic ,.5iiiiet: íic (fiďticr iTilrcn, bic tfiíttcc „ wdicii, iljr ikifilí ijibcrifiiijcnii cjolí, .. líc líní íen yroiiinicii bol£>, unř wco „Sen bei» Ujefajut l>ilb iiiiiLtv|ialrcn. (viní (Cín SpiefruírF uon 5 Ctjflín.) „.írcunb — „ Jfrciuib — freunb jtrciflcnidjr, j-'rcuiib „ jTfíiftc Hiebt, tetu ßcrrulce oerfprieljr, „bao tcirb cr b-l---1 $™utiu> „jtscifíe itid)t, írcunb iircifie iud>r, „ Jrcunb ;treiftc mebr, rrjo ÜcrFulc-i „ rerfpridjtiirau^ctFulca petfpriebr, bja TPirb cr baltcn, bůa trirb cr biliciij bia „ríirb er biltciii tuao i^trFulca ver; ,1 fpncbii bia roirb cr b*l--tcn.^ Saí tldfl miifi(«!ifd)e í5trtb|"uniFti(! Bit Jungfer Sdiroiiijerii] 9)út[6íniei in iftntt ben 4ten Slil mit tintr Iroďnfii Criei> lung, baß fid) eí mít beul ©rrrmírííiirtaiibe Slbmctíi jiciiilid) btjTíTtc — Qai Gentfiii-d)(ii: líni greunb in Oer 9!o[ ifi öclb roerí, ip b'er ůrriil in ?veime gcbraceít miß bi Šorm cmer 2Irit euu)efleibet lucrben. SíuulTe.iu fiuu |rour MU Strien ber ßjariuiia,: Lc Mu. ficien doit Its r^bater. Uiifc. de Muliq. □rt. Cjn/jrí. Jjicr ^efdjafj'i ořer nur ber qjjrrbcnia iiihfb, b.iý fie íliDJií juni ipielen Ijjbcu mčc|)li| nub letnu id) indjt metjr ani Sjor^fijaiijnc Ďádjif, !ď:n mirtí iior, olií l)jlie SOlUcI in feineill Jpjnfe jiiiiljíifDcrlrfib em Stelle ist nicht nur lustig zu lesen, sie ist auch ein wichtiges Beispiel, wie weit bei Unland Theorie und Praxis entfernt lagen, hatte er in seinem Versuch „die bis zum Ekel 'ebnen und ganz am umechten Orte angebrachten Wiederholungen der Wörter" kritisiert. Oder hatte er diesen Fall als an der richtigen Stelle bewertet und war das für Ekel noch zu wenig? Diese „musikalische Beredsamkeit" war seit dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts Streitpunkt. Ob Benedetto Marcello in seiner 1721 erschienen Satire II Teatro alla moda, ob Johann Mattheson 1725 in seinem Des fragenden Componisten Erstes Verhör über eine gewisse Passion, veröffentlicht in der Critica Musica, oder in Mozarts Brief aus Mannheim über eine Arie im schon erwähnten Günther von Schwarzburg, mit welchem er Kraus das Wasser reichen kann: JI: Raaf hat unter 4 arien, und etwa beyläufig 450 Täct einmahl so gesungen, dass man gemerckt hat dass seine stimme die stärckste ursacb ist, warum er so schlecht singt. [...] in der opera musste (!) er sterben, und das singend, in einer langen [mit tenuto Zeichen] lngsamen Arie [gemeint ist die Abschiedsarie Günthers „O süsses Ende meiner Plage! O schöner Abend meiner Tage!"], und da starb er mit lachendem Munde, und gegen Ende der Arie fiel er (!) mit der Stimme so sehr, dass man es nicht aushalten konnte. Ich sass neben den flu: Wendling im orchestre, ich sagte zu ihm, weil er vorher critisierte dass es unatürlich seye, so lange zu singen, bis man stirbt, man kanns ja kaum erwarten. Da sagte ich zu ihm. haben sie eine kleine gedult, iezt wird er bald hinn seyn, denn ich höre es. ich auch, sagte er und lachte «140 Seine wahren musikalischen Vorstellungen sieht Kraus im Werk des Belgiers Andre-Ernest-Modeste Gretry, der sich mit an der Comedie italienne erfolgreich aufgeführten Opern in Paris als Erfolgskomponist etablierte. Als Beispiel nennt Kraus dessen komische Oper Zemire et Azor aus dem Jahre 1771. Dies war Gretrys berühmtestes und erfolgreichstes Opernwerk, komponiert nach dessen Lucile (1770), welche schon wegen ihres empfindsamen Gehaltes, wie Gretry in seiner Biographie berichtet, zu Tränenausbrüchen in der Comedie führte. Beide Opern hatten Jean Francois Marmontel zum Librettisten, wobei Zemire wegen ihres märchenhaften Sujets eine Neuerung darstellt. Marmontel selbst hat seine Begegnung und Zusammenarbeit mit Gretry in seinen Memoires beschrieben. Gretry hatte sich von der Deklamationskunst grosser französischer Schauspieler inspirieren lassen und erreichte bei seinen Melodien eine bislang ungehörte Einheit von Wort und Musik. Doch Kraus' Lob fällt weit kürzer aus, als die Kritik an Alceste. Während er mit der Kritik fast 40 Seiten füllt, bleiben für das Lob lediglich siebeneinhalb Seiten. „Ich verschmiere zuviel Papier", heisst es da auf einmal, „wenns gleich der Mühe wert wäre, ein Paar Bogen mehr davon zu sagen." An fnf ^erk lobt er die kurzen Orchestervorspiele zu den Arien, die harmonischen ergange, sowie die Wort-Ton-Beziehung, die bei der Darstellung von Überredungskünsten auch mal kontradiktiv sein darf „Die Musik soll immer das Gegentheil der Worte ausdrücken, er Einfall ist zwar französisch - aber wie glücklich fuhrt Gretri dieses aus!" Über das ibretto an sich schreibt Kraus leider nichts. Zum Abschluss dieses Kapitels geht Kraus mit negativem. Ton einige Operetten-Komponisten durch, einzig in Joseph Haydn sieht er einen ^gehenden Stern: „Er könnt' es, wenn er wollte." Mo zart: Briefe, Bd. 2, S. 293 61 weites Kapitel, das so nicht genannt ist Kircbenstil ist tod - es lebe der Kirchenstil! In diesem kleinen Abschnitt stellt Kraus fest, dass Kirchenmusik „verschieden nach Religionen" lSt> wobei er die Figuralmusik als „Unsinn - wahrer Unsinn" verwirft. ^ m kritisiert er die Verwendung des dramatischen Stils in der Kirche: „Setzt andre Worte so könnt ihr Operettchen draus machen." Aber auch an der katholischen v henmusik Johann Joseph Fuxens, Florian Gassmanns und František Xaver Richters kritisiert er die Wortwiederholung: „Wozu braucht man ein blosses Amen etliche hundertmal wiederholen? Soll die Musik in den Kirchen nicht am meisten fürs Herz seyn? Taugen j^zu Fugen?" Die protestantische Kirchenmusik sei wiederum überhäuft von Chorälen. „Aber - soll ich's wiederholen? Wenn in den Kirchen die Musik fürs Herz seyn soll; taugen dazu schwärmende Köre? - nach den Regeln des Kanons und Kontrapunkts durchgearbeitete Melodien? oder gar Fugen?", um allerdings lobend zu schliessen: „Grauns Tod Jesu ist ein Meisterstück"." Drittes Kapitel, das so nicht genannt ist Von Oden und Liedern - die Dichter verstehen zu wenig von Musik, die Komponisten zuwenig von der Dichtkunst! Mit Hillers Operetten und den darin enthaltenen Liedern wurde das Feld der Lieder und Oden, „ein Feld, auf dem Kenner und Liebhaber, gross und klein, tapfer rumpflügt", mit einer Masse von Liedkompositionen überflutet. Somit hätten die Deutschen etwas dem Chanson der Franzosen Ebenbürdiges. „Die Liebhaber trillerten die lieben kleinen Ariettchen unter dem Frisieren so lange ab, bis der Perükier und Bediente im Stande waren, sie, wiewol meistens mit einer hinzugesezten kleinen Phrasis, weiters mitzutheilen." An den Lieddichtungen kritisiert er die Forderung der Zeit, dass die Melodie auf alle Strophen passe und somit alle Strophen einer Leidenschaft entsprächen. „Die Natur jeder Leidenschaft muss den Wert der Lieder bestimmen.", womit klargemacht wird, dass nicht von Kirchen- und Volksliedern gesprochen wird. Wenn aber jede Strophe dieselbe Leidenschaft ausdrücken soll, so sei dies nur einem Dichter möglich, der so beschränkt sei „ohne feur'gen Schwung bei seiner dicken Milch zu stehn, und mit Gelassenheit eine Stunde drinn ramrühren zu können, [...] Kurz - ist ein Gedicht so wenig mannichfaltig, dass es nur eine Melodie durch und durch ausdrückt, so ist es kein Gedicht, sondern ein Gewäsch." In den nachfolgenden Seiten zieht Kraus über die bekanntesten Liedkomponisten seiner Zeit her: Christian Gottlob Neefe, Friedrich Wilhelm Weis, Johann Nikolaus Forkel und Friedrich August Beck, die Liedersammlungen von Christian Michael Wolf und Henrich Laag hingegen hebt er hervor. Zum Abschluss gibt Kraus ein fiktives Gerichtsverfahren mit Carl Philipp Emanuel Bach wieder, in welchem er diesen zum Ausbürsten des Kopfes vom „zwanzigjährigen Morast" verurteilt. Bach habe zu wenig Fortschritte gemacht, habe sich zu sehr auf sein Publikum der Kenner und Liebhaber verlassen. Diese Kritik der Liebhaber ist sicher begründet. Reichardt exlagt im ersten Teil seiner Briefe, dass Liebhaber „theils von unwissenden theils auch neidischen und boshaften Leuten irre geführt [werden]. Jene verstehen Bachs Werke nicht, « kÖnn,en sie also ohnmöglich so vortragen, dass sie dem Zuhörer verständlich werden sollen."141 Wer sind Kenner, wer sind Liebhaber? Heinrich Christoph Koch, Musikalisches Lexikon, Frankfurt am Main, 1802: Reichardt: Briefes. 112 62 ,^ennei^ diejenigen Personen, die das Schöne oder Schlechte in den Produkten der Kunst 116 h allein richtig empfinden, sondern auch die besondem Ursachen angeben können, warum m_ 0(jer jenes in denselben schön oder schlecht sey. Man setzt die Kenner oft den ^Hhabern der Kunst entgegen, weil die letztern zwar die Wirkung des Schönen oder Schlechten empfinden, aber keine Kenntnisse von den Ursachen desselben haben. Siehe Liebhaber. Liebhaber. Oft bezeichnet man mit diesem Worte nicht allein diejenigen Personen, die sich nicht mit der Ausübung der Tonkunst beschäftigen, aber so viel Empfänglichkeit für dieselbe besitzen, daß sie ihnen zum Vergnügen und zu einer angenehmen Unterhaltung des Geistes gereicht, sondern auch diejnigen, welche die Musik als eine Nebenbeschäftigung zu ihrem Vergnügen, und nicht als Erwerbsmittel zu ihrem Unterhalte, ausüben. Diese letzte Klasse der Liebhaber bezeichnet man lieber und bestimmter mit dem italiänischen Worte Dilettanten, um sie von der ersten zu unterscheiden, die eigentlich gar keine Kenntnisse der Kunst, wohl aber, es sey nun natürliche Anlage, oder es sey Folge ihrer Geistesbildung, ein so feines Gefühl besitzen, daß sie das Schöne der Produkte der Kunst bey ihrer Ausführung empfinden können. Diese insbesondere sind es, von denen man spricht, wenn man Kenner und Liebhaber einander entgegen setzt, weil sie das Schöne der Kunst empfinden und dadurch gerührt werden, ohne eigentlich zu wissen, warum es schön ist, oder ohne die besondem, sowohl ästhetischen, als mechanischen Mittel zu kennen, wodurch es hervorgebracht wird." Bach fing tatsächlich im Erscheinungsjahr der Schrift von Kraus an, Sammlungen von Ciaviersonaten für Kenner und Liebhaber herauszugeben, die er in sechs Teilen 1779 (Wq 55), 1780 (Wq 56), 1781 (Wq 57), 1783 (Wq 58), 1785 (Wq 5i) und 1787 (Wq 61) in Leipzig veröffentlichte und bis auf die letzte Sammlung finden sich in den fünf vorhergehenden teilweise recht alte Kompositionen, in der ersten zwei 14 Jahre früher entstandene, in der zweiten eine sechsjährige, in der dritten eine fünfzehnjährige, in der vierten eine achtzehnjährige und in der fünften eine sechsjährige Sonate. Sollte Bach seinen Stil tatsächlich für so zeitlos gehalten haben? Man sieht an den letzten Zeilen, dass Kraus in seinem jugendlichen Feuer schon das als alt empfand, was gerade noch vom Publikum als modern verkraftet werden konnte. Er erwartete grösseren Mut von einem Bach, ein Wunsch, dem Bach wohl gerade in der letzten Kammermusik seines Lebens, den Quartetten für Flöte, Bratsche und Fortepiano (Wq 93-95) nachkam. Vielleicht hatte Krausens Schrift auf Bach motivierend gewirkt, eine direkte Reaktion ist nicht bekannt geworden. Ausserdem muss man der Carl Philipp Emanuel Bach-Forschung vorwerfen, Krauses Schrift zu ignorieren, weder Ottenbergs ansonsten detaillierte lographie und Werkanalyse noch die Dokumentensammlungen zu Bach erwähnen jene kritischen Worte! Zurück zur Oper: klein ^e.^/ersuc*le ^es Duos Wieland/Schweitzer auf der Weimarer Bühne waren aber e^ne' ln(^iv^uelle Ansätze, um eine deutsche Oper durchzusetzen, bedurfte es dringend 1778 ^.ac^twortes von °ben. Eines kam aus Wien, von dem Mozart in Mannheim Anfang norte. In der bei der Mitteilung intimer Fakten von Mozart und dessen Vater sendeten Geheimschrift schreibt Mozart im Anhang seines Briefes vom 10. Januar 1778: 63 iss / ganz gewis / aas ^er Kaiser in Sinn hat in Wien eine teutsche opera aufzurichten, und dass jch wei en Kapellmeister, der die teutsche Sprache versteht, und Genie hat, und imstande ist ff eUien,-^c auf die Welt zu bringen, mit allen ernste sucht."142 etwas neues, p m schliesst er die Bitte an, Leopold möge sich an gute Freunde in Wien wenden, um seinen Sohn am Hofe schmackhaft zu machen. Leopold scheint sich sofort an die Arbeit gemacht zu denn einer dieser, Franz Edler von Heufeld, bestätigt schon am 23. Januar diesen Jahres' dass „der Kaiser, welchem seine Mutter das Theater gänzlich überlassen hat, eine deutsche komische Opera zu errichten willens ist."143 Es dauerte dann aber doch noch einige Jahre bis sich ein deutsches Singspiel in Wien etablieren konnte, und dies weniger dank höfischer Aktivitäten (Jospeh II starb 1790, sein Nachfolger Leopold II. war an Musik wenig interessiert und war auch nur zwei Jahre an der Macht) als dank Theatergesellschaften, die sich dem Singspiel widmeten und dies dem Bürger zugänglich machten. Denn das geplante deutsche Nationaltheater war beladen mit Problemen, die Mozart in einem Brief vom März 1785 an den Librettisten des Günther von Schwarzburg, Anton Klein, der Mozart ein Libretto Kaiser Rudolf von Habsburg angeboten hatte, sehr gut charakterisierte: ,nach den bereits gemachten anstalten sucht man in der that mehr die bereits vielleicht nur auf einige zeit gefallene teutsche Oper, gänzlich zu Stürzen - als ihr wieder empor zu helfen - und sie zu erhalten. - Meine Schwägerin Lange nur allein darf zum teutschen Singspiele. - die Cavallieri, Adamberger, die Treuber, lauter teutsche, worauf teutschland Stolz seyn darf, müssen beym welschen theater bleiben - müssen gegen ihre eigene landsleute kämpfen! - - die teutschen Sänger und Sängerinnen dermalen sind leicht zu zählen! und sollte es auch wirklich so gute, als die benannten, Ja auch noch bessere geben, daran ich doch sehr zweifle, so scheint mir die hiesige theater direction zu oeconomisch und zu wenig patriotisch zu denken um mit schwerem geld fremde kommen zu lassen, die sie hier im orte besser - wenigstens gleich gut - und umsonst hat; [...] die Idee dermalen ist, sich bey der Teutschen oper mit acteurs und actricen zu behelfen, die nur zur Noth Singen; - zum grössten unglück sind die directeurs des theaters so wohl als des Orchesters beybehalten worden, welche sowohl durch ihre Unwissenheit und unthätigkeit das meiste dazu beygeragen haben, ihr eigenes Werk fallen zu machen, wäre nur ein einziger Patriot mit am brette - es sollte ein anders gesicht bekommen! und da würde vielleicht das so schön aufkeimende National-theater zur blüthe gedeihen, und das wäre Ja ein ewger Schandfleck für teutschland, wenn wir teutsche einmal mit Ernst anfiengen teutsch zu denken - teutsch zu handeln - teutsch zu reden, und gar teutsch - zu Singen!! !"144 Doch wie gesagt, das Problem der Sprache war kein so bedeutendes, dass es die Ideale der Empfindsamkeit verkörpern konnte, wenngleich Textverständlichkeit notwendig war. Da aber allein die Form des Gesanges in vielen Schriften grosser Kritik ausgesetzt war, verlangte Empfindsamkeit in der Musik eine neue Ausdrucksform. lelodram Kein geringerer als Jean Jacques Rousseau, jener Philosoph und Aufklärer, der sich als ranzose so vehement gegen die französische Musik ausspricht, (eine Tatsache, der angesichts des Faktums, dass Empfindsamkeit als Wort und Inhalt aus England kommend, ort aber von Frankreich inspiriert, besonderer Bedeutung zukommt), legt 1762 mit seiner scene lyrique Pygmalion den Grundstein zur Schaffung einer als Melodram bezeichneten ■j^en Musikform. Rousseau jedoch verwendet den Begriff Melodram nicht, Melodram ist bei lej^j100*1 Synonym für die Oper, ähnlich wie das italienische Wort melodramma. Das ist verständlich, berücksichtigt man die etymologische Zusammensetzung des Wortes aus uj^art: Briefe, Bd. II, S. 363 luM^n^Ch: Mozart> Dokumente seines Lebens, Kassel 1981, S. 104 Mozat: Briefe, S: 397 64 führt zur Simplifizierung der Musik, was eine neue Musiksprache selbst in den Opern hat, die dann ab Jahrhundertmitte mit der auf einmal so polulären Operette konkurrieren musste. AH dies zur Folge Kirchen musik Wenngleich man all den Quellen nach den Eindruck haben könnte, die einzige Neuerung in der Kirchenmusik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sei der Durchbruch des dramatischen Stils, zeigt sich mit Blick auf Berlin noch eine Neuerung in Form der als Cantate bezeichneten Passionsmusik Der Tod Jesu Carl Heinrich Grauns, der Mann, der sich mit nichts als mit unserm Herzen unterhielte, zärtich, sanft, mitleidend, erhaben, örächtig, donnernd; der Tränen, Freude und Verwundrung aus uns presste, ein Künstler , dr die Kunst nur dazu gebrauchte, um die Natur, die reizende Natur, desto glücklicher, desto ausdrückender nachzubilden, [■■•] empfindungsvoll, gedankenreich, ein Muster in der heiligen Musik [...] der rechtschaffendste Weltbürger, der Patriot", wie ihn in einem Nachruf F.U. Zachariä mit allen Attributen der Empfindsamkeit betitelt.169 Grauns Tod Jesu, nach einem Libretto Ramlers 1755 entstanden, brach die Konventionen der herkömmlichen Passionsmusik, welche die ganze Leidensgeschichte bislang unermüdlich erzählt hatte. Graun bietet nur Auszüge aus dieser an, setzt somit die aktive Kenntnis beim Hörer voraus und beschränkt sich auf die Darstellung der Empfindung des Mitleidens, die in den Rezitativen und Arien ausgedrückt werden. Hier gibt es auch keine Rollen (Evangelist, Petrus, usw.), lediglich je ein anonymer Sopran, Tenor und Bass bieten dem Publikum bei Beschreibung dessen, was der Erlöser zu erdulden hat, eine Identifikationsebene des Mitleidens an - Man erinnere sich an Abbts/Mendelssohns/Nicolais Vergleich des die Operation seines Freundes Mitfühlenden. Schon der nach dem Eingangschoral den Zustand des Heilands beschreibende Choral „Sein Odem ist schwach" verbindet Seufzermotivik mit barocker Fugenkunst („Seine Tage sind abgekürzet"), wobei die die Abkürzung ausdeutende Sospiren (so nannte man damals kleine Pausen) mit den ihnen entgegenstehenden Orchsterakkorden vieles der Wiener Klassik vorwegnehmen: Jj I '.S(ini^fl5<[int>ob3ttirjrt, jírúrjrč finöib-et— firjrt, |inb «b-si-iürjrt. ^T^St fm6 abgilt — jfl.fmDab— 3t - fúrjrt, (Tnö ab - jt — fúfjd, fmb ab—je — Tuqrt. 'Ii I j fjrjft, ^Jtfnr^i^tinbabgrfund.finfcab- jt — iirjrt, pnö ab - gt -fucirt. -y-*:-*~t-i-->-^-1-,— J»--------- i3 fůrjrt, aisř-fjc — jtr. gcfurjri.fin»ab- jí — Tur-ff, puĎ ab-gť-Turjrt. -3 1 '---- zltiertbeiBurney 1773, Ausgabe 1980, S. 433f. 72 Ebenso von der barocken Figurenlehre bemflusst zeigt sich die Ausdeutung des Jammers mit Chromatik und Kreuzmotiv: V. @*inf (2ftt{ ifleoU 3am — -- — — ifitoD 3„i ,_■ , -»i ^ J ■ „VI s JjV Nach diesem, sich sehr der Sprechweise des Barock anlehnenden Chor schockt Graun durch ein Rezitativ, das in der Musikliteratur lange von sich reden machen sollte. Es ist das „Gethsemane, Gethsemane" von welchem auch im 100. Kritischen Brief über die Tonkunst die Rede ist, wobei sich auch der CXIII. Brief vom 2. Oktober 1762 mit verschiedenen Rezitativabschnitten dieses Werkes beschäftigt. Hier verbindet Graun kontemplative Abschnitte („Wer ist der peinlich langsam sterbende? Ist das mein Jesu? Bester aller Menschenkinder, du zagst, du zitterst gleich dem Sünder") mit theatralisch impulsiver Gestik („Sein Herz in Arbeit fliegt aus seiner Höhle"), wobei Graun hier gänzlich auf figurale Ausdeutung verzichtet und damit der barocken Musiksprache den Rücken kehrt, Wörter wie „fliegt" werden nicht durch Tiraten und dergleichen Figuren gezeichnet, das Orchester kommentiert nur harmonisch, ist Ausdrucksebene der Empfindungen, ein 1755 sehr moderr. anmutender Schritt, der erst zwanzig Jahre später im Melodram Bendas zuende geführt werden soll. Die erste Hälfte des Rezitatives dominieren Fragezeichen, die Graun mit vergrösserten Sextakkorden verbunden mit phrygischen Kadenzierungen zeichnet. Die das erste Sechzehntel auslassende Vibratobegleitung kannte Graun von der Oper her, als deren grosster Vertreter er neben Hasse gefeiert wurde. Der Einzigartigkeit dieses Rezitatives wegen, sei es hier zum Teil wiedergegeben: 73 Dem entgegengesetzt finden sich zwei Arientypen, die virtuose Opernarie (z.B. „Du Held!") und die liedforrnige Arie (z.B. „Ein Gebet um neue Stärke"). Gerade diese dem Operntyp sich anlehnende Arien wurden von einigen Zeitgenossen Grauns kritisiert170, ohne sie wäre aber einerseits der Spannungswechsel zwischen expressiver und introvertierter Ausdruckskunst verloren gegangen, was zu einer Einseitigkeit in einer so grossen und langen Komposition geführt hätte. Johann Christoph Friedrich Bach konnte sich das in seinen als „biblisches Gemähide" bezeichneten Kurzwerken Die Kindheit Jesu oder Die Auferweckung Lazarus erlauben. Andererseits sieht Schubart gerade in der Verwendung weltlicher (der Oper entliehener) Elemente die einzige Identifikationsmöglichkeit für den Menschen: '^ul1 ^aun t*13* diess aus tiefen Gründen: der Engel nimmt Pilgergestalt an, um mit ataubbewohnern reden zu können."171 Brauns P Passion, 1760 in Leipzig als Partitur gedruckt und auch 1785 in einem Klavierauszug Matt" nCn' ^ * 6 Passi°nsmusik Berlins schlechthin und wurde bis zur Etablierung der ^^auspassion J.S. Bachs durch Felix Mendessohn-Bartholdy alljährlich aufgeführt, war 170. 74 ■ eines der ersten Musikdenkmäler. Die Neuerungen, die Graun hier einfuhrt, wurden S0D1 Publikum und der Kritik positiv aufgenommen und fanden in C.Ph.E. Bachs ^rchenkompositionen, vor allem in Die Israeliten in der Wüste Wq 238 (Hamburg 1775) ihre Nachfolge- iteratur und Musik: Schubart, Heinse und Goethe In kaum einer Persönlichkeit finden sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Literat Musiker und Musikkenner so vereint, wie in denen von Christian Friedrich Daniel Schubart, Johann Jacob Wilhelm Heinse und Wolfgang von Goethe. Schubart und Heinse zeichnen sich im Gegensatz zu Goethe, dessen empfindsame Zeit mit der Italienreise 1786-88 zuende geht, durch ein lebenslanges Festhalten an den Ideen der Emfindsamkeit aus. Auch war Schubart ein grösserer Freigeist als Goethe, der sich doch in den sowohl künstlerisch wie administrativ geprägten höfischen Diensten viel wohler fühlte als Schubart. Schubart Liest man Schubarts Autobiographie Leben und Gesinnungen fühlt man sich sehr an Friedrich von Eichendorffs Aus dem Leben eines Taugenichts erinnert. Schubert, der an verschiedenen süddeutschen Höfen Stellung suchende und aufgrund seiner scharfen Zunge immer wieder eingesperrte, hinausgeworfene, letztendlich grundlos zehn Jahre (1777-87) auf dem Hohenasperg in Haft sitzende Musiker und Literat, der sich nie beugen liess und es als Einzelerscheinung im Süden Deuschlands viel schwerer hatte als ähnliche Freigeister im Norden. (Man denke nur an August Friedrich Cranz, den Berliner Autor der Chalatanerien.) Wie im abschliessenden Kapitel Nordismo aufgezeigt wird, traf eine intensiv emfindsame Lebensauffassung im Süden nicht auf ein solches Verständnis, wie dies im Norden der Fall war, was sich letztendlich in stilistischen Diskrepanzen ausdrückt. Schuld daran war sowohl die katholische Macht wie auch die Feudalherrschaft des Württembergischen Herzogs Carl Eugen, die ein grasses Gegenstück zum Berliner Hof darstellt. Dazu kam, dass verschiedene, unter kirchlicher Regierung stehende Kleinstaaten, wie etwa die Klosterherrschaft Wiblingen, eine eigene, vom Herzog allerdings tolerierte Rechtssprechung hatten, die man getrost als mitteralterlich bezeichnen kann und wo es 1776 noch möglich war, dass ein junger Student namens Joseph Nickel die Unvorsichtigkeit beging „einige Voltairische Maximen, die er vielleicht in Tübingen gehört haben mochte, in einem katholischen Wirthshause herauszuplaudem. Er ward [...] als ein Lästerer Gottes und der Heiligen enthauptet, verbrannt und seine Asche auf die Iiier gestreuet."172. Schubart hat im „finstersten Winkel des katholischen Schwabens"173 sehr gelitten, kam aber aus den südlichen den weg- Ohnehin stellt sich die Frage, wo Schubart mit seiner Auffassung uneingeschränkt hätte leben können. Der Druck seiner Umgebung verhalf immerhin, dass er seine Freiheits- und zugleich Vaterlandsliebe in der Zeitschrift Deutsche Chronik destillierte, n , 1Jlm aucn eine Reihe von Problemen wie Änderungen des Erscheinungsortes eintrug. In ^hubarts Briefen wie der „am 819ten Tage meiner Gefangenschaft den 21ten April 1779"174 n en Autobiographie wird immer deutlich, welch grosse Oase ihm die Musik war, der er Chri 173 ibidSUan Fnedrich Daniel Schubart: Leben und Gesinnungen, Stuttgart 1791, Neuausgabe Leipzig s.a., S. 128 174 ., . 'HS. 171 75 1763-68 als Präzeptor, Musiklehrer und Organist in Geislingen und danach 1769-73 als SlC kdirektor in Ludwigsburg gänzlich widmen konnte und die ihm später, vor allem Dank ^USl Klavierspiels, die Freundschaft und Unterstützung einiger Adligen eintrug. Wie stark semeS.„,'Ti Dräns gewesen sein, all das ihn Bedrückende in der Musik hinter sich zu lassen, muss sein l^itt & & Musikalisches Ideal war ihm C.Ph.E. Bach, wie in seinen Briefen zum Ausdruck kommt „Bach ist mir in der Musik, was mir Klopstock in der Poesie ist." schreibt er am 3. Juli 1783 seinem Sohn Ludwig.175 Auch schätzte er Bachs Versuch über die wahre Art das Ciavier zu spielen und empfiehlt sie seinen Schülern. „Bach ist im Klavier klassisch. Er kostet 12 fl und ist in Tübingen zu haben."176 heisst es am 7. Dezember 1771 und noch 1783 lässt er seinem Schüler Abeille, den er offenbar in seiner Haft unterrichtete, ausrichten: „Sag ihm, er soll ja Bachs wahre Art, das Klavier zu spielen sich eiligst kaufen und studieren."177 Obgleich im Süden heimisch, lehnt er den dort gepflegten italienischen Geschmack ab, ich studierte den welschen Geschmack, der schon damals statt des ehemaligen altwelschen Herz und Geist stärkenden Geschmacks meist in wollüstigen Honigtropfen zerrann, zwar kitzelte, aber nicht stärkte."178 und auch in der Kirchenmusik gepflegt wurde: „man nahm Jomellis Opernanen, presste erbärmlich deutsche Texte drunter und führte sie meist elend auf. [...] Indessen behalf ich mich mit Graun, Telemann, Benda, Bach und anderen Kirchenstilisten [also lauter norddeutsche Meister], und meine Freunde von der Hofmusik halfen mir dazu, dass ich oft eine Kirchenmusik auffuhren konnte, wie man sie wohl damals in Deutschland - sonderlich unter den Protestanten schwerlich gehört haben mochte."179 Schubart, „der erste wahre grosse Flügelspieler, den ich bisher in Deutschland angetroffen hatte"180 bildet sich von früh auf im Klavierspiel, welches in Ludwigsburg seinen Höhepunkt eneicht. Er avanciert zu einem gefragten Klavierlehrer und immer wieder wird seine Vorliebe für die Fantasie laut: „Ich gab den ersten Damen des Hofes, auch einigen Italienern, Unterricht im freien und begleitenden Vortrage"181 erinnert er sich an Ludwigsburg, und auf seiner Reise nach Heidelberg begeistert er in einem Kasteller Landhaus die Baronin von Kastell: ,Als die Baroness vom Flügel aufstand, so setzt' ich mich und fing an zu phantasieren. Alles lauschte, flüsterte Beifall [...] denn ich hatte damals meine höchste Zeitigung erreicht, spielte äusserst schwer und doch mit Geschmack."182 In Ludwigsburg besucht ihn auch Burney, leider ist das Hoforchester in Gravenbeck, und mit dem Vorsatz, dem Engländer echt deutsche Musik zu präsentieren, lässt er diesem „schwäbische Schleifer und Dreher vorgeigen, Nationalgesänge vorsingen, spielte ihm selbst Choräle und alles vor, wovon ich wusste, dass es mit welschem oder französischem Geschmacke nicht kandiert, sondern echt deutsch war.' Wie kam das bei Burney an? 176 177 178 179 ita 181 C-FD. Schubart: Briefe, Leipzig 1984, S. 183 ibid. S nnf toid, S. 130f. ibid,S. 183 Schubart: Gesinnungen, S. 55 lbid, S. 55f. Biaaey: Tagebuch II, S. 232 Gesinnungen, s.56 »id, S. 57 76 Abend war er [Schubart] so gefällig, drei oder vier Bauren in seinem Hause zu „Und gegen um solche Nationalmusik singen und spielen zu lassen, nach welcher ich ein grosses Verlangen bezeigt hatte. der Deutschland im Eilflug durchreiste „nicht, wie ein Musikus gemeiniglich zu sen pfleg1' ura zu ver^enen' sondern es zu verzehren"185 und das ohne Deutsch-kennuiisserhieit: es wirklich für Nationalmusik. Die Schwaben können stolz sein. Schubart ist in Süddeutschland eine Ausnahmeerscheinung und um die Pflege des empfindsamen nordeutschen Stils macht er sich dort in ähnlicher Weise wie Baron van Swieten in Wien verdient. Seine Biographie bietet genaueste Beschreibungen der damaligen süddeutschen Verhältnisse sowie verschiedener Persönlichkeiten. Besonders ist sein Dialog mit Kurfürst Carl Theodor von Mannheim zu nennen, der Schubart angeblich in Dienste nehmen wollte, dann aber doch hiervon absah. Schubart war für die Mannheimer Schule sicher zu empfindsam, zu norddeutsch. Zudem ist Schubart für die schriftliche Verbreitung des empfindsamen Stils in Wien bedeutend, wo erst 1806 - was deren Bedeutung nur unterstreicht - seine 1784/85 entstandenen Ideeen zu einer Ästhetik der Tonkunst erscheinen. Neben einer Beschreibung der Musik in verschiedenen deutschen Stätten, sowie der einiger ausländischer Länder, sind in den Ideen besonders die Charaktere brühmter Tonkünstler einzigartig, wobei hier einer ganzen Reihe heute vergessener Meister gedacht wird. Schubarts Ideen schliessen mit einer Charakterisierung der Instrumente (vgl. Kapitel: „Instrumente der Empfindsamkeit") sowie allgemeinen Erörterungen über „Colorit", Genie und Ausdruck. Johann Jacob Wilhelm Heinse ist weniger als Musker denn als Musikästhetiker interessant. Im gleichen Jahr, in welchem Schubart seine Ideen schreibt, verfasst er den musikästhetischen Roman Ardinghello. Mit Hildegard von Hohenthal (Berlin in zwei Teilen 1795/96) schafft er ein wichtiges Dokument musikästhetischer Anschauungen des Ausklingenden 18. Jahrhunderts. Leider nicht als Neuausgabe zu erhalten, daher kennen es noch weniger als keiner. Ebenso bedeutend sind seine Musikalische Dialogen. Erst 1805 in Leipzig erschienen und von dem Herausgeber als „Schattengespräche" bezeichnet, finden sich hier drei fiktive Dialoge, die man sich durchaus auf der Bühne vorstellen kann. Es sind keinesfalls Dialoge irgendwelcher Musiker, nein, der erste „über musikalisches Genie" steht zwischen Rousseau und Jomelli, der zweite - ohne Titelbezeichnung - zwischen einer Prinzessin, Metastasio und en Grazien und der dritte „Über musikalische Bildung" zwischen Löwe, Waldmann, einem Cantor und dreier Mädchen. »ohann Wolfgang von Goethe Goetlies Leiden des jungen Werther (1774) ist eine Bibel der Empfindsamkeit en, die viele Suizid-Nachahmer und Selbstmord-Diskussionen auslöste, jedoch auch Nicor Reaktionen Anlass gab. Man denke nur an Goethes Streit mit Friedrich 0 ai, der als Gegenreaktion Die Freuden des jungen Werthers veröffentlicht hatte. Lenz '«fb^ey-TagebuchII,S.233 lbld, S. 232 77 • rte Anfang 1774 Goethe den Rücken stärkend mit seinen Briefen über die Moralität der re v/ des jungen Werther. Lächerlich über diese Streitereien macht sich August Friedrich Cranz in seinen 1780 erschienenen Des jungen Werthers Freuden in einer bessern Welt. Sicher ist es kein Zufall, dass es die Leiden desjungen Werther sind, denn die Jugend der meisten Autoren scheint eine besonders empfindsame gewesen zu sein die zur Verfassung solcher Werke Anhalt bot. Im 1797 geschriebenen Vorbericht zur zweyten Ausgabe von Christoph Martin Wielands Erzählungen heisst es: „Das damahlige Alter des Verfassers ist eigentlich dasjenige, worin empfindungsvolle Seelen von einer gewissen Schwarmerey, die den Gefühllosen so unverständlich und den Weltleuten so albem vorkommt, am stärksten hingerissen werden; worin die ganze Natur uns mit zärtlichen Sympathien erfüllt, und eine Liebe, wie Petrarch für seine Laura fühlte, die ganze Schöpfung in unsern Augen verklärt, und allem, was uns umgiebt, ihren Geist und ihre Wonne mitzutheilen scheint."186 wenngleich sich Goethe nach der Rückkehr aus Italien von der Empfindsamkeit distanzierte hat er sich sein ganzes Leben lang für Musik interessiert, vor allem sein Gedankenaustausch in Briefform mit Zelter ist herauszustellen. Musik ist ein wichtiges dramatisches Element in all seinen Werken, hierdurch kommt es zu einem Anhalten im Tempo des Geschehens Als Intendant des Weimarer Theaters, zu dem Schauspiel und Oper gehörten, stand Goethe fast dreissig Jahre vor. Seine Fragment gebliebene Fortsetzung der Zauberflöte beweist nicht nur wie sehr er dieses Werk schätzte, sondern legt Zeugnis für Goethes (einseitig gebliebene) Mozart-Bewunderung ab. ' C-M- Wieland: Sämmtliche Werke, Faksimile, Hamburg 1984, Supplemente zweyter Band, S. 40 78 Instrumente der Empfindsamkeit „[...] wir lernen es nicht begreifen, warum die Wahrnehmungen des einen nur angenehm, die des andern hingegen schön sind; warum für Gesicht und Gehör Künstler von höherm Range, für den Geschmack nur Künstler von niedrigem Range arbeiten; für jene der Maler und Tonkünstler, für diesen der Koch." Johann Jakob Engel: Ueber einige Eigenheiten des Gefühlssinnes187 1788/89 ,188 „Ich aber werde dunkel sein." schreibt Jakob Michael Reinhold Lenz infolge seiner Ausweisung aus Weimer, die durch einen von Goethe als „Eseley" bezeichneten, bis heute nicht geklärten Fehler Lenz' verursacht worden war. Mit diesem, von der Empfindsamkeits-Forschung leider kaum beachteten Begriff des Dunklen, versinnbildlicht Lenz seine Betrübnis. Dunkel als Folge der Dämmerung, dunkel als alle Farben Nivellierendes (In der Nacht sind alle Katzen grau - was Don Giovanni benutzt bei seiner durch Parodie lächerlich gemachten Fensterarie, indem er Leporello statt seiner ausgibt). Nahe liegt der Begriff der Dunkelheit: „Hier, wo verschwiegne Dunkelheiten Den Trauerflor um mich verbreiten"189 Vergessen sollte man in diesem Zusammenhang nicht die sich einer grossen Popularität erfreuenden Nachtgedanken von Edward Young. „Die Sonne löscht alle Freuden der Nacht aus, wie die schönen Sterne, so die süssen Melodien und Harmonien der Phantasie, und die stärksten Gefühle derVergangenheit und Zukunft. Die Nacht hat etwas Zauberisches, was kein Tag hat; so etwas Grenzenloses.Inniges, Seeliges [...] und man schwimmt und schwebt, ohne Anstoss, auf Momente im ewigen Leben." schriebt Heinse 1794 in seinem musikästhetischen Roman Hildegard von Hohenthal. Und C. Ph.E. Bach nennt seine c-moll Fantasie eine "finstere Fantasie"190. Mit „dunkel, finster'"191 charakterisiert Schubart auch Kompositionen, z.B. die von Johann Gottfried Müthel und verwendet Assoziationen des Dunkeln bei seiner Tonartencharakteristik Und Mozarts Königin der Nacht. 187 B Jj1' ^armtuung der deutschen Abhandlungen, welche in der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu 188 ziti VOrgelesei1 worden in den Jahren 1788-89, Berlin 1793 189 AmTn Ausstellungskatal°g in www.lenz-forum. de 190 in ■ Ber§h°fer: Zärtliche Schwermuth in: Berghofen Schriften, Wien 1783, zitiert nach Sauder III, S. 156 SrÜTm Brief an Forkel< v§f Ortenberg S. 118 Schubart: Ideen, S. 105 79 Begriff des Dunklen ist eng verbunden mit dem des Schattens, wobei beide auch die ^■fve Bedeutung von Schutz in sich tragen können, was nachstehendes Zitat aus Amand Berghofers Briefe an Clais beweist: n Himmen [Hymen, griechischer Gott der Hochzeit] unsre Liebe, und der Frühling unseren " f thalt verschönert, wenn im grünen Dunkel fruchtbar die Schöpfung blüht, und uns beide nur ein Schatten dekt - dann will ich voll süsser Beruhigung an deinem schuldbefreiten Herzen einschlummern."192 Und Schatten ist immer Abbild, wie die Wörter Schattenriss und Schattenbild verraten. Da ist es dann ein kleiner Schritt zur Physiognomie (siehe Kapitel: Dies Bildnis ist bezaubernd schön) Reflexion XII. Der Begriff des Schattens ist in der Kunst mit der Schattierung verbunden. Es verwundert mich immer wieder, dass sich der Begriff der Schattierung in nur wenigen Musikbüchern findet, wenngleich der Vergleich von Licht und Schatten als gängig bezeichnet werden kann. Hubers Zitat habe ich schon oben angführt, Reichardt schreibt 1784 auch - wie Huber, wenn die Rede von crescendo und decresendo ist - von "Schattierung einer hellen oder dunkeln Farbe"193. Auch Schubart, wenn er in seinen Ideen „Vom musikalischen Coloriť' spricht, weißt auf „viele Nuancen und feine Schattirungen der Tonkunst" hin, „die aber nicht in die Sphäre des Scribenten, sondern in den Lichtkreis des musikalischen Kopfs gehören."194 Zedier definiert in seinem 1732 herausgegebenen Universal-Lexikon Schattierung lediglich aus Sicht der perspektivischen Malerei. Musiklexika verwenden das Stichwort nicht. Dunkelheit, mit welcher der Mensch des 18. Jahrhunderts als der Gegnerin des Tageslichts tagtäglich kämpfen musste - man denke an die in diese Zeit fallenden Versuche mit Strassenbeleuchtungen in Wien, Paris und Berlin - war zugleich Symbol der Unsicherheit hervorgerufen durch das Nicht-Sehenkönnen, womit die nachtaktive Natur einen besonderen Zauber bekam. Und Dunkelheit ist auch eines der Kennzeichen des empfindsamen musikalischen Instmmentariums, nach Herder der Musik an sich: „Musik erregt eine Folge inniger Empfindungen, wahr, aber nicht deutlich, nicht anschauend, nur äusserst dunkel"195 Zur Zeit der Empfindsamkeit lassen sich drei Tendenzen feststellen: 1) die Suche nach dem modulationsreichen Ton, 2) die Suche nach dem esoterischen Ton und 3) die Suche nach dem dunklen Ton. Modulationsreichtum nicht im harmonischen sondern dynamischen Sinne wurde bei ergebrachten Instrumenten, wie der Violine, durch verfeinerte Ausdrucksmerkmale erreicht tsiehe Kapitel: Empfindsame Ton- und Spielarten), auch ganze Instrumentengruppierungen, wie das Orchester, wurden dynamisch umstrukturiert. Anstelle der Blockflöte trat die raversflöte, die seit ihrer ersten Verwendung in einer Liebesarie von Jean Baptiste Lully jt Symbol der Liebesempfindung wurde. Am wohl stärksten hat dies Jean Philippe Rameau seiner Scéne Pygmalion zum Ausdruck gebracht, wo zwei Flöten die ersten Bewegungen 111^^4 Berghofer: Briefe an Cleis in: Berghofers Schriften, Bd. 2, Wien 1783, S. 41-103, zitiert nach Sauder ml 44 „ reichardt: Briefe I, S. 11 ^chubart: Ideen, S. 366f. 0 ann Gottfried Herder: Werke, Band 4, S. 161, zitiert nach: Schleuning, S. 504 80 ZTirn Leben erweckten Statue begleiten. Dass die Flöte auch als Symbol des Bukolischen ^ Schäferszenen herhalten musste (siehe Joseph Bodin de Boismortiers Kantate Le aÜ' temps in dessen Les quatre Saisons - Vier Jahreszeiten), entsprach dem Suchen der u"feridylle, die aus Frankreich kommend von Gessner und Wieland in Deutschland rChgesetzt werden sollte. Georg Philipp Telemann hat in seinem Doppelkonzert für Block-und Traversflöte mit Orchester und Generalbass den Kampf beider Flöten ausgedrückt, um im letzten Tanz deren Eignung für die volksnahe Musik zu unterstreichen. Ein ähnlicher musikalischer Streit findet sich im Schaffen Carl Philipp Emanuel Bachs in Form des Doppelkonzertes für Cembalo, Hammerklavier und Orchester mit Generalbass Wq 47 (Hamburg 1788)- Auch hier wird die Abgabe einer Vorherrschaft gezeichnet, das Cembalo, welches trotz zahlreicher baulicher Verbesserungen rein mechanisch gesehen keinen so dynamisch veränderbaren Ton hervorbringen konnte wie das sich bereits Ende des 17. Jahrhunderts langsam durchsetzende Fortepiano, mit welchem man „den ganzen Zauber der Tonkunst lenken kann."1 Tasten- und „Finger"-Instrumente Das Tasteninstrument der Empfindsamkeit schlechthin aber war das Clavichord, „dieses einsame, melancholische, unaussprechlich süsse Instrument", welches im Gegensatz zu Fortepiano und Cembalo auch Vibratospiel, das sogenannte Beben, erlaubte. Schubart spricht sogar von dem „unter den Fingern verathmenden Triller" und spricht dem Clavichord die Fähigkeit zu, „alle Züge [...], aus denen das Gefühl zusammengesetzt ist" ausdrücken zu können. Das Clavichord wurde in seiner Bauweise zudem, im Gegensatz zum Fortepiano, als vollkommen betrachtet. Der Musiker im Zwiegespräch mit seinem Ciavier, dem er sich und seine Empfindungen ganz anvertrauen konnte. Dies symbolisiert C.Ph.E. Bachs Werkbezeichnung Abschied vom Silbermannschen Ciavier. Die Suche nach dem esoterischen Ton brachte Instrumente hervor, die sich ohne das Phänomen der Empfindsamkeit wohl nie durchgesetzt hätten. So die Glasharmonika, „diess tief rührende melancholische Instrument"197, wie es Schubart nennt, welche eine technische Verbesserung des Spielens auf Weingläsern darstellt. Gerade bei der Glasharmonika trifft man heute immer wieder auf das Argument, es handle sich um einen Versuch, der eine Einzelerscheinung darstellt. Das mag angesichts der wenigen erhaltenen Instrumente so aussehen, ein Blick auf die Musizierpraxis dieser Zeit lehrt uns ein anderes. Zwar war es den Anhängern der Iatromusik ein Dorn im Auge, dass der Spieler aufgrund des ständigen direkten Nervenreizes der auf den sich drehenden Glasschalen ruhenden Fingern einem ständigen Gesundheitsrisiko ausgesetzt sei, doch an einem Blick auf Prag sei die dortige Vorliebe für dieses Instrument bewiesen, was darin zum Ausdruck kam, dass jede erbesserung an der Glasharmonika in Prag augenblicklich im periodischen Druck referiert ^de. Einer der Gründe ist sicher die Tatsache, dass gerade in Prag Anton Renner die nebsmechanik der Glasharmonika verbesserte, um diese vom Takt unabhängig zu machen die Geschwindigkeit der sich drehenden Glasglocken beeinflussen zu können, was die ynamischen Möglichkeiten des Instrumentes förderte, „folglich einen anwachsenden, enden, oder immer gleich starken Laut hervorgebracht werden konnte"198, wie die Kaiserl. ^gl Prager Oberpostamts-Zeitung am 19. Mai 1781 berichtet. Dieselbe Quelle berichtet • September 1784, dass Kapellmeister Schmittbauer in Karlsruhe den Umfangs auf mehr ,«1HS.224 2ltiertnachMusicalia v pražském periodickém tisku 18. století, Praha 1989, S. 171 81 drei Oktaven erweitert habe. Die Prager interessanten Nachrichten berichten am 8. März ^s r in Berlin im Oktober des Vorjahres Professor Burja eine Glasharmonika estellt habe, die mit zwei, in beiden Händen zu haltenden Violinbögen gespielt wurde. V°rf am 5- April 1797 berichtet die gleiche Zeitung von einer Verbesserung der r\ harmonika durch den Wiener Mathematikprofessor Konrad Bartl, welche im Zufügen • Klaviatur bestand, wodurch, wie der Zeitungsbericht hervorhebt, gerade die Basstöne, die für eine unbeschreibliche und nie gehörte Schönheit gehalten"199 wurden, gewannen.. Die Tastatur trage zudem zur vollkommenen Gleichheit aller Töne bei. Ziel dieser Erfindungen war es auch, das Spieltempo des an und für sich nur zum Adagiospielen geeigneten Instrumentes zu erhöhen. Ein gefeierter Virtuose auf der Glasharmonika war der Prager Pianist und Komponist Vincenz Maschek, der dieses Instrument auch in das Prager Konzertleben einführte. Vielleicht hatte er all jene Eigenschaften, die Schubart von einem Spieler der Glasharmonika fordert: Der gefühlvolle Spieler ist für dies Instrument ganz geschaffen. Wenn Herzblut von den Spitzen seiner Finger träuft; wenn jede Note seines Vortrags Pulsschlag ist; wenn er Reiben, Schleifen, Kitzeln übertragen kann, dann nähere er sich diese Instrument und spiele."200 Der offenbar nicht nur zum Ausdruck der Empfindungen sondern auch zum Mitreissen der Zuhörer geeignete Ton der Glasharmonika wurde schon 7. September 1782 in den Prager interessanten Nachrichten beschrieben: „Der Ton ist für jeden, der nur das mindeste musikalsiche Gefühl hat, beim schwächsten Piano so durchdringend sanft, und reisst im allmählichen Wachsen bis zum Fortissimo das Gefühl so mit sich fort, dass sich niemand wird erinnern können einen ähnlichen, und so angenehmen Ton jemals gehört zu haben. [...] da hingegen der Ton der Glocke in einer Harmonika unzählige Modifikationen von Crescendo und Decrescendo ausdrückt, und augenblicklich neue Bewegungen in der Seele des aufmerksamen Zuhörers verursacht." Und Schubart ergänzt: „der ewig heulende, klagende Gräberton - machen das Instrument zu einer schwarzen Tinte, zu einem grossen Gemähide, wo in jeder Gruppe sich die Wehmut über einen entschlafenen Freund beugt." Augeninstrumente Engels Begriff der Malerei in der Musik ist wohl ohne die Farbe-Intervall-Verbindungen, die seit Isaac Newtons 1675 formulierten Siebenteilung der Farben und den hierzu gehörenden Tönen diskuttiert wurde, undenkbar. Auf Newtons Grundlage verbunden mit der bereits 1646 von Kircher festgestellten Farbe-Intervall-Verbindungen202 schaffte Pere Castel ein Ton-arbe-System und darauf gründend sein clavecin pour les yeux (1725), das bald als clavecin pourtout les sens (1726) umgetauft sich schliesslich als clavecin oculaire (1726) präsentierte. ™ berichtet in Deutschland Telemann von dieser Erfindung203. 175 5, im Jahr von endelssohns Empfindungen, versucht Polycarp Poncelet eine Geschmackstonleiter zu J^nieren In Deutschland wurde Castels Idee von Johann Gottlob Krüger weiterentwickelt e'n Clavichord mit Prismavorrichtung geplant, welches die Farbmischungen durch Linsen --- aolbld. S.181E iM^art: Idee, S. 290 202 Atta NeWt0n: An HyP0tesis Explaining the Properties of Light, 1675 203 Tel aSlUS Kircher: magna lucis et urnbrae, Rom 1646 204 PonM ^ Beschreibung der Augenorgel, Hamburg 1739 elet Chimie du gout et de l'odorat, Paris 1755 82 feine Wand werfen sollte . Die Tatsache, dass sich mit Castels Überlegungen die grössten nker (Voltaire, Rousseau, Diderot, Mendelssohn u.a.) auseinandersetzen beweist, welchen llen Ton Castel angeschlagen hatte. Mendelssohn übt in seinen Empfindungen an diesen Versuchen starke Kritik. Die Wahrnehmung der Farben kann nicht mit der des Hörens verglichen werden. n'e Augen haben, unter allen sinnlichen Gliedmaassen die ältesten und gerechtesten Ansprüche auf e Erkenntnis so wohl, als auf unsere Glückseligkeit. Ein Blinder muss weit seligere Güter der Natur entbehren, als ein Taubgebohrener. Die Augen fühlen deutlicher, schärfer, und in einer grössern Entlegenheit, als das Ohr.[...] Man ist aber noch so glücklich nicht gewesen diese Harmonie der Farben auf ihre wahre Stufe zu erheben, und zu der Mutter so vieler Ergötzlichkeiten zu machen, als die Harmonie der Töne. Die Farbenclaviere scheinen mehr zu versprechen als sie in der That leisten. Ich räume ihnen die harmonische Vermischung und Abwechslung der Farben, die Quelle der sinnlichen Schönheit, ein. Auch die sinnliche Wollust, die Verbesserung unserer Leibesbeschaffenheit, kann ihnen schwehrlich streitig gemacht werden. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die nervigten Theile des Auges und ihre harmonische Spannungen auf eben die Art von den Farben, wie die Gefässe des Gehörs, von den Tönen verändert werden. Allein die Quelle der Vollkommenheit, die Nachahmung der menschlichen Handlungen und Leidenschaften? Kann uns eine Farbenmelodie mit diesem Vergnügen seegnen? Die Leidenschaften werden natürlicher weise durch gewisse Töne ausgedrückt, daher können sie durch die Nachahmung der Töne un unser Gedächtais zurück gebracht werden. Welche Leidenschaft aber hat die mindeste Verwandschaft mit einer Farbe? Noch mehr; Farben können ohne Grössen nicht vorgestellt werden.Man muss die entweder alle auf eine eintzige Figur spielen lassen, oder es müssen mit den verschiedenen Farben zugleich verschiedene Figuren abwechseln. Hat man aber eine Harmonie der Grössen schon gefunden? Weiss man den verschiedenen Figuren, die die abwechselnden Farben vorstellen, eine Einheit im Mannigfaltigen zu verschaffen? Geschiehet dieses nicht; so muss entweder die Disharmonie,oder das Einerley der Figuren nothwendig die Lust Stohren, mit welcher uns die, wenn ich so reden darf, wohllautende Farben zu erfreuen versprechen.Sollte es aber nicht möglich seyn die Linie der Schönheit, der des Reitzes, die in der Mahlerey tausendfaches Vergnügen gewehrt, mit der Harmonie der Farben zu verbinden?"206 Heydenreich schliesslich verwarf in seinem System der Aesthetik alle Versuche. Ihm reichte das Farbenklavier nicht bis an das Zentrum der Empfindungen, das Herz. Auch Koch schreibt in seinem Lexicon: „Weil die Frabe kein so leidenschaftliches Ausdrucksmittel abgeben kann, wie der Ton, so ist leicht einzusehen, dass durch ein solches Farbenspiel die Absicht des Erfinders nicht erreicht werden konnte; daher man auch diese Erfindung nicht weiter zu benutzen gesucht hat."207 Letztendlich beweisen all jene Überlegungen, welche Bedeutung der Musik zur Darstellungen der Empfindungen zukam. Blasinst rumente Die Suche nach dem Ausdruck des Dunkeln führt zur Beliebtheit aller Alt-, Tenor-j Bassversionen verschiedener Blasinstrumentengruppen. die6 W^rt^ °^ a^s d amore Instrument verwendet, offensichtlich auch in Orchestern, was 1C Verhältnismässig grosse Anzahl von paarweise erhaltenen d'amore-Flöten in 207 Mo^i ^e novo musices, quo oculi delectantur, in: Miscellanea Berolinensia, Berlin 1743 E u SSOhn: Erfindungen, S: USff Koch: Lexikon, Sp. 557 83 208 kinstrumentensarnmlungen beweist. Auch die Bassflöte kommt in der Kammermusik Einsatz, wie beispielsweise im Trio F-Dur Wq 163 für Viola, Bassflöte und Bcvon C.Ph.E. Bach. " der Oboenfamilie wird noch einen Schritt weiter gegangen und das Englischhorn zum Ausdruck der Schwermuth und tiefen Melancholie"209 benutzt. Und an den Suizidgedanken jj^r Zeit anknüpfend: „Bey einem solchen Horn, von der Harmonika [gemeint ist die Glasharmonika] begleitet, lässt sich's bequem erschiessen."210 Die Klarinette ist eine Erfindung der Empfindsamkeit, setzt sich im Orchester, von Mannheim ausgehend, in ganz Deutschland durch. Auch C.Ph.E. Bach hat in Hamburg für Klarinette komponiert. Der Charakter desselben [Klarinette] ist: in Liebe zerflossenes Gefühl, - so ganz der Ton des empfindsamen Herzens. [...] Der Ton ist so süss, so hinschmachtend"211 Mit dem wohl aus Böhmen stammenden Basetthorn und der Wiener Erfindung der Bassklarinette wird das ohnehin nach unten grosse Spektrum der Klarinette noch vertieft. Die Suche nach dem Dunklen findet in der Vorliebe für die Kombination Klarinetten/Fagotte bzw. Bassetthörner/Fagotte ihren Ausdruck, man denke nur an Glucks Unterwelt-Szene in dessen Orpheus, an die Einleitung des Mozart Requiem oder an die „O Isis und Osiris" Arie des Sarastro (11/10) in der Zauberflöte, wo sich zum Klang dieser Instrumente noch Bratschen und Posaunen gesellen. Gerade diese Arie beweist Schubarts Meinung über die Posaune, dass „wenn nicht in Wien Rath geschafft wird; so müssen wir fürchten, solches allmählig ganz zu verlieren. [Fussnote:] Auch hier hat Mozart Rath geschafft, und man findet seit ihm in den meisten Opern Posaunen angebracht."212 Reminiszenzen Die Suche nach empfindsamen Klängen greift auch auf fast historisches Instrumentarium zurück. So kommt es zu einer neuen Blüte der Viola da gamba, die mit in der Halsrückseite bezogenen Stahl-Resonanzsaiten, welche zudem gezupft wurden, zum Barytón mutiert, der ja am Hofe Eszterházys, wo Joseph Haydn weilte, sehr beliebt war. In ähnlicher Weise wurde die Viola d'amore aus der Bratsche entwickelt. Eine Renaissance erlebt auch die Laute. „Die Natur dieses Instrumentes ist: schwermüthige Liebe; stille Seufzer in schweigender Nacht ausgehaucht; Ausbruch des klagenden Herzgefühls bis zu Thränen. Es ist mithin ganz für gefühlvolle Seelen gemacht."213 Was ist Melancholie? Übereinstimmend spricht Schubart bei der Beschreibung empfindsamer Instrumente süssem Ton, meist in Assoziation mit Melancholie. Da wusste Schubart sehr gut wovon 205 ywersuchung zu diesem Thema steht noch aus, diese Tatsache habe ich aber immer wieder beobachtet. 210^hubart: Ideen, S. 321 2l2'Hs. 320 213'HS. 316 >H S. 305 84 räch schildert er doch in seiner Autobiographie Leben und Gesinnungen mehrere VF ijuicholieanfälle, die stest mit Suizidgedanen verbunden waren, (siehe Kapitel: Literatur d Musik)- Diese Wortverbindung der süssen Melancholie ist eine typische, aus den grossen lischen Romanen übernommene Sprachfloskel der Empfindsamen. Melancholie, oder c^werrnut, ist in der Literatur oft Ausdruck der Empfindsamkeit. Eine schöne Definition von gchwerrnut, die zugleich die Theorie des Mitleidens unterstreicht, gibt Carl Theodor Beck in seiner 1784 in München erschienenen Schrift Ernst, Gefühl und Laune: Wie unglücklich und bedaurenswürdig ist der Mann, dess Seele trauert, und der keinen Freund um sich hat dem er sein Herz entblössen, dem er sagen könnte: Sieh! da blutet's! - Würde ein Freund eine Xhräne ihm auf seine Wunde hinweinen - o die Thräne wäre Balsam! - Nun aber der Freund, der die Xhräne hinweine, nicht da ist: ach! das Gefäss ist voll heisser, fressender Materie, es kann sich nicht ergiessen, und verzehret sich selbst."214 Melancholie wurde nicht als Krankheit aufgefasst, stellvertretend für diese Auffassung sei nur an Diderots Artikel mélancolie in der Enzyklopedie erinnert, in welchem er über Gehimuntersuchungen von Melancholikern berichtet, wobei sich keine Veränderung zum gesunden Gehrirn gezeigt hatten. Damit war eine pathologische Sichtweise ausgeschlossen. Melancholie konnte jedoch zur Hypochondrie ausarten, was dann eben als Verhärtung der Gegend unter den Rippen, den Hypochondern oder, der Humoraltheorie nach, eine Pfortaderverstopfung der Milz (eng. spieen, daher der im Deutschen übliche Gebrauch des Spleens!)) zum Auslöser hatte und somit pathologisch betrachtet wurde. Die Verdickung des Blutes wurde meist mit Aderlass behandelt. Dass Nicolai in seiner Verbindung der Musik mit der Artzneygelahrtheit der Heilung der Melancholie durch Musik ein eigenes Kapitel widmet beweist, in welchem Masse diese schon 1745 verbreitet war. Hypochondrie wurde auch als englische Krankheit bezeichnet, da sich englische Ärzte um deren Erforschung bemühten, auch kam das Wort 1668 erstmals in England vor und wurde, wie das Wort sentimental, über Frankreich nach Deutschland gebracht. In der Musik wird das Wort selten verwendet, eine Ausnahme ist Beethovens Quartett opl8/6, dessen Adagio-Satz mit „La malinconia" betitelt ist. Spleen wurde dann in Deutschland schnell zu einem bis heute gängigen Modewort, Cranz beschreibt die Laune als „Sohn des englischen Spleens", der sich mit dem „französischen petillierednen Esprit [vermählte] und beyde zeugten eine Tochter [...] ein gutes, loses, empfindsames Mädchen"216. Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang das Stichwort Trauer im zweiten Kapitel er Bildergalerie weltlicher Missbräuche (1785) von Joseph Richter, wo - und nur hier - ein Konzert dargestellt ist. e enkt man, dass Musik als Unterhaltung zu Zeiten der Trauer verboten war, ist sie hier als der f ^issbraucn Ausdruck der empfindsamen Teilnahme! - wie überhaupt Karikatur falschen Empfindsamkeit sowie des adeligen Konzerts. Jede der Bildertafel hat egorischen Charakter, Richter liefert hierzu folgende Erklärung (Abbildung nächte Seite): C in,---- 215 vo^ c0001 ßeck: Emst, Gefühl, Laune, München 1784, S. 75, zitiert nach Sauder III, S. 47 Sauder I, S. 152f Lranz: Chalatanenen, S. 22 85 -^Tgjn^rosser Saal. (J} Verschiedene Dilektanten geben ein Konzert, und sind so wie die Zuhörer in der Hoftrauer (3, Die Tochter vom Haus lässt sich solo auf dem Klavier hören. Die Zuhörer klatschen weil es so Mode ist, maschinenmässig die Hände. (4) Auch eine junge Witwe klatschet mit, und ist ganz Ohr: aber nicht für die schöne Musik sondern für d.e schonen Worte, die ihr ein galanter Herr hinter ihrem Stuhl ms Ohr flüstert' (5) Im Hitergrund stehen zween Herren, die sich das Gefrorne schmecken lassen und den Hausherrn kritisieren. (6) In einem Armstuhl sitzt ein dicker Herr, der sich bei dem schöe Solo an seinen Solohund erinnert, ud es seinem Nachbarn erzählt, dass er gestern drey Hasen Solo gefangen habe (7) Auf dem grossen Sopha sitzen zwo Damen die sich, weil sie nahe Blutsverwadte sind den Rücken zeigen. (8) Die Frau Baronesse fällt in Ohnmacht, weil sie unter den Zuhörern einen Herrn erblickt der nicht in Hoftrauer ist. u^l> (9) Der Hausfreund hält der Frau vom Haus den Flakon unter die Nase, und winkt dem Herrn im bunten Kleid, sich zu entfernen." nerrn -.__p- 38. S6 Dies Bildnis ist bezaubernd schön heisst es in Taminos Bildnis-Arie im ersten Akt der Zauberflöte. Damit spielt Mozart auf die Portraitbegeisterung dieser Jahre an. rjer Charakter des Menschen ist ihren Gesichtern eingepräget. Alle Leidenschaften verursachen besonderer Züge in dem Gesicht. Sind sie von langer Dauer, so werden die Züge unauslöschlich."217 schreibt Ewald Christian von Kleist in seinen Gedanken über verschiedene Vorwürfe Sobald sich der Mensch als subjektiv Fühlender empfand, wurde dessen Temperament und Charakter zu einem neuen Untersuchungsfeld. Dies entspricht der Definition der Empfindsamkeit als Selbstgefühl der Vollkommenheit, wobei in Blick auf den ganzen Menschen bei diesem innere und äussere Vollkommenheit unterschieden wird. Dies macht die Begriffe Moral und Ästhetik nötig und schafft Versuchsmodelle, von der äusseren auf die innere Vollkommenheit zu schliessen Hier ist in erster Linie Johann Kaspar Lavater zu nennen, der die Physiognomik zwar nicht erfunden, so doch aussergewöhnlich populär gemacht hatte. Goethe und Herder arbeiteten an dessen Hauptwerk Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe (1775-78) mit, das eine enorme Sammlung von Bildnissen durch einige Jahrtausende darstellt. Lavaters Versuche wurden geschätzt, gelesen, diskutiert und belacht. Damit einhergehend kam die Vorliebe für Schattenrisse und Scherenschnitte auf. Je nach Beschaffenheit von Kinn, Nase oder anderer Partien wollte man auf den Charakter des jeweiligen Menschen schliessen, und dies nicht nur um diesen zu enthüllen, sondern auch um gute Verbindungen einzugehen. Damit verbunden ist die bis dahin nicht existierende Liebesheirat, Hochzeiten waren - noch weit bis ins 19. Jahrhundert - rechtskräftiger Akt, an dem beide Familienkreise Anteil hatten. Jetzt wollte das Individuum seinen Lebenspartner suchen und finden. Physiognomische Studien und Gesellschaftsspiele, wie Die Kunst in der Liebe und Freundschaft eine glückliche Wahl zu treffen, Pest 1816218 sollten bei der Wahl des/der Zukünftigen helfen. Auch in der Musik gibt es einige Versuche physiognomische Studien in Töne umzusetzen, schon Mattheson vergleicht 1739 die richtige Form eines Musikstücks mit einer Charakterzeichnung- 1IT1T- ir mögen bei Gelegenheit der Mahlerey noch dieses bedencken, dass eines geschickten Künstlers .an "lebt etwa bloss dahin gehe, ein Paar schwartze oder blaue Augen, eine erhabene Nase, und einen kleinen rothen Mund zu mahlen; sondern er trachtet immer in solchen Gesichtszügen eine oder der ?C lnneruCne ReSung vorzustellen, und wendet alle seine starcke Gedancken dahin an, damit z.E. uschauer sage: in den Augen steckt was verliebtes; an der Nase ist was grossmüfhiges, und am Munde recht was höhnisches."219 jne Charakterkomposition stammt aus der Potsdamer Zeit C.Ph.E. Bachs. Es ist das prach zwischen einem Sanguineo und Melancholico, Wq 161a, in Form einer Sonate für albert nach: Kleist, S. 175 2"L u le: Dortmundl980 Mattheson: Capellmeister, S. 145 87 • Violinen und Basso continuo in c-moll (!) aus dem Jahre 1749. Noch fünfzig Jahre ^ter erinnert sich Türck in seiner Klavierschule: hat Bach eine vortreffliche Sonate geschrieben, "welche gleichsam ein Gespräche zwischen " ivfelancholicus und Sanguineus unterhält." Auf ähnliche Art schildert E.W. Wolf in den sechs einem gonaten v j 1779 Seite 10 ff. das entzweyte Ehepaar gemeiner Leute." Pur Bach war dies anscheinend nur ein Versuch, später hat er sich von ähnlichen Plänen distanziert, wie Matthias Claudius in einer Briefbeschreibung eines Gesprächs mit Bach in dessen erstem Hamburger Jahr 1768 berichtet: Sie haben einige Piecen gesetzt, darin Charaktere ausgedrückt sind. Haben Sie die Arbeit nicht fortgesetzt? + Nein, die Stücke habe ich gelegentlich gemacht und vergessen. - Es ist doch gleichwohl ein neuer Weg. + Aber nur ein kleiner, mann kanns näher haben, wenn man Worte dazu nimmt."2 *220 Bach hat diese Charakterstücke Wq 117 auch nicht drucken lassen. In Lavaters physiognomischen Fragmenten war C.Ph.E. Bach neben Jean-Philippe Rameau und Niccolö Jomelli der einzige Musiker! "Man kanns näher haben, wenn man Worte dazu nimmt." sagte Bach, der Dichter und Kritiker Heinrich Wilhelm von Gerstenberg nahm sich diese Ansicht offenbar zu Herzen und unterlegte Bachs c-moll Fantasie mit Zitaten aus Shakespeares Hamlet. Das Schreiben von Charakterstücken ist natürlich keine deutsche Spezifik, vor allem in Frankreich entstanden im 18. Jahrhundert zahlreiche musikalische Portraits, ja ganze Suiten waren aus Portraits zusammengesetzt, (nur als Beispiel: Jean-Philippe Rameau, Pieces de clavecin en concert, 1741). In diese Zeit fällt auch Bachs früher Versuch, wobei das Aufeinanderprallen zweier verschiedener Charaktere eine Besonderheit darstellt und Bachs Idee der gegensätzlichen Affekte entspricht. In Lavaters physiognomischen Studien spürt man auch die Idee der vermischten Empfindung. Wenn man aus der äusserliche Physiognomie auf den inneren Charakter eines Menschen schliessen kann, so muss auch der vermischte innere Charakter in einem vermischten Ausseren zum Ausdruck kommen. So formuliert, habe ich dies bei Lavater nicht gefunden. Er hatte dazu auch keinen Anlass, Schriften über Empfindsamkeit waren weit verbreitet. Aber man fühlt sich an diese moralästhetischen Überlegungen erinnert, wenn man im dritten Kapitel liest: »Man pflegt gewöhnlich vier Hauptarten von Temperamenten anzunehmen und zu behaupten, ein Mensch sei entweder cholerisch, phlegmatisch, sanguinisch oder melancholisch. Obgleich nun wohl c werhch je eine dieser Gemütsarten so ausschließlich in uns wohnt, daß dieselbe nicht durch einen einen Zusatz von einer andern modifiziert würde, da dann aus dieser unendlichen Mischung der ■uperamente jene feinen Nuancen und die herrlichsten Mannigfaltigkeiten entstehen, so ist doch enteils in dem Segel werke jedes Erdensohns einer von jenen vier Hauptwinden vorzüglich Glaub3"1' Um Seinem schiffe auf dem Ozean dieses Lebens die Richtung zu geben. Soll ich mein U ensDekenntnis über die vier Haupttemperamente ablegen, so muß ich aus Überzeugung wgendes sagen: ^^^hoIeri5cne Leute meht billig jeder, dem seine Ruhe lieb ist. Ihr Feuer brennt unaufhörlich, e und verzehrt, ohne zu wärmen. Bloß Sanguinische sind unsichre Weichlinge, ohne Kraft und Zl*«tnach: Ortenberg, S.220 88 • Veit Bloß Melancholische sind sich selbst, und bloß Phlegmatische andern Leuten eine unerträgliche Last. Daraus schliesst Lavater auf verschiedene Mischungen: , igrisch-sanguinische Leute sind die, welche in der Welt sich am mehrsten bemerken, gefürchtet, welche Epoche machen, am kräftigsten wirken, herrschen, zerstören und bauen; cholerisch- iTuinisch ist also der wahre Herrscher, der Despotencharakter; aber noch ein Grad von Melancholischem Zusätze, und der Tyrann ist gebildet. Sanguinisch-Phlegmatische leben wohl am glücklichsten, am ruhigsten und ungestörtesten, genießen mit Lust, mißbrauchen nicht ihre Kräfte, kränken niemand, vollbringen aber auch nichts Großes; allein dieser Charakter im höchsten Grade artet in geschmacklose, dumme und grobe Wollust aus. Cholerisch-Melancholische richten viel Unheil an; Blutdurst, Rache, Verwüstung, Hinrichtung des Unschuldigen und Selbstmord sind nicht selten die Folgen dieser Gemütsart. Melancholisch-Sanguinische zünden sich mehrenteils an beiden Enden zugleich an, reiben sich selber an Leib und Seele auf. Cholerisch-phlegmatische Menschen trifft man selten an; es scheint ein Widerspruch in dieser Zusammensetzung zu liegen; und dennoch gibt es deren, bei welchen diese beiden Extreme wie Ebbe und Flut abwechseln, und solche Leute taugen durchaus zu keinen Geschäften, zu welchen gesunde Vernunft und Gleichmütigkeit erfordert werden. Sie sind nur mit äußerster Mühe in Bewegung zu setzen, und hat man sie endlich in die Höhe gebracht, dann toben sie wie wilde Tiere umher, fallen mit der Tür in das Haus und verderben alles durch rasendes Ungestüm. Melancholisch-phlegmatische Leute aber sind wohl unter allen die unerträglichsten, und mit ihnen zu leben, das ist für jeden vernünftigen und guten Mann Höllenpein auf Erden." Es ist nicht Sinn dieser Studie Lavaters Gedanken darzustellen, aber die angeführten Zitate schaffen uns einen Blick auf das Gesamtbild MUSIK EMPFINDUNG CHARAKTER MENSCH Denn die Mischung der äusserlich erkennbaren Charaktere und Mischung der innerlich zum Ausdruck kommenden Empfindungen macht die Unterscheidung von Ästhetik und Moral nötig. Und wie schreibt doch Leopold Mozart, die Bedeutung des Interpreten unterstreichend: „Mancher Halbcomponist ist vom Vergnügen entzückt, und hält nun von neuem erst selbst recht viel auf sich, wenn er seinen musikalischen Galimatiáš von guten Spielern vorgetragen höret, die den Affekt, an den er nicht einmal gedacht hat, am rechten Orte anzubringen, und die Charakters, die ihm niemals eingefallen sind, so viel es möglich ist zu unterscheiden [wissen]." Dahaben wir Affekt und Charakter in einem Atemzug. Leseprobe „Sein vor uns liegendes Gesicht ist unter dem Geschlechte, in das er gehört - eben so original, als sein wird Mensch. Es ist eine Gattung, die immer in der Welt etwas poussiren und vorstellen ^ Zwischen den Augenbrauen, im Blicke der Augen - scheint ein gesitiger Ausdruck seiner Orten K^ft zu schweben. Er kann, er wird, er muss sich, mit solcher Physiognomie, an vielen Natu 'h^ ^nstanc* un^ Vortheil, produciren können. [...] Doch den Fehler am linken Auge in der Unfey, at ^er Mahler aus Höflichkeit vermuthlich und schonender Güte weggepinselt [...] und ganz Und ^ar damit zugleich - ein beträchtliches von Ausdruck. Seele genug bleibt übriens noch in Aug und U^n^rauen übrig. Die Nase, zu sehr abgerundet, lässt indess immer noch genug von Feinheit Fein f"h ei ^ra^t durchscheinen. Der Mund - welch ein einfach gewordener Ausdruck von 8e nl, Sattheit, Trockenheit, Selbstbewusstsein und Sicherheit; die Unterlippe etwas listig und 89 h - aber nur leiser Hauch der Lästigkeit drüber! Die nah an der Lippe gränzende Einkerbung -Sgjgt wieder sehr. Feste, Heiterkeit, Muth und Drang ist in der Stirne." Beschreibung C.Ph.E. Bachs in Johann Kaspar Lavater, Physiognomische Fragmente, Dritter 13^1777_- empfindsame Musiktitel wo dem Rezepienten klar war, dass er es mit einem Vetreter der Empfindsamkeit zu tun hatte bestand keine Notwendigkeit die Worte empfindsam/Empfindsamkeit in Musiktiteln unterzubringen. Jedoch gibt es einige Ausnahmen, die nur am Rande dargestellt werden sollen und keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben wollen. Das schönste Beispiel ist die mit C.P.E.Bachs Empfindungen überschriebene Fantasie in fis-moll, Wq. 67. Im Jahr 1787 entstanden, ist es die letzte Fantasie, die Bach schrieb. Die Überschrift „Sehr traurig und ganz langsam" spricht im Geiste der Melancholie. Ähnlich verabschiedete sich Jiri Benda von der musikalischen Produktivität. Bendas Klagen benannte er seine letzte Kantate. Ein Gegenstück zu diesem ist Goethes Libretto zur satirisch-parodistischen Oper über Empfindung, die er 1778 unter dem Titel Triumph der Empfindsamkeit schrieb , Augenscheinlich ist Goethes Abschied von jener Empfindsamkeit, die seinen Werther möglich gemacht hatte, vielleicht begründet in der Angst vor den Nachfolge-Erscheinungen, vielleicht entstanden aus der Angst zum eigenen Plagiat zu werden. Vollkommen aber distanzierte sich Goethe während seiner Italienreise 1786-88 von der Empfindsamkeit. Dies unterscheidet Goethe von Schubart und anderen Autoren der Empfindsamkeit. Goethe bezeichnete die am 12. September 1777 erstmals erwähnte ältere Fassung, als eine komische Oper, so toll und grob als möglich. Sie wurde am 30. Januar 1778 zum Geburtstag der Herzogin Luise, unter Mitwirkung Goethes und mit der Musik von Carl Friedrich Siegmund Freiherr von Seckendorff aufgeführt. Die veränderte zweite Fassung erschien erst 1787 innerhalb der ersten Gesamtausgabe von Goethes Schriften. Interessant ist das von Goethe gewählte Sujet, der von den Empfindsamen als vollkommen (!) empfundene englische Park, mit welchem er die Empfindsamkeit symbolisiert: „Was ich sagen wollte! Zum vollkommnen Park Wird uns wenig mehr abgehn. Wir haben Tiefen und Höhn, Eine Musterkarte von allem Gesträuche, Knimme Gänge, Wasserfälle, Teiche, Pagoden, Höhlen, Wieschen, Felsen und Klüfte, Eine Menge Reseda und anderes Gedüfte, Weinmuthsfichten, Babylonische Weiden, Ruinen, fjnsiedler in Löchern, Schäfer im Grünen, Moscheen und Türme mit Cabinetten, von Moos sehr unbequeme Betten, oehsken, Labyrinthe, Triumphbogen, Arkaden, Öl rK?-^1111 ^°^Bnag von Goethe: Der Triumph der Empfindsamkeit. Eine dramatische Grille. Von Goethe. chte Ausgabe. Leipzig 1787 90 Fischerhütten, Pavillons zum Baden, Chinesisch-Gotische Grotten, Kiosken, Tings, Maurische Tempel und Monumente, Gräber, ob wir gleich niemand begraben -Man muß alles zum Ganzen haben." Goethes Triumph wurde 1925 von Ernst Krenek neu vertont. Als Andeutung empfindsamer Musiktitulierungen sei auf Friedrich Burchard Benekens LiedeLS2TmJUnS'y^d,e-SeTSS.f!r manche Empfindung aufregen und nähren wird"2 Lieder und Gesänge für fühlende Seelen, Hannover 1786 hingewiesen Inwieweit sich dieses Werk inhaltlich oder rem ökonomisch mit der Empfindsamkeit auseinandersetzt kann ich nicht sagen, da ich die Liedersammlung (noch) nicht eingesehen habe. Am Abschluss meiner Studie werde ich auf Beethoven und seine empfindsamen Satzbezeichnungen emgehen, die beweisen, dass auch hier die Empfindsamkeit den Übergang zur Romantik einleitete, während der klassische Stil langsam aussterben musste. Eine Minderheit wird zur Grösse eine Grösse zur Minderheit. Ein weiteres Beispiel dieses Prozesses ist Isaak-Iganz Moscheies Sonate melancholiquepour lepiano, op. 49. 'Zltie*nach Schi euning, S. 450 91 Die Meister Es erscheint mir fast zu kategorisch, einzelne Komponisten der Empfindsamkeit zuzuordnen, war es bei einigen Ausflug der Jugend, bei anderen Ausflug in fremde Regionen (siehe Kapitel: Nordismo, Absatz: North meets West). Dennoch gibt es einige Komponisten, die wie C.Ph.E. Bach, an den Idealen der Empfindsamkeit zeitlebens festhielten, da sie diese eben als Ideal empfanden. Von Bach war oft und ausgiebig die Rede, seine Werke werden in zunehmender Weise rezipiert, er ist zwar noch kein Repertoirmeister (ob er das überhaupt sein möchte?), aber weit bekannter als etwa Jiri Benda, auf den ich auch immer wieder zu sprechen kam und dessen Bedeutung für die Etablierung des Melodrams nicht genug hervorgehoben werden kann (aber: welches Musikbuch gedenkt schon des Melodrams?) Reflexion XIII. Die Musikforschung hat den entsetzlichen Begriff des Kleinmeisters aufgebracht, und damit alles abgewertet, was neben den stilisierten Grössen existiert. Wie oft war es aber umgekehrt, wieviele Namen wurden gefeiert, aber deren Klang verlor sich im Donnergetöse der grossen Namen. Wieviele Werke sind heute vergessen, die, wie Grauns Tod Jesu über hundert Jahre zu den bekanntesten gehörten? Auch meine Studie kann diesen nicht helfen, eine reine Erwähnung bedeutet nichts! Auch das Abdrucken von Notenbeispielen, was ich nur ausnahmsweise exemplarisch tue, ist ein fast sinnloses Unternehmen. Musik ist für das Ohr geschrieben, um dieses zu füllen. Doch so lange Interpreten-Namen auf CD-Covers grösser geschrieben werden als die Namen der Schöpfer, solange das Publikum die Hallen der Kunst betritt, um unter dem Vorwand der Erquickung an schon so oft gehörten Werken seine Wäsche vorzufuhren, wird sich daran nichts ändern. Zu den ganz grossen Komponisten, die sich den Ideen der Empfindsamkeit hingaben gehören: Johann Gottfried Müthel: er war der letzte Schüler von Johann Sebastian Bach, bildete sich bei Johann Adolph Hasse, C.Ph.E. Bach und G.Ph. Telemann weiter, um dann in Riga zu einem gefeierten Orgelvirtuosen und Komponisten zu avancieren, wo er im Todesjahr C.Ph.E. Bachs verstarb. Müthel schrieb eine Reihe bedeutender Klaviersonaten, sein Variationsstil ist der in seiner Epoche wohl ausgereifteste. Über Müthel gibt es keine Monographie, er ist wirklich vergessen. Sollte man die lobenden Worte seiner Zeitgenossen auflisten, würde eine heitere Studie entstehen. Wilhelm Friedemann Bach: Seine Beziehung zu seinen Brüdern scheint eine angespannnte Bewesen zu sein, seine Lebensführung nicht gerade geordnet, dennoch oft als einer der besten S nisten gelobt. Seine Kunst bestand in der Improvisation, die nur selten den Weg aufs jJ^er ^anu- Hervorzuheben sind seine zehn Klavierfantasien. Wenngleich die meisten seiner aten in eine frühe Schaffenszeit fallen, verdienen diese sicher wieder aufgeführt zu Verden. 92 n Christoph Friedrich Bach: stand in engerem Kontakt zu seinem Bruder Carl Philipp, k Herders Einfluss wendet er sich in Bückeburg der Vertonung dessen Texte zu. Seine • fe mit Gerstenberg verraten empfindsame Musikanschauungen, die in den Oratorien Die %'ndheit Jesu und Die Auferweckung Lazarus ihre Realisierung fanden. Joseph Martin Kraus: ihn haben wir schon mit seiner kritischen Schrift Etwas von und über die Musik fürs Jahr 1777 kennengelernt. Er, in Mannheim gebildet, wendet sich gegen den Mannheimer Stil und findet seine Identität im Norden. Nicht nur stilistisch, auch geografisch. Ein Jahr vor seinem Pamphlet schreibt er seinen Tod Jesu, eine klare Distanzierung von der Mannheimer Musikästhetik. 1780 wird er Mitglied der Schwedischen Musikakademie, ein Jahr später avanciert er zum Direktor des Hoforchesters. Neben sehr feiner Kammermusik schrieb er unglaublich empfindsame Sinfonien (eine Sinfonie tenebre), Opern, Ballette, aber blieb auch der Literatur treu. In Schweden heute langsam wieder Bühne und Konzertsaal erobernd, in Deutschland wenigstens sinfonisch auf Tonträgern zu haben, wird er wohl noch lange in der Ecke stehen müssen. Als Joseph Martin Kraus das erste Mal nach Kopenhagen kam, musste er bei Besuch des Theaters den Sinn seiner empfindsamen Musik gesehen haben. Ei blot til Lyst" war bei der Erweiterung 1774 auf das Proszenium geschrieben worden: Nicht zur Befriedigung, nicht zum Spass. Blieb er deshalb? Jakob Friedrich Kleinknecht: der Flötist am Hofe der Wilhelmine von Bayreuth, der Schwester Friedrich IL, von Berlin instrumententechnisch beeinflusst, stilistisch der Empfindsamkeit verbunden, zog mit dem Hof nach Ansbach um und wurde dessen Kapellmeister. Sein Schaffen ist rein instrumental ausgelegt, mit Ausnahme einer konzertanten Sinfonie und einem Violinkonzert schrieb er nur Kammermusik, jene Form, die den intimen Ideenaustausch möglich machte und den Dialog vertonte. Johann Matthias Leffloth: zu früh gestorben (1731) um empfindsamer zu sein, aber nach Schubart einer der grössten Adagiospieler seiner Zeit, ein Genie, das leider zu früh verstarb. Zu wenige Werke Leffloths sind erhalten, um ihn richtig einstufen zu können. Seine gedruckten Sonaten für Cembalo und Flöte erschienen 1729. Habe Genie! ruft Grimm am Ende seines oben zitierten Briefes aus. Was aber ist Genie? Und kann man sich nur auf dieses verlassen? „Wer's nicht ist, kann nicht; und wer's ist, wird nicht antworten." schreibt Lavater Rousseau zitierend, der diese Formulierung in seinem Dictionaire de Musique verwand, in seinen Physiognomischen Fragmenten223 um ortzufahren: „Wer bemerkt, wahrnimmt, schaut, empfindet, denkt, spricht, handelt, bildet, icntet, singt, schafft, vergleicht, sondert, vereinigt, folgert, ahndet, giebt, nimmt - als wenn's nrn ein Genius, ein unsichtbares Wesen höherer Art diktirt oder angegeben hätte, der hat wie; als wenn er selbst ein Wesen höherer Art wäre - ist Genie." Weiter ist Lavater der sieht, dass Genie „Ungelerntes und Unlernbares empfand, sprach, dichtete, gab, schuf!" "na betont den Aspekt der Unnachhahmlichkeit eines Genies. Diese Definition wurde 1778 entlieht, also zur Zeit der grossen Geniediskussion und Geniebegeisterung. > .. ---- Dennach: F.M. Klinger: Sturmund Drang, Stuttgart 1970, Beilage Lavater S. 127ff 93 gross um 1750 die Unterschiede in Auffassung des Geniebegriffs zwischen dem -fi chen Johann Joachim Quantz und dem bürgerlichen Telemann waren, verrät ein Blick in Autobiographien. Während Telemann proklamiert: „Bey allem ist die blosse Natur ■ e Lehr-Meisterin, ohne die geringste Anweisung, gewesen, es müsste denn seyn, dass ich anfangs H Tage lang auf dem Ciavier unterrichtet worden" und sich somit auf sein Talent verlassen konnte, meint Quantz „Ein grosses Hinderniss des Fleisses und weitem Nachdenkens ist es, wenn man sich zu viel auf sein Talent verlässt. [...] Manchen gereichet das besonders gute Naturell mehr zum Schaden als zum Vortheile."224 Er setzt dieses zwar voraus, mittelmässige Anlage aber scheint zu genügen. Um im Weiteren zu behaupten, dass die sich auf „gute Naturgaben" Verlassende unwissender seien, als jene, „die ihrem mittelmässigen Talente durch Fleiss und Nachdenken zu Hülfe gekommen sind." Das von Lavater definierte Gefühl, dieser Drang Ungelerntes auszudrücken (im wahrsten Sinne des Wortes), ist Grundlage der Geniedebatte. Ein weiterer Zug ist die als einengend empfundene Nachahmungspflicht, wenngleich diese schon fast ins Transzendentale ausgeweitet schien. Diese Ausweitung ist sicher Verdienst des Geniekultes, Gegenbewegung zur Nachahmungsforderung von Batteaux, der meinte, Genie sei „nicht ein [...] heftiges Feuer, welches die Seele aus sich selbst reisst, und sie auf gut Glück mit sich hinweg führt."225. Hinsichtlich des Interessengebietes Musik wird jedoch selbst in den freiesten Schriften betont, wie wichtig die Erlernung des Handwerks, der Harmonie und Setzkunst, sei, um seinen Ideen die richtige Grundlage zu verleihen. Insofern ist die Geniebewegung kein anarchistischer Versuch Regeln zu zerstören, sondern diese kritisch, mit dem Ziel der Ausweitung, in Frage zu stellen. Ausgangspunkt der Geniediskussion war wiederum England, wo 1759 des Nachtgedanken Autors Edward Young Conjectures on Original Composition veröffentlicht wurden. Young hält die Originalität für eine Fähigkeit eines jeden Menschen, was in Deutschland auf grosse Begeisterung stiess. Wieder ist England in führender Position, was zudem die Rolle Shakespears verständlich macht, der als Ideal des nordischen Genies gefeiert wird. Aus Youngs Überlegungen hervorgehend findet man oft auch den Begriff des Originalgenies. „Ein Originalgenie, wenns auch nur ein massiges Genie ist, hat mehr Werth, als die beste Kopie." Für die deutsche Geniediskussion war Sulzers Theorie der Schönen Künste wichtig. Unter dem Stichwort Genie setzt er sich mit dem Gedanken auseinander, dass Genie etwas auch den Tieren Angeborenes sei, eine Idee, die sich der Instinktforschung anschliesst. Beim Menschen sei eine starke Reizung, die das Genie aufweckt, nötig, wobei sich Sulzer auf die Empfindsamkeits-Lehre bezieht: »Seelen von geringer Empfindsamkeit, die durch nichts zu vorzüglicher Würksarnkeit gereizt werden, die keine besondere Bedürfhisse haben, solche Seelen sind bey dem größten Verstand ohne Genie; denn dieser große Verstand muß durch das Bedürfhiß in Würksarnkeit erhalten werden. Die verschiedenen Vermögen der Seele liegen in einer schlaffen Unthätigkeit, bis irgend eine Empfindung sie reizt, und dann würken sie, so lange diese Empfindung vorhanden ist."227 Den Künstler sieht Sulzer an erster Stelle einer Genieordnung, wobei er fordert, dass dieser muß61"^6111 Se^ner ^unst eigenen Genie, ein großes philosophisches Genie besitzen [muss]; ein Mann seyn, der, wenn er auch den Geist seiner Kunst nicht gehabt hätte, noch immer Cln Genie geblieben wäre." Quantz, S. 12 225 226 221 m jj> der Übers, von Marpurg in: Historisch-kritische Beyträge zur Aufnahme der Musik, Berlin 1760, S. 24 5 ,n2: Chalatanerien, S. 96 iuker, Sp. 364re 94 ■ ' ses philosophische Genie sei Grundlage zur Schöpfungstätigkeit, Quelle der genialen dlung, ohne die seine Kunst nur schwer existieren kann. Daraus folgert, dass ^ Genie eines jeden Künstlers also nach einem doppelten Maaßstab gemessen werden 1- an dem einen mißt man seine Kunst, und dem andern seine Materie." [mussj- Parnit entspricht er der Forderung Lessing, der sich in seiner Hamburgischen Dramaturgie die Auffassung wehrt, ein Genie müsse keine Bildung haben und betont, wie wichtig die Empfindung für das Genie sei: Genie Genie! schreien sie. Das Genie setzt sich über alle Regeln hinweg! Was das Genie macht, ist Regel!< So schmeicheln sie dem Genie: ich glaube, damit wir sie auch für Genies halten sollen. Doch sie verraten zu sehr, daß sie nicht einen Funken davon in sich spüren, wenn sie in einem und eben demselben Atem hinzusetzen: >die Regeln unterdrücken das Genie!< - Als ob sich Genie durch etwas in der Welt unterdrücken ließe! Und noch dazu durch etwas, das, wie sie selbst gestehen, aus ihm hergeleitet ist. Nicht jeder Kunstrichter ist Genie: aber jedes Genie ist ein geborner Kunstrichter. Es hat die Probe aller Regeln in sich. Es begreift und behält und befolgt nur die, die ihm seine Empfindung in Worten ausdrücken."228 Der Geniekult hatte eben, wie die Mode der Empfindsamkeit, die in der Empfindsamlichkeit ausuferte (siehe Kapitel: Nordismo, Abschnitt: Zuviel ist zuviel), auch seine Modeerscheinung. Cranz kritisiert dies in seinen Chalatanereien sehr bissig: „Genie, ist eine Seltenheit, deren jedes Jahrhundert nur wenige hervorbringt. Nie aber wird mehr von Genie geplaudert, als wenn die Genies am meisten fehlen, so wie der Arme von nichts lieber spricht als von Reichthümem. Heutigen Tages will alles Genie sein. Sobald jemand alle Regeln des guten Geschmacks verlässt, von der allgemeinen Heerstrasse menschlicher Kennmisse abweicht und wild über Hecken und Gärten setzt, alles Bizarre heraus sagt, was in seinem wüsten Gehirne sprudelt, eine schwäbische oder baierische Mundart zum Eigenthümlichen seines Stils macht, mit Kerls und platten Ausdrücken, die man nur unter dem Pöbel hört, und sonst nie in guten Büchern gedruckt las, um sich wirft, so beehrt man ihn mit dem Titel eines Genies." um abschliessend vor Nachahmer wirklicher Genies zu warnen. Ein Beispiel von Genie ist für ihn „Goten", Goethe. Auch unter dem Stichwort „Talent" schreibt er: „Die Seltenheit eines einzigen empfindsamen Talents, welches einem Sterne [gemeint ist Laurence] angeboren wurde, zog nachempfmdelnde Affen bey hunderten ihm her."229 229 Cra^s 44^'™ Lessin§: Hamburgische Dramaturgie. 96. Stück, >Den lsten April, 1768< 95 „Wenn Music eine Sprache der Empfindungen und Leidenschaften ist, wenn die Empfindungen keines einzigen Menschen mit den Empfindungen eines andern vollkommen übereinstimmen; würde dann nicht folgen, dass in Ermangelung gehöriger Vorschriften, und aus Natur und Erfahrung abgeleiteten Regeln, die Kunst dem Eigensinn und der Willkühr eines jeden insbesondere überlassen sein müsste?"2 Empfindsame Spiel- und Tonarten Kompositionstechniken Dieses Kapitel möchte nach all dem Vorausgegangenen den Versuch unternehmen zu definieren, was in der Ausdruckskunst der Musik als empfindsam galt. Bewusst schreibe ich „galt" und nicht „gilt", denn ich werde versuchen, dies aus den Augen der Zeitgenossen zu definieren. Denn es ist unmöglich ein ästhetisches Ideal in der Zeit um 1770 zu definieren und dieses Problem wurde von den Zeitgenossen sicher auch so gesehen, weshalb es zu einem so intensiven Gedankenaustausch kam. Ein Zeitideal fordert die Affekteinheit eines Werkes.. Stellvertretend sei hier Gottfried Lessing zitiert, wieder ein sich mit Musik auseinandersetzender Literat: „In einer Sinfonie muss nur eine Leidenschaft herrschen, und jeder besondere Satz muss eben dieselbe Leidenschaft, bloss mit verschiedenen Abänderungen, es sei nun durch den Grad ihrer Stärke und Lebhaftigkeit, oder nach den mancherlei Vermischungen mit andern verwandten Leidenschaften, ertönen lassen, und in uns zu erwecken suchen."231 Dies entspricht noch immer den Idealen des galanten Stils, wie sie etwa von Mattheson definiert werden, der, wie im Kapitel „Affekt-Leidenschaft-Empfmdung" aufgezeigt, jedem Affekt Unterarten zugesteht. Was macht ein Empfindsamer wie Carl Philipp Emanuel Bach, wenn er also Sinfonien schreiben darf? Ich wähle bewusst das Wort „darf, denn hiermit meine ich Werke, die Bach freie Hand liessen, also Werke, die nicht unter dem künstlerischen Diktat einen Regenten geschrieben werden mussten. Diese Gelegenheit bot sich Bach in Hamburg mit einem Auftragswerk, das die Empfindsamkeit in einer Stadt repräsentieren sollte, wo man damit nur wenig anzufangen wusste: in Wien. 1773 erhielt Bach vom seit 1770 Gesandten des österreichischen Kaiserhauses in Berlin, dem Baron Gottfried van Swieten, den Auftrag Sinfonien zu schreiben, die man als Ausdruck seiner Subjektivität und Individualität ezeichnen kann. Denn des Bestellers ausdrückliche Bitte was es, dass sich Bach „ganz gehen asse, ohne auf die Schwierigkeiten Rücksicht zu nehmen, die daraus für die Ausübung nofhwendig entstehen mussten."232 Bach wählt kein grosses Orchester, um etwa durch ^angfulle seinen Ideen Ausdruck zu verleihen, wie es wohl ein Mannheimer oder Wiener • CpSter ^ einem solchen Auftrag getan hätte. Nein, Bach verwendet das Minimum einer oruschen Besetzung nach dem in jener Zeit herrschenden Begriff, vier Streicher mit onnnuogruppe. Denn nicht Klangfülle, aber Ideenfülle heisst sein Motto und bei zu vielen gen wäre diese der Gefahr ausgesetzt, unterzugehen. Was Empfindsamkeit reich an ^7h~~~—"—- 231 g e TnN^0laUS Forkel in: Craraer' Magazin der Musik, Hamburg 1783, S. 858 Ü2 JF R SSmg: Gesammelte Werke, Berlin 1954, S. 142 Keichardt: Autobiographie in: Allgemeine Musikalische Zeitung XVI, Berlm 1814 96 wechseln bedeutet zeigt ein einziger Blick auf den ersten Satz der ersten der sechs eichers info ni en Wq 182 in C-Dur. Schon das Thema bricht mit jedlicher Tradition: die ersten beiden Takte suggerieren ein zweitaktisches Schema, welches darauf sofort zu einem viertaktischen augmentiert wird, das allerdings, die sich endlich zurechtgefunden glaubenden Ohren der Zeit schockierend, mit dem leiterfremden Staccatoton as' abbricht, dann verwirrt in einem weiteren leiterfremden Ton fis' mit Triller weiterführt, um endlich in einem viertaktigen Nachsatz geordnet zu enden. Genau dies beschreiben die eingangs zitierten Worte Nietzsches über Sterne, er riefe „bei dem Leser ein Gefühl der Unsicherheit darüber hervor, ob man gehe, stehe oder liege: ein Gefühl, welches dem des Schwebens am verwandtesten ist." Genauso musste sich der Zuhörer dieses Sinfonienbeginns fühlen. Dieselben Kompositionstechniken finden wir auch in Jiri Bendas Sinfonien. Benda hatte jedoch zeitweise ungünstiger Bedingungen bei der Realisierung seiner Werke, so dauerte es lange Zeit, bis ihm auf wiederholte Bitten hin endlich 1765 ein Cellist genehmig wurde. Doch dies konnte Bendas schöpferische Tätigkeit keineswegs bremsen. Als nur ein Beispiel seiner Suche nach neuem Klangzauber sei der zweite Satz der D-Dur Sinfonie genannt, in welchem sich Benda bemühte, Pizzicato-Effekte mit arco-Klängen zu verbinden und zwar abwechselnd in so kurzem Zeitraum, das dies technisch unmöglich erscheint. 97 . Tagung des Problems ist allerdings einfach: das Pizzicato liegt stets auf leeren Saiten, s es nicht, wie üblich, mit der den Bogen führenden rechten Hand gezupft, aber mit der S° rpiae haltenden linken realisiert werden kann. Übrigens ist dies eine Stelle von die zauberhaftem Klang. Lesen wir nach all dem nochmals Lessing, und zwar jenen Satz, der den oben zitierten Idealvorstellungen vorangestellt war: Eine Sinfonie, die in ihren verschiednen Sätzen verschiedne Leidenschaften ausdrückt, ist ein musikalisches Ungeheuer;" so wird uns die Reaktion von Bachs und Bendas zeitgenössischen Zuhörern verständlich. Es gab aber auch einige, die Bachs neuen Weg sahen, verstanden und priesen. Wie z.B. Reichardt, der den „originellen, kühnen Gang der Ideen" sowie „ die grosse Mannigfaltigkeit und Neuheit in den Formen der Ausweichungen" (gemeint sind harmonische Übergänge und Modulationen) lobte. „Schwerlich ist je eine musikalische Composition von höherm, keckerm, humoristischem! Charakter einer genialen Seele entströmt."233 Überhaupt ist der Mut freier mit harmonischen Mitteln umzugehen, ein ständiges Thema bei der Bewertung der empfindsamen Meister, „durch welche besonderen Wege er von einer Tonart in die andere bald langsam hineinschleicht, bald gleichsam durch einen salto mortale hinüberspringt, wie er die kühnen Ausweichungen vorbereitet, und die Tempi ändert"234 Als Beispiel für die empfindsame harmonische Kunst sei Jakob Friedrich Kleinknechts, der Kapellmeister des Ansbacher Orchesters, angeführt. Schubart lobt ihn „als gründlichen Setzer, als wir einen in Deutschland haben. Zwar übt er sich blos im Kammerstyl, aber seine Kammerstücke sind Muster in dieser Art. Seine melodischen Gänge sind meist gut gewählt, und die Bässe so herrlich gesetzt, dass sie der Componist studieren muss, um den Bassatz daraus zu lernen."235 Als weiteres Beispiel eines sehr empfindsamen Mittels sei die Behandlung der taktschwersten Zählzeit, der Eins, genannt, die, entgegen ihrer Bestimmung, in der Generalbass-Begleitung gerne akustisch weggelassen wird, was jedoch bei dem die Eins erwartenden Hörer deren Verstärkung assoziiert. Less is more, würde Jakob Kleinknecht in leichtem Smalltalk heute sagen. Ein weiterer Komplex ist die Behandlung der Dynamik. Suchte der galante Stil eine geordnete, der Natur entsprechende Abwechslung von forte und piano, meist durch kleine Crescendi und decrscendi verbunden (ich verwende in meinen praktischen Karrunermusik-Jorlesungen gerne den Ausdruck der Minigolf-Dynamik), kam es in der Empfindsamkeit zu dynamischen Ausbrüchen, subito-Effekten oder, wie bei der Affektdarstellung, zu gegensätzlichen Entwicklungen, sodass ein sich langsam steigerndes crescendo in einem subito piano seine Enttäuschung fand. Mit diesen Neuerungen einher geht die Überzeugung, ass der Effekt nicht durch die wichtigste Note, sondern der dieser vorhergehende sozusagen die N V 6rZeu^ w^r(i- So hat beispielsweise kein subito forte eine eigentliche Wirkung, wenn ote davor nicht schwächer ist, keine musikalisch dargestellte Enttäuschung ist wirklich 233., ------ — - ■ 234lbld'Sp.29. Bach ^ oSen ^ ™er Zeitungskritik im Hamburger Correspondenten 1785, zitiert nach: Carl Philipp Emanuel 235 Z im,SPlegeL seiner Zeit, S. 154 bcl»ubart: Ideen, S. 161 98 sehend, wenn davor nicht grosse Erwartung gezeichnet wird. Im Grunde sind es, auf 611 re Zeit übertragen, all jene Dinge, die einen Film mitreissend machen. Intervall und Tonartencharakteristik Bach hat sich im zweiten Teil seiner Klavierschule sehr genau mit den einzelnen Akkorden und derer Verwendung auseinandergesetzt, jedoch leider fast keine Angaben zu deren Charakter gemacht, wohl in der Auffassung, dass dies ein Musikus fühlen müsse und dieses Gefühl somit nicht erlernbar sei. (Man denke in diesem Zusammenhang an den Genie-Begriff)- Eine Charakteristik der Intervalle ist uns allerdings von Johann Philipp Kirnberger tradiert worden, der als Kompositionslehrer und Kapellmeister der Prinzessin Anna Amalie von Preussen nicht nur Bachs Kollege in Berlin war, sondern als Schüler des Bach-Vaters Johann Sebastian dessen hohe Kunst zu retten trachtete, wie in seinem Lehrbuch Die Kunst des reinen Satzes (2. Teil, Berlin 1776) deutlich wird. Man klappe die im Kapitel Affekt-Leidenschaft-Empfindung beigelegte Tabelle aus und dann ist leicht zu sehen, dass jeder Intervall seine zugehörige Empfindung hat: „Dass der Ausdruck in der Melodie grossentheils mit von den Fortschreitungen abhängt, bedarf wol keines Beweises. Indessen ist es unmöglich genau zu bestimmen, aus welchen Fortschreitungen ein melodischer Satz zusammengesetzt seyn müsse, der diesen oder jenen Ausdruck haben soll. Jedes Intervall hat gleichsam seinen eigenen Ausdruck, der aber durch die Harmonie, und durch die verschiedene Art ihrer Anbringung sehr abgeändert oder ganz verloren gehen kann. Demohngeachtet, wenn man blos auf die Fortschreitungen einer Melodie ohne Rücksicht auf die übrigen Nebenumstände sieht, so lassen sich die Intervallen ohngefähr also charakterisiren: Im Steigen: Die übermässige Prime, ängstlich Die kleine Secunde traurig; die grosse angenehm, auch pathetisch; die übermässige schmachtend. Die kleine Terz traurig, wehmütig; die grosse vergnügt. Die verminderte Quarte wehmütig, klagend; die kleine fröhlich; die grosse traung; die übermässige oder der Triton heftig. Die kleine Quinte weichlich; die falsche anmuthig, bittend; die vollkommene frölich, muthig; die übermässige ängstlich. Die kleine Sexte wehmütig, bittend, schmeichelnd; die grosse lustig, auffahrend, heftig; die übermässige kömmt in der Melodie nicht vor. Die verminderte Septime schmerzhaft; die kleine zärtlich, traurig, auch unentschlossen; die grosse heftig, wütend, im Ausdruck der Verzweiflung. Die Oktave frölich, muthig, aufmunternd. Im Fallen: Die übermässige Prime äusserst traurig. € kleine Secunde angenehm; die grosse emsthaft, beruhigend; die übermässige klagend, zärtlich, schmeichelnd. ' I verminderte Terz sehr wehmütig, zärtlich; die kleine gelassen, massig vergnügt; die grosse Pathetisch, auch melancholisch. ■ verminderte Quarte wehmütig, ängstlich; die kleine gelassen, massig vergnügt; die grosse sehr Die f?esc^a&eni die übermässige oder der Triton sinkend traurig. ÜD .eme Quinte zärtlich traurig; die falsche bittend; die vollkommene zufrieden, beruhigend; die ermassige schreckhaft (kömmt nur im Bass vor). 99 kleine Sexte niedergeschlagen; die grosse etwas schreckhaft; die übermässige kömmt in der Melodie nicht vor. pe verminderte Septime wehklagend; die kleine etwas fürchterlich; die grosse schrecklich fürchterlich. Die Oktave sehr beruhigend. Zudem kann man dank Schubart aufzeigen, in welchem Masse sich seit den dreissiger Jahren das Empfinden der Tonarten geändert hat und ich versuche dies in nachfolgender Tabelle in Form eines Vergleiches zwischen Mattheson und Schubart darzustellen: Johann Mattheson: Neueröffnetes Orchestre (Hamburg 1713) hat eine ziemlich rude und freche Eigenschafft, wird aber zu Rejouissancen237 und wo man sonst der Freude ihren Lauff last, nicht ungeschickt seyn; dem ungeachtet kan ein habiler Componist ... zu gar was charmantes umtauffen, und fuglich auch in tendren238 Fällen anbringen._ Tonart C-Dur Johann Schubart: Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst (Hohenasperg 1784/85, gedruckt Wien 1806) ist ganz rein. Sein Charakter heisst: Unschuld, Einfalt Naivität, Kindersprache ist ein überaus lieblicher dabey auch trister Tohn, weil aber die erste Qualite gar zu sehr bey ihm praevaliren239 will, und man des süssen leicht überdrüssig werden kan, so ist nicht übel gethan, wenn man dieselbe durch ein etwas munteres oder ebenträchtiges Mouvement240 ein wenig mehr zu beleben trachtet c-moll Liebeserklärung, und zugleich Klage der unglücklichen Liebe. — Jedes Schmachten, Sehnen, Seufzen der liebetrunkenen Seele, liegt in diesem Tone cis-moll ist von Natur etwa scharff und eigensinnig; zum Lermen, lustigen, Kriegerischen, und aufmunternden ^gJ!S^woj_am aller bequemsten; Bussklage, trauliche Unterredung mit Gott; dem Freunde; und der Gespielinn des Lebens; Seufzer der unbefriedigten Freundschaft und Liebe liegen in seinem Umkreis_ D-Dur Der Ton des Triumphes, des Hallelujas, des Kriegsgeschrey 's, des Siegsjubels. Daher setzt man die einladenden Symphonien, die 177J°hann Philipp Kirnberger: Die Kunst des reinen Satzes in der Musik, II. Teil, Berlin/Königsberg 1776(-237 hi Faksimile Hildesheim 1968, S. 103 er ei handelt es sich um feierliche Musiken, die bei Wiedervereinigungen, Friedensschlüssen usw. ^endet wurden ü9 zärtlichen vorherrschen Bew egung, Tempo 100 ^T^^d^^ugleich niemand in fbrede seyn, dass nicht auch dieser rte Xohn, wenn zumahl anstatt der Clarine eine Flöte, und anstatt der paucke eine Violine dominiret, gar grtjae und frembde Anleitung zu JclJ?^n Sachen geben könne. Märsche, Festtagsgesänge, und himmelaufjauchzenden Chöre in diesen Ton rnarT denselben wol untersuchet, so wird man befinden, dass er etwas devotes, ruhiges, dabey auch etwas grosses, angenehmes und zufriedenes enthalte; [...] wiewohl solches alles nicht hindert, dass man nicht auch was ergetzliches, doch nicht sonderlich hüpfendes, sondern fliessendes, mit Succes aus diesem Tonne setzen könne. d-moll schwermüthige Weiblichkeit, die Spleen241 und Dünste brütet Des-Dur Ein schielender Ton, ausartend in Leid und Wonne. Lachen kann er nicht, aber Iächeln+ heulen kann er nicht, aber wenigstens das Weinen grimassiren. - Man kann sonach nur selten Charaktere und Empfindungen in diesen Ton verlegen hat viel pathetisches an sich; will mit nichts als entshafften und dabey plaintiven242 Sachen gerne zu thun haben, ist auch aller Üppigkeit gleichsam spinnefeind. Es-Dur der Ton der Liebe, der Andacht, des traulichen Gesprächs mit Gott; durch seine drey B, die heilige Trias ausdrückend J ■* i —---___ Es-moll Empfindungen der Bangigkeit des aller tiefsten Seelendrangs; der hinbrütenden Verzweiflung; der schwärzesten Schwermuth, der düstersten Seelenverfassung. Jede Angst, jedes Zagen des schaudernden Herzens, athmet aus dem grässlichen Es moll. Wenn Gespenster sprechen könnten; so sprächen sie ungefähr aus diesem Tone ^cket eine Verzweiflungs-volle oder ganz tödliche Traurigkeit unvergleichlich wol aus; ist vor extrem-verliebten Hülff- und «offrmngslosen Sachen am ^^Hejnstenjjmd hat bey gewissen E-Dur Lautes Aufjauchzen, lachende Freude, und noch nicht ganzer, voller Genuss liegt in E dur 241 ! "----- der m deutsch Milz, entsprechend der Humoraltheorie Verstopfung der Pfortader, auch als Verhärtung 242 K^f*unterhalb der Rippen, der Hypochodern (daher Hypochonder!) Detrachtenden 101 rrg^ä^lo^ was schneidendes, scheidendes, leidendes und durchdringendes, dass es mit nichts als einer fatalen Trennung Leibes jjnd der Seelen verglichen werden mag. ■^p^öPschwerlich was lustiges beygeleget werden, man mache es auch wie man wolle, weil er sehr pensif, tiefdenckend, betrübt und traurig zu machen pfleget, doch so, dass man sich noch dabey zu trösten hoffet. Etwas hurtiges mag wol daraus gesetzet werden, aber das ist darum nicht gleich lustig e-moll Naive, weibliche unschuldige Liebeserklärung, Klage ohne Murren; Seufzer von wenigen Thränen begleitet; nahe Hoffnung der reinsten in C dur sich auflösenden Seligkeit spricht dieser Ton. Da er von Natur nur Eine Farbe hat; so könnte man ihn nit einem Mädchen vergleichen, weiss gekleidet, mit einer rosenrothen Schleife am Busen. Von diesem Tone tritt man mit unaussprechlicher Anmuth wieder in den Grundton C-dur zurück, wo Herz und Ohr die vollkommenste Befriedigung finden. ist capable24J die schönsten Sentiments244 von der Welt zu exprimiren24^, es sey nun Grossmuth, Standhafftigkeit, Liebe, oder was sonst in demTugend-Register oben an stehet, und solches alles mit einer der massen natürlichen Art und unvergleichlichen Facilite246, dass gar kein Zwang dabey vonnöthen ist. Ja die Artigkeit und Adresse dieses Thons ist nicht besser zu beschreiben, als in Vergleichung mit einem hübschen Menschen, dem alles, was er thut, es sey so gering es uumer wolle, perfect gut anstehet, und der, wie die Franzosen reden, bonne grace247 hat. F-Dur Gefälligkeit und Ruhe - scheinet eine gelinde und gelassene, *iewol dabey tiefe und schwere, mit Verzweiflung ^SSeseh^chaffte, tödliche Hertzens- f-moll tiefe Schwermuth, Leichenklage, Jammergeächz, und grabverlangende Sehnsucht 243 - ^ verständlicherweise L Gemütsbewegungen ^auszudrücken 2<7 Leichtigkeit gUtes Aussehen im Sinne von guter „Grazie" 102 f^f^zusteliräi, und ist über die ssen beweglich. Er drücket eine fchvvarze, hülflose Melancholie chön aus, und will dem Zuhörer ^weilen ein Grauen oder einen Schauder verursachen. gleTch zu einer grossen Betrübniss leitet, ist dieselbe doch mehr languissant und verliebt als lethal; es hat sonst dieser Tohn etwas abandonirtes, singulieres und rnisanthropisches an sich. fis-moll Ein finsterer Ton: er zerrt an der Leidenschaft, wie der bissige Hund am Gewände. Groll und Missvergnügen ist seine Sprache. Es scheint ihm ordentlich in seiner Lage nicht wohl zu seyn: daher schmachtet er immer nach der Ruhe von A dur, oder nach der triumphirenden Seligkeit von D dur hin hat viel insinuantes und redendes in sich; er brillirt dabey auch nicht wenig, und ist so wol zu serieusen als munteren Dingen gar geschickt. G-Dur Alles Ländliche, Idyllen- und Eklogenmässige, jede ruhige und befriedigte Leidenschaft, jeder zärtliche Dank für aufrichtige Freundschaft und treue Liebe; - mit einem Worte, jede sanfte und ruhige Bewegung des Herzens lässt sich trefflich in diesem Tone ausdrücken. Schade! dass er wegen seiner anscheinenden Leichtigkeit, heut zu Tage sehr vernachlässiget wird. Man bedenkt nicht, dass es im eigentlichen Verstände keinen schweren und leichten Ton gibt: vom Tonsetzer allein hangen diese scheinbaren Schwierigkeiten und Leichtigkeiten ab ist fast der allerschöneste Tohn, weil er nicht nur die dem vorigen anhängende ziemliche Ernsthaftigkeit mit einer munteren Lieblichkeit vermischet, sondern eine ungemeine Anmuth und Gefälligkeit sich führet, dadurch er so wol zu zärhchen, als erquickenden, so wol P» sehnenden als vergnügten, mit fcurtzen beydes zu massigen Klagen Udn temperirter Frölichkeit bewuem -Ölyb^Hiflexible ist. g-moll Missvergnügen, Unbehaglichkeit, Zerren an einem verunglückten Plane; missmuthiges Nagen am Gebiss; mit einem Worte, Groll und Unlust Ges-Dur Triumph in der Schwierigkeit, freyes Aufathmen auf überstiegenen Hügeln; Nachklang einer Seele, die stark gerungen, und endlich gesiegt hat - 103 liegt in allen Applicatuen dieses Tons gis-moll Griesgram, gepresstes Herz bis zum Ersticken; Jammerklage, die im Doppelkreuz hinaufseufzt; schwerer Kampf, mit einem Wort, alles was mühsam durchringt, ist dieses Tons Farbe. ^jfftlelVanT ob er gleich brillirt, ynd ist mehr zu klagenden und traurigen Passionen als zu divertissemens geneigt; insbesonderheit schickt er sich sehr Lft tu Violin-Sachen. A-Dur Dieser Ton enthält Erklärungen unschuldiger Liebe, Zufriedenheit über seinen Zustand; Hoffnung des Wiedersehens beym Scheiden des Geliebten; jugendliche Heiterkeit, und Gottesvertrauen Des A-moll Natur ist etwa klagend, ehrbar und gelassen, it. zum Schlaff einladens; aber gar nicht unangenehm dabey [... ] a-moll fromme Weiblichkeit und Weichheit des Charakters As-Dur der Gräberton. Tod, Grab, Verwesung, Gericht, Ewigkeit liegen in seinem Umfange ist sehr divertissant und prächtig; behält dabey gerne etwas modestes und kan demnach zugleich vor magnific und mignon passiren248 B-Dur heitere Liebe, gutes Gewissen, Hoffnung, Hinsehnen nach einer bessern Welt b-moll Ein Sonderling, meherntheils in das Gewand der Nacht gekleidet. Er ist etwas mürrisch, und nimmt höchst selten eine gefällige Miene an. Moquerien gegen Gott und die Welt; Missvergnügen mit sich und allem; Vorbereitung zum Selbstmord -hallen in diesem Tone welches eine widerwärtige, harte, gar unangenehme, auch dabey desperate Eigenschafft an sich zu haben scheinet. H-Dur Stark gefärbt, wilde Leidenschaften ankündigend, aus den grellsten Farben zusammen gesetzt. Zorn, Wuth, Eifersucht, Raserey, Verzweiflung, und jeder Jast des Herzens liegt in seinem Gebiethe bizarre, unlustig und melancholisch; deswegen er auch selten zum Vorschein kommt. h-moll Ist gleichsam der Ton der Geduld, der stillen Erwartung seines Schicksals, und der Ergebung in die göttliche Fügung. Darum ist seine Klage so sanft, ohne jemahls in beleidigendes Murren, oder Wimmern auszubrechen. Die Applicatur dieses Tones ist in allen Instrumenten ziemlich schwer; deshalb findet man auch so wenig Stücke, welche 24j . -__ m Dur und Moll Verwendung finden. 104 ausdrücklich in selbigen gesetzt sind • Unterschiede sind teils sehr gross, die Charakteristik teils gegensätzlich und spiegelt die c'hvicklung einer Tonarten-Ästhetik wider. Es ist zudem augenfällig, wie sich Mattheson bemüht schweren, melancholischen Tonarten die Möglichkeit einer fröhliche Darstellung uzuspreehett' was stellenweise wie Angst vor zu ernstem Charakter klingt. Schubart hinge§en ue^t das schwere, Dunkle, Melancholische. Lediglich bei D-Dur finden beide Musiker zu ähnlicher Ansicht, wobei auch hier Mattheson Wege nennt, den Charakter zu mindern. Bei Mattheson ist jede ihm bekannte Tonart demach für fast alles zu gebrauchen. Natürlich hängt dies auch mit den im 18. Jahrhundert dahergehenden Veränderungen im Temperatursystem der Stimmungen zusammen, welches mehr und mehr nach der sogenannten gleichschwebenden Temperatur (Valotti) greift. Demnach kennt Mattheson die praktisch Anwendung weit weniger Tonarten, als Schubart. Interessant ist auch, dass Mattheson die Moll-Tonart der jeweiligen Dur-Tonart anpasst, also nach C-Dur c-moll nennt, während Schubart bereits die parallele Moll-Tonarten der jeweiligen Dur-Tonart zuordnet (C-Dur, a-moil). Somit schliesst sich bei Schubart nach e-moll der Zirkel, da man „von diesem Tone mit unaussprechlicher Anmuth wieder in den Grundton C dur zurück[tritt]." Ende der Exkursion. Es wäre zu weitläufig hier Carl Philipp Emanuel Bachs Gesamtwerk zu untersuchen, aber gerade die Streichersinfonien zeigen, wo sich Bach zu Hause fühlte. (Erinnert sei auch an die weiter oben beschriebene Formsuche in den Sinfonien, an die Geschlossenheit durch die Abhängigkeit der Sätze voneinander.) Hier setzt er endgültig das um, was er von einem guten Interpreten erwartete: „Indem ein Musikus nicht anders rühren kan, er sey dann selbst gerühret; so muss er nothwendig sich selbst in alle Affeckten setzen können, welche er bey seinen Zhörem erregen will; er giebt ihnen seine Empfindungen zu verstehen und bewegt sich solchergestalt am besten zur Mit=Empfmdung. Bey matten und taurigen Stellen wir er matt und traurig. Man sieht und hört es ihm an. Dieses geschieht ebenfals bey heftigen, lustigen, und andern Arten von Gedancken, wo er sich alsdenn in diese Affeckten setzet. Kaum, dass er einen stillt, so erregt er einen andern, folglich wechselt er beständig mit Leidenschaften ab. Diese Schuldigkeit beobachtet er überhaupt bey Stücken, welche ausdrückend gesetzt smd, sie mögen von ihm selbst oder von jemanden anders herrühren; im letztern Fall muss er leselbe Leidenschaften bey sich empfinden, welche der Urheber des fremden Stücks bey dessen Verfertigung hatte."249 Abwechslung war also gefragt, Bach selbst hat sich ja in seiner Autobiographie als jemanden eicnnet, der „niemahls die allzugrosse Einförmigkeit in der Komposition und im jjschrnack geliebt habe"250 Als sein Ziel beschreibt er „auf dem Ciavier, ohngeacht des gels an Aushaltung [er kritisiert damit die Kürze des verklingenden Tones],so viel das Oh San^ar zu spielen und dafür zu setzen. Es ist die Sache nicht so gar leicht, wenn man Verderb mC^^Zu2^er ^assen' unc^ Q*e ec^e Einfalt des Gesanges durch zu vieles Geräusch nicht die lb^ Wl^'" ^as ^eere Ohr scheint für Bach ein Schrecken gewesen zu sein, denn Selbe Metapher findet sich in einem Brief Matthias Claudius' an Gerstenberg vom Juni R----~ Oí^verschule I, S. 122 ^Autobiographie in Bumey 105 ■ welchem er diesem seinen Besuch bei Bach in Hamburg und ein damit verbundenes 1^'! k DeSchreibt. Auf Bachs Frage, wie es in Kopenhagen mit der Musik stünde, ^^rtet Claudius, dass dort Bachs jüngerer Bruder Johann Christian und Johann Schobert ^ht seien. Er, Carl Philipp, „gefallen nicht sonderlich. - +: Darin muss ich mich finden. h rt ist hier auch bekannt, er ist ein Mann der Kopfs hat, aber hinter seiner und meines j rs itziger Komposition ist nichts. - - : Sie fällt gleichwohl ins Ohr. - +: Sie fällt hinein d füllt es aus, lässt aber das Herz leer, das ist mein Urteil von der neuen Musik, die auch in ""i- r 1 Mode ist, sodass man gar kein Adagio, lauter räuspernde Allegro, allenfalls ein Italien j 2S2 ^dantino zu hören knegt. Suche nach dem langsamen Tempo Diese Textstelle ist höchst interessant, denn sie verrät einen neuen Aspekt der Ansichten eines Empfindsamen: Wahre Musik ist langsam! Hier spielt das erste Mal bei der Betrachtung der Empfindsamkeit in der Musik Italien herein, welches die Adagiokunst ausgesprochen pflegte. Und dies war am Hof des Preussenkönigs Teil der Musikproduktion: Unter Friedrich des Zweyten Regierung hatte ich das Glück, als Violinist theils in seinen Kammer-Concerten, theils in den grossen Opern, die besten Sänger und Sängerinnen aller italienischer Schule zuhören, deren Hauptstudium war, das Adagio rührend vorzutragen."253 Aus dem Dialog mit Claudius geht somit hervor, dass die neue Musik in zunehmendem Masse „schnellere" Bezeichnungen präferiere. Es ist ja eine Neuigkeit in der Musik ab 1750, dass eine Temposystematik definiert werden möchte. Bei Mattheson lesen wir noch 1739 im Vollkommenen Capellmeister. „das Mouvement lässt sich schwerlich in Gebote und Verbote einfassen: weil es auf die Empfindung und Regung eines jeden Setzers hauptsächtlich, und hiemächst auf die gute Vollziehung, oder den zärtlichen Ausdruck der Sänger und Spieler hier ankommt"254 Und im darauffolgenden Paragraphen: „Diejenigen, welcher solcher Schwierigkeiten mit vielen Flick-Wörtern abzuhelffen gedencken, schlagen einen blossen. Alles allegro, grave, lento, adagio, vivace, und wie das Register ferner lautet, bedeuten zwar freilich Dinge, die zur Zeitmaasse gehören; aber sie schaffen der Sache keinen Wandel." Selbst Jacob Adlung widmet der Temoproblematik in seiner 1758 zu Erfurt veröffentlichten Anleitung zur musikalischen Gelahrtheit überraschender Weise keinen Komentar. 1752 erscheint Johann Joachim Quantzens Flötenschule in Berlin, 1756 veröffentlicht Leopold Mozart in Augsburg seine Violinschule. Bei genauer Betrachtung beider Quellen muss ein grundsätzlicher Unterschied in der Tempoauffassung konstatiert werden. Sehr detailliert sind die Bestrebungen Quantz, des Flötenlehrers Friedrich IL, das Tempo eines Musikstückes zu bestimmen, welche sich im VII. Abschnitt des XVII. Hauptstück ^essen Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen aus dem Jahre 1752 finden. Sen steHt er eine allgemeine Temposystematik voran, welche vier Grundtempi zulässt: sehr schnelles, ein schnelles, ein langsames, ein sehr langsames Allegro assai" „das Allegretto" „das Adagio cantabile" „das Adagio assai" *j* . ,----- M3CadBnaCh Matthias Claudius: Die Erde ist doch schön, Witten 1958, S. 21f Lejpz-g jg^a' ^ertlerkungen über Spiel und Vortrag des Adagio, Allgemeine Musikalische Zeitung, Nr. 48, MatÜieson, Der vollkommene Capellmesister, Hamburg 1739, S. 172 106 jj. yfls zwischen den beiden mittleren Tempogruppen einen Spiegel vor, so wird sehr 11 klar, dass sich hier noch Resterscheinungen des barocken Symetriedenkens finden. ^-Frage inwie weit dieses Denken als Notwendigkeit für die Erfüllung eines inneren "Ür fhisses empfunden wurde, lässt sich nur schwer beantworten. Wenn Quantz aber an a er Stelle (§ 40 des XVIII. Haupstückes) die Länge eines Konzertes definiert und man 30 Angaben au^ Quantz-Konzerte überträgt, muss man überraschend feststellen, dass sein ^ t^rn keinesfalls ein nur theoretisches sondern praktisch anwendbares ist. Quantz erläutert ^liierst, dass ein Grundschlag von 80 seinen Überlegungen zugrunde liege und dass sich die Tempogruppen -seinem Symetriedenken entsprechend - untereinander im Verhältnis j-2-4'8 verhalten sollen, d.h. im 4/4 Takt käme ein Achtel im Adagio assai einem Viertel im Adagio cantabile, dieses einer Halbe im Allegretto und diese einem ganzen Takt im Allegro assai gleich Ein System, wie das bei Quantz, findet sich bei Mozart nicht, der, wenngleich in Salzburger Diensten, seine Violinschule 1756 in seiner Geburtsstadt Augsburg, wo er eine ganze Reihe nützlicher Kontakte hatte, herausbrachte. Stilistisch weit freier als der am französischen Stil gebildete Quantz kann man in Mozart trotz dessen Beeinflussung durch die Volksmusik einen Vorboten des von Italien dominierten klassischen Stils und damit auch der klassischen Spielweise sehen. Zur Zeit der Klassik war Quantzens galante Tempotheorie und deren Symetrie einiger Kritik ausgesetzt, Daniel Gottlob Türck meint in seiner Klavierschule (Halle, Leipzig 1789), dass „überdies vielleicht der Abstand vom Allegro assai bis zum Adagio molto doch etwas zu gross angenommen seyn sollte" (S.l 1 lf) Türck definiert anhand seiner Taschenuhr-Theorie das Grundtempo mit 63, also langsamer als Quantz. Auf Seite 49 seiner Schule nennt Mozart verschiedene Tempobegriffe, was auf den ersten Blick wie eine Auflistung erscheint. Betrachtet man dieses Verzeichnis jedoch genauer, lässt sich schnell ein Schema erkennen, welches die Anordnung von der langsamsten zur schnellsten Tempoangabe zum Ziel hat, entbehrt jedoch jedweglicher konkreter Tempoangaben im Quantzschen Sinne, was keine pädagogische Schwachstelle von Mozarts Violinschule ist, sondern hier hatte sicher Mozart die direkte Schulung durch den Lehrer vor Augen und wusste auch, dass zur richtigen Takt-„Erkenntniss eine lange Erfahrung, und eine gute Beurtheilungskraft erforderet werde." Auffallend ist jedoch ein elementarer Unterschied zwischen Quantz und Mozart: während Quantz in seinem Symestriestreben den Spiegel selbst, die goldene Mitte, nicht kennt, ist diese bei Mozart, ohne Spiegel zu sein, definiert: „Vivace (Vivace.) heisst lebhaft, und Spirituoso (Spirituoso.) will sagen, dass man mit Verstand und Geist spielen solle, und Animoso (Ammoso.) ist fast eben diess. Alle drey Gattungen sind das Mittel zwischen dem Geschwinden und dem Langsamen". Das bedeutet, dass wenn man Mozart in ein System zwängen wolle, dieser nicht vier, sondern •-dank der Mitte- drei Tempogruppen kennt. Dass verschiedene Modelle zeitgleich existierten bestätigt Türck auf Seite 110 seiner Klavierschule: „Alle die oben angezeigten Grade der ewegung bringen einige Tonlehrer in vier Hauptklassen. In die erste gehören, dieser eilung nach, die sehr geschwinden Arten, nämlich das Presto, Allegro assai etc. in dle^6.^.' dle mässig geschwinden, z.B. das Allegro moderato, Allegretto etc. in die dritte, massig langsamen, wie Un poco Adagio, Larghetto, Poco Andante etc. und in die vierte, lesehr langsamen, z.B. Largo, Adagio molto u.s.w. A i* j Pres^re .nermien nur drey Hauptarten der Bewegung an, nämlich 1) die geschwinde z.B. issimo, Presto, Allegro assai, Allegro, Allegretto etc. 2) die massige, als Andante, mmo etc- und 3) die langsame z.B. Largo, Adagio u.s.f. welche^ere mac^en sechs Hauptklassen daraus, und rechnen zur ersten alle Tonstücke, e'ne sehr geschwinde Bewegung haben, zur zweyten, die geschwinden, zur dritten, 107 - ht so geschwinden, zur vierten, die sehr langsamen, zur fünften, die langsamen, und *C ochsten, die nicht so langsamen. meilen Einige alle Tonstücke in Absicht auf die Bewegung nur in zwey Hauptklassen ^uC . unterscheiden nämlich blos die geschwinde Bewegung von der langsamen." ein. g^he 19. Jahrhundert kannte dann auch fünf Klassen, was ein Blick in Heinrich tnoh Kochs Kurzgefasstes Handwörterbuch der Musik (Leipzig 1807) bestätigt. Das .1 (rwort „Zeitmaas" definiert er als „Grad der Geschwindigkeit, in welcher die Theile oder . ? derjenigen Taktart, in welche das Tonstück eingekliedert ist, aufeinander folgen ^jleü Man ist gewohnt, die sehr verschiedenen Grade dieser Geschwindigkeit in fünf gauptarten abzutheilen, die von dem langsamen bis zum geschwinden Zeitmaasse in nachstehender Ordnung auf einander folgen: 1) das langsame Zeitmaas, welches man mit dem Kunstworte largo (weit), oder lento (langsam), bezeichnet; 2) das massig langsame Zeitmaas, welches mit adagio (gemächlich), bezeichnet wird; 3) das schrittmässige, oder das zwischen dem langsamen und geschwinden Zeitmaasse das Mittel haltende; man pflegt es mit dem Kunstworte andante (gehend ) zu bezeichnen; 4) das muntere oder hurtige Zeitmaas, welches mit allegro, zuweilen auch mit vivace bezeichnet wird; und 5) das geschwinde Zeitmaas, welches man mit presto bezeichnet." Zurück zu Türck: Interessant ist, dass Türck bei Nennung der beiden erstgenannten Systeme einen Unterschied macht, der sich zugleich bei einem Blick auf Quantz und Mozart findet: die vierteilige Tempo Systematik kennt kein Andante! Mozart kennt es. Zwar erwähnt Quantz unter der dritten Gruppe der „Adagio cantabile" auch Poco Andante, doch steht diese Bezeichnung zwischen elf anderen („Cantabile, Arioso, Larghetto, Soave, Dolce, Poco Andante, Affettuoso, Pomposo, Maestoso, alla Siciliana, Adagio spirituoso, u.s.w."), sodass ihr keine besondere Bedeutung zukommt. Es wäre falsch zu denken, der barocke und galante Stil kenne kein Andante, was, und dies nur als Beispiel, mit Bachs Andante-Bezeichnung des enorm langen, ersten Satzes der h-moll Flötensonate BWV 1030 bewiesen werden kann. Johann Gottfried Walther schreibt über das Andante in seinem Musikalischen Lexicon von 1732 (Leipzig): „mit gleichen Schritten wandeln. ... da denn alle Noten fein gleich und überein (ebenträchtig) executirt, auch eine von der andern wohl unterschieden, und etwas geschwinder als adagio tractirt werden müssen" Hier interessiert vor allem die Definition „etwas geschwinder als adagio". Das ist Leipzig 1752 ^UantZ w*e Walther das Poco Andante zu der Adagio (cantabile)-Gruppe, Berlin Mozart, Salzburg/Augsburg, erwähnt 1756 erstmals das Andante innerhalb des Abschnittes, Reicher das Allegretto (!) beschreibt: „Allegretto, (Allegretto.) ist etwas langsamer als ^gro, (Allegro.) hat gemeiniglich etwas angenehmes, etwas artiges und scherzhaftes, und es mit dem Andante (Andante.) gemein." Danach beschreibt er Vivace und, nach dem tnschub der Bezeichnungen „Moderato", „Tempo Commodo, und Tempo giusto", (A jenuto"' »Maestoso" und „Staccato" wendet er sich dem Andante zu: „Andante, Gan ^T^^ ^enenc*- Diess Wort sagt uns schon selbst, dass man dem Stücke seinen natürlichen h,u ^ sen niüsse; sonderheitlich wenn ma un poco Allegretto, (ma un poco Allegretto.) aabey stehet." 108 weiterer Vertreter der süddeutschen Auffassung ist Christian Friedrich Daniel Schubart. E10 . Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, die zwar erst 1806 in Wien (!) erschienen, fos ,704/85 entstanden waren (Schubart starb 1791) schreibt er: „Andante, eine gehende ^^retation der Werke norddeutscher und süddeutscher Komponisten bedeutet dies ein galanter Unterschied. a des Tacts, welche die angränzende Linie des Allegros küsst". Für die Andante- r~^ell*er-hcr Andantebegriff süddeutscher Andantebegriff DOruuiüi-—----- U'ilther <+was eeschwinder als Adagio Mozart: Allegretto hat vieles mit dem Andante gemein /v,irit7-Pnco A zum Adagio cantabile gehörend Schubart: küsst die angränzende Linie des Allegro Der norddeutsche Raum hatte demnach einen weit langsameren Andante-Begriff hat, als der süddeutsche. Das verwundert angesichts der grossen stilistischen Unterschiede zwischen der eigenständigen (Hamburg) oder stark französisch beeinflussten (Berlin) norddeutschen und der sehr von Italien geprägten süddeutschen Schule (Mannheim, Wien) nicht. Ist für die stilistischen Unterschiede die Main-Linie definiert, so gilt dies auch für den Andante-Begriff, Unterschiede im allgemeinen Tempoverständnis zwischen Nationen sind im 18. Jahrhundert bekannt, was bei einem Blick in Johann Matthesons Capellmeister bei dessen Beschreibung des Tanzes Gigue (S. 227f.) deutlich wird, bei welchem er die englischen Gigue als „einen hitzigen und flüchtigen Eifer, einen Zorn, der bald vergehet." im Gegensatz zu den italienischen sieht, die „äusserste Schnelligkeit und Flüchtigkeit" erfordern, „etwa wie der glattfortschiessende Strom-Pfeil eines Bachs." Hinter dieser nationalen Differenz verbirgt sich wiederum die Nord-Süd-Achse, denn in einer leider viel zu oft übersehenen Fussnote (S. 263) schreibt Quantz, dass in heutigen (1752) Zeiten alles doppelt so schnell gespielt würde als in „vorigen", und „Die heutigen Franzosen haben diese Art der massigen Geschwindigkeit in lebhaften Stücken noch grössten Theils beybehalten." Wer jedoch meint, Frankreich sei westlich von Deutschland liegt zwar geographisch richtig, die Auffassung der Franzosen war jedoch eine andere, was Gretry im dritten Buch seiner Memoires beweist, wenn er die Melodik der Europäer den geographischen Gegebenheiten nach erklärt: "Man kann unterscheiden: 1. Die Melodie der Italiener und diejenige noch südlicher lebender Völker, die noch mehr den Strahlen einer sengenden Sonne ausgesetzt sind. 2. Diejenigen der Franzosen. 3- Diejenigen der Deutschen und anderer, weiter im Norden lebender Völker."255 Interessanter Weise setzt sich Carl Philipp Emanuel Bach in seinem Versuch über die wahre das Ciavier zu spielen (Berlin, 1. Teil 1753, 2. Teil 1762) fast gar nicht mit der empoproblematik auseinander. Im ersten Teil, zehnter Paragraph des dritten Hauptstücks " om Vortrage", unterscheidet er hie und da zwischen Allegro und Adagio: „Der Grad der Regung lässt sich so wohl nach dem Inhalte des Stückes überhaupt, den man durch gewisse annte italiänische Kunstwörter anzuzeigen pflegt, als besonders aus den geschwindesten en und Figuren darinnen beurtheilen. Bey dieser Untersuchung wird man sich in den . setzen, weder im Allegro übereilend, noch im Adagio zu schläfrig zu werden." (S.121) Ausserdem „thun Bezeichn erkläret die Componisten wohl, wenn sie ihren Ausarbeitungen ausser der ung des Tempo, annoch solche Wörter vorsetzen, wodurch der Inhalt derselben Wird." Aber nicht übersehen darf man jenen Satz auf Seite 116: „In einigen Wiihofr^mest""^vIo^este Gretry: Memoires, aus dem Französischen übersetzt von Dorothea Gülke, '«eimshaven 1971, S. 252 109 artigen Gegenden herrschet gröstentheils besonders dieser Fehler sehr starek, dass man aUS^ . ctíos zu hurtig und die Allegros zu langsam spielet." jürck? Er schreibt in seiner Klavierschule „Andante, eigentlich gehend, schrittmässig • der Musik eine mittlere Bewegung, die also weder ganz langsam, noch geschwind ist" 108) Türck als Mittler zwischen zwei Lagern? Oder sieht er eine Annährung zwischen ^ norddeutschen und süddeutschen Ideal voraus, welches 1802 Koch in seinem ^ kaiischen Lexikon (Frankfurt/Main 1802) mit Andante als „gehend, oder schrittmässig. Mt diesem Ausdrucke wird diejenige Bewegung des Zeitmaases angezeigt, die zwischen dem ^schwinden und Langsamen die Mitte hält" definiert? Und wie verhält es sich mit des Andantes Schwestern, dem Andantino, Molto Andante und pjú Andante? Hier herrscht ebenfalls grosse Uneinigkeit: Koch (Süddeutschland) behauptet: ^Andantino bezeichnet als Diminution des vorhergehenden Wortes [Andante], wenn es als solches genommen wird, eine Bewegung, die etwas geschwinder ist, als Andante. Man findet es auch sehr oft in Tonstücken gebraucht, die eine merklich geschwindere Bewegung erfordern, als das gewöhnliche Andante." Da widerspricht sich Koch doch sehr mit der Begründung, Andantino sei schneller, da es die Diminution des Wortes Andante sei. Denn unter Allegretto, was ja ebenfalls die Diminution des Wortes Allegro ist, schreibt er „ein wenig hurtig oder munter. Die Tonsetzer pflegen diese Überschrift gewönlich solchen Tonstücken beizufügen, die merklich langsamer, und mit weniger Feuer des Ausdrucks vorgetragen werden sollen, als das Allegro." Türck demhingegen ist S. 109 der Ansicht, dass ein Diminutiv verwendet werde „um einen kleineren Grad zu bestimmen." Also sei „Andantino, ein wenig, folglich nicht starek gehend, d.h. etwas langsamer, als Andante". Und hier fügt er eine Fussnote bey, die an Koch gerichtet sein könnte: „In den mehrsten Lehrbüchern wird Andantino durch etwas geschwinder als Andante übersetzt. Wenn man aber bedenkt, dass zu molto Andante (stark gehend) ein grösserer Grad der Geschwindigkeit oder Bewegung nöthig ist, als zu Andante, so wird man vielleicht meine obige Uebersetzung des Wortes Andantino, welches nur einen kleinen Grad des Gehens oder der Bewegung anzeigt, der Sache angemessen finden." Dem müsste eigentlich auch Koch zustimmen, denn in seinem Kurzgefassten Handwörterbuch der Musik schreibt er unter „Molto, sehr oder viel wird gemeiniglich nur als nähere Bestimmung der Überschriften der Tonstücke gebraucht, z.B. bei allegro molto, oder allegro di molto, sehr hurtig." Demzufolge wurde „in den mehrsten Lehrbüchern" nicht richtig zwischen Molto Andante und Andantino unterschieden! Eine ähnliche Klage findet sich bei Jan Jakub Ryba in seinem 1817 in Prag erschienenen Buch Anfangliche und Allgemeine Grundlagen aller musikalischer Kunst (Počátečnj a wsseobecnj základowé ke vssemu Uměnj hudebnému), wenn er schreibt: „Andantino ist diminutivum von Andante, welches allerdings viele Kapellmeister Allegretto nehmen." toi Leipziger Umfeld um Türck wusste man von diesem Problem und dies mag für den etpziger Musikdruck und dessen Lesart schon ein Dilemma dargestellt haben, wenn dort etwa das mit Andantino bezeichnete Werk eines Wiener Komponisten veröffentlicht wurde, 0 schon Andante an und für sich eine schnellere Bewegung erwartete, als in man tsc^1^an(^ ■ Und wenn er mit Andantino einen noch schnelleren Satz bezeichnete, kann annehmen, dass dieser im Leipziger Umfeld weit langsamer gespielt wurde, als vom °mponisten gewünscht und umgekehrt. Te™ e'°^ War es nicht nur Witz sondern in gewisser Weise Resignation, als Mozart eine Pobezeichnung für den letzten Satz seines Flötenquartetts K298 wählte: „Allegretto esPress°' ma troPP° Prest0' Pero non troppo adagio, Cosi-cosi-con molto garbo ed 110 - v zu obiger Überlegung, das Adagio, jene „langsame, traurige Bewegung"236, ist die • empnn^samer Ausdruckskunst! Daher konnte sich die träge Glasharmonika einer ^hen Beliebtheit erfreuen! Doch wie sollte man das Adagio spielen? Leseprobe weinten noch eine Zeitlang, dann stand Mariechen auf, gieng ans Klavier, spielte ein trauriges sio in weinenden Tönen, wischte sich die Augen und schien munter zu werden. Nicht lange hher kam Heerfort. Er erschrack über Mariechens blasse Gestalt, beklagte es, dass sie unpässlich und liess, ohne es verwehren zu können, aus jedem Auge eine Thräne über seine Wangen rollen. ^ Mädchen bemerkte dies kaum, so war ihr Gesicht von Thränen bedeckt. Klärchens flössen auch Wie rührend war die Scene! Anselm kam nun auch. Man versuchte aufgeräumt zu werden, aber ward es nicht. Die beiden melancholischen Mädgen waren nicht umzustimmen. Gegen Zehn Uhr giengen Klärchen und Heerfort weg. Der Himmel war mit dicken Wolken bedeckt und der Wind stürmte. Sie eilten nach Hause, verliessen sich traurig und ieder schlich betrübt in sein Zimmer." Benedikte Naubert, Heerfort und Klärchen. Etwas für empfindsame Seelen. Erster Theil. Frankfurt und Leipzig 1779 257 Spieltechniken Es gibt wenige Werke, in denen er sich „ganz gehen lassen" konnte, wobei ein Blick auf Bach als allein Musizierender hier ergänzend notwendig sei. Denn nicht nur der Komponist Bach, sondern der Interpret Bach sind eine Hilfe bei dem Versuch Empfindsamkeit in der Musik zu definieren. Gerade all jene Beschreibungen, die uns Bach als ein im Zwiegespräch mit seinem Ciavier Fantasierenden näherbringen, sind ein wichtiger Beschrieb des empfindsamen Komponisten. Bach selbst rechnete dem Fantasieren eine hohe Bedeutung bei: „Besonders aber kan ein Clavieriste vorzüglich auf allerlei Art sich der Gemüther seiner Zuhörer durch Fantasien aus dem Kopfe bemeistern."258 Selbst veröffentlichte Bach drei Sammlungen von „Clavier-Sonaten und freye Fantasien" innerhalb seiner sechs Klaviersonaten-Sammlungen. Diese waren jedoch offensichtlich nur ein schwaches Abbild dessen, was Bach nie veröffentlichte, wie der Hamburger Correspondem 1785 bei einer Besprechung der zweiten Fantasiensammlung im Rahmen der 5. Claviersonaten-Sammlung beklagt: Äletzt folgen 2 Fantasien. Wer den Herrn Capellmeister auf dem Fortepiano fantasiren gehört hat, nur etwas Kenner ist, wird gerne gestehen, dass man sich kaum etwas Vollkommeners in dieser denken könne. Die grössten Virtuosen, welche hier in Hamburg gewesen, und neben ihm standen, er gerade in seiner Laune war, und ihnen so vorfantasirte, erstaunten über die Einfälle, gange, kühne, nie gehörte und doch satzrichtige Ausweichungen, mit einem Worte über die noc^Sen Reichthümer und Schätze der Harmonie, die ihnen Bach darlegte, und davon ihnen selbst viele tasäsUnke'Cannt £ewesen' rieben sich die Stirne, und bedauerten, dass sie nicht auch solche Kenntnisse oewSSen' ^er Erfasser dieser Anzeige ist verschiedenemal ein Augenzeuge solcher Auftritte en, und er könnte diejenigen Virtuosen nennen, die dieses Bekenntniss ablegten, und die zu den aCdertnaCh SaudernXS.283 111 testen in Europa gehören. Diejenigen, welche nun den Herrn Capellmeister nicht selbst gehört bcri^^„nnen aus diesen, und von den in der vorigen Sammlung befindlichen Fantasien einigen ha^' ^yon machen, obgleich dieser Begriff noch immer unvollständig bleibt, wenn man den ^ y hen Vortrag des Fantasirenden damit vergleicht, der, wenn er völlig in Noten gesetzt wäre, von ^ n vielleicht von Niemand, gehört ausgeführt werden dürfte."239 Interessant, dass dieses eren offensichtlich nur in privatem Kreis stattfand, also kein Showelement Bachs war, sondern r prozess, abhängig von der „Laune" des Meisters, der sich hier, wie bei den Streichersinfonien, 111 gehen lassen konnte. Während seines Fantasierens „geriefh er dergestalt in Feuer und wahre P1*2, strung, dass er nicht nur spielte, sondern die Miene eines ausser sich Entzückten bekam. Seine a en stunden unbeweglich, seine Unterlippe senkte sich nieder und seine Seele schien sich um ihren Gefährten nicht weiter zu bekümmern, als nur so weit er ihr zur Befriedigung ihrer Leidenschaft behülflich war."260 Bestätigt wird dies durch Reichardts Brief: „Ich habe Dir noch nichts von den vortreflichen Phantasien dieses Meisters gesagt. Seine ganze Seele ist dabey in Arbeit, welches die völlige Ruhe, und fast sollte man sagen, Leblosigkeit seines Körpers sattsam anzeiget. Denn die Stellung und Geberde, die er annimmt, indem er anfängt, behält er bei stundenlangen Phantasien unbeweglich bey. Hier zeigt er erst recht deutlich die grosse Kenntniss der Harmonie, und den unermesslichen Reichthum an seltnen und ungewöhnlichen Wendungen, die ihn zum grössten Originalgenie bestimmen."2 I Leseprobe „Der Dichter ist ausserordentlich von seinem Gegenstande gerührt, überlässt sich ganz der Empfindung, und ist, wie Sulzer sagt, oft auf eine gewisse Art seiner selbst nicht mehr mächtig. Nicht sagt und erzählt er was, wie man's meistens im gemeinen Leben, wo man mit Ruhe spricht, sagt und erzählt; nicht sagt er was, wie's der Orator, der mit Plan und logischer Überzeugung spricht, sagen würde. Seine Empfindung ist ausserordentlich, und diese Empfindung wird Sprache, Gesang." Carl Theodor Beck, Ernst, Gefühl und Laune, München 1784, S. 6262_ Als Musiker muss ich jedoch bedauern, dass all diese Zitate zwar die Einzigartigkeit Bachs bezeugen, aber es fast keine konkreten Hinweise auf das „Wie?" im Spiel der Empfindsamen gibt. Doch einige Ausnahmen konnte ich finden: „Wenn er in langsamen und pathetischen Sätzen eine lange Note auszudrücken hat, weiss er mit grosser Kunst einen beweglichen Ton des Schmerzens und der Klagen aus seinem Instrumente zu ziehen, der nur auf dem Clavichord, und vielleicht nur allein auf ihm, möglich ist hervorzubringen."263 schreibt Burney über Bachs Clavierspiel. Dies bedeutet im Klartext die Verwendung von Vibrato («einen beweglichen Ton"), wobei Vibratofrequenz schon seit dem Barock stellvertretend für Schmerz stand, also eine Art von messa di voce-Technik, wie sie Agricola in seiner Gesangsschule beschreibt. Auch ist hiervon bei der Gestaltung von „langsamen, pathetischen patzen" die Rede. Schon weiter oben habe ich die Bedeutung des Adagios für die mpfindsarnen angeführt - abgeschlossen mit der Frage, wie dieses denn gespielt wurde. Mit dem Aufkommen der Empfindsamkeit verändert sich auch der pädagogische Ansatz verschiedener Instrumental- und Gesangsschulen. Zwar steht in allen Schulen verständlicherweise das richtige Gefühl im Vordergrund, das durch das Anhören guter Musik flet werden kann, aber dennoch finden sich zwei gegensätzliche Ansätze: während 2M~T! - jajttiertnach Carl Philipp Emanuel Bach im Spiegel seiner Zeit, S. 154 jj eichardt: Briefe II, Frankfurt am Main und Breslau 1776, S. 15 mjKKrtnach Sauder III, S. 106 "Urney 112 seiner Flötenschule dem Adagio 1753 ein eigenes, sehr pedantisches Kapitel QuantZ hinter welchem die Überzeugung des erlernbaren Fühlens spricht, setzt Bach in ftidmet^^.ersckuje ^as richtige Gefühl, heute würde man sagen die Musikalität, voraus. Se'neIder Seele muss man spielen, und nicht wie ein abgerichteter Vogel."264 Zum Zwecke der ,MS entation sei hier nur eines von 18 (!) Beispielen aus Quantzens Lehrbuch abgebildet, ^Uin eradezu erschreckender Weise erklären will, wie man den richtigen Ausdruck beim ^ Teines Adagios erzielen kann, wobei er jedem Ton eine Spielanweisung beistellt, in ^Pie^zungen sta=stark, stä=stärker,schwa=schwach, wa=wachsend, abn=abnehmend. J45 ü0„ fccr 2rt &»«■ 53(9 (M) (9) emit b(m Seilte Sh. 53<9 Cd) ( 28) StJ, IIa. 5, fd,nw. |ra. <2I, f-ftoÄT/»«. (0(8) a««*fr 331, IM- »9 i* • 1 e D (i« (e> C2«) I"' ,I(il,n1 törea- 53(9 „ TlodjfrfjUs«, ftf)»™- 55(9 f 0 (7)€. »«■ «M»«- ©, lh>. ff Hm» £3f9 ( k) (3) B< I1"- ®'rea- S'6' l*™4- a' M- e' f<*'m5- 11 Hfl« »oit e, im- -P. ""ft,m Xti3lt a61'- ®n (»)(») S)i a/> SCfdji»«- S8co(c)(6)CliM.3i*(©,f«»«. S(9(g)(6) JOS 8,6, fdjra«. gi', Ii'- ©, % r«Jw»- 53(9 (b) (23 ) © mit Itni tiilrt (In. giS, S, fn>*- S. 53(5 (0 (8) S, (t«. e, B, C, fdjtw. «,1t. B(9 (v) («)&- flu. e, fiti>!« Ilelnra Kotts fdjma. S3cp (m)(i.s)Sl™b tfa- mi 9att |((l'6"ii tie Site flriütnSIotrn Wie«. J, |tj. unt [ort grffoStit, fdjma. 31, mit Sem <£xiin, na. ©, fljjna. Um (j) (io) @, reu. tie Site [l(i«n 91tten afn. 23t! (g) (io) ti-hi @, 53(9O)(») SD/ fdjna. «nS»«.6, g, fijma. («) (») 6, (Ja. ©, g, fd)»a. 6, (1*. g, ©, fd)»«. 3, mit icm Iiün ja. 5, (n)w. g, n«. @, fla. Söcrj (b) (23) In Xriltcc fla. ■ntitn.9,3, fd}»». 53e?(')(M)8; ila.58, ©, nSii.1till(r iht. ^(5 («)(«) £, na. 55, ei«, ß, Sil, HI, 061t. I«, M. 53(9 (c) (13) % fla. @, 3, «, fdjna. S, IIa. £, fdjma. In Süarftlag 5, na. J) mit ttm ?rill(r aln. ?3f5 (p) (iS)E, furj «■Ha-», S, g, fdjira. ta &%t\ltx fla. 5D, S^iw. SBeiC^Xj) S, P'. 5), im. g, fdirea. (la. @, rea. C, fd;iMd). i«3r3B.Ivir: Bei allern Respekt vor Quantzens Pedanterie und dem Kupferstecher, der diesen Zahlen- und uchstabensalat gravieren musste, kann ich nur nochmals C.Ph.E. Bach zitieren: „Aus der le muss man spielen, und nicht wie ein abgerichteter Vogel." Weit informativer ist ein heute fast unbekannter Beitrag von Carl Benda, des Sohnes änz Bendas, den er unter dem Titel Bemerkungen über Spiel und Vortrag des Adagio, für dei.e tanten u,'d Dilettantinnen des Klavierspiels in der Nummer 48 vom 1. Dezember 1819 in gäbe^eWe'''e" Musikalischen Zeitung veröffentlichte. In der Einleitung beklagt Benda, es »viele Dilettanten und Dilettantinnen des Klavierspiels, die es in der Fertigkeit *ber r°r^ent''cu We't gebracht haben und von dieser Seite nichts zu wünschen übrig lassen, lrn gefühlvollen Vortrage jedes Tonstücks und besonders des Adagio noch zu wenig 'Bach: Kl »vierschule I, S. 119 11? re leisten" und so sei es „Zweck der gegenwärtigen Bemerkungen" zu erklären, wie man ^Ada°io zu spielen habe. Hierbei darf uns das Erscheinungsjahr 1819 dieses Artikels e,n falls abschrecken, denn wenngleich lange nach den Höhen der Empfindsamkeit ^blieben, erinnert sich Carl Benda an alle Richtlinien, die ihm sein Vater Franz Benda 1 her überall als ein vorzüglicher Adagio-Spieler damaliger Zeit auf der Violine anerkannt ■ ^ geSChätzt war", gegeben hatte. „Dieser lehrte mich das Adagio richtig vorzutragen, und T ich auch von Natur viel Empfänglichkeit dafür hatte, so wurde mir es nicht schwer, ihm hzuempfinden." Wie bedeutend Franz Benda für die Musizierpraxis der damaligen Zeit ar zeigen die Briefe zwischen Friedrich dem Grossen und seiner Schwester, der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth, die sich ja selbst intensivst der Musik widmete. In ihren Briefen ucht immer wieder der Wunsch auf, ihr Bruder möge ihr Benda nach Bayreuth schicken, um Spiel ihrer Hofmusiker zu verbessern. "arl Benda beschreibt in Erinnerung an seinen Vater, das jedes Musikstück aus verschiedenen Gedanken zusammengesetzt sei, die der Spieler „aufzufinden, gehörig abzutheilen und beym Spiel bemerkbar zu machen wisse". Nach Erkennung der einzelnen Gedanken bedürfe der Spieler kaum „die nicht selten in der Notenschrift sehr unzuverlässigen Zeichen des Vusdrucks...., um dasselbe Stück mit gehörigem Licht und Schatten vorzutragen". Der egriff des Licht und Schatten ist ein in Berlin gerne gebrauchter, auch Quantz vewendet ihn i seiner Flötenschule.Einige Gedanken seien durch Pausen voneinander abgesetzt, vor denen lie Gedanken „sanft ausgehen" müssen, d.h. jeder Abschnitt muss mit einem decrescendo „Die aufsteigenden Noten müssen nach und nach stärker, die heruntergehenden nach ai nach schwächer gespielt werden. [...] Sollte, beym Aufsteigen der Noten, die höchste tote eine Gedankenabtheilung bezeichnen, so würde diese Note mit ein paar vorhergehenden toten abnehmend schwach gespielt werden müssen."205 Diese Unterscheidung ist sehr nteressant, denn sie bedeutet ein klares Abwenden von der sogenannten barocken Dreiecksdynamik, die besagt, dass hohe Töne leiser als tiefe Töne dargestellt werden sollen, ier ist die Anabasis, die aufsteigende Linie, auf einmal gleichbedeutend mit zunehmender lamik, stellt der höchste Ton jedoch das Ende eines Gedanken dar, muss dieser mit einigen raranstehenden Noten decrescendo gespielt werden. Diese neue Spielweise hat bis weit ins 19. Jahrhundert Bestand, Carl Cerny fordert in seiner Abhandlung Über den richtigen Vortrag der sämmtlichen Beethoven'sehen Klavierwerke noch 1842 „Das Crescendo wird beim Steigen und das Diminuendo beim Abwärtsgehen der Melodie genau beachtet." Interessant ist ch, dass Benda die Worte crescendo und decrescendo nicht kennt oder jedenfalls nicht verwendet. Dass sie um 1819 schon längst usus waren, beweist ein Blick in die Lexika dieser Zeit. Weiter verlangt Benda bei sich repetierenden Noten, dass diese in crescendo und decrescendo aufgeteilt werden müssen: „Wenn sich die Noten auf einer Stelle wiederholen, so werden sie schwach angefangen, nach und nach verstärkt, und endlich allmählich schwach gespielt." Genau wie Bach ist sich auch Benda des „Mangels der Aushaltung" des uaviertones bewusst und verlangt, dass das Verklingen eines langen Diskanttones bei unter esem repetierenden Basstönen von diesen imitiert werden muss: „Wenn die sich Tederholenden Noten im Bass stehen, im Diskant aber eine lange Note Statt findet, die auf Klavier nicht zunehmend oder abnehmend gespielt werden kann, so gilt von diesen im ss stehenden Noten dieselbe Behandlung, wie von den Diskantnoten." °r Fermaten verlangt Benda ein riterdando verbunden mit diminuendo: „Zeigt sich eine errnate, so spielt man die derselben vorangehenden Noten nach und nach etwas langsamer ^gemässigter." • »Kommen in einem Adagio vorzüglich nachdrückliche Gedanken vor, welche z.B. einen e gefühlten Schmerz ausdrücken, so werden sie von einem empfindsamen Spieler sicherlich ^d Cerny: Über den richtigen Vortrag der sämmtlichen Beethoven'sehen Klavierwerke, Wien 1842, S. 49 114 itend d.h. langsamer vorgetragen werden. Dies kann jedoch nicht beschrieben, sondern dem Gefühl überlassen werden. Wie oft macht nicht ein blosser Punkt, der beym Spiel ^jjote hinzugedacht und ausgedrückt wird, die ganze Stelle noch emphatischer." Dies ist ^ ^er frühesten Beweise für ein tempo rubato, und das in Berlin zur Zeit Friedrich II. - in eUier en Schulen findet das rubato einen würdigen Platz..Danach erklärt Benda verschiedene ^ hla^s- und Trillerregeln, die der Musiklehre um 1760 weitgehend entsprechen. Und das si gi Carl Benda scheint eine zuverlässige Quelle zu sein, denn schon 1774 bemerkt Johann • Arich Reichard: „Herr Carl Benda verdient also ausser dem Beyfall für seine grosse (Geschicklichkeit noch unsern ganzen Dank, dass er uns sowohl in seinem Spielen als auch im Setzen die edle Manier seines verehrungswürdigen Vaters aufbehält. [...] das Adagio muss unverändert bleiben, denn das ist tief in der Natur unserer Empfindungen und Leidenschaften eeründet, und so lange die unverändert bleiben, muss das wahre Adagio, das uns rühren und in Bewegung setzen soll - das Bendaische seyn."266 Wie schreibt Carl Benda als Quintessenz seiner Überlieferung: es sei wichtig, dass eine Komposition „durch guten und richtigen Vortrag zur Sprache der Empfindung und des Herzens werden kann." Ganz im Sinne dieses Zitates, aber weit ausladender, setzt sich der Haller Pädagoge Daniel Gottlob Türk in seiner Klavierschule (1789) in deren fünften Abschnitt mit der Nothwendigkeit des eigenen richtigen Gefühls für alle in der Musik auszudruckende Empfindungen und Leidenschaften auseinander. Als Grundlage dessen sieht er die Mothwendigkeit des eigenen Gefühls.: „Das letzte und unentbehrliche Erfordemiß zum guten Vortrage [...] ist ohne Zweifel eigenes richtiges Gefühl für alle in der Musik auszudruckende Leidenschaften und Empfindungen. Wer dieses Gefühl gar nicht, oder nur in einem sehr kleinen Grade hat, für den sind die gegebenen Winke größtentheils unbrauchbar. Eine mündliche Anweisung würde bey solchen Personen wenigstens etwas mehr fruchten, als der beste schriftliche Unterricht; obgleich auch der emsigste und gewissenhafteste Lehrer dem von Natur gefühllosen Lernenden schwerlich einen wirklich guten Vortrag beybringen wird. [...] Andere haben nur für gewisse Empfindungen Gefühl. Sie werden z.B. durch ein Tonstück von raunterm Charakter zur Fröhlichkeit gestimmt, da hingegen ein ADAGIO mesto auf sie nicht gehörig wirkt. Daher kommt es auch unter andern, daß Einige nur das ALLEGRO, Andere blos das ADAGIO gut spielen. Obgleich dieses einseitige Gefühl besser ist, als gar keines, so bleibt es doch immer unvollkommen. Denn der wahre Tonkünstler muß sich in jeden Affekt versetzen können, oder für alle m der Musik auszudruckende Leidenschaften und Empfindungen Gefühl haben, weil er nicht immer muntere oder scherzhafte, sondern oft in Einer Stunde ganz entgegen gesetzte Empfindungen auszudrucken hat. Indeß wird es freylich niemand dahin bringen, daß er zu jeder Zeit und unter allen Umständen gleich gut spiele, da die Stimmung des Gemüthes einen sehr merklichen Einfluß auf den Vortrag hat. Wenn der Komponist den erforderlichen Ausdruck, so gut sichs thun läßt, im ganzen und bey einzelnen Stellen bestimmt, der Spieler aber alle in den vorhergehenden Abschnitten erwähnte Mittel genong angewandt hat: so bleiben immer noch besondere Fälle übrig, in welchen der Ausdruck durch außerordentliche Mitte] ehöhet werden kann. Ich rechne hier vorzüglich Jas Spielen ohne Takt, ^ Eilen und Zögern,' ^ so genannte TEMPO RUBATO. ^ey Mittel, welche selten und und zur rechten Zeit angewandt von großer Wirkung seyn können. ana'lrnaC^ ^^1, a's taktmäßig, müssen, außer den freyen Fantasien, Kadenzen, Fermaten &c. unter auch die mit dem Worte Recitativo bezeichneten Stellen vorgetragen werden. Man findet hin ^ichardt: Briefe I, S. 168f. 115 nieder in Sonaten, Konzerten u. dgl. einzelne Stellen von dieser Art, z.B. in dem ANDANTE der ^^Sonate dem König von Preußen gewidmet von C.P.E. Bach. Solche Stellen würden eine ersten, te Wirkung thun, wenn man sie genau nach der bestimmten Geltung der Noten (taktmäßig) ■ i Die wichtigsten Noten müssen daher langsam und stärker, die weniger wichtigen aber ^hwind und schwächer gespielt werden, ungefähr so, wie ein gefühlvoller Sänger diese Noten rj* QCjer ein guter Redner die Worte dazu deklamiren würde. [...] Tonstücken, deren Charakter Heftigkeit, Zorn, Wuth, Raserey u. dgl. ist, kann man die stärksten llen etwas beschleunigt (ACCELERANDO) vortragen. Auch einzelne Gedanken, welche verstärkt meinigheh höher) wiederholt werden, erfordern gewissermaßen, daß man sie auch in Ansehung der Geschwindigkeit zunehmen lasse. Wenn zuweilen sanfte Empfindungen durch eine lebhafte Stelle unterbrochen werden, so kann man die Letztere etwas eilend spielen. Auch bey einem Gedanken, durch welchen unerwartet ein heftiger Affekt erregt werden soll, findet das Eilen statt. Bey außerordentlich zärtlichen, schmachtenden, traurigen Stellen, worin die Empfindung gleichsam auf Einen Punkt zusammen gedrängt ist, kann die Wirkung durch ein zunehmendes Zögern (Anhalten, TARDANDO,) ungemein verstärkt werden. Auch bey den Tönen vor gewissen Fermaten nimmt man die Bewegung nach und nach ein wenig langsamer, gleich als würden die Kräfte allmählich erschöpft. Die Stellen, welche gegen das Ende eines Tonstückes (oder Theiles) mit DIMINUENDO, DILUENDO, SMORZANDO u. dgl. bezeichnet sind, können ebenfalls ein wenig verweilend gespielt werden. Eine zärtlich rührende Stelle zwischen zwey lebhaften, feurigen Gedanken, (wie im ersten Theile meiner leichten Klaviersonaten S. 10. 11. 25ff.) kann etwas zögernd ausgeführt werden; nur nimmt man in diesem Falle die Bewegung nicht nach und nach, sondern sogleich ein wenig (aber nur ein wenig) langsamer. Besonders ereignet sich eine schickliche Gelegenheit zum Zögem in Tonstücken, worin zwey Charaktere von entgegen gesetzter Art dargestellt werden. [...] Ueberhaupt kann das Zögern bey Stellen in langsamer Bewegung wohl am zweckmäßigsten statt finden."267 C.Ph.E. Bach war da viel kürzer: "Die Gegenstände des Vortrages sind die Stärcke und Schwäche der Töne, ihr Druck, Schnellen, Ziehen, Stossen, Beben, Brechen, Halten, Schleppen und Fortgehen."268 Das bedeutet, es gibt in der Zeit der Empfindsamkeit eine ganze Menge neuer dynamischer sowie im Verhältnis zur Taktstruktur rhythmischer Feinheiten, die auch Schubart in seinen Ideen im Kapitel „Vom musikalischen Colorit"269 benennt. Einige dieser Neuerungen, wie etwa das Tempo rubato, wurden in verschiedenen Schriften diskuttiert, woran man sieht, dass man sich es mit dieser Neuerung schwer tat. So berichtet Reichardt von einer Aufführung des Tod Jesu von Graun, Juliane Benda habe ein Tempo rubato gebraucht. "Bey den Worten [...] wo von Petrus gesagt wird: er weinet bitterlich; welches Graun sehr schön ausgedrückt hat, jndem er die zweyte Sylbe, ausser der schönen ausdrückenden Harmonie, um einen ganzen ackt verlängert, und darinn einen Ton verschiedentlich wiederholt, bey diesen gebrauchte sie as sogenannte Tempo rubato, das heisst, dass sie der Note einen starken Accent beylegte, die eigentlich nicht haben sollte, so, dass ein wahres banges Schluchsen daraus entstand, ersuchen sie es einmal, der 2ten, 5ten, 7ten und lOten Note dieses Tackts einen besonderen cndruck zu geben, die übrigen aber dagegen sinken zu lassen, so werden Sie finden, von sicher Wirkung es ist."270 Reichardt meint folgende Stelle: ^DaiÜ - imj t, .? Gottlob Türck: Klavierschule, oder Anweisung zum Klavierspielen für Lehrer und Lernende, Leipzig ^«ajc, 1789, S. 369fr «ach: Versuch, S. 117 »o^bart: Ideen, S. 363ff. Kuhardt: Briefe I S 42 116 =F^?3=»?r=«_..M-----r_Lm---»r^S^yr^L^^j,.«-* ^föücfjtaiKn (5V— ffyrtffl fllttyi.aif Wrti 3 ^^^bi^^rtmü!j,3&nf^rtmanfo^Opielweise František Bendas sagte. Deutsche Musiker liessen sich natürlich von ihren böhmischen Kollegen beeinflussen, bekannt ist C.Ph.E. Bachs dynamische Spielweise: «Eben so ist es mit der ausserordentlichen Stärke beschaffen, die H.B. [Herr Bach] zuweilen einer e e giebt: es ist das höchste fortissime: ein anders Ciavier [als von Silbermann] würde in Stücken Schubart: Ideen, S. 75 a] Reichardt II, S. 123 ff. p r^ Martin Pelzl: Akademische Antrittsrede über den Nutzen und Wichtigkeit der Böhmischen Sprache, a, § 1793 Faksimile in: Sborník práce FF MU, H 23-24, 1988, S.71-94 a Bumey, Band II, S 73 S. 169 121 (Trherr und eben so mit dem allerfeinsten pianissime, welches ein anderes Ciavier gar nicht über gc„, ' ,<2S6 anspnchL lä^e fehl zu glauben, dass vor Imigration der Böhmen kein dynamisches Spiel gekannt Allein ein Blick auf den Violinbogen gibt uns eine klare Antwort, denn dieser ist so schaffe11» um eine einzige Note oder eine Gruppe von Noten dynamisch vielfältig \ ^stellen. Einige Beispiel aus Mozarts Schule gefällig? Fis. I. l < 3 Fig. IL ©djwddjf. iiriirur nb:w[j!nen&. I litt 2 i 3 ©tdrfe. tinmer Ä&rubirunb. Scbsäd;*. Die Neuerung ist aber in der Orchesterdynamik zu sehen, die so als Gruppendynamik nicht gepflegt worden war. Hier verblüfft mich persönlich immer wieder der Zusammenhang zwischen der den Nerven eine gwisse Dynamik zugestehenden Tonuslehre und der zu jener Zeit vermehrt formulierten Dynamikforderung. Auch ist dahinter ein gewisses Gemeinschaftsgefühl innerhalb des Klangkörpers zu sehen, welches soziologischen Studien Raum bietet. So kann ich anhand dieser Fakten lediglich die These aufstellen, dass diese dynamische Neuerung Folge der Anstellung böhmischer Musiker an nord- und süddeutschen Höfen war und einer der wenigen Verbindungspunkte zwischen Nord und Süd ist. Und zu guter Letzt spielen sich all diese Neuerungen in der Instrumentalmusik ab und sind somit Teilantwort auf die oben zitierte Frage: Sonate, was willst Du mir sagen? Zuviel ist zuviel Die im Norden zu stärkstem Ausdruck gekommene Empfindsamkeit hatte auch ihre Ausartungen. Denn Empfindsamkeit war irgendwann nicht nur Ausdruck des Individuellen, sondern wurde durch Sternes Empfindsame Reise, Goethes Die Leiden des jungen Werther, Karl Philipp Moritz' Anton Reiser, Johann Martin Millers Siegwart und andere Schriften von den Anhängern der Empfindsamkeit zu einer Mode erklärt. Man musste auf einmal empfindsam sein, was in der Werther-Nachfolge auch mit Selbstmord „im blauen Frack mit gelber Weste"287 seine Konsequenzen hatte. Selbstmord war zwar verpönt, galt als ruchloser agnff in die Vorgaben Gottes, Suizidopfer wurden meist ausserhalb des Friedhofes egraben („Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet." Goethe, Werther), cn wenn kein Gott zugegen war, war Selbstmord eine akzeptable Lösung. 2 Keichadt: Briefe II, S. 17 G°ethe: Werther, S. 146. 122 der sich selbst tötet, nicht - wie behauptet wird — die Natur oder, m sieht also, dass derjenige, man will, ihren Schöpfer beleidigt. Er folgt dem Antrieb der Natur, indem er den einzigen Weg "^lairt den sie ihm anweist, um seinen Leiden zu entgehen.288 eiiiscni ° , ffl0chte behaupten, dass der Suizidgedanke als Reaktion auf Burkes Theorie des Grauens • form subjektiven Handelns durchaus typisch empfindsam ist, auf alle Fälle hinsichtlich der !wm- und Melodramensujets. Ob Günther von Schwarzburg, Alceste, Medea, Circe: alle Upeiu . wählen den Freitod. jedoch all jene, die ein Opfer der empfindsamen Schriften geworden waren und diesen nacheiferten, ohne notwendig vor Lesen dieser empfindsam gewesen zu sein, wurden nicht als Empfindsame anerkannt. Ihr Tun wurde als Empfindsamlichkeit bezeichnet. ßtnpfindlichkeü (Sensibilität) druckt einen ungebührlich hohen Grad der Empfänglichkeit sowol für körperlichen Schmerz, als auch für leicht zu reizenden Unwillen und Zorn aus. ßjnpfindelei endlich ist Afterempfindsamkeit, die sich auf eine vernunftlose, abgeschmackte, kleinliche oder lächerliche Weise äussert. Dieses Wort ist, seitdem ich es vor ungefähr 30 Jahren in der kleinen Schrift: Über Empfindsamkeit und Empfindelei, meines Wissens zuerst gebrauchte, in allgemeinen Umlauf gekommen. Nun aber fehlt noch ein Wort für die bloss scheinbare, gesuchte und geheuchelte Empfindsamkeit (Sentimentalität), die im Grunde keine Empfindsamkeit ist, sondern nur in einer Nachäffung ihrer Äusserungen besteht. Hier kann uns unsere Endsilbe lieh, welche auf Ähnlichkeiten deutet, zu Statten kommen, um die Wörter empfinsamlich und Empfindsamlichkeit dafür zu bilden. Das Erkünstelte dieser Zusammensetzung mit drei Endsilben, sam, lieh, keit und der Umstand, dass die Silbe lieh ihm gleichsam etwas Glattes zu geben scheint, passen sich sehr gut für einen Ausdruck, der die Absicht hat, den Nebenbegriff des Erheuchelten mitzubezeichnen"289 definiert Joachim Heinrich Campe dieses Phänomen, vor welchem öffentlich gewarnt wurde. Als eines der Hauptübel der Verbreitung dieser Mode wurde Musik und Theater angesehen, wie die unter Anonym in Freiberg 1782 publizierte Schrift Das in Deutschland so sehr überhand genommene Übel der sogenannten Empfindsamkeit oder Empfindeley beweist: ,JDass das sich seit einigen Jahren in Deutschland, gleich einem dahin reissenden Strome, so sehr ausgebreitete, und nun recht herrschend gewordene, auch beynahe alle Stände, so wie alle Alter und beyderley Geschlechte ansteckende Übel der sogenannten, aber übertriebenen und falschen Empfindsamkeit, oder besser ausgedruckt, Empfindeley [...] eine wahre Krankheit der Seele sey, solches kann wohl um so weniger von einem Unbefangenen geläugnet werden, wenn man erwäget, dass dergleichen Leute, welche damit behaftet sind, gleich denen, die an einer hitzigen Krankheit darnieder leigen, die Zwischenräume ausgenommen, sich gar selten im Stande befinden, ernsthaft, nchtig, klar und aneinander hängend zu denken, geschweige ihre ordentlichen Berufsgeschäfte, sc lange der Paroxismus oder der Schauer währet, gehörig zu verrichten." Als Ursachen dieser Krankheit nennt der Autor »1. und vorzüglich in dem in unsern Zeiten so überhandgenommenen häufigen Gebrauch, Aufführung und Beywohnung der Schauspiele überhaupt, so wie der Trauerspiele und der Singspiele oder der ^genannten Opern insbesondere. Hierinn lieget unstreitig der vornehmste Grund der Krankheit. orstellung, Ausdruck, Sprache, Verzierung, Zärtlichkeit, Liebe, Musik - alles vereinigt sich, so zu ^gen, hier, die Empfindsamkeit zu erregen; besonders bey jungen Leuten, bey denen die Einbildungskraft vorzüglich starck ist.[...] ' ^hne Zweifel an dem anjetzt, auch sogar unter der Jugend, soausserordenthch eingerissenen adhehen Lesen so vieler Romane, Schauspiele und anderer dahingehörigen mit so vielen zärtlichen empfindsamen Liebesabentheuern, wunderbaren Auftritten und Begebenheiten angefüllten Schriften [...] Holbach,S. 248f. ann Heinrich Campe, Wörterbuch der Deutschen Sprache, Braunschweig 1813 123 streitig in dem anjetzt so sehr zur Mode gewordenen häufigen Umgang mit dem schönen hlecfit, oder in dem beständigen, ungehinderten und freyen Umgange beyder Geschlechter ^tfhaupt, welcher leider! anjetzt zu einem nothwendigen Stücke der verfeinerten Lebensart gerechnet *^'unserer heutigen neumodischen Pädagogik oder Erziehungskunst, nach welcher man sich mit den ljangarzusehrabgiebt[...] die Verfertigung so vieler Bücher für die Kinder, fast aus allen möglichen Wissenschaften, und das ^jele Lesen der Kinder überhaupt [im Weiteren meint er damit besonders das Lesen von Schauspielen] \"die vielen empfindsamen Bilder, Kupferstiche, und anderer dergleichen tändelnde Abbildungen, welche man den Kindern in so grosser Menge in die Hände giebt [...] 7 bey Erwachsenen sowohl als Kindern, ein vieles hierzu bey das Lesen so vieler witzigen und tändelnden Mode- und Genieschriften 8 die so genannten empfindsamen Reisen und andere dahin gehörigen empfindsamen Schriften, von Yoriks empfindsamen Reisen an, bis auf die neuesten Nachahmer derselben [...] 9 jn der anjetzt so sehr zur Mode gewordenen falschen, verkehrten, oder unrecht verstandenen und angewandten Nachahmung der Natur [...] Man spricht und schreibt unter unsem schönen witzigen Geistern und Dichtem fast von nichts, als von Nachahmung der Natur, auch wohl gar noch von Verschönerung der schönen Natur; und gleichwohl entfernt man sich von Tage zu Tage immer mehr und mehr von dem gewöhnlichen ungekünstelten Wege der Natur. [...]Empfindeley [...] ist an sich weiter nichts als eine falsche Nachabimerin oder ein Affe von der mitleidenden Natur, oder von der wahren und rechten Empfindsamkeit. [...] 10. die sogenannten Moden auf die heutige verfeinerte Welt. [...] 11. in dem heutigen Mangel des Christenthums."290 Empfindsamlichkeit war letztendlich auch Waffe in den Händen eines ästhetischen Falschspielers, der zu spät von seinem Gegner enthüllt wurde. Dies ist das literarische Hauptprinzip in Choderlos de Laclos Gefährlichen Liebschaften, auch als Valmont bekannt. Erst nachdem sich Valmont, von einem Spion der Madame de Touvel wohlwissend beobachtet, gegenüber sozial niedrig Gestellten als empfindsam gibt, indem er unter diesen Almosen verteilt, lässt sich diese von ihm erobern, sie, die tugendhafte, „die wenigstens das Verdienst hat, von einer Art zu sein, die man selten trifft."291, kann Sein und Schein nicht unterscheiden, da der Schein in ihrer moralischen Welt, allen Warnungen ihrer Gesellschaft zum Trotz, nicht existiert. Valmont als Vetreter der Empfindsamlichkeit wusste das nur zu gut: »eine zartfühlende, feinempfindende Frau [...], die aus der Liebe ihr alles macht und in der Liebe wieder nur den Geliebten sah; deren Empfindungen fem von dem gewöhnlichen Weg gingen, sondern immer vom Herzen aus zu den Sinnen gelangten; die ich zum Beispiel [...] aus der Lust ganz in entsetzte Tränen auftauchen sah, und die im nächsten Augenblick darauf ganz wieder ihre Sinnlichkeit wiederfand in einem Wort, das zu ihrer Seele sprach. Dann musste sie auch noch die volle natürliche Keuschheit in sich tragen, die unübersteiglich durch die Gewohnheit, sich ihr hinzugeben, geworden, ihr nicht erlaubte, auch nur ein Gefühl ihres Herzens zu verhehlen. So werden Sie zugeben, dass solche Frauen eine Seltenheit sind; und ich glaube, dass ich ausser dieser nie eine andere getroffen hatte"292 ein Wunder, dass Laclos Buch in Frankreich, und nicht nur dort, ein Skandal war, da es, wie j nmm aus Paris berichtet, das Geheimnis der Frauen verraten habe.293 clos Werk ist wie Mozarts Don Giovanni eine Warnung vor Ausnützung der mPfindsamen durch jene Anhänger der Empfindsamlichkeit. si ^ Grossteil dieser Schrift findet sich bei Sauder, Bd. 3, S. 29ff Sj., oderlos de Laclos: Gefährliche Liebschaften, Paris 1782, deutsche Neuausgabe Zürich 1985, S. 339 »3lbld.S.340 Grimm, S. 430ff 124 Satire machte sich über die Empfindsamkeitswelle lächerlich. Da findet man ^'weisungen Künstlichen Mondschein in Ermanglang des natürlichen zu präparieren29* , ^.f7„e(üchte oder gar Goethes schon erwähnten Triumph der Empfindsamkeit. Doch die Empfindsamen distanzierten sich sehr schnell von dieser mit ^pfuidsamlichkeit" und „Empfindelei" abwertend konotierten Erscheinung. Auch die Ifta" wie ikästhetik wusste hiervon, was bislang unbeachtet blieb und zu so falschen Meinungen, Her von Daniel Haertz (The New Grove) geäusserten, Empfindsamkeit sei „a specific «295 er north German dialect of the international galant idiom" , fuhren musste ^fjer die allgemeine Regel der Weisheit muß er [der Komponist] nicht aus den Augen lassen, daß jjas Maaß der Empfindsamkeit nicht überschreite. Denn wie der Mangel der genügsamen Empfindsamkeit eine große Unvollkommenheit ist, indem er den Menschen steif und unthätig macht: an ist auch ihr Uebermaaß sehr schädlich, weil er alsdenn weichlich, schwach und unmännlich ■ A "29<5 wird. on CPh.E. Bachs Zeitgenossen wählten Formulierungen für dessen Musik, die klarmachen sollten, dass es sich um wirkliche Empfindsamkeit handle, wie der, „dass seine Originalität nicht Affectation ist" Diese Kritik an der falschen Empfindsamkeit beweist zugleich deren weite Verbreitung durch „beynahe alle Stände, so wie alle Alter und beyderley Geschlechte", wie es in oben zitierter anonymer Schrift heisst. Und dieser Kritik kommt bei der Betrachtung musikästhetischer Fakten eine viel zu geringe Bedeutung zu, da diese von stilproblematischen Überlegungen dominiert wird. Zwar wurde bereits im 18. Jahrhundert versucht die Unterschiede zwischen norddeutschen und süddeutschen Kompositionsidealen zu definieren (man denke an 298 Reichardts Vergleich zwischen Graun und Hasse, an Voglers Vergleich zwischen CPh.E. Bach und Alberti) und auch die moderne Musikwissenschaft hat viele Definitionen299 geliefert, dennoch berücksichtigt keine der Betrachtungen die Möglichkeit einer kritischen Reflexion über die Empfindsamkeit. Denn nur diese kann im Norden (!) das Aufkommen des leichten (!) Lieds und der Operette erklären, im Süden wiederum die Abneigung gegen zu Empfindsames. Dies mag auch erklären, warum sich böhmische Musiker nach Norden (Berlin, Gotha) oder Süden (Mannheim, Wien) begaben - von Jiri Czarth nicht zu reden, der ja von Berlin nach Mannheim flüchtete — um dennoch ihr dynamisches Ideal nicht im Stich zu lassen. Zudem kam es zu einer Konzentration auf Äusserlichkeiten, da es der bislang gepflegten Innerlichkeiten, der Empfindungen, zu viele waren. Dies erklärt das Aufkommen eines auf rein äusserliche Darstellungsprinzipien basierenden Virtuosentum, das schon 1784 Reichardt in seinen Briefen eines aufmerksamen Reisenden kritisiert, n wenn man einen S. mit der Violine in der Hand siehet, wie er seiner kleinen liebenswürdigen Tochter, deren natürliche Stimme sanfte Freude ins Herz der Zuhörer goss, wie er dieser, um an ihr künftig etwas besonders zu haben, die höchsten Töne der Violine, die so wenig und noch weniger für die wgestimme gehören, als sie dem guten Geschmacke nach für die Violine gehören sollten, wie er ihr lese vorstreicht, sie sie nachsingen, oder vielmerh nachquieken muss, und so lange, bis sie sich rschreyt, und ihrer Stimme auf Lebenszeit einen grossen Schaden dadurch thut. Nun ist das liebe Bf S5 W Car! Theodor Beck: Cornelia a genis aridis, München 1790, S. 114ff, siehe Sauder III, S. 128ff. Uaruel Haertz, Galant m: The New Grove, Bd. 7, London 1981 !9 Sulzer, Sp.56ii jReichardt: Briefe II, S. 10 js^eichardt: Briefe I, S. 7ff m besten erscheint mir Schleunings Versuch, siehe Schleuning S. 475ff 125 1 i j verdorben. Es fehlet ihr nichts, um ihrer Empfindung und ihrem Verstände nach die uirornrnenste Sängennn unsrer Zeit zu seyn, als die Stimme"300 pies ist der Beginn der Effektdiskussion in der Musik. Keinesfalls kann man behaupten, nur der norddeutsche Mensch sei empfindsam gewesen. Aber dort fand man Ausdruckmittel, die sich von denen im Süden stark absetzten, wobei der Süden zwar Offenheit für nördliche Errungenschaften besass, diese sich aber im Gesamtwerk eines Komponisten fremdartig ausmachen. Bei Mozart denke ich da etwa an die Fantasien £396, 397 (1782) und 475 (1785). Es wäre ein harter Schritt, Mozart und seinen südlichen Kollegen Empfindsamlichkeit vorwerfen zu wollen, gerade wenn man weiss, wie sehr sich dieser, wie ich weiter unten ausfzeigen werde, mit den norddeutschen Errungenschaften auseinandersetzte. Die wenigen Momente, wo es aber im Schaffen dieser süddeutschen Meister zu einer Verwendung jener Ausdrucksmittel der Empfindsamkeit kam, möchte ich als Nordismo bezeichnen. !smo in der Musik Da die Kunstästhetik für ähnliche Phänomene der Beeinflussung südeuropäischer Kunst durch nordeuropäische Elemente das Wort Nordismo durch den Kunstprofessor Giuseppe Fiocco prägte, wage ich dieses ihm auf die Musik der Empfindsamkeit bezogen nachzusprechen. Gemeint ist damit die „Charakteristik bei Kunstwerken mit besonderem Spannungsgehalt und einem Expressivismus, der die Ausdrucksmittel des Heli-Dunkels, der die starken Farbkontraste, der Verfremdung im Bewegungsmotiv, in der Längung der Gestalten, in der Veränderung des Physiognomischen, in der Disproportionierung der Natur, lodernden Haaren und erregt gespreizten Fingern besonders häufte"301. Und dies im Sinne jeglicher Bestrebungen südlich des Mains (in der Kunstsprache liegt die Grenze südlich der Alpen, der Nordismo-Begriff ist auch zeitlich weit gedehnter), empfindsame Elemente der nördlichen Musikästhetik zu absorbieren. Dies muss auch ausgedehnt werden auf all jene Musik, die sich an den südlichen Idealen orientierte (wie etwa Johann Christian Bach in London). Somit kommt es in der vom Süden beeinflussten Musik zu Nordismen, und das überall da, wo eben jene, in der Kunst definierten Elemente, sich auch in der Musik finden: Nordismo in der Kunst (nach Rossacher) Ausdrucksmittel des Heil-Dunkels starke Farbkontraste Verfremdung im Bewegungsmotiv Egling der Gestalten Verand erung des Physiognomischen DisProportionierung der Natur lodemde Haare, erregt gespreizte Finger Nordismo in der Musik Licht und Schatten, Überraschungsdynamik kontrastvoUe Affektwechsel freye Fantasien durchkomponierte Form, Einheit der Sinfonie Charakterwerke Entdeckung des Zauberhaften, des Wunderbaren und des Schrecklichen Melodram 3o Reichardt: Briefe I, S. 45 m Rossacher: Nordismo in Nordismo, Ausstellungskatalog, Salzburg 1985 126 piir das Auftauchen von Nordismo in der Musik zwischen 1770 bis 1810 gibt es verschiedene Gründl a) das Studium norddeutscher Musik b) das Studium norddeutscher Musikschriften und Literatur c) praktische Rezeption norddeutscher Musik im Süden d) Auftreten norddeutscher Musiker im süddeutschen Raum Während die Inspiration durch die beiden erstgenannten Punkte problemlos ist, können die beiden letztgenannten eine ganze Reihe von Problemen mit sich bringen, da es zu einer Adaptierung süddeutscher Gewohnheiten auf norddeutsche Kompositionen kommen konnte. War der Komponist selbst nicht zugegen, handelte es sich um eine verfälschte Wiedergabe jjnd ist als solche heute nicht nachzuweisen. Angesichts des letzten Punktes kann sich dieses Problem aber wiederholen, falls sich der norddeutsche Komponist bei Realisierung seiner Werke auf süddeutsche Mitstreiter verlassen musste, also nicht solistisch auftrat. Ein konketes Beispiel für diesen letzten Punkt bietet Jifi Benda, der im November 1778 nach Wien reiste, wo er bis zum Frühling 1779 blieb. Von dieser Reise gibt es widersprüchliche Angaben: während die Fachliteratur behauptet, „Wien war für Benda eine Enttäuschung"302 überliefert Schlichtegroll, dass Benda „mit Beifall eine grosse musikalische ■ 303 Akademie gab" und sei „mit gefüllter Börse" nach Gotha zurückgekehrt. Die Wahrheit kann man aus anderen Fakten erschliessen. Benda gab mit seinem Sohn Hermann Christian mehrere Akademien, u.a. im Burgtheater und im Kärntnertotthater, sein Melodram Ariadne wurde im Nationaltheater und auch im Theater Josephstadt, dort sogar 18 mal, aufgeführt, d.h. dies Werk muss sehr erfolgreich gewesen sein. Artaria gab daraufhin sogar den Klavierauszug der Ariadne heraus. Benda komponierte in Wien seinen Pygmalion sowie Philomon und Theone. Hierzu entstand eine Missa brevis, mit welcher Benda bei Baron van Swieten ein Gesuch um Anstellung als Kapellmeister der deutschen Nationaloper einreicht, um welches sich auch Mozart und Schweitzer bemühten. Bendas Gesuch hatte keinen Erfolg. Also haben beide Quellen recht, angesichts des musikalischen und sicher finanziellen Erfolges Schlichtegroll, in Sachen Anstellung allerdings erlebte Benda eine Enttäuschung. Betrachtet man weitere Quellen, die sich auf die Interpretation der empfindsamen Musik Bendas konzentrieren, kann man verstehen, warum Benda die Stelle am Nationaltheater nicht bekam. Benda traf auf zu wenige vom Nordismo geprägte Musiker, seine Musiksprache wurde nicht verstanden, er war verkannt worden, wie es Johann Friedrich Schink in seinen Dramaturgischen Fragmenten ausdrückt: »das kann ich Wien nie verzeihen, dass es Benda verkant hat, dass es Benda so auswerfen und gegen Manner verkennen konnte, die unstreitig ihr musikalisches Talent haben, aber doch noch immer zu Bendas Füssen sitzen und von ihm lernen könnten."304 Dabei war es ein bekanntes Risiko, norddeutsche Werke im süddeutschen Raum aufführen zu wollen. Am deutlichsten hat dies Reichardt ausgedrückt: "fch habe mich [...] auf meiner Reise niemals gewundert, wenn bey einer Musik Bachische oder aische Sachen keinen Beifall fanden, sie gefielen mir selbst nicht, wie sie da vorgetragen wurden. jFraaz Lorenz: Georg Benda, Berlin 1971, S. 93 304 j^drich von Schlichtegroll: Musiker-Nekrologe, Neuausgabe: Kassel s.a., S. 21 ohann Friedrich Schenk: Dramaturgische Fragmente, Bd. I, Graz 1781, S: 245f. 127 jjghme hievon keine einzige Kapelle Deutschlands aus, ich habe die Leute noch nie anders zerlegt als mit den Worten: ich wünschte, ihr höret die Stücke in Berlin."305 als Kind der Berliner Schule war demnach Opfer eines musikalisches ^Verständnisses infolge des musikästhetischen Nord-Süd-Gefälles geworden, allein meine Untersuchungen zur Tempoproblematik zwischen Nord und Süd unterstützen diese Über-gung. Das mag der Grund sein, warum der ehemalige Direktor des deutschen Schauspiels in Wien, Franz von Heufeld, in seinem an Leopold Mozart (Leopold hatte um Unterstützung seines Sohnes bei dessen Bewerbung um die auch von Benda angestrebte Stelle gebeten) gerichteten Brief vom 13. Januar 1778 schreibt: Wegen des Bendas und Schweitzers darf dero Sohn ganz ausser allen Sorgen seyn. Ich wollte dafür stehen, dass keiner ankommen wird. Sie haben hier den Ruhm nicht, wie draussen."306 Wohlgemerkt war Benda in dieser Zeit persönlich in Wien, also wusste Heufeld von der offenbar geteilten Wiener Begeisterung von Benda, die immerhin den Druck des vierauszuges der Ariadne zum Beweis hat. !e Darstellung des Besuches Bendas in Wien entbehrt in der alten wie neueren Musikforschung eines wichtigen Faktums, von welchem Reichardt berichtet, "dass die Königinn von Frankreich im vorigen Jahr zweimal an unsem wrahrhaftig grossen Benda schrieb, und ihn bat seine Adriane, die sie von Wien her kannte, in Paris selbst aufführen zu sehen. [...] wiederholtes Ersuchen und Zureden seiner Freunde brachten ihn endlich nach Paris hin, wo seine Ariadne mit sehr grossem Beyfall aufgeführt worden."307 Reflexion XV. * 308 ,TJie Musik hört sich bequem an" schreibt Goethe im September 1786 während seiner erste Italienreise von Vincenza aus. Offenbar besuchte er eine Oper, die ein Flickwerk aus den Opern Die drei Sultaninnen von Favart und Die Entführung aus dem Serail von Mozart darstellte, denn beide Werke „haben manchen Fetzen hergegeben, woraus das Stück mit weniger Klugheit zusammengeflickt ist." Dennoch ist Goethes Kritik an einem Mozartwerk oder dessen Teilen eine Seltenheit, bereits ein Jahr später spricht er in höchsten Tönen über die Entfuhrung. Oder kritisierte er in Vincenzia die Auswahl aus beiden Werken? Wie auch immer, es muss zu einem Meinungswandel gekommen sein, der wohl mit Goethes eigenen Ambitionen und Bemühungen um das Singspiel in Verbindung steht. Dabei ist seine Kritik, Musik sei bequem zum Zuhören, fast schon modern. Musik, die den Kopf und den Geist wenig beschäftigt, Musik die sich anderem Dingen unterordnet, unanspruchsvoll ist. Man denke nur an den oben zitierten Dialog zwischen Bach und Claudius! Wenn darin Bach seinen Bruder Johann Christian, dem ja Mozart so sehr nacheiferte, kritisiert, kann man vielleicht jjpethes Kritik in den Augen eines Empfindsamen besser verstehen. Abschliessend möchte ich nur exemplarisch - den Nordismo-Begriff an drei bedeutenden Wiener Meistern untersuchen. 306Reichardt: Schreiben über berlinische Musik, Hamburg 1775, S. 13 30 auert nach: Mozart, Dokumente, S. 105 Jos Keichardt: Kunstmagazin, Band I, Berlin 1782 S. 87 z,tlertnach: Goethes Gedanken über Musik, Frankfurt am Main 1985 128 ŕangAmadé Mozart Bei Betrachtung Mozarts muss man meines Erachtens Empfindsamkeit auf zwei , en betrachten. Eine Schicht zeigt uns Mozart als Komponisten, der von den Neuerungen der Empfindsamkeit wusste» diese sehr schätzte, aber eigentlich praktisch musikalisch sehen nie recht mit diesen in Kontakt kam. Lesen wir aber im Brief vom 17. Januar 1778 über das Clavierspiel des Mannheimer Abbé Vogler: u was ist denn das? - so ein Prima vista spielen, und [scheissen] ist bey mir einerley. Die Zuhörer, ich meine diejenigen, die würdig sind, so genannt zu werden, können nichts sagen, als dass sie Musik und Clavierspielen - gesehen haben. Sie hören, denken und - empfinden so wenig dabey - als er.[...] Und in was besteht die Kunst, prima vista zu lesen? In diesem: das Stück im rechten Tempo, wie es seyn soll, zu spielen, alle Noten, Vorschläge etc. mit der gehörigen Expression und Gusto, wie es steht, auszudrücken, so dass man glaubt, derjenige ätte es selbst componirt, der es spielt."309 beweist sich Mozart als Anhänger jener Überlegungen, die Carl Philipp Emanuel Bach in seiner Klavierschule fordert. In jenen Monaten, in denen er neben einer emsten ersten Liebesromanze, die ihm das Komponieren schwer machte310, für empfindsame Tendenzen hätte empfänglich sein sollen, kämpfte er am musikalisch dem Süden sich öffnenden Mannheimer Hof um eine Anstellung und lernte dort Werke der Mannheimer Schule kennen. Mozarts Briefe erwecken allgemein wenig den Anschein eines sich den Gesten der Empfindsamkeit anschliessenden Menschen. Auf seiner Reise nach Mannheim hatte er zudem 1777 einen von der Empfindsamkeit ergriffenen Menschen angetroffen, welcher für Mozart grosse Hoffnung auf eine Anstellung personifizierte und dies war kein geringerer als Fürst Kraft Ernst von Oeffingen-Wallerstein, der eine Kapelle von hohem Niveau hatte: „der fürst von wallerstein ist sehr zu bedauren, in dem er sich in der grössten Melancolye befindet; er kan Niemand ansehen so fängt er an zu weinen, der wolfgang hat mit ihm gesprochen, er ist so zerstreuet, dass er ihme über eine sach 4 bis 5 mahl gefragt, er hört keine Musican."311 berichtet Mozarts Mutter am 31. Oktober 1777 nach Salzburg. Dies machte die Hoffnung auf ein Konzert oder gar vorübergehende Anstellung zunichte. Mozart, den bevorstehenden Winter (und dies in Begleitung seiner Mutter) im Auge, konnte wohl wenig Sympathie für diesen Gesundheitszustand empfinden. Vielleicht war Fürst Wallerstein zu einem Opfer der Empfindsamkeit dank seiner Hofmusiker geworden, denn Schubart kritisierte am „Haupt dieses Orchesters" Ignaz von Beecke: „Er künstelt die Empfindungen heraus"312 und an dem aus Nordböhmen stammenden Franz Anton Rösler-Rosetti lobt er die „Lieder der Liebe und sanftwallende Empfindungen"313. Überhaupt scheint Ernst von Oettingen-Wallerstein ein herausragendes Orchester gehabt zu haben. Mozart war vor allem von Bendas Melodramen angetan, eine Beschäftigung mit ■esem Stil hatte sich bis zur Mannheim-Paris Reise nicht geboten. Nach seiner Rückkehr von 309 3W Mozart: Briefe und Aufzeichnungen, Berlin 1942, Bd. 2, S. 366 v8- Andreas Kröper: Mozarts Kompositionsfragment von sechs Flötensonaten, in: Brünner ^wissenschaftliches KoUoquium, Brno 1991 512 ph0Zart: Briefe ™d Aufzeichnungen, Berlin 1942, 2. Bd, S. 272 ion„ iarL Friedrich Daniel Schubart: Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, Wien 1806, Faksimile Hüdesheim }?°.S.167 M S. 168 129 ^tri'als mit melo- respektive duodramatischen Plänen auseinander, und das mit grosser Begeisterung: Dallberg [.. - ] lässt mich nicht fort, bis ich ihm nicht ein Duodrama componiert habe, und in der habe ich mich gar nicht lange besonnen; -denn diese art Drama zu schreiben habe ich mir immer tischen; -ich weis nicht, habe ich ihnen, wie ich das erstemahl hier war, etwas von dieser art stücke geschrieben? Ich habe damals hier ein solch stück 2 mahl mit den grössten vernügen auführen (Kehen! - in der that - mich hat noch niemal etwas so Surprenirt! - Denn ich bildete mir immer ein was würde keinen Effect machen! - sie wissen wohl, dass da nicht gesungen, sondern Declamirt - und die Musique wie ein obligirtes Recitativ ist - bisweilen wird auch unter der Musik ochen, welches alsdann die herrlichste wirckung thut; - was ich gesehen war Medea von Benda; aat noch eine gemacht, Ariadne auf Naxos, beyde wahrhaft - fürtreflich; sie wissen, das Benda ter den lutherischen kapellmeistern immer mein liebling war; ich liebe diese zwey wercke so, dass ich sie bey mir führe; Nun stellen sie sich meine freüde vor, dass ich das, was ich mir gewunschen zu Aachen habe!'1314 Mozart sollte auf Anregung Heribert von Dalbergs, dem Leiter des Mannheimer Theaters, das Melodram Semiramis für die Seylersche Theatertruppe, die in Mannheim gastierte, komponieren, zu welchem Otto Freiherr von Gemmingen das Libretto verfasst hatte. lingen war in Mannheim erster Übersetzer des Rousseauschen Melodrams Pygmalion ewesen. An diesem Briefausschnitt sieht man zudem Mozarts Beschäftigung mit dem melodramatischen Stil, wobei er sowohl die Musik-Text Verbindung in Folge wie auch das gleichzeitige Erklingen von Musik und gesprochenem Text kennt, „wo [...] das Orchester gleichsam den Pinsel beständig in der Hand hält, diejenigen Empfindungen auszudrücken, velche die Deklamation des Akteurs beseelen."315, wie Ernst Ludwig Gerber in seinem iistorisch-Biographischen Lexicon der Tonkünstler (1790-1792) unter dem Stichwort Benda chreibt. Mozart ging in der melodramatischen Idee noch einen Schritt weiter und plante die /erbindung des gesprochenen mit dem gesungenen Recitativ: „wissen sie was meine Meinung wäre? - man solle die meisten Recitativ auf solche art in der opera tractiren - und nur bisweilen, wenn die Wörter gut in der Musick auszudrücken sind, das Recitativ singen"316. dder wurde aus dem Plan nichts, zwar schreibt Mozart vor dessen Heimreise am 3. )ezember 1778, er plane die begonnene Arbeit mitzunehmen „und mache es dann zu hause s; sehen sie, so gros ist meine begierde zu dieser art Composition"317, doch keine solche Arbeit blieb erhalten. Auch reiste Jiri Benda (um den 24.10.) wenige Tage vor Mozarts Rückkehr von Paris nach Mannheim (6.11.) von dort ab, wo Benda die Seylerische aeatertruppe aufsuchte, da in dieser dessen beide ältesten Söhne, Friedrich Ludwig und ieinnch als Violinisten tätig waren. Die Seylersche Truppe verdient überhaupt grössere Aufmerksamkeit, gehörte dieser doch auch Jiri Bendas Pflegetochter Susanne Maria Zink als Sängerin an, die sich gegen den Willen ihres Vaters mit dem Kapellmeister dieser Ineatergruppe, Christian Gottlob Neefe, dem späteren Beethoven-Lehrer verheiratet hatte. Aber schon im darauffolgenden Jahr bot sich in Salzburg eine neue Möglichkeit, wie ein Blick in die 1779/80 enstandene, leider Fragment gebliebene Partitur der Oper Zaide (K wo Mozarts Mutter überraschend verstorben war, setzte sich Mozart in Mannheim . Brief i Iis p"w'VOm !2- November 1778 Kn^1 LudwiS Gerber: Historisch-Biographisches Lexicon der Tonkünstler (1790-1792), Faksimile Graz mS. 135 >nef vom 12. November 1778 Brief vom 3. Dezember 1778 -41 beweist. Gomatz' erster Auftritt318 (und nicht nur dieser) zeigt, wie Mozart den lodramatisehen Stil studiert hatte, findet sich doch hier „die Musique wie ein obligirtes Jlecitativ"319 und „bisweilen wird auch unter der Musik gesprochen"3' , IC wß Allegro O wehe! wie entkräftet fühle ich mich am gingen Körper!---wie entkräftet am ganzen Gcmüte! — Dass sich Mozart auch empfindsam ausdrücken konnte beweist Schlichtegrolb Nekrolog auf das Jahr 1791, in welchem sich bekanntlich der Mozart-Nekrolog findet, der mit Symbolen der Empfindsamkeit eingeleitet wird: „Wem, der jemals bei den Harmonien dieses grossen Tonkünstlers sich bald in süsse Empfindung verloren gefühlt f...]"321 Auch einige weitere Beispiele aus dem Schaffen Mozarts lassen dessen Auseinandersetzung mit der Empfindsamkeit in der Musik erkennen, so etwa seine Fantasien für Klavier. Hier zeigt sich der Einfluss Carl Philipp Emanuel Bachs am stärksten, dessen Werke Mozart sehr schätzte. .Mozart wurde an einem musicalischen Abende bei Doles von diesem um sein Urtheil über Bachs Spiel - denn nur vom Spiel war eben die Rede - gefragt. Der Meister, nach seiner wienerisch-unumwundenen, treuherzigen Weise, antwortete: Er ist der Vater; wir sind die Bub'n. Wer von uns *as Rechts kann, hat von ihm gelernt."322 radiert F. Rochlitz Mozarts Wertschätzung. Mozart hatte sich bis in seine Wiener Zeit (ab '81) eher an dem an der italienischen Kantabilität angelehnten Ideal Johann Christian Bachs °nentiert, durch die Konfrontation mit Baron van Swieten, der ja C.Ph.E.Bach den Auftrag zu ,„NMA, II/5/10, Kassel 1957, S. 5-11 )3)Bnefvom 12. November 1778 3:,,bld ,„ veröffentlicht in Gotha 1793, S. 82 ■ Rochlitz: Für Freunde der Tonkunst, Bd. 4, Leipzig 1832, Artikel:Karl Philipp Emanuel Bach, S. 308f »ert nach Ortenberg, S. 259 ,ccen Streichersinfonien gab, lernte Mozart in Wien nun die vor allem im Norddeutschen flgcte empfindsame Musik sowie Werke „des händls und Sebastian Bach"323 kennen. Dies einerseits in den sonntäglichen Konzerten van Swietens, „zu dem ich alle Sonntage gehe"324, ^dererseris widmete sich Mozart selbst der Aufführung von Werken Bachs. Im Musikalischen Almanach für Deutschland auf das Jahr 1789 berichtet Johann Nikolaus forkel, der erste Biograf Johann Sebastian Bachs: Wien, am 26sten Febr. 1788. An diesem Tage und am 4ten März wurde Ramlers Cantate, die Auferstehung und Himmelfahrt Christi nach der vortrefflichen Composition des unvergleichlichen Hamburger Bachs, bey dem Grafen Johann Eszterhazy, von einem Orchester von 86 Personen in Gegenwart und unter Leitung des grossen Kenners der Tortkunst, des Freyherrn von Swieten, mit dem allgemeinsten Beyfall aller vornehmen Anwesenden aufgeführt. Der Kaiserl. Königl. Capellmeister, H,. Mozart taktirte, und hatte die Partitur." Eine Abschrift des Werkes von Mozarts Hand ist erhalten. Besonders in seinen Fantasien K396 und K475, beide in c-moll, sowie der d-moll Fantasie K 397 äussert sich Mozart in einer sehr empfindsamen Musiksprache. Nicht zu vergessen Mozart der Liedkomponist, wobei hier vor allem die Vertonung des Gedichtes Abendempfindung K 523 zu nennen ist: !*" 3pt*ll 4t\ Tr*un-*e» Tri - i«- ni« • • e*( ist!" Mf f^~^ Ii na Ü *"""*■**" ... \~ -= Briefvom20. April 1782 Abendempfindung war Synonym für das Scheidende, das Abschiednehmen verbunden mit der Unsicherheit, was nach der Phase der Dunkelheit kommen wird. Dies alles in zeitlicher Vergrösserung gesehen als Symbol für den sich nahenden Tod. Den Text zu Mozarts Lied schrieb Johann Heinrich Campe, der sich in seinen Schriften ja sehr mit der Empfindsamkeit auseinandersetzte. Mozart setzt in eindrucksvoller Weise natürliche Melodik hinter den Textausdruck, an der Stelle, die vom Westwind spricht, suggeriert Mozart überraschend ein dem Melodram entliehenes Sprechen, welches um so stärker ist, da der darauffolgende Quintsprung um so sanglicher wirkt. Ein Blick auf diese Komposition genügt, um zu sehen, dass sich Mozart mit der Textaussage identifizieren und so ein sehr empfindsames Lied schreiben konnte. Todesgedanken waren für den Freimaurer Mozart kein Greuel, sondern Bestandteil seines Nachdenkens, wobei auch in diesem Lied der Mitleids-Gedanke verbunden mit der Bitte „Weih mir eine Träne" geäussert wird: „da der tod |: genau zu nemmen :| der wahre Endzweck unsers lebens ist, so habe ich mich seit ein Paar Jahren mit diesem wahren, besten freunde des Menschen so bekannt gemacht, dass sein bild nicht alleine nichts schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel bruhigendes und tröstendes!"325 Dagegen handelt es sich bei Liedvertonungen wie Sehnsucht nach dem Frühlinge K 596 oder Im Frühlingsanfang K 597 um Idyllen, die all das erfüllen, was das Idyllenideal fordert. Dies nur als Beispiele für Nordismo im Werk Mozarts, das, zugegeben, im Gesamtwerk eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Doch an Mozarts Äusserungen über das Melodram wird klar, dass er sich gerne mehr diesem Stil gewidmet hätte, hätte es eine Nachfrage gegeben. Da fällt m|rjene Anekdote ein, dass Carl Philipp Emanuel Bach, nach dem Unterschied zwischen seiner und seines Bruders Christian Kompositionsweise befragt, geantwortet haben soll, dass leser komponiere um zu leben, er aber lebe um zu komponieren. Leider kann ich mich nicht erinnern, wo ich jene Anekdote las, aber auf Mozart gemünzt scheint sie mir sehr passend zu sein. Von seinen Zeitgenossen wurde Mozart nicht als Empfindsamer gesehen, Cramer usiert in seinem Magazin der Musik am 23. April 1787, dass Mozart „sich in seinem östlichen und wirklich schönen Satz, um ein neuer Schöpfer zu werden, zu hoch versteigt, w°bey freilich Empfindung und Herz wenig gewinnen, seine neuen Quartetten für 2 Violin, M°zart: Brief vom 4. April 1787, in: Mozart Briefe III, S. 247 133 yiole und Bass, die er Haydn dedicirt hat, sind doch wohl zu stark gewürzt - und welcher aum kann das lange aushalten?"326 Empfindsam zeigte sich Mozart auch in der Oper, als Beispiel sei nur die schon oben erwähnte Bildnis-Arie genannt. Hier wird deutlich, wie Mozart versteht, einen vorgegebenen Text impulsiv spontan wirken zu lassen. Somit wird Tamino zu einem empfindungsvollen, jjer in seiner verwirrten Schwärmerei gar nicht weiss, was er sagen soll. Dies gelingt Mozart vor allem durch Textwiederholungen „Ich fühl es, ich fühl es" und „ich würde, würde", die yom Orchester komentiert werden, NV 3 Ariit Lirghetto Zlt|ertnach Mozart: Dokumente seines Lebens, Kassel 1981, S. 146 134 durch die Generalpause, die eine rhetorische Überlegungspause auf die sich Tamino selbst stellende Frage „Was würde ich?" symbolisiert, ---- . ---1 -; 4 sowie durch die Frage „soll die Empfindung Liebe sein?" Die andere Schicht zeigt uns den Menschen Mozart und sein nach den Idealen der Empfindsamkeit strebender Kontakt mit empfindsamen Lebenselementen. Ich denke da nicht nur an den Brief über den Umgang mit dem Vicehof- und Staatskanzler, also einem der engsten Mitarbeiter Joseph II, der Mozart schon in dessen erstem Wiener Jahr auf seinen Landsitz, den Reisenberg, eingeladen hatte, wo neben einem kleinen Landhaus ein den Idealen der Empfindsamkeit frönender Park das Auge verwöhnte: „das häuschen ist nichts; aber die gegend! - der Wald - worinnen er eine grotte gebauet, als wenn sie so von Natur *äre. Das ist Prächtig und sehr angenehm."327 Das entspricht doch sehr den Schilderungen ^pfindsamer Gartenkunst. Ich denke aber darüberhinaus, dass Mozart sein menschliches Streben nach tugendhaftem Sein, vor allem in einem Werk ausdrückt, und zwar in der Zauberflöte K 620. Nicht nur, dass M°zart selbst in seinen Briefen an sein Frau Constanze Titulierungen wählt, die Papageno Bieren, so im Brief vom 3. Juli 1791: „Mein liebstes, bestes HerzensWeibchen!" gleich PaPageno im Duett mit Papagena (11/29) „Nun so sei mein liebes Weibchen, nun so sei mein Herzensttäubchen", sondern dass er sich mit den Empfindungen in den Arien der Zauberflöte :v°m 13. Juli 1781 135 vollkommen identifiziert, wie er im Brief vom 7. Juli an seine in Baden auf Kur weilende Frau schreibt: Du kannst nicht glauben wie mir die ganze Zeit her die Zeit lang um Dich war! - ich kann Dir meine gjnpfindung nicht erklären, es ist eine gewisse Leere - die mir halt wehe thut, - ein gewisses Sehnen, welches nie befriediget wird, folglich nie aufhört - immer fortdauert, ja von Tag zu Tag wächst; -wenn ich denke, wie lustig und kindisch wir in Baden beysammen waren - und welch traurige, langweilige Stunden ich hier verlebe - es freuet mich auch meine Arbeit nicht, weil, gewohnt bisweilen auszusetzen und mit Dir ein paar Worte zu sprechen, dieses Vergnügen nun leider eine Unmoglickeit ist - gehe ich ans Klavier und singe etwas aus der Oper, so muss ich gleich aufhören -es macht mir zu viel Empfindung". pie Zauberflöte hat angesichts ihrer Ideale in über zweihundert Jahren nichts an ihrer Aktualität verloren. Es ist das Märchen vom besseren Menschen, an welches wir alle glauben sollten. Es vereint Ideale der Empfindsamkeit, nicht nur, dass Mozart vor der vorurteilsgelenkten Verfolgung von für die Masse uneinsichtbaren Bündnissen warnt und auch die Stellung von Farbigen in der Gesellschaft kritisiert, noch mehr aber wenn Mozart die Stellung der Frau in einer Gesellschaftsstruktur beklagt, indem er den Forderungen einer tugendhaften Frau chauvinistische Phrasen gegenüberstellt, wie wir sie heute nicht nur in Kneipengesprächen und Männergesellschaften finden. Mozart ist jedoch nicht alleiniger Verfasser der Zauberflöte, hier muss gleichberechtigt Emanuel Schikaneder genannt werden, der Verfasser des Textbuches. Denn auch Schikaneder war, wie Mozart, Freimaurer und träumte von einer besseren Welt, ohne jedoch nur zu träumen. Einen als Freimaurer war Empfindsamkeit moralischer Begriff, war Aufgabe und Pflicht da zu helfen, wo andere Kräfte versagten. Der erste Eindruck, dass zwei verfeindete Welten einer Königin der Nacht und eines Sarastro, sich gegenüberstehen, wird im Laufe des Geschehens geglättet - denn beide Seiten haben vieles gemeinsam. Der Hass der Königin auf Sarastro hat seinen Grund im verstorbenen Ehemannne der Königin, einem Zauberer, der auf dem Sterbebette alles seiner Frau und deren gemeinsamer Tochter, Pamina, vermachte - mit Ausnahme des Machtsymbols, des siebenfachen Sonnenkreises; den erhielt Sarastro, denn auch der Königin Ehemann war Mitglied desselben Geheimbundes. Aus Paminas Vaters Händen stammt schliesslich auch die "in einer Zauberstundef..] (aus) der tausendjähr'gen Eiche" (II/21)328 geschnitzte Zauberflöte. Somit verbinden die Königin der Nacht und Sarastro mehr, als zu Beginn der Oper zugegeben wird. Ein weiteres Verbindungsglied sind meiner Ausdeutung nach die Drei Knaben/Drei Damen. Denn ich verstehe diese nicht als jeweils einer der verfeindeten Parteien zur Seite stehenden Gruppe, wie es heute durchweg interpretiert wird (die Drei Damen zur Königin, die Drei Knaben zu Sarastro gehörend) und den Mann/Frau-Gegensatz unterstützt. Auffallend ist för mich hierbei, dass die Drei Damen auf der Bühne nie mit den Drei Knaben zusammentreffen, dass ihr stimmliches Material sowie die musikalische Arbeit ihrer Terzette sehr übereinstimmend sind. Zudem darf nicht vergessen werden, dass die drei Knaben auf der Ankündigung der Erstaufführung überhaupt nicht erwähnt wurden. All dies hat mich immer dazu bewegt, die Rolle der drei Damen mit den Sängerinnen der drei Knaben zu besetzen. Somit erscheinen die drei Damen/drei Knaben als überweltliche, assexuelle "gute Geister", Welche die beiden verfeindeten Welten wieder so vereint sehen möchten, wie sie früher waren. Diese Naivität der heilen Welt entspringt einer durchaus kindlichen, d.h. ^abenhaften, jungfräulichen Denkart, was die drei Figuren personifizieren. Erst mit deren 325 11 alle Libretto-Zitate sind folgendermassen im Text gekürzt: die erste Zahl gibt den Akt, die zweite die "Ummer an. 136 Reife zu Männern und Frauen kann ein Verständnis für den Dualismus Mann/Frau reifen, der . der Verbindung von Tamino und Pamina gelöst wird. Es darf dabei nicht übersehen werden, dass sich Tamino aufgrund eines Bildes - gemäss der Lehre der Physiognomie - in pamina verliebt, dass es aufgrund dieses Bildes zuletzt zu einer Liebesprüfung und somit Form der Liebesheirat kommt: eine Tatsache, die so im Wien dieser Zeit sicher nicht üblich war. jlozarts Änderungen pie so oft vertretene Ansicht, Mozart hätte vor dem Niederschreiben eines Werke jenes komplett im Kopf gehabt und ohne weitere Änderungen niedergeschrieben, wurde schon oftmals Lügen gestraft. Nicht anders verhält es sich mit der Zauberflöte. Neben einigen kleineren Instrumentationsänderungen finden sich im Autograph jedoch zwei grundlegende Eingriffe: Taminos Eingangsarie war ursprünglich mit Trompeten- und Paukenbegleitung instrumentiert. Mozart strich diese Begleitung wieder durch, selbst in den ersten Partiturdrucken finden sich überhaupt keine Trompeten/Pauken in der Introduction. Offenbar dachte Mozart aber daran, mit dem Eintritt der drei Damen diese durch Trompeten und Pauken als wahre Helden zu zeichnen. Warum aber strich Mozart diese ursprüngliche Instrumentierung durch? Um es vorweg zu nehmen: meine Antwort kann nur in Überlegungen bestehen, denn keine konkreten Hinweise sind überliefert. Vielleicht verfolgte Mozart damit die Absicht, Tamino dem Publikum als heldenhaften Tenor vorzustellen, dann aber erschien es Mozart unlogisch, dass der Held aus Angst vor einer Schlange in Ohnmacht fällt. Schubart nennt die Trompete ein „ganz und gar kriegerisches Instrument [...] Der Charakter der Trompete ist, wie jedermann weiss, wegen ihren schmetternden herzerschütternden Tons, ganz heroisch; schlachteinladend und aufjauchzend."329 Vielleicht hatte er dies als unpassend gefunden, vor allem wenn Tamino in der nächsten Bildnis-Arie so empfindsame Töne anschlägt? Zu einer weiteren Streichung wissen wir mehr: Am Ende des Terzettes der Drei Damen in der Einleitung hatte Mozart eine sehr schwere Kadenz geschrieben, diese jedoch vor der Premiere ausgestrichen. Der Uberlieferung nach war in den Proben diese Kadenz so peinlich ausgefallen, dass sie Mozart, um unfreiwilligen Lachem vorzubeugen, kurz vor der Premiere sicherheitshalber strich. Vielleicht besteht sogar ein Zusammenhang zwischen den beiden Streichungen, dass nämlich die Damen ihrer Heldenhaftigkeit und Unbesiegbarkeit gerade durch diese schwere Kadenz Ausdruck verleihen sollten, deren unmögliche Realisierung zur Streichung führte und somit das Gleichgewicht zwischen Tamino und den Drei Damen gestört war, welches durch die Streichung der Trompeten/Pauken in Taminos Auftritt wiederhergestellt wurde. In Taminos Arie ist in Mozarts Autograph zudem nicht von einer Schlange aber "dem gnrnmigen Löwen" die Rede. Später hat Mozart diesen Textteil in "der listigen Schlange" geändert. Ob es auf eine Änderung des Librettos, auf die Assoziation des lateinischen Pendants Leo mit dem Herrscher Leopold II. oder auf die nicht gewollte Verbindung zu Sarastros Löwen zurückzuführen ist, muss leider offen bleiben. dramatische Züge Mozarts Zauberflöte ist ein Singspiel und für mich unzufriedenstellend ist in heutigen Stellungen der Wechsel von Text und Musik, ohne eine Verbindung zwischen beiden 3» Schubart, S. 309 eUe der Kadenz sind im Autograph erkennbar. 137 sehen zu können. Beispiele wie Zaide (K 344) beweisen, dass sich Mozart, durch die Arbeit i" Bendas inspiriert, sehr mit dem Melodrama auseinandergesetzt hat. Heutige Sichtweisen jgr Zauberflöte machen einen Wechsel von Musik und Dialogtexten deutlich. Das Studiums des Autographes hat mich aber überraschend eines Besseren belehrt, denn beispielsweise im puett Nr.7 findet sich nach den ersten Orchestemoten eine Generalpause, nach der die Arie en eigentlichen Anfang nimmt. Andaniino ü,n> (tri» ■'. II „ .Ulf-' PJ.lt/AJ nnveso Bei Män-ncrn, uel-che Lic - be füh-lcn,fehlt auch ein gu - tes Her-rc 7 WUmcrtl. 7~rr- Diese Pause wird heute durch einen nicht originalen Bläserakkord ausgefüllt. Es ist aber augenscheinlich, dass in diese Pause die der Arie vorhergehende Textpartie des Papageno „Wenn er 's nur bald schickte!" gehört, worauf eben Pamina mit „Bei Männern, welche Liebe fohlen" (1/7) antwortet. Vor Taminos Bildnis-Arie (1/3) findet sich der Hinweis: „Tamino ist gleich nach dem Empfange des Bildes aufmerksam geworden; seine Liebe nimmt zu, ob er gleich für alle diese [vorhergegangenen] Reden taub schien". Auch hier finden sich zu Beginn der Arie kleine Suspiren, wie man solche die Musik atmen lassende Pausen nannte. Zuvor verabschieden sich zwei der drei Damen Papageno spottend: „Adieu, Monsieur Papageno!"/"Fein nicht zu hastig getrunken!" Auch diese kurzen Floskeln finden in den Suspiren Platz und verbinden wiederum Dialog mit Arie. Dadurch wird auch optisch klar, dass Tamino „für alle diese Keden taub scheint", denn knapp vor dem Abschiednehmen der Damen hat er ja erst das Hdnis der Königstochter erhalten. Man mag dagegen einwenden, dies mache Taminos empfindsame Arie schwächer, aber gerade das ist ja ein weiteres Merkmal der Zauberflöte, Was w°hl am kontrastreichsten während Paminas empfindsamer Arie „Ach ich fühLs, es ist ^erschwunden." (ilj/17) und dem dieser vorangehendenmMonolog (oder um genauer zu sein, p al°g ohne Antwort, da weder Tamino noch Ppageno reden dürfen) klar wird, während dem j^Pageno »einen Brocken in dem Munde hat" und sich ungestört von Paminas Trauerarie an ^sen und Wein ergötzt. All dies hat mich schliesslich veranlasst, an mehreren Stellen stets ^ Sesprochenen Text mit der auf ihn folgenden Musik zu verbinden. Somit glaube ich aus °2arts Zauberflöte eine Singspiel im eigentlich Sinne des Wortes zu machen, indem sich 13S eben Singen und Spielen nicht begegnen, aber wie in dem Wort selbst, eng verknüpft ergänzen- Vor dem ersten Auftritt der Königin der Nacht (1/4) findet sich im Libretto der gjnweis „Sogleich wird eine heftiger, erschütternder Accord mit Music gehört", welcher in heutisen Aufführungen weggelassen wird, wobei gerade diese Stelle die Komentiening Geschehenes oder Geschehen-Werdendes in eindrucksvollerweise demonstriert: ZWEITE DAME Sehr nahe an unsern Bergen lebt er in einem angenehmen und reizenden Tale. — Seine Burg ist prachtvoll, und sorgsam bewacht. TAMINO Kommt, Mädchen! führt mich! — Pamina sei gerettet! — Der Bösewicht falle von meinem Arm; das schwör' ich bei meiner Liebe, bei meinem Herzen! — (sogleich wird ein heftig erschütternder Akkord*; mit Musik gehört) Ihr Götter! was ist das? DIE DREI DAMEN Fasse dich! ERSTE DAME Es verkündigt die Ankunft unserer Königin. (Donner) i Rezept Man nehme LA. Liebeskinds in der Sammlung Dschinnistan(l7&6-17&9) veröffentlichtes Märchen Lulu oder die Zauberflöte, und interpretiere den Sachverhalt, dass einer guten Mutter deren Tochter von einem bösen Zauberer geraubt wird, so um, dass einer schlechten, habgierigen Königin der Nacht die Tochter Pamina von einem guten, weisen Mann Sarastro entfuhrt wird. Den die Tochter dank einer Zauberflöte befreienden Prinz Lulu behalte man bei, sein Name aber wird Tamino, was naheliegt, hatte Mozart schon in Salzburg Bühnenmusiken zu T.B. Geblers Drama Thamos, König in Egypten (K 345) komponiert. Den Charakter des Prinzen nehme man aus dem Schauspiel Sethos (1731) des Franzosen Jean Terrassons, der zum Ideal der Freimaurer wird. Dann nehme man, wiederum von Wieland, aus dem Märchen Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva jene Szene, in welcher Don Sylvio einem Sommervogel solange nachjagt, bis er sich in einer fremden Gegend befindet, in welcher er das Bildnis einer unbekannten Schönen findet. Der Sommervogel wird zu Papageno, womit auch der Kasper auf der Bühne einen Namen bekommt, zudem orientiere man sich an der Oper Das Sonnenfest der Brahminen, in welchem das Duett "Du wirst mein Weibchen...ich werd dein Männchen....ich werde Papa" auch zu Papageno anregt, sowie zum Duett "Pa,pa,pa" von Papageno und Papagena. Weiters nehme man aus dem oben erwähnten Drama Sethos den Gesang der Gehamischten, die Feuer- und Wasserprüfung sowie die Anbetung der Götter von Himmel und Sonne Isis und Osiris. Dann greife man auf Mozarts Skizze eines Theaterstückes Die Liebesprobe aus dem Jahre 1784 zurück, in welchem ein Diener seine Geliebte nicht finden kann, da diese sich als Zwergin verwandelt hat, und man hat die Verwandlungsszene der Papagena. Zur Geschichte Wie fast alle in Mozarts letztem Lebenjahr entstandenen Werke, ranken sich auch um die Entstehung der Zauberflöte mehr Legenden,als es die Geschichte zu verkraften vermag. Ohne Zeitdruck, geschweige den sonst üblichen Theaterintrigen entsteht die Zauberflöte, nachdem arj dem Juni 1791 die endgültige Lösung desTextbuchs vorlag. Auch scheint die finanzielle Forderung Mozarts, die sicher das übliche nicht überschritt, zu keinen Streitereien geführt zu "aben. Obgleich Mozart seiner sich in Baden auf Kur befindlichen Frau, wenn er sie nicht gar 'mnier wieder besucht, täglich schreibt, ist recht selten von der Entstehung der Zauberflöte in !39 (jjeser Korrespondenz die Rede. Auch die Tatsache,dass die Konkurrenzbühne des ^poldstädter Theaters am 8. Juni die Premiere des Singspiels "Kaspar, der Fagottist, oder nie Zauberzither" von Wenzel Müller (Text: Joachim Perinet) feierte, scheint bei Mozart und gchikaneder keine Nervosität hervorgerufen zu haben. Zur Lokalität von Schikaneders Q^enhäuschens, in welchem Mozart angeblich seine "Teutsche Oper in 2 Aufzügen", wie er jjie Zauberflöte in sein Werkverzeichnis eintrug, komponierte und welches zu einem Anziehungspunkt für Salzburger Touristen wurde, sei nur gesagt, dass Schikaneder 1791 noch Iceinen eigenen Garten eignete! Hingegen geht aus Mozarts Brief vom 6. Juni 1791hervor, (jass er hin und wieder im Gartenhäuschen des Hornisten Joseph Leutgeb zu Gast war. Mozarts Zauberflöte entspricht inhaltlich den Erwartungen des Wiener Vorstadttheater Publikums, den der "kleinen Leute". Somit wendet sich Mozart erstmals an ein anderes, ausschliesslich bürgerliches Publikum, für welches eben das von Emanuel Schikaneder geleitete Theater auf der Wieden bestimmt war und er als Verfasser des Librettos wusste, was sein Publikum erwartete. Dennoch darf man nicht vergessen, dass Mozart politische Vorgänge aufmerksam verfolgte und einen wachen Instinkt für gesellschaftliche Veränderungen hatte Die Frage, ob Mozart diese ihm erstmals gebotene Möglichkeit, mit dem Bürgertum in Form einer Oper zu kommunizieren, bewusst pädagogisch-politisch ausnutzte, beantwortet sich von selbst, wenn man einige, bei oberflächlichem Betrachten allzu oft übersehene Gesichtspunkte des Bühnengeschehens genauer bewertet: Der Mohr Sarastros Dienende sind ausnahmslos Sklaven, welche auch eigene, in heutigen Inszenierungen meist gestrichene, Textszenen haben. Selbst auf dem die Uraufftihrung ankündigenden Plakat waren die Rollen dreier Sklaven aufgeführt, die der drei Knaben jedoch nicht!! Die Verwendung von Schwarzen sollte sicherlich nicht nur helfen, die Märchenhaftigkeit der Oper zu unterstreichen. Denn schliesslich gab es im Wien jener Zeit Farbige, deren gesellschaftliche Stellung wenig durch die Aufklärung gebessert worden war. Auch Sarastro begegnet Monostatos mit Willkür, indem er ihm für das Wiedereinfangen der entflohenen Pamina dankt: "Monostatos: Du kennst mich! Meine Wachsamkeit... Sarastro: Verdient, dass man ihr Lorbeer streut! He, gebt dem Ehrenmann sogleich... Monostatos: Schon Deine Gnade macht mich reich! Sarastro: nur sieben und siebzig Sohlenstreich! Monostatos: Ach Herr, den Lohn verhofft1 ich nicht! Sarastro: Nicht Dank, es ist ja meine Pflicht!" Zur Zeit seiner Arbeit an der Zauberflöte begegnete Mozart bei seinen Logenbesuchen regelmässig einem Schwarzen, welcher es in Wien zu grossem Ansehen brachte. Angelo Soliman, eigentliche Mmadi Make, vermutlich um 1726 in Pangusitlong geboren, kam auf abenteuerlichem Wege nach Messina in das Haus einer Marquise, die ihn wohl bildete und schliesslich dem österreichischen General Johann Georg Christian Fürst Lobkowitz schenkte. Fast 20 Jahre blieb Soliman in dessen Diensten, und wurde nach dessen Tod 1753 an Joseph Wenzel Fürst Liechtenstein vererbt (!), welchem er als Kammerdiener und später als Haushofmeister diente. Darüberhinaus schmückte sich sein Herr, da öfter mit diplomatischen Schritten beauftragt, auf seinen zahllosen Reisen mit seinem "fürstlichen Mohr", welcher ihn auch nach Frankfurt am Main begleitete, wo Liechtenstein die Wahl Joseph des Zweiten zum römischen Kaiser betrieb. In Frankfürt vom Fürsten Liechtenstein zum Pharaospiel verleitet, gewann Soliman 20 000 Gulden, was ihm nach seiner Rückkehr nach Wien dazu verhalf, eine eigene Existenz aufzubauen. Obgleich katholisch getauft, musste die Mischehe mit Anna von Christiani, durch den Kardinalerzbischof von Wien im Stephansdom geschlossen, geheimgehalten werden. Wie Monostatos war auch ihm offiziell kein weisses Mädchen 140 vergönnt, was er, wie empfindsam, dem Mond in der Arie "Lieber guter Mond, vergebe, eine Geisse nahm mich ein. Weiss ist schön, ich muss sie küssen ..." (H/13) anklagt. Hier stellt sich zudem die Frage, ob hinter dem in der Empfindsamkeit so beliebten Bild des Mondes nicht gar die Königin der Nacht zu sehen ist, die ja als Figur keine literarische Entsprechung kennt. Jedoch in der 1820 in Leipzig als „ein Gespräch" veröffentlichten Erzählung Der frühlingstag, dessen zentrales musikalisches Thema Mozarts Opern sind, schreibt Friedrich Rochlitz von einem Gegenstück der Königin der Nacht, der Königin des Tags: Doch genug, und nur schon allzuviel, für heute! unterbrach sich der alte Mann und stand auf. Die Luft wird kühl; die Sonne ist im Untergehen. - Ei, mein Gott: wie schön ist sie, die Königin des Tags, eben im Scheiden! Sieh hin, sieh hin! wie gross und hehr blickt ihr Antlitz über den fernen, schwarzgrünen Eichenwald herüber, indess ihr Gewand, weit und reich und zauberisch gefärbt, sich über den ganzen Abendhirnmel verbreitet!" Da fühlt man sich schon sehr an die Zauberflöte erinnert! Kein Geringerer als Joseph II, welcher Soliman sehr schätzte, verriet versehentlich bei einer Gesellschaft dessen Ehegeheimnis, worauf Fürst Liechtenstein Soliman entliess und auch enterbte. Auch Monostatos war der Willkür seines Herrschers unterlegen. Nach Liechtensteins Tod bot ihm sein Neffe Franz Joseph Wiedergutmachung an und beauftragte ihn mit der Erziehung seines Sohnes Alois Joseph. Fürst Liechtenstein, Begründer der heutigen Vaduzer Linie, bot ihm ein Jahresgehalt, welches nach Solimans Tod seiner Frau als Pension ausgezahlt werden sollte. Somit kehrte Soliman in den Liechtensteinischen Palast zurück. Man weiss von Soliman, dass er deutsch, italienisch und französisch sprach, sich aber auch des Tschechischen, Englischen und Lateinischen bediente. 1783 trat er in die Loge "Zur wahren Eintracht" ein und betrat, wie aus dem erhaltenen Protokollbuch hervorgeht, mehrfach zusammen mit Mozart den Logentempel. Wie auch in der Zauberflöte Monostatos trotz seiner angesehenen Stellung der Willkür des weissen Sarastro ausgesetzt ist, scheint es Soliman trotz seiner Wertschätzung bei zahllosen Zeitgenossen nicht allgemein einfach gehabt zu haben, ja es stellt sich sogar die Frage, ob er über seine Intellektualtät und Stellung hinaus, bei vielen seiner Mitmenschen überhaupt als Mensch galt. Lassen wir zu seinem Schicksal nach seinem Tode 1796, als die Zauberflöte zu den meistgespielten Singspielen gehörte, die Quellen sprechen: "Über Wunsch des Kaisers Franz II. [Kaiser Joseph II. starb 1790, sein Nachfolger Leopold II. 1792] wurde er [Soliman] trotz lebhaften, durch ein energisches Schreiben des Erzbischofs von Wien unterstützten Protestes der Familie, der man die Leiche abgelistet hatte, von dem Bildhauer Franz Thaler abgehäutet, ausgestopft und den kaiserlichen Sammlungen als Repräsentant des Menschengeschlechtes einverleibt, wo er in Gesellschaft eines Wasserschweines und mehrerer Sumpfvögel der frivolen Neugierde eines schaulustigen Publikums preisgegeben wurde. Bei der Beschiessung Wiens im Jahre 1848 ging diese schändliche Erinnerung an dynastischen Ungeschmack in Flammen auf."331 Leseprobe Matthias Claudius Der Schwarze in der Zuckerplantage Weit von meinem Vaterlande Muss ich hier verschmachten und vergehn, Ohne Trost, in Müh' und Schande; Ohhh die weissen Männer!! klug und schön! Und ich hab' den Männern ohn' Erbarmen ^____Nichts getan._ zitiert nach Eugen Lennhoff und Oskar Posner: Internationales Freimaurer-Lexikon, Wien 1980, Sp. 1476 141 rp^nTHirrirnel! hilf mir armen Schwarzen Mann! veröffentlicht am 31. August 1773 im Wandsbecker Boten rfleissHiftballon Wie modern und sensationsbemüht Mozart und Schickaneder dachten, fällt bei Verwendung der Bühnenmaschinerie auf, die nach Sarastros Arie "In diesen heil'gen Hallen" zu Beginn des Dreizehnten Auftritts des Zweiten Aktes gefordert wird: "Das Theater verwandelt sich in eine Halle, wo das Flugwerk gehen kann. Das Flugwerk ist mit Rosen und Blumen umgeben, wo sich sodann eine Thür öffnet". Hier wird vorbereitet, was drei Szenen später gefordert wird: "Die drei Knaben kommen in einem ... Flugwerk" und "Unter dem Terzett setzen sie den Tisch in die Mitte und fliegen auf. Sicher ist die Verwendung einer Aufhängemechanik nichts Neues in der Oper, Mozart spielt hierbei aber auf eine Wiener Sensation an, von deren Gelingen er wohl, als er das Finale des ersten Aktes schrieb ("Drei Knaben fuhren Tamino herein" und "gehen ab"), noch nicht wusste, was auch für eine zeitliche Einordnung des Komponiergeschehens hilfreich ist: Zuerst im März und dann erneut im Mai 1791 hatte Francois Blanchard, welcher sechs Jahre zuvor als erster mit einem Freiballon den Ärmelkanal überquert hatte, vom Prater aus erfolglose Flugversuche unternommen, welche von den Wienern aufmerksam und für viel Geld (der Ballon war in einem Saal der Mehlgrube der Öffentlichkeit ausgestellt) verfolgt wurden. Am 6. Juli schreibt Mozart an seine Frau nach Baden "eben itzt wird Blanchard entweder Steigen oder die Wiener zum 3:t male foppen!" Aber der Versuch gelingt, kein Geringerer als Erzherzog Franz zerschnitt die Halteseile und Blanchard landete in Gross Enzersdorf und wurde von den Wienern stark gefeiert. Mozart aber, so am 7. Juli an Constanze "war nicht beym Ballon, denn ich kann es mir so einbilden, und glaubte auch und wird diesmal auch nichts draus werden aber nun ist Jubel unter den Wienern! so sehr sie bisher geschimpft haben, so loben sie nun. " Schikaneder und Mozart hatten also die neue Sensation sofort aufgegriffen, wenngleich die Bühnenmaschinerie hierfür erst erstellt werden musste. Hierin zeigt sich nicht nur die Adaptionsbereitschaft für eine Sensation sondern auch der Glaube an Fortschritt. Die drei Damen/Drei Knaben sind eine weitere Verbindung der beiden Welten, der Sarastros und jener der Königin. Interessanterweise sind die jeweils drei "Botschafter" einer jeden Welt im Gunde "assexuale" Wesen, zumindest im Sinne ihrer noch nicht zum Ausbruch gelangten Reife. Zwar bewundert eine jede der drei Damen, aus dem Libretto geht hervor, dass es sich um Jungfrauen handelt, den gefundenen Tamino, aber dies ist nicht mehr als epfindsame Schwärmereing, gefüllt von Naivität und Unschuld. Ihre Beziehung zur Königin beschränkt sich lediglich auf die eines Nachrichtenträgers, d.h. sie bringen Ihr die Nachricht, Tamino gefunden zu haben, aber die Ausführung dieses Vorhabens wird in der Oper nicht dargestellt, vielmehr scheint es sich hier um einen Vorwand zu handeln, verbunden mit dem Wunsch einer jeden, bei dem von ihr bewunderten Tamino zu bleiben. Darüberhinaus sind sie Empfänger und Weitergeber der von Papageno gefangenen Vögel, wobei sie diesem hierfür wiederum Gaben überbringen. In letzterem Falle erinnert sowohl die Anzahl der Damen, wie auch der von einer jeden Vergebenen Geschenke an die biblischen drei Könige. Ahnlich wie die Damen sind auch die drei Knaben Botschafter, allerdings der anderen Seite, der Sarastros. Sie weisen Tamino den Weg zu Pamina, sie führen letztendlich die beiden Paare Tamino/Pamina, Papageno/Papagena zusammen. Somit führen sie das zu Ende, was die drei Damen einläuteten. Auffallend ist für Neb. hierbei, dass die drei Damen auf der Bühne nie mit den drei Knaben zusammentreffen, 142 dass ihr stimmliches Material sowie die musikalische Arbeit ihrer Terzette sehr übereinstimmend sind. Zudem darf nicht vergessen werden, dass die drei Knaben auf der Ankündigung der Erstaufführung überhaupt nicht erwähnt werden. All dies hat mich dazu bewegt, die Rolle der drei Damen mit den Sängerinnen der drei Knaben zu besetzen. Somit erscheinen die drei Damen/drei Knaben als überweltliche "gute Geister", welche die beiden verfeindeten Welten wieder so vereint sehen möchten, wie sie früher waren, was aus dem Monolog der Königin der Nacht hervorgeht. Diese Naivität der heilen Welt entspringt einer durchaus kindlichen, d.h. knabenhaften, jungfräulichen Denkart, was die drei Figuren personifizieren. jje Frauen per thematische Dualismus der Zauberflöte beschränkt sich nicht nur auf Nacht und Tag (Sonne), mit diesem sind auch die Antipoden Frau und Mann verknüpft. Die Königin der Nacht, im Übrigen die einzige Hauptfigur ohne persönlichen Namen (!), ist nur von Frauen umgeben, nämlich den drei Damen, die, wie aus dem Libretto herauszulesen ist, Jungfrauen sind und ihrer Tochter Pamina. Die Welt Sarastros ist männlich, was sich nicht nur in den ihn umgebenden Sklaven, Priestern und Geharnischten ausdrückt, sondern auch in den zu dieser führenden drei Knaben und den den Triumpfwagen ziehenden Löwen. Bei Betrachtung der Partitur ist allerdings auffallend, dass sowohl der den Einzug Sarastros ankündigende Chor wie auch der Schlusschor neben Tenören und Bässen, Soprane und Alte beinhaltet. Wo verbergen sich in Sarastros Welt also die Frauen? Ist er Herrscher über ein weiter nicht zur Darstellung kommendes Volk? Sarastro wird in der Rezeptionsgeschichte der Zauberflöte immer wieder Frauenverachtung vorgeworfen. Es scheint, dass die Frauen in den Äusserungen Sarastros und seiner Mitstreiter nicht gerade gut wegkommen; der Chronologie des Opemgeschehens folgend, hier zwei Zitate: 1/18 Sarastro: "Ein Mann muss Eure Herzen leiten, denn ohne ihn pflegt jedes Weib aus ihrem Wirkungskreis zu schreiten." Ii/2 Duett der Priester: "Bewahret Euch vor Weibertücken: dies ist des Bundes erste Pflicht!" Aber genügen diese wirklich, Sarastro zum Frauenverachter zu machen? Ist das nicht vielmehr eine kritische Überzeichnung männlicher Denkweise, die auch in Papageno zum Ausdruck kommt, wenn er die Schweigeprobe übergehen will, indem er Tamino sagt: "Mit mir selbst werd'ich wohl sprechen dürfen; und auch wir zwei können zusammen sprechen, wir sind ja Männer." (11/14) Andererseits fordert Mozart mit diesen Zitaten die moralisch gefestigte, tugendhafte Frau, die nicht dem gängigen Klische von Schwatzhaftigkeit und Untreue entspricht. Hatte Mozart nicht in Cosi fan tutte Letzteres schon kritisiert? Vergessen wir nicht, dass Wien eine recht leichtlebige Stadt war. Noch um 1820 schreibt John Russell in seiner Reise durch Deutschland und einige südliche Provinzen Österreichs in den Jahren 1820, 1821 und 182233z über Wien: "Nicht leicht wird man eine Stadt finden, wo das liederliche Leben so vorherrschend ist, wo die weibliche Tugend weniger geschätzt, und folglich auch sparsamer angetroffen wird". Und vergessen wir nicht, dass Mozart in der Zauberflöte mit dem bürgerlichen Publikum kommuniziert! Und schliesslich nimmt Sarastro ja Pamina in den Tempel auf: "Ein Weib, das Nacht und Tod nicht scheut, ist würdig und wird eingeweiht." (^28). Hierzu sei nur vermerkt, dass die Freimaurerei den Wiener Frauen keineswegs erschlossen war, sie zwar nicht an Sitzungen aber allen anderen Veranstaltungen teilnehmen durften und sogar Schmuck mit Maurersymbolik trugen. Darüberhinaus gab es sogenannte Adoptionslogen, welche aktive Frauen wie Männer vereinigte. Wie sehr Papageno und amino auf der Suche nach den von ihnen Angebeteten die Kluft zwischen Patriarchat sarastro) und Matriarchat (Königin der Nacht) zu überwinden trachten, zeigt sich schon Ö3 John Russell: Reise durch Deutschland und einige südliche Provinzen Österreichs in den Jahren 1820, 1821 dl822, Leipzig 1825, S.317 143 allein an der phonetischen Ähnlichkeit der am Ende der Oper glücklich vereinten Paare: papageno/Papagena, Tamino/Pamina. Freimaurerei Vergeblich habe ich Literatur gesucht, die meine Annahme bestätigt, dass Freimaurerei in Verbindung mit Empfindsamkeit gesehen werden muss. Nicht nur die Ideale der ^enschenerziehung entsprechen denen der Empfindsamkeit, nicht nur die Musiken, die beispielsweise Mozart für die Loge schrieb, sind tiefst empfindsam, auch die Gechichte der Freimaurerei geht mit der Empfindsamkeit Hand in Hand, war doch diese ebenfalls von England kommend in Deutschland eingeführt worden. 1737 kam es in Hamburg zur ersten Logengründung. Und: ob Goethe, Herder, Mozart, Haydn, Fichte, Lessing - die Liste der Empfindsamen lies sich beliebig fortsetzen, die Logenbrüder waren. Und Freimaurerei als Ausdruck sozialer Tugendhaftigkeit wurde als Kunst, als die Königliche Kunst, bezeichnet. Aber als von vielen Geheimnissen umwoben und undurchsichtig musste den einfachen Wiener Bürgern die Freimaurerei erscheinen, die, wie wir sehen werden, Ende des Jahrhunderts in eine grosse Krise trat. Am 14. Dezember 1784 war Mozart in die aus der Loge "Zur gekrönten Hoffnung" erst 1783 hervorgegangene Loge "Zur Wohltätigkeit" aufgenommen worden und gehörte somit zu den 600 bis 800 Freimaurern im Wien seiner Zeit. Mozarts Bekanntenkreis zählt viele Freimaurer und beispielsweise sei erwähnt, dass mindestens jeder vierte Subskribent der drei Trattnemhof Konzerte im März 1784 Logenmitglied war. Dennoch verwundert es, dass Mozarts Wahl dieser mit Leuten von einfacherer Herkunft bestückten Loge galt und nicht der Loge "Zur Wahren Eintracht", die neben vielen Prominenten zahlreiche Gelehrte und Schriftsteller vereinigte und deren Mitglied Mozarts Freund Joseph Haydn (Mozart hatte Haydn in tiefer Wertschätzung 1785 die oben von Cramer kritisierten sechs Streichquartette gewidmet, die im selben Jahr nebst langer italienischer Dedikation bei Artaria & Co als Opus X in Wien im Druck erschienen) war. Musik, und hiermit seien neben rein instrumentalen Werken wie Liedern auch ganze Kantaten gemeint, spielte bei den Logensitzungen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Neben dem Lied zur "Gesellemeise" (K 468) und der Kantate zu Ehren Borns (K 471) sei besonders auf die "Mauerische Trauermusik" (K 477) hingewiesen. Auch wirkte beispielsweise am 15. Dezember 1785 Mozart an einem Benefizkonzert zur Unterstützung zweier Musiker (Logenmitglieder) mit. Bereits ein Jahr nach Mozarts Logenbeitritt, 1785, tritt Mitte Dezember das "Freimaurerpatent" in Kraft, mit welchem Joseph II. weniger die Arbeit der Logen beeinschränken, als vielmehr der Arbeit revolutionärer Kräfte, die in den Mantel der Freimaurererei gehüllt als Mitschwimmer im Dunkeln bleiben wollten, ein Ende setzen wollte. So hatte etwa der Geheimbund der "Fratres de cruce" Anhänger des rumänischen Horia-Aufstandes versammelt, welcher 1784 gegen Grossgrundbesitzer und ungarische Magnaten ausgebrochen war und mehr als 100 Adelige, 62 Dörfer und 132 Adelssitze vernichtet hatte. Hierbei sah sich Joseph II. von zwei Seiten umzüngelt, einerseits der Adeligen, welche die vom Kaiser geforderte Ablegung der Privilegien verneinten und dem Volk, welches den Plänen des Kaisers ungeduldig Nachdruck verleihen mochte. Joseph II Wollte die Freimaurerei keineswegs verbieten, ihr aber grössere Durchsichtigkeit verschaffen: Die sogenannten Freymaurergesellschaften, deren Geheimnisse mir eben so unbewusst sind, als ich deren Gaukeleyen zu erfahren jemals wenig vorwitzig war, vermehren und erstrecken Sich jetzt auch schon auf kleinere Städte. Diese Versammlungen, wenn sie sich selbst ganz überlassen, und unter keiner Leitung sind, können in Ausschweifungen, die für Religion, Ordnung und Sitten allerdings verderblich seyn können, besonders aber bey Obern durch eine tausch engere Verknüpfung in ganz vollkommene Unbilligkeit gegen ihre Untergebene, die nicht in der nemlichen gesellschaftlichen Verbindung mit ihnen stehen, ganz wohl ausarten, °der doch wenigstens zu einer Geldschneiderey dienen. Vormals und in anderen Ländern 144 verboth und bestrafte man die Freymaurerer, und zerstörte ihre in den Logen abgehaltene Versammlungen, bios, weil man von ihren Geheimnissen nicht unterrichtet war. Mir, obschon sje mir ebenso unbekannt sind, ist genug zu wissen, dass von diesen preymaurerversammlungen dennoch wirklich einiges Gutes für den Nächsten, für die Armuth. Lind Erziehung schon ist geleistet worden, um mehr für sie, als je in einem Lande noch geschehen ist, hiemit zu verordnen, nämlich, dass selbe auch unwissend ihrer Gesetze, und Verhandlungen dennoch, so lange sie Gutes wirken, unter den Schutz und unter die Obhut des Staates zu nehmen, und also ihre Versammlungen förmlich zu gestatten sind."333 Es handelt sich also um nichts anderes als eine Regelung der "Versammlungsfreiheit" mit den Forderungen: 1. dass Logen nur in Städten mit Regierungsstellen, nicht aber auf dem Lande oder auf Adelssitzen entstehen dürfen, 2. Behörden von deren Versammlungen informiert sein müssen, 3. Mitgliederlisten und Namen der Vorstände (ohne Nennung des Freimaurergrades) müssen jährlich eingereicht werden und 4. wurden alle Winkellogen und ähnliche Vereinigungen verboten. Ausserdem waren an keinem Ort mehr als drei Logen mit je 180 Mitgliedern erlaubt. Die Wiener Logen folgten dieser Forderung, indem sie die Logen "Zur wahren Eintracht, "Zum Palmbaum" und "Zu den drei Adlern" zur Loge "Zur Wahrheit" vereinigten und aus den Logen "Zur Wohltätigkeit", "Zu den drei Feuern" und "Zur gekrönten Hoffnung" die Loge "Zur neugekrönten Hoffnung" hervorging. Innerhalb kürzester Zeit traten viele Mitglieder aus den Logen aus, von den vor dem Erlass in Wien mindestens 600 bis 800 Freimaurern blieben 400 übrig, die sich binnen eines Jahres nochmals auf die Hälfte reduzierte. Mozarts Loge "Zur neugekrönten Hoffnung" war im Januar 1786 neugegründet worden und vereinte 116 Mitglieder, nachdem es in den ersten Jahren zu zahlreichen Neuaufnahmen gekommen war. Wenngleich Mozart nie ein höheres Amt in dieser Loge bekleidete, war er neben dem Buchdrucker Ch. F. Wappler der einzige, der ihr von 1784 bis 1791 durchgängig angehörte. Neben seinen musikalischen Logenarbeiten ist dies wohl Mozarts wichtigster Verdienst um die Loge. Gerade in den aufwühlerischen Zeiten der Französischen Revolution sah man in den Freimaurern getarnte Untergrundbewegungen und auch die Zauberflöte sollte diesem Vorurteil zum Opfer fallen (1794 und 1795 erschienen in Wien Schriften, welche die freimaurerische Symbolik der Zauberflöte durch eine politischrevolutionäre ersetzen wollten). Ganz den kaiserlichen Forderungen Recht tragend, keine Geheimnistuerei zu unterstützen, enthält Mozarts Zauberflöte viel der Freimaurerei Themenverwandtes: einem bürgerlichen Publikum stellt Mozart einen Geheimbund von "Eingeweihten" vor, es wird die, nach zahlreichen abgelegten Prüfungen erfolgte Aufnahme eines Prinzen in den Bund der Priester des "Osiris und Isis Kultes" gezeigt; weiters denke man bei der Bühnengestaltung nur an die drei Tempel, welche zwar nicht freimaurerisch mit Schönheit, Stärke, Weisheit beschrieben sind, aber mit Natur, Vernunft, Weisheit. Von Tamino wiederum wird Tugend, Verschwiegenheit und Wohltätigkeit verlangt. Auch Requisiten, wie Palmenzweige, ägyptische Hieroglyphen und Verbinden der Augen sind der Freimaurerei entliehen. Ebenso wie die Mitglieder Sarastros' Bund nicht immer einer Meinung sind, waren es auch die der Wiener Logen. Mozart selbst war mit dieser inneren Zerrüttung unzufrieden und verfasste ein heute verlorenes Konzept der Reorganisation eines neuen Ordens mit dem Namen "Grotta". Und in seiner letzten Logenarbeit, der "Kleinen Freimaurerkantate" (K 623), deren Aufführung Mozart am 18. November 1791 zwei Wochen vor seinem Tod leitete, ermahnt Mozart seine Logenbrüder: "Verbannet sei auf immer Neid, Habsucht, Verleumdung aus unsrer Maurerbrust"334. Überhaupt zeigt sich in diesem Text die eilge Verknüpfung von Empfindsamkeit und Freimaurerei: „Wohlan ihr Brüder, überlasst eUch ganz der Seligkeit eurer Empfindungen."335 Mozart erlebte das Ende seiner Loge nicht 333 . . 3J4 Zitiert nach Braunbehrens, S. 260ff ibid 145 Lehr, die, durch Verordnungen Franz IL verfolgt, Ende 1793 ihre Arbeit einstellte. Es sei am Rande noch erwähnt, dass Logentätigkeit und Kirche in keinerlei Widerspruch zueinander standen, hingegen gab es unter den Wiener Logenmitgliedem eine ganze Reihe von jcatho Ii sehen Priestern. Zwar hatte der Papst 1738 und abermals 1751 die Freimaurerei als Hetzerei verdammt, seine Meinung aber besass in jener Zeit der Schwächung des Papsttums keinen hohen Stellenwert. Schikaneder war übrigens seit 1788 ebenfalls Freimaurer. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass Mozarts Zauberflöte keinesfalls die einzige Freimaurer per war. Zehn Jahre zuvor hate Johann Gottlieb Naumann (1741-1801 )in Dresden die Oper (jsiride (Osiris) geschrieben und zwei Jahre vor der Premiere von Mozarts Zauberflöte hatte Pavel Vranicky (wie Mozart 1756 geboren, 1808 in Wien gestorben), ein Komponist Tnährischer Herkunft, mit seiner Freimaurer Oper Oberon grosse Erfolge in Wien gefeiert. Bei all dem freimaurerischen Inhalt darf man nicht vergessen, dass es sich hier nur um Symbolsprache handelt, an keiner Stelle werden etwa, wie heute in manchen Inszenierungen zu sehen, freimaurerische Kleidung gefordert. Die Sache an sich bleibt ungenannt, Mozart und Schikaneder wollen eher dem Bürger die Angst vor Geheimbünden nehmen, als diesen in die verborgenen Rituale einzuweihen. Soweit zu einem empfindsamen Interpretationsansatz der Zauberflöte. Joseph Haydn „Hayden hat noch nicht viel für die Bühne geschrieben. Er könnf es, wenn er wollte."336 Mit diesen Worten zollt Joseph Martin Kraus in seiner Schrift Etwas von und über die Musik fürs Jahr 1777 grössere Hochachtung, als man auf den ersten Blick denken sollte. Vergessen wir nicht, dass er in jenem Werk an keinem der deutschen Opernkomponisten auch nur ein gutes Haar lässt. Ob dieser Satz Haydn motiviert hat? Wir wissen es nicht. Jedoch hat sich Haydn als einer der wenigen süddeutschen Komponisten intensiv mit den Ideen der Empfindsamkeit auseinandergesetzt. Ich denke da nicht nur an den Variationszyklus in f-moll für Klavier (Hob. XVIf/6, 1793), an die d-moll Sinfonie Lamentatione (Hob.1/26, vor 1770), an seine 126 Baryton-Trios (Hob. XI), an Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze (Hob. XX/1A, 1776), mit denen er die von Graun eingeschlagenen Pfade der Teildarstellung des Leidens geht - es wäre Aufgabe einer eigenen Studie, Nordismo in Haydns Musik zu untersuchen. Auch die Themenwahl, etwa der drei 1761 entstandenen Tageszeiten-Sinfonien Le matin, Le midi, Le soir (Hob.1/6-8) - man denke an die Rolle des Lichtes - ist empfindsam. »Eine schöne Gegend unterm Sonnenhimmel ist am feurigen Mittage ganz anders als am Abend, und am Abend wieder anders, als am Morgen - wenn auch gleich am Morgen, Mittag und Abend immer die nämliche Gruppe ebenderselben Gegenstände da ist. Am Morgen wird uns gemeiniglich wohl ums Herz, und unsre Seele ergiesst sich in Freude. Am Mittage steht die Sonne in ihrere Pracht und Macht, und die Gegend liegt mit hohem Licht bekleidet. Wir fühlen das, und bewundern es; aber mit Ermüdung. Am Abend senkt sich unsre Seele gern in stille, sanfte Betrübnis, sieht mit Wehmut das Scheiden der Sonne, und wandelt durch die grünen Schatten [!], wie beklommen hm."337 336 337 Kraus, S.92 Carl Theodor Beck: Emst zitiert nach Sauder III, S. 107 146 jydn hat sich früh mit C.Ph.E. Bachs Stil auseinandergesetzt, wie Georg August Griesinger seinen Biographischen Notizen (Leipzig 1810)3",s vom November 1749 berichtet: Um diese Zeit fielen Haydn die sechs ersten Sonaten von Emanuel Bach in die Hände; „da j^jrn ich nicht mehr von meinem Klavier hinweg, bis sie durchgespielt waren, und wer mich gründlich kennt, der muss finden, dass ich dem Emanuel Bach sehr vieles verdanke, dass ich Lj verstanden und fleissig studirt habe; Emanuel Bach liess mir auch selbst einmal ein Kompliment darüber machen."339 und Albert Christoph Dies berichtet in seinen Bibliographischen Nachrichten von Joseph Haydn (Wien 1810, S. 37): „Haydn wagte, in einen Buchladen einzutreten, und ein gutes theoretisches Lehrbuch zu fordern. Der Buchhändler nannte Carl Phil. Emanuel Bach's Schriften, als die neuesten, und besten. Haydn wollte sehen, sich überzeugen; fing an zu lesen, begriff, fand, was er suchte, bezahlte das Buch, und trug es ganz zufrieden fort." Dies zeigt im Weiteren, wie wichtig für Haydn Bachs Anleitung war. Ich kann mir lebhaft vorstellen, welch neuer, stürmisch-nördlicher Wind Bach in Haydns Segel trug, die nur an friedlich, südliche Zephiren gewöhnt waren. Im Wiener Umfeld musste Haydn damit auf wenig Verständnis gestossen sein. In Haydns Werk jedoch finden sich häufig Züge der empfindsamen Art. Die Achtung vor Bach beruhte auf Gegenseitigkeit: auch Bach kannte und schätzte Haydns Werke. Auch Haydns Zeitgenossen nannten ihn mit Bach in einem Atemzug: "Nur Bach und Hayden bedürfen alles zu allem um ihre originelle Laune darzustellen" schreibt Reichardt 1782340 Udwig van Beethoven Auch Ludwig van Beethoven hat das Melodram gekannt und dessen Dramatik gewürdigt wie sich in der Gefängnisszene (H/12, 2. Nummer des zweiten Aktes) zeigt, die Beethoven mit Melodrama et Duetto überschrieb: HM (WH fUrr. "fflrrb.......... 339 310 Faksimile: Leipzig 1979 'bid,S. 13 Reichardt, Kunstmagazin I, S. 25 147 Leider hat Beethoven mit Fidelio 1804/05 nur einen seiner Opernpläne verwirklicht , wobei meines Erachtens dem Plan aus dem Jahre 1803 eines szenischen Oratoriums Nero nach einem Textbuch von August Gottlieb Meissner besondere Beachtung gebührt. Meissner, den wir ja schon dank seines von Praupner vertonten Melodramas Circe (Siehe S. ..) kennen, könnte empfindsame Elemente gerade bei Beethoven vermutet haben. Dennoch können wir einem Brief Johann Friedrich Rochlitz' an Gottfried Christoph Härtel vom 9. Juli 1822 entnehmen, dass Beethoven bereits der Ästhetik Engels näherstand, dass er in der Literatur Klopstocks Werke als zu reich im Affektenwechsel und zu schwer empfand. „Seit dem Karlsbader Sommer lese ich Goethe alle Tage - wenn ich nämlich überhaupt lese. Er hat den Klopstock bei mir todgemacht. Sie wundern sich? Nun lachen Sie? Aha, darüber, dass ich den Klopstock gelesen habe! Ich habe mich jahrelang mit ihm getragen, wenn ich spazieren ging und sonst. Ei nun, verstanden hab ich ihn freilich nicht überall. Er springt so herum, er fängt auch immer gar zu weit von oben herunter an, immer Maestoso! Des-Dur! Nicht? Aber er ist doch gross und hebt die Seele."342 Beethovens Afera-Plan wäre um so interessanter gewesen, da er zur Zeit eines stilistischen Umbruchs entstand, wie dessen Schüler Carl Cemy konstatiert, „da er [Beethoven] bis zu seinem 28ten Werke (um 1803) dem Mozart-Haydn-schen Style in einem gewissen Grade treu blieb, hierauf aber bis ungefähr zu seinem 90sten Werke (von 1803-1815) seine ganze wahre Eigentümlichkeit entfaltete und hierauf (bis an sein Ende 1827) noch einmal eine neue Richtung einschlug, die nicht minder grossartig ist, sich aber bedeutend von beiden frühem unterscheidet"343 Bei einem Blick auf Ludwig van Beethovens Klavierwerk sind noch Ausläufer der Empfindsamkeit erkennbar, die bereits ein Aufglühen der Romantik am Musikhimmel sind. Beethoven machte eine Entwicklung durch, die von seiner Zeit durchaus wahrgenommen wurde, wie oben genanntes Zitat Carl Cernys beweist. In all diesen Schaffensabschnitten wählt Beethoven wiederholt Satzbezeichnungen, die geradezu empfindsam geprägt sind, so beispielsweise ist in diesem Zusammenhang die Sonatenbezeichnung pathetique des op. 13 (erschienen 1799) zu sehen, die Sonata quasi fantasia op. 27,1 und 2 (1802), einige Adagio con e^re^/otte-Bezeichnungen (op. 27, 4, Satz), Les Adieux op.81 (um 1814) sowie dem Mit Lebhaftigkeit, Empfindung und Ausdruck überschriebene erste Satz von op. 90 (um 1817). Ahnliche Bezeichnungen finden sich natürlich auch in anderen Werken Beethovens, wie etwa un zweiten Satz der letzten Violoncello-Sonate op. 106,2 mit Adagio con molto sentimento überzeichnet. Nachfolgend habe ich eine Tabelle erstellt, die zeigt, wie man nach Carl Cernys 1842 in Wien erschienenen Abhandlung Die Kunst des Vortrags der älteren und neueren 34j siehe hierzu: Rudolf Pecman: Beethovens Opernpläne, Brno 1981 34~ zitiert nach: ibid, S. 21 Carl Cerny: Die Kunst des Vortrags der älteren und neueren Klavierkompositionen oder Die Fortschritte bis ^ neuesten Zeit, 2. Capitel Über den richtigen Vortrag der sämmtlichen Beethoven'sehen Werke für das Piano alieb, Wien 1842, Faksimile Wien 1963, § 9., S. 34 148 fflavierkompositionen oder Die Fortschritte bis zur neuesten Zeit mit solchen Bezeichnungen verfahren soll: Ludwig van Beethoven Carl Cerny Sonate pathetique (1799) Die Introduction wird so langsam und pathetisch vorgetragen, dass wir das Metronom nur durch Sechzehnteln bezeichnen können (2. Kap.,§ 17, S. 45) Sonata quasi fantasia (1802) höchst poetisch und dabei für jeden leicht fasslich. Es ist eine Nachtscene, wo aus weiter Ferne eine klagende Geisterstimme ertönt (2. Kap., § 22, S. 50f.) Diese Sonate ist mehr Fantasie [...] und alle Sätze bilden nur ein zusammenhängendes Tonstück (2. Kap., § 23, S. 52) Adagio con espressione (1802) ruhig, ernst und mit Gefühl Les Adieux(1814) mit tiefem Gefühl, sehr legato und singbar. [...] Die Überschrift dieses Satzes: (Les Adieux, das Lebewohl) deutet hinreichend an, dass das Ganze ein tief bewegtes Gemüth schildern soll, welches sich auf kräftige und lebhafte Weise ausdrückt. (2. Kap., § 32, S. 63) Mit Lebhaftigkeit, Empfindung und Ausdruck (1817) erhält ihre volle Wirkung durch das rasche, freie Tempo [...] die möglichste Lieblichkeit und Empfindung (2. Kap., § 33, S. 64.) Adagio con molto sentimento Sehr langsam, sehr legato, und mit tiefem, schwermüthigen Gefühl (3. Kap., § 16, S. 92) interessant ist in diesem Zusammenhang der zweisprachig bezeichnete zweite Satz von op. 109, italienisch und deutsch. Über die zunehmende Verwendung deutscher Satzbezeichnungen habe ich ja schon auf Seite 12 nachgedacht. Auch dies kann man bei Beethoven als Nordismo bezeichnen, der sich 1817 - und nicht nur da - wiederholt. Auch wenn sich Cerny in seiner Publikation als ehemaliger Beethoven Schüler etwas als Interpretations-Autorität aufspielt, wird eines klar: in den Ausdeutungen der Satzbezeichnungen dominieren Wörter wie Gefühl und Empfindung. In diesem Zusammenhang sei auch Beethovens Beschäftigung mit der Fantasie genannt, was ja aus den Bezeichnungen „quasi fantasia" schon seine Andeutung findet. Jedoch ist die Fantasie bei Beethoven eher Jugendwerk, nur zweien, op. 49 (um 1802) und op. 77 (um 1810) kommt eine wirkliche Bedeutung zu. Dass Beethoven den Fantasie Begriff nicht mehr so frei wie Carl Philipp Emanuel Bach verstand, beweist seine Fantasie für vier Hände, die vor 1800 entstand und im Zusammenspiel zweier Spieler natürlich sich keine echte Freiheit erlauben kann. Ebenfalls ist für Beethoven jene Überraschungsdynamik typisch, die nach einem crescendo ejn plötzliches piano verlangt. 149 Was aber sollte ein Musiker empfinden, der weit von Wien entfernt Beethovens Sonaten kaufte und sich nun vor seinem Klavier mit der Frage beschäftigen musste, was denn jgr Komponist selbst empfunden habe? Diese Frage ist Gegenstand des heute leider weit ^bekannt gebliebenen, mit ironischem Unterton geschriebenen Artikels Commentatüincula in Friedrich Rochlitz' Für Freunde der Tonkunst von 1825344 penn allein der Wille musikalisch auf dem neuesten Stand zu sein, reicht dem Schreiber nicht- „Wir lesen hier auch die Leipziger musikalische Zeitung; wir, in Hinterpommem. Nur bekommen wir sie etwas spät: dafür aber auch bündelweise. So ist das letzte Bündel [...] von Ajino 1806. [.,.] Ich gehöre nun einmal unter die Menschen, die, wenn sie empfinden sollen, Vossen müssen, was? ja (einem alten Gerichtsschreiber, im realsten Realen ergrauet, wird man das schon zu Gute halten,) auch um was? für was? zu was? so dass ich den allgemeinen Empfindungen einen bestimmten Gegenstand unterlegen muss, oder es wird nichts Rechts mit meinem Empfinden, wie ich mich auch zu schmelzen bemühe.." Der Autor stösst in jenem Zeitungs-Bündel auf eine Rezension der Klaviersonate in As-Dur, op. 26, die 1802 in Leipzig erschienen war. , JDer Recensent verbreitet sich über sie nach verschiedenen Seiten hin, bleibt am Ende bei ihrem so bestimmten und innigen Ausdruck stehen, den er gar nicht genug anpreisen kann." Gelockt durch diese Rezension entschliesst sich der „hinterpommersche Gerichtsschreiber Bernhard" seine jährlich zur Seite gelegten fünf Prozent des Jahreseinkommens zum Kauf dieser Sonate zu verwenden. „Sie kam, sauber gestochen und wohlconserviert" und den ihm vorliegenden Gerichtsfall bringt Herr Bernhard zu einem schnellen Ende, „um mit dem Werk ans Pianoforte zu gelangen. Ich begann, ich fuhr fort, ich endigte - Himmel, mit welchem Genuss! Ich fing von vom wieder an, ich beschloss die Variationen: o Leser, da stand's vor mir; Alles, Alles stand vor mir, vollständig, deutlich, unverkennbar! Ich selbst stand nehmlich vor mir, in den entscheidendsten Momenten meines Lebens, abgeschildert wie aus dem Spiegel, in diesem Thema mit Variationen. [...] Nun versteht sich's von selbst, dass Hr. Ludiwg van Beethoven in Wien, als er diese Variationen geschrieben, nicht an mich Hinterpommerinken und mein bischen Leben gedacht hat: aber das ist ja eben der lebendige Springpunkt der ganzen Sache, dass Jeder, der nur beim Vortrag ausdrucksvoller Instrumentalmusik an irgend etwas denken will, gerade an das denken kann, was ihm zunächst am Herzen liegt, in wiefern es nehmlich für die Empfindung denselben Ausschlag giebt, wie die Musik; wäre das ihm zunächst am Herzen Liegende auch er selbst, und dieser Er-Selbst nichts weiter, als ein körperlich verfallender, neun und sechzigjähriger Junggesell in einer finstem, angeschmauchten Gerichtsstube. Ich dachte also an mich, wie wich war, ward und bin; und je mehr ich dachte, so öfter ich die Variationen spielte, desto heller ging mir das Licht auf, desto mehrere, desto nähere Beziehungen fand ich, desto enger traten diese zusammen und vollendeten mein leibhaftiges Conterfei." Das ist natürlich Kritik an der bereits im 18. Jahrhundert sich breit machenden Auffassung, Musik sei für jeden verständlich, verbinde gar Völker, wie wir es bis heute aus dem Munde vieler Politiker und Redner kennen. Das kennt man bereits von Gluck, der 1773 behauptete, er „habe eine alle Nationen gleich ansprechende Musik vor Augen, um den lächerlichen Unterschied der Nationalmusiken aufzuheben."345. Das war Trendsetting, was von Hiller 1781 viel profaner bestätigt wird: „Ey was! die Sprachen, die Dialekte sind so verschieden, dass man öfters einen Bauer vom benachbarten Dorfe nicht versteht, und die Musik ist für den ganzen Erdboden eine und dieselbe! Der Begriff des Schönen ist nicht bey allen Völkern einerley, und doch ist es der Gesang! Der Hurone singt wie bei uns der Ackermann hinter dem Pfluge!"346 Das klingt ja fast wie Lenin: „Die Kunst gehört dem Volke. Sie muß ihre tiefsten Wurzeln in den breiten schaffenden Massen haben. Sie muß von diesen verstanden und geliebt werden. Sie 34s Friedrich Rochlitz: Für Freunde der Tonkunst, 2. Band, Leipzig 1825, S.398-427 346 zitiert nach Schleuning, S. 317 Johann Adam Hiller: Über die Musik und deren Wirkungen, Leipzig 1781, S. 117 150 muß sie in ihrem Fühlen, Denken und Wollen verbinden und emporheben. Sie muß Künstler in ihnen erwecken und entwickeln. Dürfen wir nur einer Minderheit süßen, ja raffinierten Biskuit reichen, während es den Massen der Arbeiter und Bauern an Schwarzbrot fehlt?... Haben wir immer die Arbeiter und Bauern vor Augen. Lernen wir ihretwegen wirtschaften und rechnen, auch auf dem Gebiet der Kunst und Kultur."347 Doch zurück zu Beethoven. Gerichtsschreiber Bernhard bietet im Weiteren eine Identifizierung seiner Lebensetappen mit den einzelnen Variationssätzen der Beethoven-Sonate, die so geschickt geschrieben ist, dass sie hier im Original wiedergegeben sei: 4o6__ " ' : S f) c ma; baá Gcgeocnc, btc Grimblagc/biŕ ' í)ícna!!:.íínbar.tc, i Zä but, SH-cťachtettaft, mcfyv cmp,. alí iruintcr, j bod) fanft, frrunbljtŕ) uni .gtfiIIis;':-.&(&tTÍ "gar ': m'djt obnc Ärafc, unb siVinctTpcc^cnby.-fnvalle.t; i SSefdjn'tcnfjrif. @í^, 8>ttn$«ti>," (aaíc.^d) ju. \ mir/gerabc fo teat bein ©cgcDcnci—r;b[e.Ôi;mib/^ íage »on Ôott bem .^crrn,; 6ľc,-,-l)crnqc^^č(tct';i " 'rnt»iťfclc mtrbcn fotíte: • getobe. fo'^jiiač&gbenjgj SSBcnigcn, :bc(RR bu. bid; áu* .ff^e'|f<ý|Äiia^É?ä 3fnéctc birí Davftt.' 3efe^W6wí^3p^Vuŕi|š cí bid; aud; madjc:.. ríimm etT-nod; iewmyiju/^'-fammcn :- cín Sunge, mcf)ľ-cfnfr/-,cíS'(imn.Ccľ/;ľi bod) fanft, frcunblid; .unb gcfäffíg; ba&ci-'gar3 ' nidjt ol)ne Ävaft unb viclBcvfpfcrfjmb,. irrnlfer > ©cfdjcibcntjcit! -3a ia;. fo f;aťtc.bidj bein ©d;.ií i pfcrauágrrtífrct; unb wťe gnáiig! .fo..b>tte,iQanj :| bíin fa'cngcr 23atct bid;, crr)altcn, beinc frommc 1 íWuttcf Bid) aufgenát)rt, foipcrlid; ■ Hnb-gci.ltja"; '} unb rote ficbrcidj! £>» tf}ť>crff baä Seine.liiHnieg, » tocil-ii gefdjeften fotíte; bcinc 5S3Anfc{)C ŕvfh;ccf-' 3 ten fid; m'djt wcilee, 0[tma; fiel), ©erufjarb, bat, gevabe baS fofitc i)ernad; weitet cnhöicfclc Witt ben_ STlun'frage einmal: wa$ ift benn baraus" jeiDorbenl (Erinnerung, ÖciinfTcii, unb ^Sectfju/ va\-S 53arto.rior.en antworten flärlidj: Vai-iatjo L ©a« Zfyema t|l rop()( ba, aber anfgclofrt in gigumi, bie Immerfort iverfjfcfrr mit abgefpanntev Siefc unb niifgcreijtcc Jpbfic. 3a bori;, ja! 34. war tii'*SängKn^ftift«sette; ton, war aufä Gtymnafium gefdjiret. fycv fjnttc ic!) aitenianb, bei' ftd; um midj Cefimmeite, au(jcr, bag id) -waä leinte. Singepfeegt «Mt irf) mit einev Xnjat)[ Jutigcit ffiotr«, aai beti »cefd;ie£>cnj ften Öegenben unb Sjci-tjältnifTcn jiifonimcngtfto; ien, ■ meift vor) unb gcmciii, SSeiitgc fcefier, SRaii^c a'jci- «udj fdjlcdjter. Eßerfadjte bein, wie oUe« mm einmal war, mid) nidjt ju fügen: fo warb id; von ben Xwfft^cttt gcfcviift, Clara Zetkin: Erinnerungen an Lenin, Berlin 1957, S. 17; zitiert nach: Musikgeschichte. Ein Grundriß, Teil II Hrsg. von Werner Felix, Wolfgang Marggraf, Vera Reising und Gerd Schönfelder, Leipzig 1985, S. 931. 151 4o8 von. bin ßlltfä&lan mfyattct .ober iKtfatgt? ba-gab.fd; mfo) bemt.^ln, unb warb,. mic (sie.. . SKcfH'M' war. Sa« cn& unb -1 rjcrnoiDHrtigcnb, aber rcijtc mid? getvaltfam auf ' ju bem, read icb, ffc£f$« ftieit> ju Ecidjtjtnn. ; unb freiem, reo$f gar frcvJcm Siutijc; »sijrf)aft: ' -Jpo^c^ tarn nidjt jur Sfnfpradje; unb fragte J ■ audj £rticmanb,-.ijb cd jat Xnfpradje Hmc, ; 23iefmcf;r aat man mit mit redjt woftj jnfricc.cn,. I wie ed ScJcrmann mit jertet SSariation fci;n wirb■ naf;rn mid; bod), mit den fic and;, nicfjt-übcl tmt, »crfiiefj flicht gegen bie 3tcgc(n unb ging ■ \ pfau|T6ef meinen ©ang. ' . ■ ' ~J Variatio IL ©ierje ta: bat. %fyma mir;- i bcrl unb ffofj unb pradjtig im ©aß! ailct 2fnbmy \ wiciro^l in rtidjcr %W.t, bodj nur .in furjeii, 1 4 i o --- entwrbcr gutmütig fdjwi'mienb« eber fifhg Oiv redjnenbcr S3o(fsfiif>Lrr; bie Suridprubrnj als ein« Cäiiweifung, bad Eficdjt imgejh'aft ju Beließen; bic «fficbicln «Id ein 3fggtegot jufammfnflcftoppeltcc, efpanber auffjebenbrr grfcifjrungcn unb ©djlüffc; bie g>f|ifofop^ie als eine leere ©piegelfedjtcrci, t>:c Scbcr'fTdj fclbfr vormadje; bie ©cfdjidjlc nid;t a6geffoßtncfi. SHoten ■ bĽum^rtfpícíenb! Sinn Ja • id), wic-fliii bem ©piegel gefíorjíco! 3dj war ein gereifter 3än3'<"g gcisorien; icf; fing einen neuen unb son jenem gánjtídj ucvfdjiebenen 'äiit fdjnitt mcíttcá EeSJeni an: id) Oejog bie llniucri [Mt ©er €inbfurf b£efer íufjerti JSetánberuiig auf baä Snnerc war groß. 3cý cafte'.midj (ufanu inen; fdj funíte, nie id; abgefommeti vom.guten ©nuibt^etna. Wie bieg ujicbcr.ju ergreifen fei;, ab«; Mit mefjr Sncrgie unb ■ ©elbltfrinbigfeit. Sic mir neue Jreí^cit uno Unaö^ingigieit crf)nß unb f Ľáftígfe mid)! a ŕ er ein iinge^icm-cr Súnfei,. jjod;nui£^ unb Xiaí} Ijeinádjtigtt [idj meiner. 3tf; fa!;c S3ieic meined Gíeid;en, bie lucniget wupten, ali idj: nun glaubte id; Jfllcr ju Bifen; idj fiíŕ^e nid;t SBenige, bie ftjúft unb jíigelíoá Ictten: nun gkutte idj ein ebfer iötcnfd; 311 fegii. 3« ^Ttfe^, ivaä id; baeijtc, lBofftc «nb tŕ)nt, bfang berucl'.' tciffcltc Jpodjmut^; amEnbc rimbetc er 7lü;e in mit ju einem frari'cn ©anjen ab, baé idj löo^t gar mein ©ijftcm nannte. Steine Starci' luarctt mit nun $ebantcn ober iefd;fiinftc S6pfe; meine 5bfid;cr, Caum einige alte Eiaffifcr uub ben ©^afipeare auigenommen, einfeitig, mangelhaft, Sie S^rofogic crfd;ien mir efá cín SuftgeMatJC -— " 4 i-i immer fo finben roofffe, ■führte «6er meine er/ iväfjnte SOiclobic im ftarren. ?&nffe immer Der6 fert, inbeg id; aDeä 3tnbcrc> in feiner Sülle unb <3dj6n!)cit, nur--gerabc inie in bef iCnriation — an mid; ^eranfpicien ließ, ti mefir von mir vt&frogerst, ali midj mit i£m »ereintgenb. ©adjte idj an bic 3"E"nft, fo loufjtc idj faum-, wo. id; in tiefer niebern SSelt mid; nur f;int^un. feilte mit ai( meinen S3ortiefflidjfeiten. Sa id; inbeffen geff ten-wollte, unb viel unb 'waS ©roped; ba id; begriff,id) mtlffe> um ba^in jti gelangen, biefe armfelige SBclt benn bod; Dei einem Sipfcl anfif; fen, wieircf»! fie'ö faum würbig: fo entfrf;:eb ic^ midj fi'a-'s Svegiercti; bat ^eifjt,.im Eoncrcteti genenimcn> für bie finigtidjc Eanbeörrgicriing, von wo ani ber SBeg feltft 6id in'd Cffiiniftemim offen fte^c.—gretmbe übrigen», f;erjlid;c, ^atf idj uidjt: üßer mir loofltr id; feine aus! 5rof, unter mir feine api J^odjmu(f), nefcen mief; ftcüte idj SJiiemanb. SJiädjtig ergriff midj aüer von 3«t }il 3eit bad ffiebiirfnifj, ju (ieScn unb gclicDt ju werben: bod;> gerne* war uidjt für midj, für $i«f)ii glaubte id; uidjt JU fcyri; ba jcvfdjiuolj idj benn f;eutc in ©c^nfudjt nndj ciricm fjimmlifdjen 'Jj^iintom, unb unvetfr^end morgen opferte id; 152 A-i i ■ —ř- irgenb einer fc^r irbifdjcn ©ťttfň. . . Jjíť auf, ■ íBcrnfjatbl i)ix- auf) Eá ifi genug, um- icmeth (id) 311 matten, Mi warefř cín 3}«rt tmb fd)ou auf bem SScgc tu címaá weit ©djlimmcrn; ja, b« I;Attcft mit.£cib iir.b ©crle ja. ©runbe getycu muffen, wenn (In) m'd)f ein fj5f)crcS Eriätmrn bůccin gcmífd)t nnö gefanbt $itte, worauf gnnj uni'CTfcnnüer anfpiclt Vaviatio III. ©djiuer unb fdjwcrmut^ý, tuúc tmb trü&|Tnnig, gleídjfam bai'nicbcrgtbetigt tmb nuc mül;fam, :bcrocgt fid). biefe SSariation fertj feußet bajwifdjcn auf in einzelnen 2fccotbcn burd)fd)nribenbcr Jjarmonie; »erhallet am'Ente bumpf unter-bet 2a(t uonEťnícbrigunjiSjcidjcn: 2íá moll, Jcbcr íon foírí) ein 3eid)en unb bei maßigem 2uiágrrifen mandjer woljl gac jwei. ©o id), burd)-bic - 3iťíti-utfje meines §iimtttifd)cn gů^verí! íQícin SOaíec unb alleiniger fBcrforget fiarb; bie geliebte toíutcer, cntínSfrct.burd) feine 'Pflege wd^rrnb jtócija^rigcr Äumfficir, folgte ií)m ba(b. . ©ein ©cfdjáfc war burd) bic lange ■Kraní^cit jerrtaet: iä) empfanb jum.frffcmnaf. iinabwciáííd), Id) feij arm. 3)ai erfte grdftc ben 9!cid)cn: ei f)a(f nid)tá; .td) mußte j - 4i3 2ín[íalť'mad)en, mein Skob 31t »erbienen. :Sn fcöTetn ©cíůfčDcrfraun mcíbcte ia) m!d) jum Er«' men. 2fn 2intwottcn ließ iiyi nitt)t fehlen unb I fprad)gcwanbt wac id) fd)on Dorn ©omnaßum fict; bie Jjcrreri gacultificn ließen mid) eine SEcile gewahren, bann fd)úttclten fic bie JjÄupter, (nti (id) fngte bcrEine: Jjicr fragt firfj'i nidjr, .iua£ in einer mbglidjin SBeit nac) bem Ermcflcn beä jiu'ci imb jmanjigja^i-igcn Jjcrrn Eanbibatrn ftyn tonnte, fonbern, maě in ber mii-flidjefl.lít; 6efte> §ct, befielen folT; unb nad) bat ga^igfcitc'n ba> für. SSon-tiefem wußte itf;.abct wenig ^.-.bc« íBotfábeuteí tyatte icf| ja »eradjtctl »on -U^tem 6efaß in) nod) ttJcnigcv — id) ^attc fic ja nidjt gcňíť, ba id) mit alle, jutrauete, wenn id) nuf wollte. ©0 befarn (d) benn— td),bcr bic erfte (Eatjilt fdjon fo gut alz in ber íafdje fjattr, bic briete; nid)t sic! bclfcr, alť Jtbwcifung: bic ĚLommH(ti>ncn aber, übet bic id) mia) ctyoßcn, 1 ließen mid), unt gar md)t auf fd;onenbc iSSeife, bemerfen, alt ^ctjlidj [ic mein QJefdjirf mir gónne^n. Saí Biß tiefer ein, ali Títmutí) unb feltft Jjunget: baá jmeite SB! — 2>u Willfl cö ifinen anbetá fagen! bad)t< id), unb arbeitete 'mit geucrcifcL- unb großter Jfnfticngimg eilt 4X4 --- SSctfdjen aus, woju.niic, waä id) f«|t erfnfi/ ren, bie ©timmung, Wae id) broefenweife ge.' bad)t ober gclernet, ben ÖScgenftanb jur Jjanb gab. ©er Site! war: SSom 9ied;t tint ben Sícájtcn. 2>až řlang nad) 'waá; unb ba id) uteri bied eine Ijodjbcíníge SCorrcbc Bolíce il'nmaßung. DOtgcfe|t Jatte: fo fanb fld) witflid; ein c^ifa; mer SÖud)f|anblcL-, ber, um ein ÍJjiííigcii, baá SScrf úbenia^m unb briicfte. 93Iit Cnnöcrcn empfing id; bie gvcicřcmplare,—lief cind buid), unb warb in meiner SSomic bloá. biitd) tic Scutf: ftlfltt-gtftbtti ňber bic id) mit allen ©licbftii jappclfc; bod) nur auf 21ugcnf>[icfe. : Sc&t aöer bic-3icccitfcnttit — ! 3iHe, ad) attc • o^nc 3íiií--' nahrne, waren einig Aber mein SEcrf. SSEaá fic fagten, lief baranf ^iunuö: bev 25crf. ift waf)r.-fdjeinlid) ein rtingcc fflicnfd), Biclicidjt nidjt of;nc Salcnt, a6cr gewiß o^nc ^enntniffe; tmb — bai Scfitcte bctöieffn (ie, inbeß fie baá Crfterc nur ali-eiiic 9R6glid)tcit einwarfen! ©ic^ic bňá bfitte, nod) fiel niclje ücitgente Erniebtigungá; jeidjen! — 3cnen ©cWeifcn tonnte id) nid)t im: bevftel)cn, wenn ia) i^uen nud) wiberfpead): fo wollte id) betSScIt unb i^rem GJltltf■ »on. nnbtm- ©citc beifommen. SBir Rotten auf bem. -;—— 4i5 ©ymtiafiiiln lateiuifdje Scrfif. jiminctn ■ gelernt unb ^eimiid) \vat/( aud) bcutfdjc von uni gegeben. Sitiigc meiner lieber: ©c^nftidjt, ©ic an 3f)n, bie fi'tuftigc ©cliebte u. bgl., Ratten ben SScifall bec Öi;mnafiaften nidjt ganj Wrfc^lt; ^ernnd), mtf bec llninerfltit, ^otľ id), außer ja^Kofcn gragmentiu für mid), verfdjicbcnc Sclcgcn^citri gcbid)te für tic g.imilie beá Jpettit Dtci'bt'irgcr/ mcifterá, wo idj Suttitt ^atte, veefaßt, bic cinrá gleidjcu Q>cfd)tcfä, ícfonbcfá bei ber angenehmen »flau teffelbcii, (idj ju .erfreuen geijabt; cíncá, bai id) if;v in'á 23odjctibcttc gefanbt, Unb bai in «d)c unb iJttKinjig ©tropen ben .3ícugc6ornen, ben id) freilid).nod) nidjt ge|"cf)cn, alseinen leib; f)nftigen Engel, auf ben (wie billig 6ci einem Engel) alíeá Stoße unb Jj.cĽľlidjc ber SBrlt nur watte, 5crauáge|tfid)en —bieá Öebid)t war fo.' gar von ber mir fc§c wcvtijcii £rau unb bcit ÖJiiMtttrinnrn am Sauftage fúr, ein tt>a^tt)aftigfá 2Ccifífrwtrt ber.Qiotjtc «(ÍÄrt woiben. Q5ei fol/ d)rn ÖJaben unb'Erfolgen laßt (Id) 'waä wagen! 3dj wagte brum — ein gfeßca <5eaucľfpieí. ©ílx f;c(m ber Eroberer war mein Jjclb, bie roinmi; n5fe cnglifdjc SBcit[;i|rovic narfj STwumgaitcna Ueberfetung meine, auelle. Jd) glaubte ben 153 4i6-- flOcrttcitct-ndjcn 9Wnjeri mit feinen Wlfben, vevi megrncn-Kerfen, imö flit fein gewaltiges SSScfcn unb Zt)Uri-, fugfid) unb gniSstiaj In dir. funft^atG ©tunben bcr JpanMu'ngjufanimcngeprcgt ju t)a* ten. . SerSffect mußte: r}inrc(ßcnb, unb bem fcer DMtiber' ©differs, bie eben bamald nrg mi motten, liid)t und^nlid) fcpn. 3d) fdjrtcb far alle' Sweater (Eopfecn, fdmmtlid) mit eigener ^lanb ■ unb fau6er: fein ciajigeä weifte meinen SBil; f)clm aufführen; id; fdjicftc if;n pofrfrel a«f bie Scipjigcr ©udjrjdnblct.^SJiefie: fein einziger wollte ir)n brucfen. 3nÄ3rrjn)ci|Tung fanbtcid) tie »017 juglicfcffMi meiner (i;rifd)cn Gjebidjte .nadj Gibt* fingen an Q5oje, bcr ben gefeilten SJiufenat.' manad). r)trau«ga&: id) elicit (Tc - juritcf unb mit einem ©d)tciben, bad, fo f;6ftidj ci fonft war, bod) fänftige 3ufenbungen fl&ntlctjnen fdjicn. ©as roar benn ba* vierte Srnicbrtgungsjcidjcn, uieuc'idjt bad fdjmerjlidjfte »tu» äffen; unb tdj fag mitfjin in %i bur, biefer crn(ten unb (Irengen Sonart. ©ie critics cnblidj aud) i^rc SBirfung: tiadjbcm id) ausgetobt, für)ltc id) mid; wirflidj fe^c ernft unb maegte bie cr(lcn SOtrfud)e, mit ©trcnge in mid) fclbft jurürf ju Miefen. 31» bicfem 'nur, «i[junitf;igen Giefdjflft fcorte mid) — 4,7 aber cíiaaíi imb jiüar bie gcmciiifte STCotf;. 3dj . ř>ařtc frfjon íóng/í midj 6«.tr)řl%n JSrimcrí íeiiteir. in. SBo^nung unb tfofř^aí&ja^rig-jafjlí 6«r, »«bangen; id) ffanb in Jfnfc^n .'mtb guter Pflege bei if)ncit, weil idj půnítíid; jafjíte. 3c£ě jiim cr(len.íK«fe fonnť id/baš nidjt. Sic Ecute íwwcfjten baá-3J)rige: id) wußte ba4, unb faí, '«Uí jebem ib>« Sölicfe, aß mit jebem i$Kr.Bif{ fen,.eine fflíafjmmg. Síjc f)attč[id) llntcrflú^ung gefuojt; té mar mein ©rrfj fint) Sfcrofc, (ie nie« genbá jtl filojcn; jc(jt mußte id) bran, unb £f>at midj, jrigte ib> bfc ©ffegcnr)eit unb erinnerte tf;n an. (nn.SBcrfpecdjcn. iOlit umfcijrcnbcr Q>oft erliefe-jd) .in .qintm brei goiiofeiten langen Briefe bic !iin(Išnb(id)(fc 3lad)(id)t von feinem .9Kagcnf;u|tert, IL 2; 418 -- ber ífyn fa(í. tcbcnfíid; mnd)c, von feinen fúnf Äinbern, bie" ^cranróiW)fen unb immer met)r So/ fcen ,»erurfad)tcn, .'r-»on. ben. niebrigen. greifen bei (Üctreibci1 unbbeř ©d)hofi»oBe —unb unten in-.bcr.£cfe ftanb'mit . f leinen :íSud)frabcn ba* 'pofřfcripť: .-3,2fn(angenb 5>cin Sefud), fo fann efnflrociiigc SBeriuunbcrung nidjt bergen, foidjcí ju scvnE^mcn, inmalcn in einer 3:tt, fo fd;recf>t file mid), fo gut fur Sid), gelícbtcfter ©ern^atb, maßen Sir ja' nudfrubicrct unb, »itfS ©Ott, jil vielen fd)6nen 3icmteni gefdjieft biß;'' alá" moju Sir [;iermiťnUe'erfIeď(idjen SBflnftf fttcue.»ou Jjericn; mag aud; nod)mnlen nidjt »erhalten, fůr Sid) ju tf)un,. luai in meinen Äriftcn: wo« aber, leiber; mit Selb unb Gielbcíweit^ ř)ic6e«or mit nidjtcn bcr gall, ift." '3d) frútfte baí fiapier íufammen, fnivfdjtc mit ben Sännen/ imb' Mr|ud)t«;" grimmig' aufjulndjcn: bná ^alf mir aťer alleí nid)tä, unb id) mußte ci aíé baí fünfte; tief citifdjiicibenbc © ^innc^men. ' — 9Ta'd): mand)en bufd)fimpftcn Sagen unb 9Md);' ten mar id), crfd)6pft an Sraft unb ^odjmiJtt),-t)iS-baf)in gebieten, :baß id) auÄiicf: Säuret benn t)in, iřjc fdi6ncn gMane fftr bie SBelf:unb -fiie mid)! beuge bid);1 STtarf en, ganj 2fnbereS ju tragen ( . ■ - * '9 6e|{immt, unter bat 3od; er6(5rmlid)cr S3crr)iSlt.' niffel ucrmictfje bid), ISIann, wie bat 6linbc SJfrrt im emig glcid;mAßig umlaufenden ©d)6pf.- * rab, auf (Einem SlecE »on früt) bis fflarfjt bie Änodjcn ju regen, um nur nidjt 'nicberjuftütv j«i! Stauf unb bran; gieid) auf bot ©teile! r-r ffiner ber Mntctftcn 'iletuatien bei ffliagiftrat* war geftorben nnbnod) unerfegt: id) ging jum Dberbürgei'ineifret, meinem $>airon, unb- fjielt an. Eieber junger ffllann, etwiebette er; aGeä in berSScft; nur bruJ uid)t. ©ic |lnb uid)t fi'it [ig einen Qiofceu. Ueberbicß f;ab' id; mein SBort fcl)ön fi'ir einen 3l'nberu ■ gcgcücn; unb j'.vat Btci* net Stau, bie. mid) für ben bewerbet bringen!) angegangen r)at. Saä — c6en von i^m — eben • bind) fic; ein. neues, fdjWtrtf Srniebcigungä/ }eid)cn; taä fcd)|tc. — 3e| ging fort,. (;inaii(J Itfi greie;. mein Jpctj iuar jctfniifd)t, mein ; ffliiit^ ba^in, irfj füllte mid) wie an £eib unb ©eelc wunb. Jfllf ben 9tain jioifcf>e*n jivei Sern/ Ii felbcni warf id) midj nieber, ließ gebanfcnloS ben ©djmcrj an mir nagen, unb, 'ofjne baß idys '• wußte, tropften meine "Slitäucn— feit Sinter; I jar)reu bie ec|ten — in bat &tti r)crnicber. Siiblid) wenbc id) mid), unb fcf)c einen 5Kann 154 iťf mír (fcf)cn/ 6cr aufmetffam auf mid) fya untcrbíicff. Eť war'unfer^alter, djtwúrbfgcr Jjau^tpaftor; 'mir rannten cInanbtr Don weitem. 3d) fpringe auf; ct retet midj an, tf;ci!nef}mrnb i unb1 freunbüdj; cr íabet micf> ein, wittern jit gcl)cn; fanft bringt er in mid), mid)' íf;m fa «offnen. Sßetiubt im Äopfc, cnreidjt im JJcr* I jen, bebenfe id; mid) m'djt unb crjÄ^ie, was :. mír lunidjft tm ©innc lag; bie beiben (c^tcn Erfahrungen nefymiidj. Er f)&:t mir frill unb aufmertfam ju; bann-fagt er. 6!oé: Saja;- ucr« laffct cud; nid)t auf Sřienfdjcn, fpridjt bcr Qctt. SBof;!! rufe id) aué, unb meine Jjcftigfctt fe^rr. jurůcf; ujofjl! ci fey bcfdjloljen: wie ci mir aud) ergebe, id) nerlafic mid) nic micber auf 93icnfd)cn, unb allein auf mid)! ,,©inb ©if feiner?" fagt er crnft unb fcierlid), inbetn er flcljcn bleibt unb mid) fd)nrf in'a 2fugc faßt, ©icß riufadjc SBcjvt burdjjucf tc- mid), wie ein clrítnfdjer ©d)(ag: aber id) ftemmte mid) ba* gegen unb goß eine ftriibelnbe Slutf; klagen unb íínfdjulbigungen vov mid) f;in. Er fagte (ein SBort. 34 eines trS|tlid)cn 3ufprud)í — «d) fo bcbňrftig; id) feinte mid) barnad) fo bür' fliglid); fein Sßort! Unb ©ie ■ fagctj mir gar nldjrt, 6a Id; bod)'mein 'Jpcrt '«of Sfacň fdj'ütrc? begann Id) eiiblld;. SSae id) 35ncn fasen ' fänntc, antwortete et gclaffcn, baé aufzunehmen it fdjrinrn ©ie nid)t" geneigt. SBirrn ©it ci bod), ober würben ©íe cS: fo fommen ©ic ju mir. Ein tflellnefjmcnbcr Empfang i(l Spnen gewiß.— Sßir waren am í^or: et fdjieb «on mir. Sa* flebcnte crnic&rigcnbc©!— 2Bc(d) ein langer EommeiUnr Uber birfe 23 bod) pianissimo, wie angemerft iff, fpcrpot/ '■ iringt. ©a f)aben uiťi ja: mcín3u(tanb, »oic J brei SSodjcn; fo bafj id) faum nod) etwaá f)in* ; ■■ jujufc|en finbe! 3d) war in. gdnjtidjcc Apathie I , nad) außen ^in: befto bewegtet arbeiteten ineinc Grifte fter) aů nad) innen. S3on mir fctbfr fonntc {d/nidjt ab; id) brütete über meinem SBcferi, feinem SJctmögcn, feinem SBrrtr); . id). fann über mein £cten, feine €reigni(Tc, feine ^effimmun.!, feine 2fugfid;tcn. Sa« alte ÖJrunbt^enta, wie öS cr(l in ruhiger Einfalt, fjernad) in prunfenbem ©to'i (td) Sf!fcn flcmodjt, fdjicn nun uetlorcn; eine bunffc ©d)iuermiit[; umpfing tnid),in(b in tiefen 3tMifc(«6nen, balb in cinjclncn fernen ^offnungilaiiten [id) au^la([cu6: «bei immerfort nod), ntrmf)l jaitj Icifr, erflangen £10^11, rnlll) tmb oOftopcnb, . bic .tinc'bcß ■?tof;ei! unb bft Erbitterung. 3" einem flarcn :3icfu!tatc tarn'« nid)t; nid)t einmal frtr incinrti iEerftanb; wie viel weniger für meinen SSiüen. %u b« ttftca jener SBodjen fagten meine gutmütigen SBSittfyit leutc: geit S^iicri.'ctwaiS! ©ic:fe§cn'nid)two^l aui. 92fr'fcf)lt nidjt«; antwortete id) vluq unb pafjig. 3" b<"r-jweifen. fagten (ie::.@ic finb. gc n,ii(j:nid)t B»^l{ :©ic (elften fid).abwarten. [£ bort,.in 2fnfprud) genommen,-unb eine. (Tdjcrc/ivo^fgculjfc.jjanb vorautfgefeft wirb. 3d) vcfdjrciljc mit oUc bem, 3ug für.3ug, weitet wd)t&, ttt.waltft E3ayiotipn entölt ünb 3ebet in ffyt finben fann: unb, rvun&er&ar! gfcidjfatfö 3ng für 3üg Witt bad) bamit jugfeidj. ber 3u; |tanb &cfd;ric6cn, bei-.mit. jenem Scfudjc fit miá) anfing, bei" faff ein fyatícš ^efyfyühbm ijcrrfdjcnb ber meinige getoefert ift, in bem id) ttod) r)cufc 6c£arrc, unb Sei bem mir nidjtí I ' 6le£6t> «(í, mít ©otíeí Jpůtfc, roaí ten ©píc.- ! lern an ten Saríationcn — bie (urje £ o b a, ber muba&ííer&cnbc 2íuágang. — Klein e^rwůttígct [ 3fíter ^atíc mir, nad) jener erflcn imb einer jmeiten unb britten Unterhaltung, vorgefdjtagen, j 6ií fíd) .fccfjcre S3cfd)áftigung fänbc, feine jaf)(.-retdje S3iĎIiotf;ef in Orbnung ju dringen, unb uber fie unb feine otten, vergiIĎten 'Prebigtma-' nuferipte, bic er nic anfa^, einen £ataíoguá ju verfertigen, Wofür er mir SSo^nung unb 5i;*dj ga6. 3d)'. metftc c£ reor)(: er ivofite mir nur fein neues Ernicbrigungájeidjcn burd) Unterfřúj; jung ofjnc. £ci|tung verfemen mit mid). an rege!-' mäßige Söcfdjäftigung gewinnen: — 3d) wohnte tum im.5>farrf;ofe. Jjier lernte id) enb(id). wie; ttt eine gamilic. rennen, unb in unb mit iijr . Ie6en.— eine gamilic, ivo 3«bei jufrieben auf bem. ifim angeiviefcncn QMa&c ffanb, uttfjig unb vctyarrlíd) baö ©einige t^at, bic freien ©tunben mit beri Qtnbern genofj, Reitet unt erquief lidj; - mo 3Ctící gefdjo^e, maž inner^alö bei engen'firci.-feS gefdjcf)«-fotíte:, von bem,'t»níauĚcr^a(6, 28 wenig Síotíj genommen tvavb; wo jebed Unter; nehmen,..baé gelang, «oti benXnbevn crfenntltdj üeadjtet, jebeä, baä mifjlang, von ben 3fnbcrn bued) 3ufprad)c bei ©rite gcfdjodcn ivurbc; eine gamiiic, Ivo 3fticd uon Einem aueging — von Sie6c — unb ji! Sinem r)infúr)i-ctc — ju ©Ott, ali in beffen 5S5ificn unb 55icn|t man 3cglidjcá tmí (Tdj feibfí bajit, ju tctradjtcn getvo^nt mar. Jjicr ging mit meine unfdjuibigft'o^e, uefdjeii tetic Äinb^eit suiebet auf, cr(t in bet- ■p^antnfie,' tann im Scfúr)í, cnblid) im ©eyn unb Jjan.' bc!n; bai erfte Srunbt^ema, fat)c id; nun, Kot bod) mir nirf;t Deiforeu: STiote filr 3iotc fam ci tmeber; unb bod), lvic anberá! Eé TOiirbc jc^t OiOei, Kit bei SBect^ovcn) in ttn Scvn r)ar/ monifdjer Äunff, in bie SKitte, genommen, mit florem ©eirufjffcijn, mit ©aijf unb EGorfa^ aui; gcfilfjrt, inbefj briUer unb brunter ein fcidjci, gar nidjt ieidjfeii !T!c6enfpie[ gfcidjmägig mitfort* lief, 2fUctf a6cr jufammen bod) ein eng gefdjlof/ KnciS Öanjt aiiiSmadjtc, lcobiird; alle .Kräfte bei 3nncrn unb 2(cufjern angeregt, Ocfdjáftigt, vet; einigt würben: bii |le enöüdj (Seite .9) fidj niimái)Iid) erfdjípfeiJ/(Jiet fpiele id) /c(jf,) ber Steft in ter £0 ba tfjfili mir in reinen ífceorbrn - 427 fortoíciííiert, t^eilá in f(einen, tu^igen Jinfpic; dingen auf baä ißergangene (Id) ergö&t, unb enb; lid) 3íileé in ben einfachen S8ctI;áltni|Ten fanft cinfdjiummci-t, um, nnd) umgetvenbetem blatte, C©eite 10} einen neuen ©a&, viel triftiger unb in freiem ©tijl, wieier anzufangen ■--' 5)aui vctf;eifc 'tcr grojje, aflgemeinc Jpclfci-3fdcn, bic cö mit Srnfi, auf vcdjtem 23egc fu; djen ; unb mir aud), ben? fjintcrpommcrfdjen tóeridjtsfdjrciocr, QJcrn^avb. gäbe Und heute? Schlagen wir in Eckehard Henscheids Büchlein Dummdeutsch nach, einem 1994 erschienenen kritischen Wörterbuch zur deutschen Sprache. „Gefühlsecht Steht seit langem auf Parisern - neuerdings aber auch, wie wir hören, in eher ländlichen Kulturkritiken. Natürlich Als die „natürlichste Sache der Welt" wird das Spmdeltrinken, das Benutzen von grauem Klopapier und neuerdings auch das Ankleben von Rauhfasertapete bezeichnet. Wer denkt sich so was bloss aus? Naturbelassen Mit Vorsicht zu gemessen. Jeder Giftnickel kann es auf sein Etikett schreiben und tut es auch. Noch nicht eingebürgert hat sich die naturbelassene Spontanvegetation für ungebeten aufschiessende Nesseln und dergleichen, aber das kann sich noch ändern. Sensibel Die neuere deutsche Sensibilität begann in den frühen 70er Jahren und vermutlich im Folge der auslaufenden Studentenbewegung, war aber offenbar nicht auf die Bundesrepublik begrenzt, sondern auch die Lyrik der Ex-DDR betrat schon einige Zeit Sensible Wege (so der Titel eines Gedichtbands). Mitte des Jahrzehnts gelangte die Sensibilität zur Hochkonjunktur und steigerte sich gelegentlich in akuten Fällen sogar zur „Sensitivität" - und diesen beiden kann natürlich die gute alte Empfindsamkeit resp. Empfänglichkeit nicht das Wasser reichen. Betroffen von der Sensibilität sind freilich meist die zähesten, fühllosesten, am wenigsten verwundbaren und die am schwersten verletzlichen Rucksäcke und Knallköpfe. Und neuerdings sogar der gusseiserne Kanzler Kohl: „Es wäre doch absurd, wenn wir dafür (für den Frieden) nicht sensibel wären." (zit. nach: Der Spiegel). So wie man überhaupt vordem eher sensibel sozusagen an sich war, während man heute bevorzugt „sensibel für" etws ist. Zum Beispiel „für die Ausländer". Vor allem in der Frankfurter Rundschau. Manchmal ist das Blatt allerdings auch „sensibilisiert für Ausländer". Eine ältere und weniger bedrohliche Version des Sensiblen ist das Sensibelchen, das man zur Not in seine Wohnung lassen kann; vorausgesetzt, es quatscht nicht so viel." Die Spirale schliesst sich - nicht. 156 Resümee: Vorliegende Studie versucht das Phänomen der Empfindsamkeit in der Musik, welches zu einem nicht weiter definierten Schlagwort mutierte, zu definieren. Voraussetzung hierzu ist ein Blick auf all jene Bereiche, in welchen Empfindsamkeit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts benannt und definiert wurde. Hier ist die Moral, die Popularphilosophie, die Ästhetik, die Psychologie und vor allem die Literatur zu nennen, die sich mit sehr konkreten Definitionen auseinandergesetzt haben. Eine solche Definition fehlt jedoch in der Musikschreibung heute wie damals. Dennoch war die Diskussion um die Empfindsamkeit eine für die Kunst so prägende, dass es geradezu Wunder nimmt, dass dieses Gebiet in der Musikforschung bislang übersehen wurde, da - wie am Beispiel von Mozarts Zauberflöte gezeigt wird - man zu einem ganz neuen Interpretationsansatz kommen kann. Einer der Beweise, wie wichtig gerade Musik zur Verbreitung der Empfindsamkeit war, finden sich in zeitgenössischen Kritiken. Ein Blick auf die Theorie des Animismus erklärt die Verbindung von Musik und Mensch, bzw. in letzter Konsequenz von Musik und Medizin, wobei erst dank der Definition von Begriffen der Humoral-, Tonus- bzw. Solidarpathologie deren Verwendung in musikalischen Lehrbüchern verständlich wird. Empfindsamkeit ist eine Gegenbewegung zu der den Verstand in den Vordergrund stellenden Aufklärung, Empfindsamkeit möchte das Gefühl des Menschen im allgemeinen wie das des Indiviuums im Vordergrund sehen. Vorbild jedwegüchen Handelns ist die Natur. Naturnachahmung verliert ihre ursprüngliche Bedeutung der Kopie, der Subjektivismus macht den Eingriff der Kunst in die Kopie nötig, es entstehen Zeichnungen subjektiven Empfindens, die in den Theorie von der Malerei in der Musik (Engel) kulminieren. Subjektiver Ausdruck bedeutet zugleich die Suche nach neuen Ausdrucksformen in der Musik. Neben harmonischer Kühnheit, dynamischer Gegensätzlichkeit, schnellen Affektwechseln und freien (Fanatsie) bzw. diesen auf den ersten Blick widersprechen zu scheinenden durchkomponierten (Symfonik) Formen sucht die Musik neue Klänge, die das Innere des Menschen an die Oberfläche des Hörens transponieren sollen, was zur Durchsetzung neuer Instrumente führt. Das neue Klangideal der Seele ist dunkel, modulationsreich und esoterisch. Auch die Wort-Ton Verbindung erfährt eine neue Betrachtung, die im Melodrama seine Lösung findet. Empfindsamkeit in der Musik ermöglicht zudem die Bestätigung der Ästhetik des Grauens, welche, aus England (Burke) kommend, in Deutschland zuende gedacht wird (Mendelssohn). Musikgeschehen muss nicht mehr moralisch akzeptabel oder für den Zuhörer zufriedenstellend fröhlich enden. Das Suizidmotiv wird, wie in der Literatur, zu einem beliebten, ist zugleich Audruck des subjektiven Handelns (Günther von Schwarzburg, Alceste, Medea). Empfindsamkeit ist zugleich Gegenbewegung zur bislang ewig gültigen Kirche. Das Individuum Mensch möchte sich nicht mit allgemein dahergebrachten Regeln eines Glaubensweges zufrieden geben, sondern sucht den individuellen Weg zum Verständnis der Überlieferung. Besonders wird dies in Passionen deutlich. Empfindsamkeit kann zugleich Abwendung von der Kirche bedeuten, was seinen Ausgang im Pantheismus hat. Empfindsamkeit in der Musik kann in verschiedene Stufen aufgeteilt werden, die fast übereinstimmend mit der theoretischen Auseinandersetzung einhergehen. Je nach Intensität unterscheidet die Literaturwissenschaft zwischen Empfindsamkeit und Sturm und Drang, letzteren Begriff halte ich in der Musik für verwerflich. Empfindsamkeit ist ein in der Musikliteratur besonders nördlich des Mains ausdiskutiertes Lebensgefuhl; fast alle sich mit Musik auseinandersetzende Schriften stammt aus dem Norden. Alles südlich des Maines Komponiertes wird vom Norden belächelt und das Nördliche wiederum vom Süden als zu tiefgehend kritisiert. Ins Detail gehend kann ich Tempounterschiede zwischen Nord und Süd nachweisen. Besondere Aufmerksamkeit kommt hierbei der Mitte zu, die etwa von Mannheim und Bayreuth präsentiert wird. Dennoch gab es auch im Süden (Wien) Versuche, norddeutsche Ideen aufzunehmen. Für dieses auffällige Phänomen habe ich-entsprechend der Kunstästhetik - den Begriff „Nordismo" einzuführen versucht. Empfindsamkeit wurde - nachdem sie die Gründerkreise verliess - zu einer Modeerscheinung, die als Ernfindsamlichkeit und Empfindeley abgetan wurde. Zeitgenössische Satire und Gegenbewegungen führen zu einer erneuten Diskussion. Der Schritt zur Mode bedeutet zugleich der Verfall derselben. Als Gegenreaktion steht in der Musik einerseits die Vorliebe für Sorglosigkeit (Operette), für Äusserlichkeiten, was ein Aufkommen des Virtuosentums erklärt, andererseits die sich auch in der Gesellschaftsstruktur nachweisen lassende 157 Beschränkung der nun als übertrieben empfundenen Gefühlsfreiheit, was sich im Biedermeier widerspiegelt. Die Verfälschung des ursprünglich im Sinne von romanhaft verwendeten Begriffes „romanisch" zu „romantisch" beweist, welch' Intensität die Empfindsamkeit für die Musikentwicklung des 19. Jahrhunderts hatte. iteraturverzeich n is: Dieses Verzeichnis nennt nur direkt verwendete Schriften, die Literatur dieser Zeit aufzuzählen, die vorbereitend gelesen wurde, würde den Rahmen dieser Auflistung sprengen. Adlung, Jacob: Anleitung zu der musikalischen Gelahrtheit, Erfurt 1758, Faksimile: Kassel 19531 Algarotti, Francesco: Saggio sopra l'opera in musica, Livorno 1763, in: Wöchentliche Nachrichten, Berlin 1769 Anonym: Die Kunst in der Liebe und Freundschaft einne glückliche Wahl zu treffen, Pesth 1816, Faksimile: Dortmund 1980 Bach, Carl Philipp Emanuel: Autobiographie. Verzeichnis des musikalischen Nachlasses, Buren 1991 Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Ciavier zu spielen, 2 Bände, Berlin 1753 und 1762, Faksimile Wiesbaden 1986 Bach, Carl Philipp Emauel: Carl Philipp Emanuel Bach im Spiegel seiner Zeit. 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