Günter Kunert – Jonas Zu später Stunde, nahe dem Scheitel der Nacht schon, gewährte sich mir völlig unerwartet Anblick und Aura des großen Wales: seine graue Haut, fruchtloser Erde ähnlich, widerspiegelte das Licht nicht, das über uns beiden gemeinsam glomm. Schweres Kaumsichregen des massigen Leibes. Meinerseits: Ausstoß eines Überraschungslautes, der eine dumpfe, eine ferne Stimme auslöste, die wie aus einem gewaltigen Wattebausch rief: Hier bin ich. Ich bin in ihm drin. Ich bin Jonas. Gemütvolles Rülpsen des Wales überlagerte jene Stimme, welche undeutliche Sätze schrie, bruchstückhaft nur verständlich: Daß er sich wohlbefinde, wo er sich befinde ... geborgen und in Sicherheit ... gemütlich untergebracht ... nicht länger vereinsamt ... die Hand am pulsenden Geschlinge des Lebens und der Zeit ... Ausführlicheres verlor alle Artikulation, da der Wal aufstand und hinausging. Achtsam folgte ich ihm. Er schob sich schwerfällig in sein Auto und lehnte sich in die Polster zurück. Der Chauffeur fuhr an. Ich stand da und sah dem Wagen hinterdrein. Eher mit Verwirrung statt mit dem Stolz, der einer solchen historischen Begegnung angemessen gewesen wäre. Ich stand nur da und sagte tonlos zu mir selber: Ich habe Jonas gesprochen! Deutsche Parabeln. Herausgegeben von Josef Billen. Stuttgart: Reclam, 1982. ISBN 3-15-007761-3. S.212.