Herta Müller •geb. 1953 in Banat (Nițchidorf / Nitzkydorf) •2002 veranstaltete die Konrad Adenauer Stiftung die Konferenz „Europa im Wandel“, zu der zwei deutschsprachige in Rumänien geborenen Autoren eingeladen wurden – außer der späteren Nobelpreisträgerin HM (2009) den um einen Generation älteren Eginald Schlattner. Obsah obrázku osoba, držení, žena, tráva Popis byl vytvořen automaticky Gliederung der Stunde •Das Banat und Siebenbürgen •Historischer Kontext •Warum war HM so erfolgreich? •Erst die Unterdrückung und Verfolgung durch die Securitate und die Gleichgültigkeit der Schriftstellerkollegen brachten sie zur Entscheidung über den rumänischen Kommunismus zu schreiben. • Josef Zierden, in: Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur •Kateřina Žáková: Schamlos und schön. Zur Darstellung der Männerliebe in Herta Müllers Roman Die Atemschaukel. 2014 •Aneta Lontrasová: „Securitate ist noch im Dienst.“ Geheimdienst als Thema in Herta Müllers Büchern und ihre Polemik gegen öffentliche Personen und Verbände. 2013 •Marie Dedíková: Raumfigurationen in Herta Müllers Werken Herztier und Niederungen. 2013 •Marişescu, Tonia: Raumfigurationen in Herta Müllers „Niederungen“. In: Mauerschau 5. S. 70-81, S. 73. Duisburg: Universitätsverlag Rhein-Ruhr 2010. Im Internet unter http://www.uniedue.de/imperia/md/content/germanistik/mauerschau/mauerschau5_marisescu.pdf, Herta Müller, o ní a o jejím díle •Herta Müller (hg von Meike Feßmann, Axel Ruckaberle, Michael Scheffel und Michael Töteberg). •Text und Kritik, Band 155 •Edition Text und Kritik, München 2002 / 2020, 227 s. • Obsah obrázku text, interiér, noviny, žena Popis byl vytvořen automaticky Herta Müller, sekundární literatura Leipziger Poetikvorlesung 2009. Im Gespräch mit Michael Lentz Renata Schmidtkunz •Ich glaube nicht an die Sprache. … sonst wäre ich nicht Schriftstellerin. Das funktioniert auch nur so. Außerdem habe ich jahrzehntelang in einer Diktatur gelebt. Also, ich misstraue der Sprache zutiefst und ich suche Sprache, weil ich ihr nicht traue. Und weil ich auch gar nicht weiß, wie man das sagt, was passierte. Das Leben will ja nicht aufgeschrieben werden. Man lebt ja nicht, damit es aufgeschrieben wird, Gott sei Dank. Also ist es etwas total Künstliches. Also, für mich ist das selbstverständlich, dass ich der Sprache nicht traue. Peter Englund Begründung der Wahl der Nobelpreisträgerin 2009 •HM zeichne "mittels der Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit“. •Sie habe durch ihr eigenes Schicksal eine wirkliche Geschichte zu erzählen - "und dabei geht es nicht nur um das tägliche Leben in einer Diktatur, sondern auch darum, wie es ist, ein Außenseiter zu sein". Niclas Enberg Nitzkydorf oder Nitchidorf Obsah obrázku tráva, exteriér, silnice, ulice Popis byl vytvořen automaticky Obsah obrázku exteriér, tráva, budova, hodiny Popis byl vytvořen automaticky Banat (tschechisches Banát) •Gerník, Rovensko, Svatá Helena, Bígr, Eibentál, Šumice, Svatá Alžběta. •Wie entstand der Name? • Donauer Schwaben: aus Rheinland-Pfalz, aber auch echte Schwaben, Bayern, Hessen, Elsässer. •1913: 500.835 Einwohner, 170.000 Rumänen und 166.000 Deutsche, 80.000 Ungarn sowie 70.000 Serben. Obsah obrázku text, mapa Popis byl vytvořen automaticky Siebenbürgen (protestantisch) •Aufgrund des Trianon-Vertrags ein teil Rumäniens. •Heute Rumänen (74,7 % im jahre 2002), Ungarn (19,6 %). Deutsche machten noch im 19. Jh. 12 % aus, heute nur 0,7 %. Roma (etwa 3 %). Obsah obrázku mapa Popis byl vytvořen automaticky Braşov (Kronstadt, maď. Brassó), Sibiu (Hermannstadt, Nagyszeben) Şighişoara (Schässburg, Segesvár) •Klaus Johannis 2000 bis 2014 Bürgermeister von Hermannstadt / Sibiu, 2014 und 2019 zum Staatspräsidenten gewählt. Seine Partei Demokratisches Forum der Deutschen in Rumänien hat in Hermannstadt 12 von 22 Sitzen. Obsah obrázku exteriér, budova, staré, fotka Popis byl vytvořen automaticky Nitzkydorf 40 km östlich von Timisoara / Temeswar > Obsah obrázku tráva, exteriér, příroda, staré Popis byl vytvořen automaticky • „abgeschottet, so weit weg von der Welt“, „wie eine Kiste in der Landschaft steht“, •eine Kiste, „in der man geboren wird, heiratet, stirbt.“ •Zwei Kirchen: eine rumänisch-orthodoxe und eine römisch-katholische •Alena Jarošová: Stilmittel in der Prosa von Herta Müller "Niederungen". Ein Vergleich des deutschen Originals mit der tschechischen Übersetzungen "Nížiny". Diplomarbeit Brno 2015 • • Rumänien als Verbündeter des Dritten Reiches •1940 Freundschaftsvertrag, 1941 das Rumänien von Ion Antonescu eroberte bei der Operation Barbarossa im Sommer 1941 Nord-Bukowina zurück und anektierte Transnistrien, wo 250 000-300 000 Juden umgebracht wurden). Seit 1944 wechselte Rumänien die Fronten und kämpfte gegen das Dritte Reich. Obsah obrázku mapa Popis byl vytvořen automaticky Siebenbürger Sachsen, Donauschwaben •15% der deutschsprachigen Rumänen sind gefallen. •1946 bis 1950 nicht wahlberechtigt, sie wurden enteignet (1945 es zu 77% Bauernfamilien). 1953 bis 1956 z. T mehr Autonomie im Kulturbereich und im Schulwesen. • • • Deportationen 1945 in die Sowjetunion •Im Januar 1945 wurden Männer (vom 17. bis zum 45. Lebensjahr) und Frauen (vom 18. bis zum 30. Lebensjahr) (insgesamt 70 000 bis 80 000 Rumäniendeutsche) in arbeitslager in die Ukraine deportiert (für 5 Jahre). Darunter auch die Mutter von HM. •Etwa 15% haben den Hunger und die unmenschliche Behandlung nicht überlebt, vielen Überlebende beantragten nach dem Arbeitslageraufenthalt ihre Aussiedlung in die DDR, in die Bundesrepublik oder nach Österreich. Vom NS-Staat geförderte Autoren: Heinrich Zillich •Nationalsozialistische Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumänien (NSDR), 1933 verboten, – 1934 durch Nationale Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumänien (NEDR) abgelöst. •Heinrich Zillichs Entwicklungsroman Zwischen Grenzen und Zeiten (1936) wurde im Dritten Reich preisgekrönt und er wurde von Hitler empfangen. Sei 1936 lebt Zillich am Starnberger See in Bayern. Im Krieg war er aktiver Offizier und Herausgeber von Feldpostausgaben deutscher Dichtung. •Heinrich Zillichs Bücher erschienen nach 1945 in den Verlagen von Herbert Fleissner (1928-2016, Langen-Müller) und im Verlag Bertelsmann. Zillich war seit 1952 Sprecher der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in der Bundesrepublik. • Ebenfalls vom Dritten Reich gefördert Adolf Meschendörfer •Sein roman aus dem Jahr 1932 und seine Erinnerungen „Siebenbürgen, Land des Segens“ (1937) sicherten ihm eine prominente Stelle im Dritten Reich: 1936 Ehrendoktorat der Universität Breslau. Der Roman „Büffelbrunnen“ erzählt von der Wandlung eines apolitischen Lehrers zum Politiker der deutschen Minderheit in Kronstadt / Brașov. Obsah obrázku text, bílá tabule Popis byl vytvořen automaticky Eginald Schlattner und Ota Filip •Schuld abtragen? Verrat und Selbstentlastung bei Eginald Schlattner und Ota Filip (Lucie Nečesánková) •Bakalářská práce, Masarykova univerzita, Filozofická fakulta, 2011 Eginald Schlattner •Ehrendoktorat an der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg/Cluj-Napoca (UBB) 2018 (für seine ökumenishe Bemühungen) •1957 wurde Schlattner verhaftet und 1959 wegen „einer nicht erstatteten Anzeige der Hochverräter“ verurteilt. Nach der zweijährigen Untersucht studierte er Theologie und war Pfarrer in Rothbergu (Roşia) bei Hermannstadt (Sibiu) und Gefängniskaplan in Gherle. Im autobiografischen Roman „Rote Handschuhe“ (2000) erzählt er von der Untersuchungshaft. Seine Kollegen wurden aufgrund seiner Zeugnisse zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Wolf von Aichelburg und Hans Bergel erreichten aber kein so großes Publikum wie Schlattners Roman im Verlag Zsolnay. • Aussiedlung der Deutschen aus Rumänien seit den 1970er Jahren •Zwischen 1973- 977 etwas 7200 Personen jährlich. 1978 zwischen Helmut Schmidt und Nicolai Ceauşescu eine Quote von 12000 bis 16000 Aussiedlern vereinbart. Deutschland zahlte 5000 DM (1978), später 7800 DM (im Jahre 1989) pro Kopf. Exodus •2012 sind in Rumänien nur noch 36.000 Deutsche geblieben. •Roland Kirsch (geb. 1960) wurde im Mai 1989 in seiner Wohnung in Timișoara / Temeswar tot gefunden. 1996 gab der Ehemann von HM Richard Wagner seine Prosastücke Der Traum der Mondkatze heraus. Aktionsgruppe Banat •Eines der Themen: Spuren von einer NS-Gesinnung bei den Eltern. •HMs Debut Niederungen, 1982, wurde sowohl in Rumänien als auch in Deutschland von der Kritik positiv aufgenommen und erschien 1984 im Verlag Rotbuch in West-Berlin. Obsah obrázku text, kniha Popis byl vytvořen automaticky Niederungen „Mein Vaterland war ein Apfelkern“, 2014 •Ein Gespräch mit Angelika Klammer über HM als Kind, das Kühe auf die Weide trieb: „Die Landschaft der Kindheit legt Spuren für den Landschaftsblick aller weiteren Jahre. […] Sie schleicht sich in uns hinein.“ Raumwahrnehmung •Die einen steigen gerne auf einen Berg, stehen mit den Füßen dicht unter den Wolken und beherrschen das Tal, mit dem Kopf, mit dem Blick. Die kriegen oben einen freien Atem, da wird ganz groß geschnauft und die Brust weitet sich. Und die anderen fühlen sich, wenn sie oben stehen und hinunterschauen, erst richtig verloren. Ich gehör zu den Verlorenen, mir schnürt sich der Hals zu. Je größer der Ausblick ist, desto beengter und bedrängter bin ich. •'Ich würde das Schreiben nicht aushalten, wenn die Hauptsache an den Texten nicht die erfundene Wahrheit der Sprache wäre, in der das Schöne wehtut', sagt Herta Müller. Diese Schmerz-Schönheit ist der Kern ihrer Poetik, der Apfelkern, der ihr Vaterland ist. Er kommt in diesen Gesprächen zur Geltung wie in jeder großen Literatur." Jörg Magenau, Süddeutsche Zeitung, 13.11.14 Zeitwahrnehmung •Ich dachte auch, dass alle Atemzüge, die man tut, gezählt werden. Dass sie sich wie Glaskügelchen auf einer Schnur auffädeln und eine Kette bilden. Und wenn die Atemkette eine Länge hat, die vom Mund bis zum Friedhof reicht, dann stirbt man. Weil der Atem unsichtbar ist, kennt kein Mensch die Länge seiner Atemkette. Und darum weiß kein Mensch, weder von sich selbst noch vom anderen, wann er stirbt. Kühe •Die meiste Zeit hatten wir drei Kühe und ein paar Monate kamen dann noch zwei, drei Kälber dazu. Und wenn die Kälber das nötige Gewicht hatten, mussten wir sie dem Staat abliefern. Drei Kühe, aber jede Kuh ist ein Riesending und nicht so gutmütig, wie sie aussieht, sondern wild und kräftig wie ein Traktor, sehr stur und jähzornig. „Gegen die Landsmannschaft“, 2014 •„Sie schwelgen bis heute in einem abstrakten Heimatbesitz aus der Ferne.“ Die Verstrickungen mit der Securitate sind nie aufgearbeitet worden, davon ist Müller überzeugt. Die seien eben „fürs Heimatalbum ziemlich peinlich. Darüber wird in der Landsmannschaft seither geschwiegen.“ Bernd Fabritius pro Deutschlandfunk, 2014 https://www.deutschlandfunkkultur.de/bernd-fabritius-ich-denke-dass-ich-einen-neuen-anfang.990.de.h tml?dram:article_id=305418 •Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Sie sind Mitglied des Stiftungsrats. Es gibt außerdem einen Wissenschaftlichen Beirat, in dem auch Historiker aus Polen und Ungarn sitzen, also soweit so gut. Aber: Der Wissenschaftliche Beirat steckt momentan im Clinch mit dem Direktor der Stiftung Flucht Vertreibung Versöhnung, mit Prof. Manfred Kittel. Von Rücktrittsforderungen gegen Herrn Kittel ist die Rede. •Vertreibung der Vertriebenen? Der historische deutsche Osten in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik (1961–1982). Oldenbourg, München 2007, ISBN 978-3-486-58087-7. •Bayerns „fünfter Stamm“. Schlesier, Ostpreußen und viele andere Vertriebenengruppen im integrationspolitischen Vergleich mit den Sudetendeutschen, München 2010, •2016 intiirte Herta Müller eine Diskussion über ein Museum des Exils (aud den NS-Deutschland). • •Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung im Sommer 1921 eröffnet. • •Eine europäische Geschichte der Zwangsmigrationen vom 20. Jahrhundert bis in unsere Zeit. Ständige Ausstellung. • •Rund 14 Millionen Deutsche aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und den südosteuropäischen Siedlungsgebieten sind davon betroffen Der König verneigt sich und tötet •Renata Schmidtkunz, 39. •Ich mag das Wort Heimat nicht. Es wurde in Rumänien von zweierlei Heimatbesitzern in Anspruch genommen. Die einen waren die schwäbischen Polka-Herren und Tugendexperten der Dörfer, die anderen die Funktionäre und Lakaien der Diktatur. •HM: Ich glaube, „Heimat“ ist das ,was man nicht aushält und nicht loswird. Nestbeschmutzerin der banat-schwäbischen Gemeinschaft Ta, jež ostouzí společenství banátských Švábů •Niederungenen, Brutalität der Bilder •Nížiny, brutální detaily •Radka Denemarková: V brutalitě i v ustrašeném chování lidí přirostlých k přírodě a zvířatům a ročním cyklům je cosi nelidského […] ve hře o přežití jsou důvěra, soucit a slitování sebevražedné. • Mein Vaterland war ein Apfelkern. Carl Hanser Verlag München 2014 •Der Tod hat für mich immer bedeutet, dass die Erde einen frisst. Und ich habe mir gedacht, die Erde ist so dick, weil so viele Menschen und Tiere schon gestorben sind. • • Obsah obrázku budova, exteriér, dům, cihla Popis byl vytvořen automaticky Wenn man Kindheit aufschreibt, wird sie schlimmer, als sie war. (Apfelkern, 18) •Ich wusste nämlich, es ist nicht normal, wenn ich denke, dass die Pflanzen nachts herumlaufen, dass das Leben unsere Atemzüge auf eine Kette fädelt und abmisst, dass uns die Erde frisst. Das war surreal. Aber genauso surreal ist doch auch die Religion, die kam noch dazu: Gott ist überall, er sieht alles. Die Toten kommen in den Himmel. Wenn man Kindheit aufschreibt, wird sie schlimmer, als sie war. (Apfelkern, 18) •Als ich nach der Messe auf dem Heimweg zu meiner Großmutter gesagt habe, das Herz der heiligen Maria ist eine durchgeschnittene Wassermelone, hat sie geantwortet: »Das kann sein, aber das darfst du nie jemandem sagen.« Damit war das Thema abgehakt. Auf solche Ausrutscher hat meine Großmutter manchmal auch gesagt: »Denk nicht dorthin, wo du nicht sollst.« • Odkud je tato řada básnivých metafor? •oříšky bez jádra misky bez obětin předsíňky mrákot úryvky dávné hudby studánky zasypané oblohy zatažené noci bez dnění dvířka zapadlá křtitelničky vyschlé vody bez zrcadlení • Obsah obrázku text Popis byl vytvořen automaticky Vnímání času a věku stařen, 31 •Za zimních odpolední sedávají u oken a samy sebe vplétají do punčoch z vlny, která škrábe, a punčochy se dlouží, až jsou dlouhé jako zima, mají paty a mají palce u nohou, jako by mohly chodit. •A nosy nad pletacími jehlicemi se prodlužují a lesknou jako vařené maso. Chvilku na nich ulpí a visí kapky a zatřpytí se, spadnou do zástěry a mizí. •Na zdech visí svatební snímky. Ve vlasech mají těžké věnce a věnečky mají na těsných, plochých jupkách. Na břichu mají překřížené hezké štíhlé ruce a mají mladé, ale smutné obličeje. Vnímání času a věku stařen, 31 •A na dalších snímcích mají v náručí děti a kulatá ňadra se pod blůzkami boulí a za nimi stojí vůz naložený do hůry senem. •Během pletení jim vyraší na bradě vousy, světlají a šednou. Někdy vous zabloudí do punčochy. •Knírky rostou s věkem, chlupy rostou i z nosních dírek a bradavic. Jsou obrostlé vlasy a chlupy a nemají ňadra. A když jsou se stárnutím hotovy, tak se podobají mužům a rozhodnou se zemřít. Dankesrede in Stockholm •Alle Dorfleute lebten in einer alten Zeit, wurden schon alt geboren. Man muss das Dorf irgendwann verlassen, wenn man jung werden will, dachte ich. Im Dorf waren alle vor dem Staat geduckt, aber untereinander und gegen sich selbst kontrollwütig bis zur Selbstzerstörung.“ Titelerklärung „Niederungen“, ein Zitat von Johannes Bobrowski Henke, Gebhard: Mir erscheint jede Umgebung lebensfeindlich. Ein Gespräch mit der rumäniendeutschen Schriftstellerin Herta Müller. In: Süddeutsche Zeitung 16.11.1984. •[Der Titel] bezieht sich auf „Wir, die in den Niederungen leben, wir verstehen den Tod, denn er ist uns nicht fremd, weil wir zusammen mit ihm aufgewachsen sind“. Beim Lesen dieser Stelle ist mir das Wort „Niederungen“ aufgefallen, und das erschien mir dann sehr treffend für den Text. Es bezieht sich auf die Banat-Ebene. Eine Niederung ist noch tiefer als eine Ebene. Und es bedeutete im übertragenen Sinn das niedrige Bewußtsein, die niedrige Beschäftigung, das Abgegrenztsein, das Nicht-In-die-Höhe-blicken-Wollen und das Nicht-über-sich-hinausschauen-Können. Anti-Heimat-Poetik •Der Bürgermeister, der im Dorf Richter genannt wird, hält im Gemeindehaus seine Sitzungen. Unter den Anwesenden gibt es Raucher, die abwesend rauchen, Nichtraucher, die nicht rauchen und schlafen, Alkoholiker, die im Dorf Säufer genannt werden und die Flaschen unter den Stühlen stehen haben, sowie Nichtalkoholiker und Nichtraucher, die schwachsinnig sind, was im Dorf anständig genannt wird, die so tun, als würden sie zuhören, die aber an etwas ganz anderes denken, falls es ihnen überhaupt gelingt, an etwas zu denken. (N. 129.) Dekonstruktion des Heldenmythos: das kindliche Wörtlich-Nehmen einer von der Dorfgemeinschaft gepflegten Redewendung •Die Helden, die im Dorf Gefallene genannt werden, sind, um zu beweisen, dass sie nicht vergebens gestorben sind, was im Dorf den Heldentod gefunden haben genannt wird, weil man wahrscheinlich annimmt, dass sie ihn gesucht haben, auf demselben Friedhof gleich zweimal begraben: einmal im Grab der jeweiligen Familie und einmal unter dem Heldenkreuz. In Wirklichkeit liegen sie aber irgendwo in einem Massengrab, was im Dorf im Krieg geblieben genannt wird. (N. 137 f.) Niederungen •„Seitdem das Dorf immer kleiner wird, weil die Leute, wenn nicht nach Deutschland, dann wenigstens in die Stadt abwandern, werden die Kerweihfeste immer größer und die Trachten immer festlicher (…) Da aber im Banat alle Dörfer Nachbardörfer sind, beteiligen sich an allen Kerweihfesten dieselben Paare, dieselben Zuschauer und dieselbe Musikkapelle.“ Dílo •Cestovní pas, 2010 •Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt, 1986 > Obsah obrázku text Popis byl vytvořen automaticky Dílo •"Herztier" 1994, Překlad Radka Denemarková. 1. vyd. Praha : Mladá fronta, 2011. 213 s. •"Im Haarknoten wohnt eine Dame" 2000, •"Der König verneigt sich und tötet" 2003, •"Die blassen Herren mit den Mokkatassen 2005, > Obsah obrázku interiér, žena, držení, kuchyně Popis byl vytvořen automaticky Dílo > Obsah obrázku text, kočka, savci, dřevěné Popis byl vytvořen automaticky •Liška lovec •Herta Müller •Překlad: Radka Denemarková •Praha, Mladá fronta 2019 •200 Stran •Der Fuchs war damals schon der Jäger, 1992 Rozhoupaný dech •"Atemschaukel" 2009. •Entstanden aus Gesprächen mit dem Lyriker Oskar Pastior. •Die Generation meiner Mutter (1927 Hermannstadt, Siebenbürgen; † 2006 Frankfurt am Main) •Herta Müller: Nullpunkt der Existenz. Mit Oskar Pastior in der Ukraine. In: Neue Zürcher Zeitung, 21.10.2006. • Obsah obrázku muž, osoba, brýle, interiér Popis byl vytvořen automaticky Arbeitslager Nowo-Gorlowka •2010 wurde Oskar Pastior als Securitate-Mitarbeiter enthüllt, Deckname Otto Stein. •Im Gespräch mit Jurij Steiner verteidigt Herta Müller ihren Freund: •https://www.youtube.com/watch?v=WvCR8JEoExI •Selbstmord von Hoprich, den Pastior bespitzelt hat. •HM „Als Oskar Pastior 2006 plötzlich starb, hatte ich vier Hefte mit Notizen und Skizzen zu einigen Kapiteln.“ •Lager-Erinnerungen Pastiors sprachlich einmalig: Atemschaukel. Wessen Metapher ist es? Atemschaukel •64 kurze Kapitel, Erzähler Leopold Auberg, wie Pastior aus Hermannstadt •O lopatě srdcevce/ "Atemschaukel“ (76) •O Andělu hladu / vom "Hungerengel" (79, 135, 210) •Rambobrambor / von "Kartoffelmenschen" (181) •Plechový polibek / vom "Blechkuss", (214) •1950 durften diejenigen, die nicht in die "Mörtelgrube" sprangen, nicht erschossen wurden, nicht verhungerten, nach Hause. Mörtelgrube •Wir sind mit Schaufeln und Holzlatten zur Mörtelgrube gerannt, nicht schnell genug, der Bauleiter stand schon da. Wir mussten alles aus den Händen fallenlassen. Ruki na sad, Hände auf den Rücken – mit einer erhobenen Schaufel hat er uns gezwungen, tatenlos in den Mörtel zu schauen. Die Irma Pfeifer lag mit dem Gesicht nach unten, der Mörtel machte Blasen. Erst schluckte der Mörtel ihre Arme, dann schob sich die graue Decke bis zu den Kniekehlen hoch. […] Der Hinterkopf, kahlgeschoren mit den verkrusteten Läusebissen, hielt sich noch oben wie eine halbe Zuckermelone. Als auch der Kopf geschluckt war, nur noch der Buckel herausschaute, sagte der Bauleiter: Schalko, otschin Schalko. (Seite 68). Atemschaukel: 19/20, 150/158 Taschentuch und Mäuse / Kapesník a myši, 71 •"Ich wollte langsam essen, weil ich länger was von der Suppe haben wollte. Aber mein Hunger saß wie ein Hund vor dem Teller und fraß." Chtěl jsem jíst pomalu, protože jsem z polévky chtěl mít co nejvíc a co nejdéle. Ale hlad seděl před talířem jako pes a chlemtal.“ > Obsah obrázku košile Popis byl vytvořen automaticky Kapesník a myši •Die Suppe heizte mich bis in die Zehen. Meine Nase tropfte. Abadschij, warte, sagte die Russin und brachte aus dem Nebenzimmer ein schneeweißes Taschentuch. Sie gab es mir in die Hand und drückte meine Finger zu, als Zeichen, dass ich es behalten soll. Sie schenkte es mir. Und ich wagte nicht, mich zu schnäuzen. Was da geschah, ging weit über das Geschäftliche des Hausierens und mich und sie und ein Taschentuch hinaus. Es betraf ihren Sohn […] Mir war es peinlich, dass ich da war, dass ich nicht er war. (Seite 76ff/71) • •Polévka mě zahřála až k palcům na nohou. Nos kapal. Abadšij, počkej, řekla Ruska a donesla z vedlejšího pokoje sněhobílý kapesník. Dala mi ho do ruky a stiskla mi prsty k dlani, na znamení, že si ho mám ponechat. Darovala mi ho. A já se neodvážil vysmrkat. Co se stalo, přesahovalo směnný obchod i mě i ji i kapesník. Týkalo se to jejího syna […] Bylo mi trapně, že jsem tu, že nejsem on. Atemschaukel,26 •Den Inhalt der Kommandos verstanden wir sowieso nicht, aber die Verachtung. An Verachtung gewöhnt man sich. Mit der Zeit klangen die Befehle nur noch wie ständiges Räuspern, Husten, Niesen, Schnäuzen, Spucken – wie Schleimauswerfen. (Seite 30) Obsahu rozkazů jsme nerozumněli, ale vnímali jsme opovržení v nich. Na opovržení si člověk zvykne. Časem znějí rozkazy jen jako neustálé chrchlání, popotahování, kýchání, frkání, odplivování – jako vykašlávání hlenu. Kritika Ilse Radisch •„Románe aus dem Gulag kann man aus zweiter Hand nicht schreiben.“ •Vs. Primo Leviho (Je-li toto člověk /Se Questo è un Uomo, 1947), Imre Kertesze (Člověk bez osudu , 1975) a Varlam Šalamov (Kolymské povídky, 1954 až 1973) • Vom Hungerengel, 86 • Ich habe keine Angst vor dem Schaufeln, sondern vor mir. Also davor, dass ich beim Schaufeln noch an etwas anderes denke, als dass ich schaufle. Das ist mir die erste Zeit manchmal passiert. Es zehrt an den Kräften, die man zum Schaufeln braucht. Die Herzschaufel bemerkt sofort, wenn ich nicht ganz bei ihr bin. Dann schnürt eine dünne Panik mir den Hals zu. […] Der Hungerengel stellt meine Wangen auf sein Kinn. Er lässt meinen Atem schaukeln. Die Atemschaukel ist ein Delirium und was für eins. Ich hebe den Blick, da oben stille Sommerwatte, die Stickerei der Wolken. Mein Hirn zuckt mit einer Nadelspitze am Himmel fixiert, besitzt nur noch diesen einen festen Punkt. Und der phantasiert vom Essen. Denemarková, 80 •Nemám strach ze skládání uhlí, nýbrž ze sebe. Tedy z toho, že při skládání uhlí pomyslím ještě na něco jiného než nato, že skládám uhlí. To se mi zpočátku stávalo. To stravuje síly, které jsou k skládání uhlí tolik zapotřebí. Lopata srdcovka okamžitě zpozorní, když nejsem v duchu s ní. Pak mi krk sešněruje mírná panika. •ZM: Nebojím se házení lopatou, bojím se sám sebe. Tedy toho, že budu u házení lopatou myslet ještě na něco jiného, než že házím lopatou. Zpočátku se mi to někdy stávalo. Vysiluje to a sílu člověk potřebuje na házení lopatou. Má milovaná lopata hned pozná, když nejsem myšlenkami u ní. Pak mi sevře hrdlo jemná panika. Denemarková, 80 •Anděl hladu si klade mou tvář na svou bradu. Rozhoupe mi dech. Rozhoupaný dech je delirium a jaké delirium. Zvednu pohled, nahoře ztichlá, výšivka mračen. Rozum těká, jako by byl špičkou jehly připíchnut k obloze, rozum se drží jen toho pevného bodu, jiný už nemá. A fantazíruje o jídle. Josef Haslinger, Jáchymov (2011) •207: Uprostřed noci, mezi výslechy, jednou zavolal. Vidím to před sebou jako film. Matka se ptá: Co se stalo? Když se vrátíš? On řekne: Buď zítra nebo za dvacet let. •Později jsme se dověděli, že ten estébák, který ten hovor dovolil, z toho měl oplétačky. Náš telefon byl odposloucháván. Poslechněte si •https://www.youtube.com/watch?v=CnnKV0MBYjw# •Hast du ein Taschentuch? •11. 4. 2014 • •https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/herta-muellers-nobelvorlesung-jedes-wort-we iss-etwas-vom-teufelskreis-1902079.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 • •https://www.youtube.com/watch?v=wuKdNmVPyuQ •HERTA MÜLLER - Literaturnobelpreis 2009 - Interview bei LITERATUR IM FOYER - SWR Fernsehen •47 433 zhlédnutí•8. 10. 2009 •Thea Dorn, Literatur im Foyer •