AKT IV Auftritt I. (Mittagessen) W – Dozent Werner, ein eher älterer eitler Wissenschaftler, C – sein Kollege im gleichen Alter, D – ihr junger Kollege. Beim Essen, vielleicht nach dem Essen, doch am Tisch sitzend, vielleicht Kaffe trinkend und Dessert naschend W: (blättert in seinem Heft, glücklich) Es kommt der Tag! Wieder ein Jahrestag der Großen Französischen Revolution! C: Na ja, das ist für dich der wichtigste Tag. Hast du schon den wunderschönen gelben Umschlag bekommen? D: Was für einen, falls ich fragen darf. W: (schweigend zuckt er seine Schultern) C: Dozent Werner bekommt jedes Jahr von der gelben Zeitschrift einen Brief. So etwas wie: Sehr verehrter... und so weiter, wir hoffen, dass Sie dieses Jahr wieder und so weiter, ungefähr 20 Seiten und W: (selbstgefällig) und bei Ihrer Erudition, bitte mit einer möglichst verständlichen Sprache… und so weiter. D: Ach so! Gelbe Zeitschrift, das muss wohl die Zeitschrift „Geschichte – Die Lehrerin des Lebens“ sein, stimmt es, Herr Dozent? W: (nickt) C: Und haben die sich gemeldet? W: Noch nicht, eigentlich erwarte ich es wirklich jeden Tag. Gekommen ist es aber noch nicht. C: Vielleicht haben die, wie viele andere Zeitschriften, finanzielle Probleme und werden nicht mehr herausgegeben. W: (traurig) Das ist mir auch eingefallen, gleich in der Früh bin ich in die Bibliothek gelaufen, um nachzuschauen, aber (seufzend) die haben seit drei letzten Nummern ihre graphische Seite verbessert und auch eine klarere gelbere Farbe für die Umschlagseiten benutzt. Ich kann es wirklich nicht verstehen. Ich bin doch der Fachmann, ich weiß über die Große Französische Revolution mehr als all diejenigen, die daran teilgenommen hatten! D: Herr Dozent, vielleicht hat das Postamt jetzt, mit dem Ferienanfang, Studenten als Saisonarbeiter angestellt und es dauert alles ein bisschen länger. W: Vielleicht haben Sie recht, Herr Kollege. (steht auf) Morgen muss der Brief unbedingt kommen. (verlässt die Szene) Auf Wiedersehen. D: Auf Wiedersehen. C: Tschüß. Und hoffentlich bringst du morgen eine gute Nachricht. (zu D) Wissen Sie, Herr Dozent ist wirklich ein Fachmann, aber manchmal denke ich mir, er sollte sich mehrere Ziele in seinem Leben gestellt haben. Jetzt hängt er an der Revolution und… (schweigt) D: Ich hab´ es auch gehört. Ich schätze ihn wirklich sehr hoch, seine Vorlesungen waren die besten. Und jeder von uns ist mehr oder weniger eitel. Mindestens, was die Karriere angeht. C: Stimmt. Die, die keine wissenschaftliche Karriere machen wollen, bleiben nach ihrem Studium auf der Universität nicht und sehnen sich nach keinem weiteren Titel… Wir müssen wohl eine besondere Menschenart sein. (lächelt halblaut) D: (lächelt) C: Und Dozent Werner? Ich kenne ihn ja seit Jahren! Seine Frau hat ihn ziemlich früh verlassen, weil er sich der Arbeit mehr widmete als ihr. D: Die Frauen sind auch eine besondere Menschenart. C: Ja, am schlimmsten ist es, wenn eine Frau wissenschaftlich arbeiten will. D: Eine meiner Mitschülerinnen hat immer gesagt, sie will eben Wissenschaftlerin werden, da sie nicht tagtäglich am Herd stehen wollte. Andere Mädchen haben gelacht, dass sie es sagt, nur weil sie keinen Freund finden kann… C: Und was macht sie jetzt? D: Hat schon zwei Kinder und steht tagtäglich am Herd (lächelt) C: (lächelt) So ist das Leben. Dozent Werner strebt danach, Professor zu werden, weil er eben nichts anderes hat als die Arbeit. Ich meine es nicht böse, er ist ein richtiger Kerl und immer war er ein zuverlässiger Freund, hatte aber nicht immer Glück gehabt. D: Gehen Sie jetzt noch an die Uni? C: Nein, heute nicht mehr, ich muss noch in der Stadt etwas erledigen. Auftritt II. (Verzweiflung) Arbeitszimmer von W., auf dem Tisch liegt ein gelbes Kuvert W: (erfreut) Endlich!!!! (läuft zum Tisch, nimmt das Kuvert, es liebkosend) Auf dich habe ich so lange und so sehnsüchtig gewartet!!!!! (küsst das Kuvert) Auf dich!! (mit zackiger Fingerbewegung zerreißt er das Kuvert und beginnt laut zu lesen) Ich wende mich an Sie als an unseren größten Spezialisten (selbstgefällig, sich setzend) Ja, das ist in Ordnung. (liest weiter) Damit Sie den angeschlossenen Artikel über die Große Französische Revolution durchlesen und korrigieren. Den Artikel schicken Sie uns, auch mit Ihrem Gutachten, umgehend zurück. Mit besten Grüßen...(legt den Brief ab, nimmt aus der Tasche seinen Taschentuch und schnäuzt) Na so was!! Kein „Schreiben Sie, bitte“, sondern nur „begutachten Sie“ (verzweifelt) Einen Ersatz haben die für den größten Spezialisten gefunden! Wahrscheinlich ein junger Greifvogel, der in der Redaktion Bekanntschaften hat, hat etwas zusammengeklebt und ich, ich soll der Flickarbeit Glanz geben! Nur dafür bin ich also gut, dass ich Quark nach jemandem lese, es korrigiere und verbessere, mehr Arbeit daran habe als der Autor, und schließlich ein paar jämmerliche Kronen für die Begutachtung bekomme!!! Und was ist mit dem Professor los? Eine blöde Artikelbesprechung zählt da gar nichts! Aber wie du willst, du... du... Lehrerin des Lebens! Wie du willst! Es wird geschrieben: der größte Spezialist? Na gut, wie du willst! Kein einziger Satz darf da falsch sein, kein einziges Wort. Was Wort, kein einziger Buchstabe sogar! Wie du willst! (setzt sich an den Tisch, liest und korrigiert wütend die vorliegende Arbeit) Auftritt III. (Überraschung) Dieselbe Szene und Personen wie im Auftritt I. noch die Sekretärin S dazu. C: Hast du den Umschlag bekommen? W: (wütend) Stell dir vor! Ich sollte einen blöden, fehlerhaften Artikel eines Amateurs korrigieren! Die Große Französische Revolution ist doch mein Thema! Meins! Meins! Warum kann der junge Ignorant nicht auf eines Anderen Wiese grasen?! Warum gerade auf der meinen?! Wäre seine Arbeit von guter Qualität, dann bitte... jeder soll sich selbst seinen Nachfolger erziehen... aber so einen Bock darf man nicht zum Gärtner machen! C: (bissig, doch freundschaftlich) Wenn der alte Bock noch gute Leistungen erbringt. D: (lacht halblaut) W: Da gibt´s nichts zum Lachen! D: Entschuldigung, Herr Dozent. W: Für´s nächste Mal. C: Keine Qualitätsarbeit hast du gesagt? W: Alles habe ich der Lehrerin des Lebens geschrieben. Darauf kannst du Gift nehmen! C: Was alles? W: Erstens – ich soll etwas begutachten, was nur eine Kopie ist, noch dazu ohne Unterschrift! C: Das ist doch schon an und für sich ein Beweis für eine Schluderei. D: Oder vielleicht auch für die Feigheit des Autors. Kann sich eigentlich eine so renommierte Zeitschrift erlauben, einen anonymen Artikel zu veröffentlichen? C: Hat nicht inzwischen auch der Chefredakteur vielleicht gewechselt, wenn schon die Grafik...? W: Gründlich habe ich es gelesen. C: Ich kann´s mir ganz gut vorstellen. D: Und weiter? Sie haben fehlerhaft gesagt... W: An vier Stellen behauptet der Ignorant vollständigen Unsinn, an anderen fünf Stellen Sachen, die in den letzten drei Jahren schon als überholt gelten. D: Das ist wirklich schlimm. W: Aber das Schlimmste waren die Halbwahrheiten! Das ist doch strafwürdig! Und stellen Sie sich vor, beim Abtipppen der französischen Namen hat der Holzkopf sechs Fehler gemacht!! Sechs! Ist das nicht ein Beweis dafür, dass er überhaupt keines Französischen mächtig ist? D: Ja, das stimmt. Hätte er Französisch gekonnt, hätte er die Fehler nicht gemacht. C: Und ein solcher wird sich mit der Großen Französischen Revolution beschäftigen, wenn er gar nicht die Schriften im Original bei seiner Arbeit benutzen kann?! Und die Folgen einer solchen Handlung! W: Unvorstellbar! Stell´s dir vor (zu D), und Sie sollten es auch zur Kenntnis nehmen, damit die Jüngeren wissen, was in den wissenschaftlichen Kreisen zu bekämpfen ist. D: (nickt) W: Alles hab´ ich niedergeschrieben! C: Was noch? W: Nicht nur, dass von solchen Artikeln die Studenten und junge wissenschaftliche Arbeiter verwirrt werden, sondern auch die ganze unsere Wissenschaft wird dadurch lächerlich gemacht! Und, das konnte ich mir nicht verkneifen, lächerlich wird natürlich auch Ihre Zeitschrift gemacht! Auch Ihre Zeitschrift! Und was passiert dann, wenn dieser Artikel in die Hände des französischen Kulturattaches geraten wird? Wie kann so ein Artikel unseren Kulturaustausch mit Frankreich gefährden! Kaum auszudenken! Und das wird dann Schuld der unverantwortlichen Redakteure sein, die... die... (trinkt) C: Aber die sind doch verantwortlich, sie wissen alles, was du gesagt... W: ...und geschrieben! C: ...und geschrieben hast. Deshalb haben die sich an dich... D: ...als an den größten Spezialisten... C: ...als an den größten Spezialisten gewandt. Sie wollten nichts Falsches veröffentlichen. W: Aber so ein Elaborat sollten die gleich in die nächste Mülltonne werfen. Ekelhaft! D: Und haben Sie nach dem Autor gefragt? W: Ja, sicher. Dieses destruktive Element muss ertappt werden! S: (kommt) Bitte, Herr Werner, ein Express-Brief für Sie ist gekommen. Ich entschuldige mich, dass ich störe. (reicht ihm ein gelbes Kuvert) W: (bedeutungsvoll) Mit diesem Kuvert stören Sie nie, diese Frage muss unbedingt geklärt werden. S: Auf Wiedersehen. (geht weg) W: (reißt den Umschlag auf und blättert in den Papieren) Das ist wirklich der Artikel, den ich korrigiert habe. Sehen Sie (stellt den beiden den Text unter die Nase), diesmal schon eine Originalschrift. C: Und der Stempel da oben? W: (hält den Text unmittelbar vor seinen Augen und starrt) Gekommen am... aber das sind schon 5 Jahre her! D: Das verstehe ich nicht. W: Das wird sich sicher gleich klären. (liest weiter) Das habe ich wirklich korrigiert (blättert in dem Artikel) hier so ein Unsinn, Seite 9, 15, 17...20 (stellt den beiden den Text unter die Nase). Ja hier die Adresse... (verwirrt, blas, grün, rot werdend, der Brief entfällt ihm, er läuft weg.) D: (neugierig schielt er nach dem Text) Einer seiner besten Studenten? C: (hebt den Text vom Fußboden, sieht die Adresse und unterdrückt einen Lachanfall, legt den Text auf den Tisch) D: Darf ich? C: (nickt, ersichtlich ruhiger, doch noch nicht ganz ernst) D: (schaut in die Papiere und lacht) C: (hustet) Herr Kollege, das ist doch nicht kollegial! (lächelt, mit den Schultern zuckend) D: (liest vor) Ich habe eine Kopie Ihres damaligen Artikels der Sekretärin gegeben, damit Sie den Text zur Hand haben und vielleicht geeignete Passagen wieder verwenden können, in einem neuen Artikel, den wir erwartet haben. Ich habe es so gemacht, weil ich wusste, dass Sie es pressant haben und der Termin schon längst fällig war. (legt den Brief auf den Tisch) S: (kommt rennend) Herr Cé, Gott sei Dank sind Sie noch hier. Sie müssen jetzt den Vortrag über die Große Französische Revolution im dritten Jahrgang halten, Dozent Werner zittert und ist nicht fähig, in den Saal zu gehen. Sie haben doch mit ihm gesprochen, was ist los mit ihm? D: Sie haben ihm einen Brief gebracht, stimmt´s? S: (nimmt den Brief zitternd) D: Sagen Sie ihm bitte aber nicht gleich, dass ein Ignorant, der sich mit der Großen Französischen Revolution nur am Rande beschäftigt, statt ihm den Vortrag gehalten hat.