Zdeněk Mareček, Masarykova univerzita Heimatfeindlich angeheimelt. Möglichkeiten einer sprachübergreifenden Literaturgeschichte Brünns und deren Chancen bei der nichtgermanistischen Öffentlichkeit. Bonn, Oktober 2018 Gliederung 1. Ausgrenzung oder Einbeziehung 2. Handbuch der deutschen Literatur Prags und der Böhmischen Länder, 2017 ● 3. Prag und Brünn, ein Vergleich ● 4. Die Seele Brünns ● 5. Zurecht vergessen, neu entdeckt? ● Das gut erforschte Prag – das wenig erforschte Brünn Auch Brünn erlebte die Assanation und Karl Hans Strobl ging darauf in seiner Erzählung Die arge Nonn ein (Die knöcherne Hand, 1911). Auch Brünn wurde zum schicksalhaften Frauenkörper (Schamann: Nachwehen) und zum Ort von deutsch-tschechischen Auseinandersetzungen (Strobl: Der Attenttäter) stilisiert. Doppelte Topographie Brünns Doppelte Topographie Brünns Brünner Ringstraße ohne Pflaster Aneinander vorbeireden? Franz Schamann, Robert Musil, Karl Hans Strobl ● Josef Merhaut, Rudolf Těsnohlídek, Milan Kundera, Jiří Kratochvíl ● ● Widerstreitende Gefühle bei der Fremdwahrnehmung „unserer Stadt“ ● Heimatfeindlich ageheimelt Georg Simmel : Die Stadt als prototypischer Fall des Fremden: […] eine leise Aversion, eine gegenseitige Fremdheit und Abstoßung, die in dem Augenblick einer irgendwie veranlassten nahen Berührung sogleich in Hass und Kampf ausschlagen würde. Stephan Günzel (Hg.) Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch. ● Stuttgart, Weimar. Metzler, 2010. ● Grenzdenken und Third Space, 189 ● Das Fehlen einer festen, klaren Identität ● Hybridität als Ort des Widerstandes gegen essentialistische Erzählungen von Rasse, Kultur und Nation ● Steffen Höhne: Bohemismus und Utraquismus … so entwickelte sich ungeachtet vielfältiger Integrationsorte ‒ von Schulen, Theatern, Cafés über Periodika bis hin zu Privathäusern (Salons), die als Kommunikationsräume des kulturellen Transfers fungierten ‒ und ungeachtet intensiver wechselseitiger Rezeptions- und Wirkungsprozesse eben keine supranationale oder gar hybride böhmisch-mährische Literatur und Kultur. (337) Franz Schamann: Nachwehen (1910) über das Brünn von 1888 Jehla über Sokolisten, 73 Ihr jugendfrisches Gehaben passte dem Verwalter nicht. Der Abstammung nach war er wohl selber Tscheche, aber der Offizier in ihm und das Schwarzgelbtum des Staatsbeamten, der er nun war, hatten aus ihm ein in gewissser Beziehung nationalitäsloses Geschöpf gemacht, das weder deutsch noch slawisch war, dem jedoch in Felix kein Erbe geboren ward. Felix fühlte sich grunddeutsch, ... Nachwehen, 192 Unwillkürlich drängte sich dem Betrachtenden wieder der Vergleich dieser Stadt mit einem monströsen, aber ebenmäßig gebauten Weibe auf, [...] Spielberg und Dom waren ihre geschwollen Brüste, der grüne Markt ihr Bauch, wo das Theater steht, wurde sie befruchtet; doch wo ist der Kopf? Der Kopf konnte unmöglich jenes finstere Kloster dort unten sein, - das wäre ein viel zu kleiner Kopf! Nachwehen, 192 Nein, die ebenmäßigen Linie zielten energisch nach jener Vorstadt hin, wo die Rudervereine ihre Klubhäuser hatten; jener frechlustigen Vorstadt, wo das Vergnügen wohnte und die Freude ihren Sitz hatte. … das war das Glück dieser Stadt, dass sie leichten Sinnes war, sonst hätten sie die Schmerzen der beiden Brustkrebsgeschwüre, Militarismus und Pfaffentum, um den Verstand gebracht. Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften Diese Stadt hatte eine Geschichte, und sie hatte auch ein Gesicht, aber darin paßten die Augen nicht zum Mund oder das Kinn nicht zu den Haaren, und über allem lagen die Spuren eines stark bewegten Lebens, das innerlich leer ist. Es mochte sein, daß dies unter besonderen persönlichen Umständen große Ungewöhnlichkeiten begünstigte. Josef Merhaut: Bahnitá luka (1897) Das Fremde wird schon in der Warnung im Zug angesprochen: 27 Pro člověka zvyklého na Prahu tam nic není. Samá fabrika, moc židů a moc smradu. […] Česká kavárna s německým nápisem. ● Für einen, der an Prag gewohnt ist, gibt´s dort nichts. Lauter Fabriken, viele Juden und viel Gestank. […] Ein tschechisches Café mit einem deutschen Firmenschild. ● Josef Merhaut: Bahnitá luka, 1897 43 Mluvili tam česky a německy, jak jim to slina přinesla na jazyk. Tato dvojjazyčnost od rána už tloukla Filousovi do uší […] ● Sie sprachen dort durcheinander Tschechisch und Deutsch, wie sich das gerade ergab. Diese Zweisprachigkeit fiel ihm schon seit morgen auf und störte ihn. ● Besední dům, 1873 Merhaut, BaLu, 47 ● Von seinem tschechischen Kollegen wurde Filous gewarnt, er würde dort nur eine eingebildete tschechische Oberschicht finden. ● Deutsches Haus, 1891: Unserer Stadt zur Ehr, unserem Volksthum zur Wehr Merhaut, Otrávená krev, 238 Advokat Weisgärber, einer der Motoren des großen Fabrikbetriebs, in dem in Brünn das künstliche Deutschtum hervorgebracht wird. ● Die gefährlichen Strahlen 209/2010 ● Hier staute sich die Kraft empor, die draußen an den Grenzen der Stadt zerflatterte oder dem Ansturm der tschechischen Vororte erlag. Eine Burg des Bürgerturms, das in seinen den Frühling erwartenden Anlagen nichts vom Lärm und Geruch der Fabriken wusste. Das Gesicht des Kaisers war ohne Ausdruck und erzählte nichts von den Kämpfen und Wünschen des Lebenden. ● ...in den Wirbel der Menge. Gustav stak unten, mitten in ihrem zähe Teig und fühlte das Brausen der Gärstoffe um sich. Es schwoll in diesen Menschen an, bereicherte sich an den vielen Strömungen, verdrängte alle Unentschlossenheit und alle Bedachtsamkeit der bürgerlichen Welt. ● Strobl: Die gefärlichen Strahlen 513: Hampels Rede im Deutschen Haus: ● ● Ich bin stolz darauf, durch ein glückliches Geschick unter dem Volk geboren zu sein, aus dem der Herr der Zukunft kommen wird. Ihre Aufgabe wird es sein, seine Ankunft vorzubereiten. ● ● Karl Wilhelm Fritsch. Ein Nachwort zu den jüngsten nationalen Wutausbrüchen. Die Wahrheit, Jg. 2 (1920), Nr. 4. Jede Nation pocht auf ihr Hausrecht – mit Recht und wartet dabei auf den günstigen Augenblick, das des anderen zu stören. Wollten sichs die Nationen nur gestehen, dass sie es so und nicht anders mit dem Nachbarrecht halten, es wäre schon ein Fortschritt. Breslaw und Brünno Danke für Ihre Aufmerksamkeit ●