Knittelvers evt. von knüttel: knorrig, im Sinne von schlechten, unregelmäßigen Versen Der Knittel ist im 15. und 16. Jahrhundert nicht nur in der Lyrik, sondern auch in Dramatik und Epik der gebräuchlichste Vers. Er ist vierhebig und in Paaren gereimt. Man unterscheidet den sogenannten strengen vom freien Knittel. Der strenge Knittel ist ein meist alternierender acht- oder neunsilbiger Vierheber, wie ihn am kunstvollsten Hans Sachs verwandte. Im freien Knittel hingegen herrscht Füllungsfreiheit, d.h. es können mehrere Senkungen aufeinander folgen, oder auch ganz wegfallen (= Hebungsprall), so daß der freie Knittel aus bis zu 15 Silben bestehen kann. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde der freie Knittel im Rahmen der Rückbesinnung auf altdeutsche Traditionen (Herder) wiederentdeckt und beispielsweise von Goethe im Eingangsmonolog des Faust eingesetzt: 1 Habe nun, ach! Philosophie, (a) 2 Juristerei und Medizin, (b) 3 Und leider auch Theologie! (a) 4 Durchaus studiert mit heißem (b) Bemühn. 5 Da steh ich nun, ich armer Tor! (c) 6 Und bin so klug als wie zuvor; (c) 7 Heiße Magister, heiße Doktor (d) gar, 8 Und ziehe schon an die zehen (d) Jahr 9 Herauf, herab und quer und (e) krumm 10 Meine Schüler an der Nase herum (e) -- 11 Und sehe, daß wir nichts wissen (f) können! 12 Das will mir schier das Herz (f) (S.13) verbrennen. 1 - È È - - È È - 2 - È È - - È È - 3 È - È - - È È - 4 - È È - È - È È - 5 È - È - È - È - 6 È - È - È - È - 7 - È È - È - È - È È 8 È - È - È È - È - 9 È - È - È - È - 10 - È - È È È - È È - 11 È - È È È - - È - È 12 È - È - È - È - È Die Verse beginnen sowohl auftaktig als auch auftaktlos, einige sind alternierend und heben den Inhalt durch den so entstehenden sprachlichen Rhythmus besonders deutlich hervor (5, 6, 9, 1), in anderen stehen mehrere Senkungen oder Hebungen hintereinander, so daß sich die Verssprache eher der Prosa annähert. Durchgängig sind alle Verse vierhebig und reimen sich mit Ausnahme des ersten Kreuzreimes in Paarreimen. (c)TvH Johann Wolfgang Goethe: Faust. Der Tragödie erster Teil, Stuttgart 1986. Alexandriner Der Alexandriner läßt sich erstmalig in der französischen Epik des frühen 12. Jahrhunderts (im Roman d`Alexandre von Lambert le Torts) nachweisen, eigentliche jedoch ist er nur eine Variante des klassischen antiken Tragödienverses (Sophokles), des jambischen Trimeters. Seit dem 16. Jahrhundert wird der Alexandriner zum bevorzugten Vers der französischen Tragödien (Corneille / Racine), ein Jahrhundert später erklärt ihn Martin Opitz in geringfügig abgewandelter Form zum Hauptversmaß deutscher Dichtung. Und in der Tat handelt es sich beim Alexandriner um den wichtigsten Vers der barocken Verssprache -- nicht nur in der Lyrik, sondern auch in Epik und Dramatik. Der Alexandriner ist ein jambisch alternierender, sechshebiger Reimvers: er beginnt auftaktig, also mit einer unbetonten Silbe, dann wechseln sechs Hebungen mit je einer Senkung. Die sogenannte Kadenz, das Versende, kann sowohl aus einer betonten ("männlichen") als auch aus einer unbetonten ("weiblichen") Silbe bestehen. Je nach Endung ist der Alexandriner damit zwölf- oder dreizehnsilbig. In der Mitte, nach der dritten Hebung, ist der Vers durch eine Zäsur deutlich unterteilt, die zu einer antithetischen oder auch parallelen Gestaltung der beiden Vershälften einlädt. So beispielsweise bei Gryphius in dem Gedicht Es ist alles eitell: DU sihst / wohin du sihst nur eitelkeit auf erden. Was dieser heute bawt / reist jener morgen ein: Wo itzund städte stehn / wird eine wiesen sein Auff der ein schäffers kind wird spilen mitt den heerden. (S.268f.) È - È - È - / È - È - È - È È - È - È - / È - È - È - È - È - È - / È - È - È - È - È - È - / È - È - È - È Die antithetischen Möglichkeiten des Alexandriners macht der zweite Vers besonders deutlich, indem das konstruktive Bauen der Städte dem destruktiven Einreißen gegenübergestellt wird. Die Querstriche, die in diesem Fall mit der Zäsur zusammenfallen, sind als von Gryphius gesetzte Satzzeichen zu verstehen, die Zäsur liegt immer in der Mitte der Verse (vgl. metrisches Schema), also nach "sihst", "bawt", "stehn" und "kind". Liest man das Gedicht laut, macht man an diesen Stellen unwillkürlich eine Pause. Die Versenden sind in diesem Gedicht gekennzeichnet durch einen umarmenden oder Schweifreim, bei dem sich jeweils die beiden unbetonten (1. und 4. Vers) und die beiden betonten (2. und 3.Vers) Endungen miteinander reimen. Es gibt aber auch Gedichte in Alexandrinern, die in Paarreimen geschrieben sind. (c)TvH Andreas Gryphius: Es ist alles eitell, in: Das Zeitalter des Barock, hg. v. Albrecht Schöne. München 1988. Sekundärliteratur: Th. Buck: Die Entwicklung des deutschen Alexandriners, Tübingen 1957. Freie Rhythmen Lassen sich in einem Gedicht keine metrischen Gesetzmäßigkeiten erkennen, so spricht man von freien Rhythmen. Klopstock, der die komplexen antiken Odenmaße für die deutsche Lyrik fruchtbar gemacht hat, ist auch der Urheber dieser reimlosen und unregelmäßigen Versform, die nur noch durch das Druckbild und die hohe sprachliche Verdichtung als Gedicht erkennbar ist. Das wohl früheste Beispiel für freie Rhythmen ist die erste Fassung der Hymne Die Frühlingsfeier, die den Titel Das Landleben trägt: Nicht in den Ozean Der Welten alle Will ich mich stürzen! Nicht schweben, wo die ersten Erschaffnen, Wo die Jubelchöre der Söhne des Lichts Anbeten, tief anbeten, Und in Entzückung vergehn! Nur um den Tropfen am Eimer, Um die Erde nur, will ich schweben, Und anbeten! (S.85) Allein die auf den ersten Blick ins Auge springende, völlig verschiedene Länge der Verse und Strophen (daher besser Abschnitte genannt), zeigt die Freiheit der Form an. Dennoch entsteht durch Wortwiederholungen, parallele Satzkonstruktionen und kunstvoll gespannte semantische Bögen ein -- "freier" -- Rhythmus. Klopstocks Innovation wurde von der folgenden Dichtergeneration als Befreiungsschlag empfunden. So dichtete etwa der junge Goethe viele seiner berühmtesten Gedichte in freien Rhythmen (Ganymed, Prometheus). (c)TvH Friedrich Gottlieb Klopstock: Ausgewählte Werke, Band I, Wiesbaden o. J. Sekundärliteratur: L. L. Albertsen: Die freien Rhythmen. Rationale Bemerkungen im allgemeinen und zu Klopstock, Aarhus 1971. Blankvers engl. blank: rein (im Sinne von reimlos) Der in England entstandene Blankvers ist weniger ein Lyrik- als vielmehr ein Dramenvers. Shakespeare schrieb seine Dramen vorzugsweise in Blankversen, in Deutschland entdeckten die Dramatiker des 18. Jahrhunderts im Zuge der allgemeinen Shakespeare-Euphorie diesen Vers für sich. So verfaßte Gotthold Ephraim Lessing sein Drama Nathan der Weise nicht in den durch Martin Opitz eingeführten Alexandrinern, sondern in Blankversen. Der Blankvers ist ein jambisch fünfhebiger, reimloser Vers, der, je nachdem ob er betont (männlich) oder unbetont (weiblich) endet, aus zehn oder elf Silben besteht. Im Gegensatz zum sechshebigen Alexandriner verfügt der Blankvers nicht über eine feste Zäsur, und wurde schon vom späten Shakespeare selbst relativ frei, mit Nähe zur Prosa, gehandhabt (Wegfallen der Eingangssenkung, Doppelsenkungen, Hebungsprall durch eine fehlende Senkung, einzelne Vier- oder Sechsheber). Die Flexibilität des Blankverses erweist sich für die dramatische Dynamik als Vorteil. Die ersten Verse des Nathan, gesprochen von der Christin Daja, sind zehnsilbige, betont endende Blankverse: Er ist es! Nathan! -- Gott sei ewig Dank, Daß Ihr doch endlich einmal wiederkommt. (S.5) È - È - È - È - È - È - È - È - È - È - Darauf antwortet Nathan in elfsilbigen, unbetont endenden Blankversen: Ja, Daja, Gott sei Dank. Doch warum endlich? Hab` ich denn eher wiederkommen wollen? (ebd.) È - È - È - È - È - È È - È - È - È - È - È (c)TvH Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise, Stuttgart 1959. Terzine ital.: Dreizeiler, Dreireimer Die von Dante (1265-1321) in der Divina Commedia entwickelte kunstvolle Strophenform der Terzine besteht im Unterschied zu den meisten anderen Strophenformen nicht aus vier, sondern aus drei Versen. Die Verse sind über die Strophengrenze mit einem fortlaufenden Reim verkettet: innerhalb einer Strophe reimen sich der erste und dritte Vers, während sich der zweite Vers erst mit dem ersten und dritten Vers der nächsten Strophe reimt: aba / bcb / cdc etc. Die letzte dreizeilige Strophe eines aus Terzinen bestehenden Gedichtes wird um einen Vers verlängert, damit der überhängende Reim nicht reimlos bleibt: yzy z. Das Versmaß einer Terzine ist in der italienischen Dichtung immer der Endescasillabo bzw. Elfsilbler, im Deutschen können die auftaktig fünfhebigen, alternierenden Verse sowohl zehnsilbig (mit betonter Endung) als auch elfsilbig (mit unbetonter Endung wie der Endescasillabo) sein. In Goethes 1827 entstandenem Gedicht Im ernsten Beinhaus war's bestehen alle Terzinen ausschließlich aus Elfsilblern. Hier die ersten beiden Terzinen: Im ernsten Beinhaus war's wo ich (a) beschaute Wie Schädel Schädeln angeordnet (b) paßten; Die alte Zeit gedacht` ich, die (a) ergraute. Sie stehn in Reih` geklemmt` die (b) sonst sich haßten, Und derbe Knochen die sich tödlich (c) schlugen Sie liegen kreuzweis, zahm allhier (b) (S.68 zu rasten. 4) (c)TvH Johann Wolfgang Goethe: Gedichte 1800-1832, hg. v. Karl Eibl, Frankfurt am Main 1988. Stanze von ital. stanza: Zimmer, Aufenthaltsort, Strophe Die Stanze ist die herrschende Strophenform der klassischen italienischen Epik (Ariost, Tasso), die sich gerade in den romanischen Ländern jedoch früh auch in Dramatik und Lyrik durchsetzte. Eine Stanze besteht aus acht Elfsilblern, die sich nach dem Schema ab / ab / ab / cc reimen. Das durch die Reimabfolge herausgehobene letzte Verspaar ist meist auch inhaltlich von besonderer Bedeutung, indem das Gesagte zusammengefaßt, gesteigert oder pointiert wird. In Deutschland ist die Stanze seit dem 18. Jahrhundert als lyrische Strophenform gängig, um die Jahrhundertwende gab es eine regelrechte Stanzenmode. Als Beispiel die erste Strophe des im Jahre 1800 entstandenen Gedichts Wiedergeburt von Johann Wilhelm Süvern: Ins Dunkel will des Jahres Licht (a) sich neigen; Des Lebens heiße Glut, sie kehret (b) wieder In ew'gen Feuers Schooß zurück; es (a) schweigen, Die sie entzündet, schon im Hain die (b) Lieder; Die Liebe flieht, und kalt entlöst (a) den Zweigen Sich mattes Laub, der Blumen Schmuck (b) sinkt nieder. Das Herz erstirbt, die Adern sind (c) verschlossen, Worin Gedeihn und Kraft sich frisch (c) (S.1802) ergossen. (c)TvH Johann Wilhelm Süvern: Wiedergeburt, in: Das deutsche Gedicht. Epochen der deutschen Lyrik, 1800-1830, hg. v. Jost Schillemeit, München 1970. Sonett Ursprünglich eine italienische Gedichtform (mit einem Höhepunkt im Canzionere Petrarcas), breitete sich das Sonett schnell über ganz Europa aus. Das vierzehnzeilige Gedicht besteht aus zwei über Reime miteinander verbundenen Quartetten und zwei anschließenden Terzetten. Keine andere lyrische Form ist derart strikt festgelegt wie das Sonett, denn Versmaß, Reim, Strophenform und Länge des Gedichtes sind vorgegeben. Martin Opitz beschreibt in seinem Buch von der Deutschen Poeterey die komplizierte Form des Sonetts: "Ein jeglich Sonnet [sic!] aber hat viertzehen verse / und gehen der erste / vierdte / fuenffte vnd achte auff eine endung des reimens auß; der andere / dritte / sechste vnd siebende auch auff eine. Es gilt aber gleiche / ob die ersten vier genandten weibliche Termination haben / vnd die andern viere maennliche: oder hergegen. Die letzten sechs verse aber moegen sich zwar schrencken wie sie wollen; doch ist am braeuchlichsten / das der neunde vnd zehende einen reim machen / der eilffte und viertzehende auch einen / vnd der zwoelffte vnd dreyzehende wieder einen." (S.53) Das klassische Versmaß der italienischen Sonette ist der Endecasillabo oder Elfsilbler, im Französischen herrscht der Alexandriner vor. Shakespeare entwickelte eine eigene Form des Sonetts, das durch drei kreuzgereimte Quartette ohne Reimwiederholung und ein abschließendes Reimpaar gekennzeichnet ist. In Deutschland wurde im Barock die französische Variante nachgeahmt, während das Zeitalter der Aufklärung, in der Folge von Gottscheds Verurteilung des Sonetts, diese Form eher meidet. Am Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Sonett von Gottfried August Bürger - nun allerdings in seiner italienischen Form - rehabilitiert. Die Begeisterung der Romantiker für das Sonett inspirierte auch die nachfolgenden Dichtergenerationen: berühmt sind die Sonette Rilkes (Sonette an Orpheus). So sehr die moderne Lyrik sich einerseits von althergebrachten, strengen Formen abwendet, so sehr fordert das Sonett andererseits doch immer wieder zu neuer Auseinandersetzung heraus (Robert Gernhard). (c)TvH Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey, hg. v. Cornelius Sommer, Stuttgart 1970. Sekundärliteratur: Volksliedstrophe Die Volksliedstrophe ist, wie der Name schon sagt, die Form des einfachen Volkslieds und daher von formaler Schlichtheit geprägt. Nicht nur im immer noch meist mündlich übertragenen Kinderlied, auch im Kirchenlied wird diese Strophenform gerade wegen ihrer Eingängigkeit und Einprägsamkeit viel benutzt. Herders Rückbesinnung auf die traditionellen Formen und die unter dem Titel Des Knaben Wunderhorn von Achim von Arnim und Clemens Brentano Anfang des 19. Jahrhunderts herausgegebene Anthologie deutscher Volkslieder führten zu einer Wiederentdeckung dieser einfachen Form in der Lyrik. Die Verse der Volksliedstrophe sind meist alternierend, es besteht aber Füllungsfreiheit, d. h. einer Hebung können auch zwei Senkungen folgen. Der Zeilenanfang kann sowohl auftaktig (jambisch) als auch auftaktlos (trochäisch), das Ende betont (männlich) oder unbetont (weiblich) sein. Mit drei oder vier Hebungen ist der Volksliedvers relativ kurz. Eine Volksliedstrophe besteht meist aus vier, manchmal auch aus sechs Versen, die immer gereimt sind (Kreuz- oder Paarreim). Entscheidend ist, daß in jedem aus Volksliedstrophen bestehenden Gedicht, eine Variante dieser Strophenform für das ganze Gedicht verbindlich ist. Hier drei Beispiele, die auch einen Eindruck von der Variationsbreite dieser Strophenform geben, zunächst der Anfang des als Volkslied bekannten Gedichtes Der Mond ist aufgegangen von Matthias Claudius: Der Mond ist aufgegangen, Die goldnen Sternlein prangen Am Himmel hell und klar Der Wald steht schwarz und schweiget, und aus dem Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar. (S.21f.) Die sämtlich dreihebigen Verse beginnen alle auftaktig, sind streng alternierend und schließen unbetont (1,2,4,5) oder betont (3,6). Einem Paarreim folgt ein umarmender Reim. Die Volksliedstrophe findet sich auch in moderner Lyrik, wie etwa in Ingeborg Bachmanns Gedicht Bleib: Die Fahrten gehn zu Ende, der Fahrtenwind bleibt aus. Es fällt dir in die Hände ein leichtes Kartenhaus. (S.65) Auch diese Strophe ist durch streng alternierende jambische Verse gekennzeichnet, die durch einen Kreuzreim miteinander verbunden sind. Im Unterschied zu dem ersten Beispiel enden die ausschließlich dreihebigen Verse hier aber abwechselnd unbetont und betont. Eine andere Variante der Volksliedstrophe benutzt Goethe in seinem Liebesgedicht Lina: Liebchen, kommen diese Lieder Jemals wieder dir zu Hand, Sitze beim Klaviere nieder, Wo der Freund sonst bei dir stand. (S.645) In diesem Gedicht beginnen alle Verse auftaktlos (trochäisch), sind alternierende Vierheber und enden abwechselnd unbetont und betont. Das Reimschema ist auch hier der Kreuzreim. (c)TvH o Matthias Claudius: Der Mond ist aufgegangen, in: Deutsche Volkslieder, hg. v. Ernst-Lothar von Knorr, Stuttgart 1998. o Ingeborg Bachman: Bleib, in: dies.: Anrufung des Großen Bären, München 1983. o Johann Wolfgang Goethe: Lina, in: ders.: Gedichte 1756-1799, hg. v. Karl Eibl, Frankfurt am Main 1987. Sekundärliteratur: 1. H. Bausinger: Formen der "Volkspoesie", Berlin 1968. 2. G. Müller: Geschichte des deutschen Liedes, München 1925 (Nachdruck Darmstadt 1959). Chevy-Chase-Strophe Die Chevy-Chase-Strophe ist nach einer im 16. Jahrhundert in England aufgezeichneten volkstümlichen Ballade benannt, die eine Jagd (engl. chase) auf den Cheviotbergen schildert. Sie ist die Strophenform der meisten englischen Volksballaden. In Deutschland wurde sie im 18. Jahrhundert populär und ist häufig die Strophenform kämpferischer, militärischer Gesänge. Die Chevy-Chase-Strophe besteht aus vier auftaktigen, abwechselnd vier- und dreihebigen, betont endenden Versen. Hebung und Senkung können alternieren, es besteht aber Füllungsfreiheit, d.h. auf eine Hebung können auch zwei Senkungen folgen. Im englischen Original reimen sich nur die zweite und vierte Zeile, in Deutschland überwiegt der Kreuzreim. So zum Beispiel in einem Gedicht aus Des Knaben Wunderhorn: Im Feld vor einem grünen Wald Rief Knecht und Reutersmann, Laut rief von Lothringen Renald: Wir wollen vorne dran. (S.37) È - È - È - È - È - È - È - È - È - È - È - È - È - È - (c)TvH Schlacht bei Murten, in: Des Knaben Wunderhorn, hg. v. Achim von Arnim und Clemens Brentano, Band 1, München 1986. Sekundärliteratur: K. Neßler: Geschichte der Ballade Chevy-Chase, o.O. 1911. Ode griech.: Gesang In der griechischen Antike war der Begriff Ode ursprünglich eine Sammelbezeichnung für alle strophische Dichtung, die mit Musikbegleitung vorgetragen wurde. Blickt man heute auf die antiken Oden im engeren Sinne, so unterscheidet man die Chorlieder beispielsweise Pindars vom lyrischen Einzelgesang der äolischen Lyriker Sappho und Alkaios. Sind die Oden Pindars in Thematik und Ton meist Lobesänge auf Helden und Sieger, so zeichnen sich die lyrischen Einzelgesänge eher durch Leichtigkeit und alltägliche und private Inhalte aus. Horaz übersetzte die Oden der griechischen Antike ins Lateinische, dichtete nach diesen Vorlagen eigene Oden und entwickelte neue Odenstrophen. In Deutschland ist es, nach einigen Versuchen im Barockzeitalter, vor allem Klopstock, der die antiken Odenmaße zur Grundlage seiner Dichtung macht. Die langen und kurzen Silben des Griechischen ersetzt er durch betonte bzw. unbetonte Silben und versucht im übrigen, so genau wie irgend möglich die antiken Strophenformen nachzuahmen. Der Ton der Klopstockschen Oden ist pathetisch und oft hymnisch. Hölderlin, der einige Jahrzehnte nach Klopstock zu Deutschlands zweiter großer Odendichter wird, behält die von seinem Vorgänger eingeschlagene hohe Tonlage dieser Form bei. Die antiken Strophenformen zeichnen sich im Gegensatz zu den meisten neueren Formen durch Reimlosigkeit aus. Auch sind die Verse nicht alternierend, sondern setzen einfache und doppelte Senkungen nach relativ strikten, für die einzelnen Verse jeder Strophenform verschiedenen Regeln ein. In der deutschen Lyrik sind vor allem drei antike Odenformen rezipiert worden: die nach der griechischen Dichterin Sappho (600 v. Chr.) benannte sapphische Odenstrophe, die von Sapphos Zeitgenossen Alkaios bevorzugte alkäische Odenstrophe und eine von Asklepediades (270 v. Chr.) entwickelte Strophenform, die als asklepiadeische Odenstrophe in die Literaturwissenschaft eingegangen ist. (c)TvH Sekundärliteratur: K. Vietor: Geschichte der deutschen Ode, München 1923 (Nachdruck Darmstadt 1961). Alkäische Odenstrophe Der um 600 v. Chr. lebende griechische Dichter Alkaios entwickelte eine eigene Odenstrophenform, die in der deutschen Literatur von Hölderlin häufig verwendet wurde, so etwa in dem Gedicht Die Götter: Du stiller Aether! Immer bewahrst du schön Die Seele mir im Schmerz, und es adelt sich Zur Tapferkeit vor deinen Strahlen, Helios! Oft die empörte Brust mir. (S.57) È - È - È / - È È - È - È - È - È / - È È - È - È - È - È - È - È - È È - È È - È - È Bis auf den vierten Vers beginnen bei der alkäischen im Unterschied zur sapphischen wie asklepiadeischen Odenstrophe alle Verse auftaktig. Die beiden ersten Verse stimmen metrisch überein und bestehen aus den sogenannten alkäischen Elfsilblern: nach zwei jambischen Versfüßen und einer zusätzlichen Senkung folgt eine Zäsur, an die sich ein Daktylus und ein vollständiger sowie ein verkürzter, unvollständiger (="katalektischer") trochäischer Versfuß anschließen. Der dritte Vers ist durchgehend jambisch vierhebig, mit einer auch hyperkatalektisch genannten überzähligen Senkung am Schluß, und wird als alkäischer Neunsilbler bezeichnet. Zwei Daktylen und zwei darauffolgende Trochäen bilden den vierten, alkäischen Zehnsilbler genannten Vers. (c)TvH Friedrich Hölderlin: Gedichte, hg. v. Jochen Schmidt, Frankfurt am Main 1984. Asklepiadeische Odenstrophe Nach dem um 270 v. Chr. lebenden griechischen Dichter Asklepiades ist die asklepiadeische Odenstrophe benannt. Beispielhaft für diese Odenstrophenform ist Klopstocks Gedicht Der Zürchersee: Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht Auf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht, Das den großen Gedanken Deiner Schöpfung noch einmal denkt. (S.53) Das zugrundeliegende Schema der asklepiadeischen Odenstrophe sieht so aus: - È - È È - / - È È - È - - È - È È - / - È È - È - - È - È È - È - È - È È - È - Alle vier Verse beginnen auftaktlos: dem trochäischen Versfuß folgt jeweils ein Daktylus und eine zusätzliche Hebung. In den ersten beiden Versen folgt an dieser Stelle eine Zäsur, die in Klopstocks Zürchersee nach den Worten "Natur" und "verstreut" deutlich spürbar ist. Die zweite Hälfte der ersten beiden Verse ist ebenfalls metrisch gleich: an einen Daktylus schließt ein katalektischer, d.h. um eine Senkung verkürzter Trochäus an, so daß beide Verse betont enden. Die dritte Zeile ist der kürzeste Vers der asklepiadeischen Strophe: einem trochäischen Versfuß folgt ein Daktylus, dann endet der Vers wiederum mit einem trochäischen Versfuß. Der vierte und letzte Vers stimmt mit dem dritten bis auf eine zusätzliche Hebung am Versende vollkommen überein. (c)TvH Friedrich Gottlieb Klopstock: Ausgewählte Werke, hg. v. Karl August Schleiden, Wiesbaden o.J.