8 s, n o it a j- n Im Verlauf der Barockzeit hatte sich für Theaterräume ein bestimmter Bautypus herausgebildet: Das Logentheater von mehreren Rängen über gestreckt halbkreisförmigem, hufeisen- oder glockenförmigem Grundriß, mit Proszeniumslogen am Bühncnportal und einer Galalogc der Bühne gegenüber. Über diesen Typus des Hoftheaters ist die Architektur des 19. Jahrhunderts, soweit Sle realisiert wurde, kaum hinausgekommen. Dennoch stellt der Theaterbau im 19. Jahrhundert etwas qualitativ Neues dar. Als »moralischer Anstalt« wird dem Theater seit der Aufklärung eine ethische Qualität zugesprochen. Das Theater dient zur Bildung des Bürgers, wird zur Stätte gesellschaftlichen Austausches der »gehobenen Schichten« des Bürgertums. Die Emanzipation der Bauaufgabc »Theater« vom Schloßbau wird im wesentlichen von bürgerlichem Selbstbewußtsein getragen. Die Vervollkommnung der Bühnentechnik auf der einen Seite, andererseits die Differenzierung und Verbesserung der Zu- und Abgänge, die immer festlicher und größer gestalteten Kommunikationsräume - Treppenhäuser, Vestibüle und Foyers - sind bestimmende Faktoren im Theaterbau des 19. Jahrhunderts. Nicht zum wenigsten ist es die Darstellung des Theaters am Außenbau, Demonstration des Inhaltlichen, was die Architekten zur Gestaltung drängt. Die Wirksamkeit Gottfried Sempers als Theatcrarchitckt ist von europäischer Bedeutung. Dabei ist nicht die Anzahl der realisierten Theatergebäude - von neun entworfenen Häusern wurden lediglich drei gebaut - von Belang. Es ist vielmehr die theoretische Grundsätzlichkeit, mit der Semper die Bauaufgabc angeht, und die Wirksamkeit der für diese Aufgabe gefundenen Architektursymbole, die Sempers Zeitgenossen wie auch die Nachwelt beeindrucken.1 Als Sempers genuine Leistung gilt das sich vorwölbende Halbrund des Zuschauerhauses, ein Leitmotiv des Theaterbaus im 19. Jahrhundert. Der historischen Kritik hält diese Auffassung nicht stand. Semper hat sicher den Musterentwurf Durands von 1802 und Boulecs Projekt für die Pariser Oper gekannt. Dort wurde die Kreisform nach dem Vorbild des antik-römischen Theaters auch für den Außenbau wichtig. Semper geht es dabei aber nicht um ein Architckturzitat der Antike. Für ihn ist das Äußere vielmehr die Folge der Form des Zuschauerraumes, den er in seinem ersten Projekt für das Dresdner Hoftheater konsequent halbkreisförmig annimmt. Noch in einem zweiten Entwurf legt Semper, beeinflußt von den Reformvorschlägen Ludwig Tiecks, auf eine Vorbühne im Bereich des Proszeniums großen Wert. Die amphitheatra-lischc Sitzanordnung des griechisch-römischen Theaters, die Cavea.hat Semper bis hin zu den Entwürfen des Wagner-Festspielhauses beschäftigt. Er hat von dieser »bürgerlichen« Position die Traditionen des Hofthcaters kritisiert. Trorzdcm wäre es kurzsichtig, Semper als Theatcrarchitekt allein von diesem ästhetisch-»demokratischen« Motiv, das er mit Gespür für das seiner Zeit Gemäße theoretisch ausprobiert hat, beurteilen zu wollen. So wäre auch kaum die suggestive Wirkung seines ersten Dresdner Hoftheaters zu erklären, das Semper mit einem Schlage in Europa berühmt machte. Das ähnlich organisierte Mainzer Theater, 1829-1833 von Georg Moller erbaut, hat wenig Aufmerksamkeit erfahren. Die künstlerische Verarbeitung des Motivs, seine Übcrtra-, den traditionellen Typus des Hofthcaters und seine Kopplung mit der Idee0 des »Festtheaters« Richard Wagners sind Sempers große Leistungen. An Sempers Theaterbau-Projekten läßt sich /eigen, wie er bei einer Bauidee nie stehenbleibt, sondern wenige einmal als richtig erkannte Pnnz.pien der baulichen Funktion und Organisation unter verschiedenen Bedingungen - Henrich Magirius THEATER 165 Die Grundrisse von Sempers Theaterpla-nungen (S. 167, 170-178) sind im Maßstab 1 : 2000 abgebildet. Seite 167: Entwürfe zum ersten Hoftheatcr Dresden, 18)5-1841: - Erster Vorentwurf um 1855 - Entwurf«variantc um 1837 - Entwurfsvariantc 1857/58 - Ausführungsprojekt 18)8 166 Idee aus Idee entwickelnd, oder auch auf ältere, schi überholte Lösun- gen zurückgreifend - unentwegt »durchspielt« ; zu jedem Projekt gibt es zahlreiche Varianten, bis er zur Ausführung doch wieder nur ihm gültig erscheinende Versionen aus der Hand gibt. Die drei ausgeführten Theater in Dresden und Wien können nur aus den wechselnden, aber doch auch wieder künstlerisch konsequenten Zielrichtungen dieses Weges verständlich gemacht werden, eine bisher nur auf bestimmte Strecken geleistete wissenschaftliche Arbeit.2 Auf den ab 1855 entstandenen Plänen zu einem Forum, die eine Erweiterung des Zwingerhofes nach der Elbe zu vorsahen, ist der Theaterbau mit dem Zwinger durch langgestreckte Galerien verbunden.3 Das vortretende Halbrund des Zuschauerraumes zeigt in zwei Geschossen die Bogenarchitektur des Zwingers, das dritte - noch ohne Attika, die Begrenzung des Zuschauerraums - tritt gegenüber den beiden Foyerumgängen zurück. Im Äußeren kommt aber das Bühnenhaus nicht zur Wirkung; es bleibt unter dem flachgeneigten Satteldach verborgen. Durch die spätere Erhöhung um ein Attika-geschoß war das technisch möglich. Nicht die bescheidenen Treppenhäuser seitlich vom Zuschauerraum werden architektonisch betont; Semper durchdringt vielmehr die in die Tiefe entwickelte Folge von Zuschauerraum und Bühne durch nicht funktionell, sondern gestalterisch bedingte dreigeschossige »Querhausarme«, denen Unterfahrten vorgelagert und die mit antikischen Giebeln - geschmückt mit Ernst Rietschels Plastikgruppen - abgeschlossen sind. Der Vergleich der äußeren Erscheinung des ersten Dresdner Hoftheaters mit der Ostpartic einer französischen gotischen Kathedrale mag geeignet sein, die konzentrierte Kraft und Organik der Architektur zu verdeutlichen, er ist ungeeignet zur Charakterisierung nicht nur der feinen renaissancistischen Einzelformen, sondern auch der Selbständigkeit der Wirkung der Schauseiten. Insbesondere die dreigeschossige Palastfassadc der Rückseite, durch einen hinter der Bühne angeordneten Festsaal einigermaßen motiviert, wirkt dem Baukörper »vorgeblcndct«. Der besondere Reiz des Innenraumes war in seiner intim-geschlossenen Wirkung begründet. Besondere Wertschätzung genoß die lichte heitere Farbwirkung und die dekorative Malerei französischer Künstler. Von den in den Vorprojekten angedeuteten Gesichtspunkten eines Reformtheaters ist im Innenraum nichts realisiert worden. Das übliche Bühncnrcper-toire - das Theater diente nicht nur dem Schauspiel, sondern auch der Oper -und die gängige Aufführungspraxis sprachen gegen Sempers Idealvorstellungen. Auch waren die Erfordernisse eines Hoftheaters nach wie vor zu berücksichtigen/' Der Raum ist hufeisenförmig und mit Logen in den beiden unteren Rängen versehen. Die Kreisform des Plafonds allein deutet auf ein ursprünglich dem Bau zugrunde liegendes geometrisches Prinzip hin. Für alle Sempcr-schen Theater, deren Raumform durch den Halbkreis oder das Hufeisen der Rangbrüstungen bestimmt ist, bleibt fortan dieses »Erlösungsmotiv« verbindlich. In London sehen wir Semper das Problem Theaterbau von einer anderen Seite angehen. Hier stellte sich 1854 die lockende Aufgabe, in den Kristallpalast von Sydenham ein Theater nach antikem Vorbild einzufügen. Was sonst in nordischen Ländern unmöglich ist, in einem Glashaus läßt sich - gleichsam museal - das antike Amphitheater sogar einschließlich der typischen Poly-chromie demonstrieren. Hier ist formal interessant, wie die an der »Seena» halbrund ansetzende »Cavea« in dem Rcchtcckraum segmentbogenförmig ausläuft und die Segmentform von einer umlaufenden Kolonnade aufgenommen „r,rA Das Motiv erlebte später seine Trau , ,■ , wir"-1-" „ j .. t, Raumtypus des zwei- ten Hof theaters von Dresden und im Burgtheatei in Wien. Bei den Studien für das Wiederaufbauprojekt des Monnaie-Theaters in Brüssel 1855 war Semper an Wettbewerbsbedingungen eng gebunden. Dem Zuschauerraum vorgelagert sind ein querrechteckiges Foyer und eine Tempelfront mit Freitreppe. Am Stadthaus in Winterthur finden sich später einige dieser Bauidecn weitergeführt. Im Jahre 1858 arbeitete Semper an dem Projekt für ein kaiserliches Hoftheater in Rio de Janeiro. Dabei bleibt für Semper der gestufte Aufbau und das Halbrund des Zuschauerraumes verbindlich. Die Organisationsachse des Baukörpers wird durch eine Exedra am Scheitel des Halbrunds und durch ein den Zuschauerraum überragendes Bühnenhaus mit antikischem Dreiecksgiebel pathetisch betont. Dieser einmal gefundenen Ausdrucksform für das Bühnenhaus bleibt Semper fortan treu. Der kompakten Steigerung der Baumassen konnte nicht mehr wie in Dresden mit »Querhausarmen« entgegengewirkt werden. Semper probiert hier in verschiedenen Versionen die Ablösung der das Bühnenhaus flankierenden Baukörper durch Einordnung von Lichthöfen aus. Die Orientierung dieser seitlichen Baukörper zum Bühnenhaus hat Semper intensiv beschäftigt. Durch Giebelmotive ist eine Längsund Querorientierung möglich. Die zweigeschossige Säulenarchitektur mit Attika und Figurenreihe verhält sich richtungsmäßig indifferent und ermöglicht es, Rück- und Seitenfronten der Anbauten am ungestalt aufragenden Bühnenturm mit einander entsprechenden Palastfassaden zu umkleiden. Die im Rechteck geführten Kolonnaden, die das Halbrund des Zuschauerraumes umgeben, verstärken das Bild der Vielteiligkeit, mit der die kompakte Konzentration der Baumassen gelockert werden soll. Die Organisation der Innenräume entspricht in allen wesentlichen Zügen dem ersten Dresdner Hoftheater. Auf die Entfaltung höfischen Zeremoniells ist besonders achtgegeben. Dem entspricht die Gravität und der Reichtum der Einzelformen. Neu ist im Innenraum die Weitung oberhalb des vierten Ranges und die Einführung des Motivs der Kolonnade oberhalb des vierten Ranges. Sie hebt den Kreis des Plafonds feierlich empor. Den dritten Höhepunkt Semperschen Theaterschaffens stellen die Entwürfe für ein Wagner-Festspielhaus in München dar.5 Wagner und Semper verband seit ihrer Dresdner Zeit eine nicht unproblematische Freundschaft. Als in der Mitte der sechziger Jahre Richard Wagner von König Ludwig II. von Bayern schwärmerisch verehrt wurde, schien der Gedanke eines Richard-Wagner-Festspielhauses in der bayrischen Hauptstadt Wirklichkeit werden zu können. Wagner schlug dem König Gottfried Semper als Architekten vor. Wagner wußte von den gemeinsamen Jahren in Dresden und Zürich her, daß Semper wie kein anderer Architekt sich mit den Fragen des Theaterbaues beschäftigt hatte. Da an die Ausführung des monumentalen Festspielhauses nicht so bald zu denken war, sollte im Münchner Glaspalast ein Versuchsbau errichtet werden, wofür Semper 1864/65 Pläne anfertigte. Auf Grund der Wagnerschen Forderungen nach einer Bühne, deren Wirkung keine Maßstabvergleiche zum Zuschauerraum zuläßt, findet Semper zu einer neuartigen Lösung für die Gestaltung des Proszeniums. Nach Wagner geht es darum, »das Sehen selbst zur genauen Wahrnehmung eines Bildes zu bestimmen«.0 Das Proszen.um wird aus zwei gestaffelten, antikisch geschmückten Wänden gebildet. In diesem Bereich befindet sich die in den Boden versenkte, caveaartig gestaltete »Or- chestra«, der »mystische Abgrund« zwischen Zuschaue md Bühne da. Rein funktionell gesehen ist der Wunsch Wagners nach .... ci Guckkasten-und Kulissenbühne der Cavea des antikischen Theaters diametral entgegengesetzt, weil sie mit Sichtbehinderungen verbunden ist. Nicht aber im archi-tcktur-symbolischen Sinne. Im Wagnerschen Festspielhaus sammelt sich wie in der Antike eine kultisch erhobene Festgemeindc. Semper bedient sich des Typus der »Cavea«, der ansteigenden Sitzreihen des Zuschauerraumes, ähnlich wie er es bei dem Entwurf für das Festtheater im Kristallpalast in Syden-ham getan hatte. Auch dafür gibt es zwei Versionen. Nicht nur für die Raumform, auch für die Gestaltung der doppelgeschossigen Proszeniumswände mit Figurcnnischen war als Vorbild das Teatro Olimpico in Vicenza von Andrea Palladio gewiß von anregender Bedeutung. Für die Entwurfsarbeit am Wagner-Theater, die Semper über die Ausweisung Wagners aus München hinaus wider alle Hoffnung auf Realisierung bis 1867 betrieb, war die städtebauliche Einordnung von besonderer Wichtigkeit. Zuerst war an die Stellung auf der Isarhöhe südlich des Maximilianeums gedacht, später an eine Stelle nördlich davon.7 In jedem Falle wäre die Vorderansicht von großer städtebaulicher Bedeutung gewesen. Auch die zwischenzeitlich erwogene Stellung am Hofgarten erforderte hohe Repräsentanz. So knüpfte Semper für den Außenbau zunächst an den Entwurf für Rio de Janeiro an, kam in späteren Entwürfen aber von der Anordnung von Baukörpern am Bühnenhaus ab und fügte langgestreckte Eingangshallen und Treppenhäuser zweckentsprechend dem Zuschauerraum seitlich an. Die nunmehr konsequent angewendete Segmentform für die Anordnung des wieder amphitheatralisch ansteigenden Gestühls erbrachte wesentliche Sichtverbesserungen. Wagner zog für sein Bayreuther Festspielhaus daraus seine Folgerungen. Der Segmentform des Raumes entsprechend wird in den weiteren Entwürfen auch die äußere Erscheinung segmentförmig gestaltet. Semper verzichtet aber nicht mehr auf das königliche Exedramotiv und den Tempelgiebel am Bühnenhaus. Die vorrangig behandelten Entwürfe für eine breit sich entfaltende Vorderfront nähern sich palastartigen Wirkungen. In diesem Falle können in den langgestreckten Annexen unter Festsälen Treppenhäuser für das »fahrende« Publikum untergebracht sein, in anderen Entwürfen finden sich hier nur Treppenanläufe und die Treppenhäuser liegen gemeinsam mit denen des »laufenden« Publikums dicht neben dem Zuschauerhaus. In anderen Plänen verzichtet Semper ganz auf die langgestreckten Flügelbauten, beläßt aber die Unterfahrten und Treppen neben dem Zuschauerraum, womit eine machtvolle Steigerung der Baumassen erzielt wird. Die Konzentration der Entwurfsarbeit auf die neue und bessere funktionelle Zuordnung von Treppenhäusern und durch Säulen gegliederte obere Vestibüle wirkt sich auf die Gestaltung des Baukörpers dahingehend aus, daß die Vorderansicht dominierend behandelt und die körperhafte Allansichtigkeit der früheren Theater nicht mehr erzielt wird. Für die beiden ausgeführten Alterswcrkc, das Dresdner zweite Hoftheater und das W.ener Burgtheater, lieferten die Münchner Entwürfe das ideelle Rüstzeug. In den ,869/7o entstandenen Forumsplänen für Wien erscheinen für das Burgtheater, das an den Westtrakt der neuen Hofburg angeschlossen werden soll, Wiederholungen des Münchner Schemas, in dem einen Fall sogar m.t halbkreisförmigem Zuschauerraum.« Nachdem am 2I. September ,86, das Dresdner Hoftheater ein Raub der Flammen geworden war, erzwang sich die Bürgerschaft die Beauftragung S ,u.3 Sem- per erkannte, daß ein Wiederaufbau weder er.swert noch funktionell verantwortbar gewesen wäre. In Dresel« . ,i Jein Bau der Gemäldegaleric die Westseite eines Platzes neu zu gestalten. Ähnlich wie in München kam es auf einen geschlossenen Architektuiprospekt an. Und doch ist Semper in seinen ersten Entwürfen nicht allein von dem Münchner Stand ausgegangen, sondern auch von einer vereinfachten Rio-de-Janeiro-Version. In einem weiteren Vorentwurf sieht er die Verkürzung der Seitenflügel und die Einbeziehung der Unterfahrten in dieselben vor. Erst im Jahre 1871 ließ sich Semper dazu bestimmen, die Säle über den Durchfahrten wegzulassen. Dadurch wurden die von ihm bevorzugten, palastartig breit gelagerten Versionen zugunsten der Subordination der seitlich des Zuschauerhauses gelegenen kurzen Treppenhaus-Vestibüle und der Unterfahrten unter den sich aufstaffelnden Baumassen in der Organisationsachse ausgeschieden. Damit ähnelt der Dresdner Bau in seinem Äußeren einem der Münchner Projekte (Projekt C). Hier erhebt sich die Frage, ob Semper das in München von der Funktion des Theaters als Festspielhaus begründete Segmentbogen-Motiv des Zuschauerraumes nur aus ästhetischen Erwägungen auf den Typus des Hoftheaters übertragen hat. Das ist gewiß nicht der Fall. Im Sinne einer Synthese findet nämlich Semper auch für den höfisch geprägten Innenraum eine über Rio de Janeiro hinausgehende Form. Die Weitung des Raumes über dem vierten Rang ist wie schon in Sydenham durch eine entsprechend dem Außenbau segmentbogenförmige Kolonnade begrenzt, hinter der der fünfte Rang bis zu den Umfassungsmauern ansteigt. So klingt nun hier wie auch in der Anordnung der Sitzreihen im Parkett das antikische Arena-Motiv auch in einem Hoftheater an. Der kreisrunde Plafond ist der Segmentform spannungsvoll eingeordnet. Mit diesen konzeptionellen Entwürfen ist für Semper die Arbeit an dem Dresdner Theater nicht beendet gewesen. Er hat nicht nur noch jahrelang die architektonische Detaillierung in reichen Hochrenaissanceformen mit dem in Dresden den Bau leitenden Sohn Manfred beraten, sondern hat sich auch an der Entwicklung des ikonographischen Programms ebenso intensiv beteiligt wie an der Ausgestaltung mit Bildwerken, mit Malerei, Stuckmarmor und Stucco lustro. Wenigstens hier ist noch einmal Sempers Idee eines vom Architekten-»Choragen« inspirierten Gesamtkunstwerks Wirklichkeit geworden.10 Auch die bis zum Jahre 1874 teilweise in Zusammenarbeit mit Hasenauer entwickelten Projekte für das Wiener Burgtheater sind sehr wesentlich von der städtebaulichen Situation an der Ringstraße gegenüber dem Rathaus bestimmt." Hier erschien eine pathetische Aufgipfelung, die am Dresdner Theaterplatz sinnvoll war, nicht angebracht. Reich gegliederte, aber palastartig gelagerte Baukörper scheinen in der Metropole des Habsburger Kaiserreichs am Platz. In drei Projekten für einen riesenhaften Bau wird auch die Scmpersche Symbolform des sich im Äußeren darstellenden Inneren über Bord geworfen. Nach der Entstehung der Pariser Oper mußte sich Semper fragen, ob die von Treppenhäusern und Foyers erwartete Prachtentfaltung mit den Beschränkungen vereinbar sei, die er sich mit der einmal gefundenen Symbolform selbst auferlegt hatte. Auch in dem Projekt für Darmstadt gibt er diese 1871 kurz entschlossen preis, um für Wien dann doch wieder auf das Segment zurückzukommen. Es ist aber Semper nun offenbar nicht besonders Linke Spalte: - Entwurf eines Theaters im Kristallpalast Sydenham, 1854/55 - Wettbewerbsentwurf zum Wiederaufbau des Theatre de la Monnaie in Brüssel, 1855 - Wettbewerbsentwurf für Rio de Janeiro, 1858 Rechte Spalte: Entwürfe für ein provisorisches Richard-Wagner-Fcstspiclhaus im Glaspalast München, 1864-1866: - Vorentwurf - Entwurfsvariantc (Projekt A) - Entwurfsvariante (Projekt B) schwergefallen, auf das Exedramotiv zu v . y.nauers Mittel- risalit zu akzeptieren. Dem Ausdruck ruhiget U .. . . ir dient die kolos- sale Pilasterarchitektur; nur die langgestreckt. ien Flügel der Gala- treppenhäuser zeigen noch eine zweigeschossige Säulcnordnung. Im Ausbau durch Hasenaucr ist die aufgipfelnde Wirkung des ßühnenturmes durch die Kuppel über dem Zuschauerraum unterdrückt; der Konkurrenz der Kaiserstadt Wien mit der »kaiserlichen« Oper in Paris werden Sempers Ideen zum Opfer gebracht.12 Auch in den Auseinandersetzungen um die Gestaltung des Innenraumes - man wählt schließlich die Lyraform für den Zuschauerraum -gehen wesentliche Züge Semperscher Gestaltungskunst verloren. Die neo- 170 barocke Ausschmückung des Hauses mit Skulpturen und Malereien erlebte Semper nicht mehr. Urteilt man von den Gesetzen her, unter denen Semper seinen Weg als Theaterarchitekt antrat, ist er mit dem Wiener Burgtheater an ein Ende gelangt. Seine architektonisch-symbolischen Leitmotive, seine architektonischen Theorien der Sinnentsprechung von Innenraum und Außenbau erwiesen sich als ungeeignet, den Ansprüchen des Späthistorismus nach freier räumlicher Entfaltung und Repräsentanz gerecht zu werden. Als progressive Bauideen sind die Forderungen Sempers aber lebendig geblieben, haben das Bayreuther Fest- Linke Spalte: Entwürfe für ein Richard-Wagner-Fcstspiel-haus in München, 1864—1866: - Entwurfsvariante mit kurzen Seitenflügeln - Entwurfsvariante mit keilförmigem Zuschauerraum - Entwurfsvariantc (Projekt A) Rechte Spalte: Entwürfe zum zweiten Hoftheatcr Dresden, 1870-1878: - Entwurfsvariante mit segmentförmigem Zuschauerhaus, Mai 1870 - Entwurfsvariante mit halbrundem Zuschauerhaus, Mai 1870 - Ausführungsprojekt 1871 H JZZj 1 Linke Spalte: Entwurf zum Hoftheatcr Darmstadt, 187) Rechte Spalte: Entwürfe zum Burgtheatcr Vt'icn, 1869-1888: - Entwurfsvariante vom (. November i8ti - Entwurfsvariantc vom 16. Dezember 18-1 - Entwurfsvariante 1871/71 Ausfuhrungsprojekt 187) spielhaus bewirkt und den Idealen des Reform- und Volkstheaters bis ins 20. Jahrhundert hinein als Leitbild gedient. An Sempers ausgeführten Theaterbauten ist d.e unerhörte Kraft zur künstlerischen Synthese zu bewundern mit der der Architekt einander widersprechende Tendenzen seines Jahrhunderts in Gesamtkunstwerken zur Anschauung gebracht hat. , Semper 1849; Fleischer t892; Lipsius 1880; Semper ,904; Schael 1958; 2 Man-teuffel 1952; Fröhlich ,974 S. ,86-197; 3 Semper ,849; Fleischer ,878; Mütterlein 1913; 4 Zum Einfluß Ludwig Tiecks auf das erste Dresdner Hoftheater vgl Biermann 1928 u. Kummer 1958, S. ,00-101 und ,62-163; 5 M. Semper 1906-Habel ,970, S. 297-3,6; 6 Wagner 1937, S. 359; 7 Habel ,976, S. ,29-152' 8 Bayer ,900; Ellenbergcr ,970; Eggert ,975, ,42/143, S. 49-56; Eggert ,976, 148/149, S. 22-23; Eggert 1978; 9 Gurlitt ,878; Mütterlein ,913; Heck 1941,4, S. 65-83; Mantcuffel 1956, S. ,05-, 20; 10 Eine noch ausstehende kunsthisto-nsche Monographie zum Bau des zweiten Dresdner Hoftheaters auf Grund der reichen historischen Überlieferung ist vom Institut für Denkmalpflege durch den Verfasser vorgesehen. 11 Vgl. Anm. 8; 12 Steinhauser 1969 A n das Theater knüpfen sich im 19. Jahrhundert gesellschaftliche Ansprüche wie zu kaum einer anderen Zeit. Das sich emanzipierende Bürgertum versteht das Theater nicht als bloße gesellschaftliche Konvention, sondern sieht in ihm eine hervorragende Bildungseinrichtung. Als neues Pantheon der Künste wird es zur zentralen Bauaufgabe.1 Gottfried Semper hat zur Gestaltung des bürgerlichen Theaters, dieser Jahrhundertaufgabe, einen gewichtigen Beitrag geliefert. Zum vollen Verständnis sind dabei nicht nur seine ausgeführten Bauwerke, sondern auch einige nicht realisierte Projekte zu betrachten, weil gerade sie besonders deutlich die Bemühungen um strukturelle Veränderung des Verhältnisses von Zuschauerraum zur Bühne offenbaren. Auf die folgenden Generationen von Architekten sind sie von nachhaltigem Einfluß gewesen. Erneuerungsbestrebungen zu dem im Barock manifestierten Gebäudetypus setzen in Frankreich und Italien bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts ein (Dumont, Cochin, Arnoldi, Ferrarese, Morelli). Bedeutende Impulse vermitteln die Entwürfe der französischen Revolutionsarchitekten (Lcdoux, Boulee). In Deutschland stehen um 1800 die Namen Friedrich Gilly, Louis Catel und Karl Friedrich Schinkel für eine Theaterreform. Ludwig Tieck erstrebt mit dramaturgischen Argumenten eine Veränderung der Bühnenform für das Schauspiel. Dem Logen-Rang-System des barocken Zuschauerraumes mit seiner die gesellschaftliche Rangstufung betonenden Struktur wird das demokratische Prinzip des gleichmäßig ansteigenden Halbrundes des antiken Theaters entgegengesetzt. Der barocken Tiefenbühne mit ihrer raffinierten Kulissenverwandlungstechnik wird allenfalls eine Berechtigung für die Oper zugesprochen. An die Stelle der »gaukelnden Gemäldeausstellungen« soll im Schauspiel die »dramatische Perspektive« treten, die allein durch das Wort und das Spiel erzeugt wird. Den dramaturgischen Intentionen eines Spielablaufs »en profil« entspricht die Proszeniumsbühne der Antike oder der Renaissance. Palladios Dieter Schölzel REFORM DES THEATERBAUES •75 naiDkreistörmige.amphitheatralische Zuschauerraum mußte wegen der vorgegebenen Hallenabmessungcn seitlich und rückwärtig beschnitten werden, so daß nur im vorderen Zuschauerblock der Halbkreis wirklich ausgebildet ist. Die oberen Sitz- i nauuissin i»3b, ßcl. 2, rrontisptz 366 Farbabb. S. 209 Gottfried Semper Perspektivische Ansicht des Theaters negieren wollte oder ob er die räumlichen und technischen Möglichkeiten erkannt hatte, ein wettergeschütztes Theater in der Art einer antiken Bühne unter offenem Himmel bauen zu können. D. Sch. 1 Fröhlich 1974, S. 80, Anm. 6 THEATER RIO DE JANEIRO 1858 1858 beteiligte sich Semper an einem Wettbewerb für das kaiserliche Theater in Rio de Janeiro. Der Entwurf stellt eine wichtige Etappe in der Entwicklung von Sempers Kompositionsschema des Theatergebäudes dar. Wie in Dresden ist das Zuschauerhaus im Äußeren halbrund geformt, der Saal folgt dem barocken Schema. Neu ist, daß die Mitte durch eine Exedra betont wird, eine äußere Entsprechung zur inneren Mittelloge. Für Sempers bürgerliche Gesinnung ist dieses dem Römischen entlehnte Herrschermotiv immerhin verwunderlich. Bei Rio de Janeiro kann man es dem Wettbewerbsprogramm anrechnen, das auf das imperiale Repräsentationsbedürfnis des brasilianischen Kaisers zugeschnitten war. Semper verwendet es hinfort für alle seine Theaterplanungen. Ebenfalls neu und Ausdruck einer »funktionalistischen« Haltung ist das als selbständiger Baukörper mit Satteldach und Dreiecksgiebeln entwickelte Bühnenhaus, der Mittelpunkt der Massenkomposition. Zu ihm staffeln sich die Baukörper in die Höhe und in ihm kreuzen sich die Achsen der den Bühnenturm umgebenden, symmetrisch aufgebauten und in sich abgeschlossenen Raumgruppen. Ein umlaufender Arkadengang faßt das Gebäude im Erdgeschoß zusammen. D. Sch. 187 3Ö7 367 Abb. Gottfried Semper Perspektivische Ansicht des Theaters in Rio de Janeiro. 1858 Zeichnung (Photographie) München, Theatermuseum (dort nicht auffindbar) Berlin, Denkmalpflege, Meßbildarchiv, Inv. 44 qu 13/147 Lit.: MV M3-32; Biermann 1928, Abb. 39; Habel 1970, Abb. 735; Storck 1971, S. 733, Abb. 11; Habel 1976, Abb. 11 Die aquarellierte Perspektivzeichnung zeigt die Baukörpcrkomposi-tion aus weitgehend verselbständigten Funktionsclcmenten: Bühnenturm, Zuschauerraum, Foyergänge, Exedra, seitliche Vestibüle, Treppenhäuser und Vorfahrten, Arkadenumgang. Das von Semper bereits in Dresden aufgestellte Prinzip, »die äußere Erscheinung des Gebäudes durchaus von dessen nothwendiger innerer Gliederung abhängig zu halten«, ist voll entwickelt.1 Der Entwurf gewinnt dadurch eine über die Theaterentwicklung hinausreichende Bedeutung für die Architekturgeschichte des 19. Jahrhunderts. D. Sch. 1 Semper 1849, S. 10 368 Gottfried Semper Längsschnitt des Theaters. 1858 Beschriftet »COUPE LONGITUDINALE«; Maßstabslciste mit Maßangaben in pieds Feder in Grau, Pinsel, Wasserfarben in Grau und Gelblich, Goldhöhungen; ;8 x 131,5 cm München, Theatermuscum Lit.: MV 153-32-7 Repräsentativ ausgeführtes Blatt, von dem anzunehmen ist, daß es zu der Gruppe der Wettbewerbspläne gehörte. Der Bühnenturm ist als selbständiger Baukörper entwickelt und überragt das Zuschauerhaus weit. Diese Form, die hier bei Semper erstmals auftritt, sollte bis in die Neuzeit für den gesamten Theaterbau bestimmend werden. Dem Repräsentationsbedürfnis des brasilianischen Kaisers entspricht Semper mit der »l'exedre imperiale«, einem äußeren Gegenstück zur inneren Mittelloge. Auch dieses Bauclement erscheint in allen späteren Theaterplanungen Sempers in ähnlicher Form. Bemerkenswert und einzigartig ist die konstruktive Lösung, die Zu-schauerraumdcckc mit Seilen an außenliegcndc, bis über das Dach geführte Pylone aufzuhängen. Der 188 369 Fcstraum hinter der Bühne, der in ähnlicher Form auch schon beim ersten Dresdner Hoftheater vorhanden war, bildet mit den seitlich der Bühne gelegenen Vestibülen und dem Rundfoyer eine festliche Raumfolge. D. Sch. Gottfried Semper Entwurf für den Plafond des Theaters. 1858 Bez. »GS« Beschriftet von fremder Hand »Plafond für d. Theater in Rio Janeiro/E 20}« Bleistift, Feder; 41,5 X47.4 cm Zürich, ETH Lit.: MV 153-1-1; Fröhlich 1974, S. 108 Der Entwurf zeigt die für Semper typische radiale Aufteilung des Rundfeldes. Das figürliche Programm ist auf die dramatische Literatur bezogen. V. H. 189 RICHARD-WAGNER-FESTSPIELHAUS MÜNCHEN 1864-1866 Im November 1864 teilte der bayrische König Ludwig II. dem von ihm bewunderten Richard Wagner seine Absicht mit, der bereits 1862 im Vorwort zum »Ring des Nibelungen« entwickelten Idee zu folgen und für die Aufführungen der Musikdramen ein eigenes Festspielthcatcr in München errichten zu lassen. Mit der Planung wurde Semper im Dezember 1864 betraut. Wagner, die Situation realistisch beurteilend, wollte zunächst nur ein »provisorisches Theater, so einfach wie möglich, vielleicht bloß aus Holz und nur auf künstlerische Zweckmäßigkeit des Innern berechnet«. Der König wünschte dagegen einen steinernen Prachtbau. Deshalb begann Semper mit der parallelen Erarbeitung von zwei Projekten. Das provisorische Theater sollte in den von August Voit 1854 fertiggestellten Münchner Glaspalast eingebaut werden. Ende November 1865 schickte Semper zwei Varianten für das provisorische Theater nach München, nachdem er bereits im Mai 1865 die ersten Entwürfe, die noch ganz der Sydenhamer Lösung ähnelten, an Wagner übergeben hatte. Die Entwürfe fanden Ludwigs II. Zustimmung, dagegen die Ablehnung des Kabinetts, des Hofadels und der Münchner Öffentlichkeit, wegen zu großer Kostenbelastung der Zivilliste, Verweigerung der Ausstellungshalle und technischer Undurchführbarkeit. Die gleichen oppositionellen Kräfte hatten im Dezember 1865 den König gezwungen, Wagner aus München auszuweisen, nachdem dieser sich in einem anonymen Zeitungsartikel gegen einige Hofbeamte gewandt hatte. Semper schickte Anfang des Jahres 1866 ein Modell der Variante A nach München, erfuhr aber im März 1866, daß des Königs Interesse nur noch auf das monumentale Theater gerichtet sei. Im September 1865 war dafür nach mehreren städtebaulichen Untersuchungen ein exponierter Standort am hochgelegenen Isarufer nördlich des Maximilianeums bestimmt worden. Durch eine Prachtstraße und eine Isarbrücke sollte das Bauwerk mit der königlichen Residenz verbunden werden. Semper erarbeitete zunächst ein überschlägiges Kostenangebot, wozu er den Entwurf von Rio de Janeiro benutzte. Im Juni 1866 übermittelte er die Pläne an den König, im Dezember ließ er ein Holzmodell fol- gen. Ludwig II. war begeistert und beschloß, mit dem Bau zu beginnen. Doch wieder formierte sich eine Opposition gegen den Willen des Königs. Mit Hinweis auf die politische Lage wurden das Theater und vor allem Her Stra-ßendurchbruch als illusorisch hingestellt. Inzwis.^en war auch Wagners Interesse geschwunden, da er eir ■ Beeinträchtigung seiner Werke durch die allzu prächtige architektonische Gestaltung befürchten mußte. Erst mit der nach einer Prozeßandrohung erfolgten Honorarzahlung 1869 endete die Planung. In den Entwürfen für das provisorische Theater bemühte sich Semper, Wagners Forderungen zu erfüllen: amphi-theatralischer Saal und Guckkastenbühne, strikte Trennung der »idealen« Bühnenwelt von der »realen« Zuschauerwelt, unsichtbare Aufstellung des Orchesters. Die Vorzugsvariante A mit dem relativ schmalen Zuschauerraum, dem versenkten Orchestergraben (mystischer Abgrund) und dem doppelten Portal scheint diesbezüglich am besten gelungen. Die Projekte für das monumentale Festspielhaus verwenden im Prinzip die gleiche Saalform. Allerdings ist der Saal größer vorgesehen. Semper muß um die Problematik der Sichtbeziehungen des im Verhältnis zur Bühnenöffnung sehr breiten Zuschauerraumes gewußt haben, denn es finden sich Skizzen, in denen ungeachtet der toten Räume in den Saalflanken das Sitzfeld seitlich günstiger begrenzt ist. Sempers erstmalig für Rio de Janeiro angewandtes Prinzip, die einzelnen Teile des Gebäudes nach ihren Funktionen abzuheben und damit den Gesamtkörper zu einer Monumcntalform zu komponieren, erfährt in München die größte Entfaltung. Alle die den Theaterbau des 19. Jahrhunderts bestimmenden Elemente liegen in großartiger monumentaler Formensprache vor: die seitlichen Flügel, die prächtige Treppenhäuser und Gescllschafts-räume enthalten, das Zuschauerhaus mit seiner von einem Halbrund auf einen Segmentbogen reduzierten Rückwand, die zweigeschossigen Foyers, die dieser Form folgen, die Mittenbetonung der Exedra und das mächtig aufsteigende, giebelgeschmückte Bühnenhaus. Damit stellt dieser Entwurf nicht nur in Sempers Schaffen, sondern in der Theaterbauentwicklung des 19. Jahrhunderts überhaupt den Höhepunkt dar. D. Sch. m Gottfried Semper I Querschnitt des Festspielhauses. 1S66 Bez. »G. Semper f. 1866« Beschriftet »K. Festbau für München/Längendurchschnitt/Projekt A/Blatt XI«; Maßstabsleiste ohne Maßangaben Feder, Pinsel in Grau, geringfügig in Gelb und Braun; 6s.5 * 99.S cm München, TU, Architektursammlung, Inv. 51/5 2.8 1970/116 Lit.: MV 180-31-12 Den Querschnitt durch den Zuschauerraum und die seitlichen Treppenhäuser bezeichnet Semper als »Längendurchschnitt«, weil das Gebäude in dieser Richtung die größte Ausdehnung hat. Die Zeichnung zeigt eindrucksvoll Sempers künstlerische Auffassung von der festlichen Inncnraumgcstal-tung eines Theaters in der Abfolge monumental-feierlicher, geradliniger Treppenaufgänge, des seitlichen Saaleintritts durch triumphbogenartige Öffnungen und der nach Vorbildern der Antike und der Renaissance gegliederten Proszeniumswand. Zu erkennen ist auch die von Semper erfundene neuartige Bühncn-portallüsung. Die zwei hintereinander gestellten Portalwände - die innere eine verkleinerte Wiederholung der vorderen - sollten mittels optischer Täuschung die realen Maßstäbe der Bühne schwinden lassen. Richard Wagner hat offenbar von der Monumentalität und Pracht der Architektur eine Beeinträchtigung seiner Bühnenwerke befürchtet. Auf das gegenseitige Mißverstehen künst lerischer Absichten ist die zeitweilige Verstimmung zwischen Semper und Wagner zurückzuführen, die ebenfalls zum Scheitern des Projektes beigetragen hat. D. Sch. 375 Gottfried Semper Vorderfassade des Festspielhauses. 1866 Bez. »G. Semper f. 1866« Beschriftet »K. Festbau für München/Vorder Facade/West/Project A/Blatt XII«; Maß stabsleiste ohne Maßangaben Feder, Pinsel in Grau; 65,5 x 99.5 cm München, TU, Architektursammlung, Inv. 31/5 2.9 1970/127 Lit.: MV 180-31-13 373 Der Fassadenaufriß zeigt das Gebäude in seiner städtebaulich beherrschenden Lage am Isarufer mit der geplanten Brücke im Querschnitt. Die in dem Entwurf entwickelten Einzelmotive kehren in den späteren Bauten wieder: der mittlere Teil des Aufrisses nahezu deckungsgleich in Dresden, die südlichen Flügclbauten in Wien. D. Sch. 376 Gottfried Semper Details der Brücke Zum Festspielbaus. 1866 Bez. »G. Semper inv. & f. 1866« Beschriftet »Details der Brücke/Aufriß/Querschnitt/Blatt VI«; Angaben der Wasserstände, Maßstabsleistc ohne Maßangaben Feder, Pinsel in Grau; 65 x 99,; cm München, TU, Architektursammlung, Inv. 31/5 2.1 i97°/"9 Lit.: MV 180-31-14; Habel 1976, S. 129-152 Blatt VI des Projektes A zeigt den Teilcntwurf einer auf das geplante monumentale Festspielhaus zuführenden steinernen Bogcnbrückc über die Isar. Die Brücke steht im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Prachtstraße, die das Theater mit der königlichen Residenz verbinden sollte. Richard Wagner erläuterte am 13. 9. 1865 in einem Brief an König Ludwig IL die Idee folgendermaßen: »Der König Ludwig II. wird eine Straße in München gründen, wie sie Sein erhabener V ter und Großvater sich gegründet haben . . . Diese Straße wird als einc Verlängerung der Briennerstraße an der königlichen Residenz vorbei durch den Schloßgarten, geradeaus bis an die Isar geführt werden, über welche dann eine Brücke hinüber zu dem erhöhten Ufer zu den Terrassen führt, auf deren Anhöhe das ideale Festtheater stolz emporragt.«1 Die zusätzlichen Kosten dei Prachtstraße und der Brücke waren ein wesentliches Argument des Magistrats, des Kabinetts und der Hofpartei, das vom König gewünschte Theater zu hintertreiben. D. Sch. 1 zit. bei Habel 1976, S. 139 SEMPERS ZWEITES DRESDNER HOFTHEATER Nachdem am 21. September 1869 das erste Dresdner Hoftheater Sempers abgebrannt war, ging man unverzüglich an den Bau eines Interimstheaters in den Zwingeranlagen, das am 2. Dezember 1869 eröffnet werden konnte. Inzwischen war ein Neubau bereits ins Auge gefaßt. Man erwog sowohl einen Wiederaufbau und eine Erweiterung des alten Theaters als auch einen Neubau in den Zwingeranlagen, westlich abgerückt von der Gemäldegalerie. Dieser letzte Standort wurde von einer Fachkommission, die von der sächsischen Regierung eingesetzt worden war, befürwortet. Der Dresdner Stadtbaudirektor Theodor Friedrich hingegen sprach sich mit städtebaulichen Argunienten für eine Rückverlegung des Neubaus am Theaterplatz aus, desgleichen für eine Beibehaltung des platzseitigen Halbrunds. Die Regierung beabsichtigte die Ausschreibung eines beschränkten Wettbewerbs, zu dem auch Gottfried Semper aufgefordert werden sollte. Daraufhin ließ Semper wissen, daß er darauf nicht eingehen werde. Für die Beauftragung Sempers und gegen den Standort am Zwingerteich setzte sich die Dresdner Bürgerschaft in einer Unterschriftensammlung am 3 t . Dezember 1869 ein. Nachdem die Kammern im Februar 1870 den Wiederaufbau beschlossen hatten, erging an Semper die Aufforderung zu einer Begutachtung. Semper sprach sich bei seinem Aufent halt in Dresden Ende Februar/Anfang März 1870 für einen Neubau in einer gegenüber dem alten Theater zurückgerückten Position am Thcatcrplatz aus und wurde mit der Projektierung beauftragt. Im Mai legte Semper einen Entwurf vor, dem ein oder zwei weitere vorangegangen sein müssen. Sic unterscheiden sich im wesentlichen in der einmal halbkrcis-, anderntcils segmentförmigen Begrenzung des Zuschauerraums und der Foyers, in der unterschiedlichen Anordnung der Treppenhäuser und durch mehr oder weniger breite Flügelbauten, die den Zuschauerraum flankieren. Im September 1870 legte Semper ein modifiziertes Projekt vor. Eine Kostenberechnung ergab, daß die bewilligte Bausumme bei weitem nicht ausreichen würde, wodurch Semper zu Reduktionen vor allem an den Flügelbauten veranlaßt wurde. Die Grundsteinlegung erfolgte am 26. April 1871. Die örtliche Bauleitung wurde Manfred Semper übertragen, dem der Oberlandbaumeister Ernst Moritz Haenel als Kontrollinstanz zugeordnet wurde. Gottfried Semper nahm die Oberbaulei-tung durch Besichtigung am Ort, durch brieflichen Kontakt mit seinem Sohn und durch Austausch von Zeichnungen und Entwürfen wahr. Er beeinflußte nicht nur die Formensprache des Baus auch im Detail, sondern machte Vorschläge für dessen Ausgestaltung mit Bildwerken, Gemälden und Dekorationen. Dazu wurden vorrangig Dresdner Künstler herangezogen. Eine Ausnahme bildete der Schmuckvorhang, für den 1874/75 ein Wettbewerb ausgeschrieben wurde, den der Karlsruher Professor Ferdinand Keller gewann. Am 2. Februar 1878 wurde das zweite Dresdner Hoftheater Sempers mit der Aufführung von Goethes »Iphigenia auf Tauris« festlich eingeweiht. H. »■ 194 377 Bernhard Krüger Vorschlag zum Wiederaufbau und zur Erweiterung des ersten Dresdner Hoftheaters von Semper. 1869 Rückseitig beschriftet »Sempersches Theater. Projekt. Anbau« Bleistift, Feder, Pinsel, Wasserfarben; 36 x 24,5 cm Dresden, Denkmalpflege Lit.: MV (i8)-4i-5 5 ; Mütterlein 1913, S. 545 Der Plan stellt den Versuch dar, unter Erhaltung der Umfassungsmauern von Sempers erstem Hoftheater die neuen theatertechnischen Anforderungen zu erfüllen. H. M. 378 Theodor Friedrich und Friedrich Franz Maxen 1829 - Dresden 1891 Projekt zur Situierung des zweiten Hoftheaters. i8jo Bez. »entworfen von Th. Friedrich und Fr. Franz, Aufg. u. cop. v. G. Leschke« Beschriftet »Project zu Situicrung des neuen Königl. Hoftheaters«; rückseitig beschriftet »Kgl. Hofbauamt«; Maßstab in Dresdner Ellen Tusche, Pinsel, Wasserfarben ; 102,5 x 68,6 cm Dresden, Denkmalpflege Lit.: Müttcrlein 1915, S. 339 Der Plan zeigt die bereits vor der Begutachtung Sempers um die Jahreswende 1869/70 durch den Dresdner Stadtbaudircktor aus städtebaulichen Gründen vorgeschlagene Rückverlegung des Theaterneubaus unter Erhaltung der Bauformen des alten Theaters. In den Zwingeranlagen ist der von der königlichen Kommission für das neue Theater vorgesehene Standort angegeben. H. M. 379 Gottfried Semper Vorderansicht des zweiten Hoftheaters. iSjo Beschriftet »Haupt-Facade« Zeichnung (Photographie) Ehemals Dresden, Hauptstaatsarchiv; Finanzministerium (seit 1945 vermißt) Berlin, Denkmalpflege, Mcßbildarchiv, Inv. 45 m 29/12jo Lit.: MV 196 ; Heek 1941, S. 77 Zu diesem Plan eines Vorentwurfs gehören ebenfalls nur als Reproduktionen erhaltene Grundrisse mit seg- mentförmiger Begrenzung von Zuschauerraum und Foyer, die mit »I. Project« beschriftet sind, ein Querschnitt und eine Seitenansicht. Eine Variante stellt das Blatt »Hintere Facade« dar, das vielleicht zu einer weiteren, nicht erhaltenen Plangruppe gehört. An den mindestens drei Vorentwürfen arbeitete Semper zwischen Februar und Mai 1870. H. M. 380 Abb. Gottfried Semper Querschnitt in zwei verschiedenen Ebenen und Vorderansicht des zweiten Hoftheaters. iSjo Bez. »G. Semper f. 1870« Beschriftet »II tes Project« Zeichnung (Photographie) Ehemals Dresden, Hauptstaatsarchiv: Finanzministerium (seit 1945 vermißt) Berlin, Denkmalpflege, Mcßbildarchiv, Inv. 4S d 1/337 Lit.: MV 196; Müttcrlein 1913, S. 347; Man-teuffel 1956, S. 120 Zu diesem Plan des Projekts II gehören ebenfalls nur in Reproduktionen erhaltene Grundrisse des Par- 197 terres und des ersten Ranges mit halbkreisförmiger Ausbildung von Zuschauerraum und Foyers. Von besonderem Interesse ist die Darstellung von Gicbclskulpturen. Als Be-krönung der Exedra ist das Panthergespann des Dionysos dargestellt. An den mindestens drei Vorentwürfen arbeitete Semper zwischen Februar und Mai 1870. H. M. 381 Abb. Gottfried Semper Vorderseite des zweiten Hoftheaters. i8jo Beschriftet »Königl. Hoftheatcr zu Dresden, Vorderseite« Tusche, Pinsel, Wasserfarben; 66,5 x 98,2 cm Zürich. ETH Lit.: MV 196-1-9; Fröhlich 1974, S. 190, Abb. S. 192 Die Ansicht gehört zu einer in Zurich befindlichen Plangruppe, die Semper am 10. September 1870 in Dresden einreichte. H- M- 382 Abb-Gottfried Semper Seitenansicht des zweiten Hof theaters. 1870 Beschriftet »Königl. Hoftheater zu Dresden. Seitenansicht« Tusche, Pinsel, Wasserfarben; 65,7 x 98,4 cm Zürich, ETH Lit.: MV 196-1-10; Fröhlich 1974, S. 193, Abb. S. 193 Die Hinterbühne zeigt die im Juni 1870 geforderte Aufstockung um ein Attika-Geschoß, gehört also zu der Plangruppe, die am 10. September 1870 in Dresden eingereicht wurde. H. M. 383 Gottfried Semper ^b. Querschnitt des zweiten Hoftheaters. 1870 Beschriftet »Königl. Hoftheater 2u n Querschnitt« zu Dresd^ Tusche, Pinsel, Wasserfarben -Zürich, ETH ''9'6*96cm Lit.: MV 196-1-8; Fröhlich IO, „ Abb. S. 191 'W* S. ,n Die Treppenhäuser sind durch OK lichter erhellt, über de, LJnterfahr^ sind Sale angeordnet, die erst 1 Vorlage der Plangruppe am I0 S tember 1870 wegfallen. H T 3*5 HHBB? iS6 384 Franz Bretschneider Modell des zweiten Hoftheaters. 1978 Gips; Länge ioo cm, Breite 100 cm, Höhe 52 cm; Maßstab 1:100 Dresden, Denkmalpflege Das Modell wurde eigens für die Semperausstellung 1979 im Alberti-num Dresden nach den Ausführungsplänen von Manfred Semper angefertigt. D. Sch. 385 Abb. Manfred Semper Grundriß des ersten Ranges des zweiten Hoftheaters. Nach 1871 Bez. »Manfred Semper« Beschriftet »Kgl. Hof-Theater zu Dresden. I. Rang. Blatt s« Tusche, Pinsel, Wasserfarben; 65,8 x 91,4 cm Dresden, Denkmalpflege Lit.: MV 196-41 Der Grundriß gehört zu einer 47 Pläne umfassenden Gruppe, die wahrscheinlich erst nach dem Baubeginn 1871 im Baubüro von Manfred Semper entstand. H. M. 386 Abb. Manfred Semper Längsschnitt des zweiten Hoftheaters. Nach 1871 Bez. »Manfred Semper« Beschriftet »Kngl. Hof-Theater. Dresden. Laengcn-Schnitt. Blatt 25« Tusche, Pinsel, Wasserfarben; 66,4 x 98,7 cm Dresden, Denkmalpflege Lit.: MV 196-41 Der Längsschnitt gehört zu einer 47 Pläne umfassenden Plangruppc, die wahrscheinlich erst nach dem Baubeginn 1871 im Baubüro von Manfred Semper entstand. H. M. 387 Manfred Semper Aufriß der Mittelpartie der Hauptfassade des zweiten Hoftheaters. Nach i8ji Bez. »Manfred Semper« Tusche; 67,5 x 97,5 cm München, Theatermuseum Lit.: MV 196-52-39 Das Blatt ist vielleicht für eine Publikation bestimmt, was sich aus der Genauigkeit der Baudctails ergibt. H. M. 199 THEATER IM KRISTALLPALAST SYDENHAM 1854 Die für die erste Weltausstellung 1851 in London von Paxton errichtete riesige Halle, der «Kristallpalast», wurde nach der Ausstellung demontiert und 18 5 2-18 5 4 i'n einer ebenfalls von Paxton geschaffenen Parkanlage in Sydenham wieder aufgebaut. Er sollte einer ständigen Leistungs- schau von Industrie, Wissenschaft und Kunst Semper, der bereits in London mehrere Aussteliu lungen betreut hatte, erhielt den Auftrag, im Querschiff des 550 m langen Gebäudes ein Th gelegentliche Festaufführungen zu entwerfen. 365 Gottfried Semper Grundriß des Theaters. 1856 Bez. »G. Semper inv. 1856« Maßstabslcistc mit Maßangaben in engl. Fuß Feder in Grau, Pinsel, Wasserfarben; 32,5 x 40,; cm München, Thcatcrmuscum Lit.: MV 134-52-7; Biermann 1928, S. 59/60, Abb. 38; Schacl 1958, Abb. 65; Habel 1970, Abb. 756; Storck 1971, S. 67/68, Abb. 21, S. 733 Das Theater sollte in die mittlere, stützenfreie Querhalle des Kristallpalastes eingepaßt werden. Der von Semper als ideale Form erstrebte halbkreisförmige, amphithcatralische Zusdiaucrraum mußte wegen der vorgegebenen Hallenabmessungen seitlich und rückwärtig beschnitten werden, so daß nur im vorderen Zuschauerblock der Halbkreis wirklich ausgebildet ist. Die oberen Sitz- reihen und die rückwärtige Bogcn-galerie sind dagegen auf Kreissegmente reduziert. Die Bühnenform läßt sich von der griechischen Bühne herleiten. Die eingezeichneten Trcppcnanlagen, Höhenstufungen und Versatzstücke lassen vermuten, daß Sempers Vorstellungen von einer Shakespeare-Bühne mit eingeflossen sind. Bereits in Dresden hatte er für Tieck und Baudissin die Rekonstruktion des altcnglischen »Fortuna-Theaters« versucht.1 D. Sch. 1 Baudissin 1836, Bd. 2, Frontispiz 366 Farbabb. S. 209 Gottfried Semper Perspektivische Ansicht des Theaters Beschriftung »Un...bete Kopie nach einer Zeichnung von G. S.« Pinsel, Wasserfarben; 32,2 x sl cm Zürich, ETH Lit.: MV 1)4-1-1; Fröhlich 1974, S. 80, Abb. S. 81 Nach Fröhlich ist das Blatt von fremder Hand dem Sydenhamer Theater zugewiesen.1 Der Beschriftung zufolge handelt es sich um eine Kopie. Merkwürdig ist, daß das Theater in freier Landschaft dargestellt wird, obwohl es doch mit einer Hallenkonstruktion überwölbt zu denken ist. Es läßt sich nicht nachweisen, ob Semper die gläserne Hülle negieren wollte oder ob er die räumlichen und technischen Möglichkeiten erkannt hatte, ein wettergeschütztes Theater in der Art einer antiken Bühne unter offenem Himmel bauen zu können. D. Sch. 1 Fröhlich 1974, S. 80, Anm. 6 THEATER RIO DE JANEIRO 1858 1858 beteiligte sich Semper an einem Wettbewerb für das kaiserliche Theater in Rio de Janeiro. Der Entwurf stellt eine wichtige Etappc in der Entwicklung von Sempers Kompositionsschema des Theatergebäudes dar. Wie in Dresden ist das Zuschauerhaus im Äußeren halbrund geformt, der Saal folgt dem barocken Schema. Neu ist, daß die Mitte durch eine Exedra betont wird, eine äußere Entsprechung zur inneren Mittelloge. Für Sempers bürgerliche Gesinnung ist dieses dem Römischen entlehnte Herr-schermotiv immerhin verwunderlich. Bei Rio de Janeiro kann man es dem Wettbewerbsprogramm anrechnen, das auf das imperiale Repräsentationsbedürfnis des brasilianischen Kaisers zugeschnitten war. Semper verwendet es hinfort für alle seine Theaterplanungen. Ebenfalls neu und Ausdruck einer »funktionalistischcn« Haltung ist das als selbständiger Baukörper mit Satteldach und Dreiecksgiebeln entwickelte Bühnenhaus, der Mittelpunkt der Massenkomposition. Zu ihm staffeln sich die Baukörper in die Höhe und in ihm kreuzen sich die Achsen der den Bühnenturm umgebenden, symmetrisch aufgebauten und in sich abgeschlossenen Raumgruppen. Ein umlaufender Arkadengang faßt das Gebäude im Erdgeschoß zusammen. D. Sch. BURGTHEATER WIEN 1869-1888 Die Planung eines neuen Hofburgtheaters in Wien begann im Jahre 1869, nachdem Gottfried Semper als Gutachter berufen worden war und die Aufgabe erweitert hatte, indem er den städtebaulichen Bezug zur kaiserlichen Burg forderte. Am 23. Juni 1869 übergab er Carl von Hasenauer, einem der konkurrierenden Architekten, den er sich zur Mitarbeit erwählt hatte, die ersten Pläne für ein großzügiges Forumsprojekt. In ihnen ist ein Theater enthalten, das in der Baukörperbildung dem ersten Dresdner Bau ähnelt. Durch eine Brücke ist es mit dem nordwestlichen Segmentflügel der Neuen Hofburg verbunden. In einem von Semper und Hasenaucr signierten Forumsplan vom 20. Dezember 1869 ist das Theater an gleicher Stelle eingezeichnet, im Grundriß nunmehr aber nach dem Prinzip des Münchner Festspielhauses entwickelt. Gleichzeitig entstandene Vogelschaupcrspektiven von der Gesamtanlagc zeigen den Theaterbau jedoch nicht. Im Mai 1871 bestimmte das für das Forum eingesetzte Baukomitee einen neuen Theaterstandort an der Ringstraße gegenüber dem Rathaus. Am 11. Oktober 1871 legten Semper und Hasenauer Pläne vor, die erheblich von dem sonst von Semper verfolgten räumlichen Organisationsschema abweichen. An einem rechteckigen Kernbau, der Zuschauer- und Bühnenhaus enthält, sind Querarme und stirnseitig Längstrakte angesetzt, so daß sich ein doppel-H-förmiger Grundriß ergibt. Die Längsachse des Baues liegt parallel zur Ringstraße, während sie in ähnlichen Grundrissen vom 5. November 1871 rechtwinklig dazu orientiert ist. Ein weiteres Projekt vom 16. Dezember 1871 zeigt allerdings wieder die bereits für München entwickelte Gebäudeform mit segmentbogenförmigem Zuschauerhaus und seitlichen Festtrcppenflügeln. Eine offenbar von Hasenauer angefertigte Variante verzichtet auf das S'.gment und versucht ein quaderförmiges Zuschauerhaus mit einer fünfachsigen Loggia an der Vorderfront. Eine andere Fassung, von Semper und Hasenauer am I.Juli 1873 signiert, kommt dem Ausführungsprojekt nahe Sie unterscheidet sich lediglich in der Führung der seitlichen Festtreppen, in den Rangtreppenhäusern und in der Zuschauerraumgestaltung. Anstelle einer Exedra ist ein auf Hasenauers Mitwirkung zurückzuführender Mittelrisalit vorhanden. Am 16. Dezember 1874 wurde mit dem Bau begonnen. Da sich Semper im Herbst 1875 von Hasenauer trennte und Wien verließ, sind die Lyraform der Logenränge, der kuppelartigc Abschluß des Zuschauerhauses und Teile der Innenausstattung in Hasenauers Verantwortung entstanden. Eine Vielzahl Wiener Künstler stand ihm für die reiche Durchbildung der Fassaden und der Innengestaltung zur Seite. Am 16. Oktober 1888 erfolgte die Eröffnung mit Grillparzers Estherfragment und mit Schillers »Wallensteins Lager«. Auf Grund vielfältiger Beanstandungen der Sichtverhältnisse und der Akustik wurden 1897 durch Emil von Förster die Lyraform des Saales und Details der Logen korrigiert. D. Sch. 404 404 Abb. Gottfried Semper und Carl Hasenauer Situationsplan und Grundriß Zum Erdgeschoß eines Vorprojektes für das Hofburgtheater. 11. 10. 18 ji Bez. »Gottfried Semper/Carl Hasenauer Architekt 11/10 871« Beschriftet »Skizze für den Neubau des k. k. Hofschauspielhauses«, Maßleiste in Wiener Klaftern; Feder in Schwarz, Pinsel, Wasserfarben ; 52,7 x 9},j cm Wien, Akademie, Kupferstichsammlung, Inv. 21155 Lit.: MV 197; Eggert 1978, S. 199, Abb. 22 Bei dem Projekt ist die Längsseite der Ringstraße zugekehrt. Der Grundriß zeigt ein Rechteck, dem an den Längsseiten Rampen vorgelegt 208 II }88 Zweites Dresdner Hoftbeater Das farbige Blatt gibt den definitiven Entwurf wieder. Im November 1874 wurde mit dem Bau des Theaters begonnen. Der Unterschied zu dem Entwurf mit den breiten Seiten- Bcz. »Fot. von Carl Grail, Wien« Photographie; 28 x 38 cm Wien, N»tionalblbliothek Die Aufnahme stammt aus der Zeit vor dem Umbau des Zuschaucrrau- 411 Gottfried Semper und Carl Hasenauer Plafond des Zuschauerräume. Abb 394 Zweites Dresdner Hoflheater Abb- ichledene Zeiten hindeuten, illusionistisch aufgefaßt mit Ubenchnei-\\ungen der Bildi ander, in der Tradition barocker Deckenbilder. In den d.i/w ■ischenliegenden Feldern allcgo-i ist he Gruppen, darüber im Rund in i.ii i6. Novbr mit Brief v. 8. Novbr 73. MS/ K.K. Theaterdekorationsdepot«; Maßleiste in Wiener Klaftern; Feder in Schwarz und Rot; 37,5 x (i cm München, Theatermuseum Lit.: 1008-51-1; Eggert 1978, S. 2U-215 ggert ausführte, wurden die ncr besteht bei diesem Entwurf das ganze Parterre aus Türen, in der Ausführung haben nur die Eckrisalite je ein Portal mit Pilastcrn, bei deren Schäften die Parterre-Rustizicrung durchgeht. Die Brüstungsgitter des