2 Wissenschaftskommunikation 2.1 Wissenschaftsspradic Schon 1975 führen Fleischer/Michel charakteristische Stilzüge der Wissenschaftssprache im Rahmen der Funktionalstilistik (vgl. 1975:260-263) auf: Abstraktion, Objektivität/Unpersönlichkeit, Rationalität (Dichte), Genauigkeit und Differenzierung der Aussagen nach Bestimmtheitsgrad (Modalität). Diese Stilzüge werden durch einzelne Stilelemente gebildet, Genauigkeit beispielsweise durch die Verwendung von Termini, Zitaten und Belegen, Objektivität durch Verwendung unpersönlicher Ausdrucksweise. Harald Weinrich, der sich sowohl mit der Textlinguistik als auch mit der Fachsprachenforschung beschäftigte, dokumentiert vergleichbare Erkenntnisse, die über die Wort- und Satzebene hin zur Textlinguistik führen (vgl. Weinrich 2003 [1989):221-252). Die Fachsprachenforschung widmete sich Weinrich zufolge lange und intensiv der Terminologie von Fachtexten. Dass der Gebrauch von Fachwörtern charakteristisch für Wissenschaftstexte ist, wurde also nicht nur von der Stilistik, sondern auch von der Fachsprachenforschung wahrgenommen, und diese Erkenntnisse stammen ebenfalls aus den siebziger Jahren (Weinrich verweist auf Wüster 1974, Erk 1972,1975 und 1982). Weinrich charakterisiert den Fachwortschatz in Wissenschaftstexten als prinzipiell randscharf im Gegensatz zu Wörtern der Gemeinsprache, die kernprägnant verwendet würden (S. 2251). Des Weiteren seien viele Fachwörter der Wissenschaftssprachen in ihrem Laut- und Schriftbild verfremdet, beispielsweise latinisiert (vgl. S. 227-230). Drittens sei der Fachwörterbedarf der Wissenschaften expansiv (vgl. S. 230f). Alle drei Thesen stehen in Übereinstimmung zum Stilzug der Genauigkeit, den die Funktionalstilistik für Wissenschaftstexte ermittelt hat. Bezüglich der Lexik und Grammatik - also der Satzebene - formuliert Weinrich seine Erkenntnisse nicht in Thesen, sondern „etwas überscharf" als „Verbote" (S. 231-237), die er jedoch eher als Tendenzen in Wissenschaftstexten beobachtet, teilweise scharf kritisiert und auch selbst in seinen Publikationen übertritt. Das erste ist das sogenannte Ich-Verbot, wobei durch die Vermeidung der 1. Person Singular eine Objektivierung erreicht werden soll. Objektivität ist, wie oben angeführt wurde, ein Stilzug der Wissenschaftssprache. Das zweite Verbot ist das sogenannte Erzähl-Verbot. Da in der Wissenschaft lediglich die Ergebnisse von Interesse seien, jedoch nicht der Weg, der zu diesen Ergebnissen führte, dürften Wissenschaftstexte nur deskriptiv, aber nicht narrativ gestaltet sein. Das dritte Verbot ist das sogenannte Metaphern-Verbot. Mit dem Ziel, die Stilzüge Abstraktion und Genauigkeit zu erzeugen, sei auf metaphorische Ausdrücke zu verzichten. Weinrich stellt jedoch fest, dass dies von Autoren nicht praktiziert werde und auch nicht ratsam sei, da ohne metaphorische Ausdrucksweise leicht die Anschaulichkeit der Texte leide. Auch wenn bei den drei genannten Texteigenschaften nicht ernsthaft von „Verboten" die Rede sein kann, so handelt es sich doch um wichtige Merkmale wissenschaftlicher Texte. Ein weiteres Merkmal fügen Auer/Baßler (2007:13) an. Sie nennen neben „Exaktheit" und „Neutralität/Objektivität" noch das Merkmal „Universalität". Überall auf der Welt wird geforscht, und die Erkenntnisse sollten idealerweise auch rund um den Globus zur Kenntnis genommen werden - eine Forderung übrigens, die auch Weinrich 1985 (2003:210) mit seinen oben zitierten drei „Geboten" der Wissenschaftssprache formulierte: dem Verörfentlichungsgebot und dem damit verbundenen Rezeptions- und Kritikgebot. Wenn man jedoch seine Forschungsergebnisse international präsentieren möchte, sollte man die feinen Normunterschiede kennen, die zwischen den Wissenschaftssprachen verschiedener Länder bzw. Kulturen bestehen. Nur so kann eine Rezeption sichergestellt werden, die den Intentionen des Autors entspricht. Während es sich bei dem Kriterium „Universalität" also um ein kulturübergreifend gültiges Merkmal von Wissenschaftssprache handelt, verweist gerade dieses Kriterium auf die kulturelle Prägung und die damit verbundenen Unterschiede in der sprachlichen Realisierung. Quer durch die Forschungsliteratur lässt sich auch für die anderen oben genannten Merkmale von Wissenschaftssprache feststellen, dass sie keine absolute Gültigkeit besitzen und auch gar nicht besitzen sollten. Zu starke Abstraktion und Dichte führen dazu, dass Texte unverständlich werden. Sie sollten also ein gewisses Maß an Anschaulichkeit behalten (vgl. Weinrich 2003:236). Ebenso muss im Bereich der Exaktheit abgewogen werden, welche Informationen im Interesse der Verständlichkeit besser zusammengefasst oder welche Zahlen gerundet werden sollten (vgl. Dönninghaus 2005). Auch wenn Wissenschaftstexte auf den ersten Blick oft objektiv und neutral erscheinen, wissen sowohl Autoren als auch Leser, dass Forschungsergebnisse sich nicht selbst erzeugen und Wissenschaftler ihre Texte durchaus persuasiv anlegen, weil sie an der Akzeptanz ihrer Forschungsergebnisse interessiert sind (vgl. Markkanen/Schröder 1997:9, Danes 2000:82, Dönninghaus 2005:572). 16 © Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 6 Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 17