Politisches Schreiben im Vormärz und im Jungen Deutschland[JB1] : Radikalität, Verurteilung, Hoffnung In der Zeit des Vormärz wurde die Politik oft in die Literatur übertragen, um die gesellschaftliche Situation künstlerisch zu erfassen[JB2] . Heinrich Heine beförderte sein Werk und thematisierte die aktuellen Umstände sehr offen, um die Wirklichkeit darzustellen. [JB3] Ludwig Börne, der Vertreter der literarischen Strömung Junges Deutschland, interpretiert seine Überzeugungen auch sehr subjektiv, obwohl mit einigen Unterschieden[JB4] . Die Äußerung von Kritik und Unzufriedenheit spielt aber auch eine wichtige Rolle. Wie Heines Versepos Deutschland. Ein Wintermärchen aus dem Vormärz mit radikalen sprachlichen Mitteln und spielerischen Elementen, so drücken auch Börnes Briefe aus Paris, wenn auch in sprachlich weniger extremer Form, eine Verurteilung der Missstände und die Sehnsucht nach einer gerechten Zukunft für Deutschland aus[JB5] .[JB6] In Heinrich Heines Gedichtzyklus wird die aktuelle Situation in Deutschland sehr scharf, ja provokant ausgedrückt. Das lyrische Subjekt übt sehr offen Kritik an den Verhältnissen und beschreibt seine eigenen Erfahrungen mit Ungerechtigkeit und Unfreiheit, insbesondere die Durchsuchung des Gepäcks an der Grenze („Ward von den preußischen Douaniers Mein Koffer visitiert. Beschnüffelten alles, kramten herum…[1]“), wodurch die Subjektivität und Unmittelbarkeit des Ausdrucks der Unzufriedenheit betont wird. In dem Versepos, genauer gesagt schon im Vorwort, wird nicht nur die Zollkontrolle in den Grenzgebieten, sondern auch die Zensur thematisiert („Der anarchische Zustand der deutschen politischen und literarischen Zeitungsblätterwelt …“[2]). Der Ausdruck von Ressentiments wird hier nicht verschwiegen, sondern im Gegenteil, es wird ein Bild der tatsächlichen Umstände der damaligen Zeit in Deutschland vermittelt, um die Realität ohne Verstellung authentisch darzustellen, was typisch für die Zeit des Vormärz ist (… und im Vormärz in der lyrisch-zyklischen Form […] ein gern benutztes Mittel, über die Beschreibung des fremden Landes politische Aufklärung und Kritik am eigenen zu formulieren.“[3]). Auch Ludwig Börne in seinem Werk Briefe aus Paris stellt die Beurteilung der Zensur vor, wenn auch weniger offen, aber immer kritisch („In einem hiesigen Blatte las ich heute aus Bayern, daß man von einem gewissen Coremans, der eine Zeitung herausgeben will, Kaution verlangt habe.“[4]), was den Unterschied zwischen den Vertretern des Vormärz und der literarischen Strömung des Jungen Deutschlands darin zeigt, dass die Kritik mit weniger radikalen sprachlichen Mittel und spielerischen Elementen geäußert wird. Beiden Werken ist jedoch gemeinsam, dass sehr viele Meinungen und Erkenntnisse durch Ironie und satirische Aussagen zum Ausdruck gebracht werden[JB7] . In metaphorischer Sprache kritisieren die Autoren die deutsche Unterordnung („Noch immer das hölzern pedantische Volk, Noch immer ein rechter Winkel In jeder Bewegung, und im Gesicht Der eingefrorene Dünkel.“[5]) oder die Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten („, aber ein Teil des Tuches flatterte in deutscher Luft. Fragen Sie doch den ersten Legationssekretär, ob das nicht gegen das Völkerrecht sei.“[6]). Auf diese Weise werden die Kontraste zwischen Form und Inhalt dargestellt, was die Werke interessanter und lebendiger macht, da die Beschreibung der ernsten und unangenehmen Sachverhalte mit humorvollen sprachlichen Mitteln präsentiert wird („Zur Rechten soll Herr Balthasar, Zur Linken Herr Melchior schweben…“[7]). Die Ironie vorlegt aber auch die Gegensätze in der Gesellschaft selbst[JB8] . Heine bringt eine Art Verhöhnung der zeitgenössischen Verhältnisse zum Ausdruck, wenn er unter anderen das sogenannte Deutsche Elend und die Kritik an seiner eigenen Nation darstellt („Aus diesem Zusammenhang erwächst eine Deutschland-Kritik die in ihrer vernichtenden Schärfe eine Abrechnung mit der deutschen Misere zeitigt…“[8]). Der Autor zeichnet dieses Spottbild, indem er sich beispielweise provokativ über die bereits erwähnten Zollkontrollen und Zensur lustig macht. Das lyrische Subjekt drückt aus, dass sie zwar sein ganzes Gepäck durchsuchen, aber das, was sie wirklich finden wollen, trägt er in sich, und so werden sie es nie entdecken („Ihr Toren, die ihr im Koffer sucht! Hier werdet ihr nichts entdecken! Die Contrebande, die mit mir reist, Die hab ich im Kopfe stecken.“[9]). Auf der Grundlage der Basisopposition zwischen Außen und Innen, der sich auch in der Kritik und Verspottung der aktuellen Situation in Deutschland wiederfindet („Und viele Bücher trag ich im Kopf![10]), wird den Patriotismus des Dichters dargestellt, der gleichzeitig sehr ironisch ist[JB9] . Er beschreibt die Reise eines unbekannten Deutschen, der aus dem Exil in sein Heimatland zurückkehrt und in seinem Herzen die Vorstellung des wahren Deutschlands trägt, das plötzlich nur noch ein elender Ort ist („Heine verstärkt dieses Mittel, indem er als fremder Deutscher aus dem Exil die Heimat aufsucht und mit dem Bild des wirklichen Deutschland, dem großen, geheimnisvollen, sozusagen, anonymen Deutschland des deutschen Volkes im Herzen auf das alte, offizielle Deutschland, das verschimmelte Philisterland trifft.“[11]). Der Ausdruck der Unzufriedenheit, aber gleichzeitig der Identifikation mit der eigenen Nation wird auch in Briefe aus Paris mit Hilfe von Ironie und Satire eingefangen. [JB10] Ludwig Börne drückt seine Empörung und Unzufriedenheit aus („Zensur und Kaution! Das sollte ein Witz vor mir sein…“[12]), auch einen Spott über bestimmte deutsche Eigenschaften („Wir Deutschen, die wir am längsten unter einem sanften wolkenfreien Traumhimmel leben, sind rheumatisch, sobald wir wachen; wir spüren jede Erfahrung, und jeder Wechsel der Empfindung macht uns krank.“[13]), aber er benutzt das Pronomen „wir“ („Wir Deutschen…“[14]) und stellt sich damit als Teil Deutschlands dar. Er distanziert sich nicht, sondern nutzt im Gegenteil die Form seines Werks, um den Inhalt zu vervollständigen und die wichtige Bedeutung seiner Botschaften zu präsentieren, nämlich die Verurteilung der Missstände und das Streben nach einer gerechten Zukunft. Ein weiteres Ziel der Kritik der beiden Autoren ist die Aristokratie [JB11] („… die im Vormärz gegen Thron und Altar geschrieben worden sind.“[15]), die neben den verbalen satirischen Aussagen auch durch den formalen Aspekt beider Werke hervorgehoben wird. Börne beschreibt mehrfach offen, aber nicht ganz radikal seine Abneigung gegen die Aristokratie, was seine Abscheu gegenüber den Menschen zum Ausdruck bringt („Denn warum haben die Menschen Könige, als weil sie Sünder sind?“[16]). Auch Heine ist mit der Aristokratie nicht einverstanden und kämpft für Freiheit und Gleichheit, wenn auch auf radikalere Weise („… allerdings radikal subjektiv, ja provozierend privat und bekenntnishaft Protest gegen eine unadlig feudale und philiströs bürgerliche Welt…“[17]). Die Ausrufenzeichen („Es ist doch schön, kein König sein!“[18]), Ausrufe („Ach!“[19]) und Wiederholungen („O wie dumm! O wie lächerlich! O wie unästhetisch!“[20]) verschärfen die subjektiven Gedanken der Autoren und tragen zur Klimax bei. Beide Autoren wollen nicht nur kritisieren, sondern auch Hoffnung für die deutsche Bevölkerung und die Vision der kommenden Zeiten auf der Grundlage von Freiheit und Gerechtigkeit wiedergeben. Im Versepos setzt sich das lyrische Ich für das Wohlbefinden des deutschen Volkes ein und verlangt eine angemessene Grundversorgung, die keine Einschränkung der Freiheit bedeutet, sondern das Ende der Zeit der Qualen („das Miserere ist vorbei, Die Sterbeglocken schweigen.“[21]). Diese Sehnsucht wird auch durch die Bildlichkeit abgebildet. Die Vorstellung eines neuen, besseren Lieds wird mehrmals wiederholt, ein bildlicher Hinweis darauf, das Alte hinter sich zu lassen und sich auf eine neue, schönere Zukunft zu konzentrieren („Ein neues Lied, ein besseres Lied, O Freunde, will ich euch dichten!“[22]). Auch die akustische Ebene spielt eine wichtige Rolle, um die Hoffnung und den Wunsch nach den freien kommenden Zeiten zu äußern. Nicht nur die bereits erwähnten, sich wiederholenden Verse über ein neues, besseres Lied, sondern auch die Beschreibung von Geräuschen („Ein kleines Harfenmädchen sang“[23]), Musik („Es klingt wie Flöten und Geigen!“[24]) und Schreien („Und rufen: Es lebe der König!“[25]), die die Radikalität der Aussagen vervollständigen, tragen wesentlich zur Authentizität des Werkes bei und heben Heines literarisches Werk auf eine Art künstlerisch höhere Plattform. In Börnes Briefe aus Paris trägt die Akustik ebenfalls zu einer größeren Glaubwürdigkeit und Beschreibung der Ereignisse bei. Allerdings wird den Geräuschen nicht allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt, sondern im Gegenteil, die Stille wird mehrmals repetiert („Es ist eine Stille auf den Straßen,“[26]). Die Stille als Sinnbild der Ruhe steht in Opposition zum schrecklichen Geschehen, das sich in der Realität abspielt. So wird zum Beispiel auch die Gewalt angeprangert, die zu Unrechte und Unterdrückung der Freiheit führt („... um stille Mitternacht schreitet der Geist des gefallenen Helden über die Kettenbrücke,“[27]). Durch die Mittel wie künstlerische Beschreibung von Gewalt oder anderen Ungerechtigkeiten in Deutschland erhalten beide literarische Werke einen politischen Charakter, da sie das gesellschaftliche Geschehen reflektieren und als Instrument des Widerstands und der Aufforderung zu Veränderung dienen, um eine bessere Zukunft zu sichern. Durch diese Politisierung der Literatur bringen die Autoren ihr Engagement für die aktuelle Situation zum Ausdruck und verbinden gleichzeitig alle Ebenen des Lebens mit dem Schreiben und der Politik selbst („keinen Unterschied machen wollen zwischen Leben und Schreiben, die nimmermehr die Politik trennen von Wissenschaft, Kunst und Religion…“[28]). Sowohl Heinrich Heines Versepos als auch Ludwig Börnes Briefe aus Paris thematisieren das politische Zeitgeschehen in Deutschland. Ausgehend von der sorgfältigen vergleichenden Analyse der Werke, nämlich dem Grad der Radikalität, der Ironie, der Form und der akustischen Ebene, wird deutlich, dass beide Werke ihre Authentizität und vor allem ihre sprachliche Verschiedenheit [JB12] bewahren, sie aber in der Anprangerung von Unrecht und Unfreiheit und in der Hoffnung auf eine gerechte Zukunft des deutschen Volkes vereint sind.[JB13] Primärliteratur: Heine, Heinrich (1844). Deutschland. Ein Wintermärchen. [online]. n.d. https://www.projekt-gutenberg.org/heine/wintmrch/wintmrch.html. [letzter Zugriff: 16.4. 2024]. Börne, Ludwig (1830-1833). Briefe aus Paris. [online]. n.d. https://www.projekt-gutenberg.org/boerne/briparis/briparis.html. [letzter Zugriff: 16.4. 2024[JB14] ]. Sekundärliteratur: Beutin, Wolfgang, Matthias Beilein, Wolfgang Emmerich, Christine Kanz, Bernd Lutz, Volker Meid, Michael Opitz (2019). et al. Deutsche Literaturgeschichte: Von den Anfängen bis zur Gegenwart. J.B. Metzler. ________________________________ [1]Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. [2]Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. [3]Beutin et al., Deutsche Literaturgeschichte: Von Den Anfängen Bis Zur Gegenwart, S. 260. [4]Börne, Briefe aus Paris, Dreiundzwanzigster Brief. [5]Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. [6]Börne, Briefe aus Paris, Zweiter Brief. [7]Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. [8]Beutin et al., Deutsche Literaturgeschichte: Von Den Anfängen Bis Zur Gegenwart, S. 260. [9]Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. [10]Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. [11]Beutin et al., Deutsche Literaturgeschichte: Von Den Anfängen Bis Zur Gegenwart, S. 260. [12]Börne, Briefe aus Paris, Dreiundzwanzigster Brief. [13]Börne, Briefe aus Paris, Siebenter Brief. [14]Börne, Briefe aus Paris, Siebenter Brief. [15]Beutin et al., Deutsche Literaturgeschichte: Von Den Anfängen Bis Zur Gegenwart, S. 259. [16]Börne, Briefe aus Paris, Siebenter Brief. [17]Beutin et al., Deutsche Literaturgeschichte: Von Den Anfängen Bis Zur Gegenwart, S. 258. [18]Börne, Briefe aus Paris, Siebenter Brief. [19]Börne, Briefe aus Paris, Siebenter Brief. [20]Börne, Briefe aus Paris, Dritter Brief. [21]Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. [22]Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. [23]Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. [24]Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. [25]Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. [26]Börne, Briefe aus Paris, Erster Brief. [27]Börne, Briefe aus Paris, Siebenter Brief. [28]Beutin et al., Deutsche Literaturgeschichte: Von Den Anfängen Bis Zur Gegenwart, S. 259. ________________________________ [JB1]Welchen Unterschied gibt es zwischen den Begriffen? Der sollte hier erklärt werden. [JB2]Quelle? [JB3]Quelle? [JB4]Quelle? [JB5]Ich würde dafür plädieren, den Kontext zu ersetzen. Warum ist es bei diesen Werken wichtig, sich mit der sprachlichen Radikalität der Formulierung zu beschäftigen? Was heißt das überhaupt hier: „extreme Form“ der Formulierung? Was ist damit gemeint? [JB6]Das ist eine spannende These. In der Formulierung sollte aber besser erkennbar sein, DASS es sich um eine These handelt. Bitte passende Redemittel ergänzen. [JB7]Gute Einleitung eines neuen Aspekts. [JB8]Gute Einleitung (aber sprachlich nicht ganz richtige und nicht ganz verständliche Formulierung). [JB9]Spannend, aber sehr kompliziert, ja verwirrend formuliert. Ginge das einfacher? [JB10]Ich wäre eine kontrastive Formulierung besser (Heine versus Börne). Nur so kann sich der Leser orientieren, auf welchen Unterschied der Vergleich hinausläuft. [JB11]OK: sehr gut. Hier kann ich gut verstehen, worum es gehen wird und dass es bei den beiden Autoren ähnlich ist. [JB12]Das ist nicht ganz klar ausgedrückt. [JB13]Sehr schön zusammengefasst. [JB14]Besser wären Zitate aus Büchern, bei denen man auch Seiten angeben kann.