Personen Der gute Gott Der Richter Jan, ein junger Mann aus der alten Welt Jennifer, ein junges Mädchen aus der neuen Welt Billy "I Frankie / *"* Eichhörnchen Ein Wärter Ein Gerichtsdiener Eine Zigeunerin Ein Bettler Eine Frau Ein Portier Ein Liftboy Zeitungsverkäufer Ein Polizist Zwei Kinder Ein Barmann und Stimmen, monoton und geschlechtslos 98 Im Gerichtssaal Der Ventilator ist angestellt, denn es ist Hochsommer. GERICHTSDIENER vom Eingang her in den Raum sprechend Euer Gnaden . . . Richter Ja? GERICHTSDIENER Darf der Angeklagte hereingebracht werden? RICHTER Ja. Und stellen Sie bitte den Ventilator ab. Gerichtsdiener Mit Verlaub. Bei dieser Hundehitze? RICHTER Stellen Sie ihn ab! Die Tür öffnet sich; ein Wärter tritt mit dem Angeklagten ein. WÄRTER Euer Gnaden, der Angeklagte! Gedämpft. Hierher. Sie haben stehenzubleiben während dem Verhör, verstanden? Der Ventilator dreht sich langsamer und bleibt stehen. RICHTER mit veränderter Stimme Setzen Sie sich! WÄRTER leise, eifrig Setzen! Setzen Sie sich. Es ist erlaubt. RICHTER Und Sie können gehen, Sweeney. Auch Sie, Rossi. WÄRTER Wie Sie befehlen. GERICHTSDIENER Danke, Euer Gnaden. Die beiden Männer verlassen den Raum. Es ist einen Augenblick lang still. Der Richter blättert in den Papieren. RICHTER undeutlich sprechend, während er einige Eintragungen macht New York City, den . . . August, 99 neunzehnhundertund . . . fünfzig . . . Dann rascher, mit klarer, gleichgültiger Stimme. Sie heißen? Sie sind geboren? Wann? Wo? Hautfarbe? Statur? Größe? Religiöses Bekenntnis? Durchschnittlicher Alkoholkonsum? Geisteskrankheiten . . . Angeklagter Ich wüßte nicht. RICHTER im gleichen Ton fortfahrend Verdächtigt des Mordes an . . . ANGEKLAGTER An? RICHTER freundlich, ohne Absicht Mörderisch, diese Hitze. So heiß war es noch in keinem Sommer. Erinnern Sie sich? Nur vor sechs Jahren, als Joe Bamfield und Ellen .. . Ellen . . . ANGEKLAGTER Ellen Hay. RICHTER Richtig. Als beide getötet wurden durch eine Bombe. Damals war es ähnlich heiß. ANGEKLAGTER Ich erinnere mich. RICHTER entschuldigend Natürlich sind wir nicht hier, um uns über hohe Temperaturen zu unterhalten. Angeklagter Ich will es hoffen. RICHTER Aber es wäre töricht, wenn ich Sie die Fragen beantworten ließe, auf die ich die Antworten schon weiß. ANGEKLAGTER herablassend Sie? RICHTER während er wieder eine Eintragung macht, nebenbei Es ist doch zum Beispiel richtig, daß Sie drei Zimmer in einem alten Haus an der Ecke der 63. Straße und der Fifth Avenue in der Nähe des Zoos bewohnten . . . Angeklagter Ali. RICHTER Verhaftet wurden Sie von den Polizeileuten Bondy und Cramer in der Hotelhalle des Atlantic Hotels, als Sie, kurz nachdem es geschehen war, dem Ausgang eilig zustrebten . . . ANGEKLAGTER ironisch Zustrebten! 100 RICHTER Es ist doch richtig, daß Sie . . . ANGEKLAGTER Gewiß ist es richtig. Aber verzeihen Sie, daß ich auf die erste Frage zurückkomme. Sollten Sie auch wissen, wer ich bin? RICHTER nach einer kurzen Pause, zögernd, schüchtern Der gute Gott von Manhattan. Manche sagen auch: der gute Gott der Eichhörnchen. ANGEKLAGTER abwägend Der gute Gott. Nicht schlecht. RICHTER hastig In Ihrer Wohnung wurden drei Säcke mit Eichhörnchenfutter gefunden. ANGEKLAGTER Und beschlagnahmt? Schade. Tch war ein Geschäft für Manhattan. Oder haben Sie je jemand gesehen, der die vielen Automaten für Nüsse in den Untergrundbahnhöfen benützt hätte? RICHTER Sie haben diese Nüsse also für die Tiere gekauft. Sie sind Tierliebhaber? Es soll Länder geben, in denen diese Nagetiere scheu und unschuldig sind; aber sie sehen gemein und verdorben aus bei uns, und es heißt, sie seien mit dem Bösen im Bund. Oder sind Sie Tierhändler? Züchter? Ich mache Sie darauf aufmerk-\ sam, daß ich jetzt mit dem Verhör beginne. ANGEKLAGTER Ich weiß nicht, ob ich irgend jemands Neugier stillen kann. Was erwarten Sie von mir? Rechtfertigung? Im besten Fall könnte ich Sie aufklären. Aber wenn Sie einem alten Mann erlaubten, Ihnen einen Rat zu geben . . . RICHTER Es scheint, daß ich mich gut gehalten habe. Ich bin selber nicht mehr der Jüngste. GUTER GOTT Fangen Sie mit dem Anfang an oder mit dem Ende! Bringen Sie ein System in die Befragung. — Ich sehe, Sie haben mein Amt ausgeräumt und alle Karteikarten und Korrespondenzen vor sich. Bequemer können Sie es nicht haben. Meine Arbeit war langwieriger, minutiös, detektivisch, und ich hätte sie nicht ohne die 101 Eichhörnchen machen können. Sie waren mein Nachrichtendienst, die Briefträger, Melder, Kundschafter, Agenten. Mehrere hundert waren mir untertan, und zwei von ihnen, Billy und Frankie, hatte ich als Haupt-leute. Auf sie war wirklich Verlaß. Ich legte nie eine Bombe, ehe die beiden nicht den Ort gefunden und die Zeit errechnet hatten, an dem es todsicher, in der es todsicher . . . RICHTER Todsicher-was? GUTER GOTT ... die treffen mußte, die gemeint waren. RICHTER Wer war gemeint? GUTER GOTT Oh! Sie wissen es nicht? Neugierig. Wie sehen Sie die Sache? RICHTER Ich sehe sie nicht mehr. Ich sah eine Kette von Attentaten gegen Menschen, die niemand bekümmert hatten, ausgeführt von einem unauffindbaren Wahnsinnigen. GUTER GOTT Ich dachte, Sie nähmen die Gutachten Ihrer Psychiater ernst. RICHTER Ich war nur dieser Meinung, ehe Sie mir als Urheber dieser Vorkommnisse bekannt waren. GUTER GOTT Urheber. Selu- gut. Der Urheber. RICHTER Die Erhebungen sind jetzt abgeschlossen. Mit Ausnahme des letzten Falles allerdings. GUTER GOTT Der letzte »Fall« - wie Sie ihn in Ihrem zweifelhaften Jargon zu nennen belieben - ist auch für mich nicht abgeschlossen. Ich wüßte gerne, da ich keine Gelegenheit hatte, meine Aufgabe wirklich zu Ende zu führen, was aus dem jungen Mann wurde, der entkommen ist. RICHTER Entkommen? GUTER GOTT Er dürfte nicht einmal verletzt worden sein. RICHTER Verletzt nicht. Aber . .. GUTER GOTT Ist er nicht abgereist? 102 RICHTER Gewiß. Er nahm sogar noch am selben Abend das Schiff nach Cherbourg. GUTER GOTT Ah! Sehen Sie: und dieser Mensch hatte geschworen, er werde das Schiff nicht nehmen, sondern leben und sterben mit ihr, sich Ungewißheit und Not überantworten, seine Herkunft und seine Sprache vergessen und mit ihr reden in einer neuen bis ans Ende seiner Tage. Und er nahm das Schiff, und er hat sich nicht einmal die Zeit genommen, sie zu begraben, und geht dort an Land und vergißt, daß er beün Anblick ihres zerrissenen Körpers weniger Boden unter sich fühlte als beim Anblick des Atlantik. RICHTER Ja, er hat dieses Mädchen nicht begraben. GUTER GOTT Nicht einmal begraben! Er verdient wirklich zu leben! - Aber ich werde Ihnen jetzt sagen, wie es kam. Wie heißt es? Die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Ich bin auch Kronzeuge und werde bald den Angeklagten hinter mir zurücklassen. RICHTER unfreundlich Ich bin bereit. GUTER GOTT Es ist kaum zwei Wochen her, daß ich Nachricht erhielt von dem Vorfall auf dem Grand Cen-xtral Bahnhof. Durch ein sehr untergeordnetes Tier, dessen Diensten ich noch nie Bedeutung beigemessen hatte und das erst seine Probezeit machte. RICHTER Was war geschehen auf dem Bahnhof? GUTER GOTT Nichts Besonderes. Gegen fünf Uhr nachmittag, kurz nachdem der Schnellzug aus Boston in der Unterwelt von Grand Central eingelaufen war und die Reisenden sich in den Hallen und vor den Ausgängen verliefen, als sie den rotglühenden und grünenden Pfeilen nachgingen, als die Orgelmusik aus den W'änden quoll - als alle Uhrzeiger liefen und das Licht ohne Unterlaß in den Röhren tanzte gegen die immerwährende Finsternis, waren zwei Neue angekommen. Das ist nichts Besonderes, könnte man meineji, und man soll's 103 ruhig meinen. Und doch sind es der Ort, die Stellung eines Uhrzeigers, eine unglaubliche Musik, ein zitternder Zug auf einem Schienenstrang und ein Knäuel von Menschenstimmen, die möglich machen, daß es wieder beginnt. Richter Was beginnt? GUTER GOTT ganz in der Erinnerung Sie ging hinter ihm in Weiß und Rosa. Es waren so viele Stimmen da, und ihre war nichtig; es gab so viele Möglichkeiten, und diese war die unmöglichste, aber sie versuchte es. STIMMEN ohne Timbre, ohne Betonung, klar und gleichmäßig gehen bei grünem licht weitergehen denk daran solange es zeit ist du kannst es nicht mit dir nehmen weitergehen schneller schlafen schneller träumen mit uns wolkenbrüche niederschläge schneller erdbeben leichter sicherer bei grünem licht denk daran vorsicht vor der roten und braunen der schwarzen und gelben gefahr was sollen sich unsre mörder denken du kannst es nicht halt! bei rotem licht stehenbleiben! Auf dem Grand Central Bahnhof JENNIFER Sie suchen den Ausgang? JAN zusammenhanglos, abwehrend Bitte? JENNIFER Ich dachte, weil ich Sie schon in Boston gesehen habe, daß Sie hier fremd sind. 104 JAN Bemühen Sie sich nicht. Ich werde mich zurechtfinden. JENNIFER Wie hat Ihnen Boston gefallen? Jan Nun. JENNIFER Und New York. Mögen Sie New York? JAN Danke. Ich kenne es noch nicht. JENNIFER Ich saß im selben Waggon, die ganze Fahrt lang. Zwei Reihen hinter Ihnen. Sie waren bei unserem letzten Tanzfest in der Universität. JAN Ja. Zufällig. JENNIFER Ich heiße Jennifer. Sie sahen einmal zu mir herüber, und ich dachte, Sie würden mit mir tanzen. J AN Ich kann nicht tanzen. JENNIFER Das habe ich Ihnen angesehen. Wie auf einen Fragebogen antwortend. Mir gefallen Europäer. Zögernd. Und was führt Sie nach New York? JAN Der Wunsch, abzureisen. Mir bleiben nur noch ein paar Stunden oder ein paar Tage bis zum nächsten Schiff. JENNIFER Das ist schrecklich. Müssen Sie zurück? JAN Ich muß nicht, aber ich will. Sagte ich es nicht . schon? Jennifer sprachlos Nein! JAN höflich Ja. Auf Wiedersehen. Es war mir ein Vergnügen. JENNIFER Dann werde ich in dieses fliederfarbene Taxi steigen. Und Sie können das weiß-blaue dahinter nehmen. Die beiden werden sich noch oft begegnen, auf dem Broadway und weiter oben in Bronx. Aber Sie werden nicht mehr darinnen sein und ich auch nicht. Jan nach kurzem Nachdenken Hören Sie - JENNIFER Jennifer. JAN Flieder steht Ihnen nicht. Wie alt sind Sie? JENNIFER Dreiundzwanzig. JAN Und was tun Sie? 105 JENNIFER Ich studiere politische Wissenschaften, aber erst seit kurzem, und ich möchte mir auch die Welt ansehen. Ich kenne Hotels in Boston und Philadelphia und vielleicht bald in Paris, aber ich kenne keines in New York. Das ist verrückt, nicht wahr? JAN Ich bitte Sie. JENNIFER Ich könnte Ihnen also nicht einmal nützlich sein. JAN Dann können Sie auch mit mir kommen, weil es zu verrückt ist, daß Sie sich hier nicht auskennen. Ich kenne zwať auch kein Hotel, aber es kränkt mich nicht. Übrigens habe ich Hunger und muß zuerst etwas essen, ehe ich weiterdenke. Menschen gehen vorüber, ein paar Stimmen schieben sich zwischen die beiden, und Jennifer geht ein paar Schritte weiter. JAN Jennifer! - So warten Sie doch! Atemlos, näher. Was tun Sie? JENNIFER atemlos Nüsse! Ich hole Nüsse aus dem Automaten, weil Sie hungrig sind. So macht man das - Wenn sie den Hebel niederdrückt, löst er ein paar Takte Musik aus, eine Musik, die noch öfter zu hören sein wird. JENNIFER Die Musik dazu ist umsonst. Für ein Geldstück bekommt man Nüsse und Musik fürs ganze Leben. JAN belustigt Mein Gott, das sieht aus wie Eichhörnchenfutter. JENNIFER Sie sind ganz frisch. Das möchte ich beschwören. Listig. Und ich möchte beschwören, daß die Eichhörnchen ihr ganzes Geld hierhertragen, damit immer gutes Futter nachgefüllt wird. JAN heiter Wissen Sie, Jennifer, was ich gesehen habe? 106 Ein Eichhörnchen. Geheimnisvoll. Und es hat mir einen Brief zugesteckt. Jennifer Ach! JAN Darin steht: »Sag es niemand!« Jennifer Und weiter? Jan »Du wirst diesen Abend mit Jennifer auf der himmlischen Erde verbringen . . .« JENNIFER Warum »himmlische Erde«? JAN Weil das ihr Name hier ist. Ma-na Hat-ta. So haben es mir die Indianer erklärt. Aber sie waren kostümiert und so echt wie die Büffel, die man auf den Rennbahnen das Laufen lehrte. JENNIFER Von wem kommt der Brief? JAN Ich kann die Unterschrift nicht lesen. Kauend. Die Nüsse sind sehr gut, aber wir müssen trotzdem etwas Vernünftiges essen. Was ist vernünftig? JENNIFER Italienisches und Chinesisches, Spanisches und Russisches. Die Artischocken schwimmen im Ol; es gibt bleichen Tee zu Schwalbennestern und Lauch zu den zarten Schlangen, und die Früchte aller Meere vor den Früchten aller Länder. JAN Ich hätte Lust auf Eisluft, weil es so warm ist, und \ einen Raum mit etwas Dämmerung, auf Schneehühner und ein Getränk, das aus Grönland kommt, mit Eisschollen darin. Und ich möchte Sie ein paar Stunden lang ansehn, kühle Schultern, kühles Gesicht, kühle runde Augen. Glauben Sie, daß das möglich ist? JENNIFER Ich glaube es fest. In einer Nachtbar dann auf der Straße später in einem Stundenhotel Die Musik erklingt und bricht ab. !07 JENNIFER mit einer verlangsamten Stimme Es ist ja nicht wahr, daß du nicht tanzen kannst. JAN Komm, wir gehen. JENNIFER Meine armen Hände. Meine armen, armen Schultern. Bitte, tu das nicht. Tu mir nichts. Jan Es ist zwei Uhr früh. JENNIFER Wo sind wir denn? Warum singen denn die Kellner nicht mehr? JAN Trink nicht mehr! Das war früher. Hier singen die Kellner nicht. JENNIFER Warum nicht? ZIGEUNERIN hinzutretend, plötzlich Einen Augenblick. Schenken Sie mir einen Augenblick. Dire Hand, Fräulein. Ich will Ihnen die Zukunft aus der Hand lesen. JAN Komm! JENNIFER Ja, die Zukunft. Warte! Sie will mir die Zukunft sagen. Zeig ihr auch deine Hand. Sie ist eine echte Zigeunerin: braun, rot und so traurig. Sind Sie echt, hebe Frau?-Nun? ZIGEUNERIN Ich kann nichts lesen in deiner Hand. Hast du dir wehgetan? JENNIFER Er war es. Er hat seine Nägel hineingeschlagen. Es tut noch sehr weh. JAN Jennifer! Jennifer Nichts? Gar nichts? ZIGEUNERIN Ich könnte mich irren. JAN kalt Nicht möglich. J ENNIFER Und seine Hand ? ZIGEUNERIN Sie werden lange leben, junger Herr, und Sie werden nie vergessen. JAN ironisch Ich wagte es kaum zu hoffen. JENNIFER aufgebracht Aber Sie haben ja seine Hand nicht angesehen! JAN Beruhige dich. Zigeunerinnen genügt schon ein Blick in den Satz des Glases, aus dem man getrunken hat. In 108 meinem schwimmt noch eine Zitronenschale. Das ist bezeichnend. ZIGEUNERIN Ja, und gute Nacht. JENNIFER leise Sie hat das Geld nicht genommen. -Weißt du, ich wüßte gern, wo ich überall war mit dir. JAN Für das Tagebuch? Für das Notizbuch? JENNIFER Ich glaube, es ist nichts für das Tagebuch. JAN Die frische Luft wird dir gut tun. Gib acht, es geht über drei Stufen. JENNIFER Zwei Uhr früh. Und wer sitzt hier noch auf den Stufen? Armer Mann, gehen Sie nicht schlafen? BETTLER Dank der Nachfrage. Denn was ein armer Mann wie Mack vermag . . . JENNIFER Sie sind Schauspieler? B EITLER Eingegangen in die schmerzensreiche Stadt und in die immerwährende Qual, verloren unter Verlorenen. Um eine kleine Gabe bitte ich für mich und meinesgleichen. JENNIFER flüsternd Fin Säckchen mit Nüssen habe ich, zwei Dollar und einen Schal. Nehmen Sie's. BETTLER In keinem Namen. Und vergelt's niemand. Wir sind zu viele hier, Fräulein, in der Bettlerstadt. Haben keine Farbe. Neiden den Weißen und Schwarzen die Haut. Endstation Bowery. Aber Sie gehören in die Hochbahn mit Threm Kavalier, eh sie abgerissen wird. Hier stinkt alles zu sehr zum Himmel. Die Station ist links um die Ecke. Wünsche wohl zu ruhen. JENNIFER Danke. Im Gehen, aufatmend. Mein Kavalier. Ich bin zu müde, um heimzufahren. Gehen wir. JAN »Spätestens um zehn muß ich morgen . . . Verzeih. Wir gehen jetzt ins erste Hotel, das wir finden. Ist es dir recht? JENNIFER Sag mir noch einmal etwas über meine Augen! JAN Ich glaube, es hat keinen Sinn, noch lange zu suchen. So spät. 109 JENNIFER Oder über meinen Mund. Wie war das? Du hast mit dem Strohhalm meine Lippen berührt, und mit deinem Knie meine Knie . . . Und dann sagtest du: JAN Pas d'histoire. Jennifer Nein. JAN Dann sage ich dir jetzt, daß ich es schätzen würde, wenn du keine Geschichten machtest. JENNIFER fröstelnd Laß uns noch weitergehen, lange gehen. JAN Es ist bald Morgen, mein Kind. Was tust du denn sonst um die Zeit? JENNIFER Schlafen. Aber am Wochenende, wenn es ein Tanzfest gibt, bleibe ich auch solange auf. Und Artur küßt mich zur Guten Nacht, oder Mark, oder Truman. Hast du Truman nicht gesehen? Er war damals mit mir und ist sehr, sehr nett. Du mußt mich jetzt auch zur Guten Nacht küssen. JAN Es ist etwas für Truman oder Mark. JENNIFER Du mußt natürlich nicht. Sag es niemand. Sie bleiben stehen. Was willst du denn hier, in diesem fürchterlichen Haus? JAN Sei vernünftig. Sie gehen ins Haus. FRAU mit schläfriger, unangenehmer Stimme Wünschen? JAN Haben Sie noch ein Zimmer frei? FRAU Nur noch hier unten. Nummer eins. Bezahlt wird im voraus. Der Schlüssel. Bis Mittag räumen. Sie gehen, ohne zu sprechen, durch den Korridor, er sperrt die Zimmertiir auf und dann ab, wenn sie eingetreten sind. JENNIFER Man geht nicht mit einem Fremden in ein Hotel, nicht wahr? 110 JAN Mir sind diese Redensarten bekannt. JENNIFER Oh, diese furchtbare Luft. Nicht einmal einen Ventilator gibt es. JAN Ist das so schlimm? JENNIFER Nein. Aber ich kann doch jetzt nicht, kann nicht. Ich weiß ja nichts von dir. Oh, bitte, erzähl mir etwas von dir. Laß uns reden und überlegen. JAN Seh dich aus! JENNIFER weinerlich Meine armen Hände. Meine armen, armen Hände. Sieh sie dir bloß an. Jan Hast du mich nicht aufgefordert zu allem? Es ist mir noch nie in den Sinn gekommen, jemand so weh zu tun. JENNIFER Wenn wenigstens das Zimmer nicht so schmutzig und finster wäre - etwas für Fliegen, für Schaben als Aufenthalt. Und ich selbst bin schmutzig von feuchter Zuckerluft. Schmeckst du den Sirup in der Luft? JAN wärmer Du bist sehr süß, Jennifer. Denk nicht daran, mach die Augen zu. Hält inne, dann mit einer nur geringen Ironie. Ach nein, sagte ich: »süß«? Jennifer zitternd Ja. JAN Ich wollte etwas ganz anderes sagen. Man denkt nämlich nichts mehr dabei, weißt du? In Wahrheit denke ich, daß ich morgen früh aufs Schiffsbüro muß. JENNIFER Was hat die Zigeunerin bloß gesagt? JAN Etwas anderes als der Graphologe, der vor ihr an unseren Tisch kam. Deine zu kräftigen Unterlängen lassen auf Sinnlichkeit schließen, meine zu engen Großbuchstaben darauf, daß ich etwas verberge, und die fliegenden T-Striche auf kühne Phantasie. Bei gutem Willen und passenden Tierkreiszeichen ist harmonische Partnerschaft nicht ausgeschlossen. Aber, süße Jennifer, was für eine kurze Nacht werden wir beenden, ohne zu wissen, welch lange Tage der andere beendet hat! JENNIFER tonlos Soll ich das Licht abdrehen? 111 JAN Dreh es ab. Und glaub mir, ich möchte dich ja gerne mit Schnee überschütten, damit du noch kühler wirst, als du warst, und noch mehr bedauerst. Auch ich werde es vielleicht bedauern oder vergessen im besten Fall. Man weiß so wenig vorher. Auch nachher. Eine Nacht ist zuviel und zuwenig. JENNIFER vorbeiredend Ich könnte das Radio einschalten. Es muß noch ein Nachtprogramm geben. Immer, wenn ich nach Hause komme, höre ich noch Musik, vorm Einschlafen. Das ist sehr schön. JAN Musik? Meine liebe Jennifer, jetzt wirst du keine hören - und doch beginnt jetzt die Musik leise - denn ich werde es nicht dulden. JENNIFER unter Tränen Nein? Du bist furchtbar. Warum? Warum tust du das? Warum, warum, warum? Jan Warum küßt du mich aber? Warum? Die Musik, die lauter geworden ist, endet, und es ist einen Augenblick lang still. JAN Jennifer! Wachen Sie auf! Ich bitte Sie. JENNIFER schlaftrunken Wie spät ist es? JAN Zwölf Uhr. Ich müßte schon längst. . . JENNIFER begreifend Längst. Natürlich. JAN Es sieht nur noch wie Nacht aus hier. Ein Fenster unter Tag. Ein Lichthof ohne Licht. Übrigens hatten Sie recht mit dem Schmutz. JENNIFER Gehen Sie doch. Ich habe nicht verlangt, daß Sie auf mich warten. Sie werden Ihre Schiffskarte nicht mehr bekommen und das Schiff verlieren. JAN Sprechen Sie nicht so, Jennifer. Sie waren reizend, und ich habe Ihnen zu danken. JENNIFER verändert, aufrichtig Das ist schauerlich, nicht wahr? JAN Was? 112 JENNIFER Im Dunkeln und so tief, tief unten zu erwachen. Mit diesem Geschmack im Mund. Jan Wir werden frühstücken gehen, und dann werden Sie sich besser fühlen. JENNIFER Nichts werde ich - und nichts mehr fühlen. JAN gequält^ vorsichtig Wenn du dich anziehen wolltest, Liebling. Wir können dann in Ruhe darüber sprechen. Wenn wir nur erst fort wären von hier! JENNIFER Geben Sie mir die Kleider. Sie dürfen sie anrühren. Sie müssen sich auch nicht abwenden. Kalt. An welche neue Höflichkeit und Distanz wollen Sie mich gewöhnen? Jan Es tut mir leid. JENNIFER Obwohl ich so reizend gewesen bin? JAN mit Wärme Verzeih, bitte. Tch hätte es wissen müssen. Es wird an die Tür geklopft. FRAU von draußen Räumen Sie das Zimmer oder bleiben Sie? JAN Wir sind im Gehen. FRAU Aber dalli dalli. Entfernter. Wann sollen wir aufräumen. Unerhört! Mittag vorbei. Da sollte man doch . . . Stimmen weitergehen bei grünem licht weitergehen vertrauen sie uns gestehen sie uns warum nicht genuss ohne reue sagt es allen, sagt es der welt vormerk auf sonnen ein konto am mond traumstoff dichter lichter brennbarer ihr letztes hemd der weg aller dinge warum geben sie andern die schuld 113 PULVERT AUF SPORNT AN BERAUSCHT IN DIE BREITE GEHEN IN DIE FERNE SEHEN DENK DARAN BEI ROTEM LICHT: STEHENBLEIBEN! DU KANNST ES NICHT - Jan Ein Brief vom Eichhörnchen? JENNIFER endgültig Kein Brief vom Eichhörnchen. Im Gerichtssaal Guter Gott So fing es an. RICHTER Es sieht nach Ende aus. GUTER GOTT Sie verstehen nicht. Jetzt war die Gefahr im Verzug, und ich witterte, daß es wieder einmal angefangen hatte. Von diesem Augenblick an erst machte ich mich an die Verfolgung. RICHTER W as war da zu verfolgen? Ich kann nichts Ungewöhnliches drin sehen, daß ein junger Mann auf Reisen - räuspert sich - ein kleines Abenteuer sucht und findet. Reisebekanntschaften. Das Übliche. Nicht sehr gewissenhaft, etwas leichtfertig. Aber ein Fall wie viele Fälle. GUTER GOTT Kein Fall. Der Tag war da. Die Nachtfiguren versanken. RICHTER tastend Sie sind ein Moralist? Empören sich darüber? GUTER GOTT Oh nein. Ich habe nichts gegen die Leichtfertigen, die Gelangweilten oder Einsamen, denen Pannen unterlaufen. Das will ja nicht allein sein und sich die Zeit vertreiben. Aber merken Sie nicht, daß es anfing? Und hören Sie, wie es anfing. Er sagte: »Ein Brief vom Eichhörnchen?«, denn es war da eine kleine Unsicherheit in ihm. Er hätte nicht so fragen sollen. Sie antwor- 114 tete: »Kein Brief vom Eichhörnchen.« Und er — denn sie hätte niemals so antworten dürfen — fragte weiter: Weiter im Hotel. J AN" Hünger? JENNIFER unsicher Ist das so wichtig jetzt? JAN Ja. JENNIFER Hunger. JAN Auf frischen Kaffee und weißen Toast und Orangensaft? JENNIFER Riesigen Hunger. Auf alles. Weiter im Gerichtssaal. GUTER GOTT Bei diesen Worten sah sie ihn wieder an, und der Tag war da. RICHTER während er Blätter umwendet Sie gingen also frühstücken. Von der Cafeteria aus telefonierte er mit der Schiffahrtsgesellschaft, die ihm mitteilte, daß er am nächsten oder übernächsten Tag nochmals anfragen sol- ) le, da man ihm noch keinen Platz auf der lie de France I garantieren könnte. GUTER GOTT Der Tag war da. In allen Senkrechten und Geraden der Stadt war Leben, und der wütende Hymnus begann wieder, auf die Arbeit, den Lohn und größ-ren Gewinn. Die Schornsteine röhrten und standen da wie Kolonnen eines wiedererstandenen Ninive und Babylon, und die stumpfen und spitzen Schädel der Gigantenhäuser rührten an den grauen Tropenhimmel, der von Feuchtigkeit troff und wie ein unförmiger ekliger Schwamm die Dächer näßte. Die Rhapsoden in den großen Druckereien griffen in die Setzmaschinen, kündeten die Geschehnisse und annoncierten Künftiges. Tonnen von Kohlköpfen rollten auf die Märkte, und 115 Hunderte von Leichen wurden in den Trauerhäusern manikürt, geschminkt und zur Schau gestellt. Unter dem Druck hoher Atmosphären wurden die Abfälle vom vergangenen Tag vernichtet, und in den Warenhäusern wühlten die Käufer nach neuer Nahrung und den Fetzen von morgen. Über die Fließbänder zogen die Pakete, und die Rolltreppen brachten Menschentrauben hinauf und hinunter durch Schwaden von Ruß, Giftluft und Abgasen. Der wilde Sommer flog in neuen Farben auf den Lack der Autokarosserien und auf die Hüte der Frauen, die die Park Avenue herunterschwebten, an die glänzenden Hüllen für Reis und Honig, Truthahn und Krabbe. Und die Menschen fühlten sich lebendig, wo immer sie gingen, und dieser Stadt zugehörig - der einzigen, die sie je erfunden und entworfen hatten für jedes ihrer Bedürfnisse. Dieser Stadt der Städte, die in ihrer Rastlosigkeit und Agonie jeden aufnahm und in der alles gedeihen konnte! Alles. Auch dies. RICHTER Verbrechen. Mord. GUTER GOTT zurücknehmend Ich dachte an noch etwas anderes. RICHTER knapp Nun gut. Die beiden verließen also nach dem Telefonat die Cafeteria und begaben sich mit der Untergrundbahn in die 125. Straße nach Harlem. Sie besuchten dort eine Bar, in der sie zum Andenken zwei Plastikquirls mitnahmen, und zuletzt eine Kirche, aus der sie zwei Pappfächer mit Darstellungen aus dem Leben der heiligen Katharina von Siena entwendeten. In einem Grammophongeschäft wurden sie dabei getroffen, wie sie in Gesellschaft einiger Neger populäre Musikstücke anhörten, worauf sie sich, dem Rat eines Reisebüros folgend, in die Lexington Avenue begaben und ein Zimmer im Atlantic Hotel bezogen. GUTER GOTT Da ist noch eine Kleinigkeit, die ich nicht 116 gern unter den Tisch fallen sehen möchte. Die Sache mit dem Stockwerk. Falls Ihnen wirklich an einer Klärung hegt. RICHTER Die Sache mit dem Stockwerk? Flalle des Atlantic Hotels PORTIER Im 7. Stock habe ich noch 507 frei, mein Herr. Nach dem Hof. Daher sehr ruhig. JENNIFER leise zu Jan Kein Blick auf die Straße? Nicht höher oben? JAN zum Portier Nichts zu machen? Wirklich nichts? PORTIER Tut mir leid. Wenn Sie länger bleiben, kann ich Sie vormerken für die Straßenseite, weiter oben. Man kann allerdings nie wissen. JAN Wir wissen auch nicht - ob wir dann noch da sind. Aber denken Sie an uns. Im Gehen zu Jennifer. Bist du traurig? JENNIFER Nein, denn es ist so schon besser, und es wird \ uns nichts kümmern. LIFTBOY Zur Auffahrt hierher, bitte. Der Lift fährt ab. JENNIFER in das Fluggeräusch hinein, selig Auffahrt! Was für eine Auffahrt! Meine Ohren spüren's. Und du wirst sehen, was es oben gibt: eine Luftmaschine mit kalter Luft, viel Wasser und Sauberkeit jede Stunde. Der Lift hält. Sie gehen über den Korridor zum Zimmer. JAN Ich werde neugierig auf dein nasses Haar und deinen nassen Mund, deine Wimpern voll Tropfen. Du 117 wirst ganz hell und weiß und vernünftig sein, und wir werden einander nichts vorwerfen. JENNIFER Wenn dein Schiff fährt, wird es fahren. Wenn ich winken muß, werde ich winken. Wenn ich dich zum letzten Mal küssen darf, werde ich es tun, rasch, auf die Wange. Sperr auf. Im Zimmer des 7. Stockwerks JAN Ja, gelehrige, eifrige Jennifer. Weil ich aber so mißtrauisch bin, wirst du noch genauer geprüft. Sag: wann ist morgen? JENNIFER genau Frühestens morgen. JAN Und heute? JENNIFER Spätestens heute. JAN Jetzt? JENNIFER langsam, ihn umarmend Gleich jetzt. Im Gerichtssaal RICHTER Es kam also doch wieder zu Intimitäten. GUTER GOTT Nein, nein! Davon kann nicht die Rede sein. Unterlassen Sie diese lächerlichen Ausdrücke. - Es war eine Vereinbarung auf Distanz. RICHTER Kommen wir zur Sache! GUTER GOTT Aber diese Distanz kann nicht ganz gewahrt werden, Sie bekommt Bruchstellen. Da war zum Beispiel dieses Lachen. Ja, es fing genau genommen damit an. Finster. Mit diesem unbeschreiblichen Lächeln. Ohne Grund, meint man, lachen die. Richter Wer lacht? 118 GUTER GOTT Die, bei denen es anfängt. Richter Irrsinn. GUTER GOTT heftig zustimmend Irrsinn. Ja! Sie lachen in der Öffentlichkeit und doch unter deren Ausschluß. Oder lächeln Vorübergehende an, nur so, mit einer Andeutung, wie Verschwörer, die andere nicht wissen lassen wollen, daß die Spielregeln bald außer Kraft gesetzt werden. Dieses Lächeln steht da wie ein Fragezeichen, aber ein sehr rücksichtsloses. RICHTER Und wenn schon. Damit wird nichts angerichtet. GUTER GOTT Doch. Sie fangen an, wie ein glühendes Zigarettenende in einen Teppich, in die verkrustete Welt ein Loch zu brennen. Mit diesem unentwegten Lächeln. Richter Zur Sache! GUTER GOTT Gegen Mitternacht standen sie aul. Natürlich ist das eine Zeit, in der außer Bankräubern, Barmädchen und Nachtwächtern niemand aufsteht. Sie gingen zur Brooklyn-Brücke. RICHTER Richtig. Zur Brücke. - Warum? GUTER GOTT Kein Warum. Sie gingen hin und dort - standen sie, an die Traversen gelehnt, um eine Weile zu schweigen, und dann redeten sie wieder. Im Freien JAN spielend, heiter Wenn du mitkommst bis in die Chinesenstadt, kaufe ich dir ein Drachenhemd. Jennifer So bin ich beschützt. JAN Wenn du mitkommst bis ins Village, stehle ich für dich eine Feuerleiter, damit du dich retten kannst, wenn es brennt. Denn ich will dich noch lange lieben. Jennifer So bin ich gerettet. 119 JAN Wenn du mitgehst nach Harlem, kaufe ich dir eine dunkle Haut, damit dich keiner wiedererkennt. Denn ich allein will dich lieben imd noch lange. JENNIFER aus der Rolle fallend Wie lange? JAN Spiel, Jennifer! Frag nicht: wie lange? Sondern sag: so bin ich geborgen. JENNIFER aufatmend So bin ich geborgen. JAN Und wenn du mich begleitest durch Bowery, schenke ich dir die langen Lebenslinien von Bettlerhänden, denn ich will dich noch alt und hinfällig lieben. JENNIFER ausbrechend Ein Brief vom Eichhörnchen! Endlich wieder ein Brief vom Eichhörnchen! JAN Wasstehtdarin!? JENNIFER »Sag es niemand. Heute nacht erwartet dich Jennifer auf dem Broadway unter dem Wasserfall aus Pepsi Cola neben dem großen Rauchring von Lucky Strike.« JAN Ich sag es niemand. JENNIFER Wirst du kommen? JAN Komm! Denn ich komme ja schon. Im Gerichtssaal GUTER GOTT Jetzt waren sie beim Spielen. Spielten: Liebe. Sie spielten es überall, in den dunklen Straßenecken und den dämmrigen Bars am Broadway, unter den zuk-kenden Lichtkreiseln der 42. Straße vor den Kinopalästen, im Strahlenregen künstlicher Sonnen und Kometen. Aber es erging ihnen beim Spiel wie beim Lachen. Sie verstießen gegen jeden vernünftigen Brauch, den man davon machen kann. RICHTER pedantisch Gegen fünf Uhr früh kamen sie zurück ins Hotel. 120 GUTER GOTT Müde und ausgewaschen von zuviel Trunkenheit und Wellvergessen. Sie gingen nebeneinander her und blickten vor sich hin, weiter entfernt voneinander als im Spiel, im Lachen, im Schlaf. Dann die stummen Umarmungen oben, stumme Pflichten, getan ohne Auflehnung, noch unter dem Gesetz. Aber nicht lange mehr. Nicht mehr lange. RICHTER unwillig Diese Wülilarbeit ist ganz und gar sinnlos. Kein Motiv kommt zutage. Die Vorgänge beweisen mir gar nichts. Und ich will endlich Ihr Motiv kennenlernen. Entrüstung? Nein. Neid? GUTER GOTT Geben Sie mir Zeit. Ich bin guten Willens. RICHTER kalt Ein guter Gott spricht so. GUTER GOTT Ich war lange guten Willens, auch damals noch. Sie werden mir nicht glauben, aber ich gab ihnen jede Chance. A m dritten Tag hatte der Portier noch immer kern anderes Zimmer frei. Nachmittags fuhren sie im Zentralpark mit einer Pferdekutsche herum und gerieten in eine Parade. Die Tambourmajorinnen tänzelten davor her und schwangen ihre Beine hoch, unverwüstlich jung und sttaff, Balletteusen des Asphalts, die für die Kriegsopfer und die Kriegsgewinnler ihr Rad schlagen. Die Bänder kränzten die Baumwipfel, die Autodächer und Menschenköpfe; die Kinder jubelten, und die Eichhörnchen thronten auf den Resten des Pvasens. Sie steckten ihr Reich ab mit weggeworfenen Nußschalen, und wo die Buden und Automaten zusammenrückten neben den Seerosen des Teichs, waren ein paar Bretter aufgestellt, ein Vorhang gezogen, und für fünf Cents konnte jeder einmal hineingehen und ein Theater erleben, das nicht seinesgleichen hat. Die Sprecher, die die Puppen an den Drähten zogen, waren Billy und Frankie, die beiden Eichhörnchen. Denn meine heiseren, blutrünstigen Hauptleute liebten in ihrer freien Zeit nichts so sehr, wie 121 den Leuten grausige Spektakel in den schönen Worten, die unsere Dichter dafür gefunden haben, vorzuführen. Wenn ein Dutzend Zuschauer sich gefunden hatte, schloß man hinter ihnen den Vorhang. Zwei andere Eichhörnchen hängten ihre Krallen in den Stoff und griffen ins Holz. Lebendige Haken. Drinnen war es dunkel, nur der Boden der kleinen Bühne glänzte, von Phosphor bestrichen, für Leichen gerichtet, und das Programm mit Hinweisen wurde verkündet von den beiden Akteuren, deren Stimmen aus dem Hinterhalt kamen. Im Theater FRANKIE Für nur fünf Cents: fünf der schönsten Liebesgeschichten der Welt! BILLY Orpheus und Eurydike. FRANKIE Tristan und Isolde. BILLY Romeo und Julia. FRANKIE Abälard und Heloise. BILLY Francesca und Paolo. FRANKIE Zur Hölle mit ihnen. Zur Hölle! BILLY Bist du still! Lauter. Und nun Näheres zum ersten Stück. Die Versteinerung der geliebten Eurydike und ihr trauriges Ende im Totenreich. Orpheus, der Sänger, zerrissen von verrückten Weibern, und die Klage der schönen Natur am Ende. FRANKIE Tot. Zerrissen. Zu Ende! BILLY Tristan und Isolde - Stück von einer langhaarigen Königin und ihrem Helden, einem wirksamen Zaubertrank, einem schwarzen Segel im rechten Augenblick und einem langen schmerzhaften Sterben. FRANKIE außer sich Zur Hölle mit ihnen! BILLY Das kommt doch später, du Narr. Und gleich dar- 122 auf das süße Sterben des schönen Romeo und seiner Julia im dunklen Verona. Mit Grüften, alten Mauern, einem Mond und viel Feindlichkeit als Versatzstücken. FRANKIE Bravo. Die Dolche nicht zu vergessen! BILLY Ein Abstecher ins frühe Frankreich. Abälard und Heloise. FRANKIE fängt leise und schauerlich zu lachen an Oh, Billy, ich kann nicht ernst bleiben bei den beiden. Was für eine tolle Liebe, und wie wird LIeloise schmachten! Oh, wie peinlich wird das sein. Es juckte mich schon immer so, wenn die stolze Titania den Esel umarmte. Aber das erst. Oh, das ist zum Sterben. Zur Hölle mit ihnen! BILLY Die Hölle kommt erst am Ende! FRANKIE Ich weiß: Paolo und Francesca. Aber es amüsiert mich so. BILLY Meine Damen und Herren! Zwei Liebende, wieder im fernen Italien, ein Lesebuch und seine Verführung als Hintergrund und das Inferno als Ausblick. FRANKIE Sagte ich nicht: Zur Hölle mit ihnen! ? BILLY Fürchten Sie sich nicht. Sie werden viel Blut sehen, riechen und schmecken. Schreie, Schwüre — F R AN KIE Und die Hölle! BILLY Und Sie werden geradewegs in die Hölle blicken. Das ist unser bescheidenes Programm für heute. Die Vorschau auf morgen: das furchtbare Lieben und Sterben von einigen anderen Paaren, überliefert durch Chroniken, bekannte Schauerstücke und Zeitungen, aus aller Herren Länder wie den indianischen Totentälern, dem bestialischen Rheinland und dem stinkenden Venedig, die vorzügliche Kulissen abgaben für die Entwicklung schöner Gefühle. FRANKIE Und jetzt alles herhören, alles hersehen! Die Musik erklingt, als hätte sie ein Zeichen für den Anfang des Theaters zu sein. 123 Im Freien JENNIFER Wieviel Mühe sie sich beim Spiel geben und wie spaßig sie sind. Hat es dir nicht gefallen? JAN Doch. Aber hat uns kein Eichhörnchen einen Brief zugesteckt ? JENNIFER Ich habe nichts bemerkt. Sie tun es so heimlich. Laß mich in meine Handtasche sehen. Sie öffnet sie. Da ist ein Zettel und darauf steht: Jan »Zur Hölle.« JENNIFER lachend Aber nein! Darauf steht: flüsternd »Heimgehen, bitte.« Im Gerichtssaal GUTER GOTT Und immer wieder gingen sie zurück in dieses Zimmer. Daß sich vier Wände dazu hergeben mögen. RICHTER Auch dazu werden Wände gebaut. Damit ein natürliches und gesundes Empfinden - GUTER GOTT - etwa zu seinem Recht kommt? Aber es ist weder natürlich noch gesund. Sie umarmten einander und dachten schon an die nächste Umarmung. Sie gaben einem Verlangen, das von der Schöpfung nicht so gedacht sein kann, mit einer Laune nach, die ernsthafter war als jeder Ernst, und schwuren sich Gegenwart und sonst nichts, mit jedem Blick, jedem heftigen Atemzug und jedem Griff in das hinfälligste Material der Welt, dieses Fleisch, das vor Traurigkeit bitter schmeckte und in dem sie gefangen lagen, verurteilt zu lebenslänglich. 124 Im Zimmer des 7. Stockwerks JAN Hörst du mir zu? Jennifer müde Ja. Jan Ich weiß, es wird jetzt bald so weit sein, daß ich dir versprechen werde, nach meiner Rückkehr Briefe zu schreiben. Aber du darfst mir nicht trauen. Willst du den Text wissen? Jennifer Ja. JAN »Mein Liebling, ich habe alles gründlich überdacht ... du bist mir so wichtig geworden, teuer geworden . . . schreibe mir sofort, postlagernd am besten, denn, aber das erkläre ich dir später . . . und postwendend, ob auch für dich diese Tage . . . dadam . . . über jede Entfernimg hinweg umarme ich dich, mein kleiner Liebling, dadamdadam . . . wir müssen uns wiedersehen, wir werden . . . einen Weg finden, wir werden, wir sollten, wir müßten, trotz jeder Entfernung. Schreibe mir!« JENNIFER sich aufraffend, unschuldig Du wirst mir wirklich schreiben? JAN) Nein. Das war ein Scherz. Und ich fürchte, ich werde zu keinem Scherz mehr aufgelegt sein nach alledem. JENNIFER Ich weiß nicht, ob ich dich verstehe. JAN Du wirst bald verstehen. Zitierend, spielerisch. »Ich bin trunken von dir, mein Geist, und wahnsinnig vor Begierde nach dir. Du bist wie Wein in meinem Blut und nimmst Gestalt an aus Traum und Rausch, um mich zu verderben.« Jennifer Was ist das? JAN Es sind Worte. JENNIFER Für dein Gefühl? JAN Meine Gefühle habe ich ausgezogen und zu den Kleidern gelegt. JENNIFER Dein Innres sagt mir das? 125 JAN Mein Innres! Ich habe sehr eifrig gesucht und geforscht in vielen Jahren, aber ich habe in meinem Innern nie jemand getroffen. Das Telefon läutet. JENNIFER Das Telefon! Soll ich antworten? Jan Bitte. JENNIFER Hallo. Ja. Ich habe verstanden. - Danke. Es ist gut. Pause. JENNIFER Du hast einen Platz auf dem Schiff. Du kannst fahren. Stimmen denk daran solange es zeit ist gib gott eine chance und versüss dir das leben fangt grillen und härtet den stahl tut gutes und tut es schnell diana zweihundertstundenkilometer im kommen wie nie zuvor sachschäden menschenleben kehr ein und um und komm drüber hinweg du kannst es nicht mit dir nehmen gehen immer weiter gehen bei grünem licht denk daran! Im Zimmer des 7. Stockwerks JENNIFER Ich bin fertig. Mein Koffer ist gepackt. Er ist so leicht. Federn könnten drin sein. Fluggepäck. Was muß ich dir jetzt sagen? Leb wohl? JAN" Sag nichts, Jennifer. Sag, wenn du kannst: es war leicht, es war schön. Es wird leicht sein. JENNIFER nachsprechend Es war schön. Jan Ich sage besser nichts. JENNIFER Gehst du "zuerst? Oder gehe ich? Du kannst nachsehen, ob kein Taschentuch von mir zurückgeblieben ist. Ich lasse immer eins liegen. Ein Tuch zum Winken, mit einem Tropfen Parfüm drin, keinen Tränen. JAN Gehen wir miteinander! JENNIFER Nein. JAN Bis auf die Straße. JENNIFER gleichgültig Wie du willst. Es kommt nicht mehr darauf an. Ist es nicht so? Jan Ja, so ist es. Sie öffnen die Tür, gehen über den Gang und zum Lift, fahren hinunter. LIFTBOY Erdgeschoß? Jan Erdgeschoß. JENNIFER vor sich hin Es wird leicht sein, es wird leicht sein. JAN Ich muß noch die Rechnung bezahlen. JENNIFER Ich gehe voraus. - Ich gehe. Und während sie zu laufen beginnt. Ich gehe. Straßengeräusche und darüber Stimmen keine angst vor montagen und dienstagen letzter tag für reiher und fledermaus du kannst es nicht mit dir nehmen 11ände weg von herzen und siegeln 127 FÜHLT SELBER SEHT SELBER HÖR ZU UND GEH MIT WEITERGEHEN NÄHER ZU IHM NÄHER ZU NICHTS DENK DARAN BAU AUF UNS SETZ AUF" UNS SOLANGE ES ZEIT IST DENK DARAN! Auf der Straße JAN laut, dann lauter und zuletzt in Verzweiflung Jennifer! — Jennifer! — Jennifer! Zeitungsverkäufer Treffen der Veteranen Treffen der Hammel Treffen der alten Trommler JAN sich an den Ausrufer wendend Sie muß hier vorbeigekommen sein, mit einem Koffer. In Rosa und Weiß, mit Locken, die über die Ohren fallen. Und diesem Blick: wie gefällt Ihnen? ZEITUNGSVERKÄUFER Gesehen. Nichts hat man gesehen. Rosa und Weif3? So sind sie alle, mir ist das auch einmal passiert. Die sehn Sie nicht wieder. Aber fragen Sie einmal den dort von der Polizei. Ja! Den mit dem Helm auf dem Kopf und dem Knüppel in der Hand. JAN auf den Polizisten zutretend Weit kann sie nicht sein. Sieht aus wie alle und ist es doch. POLIZIST Sind Sie ein Angehöriger? JAN Ich habe gleich angefangen zu laufen, als ich merkte, daß es anders kam. Hundert Meter Vorsprung hatte sie. POLIZIST Ach was, Vorsprung. Sie sind ein sehr netter Mensch, aber ich muß zuerst die Kinder da über die Straße führen. Dann reden wir weiter. Nicht wahr, Kinder? KINDER Bring uns! Trag uns! Komm, Hampelmann! Komm, feiner, alter Polizeionkel. 128 JAN weitergehend, laut und weithin Jennifer! Jennifer! Wenn-sein Ruf vergeht, wird es plötzlich still, dann JENNIFER ohne Erstaunen Du? JAN außer Atem Gib mir deinen Koffer. JENNIFER Jan! JAN Bist du wahnsinnig? - Du stehst hier und bläst deine Handballen und streichst dir auch noch das Haar aus der Stirn. Wir gehn zurück. JENNIFER Ja? JAN Wie hast du nur gehen können. Ich werde es dir nie verzeihen. Jennifer Jan. JAN Ich sollte dich schlagen vor allen Leuten, schlagen werde ich dich . . . Jennifer Ja, ja. JAN Wirst du noch einmal fortgehen, wenn ich dich fortschicke!? JENNIFER Nein. JAN Weißt du wieder, wo du hingehörst, obwohl du den Verstand verloren hast? JENNIFER Ich weiß nur keinen Platz mehr für uns. Aber wenn du ihn wüßtest, wüßte ich ihn auch. JAN Ich weiß ihn. Sag, ob es nicht ein Wink war. Jennifer Ja. Ja. JAN Als ich die Rechnung verlangte, hörte ich, daß ein Zimmer oben frei geworden ist, auf der Straßenseite, im dreißigsten Stock. Da mußte ich doch innehalten. Und ich meinte, dir nachgehen und es dir sagen zu müssen. Sag! Jennifer Oh ja. Ja. JAN Weil du es dir doch gewünscht hast und weil ich dir noch keinen Wunsch erfüllt habe und nichts geschenkt. JENNIFER langsam Küß mich. Auch auf der Straße. 129 Auch vor dem Fenster mit den Orangen und brauner Ananas. Auch vor dem Kreuz des Rettungswagens und dem Dromedar, das der Zirkusmann hier vorüberführt. Auch vor den Kernen, die geflogen kommen von Pfirsich und grüner Dattel, und die die Mulatten wegwerfen. JAN Und du fürchtest nicht, dein Gesicht zu verlieren auf der Straße? JENNIFER Nein. Und ich weiß schon, warum. Jan Sag! JENNIFER Weil jeder sehen kann, daß ich bald ganz verloren sein werde, und fühlen kann, daß ich ohne Stolz bin und vergehe nach Erniedrigung; daß ich mich jetzt hinrichten ließe von dir oder wegwerfen wie ein Zeug nach jedem Spiel, das du ersinnst. Jan Du mußt einmal sehr stolz gewesen sein, und ich bin jetzt sehr stolz auf dich. Plötzlich, besorgt. Jennifer! JENNIFER Es ist nichts. Mir ist schwindlig. Weil du mich geliebt hast oder weil du mich wieder lieben wirst. Halt mich fest. JAN Sprich nicht mehr! Gleich sind wir da. Du wirst zwischen frische Tücher gelegt, bekommst zu trinken, Eis auf die Stirn und eine Zigarette. Kein Wort mehr! JENNIFER Ich glaube beinahe, ich war ohnmächtig. Verzeih mir. Ich wußte nicht, daß man so ohnmächtig werden kann. Im Gerichtssaal RICHTER Auch eine Erfrischung? Auch eine Zigarette? GUTER GOTT Nur einen Schluck Wasser. RICHTER Dreißigstes Stockwerk ist natürlich besser als siebentes, und beides ist sehr viel besser als zu ebener Erde zu wohnen. Besonders hier. 130 GUTER GOTT Überall. Oben ist die Luft dünner. Die Geräuschwellen gleiten ab an den Mauern. Alles sinkt so sichtbar zurück in ein Flußbett, auf dem Treibholz schwimmt: ehemalige Gefährten, alte Lasten, hilflose Flößer mit kurzgesteckten Zielen. Eine Miniaturausgabe des Alltags ist belustigend. Aus einiger Entfernung betrachtet, schrumpft der gesunde Menschenverstand ein und sieht einem Gran Stumpfsinn zum Verzweifeln ähnlich. RICHTER unvorsichtig Die beiden hatten ihn wohl schon nicht mehr, den gesunden Menschenverstand. GUTER GOTT schwerfällig So reden Sie? RICHTER Einfühlung. GUTER GOTT Ja? Es gibt nämlich einiges in den Höhen, wo die Adler nicht wohnen. Freiheit. Ein Unwesen, das die Phalanx der Liebenden in Besitz nimmt und verleidigt voller Verblendung. Darum bin ich dieser Zigeunerin auf den Fersen, solange ich denken kann, die von nirgends herkommt und nirgends zuhause ist und diese Horste begünstigt — Die so geduckt unten geht und plötzlich über den Asphalt und auf fliegt, damit ihre Füße keine Spur lassen -- TJer Liebe, könnte ich sagen - Ihr, die wir nicht fassen und hierherbringen können und die nie aussagen wird. Nirgends zu finden. Schon nicht mehr zu finden, wo sie eben noch war. Und ich könnte schwören, daß sie, die gestern noch jene beiden Hebte, den Kakteenpurpur aufgehn und die Pappel ins Dunkel ragen ließ, heute schon zwei andere liebt und die Mimosen erzittern läßt - Daß sie sich kein Gewissen macht, sondern ihr schwarzes Mieder fest schnürt, ihren roten Rock wirbeln läßt und wieder jemand die Welt verdunkelt mit ihren vor Trauer unsterblichen Augen! 131 RICHTER Nicht zu fassen. Freilich nicht hierherzubringen. Aber was sich fassen läßt, die Tatsachen . . . Blätternd. Wie sieht es im dreißigsten Stockwerk aus? GUTER GOTT Das Zimmer ist lichter als der Tag. Wenn man von Einkäufen zurückkommt, brät man Fische mit faden Glotzaugen in der Kochnische und wäscht ein Paar Strümpfe und ein Paar Socken im Bad, hängt sie über den stählernen Arm, an dem man auch Gymnastikübungen machen könnte, wenn man nicht Besseres zu tun hätte. Man nennt das schon »zuhause«, beugt sich manchmal aus dem Fenster, rauft Stroh und Binsen aus einer Besenreklame und klebt sie an die Wand, damit das Zimmer einem Nest ähnlicher wird. Man sperrt zweimal die Tür ab und steht ein drittes Mal auf, um nachzusehen, ob sie verschlossen ist. Immer seltener geht man aus. Man hat keine Zigaretten, und einer von beiden will sie kaufen gehen, aber man geht dann zu zweit. RICHTER Briefe vom Eichhörnchen ? GUTER GOTT Massenweise. Die Post häuft sich. Und Billy und Frankie tanzten auf dem Korridor auf und ab und sahen durchs Schlüsselloch. Auf dem Hotelkorridor BILLY Ach wie gut, daß niemand weiß! FRANKIE Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. BILLY Poet, schwachsinniger. Was denkst du dir aus für das Mädchen? FRANKIE Zum Teufel mit ihr! BILLY Und für ihn? FRANKIE Er ist schlau, aber es hat ihn erwischt. Schlaukopf, Lästermaul, die Welt ist faul! 132 Billy Sag schon. FRANKIE Spanische Folter. BILLY Spanische? FRANKIE Du wirst dich zu Tod lachen. Daumenschrauben sind nichts dagegen. Brennende Hölzer unter den Nägeln, ein Kolonialbeamtenspiel. Auspeitschen eine Wonne dagegen. Ich sag's dir ins Ohr. Er flüstert unverständlich. Billy Hoho?! FRANKIE Oho! BILLY Einverstanden? FRANKIE Einverstanden. Wenn unser es zugibt. Im Gerichtssaal RICHTER Wir sind nicht mehr im Mittelalter. GUTER GOTT Nein. Im Anfang der Neuzeit. Oder Endzeit. Wie es beliebt. RICHTER Das ist unerträglich. Die Hitze. Und es dämmert schon. GUTER GOTT Ich nehme an, Sie sind, wie die meisten heutzutage, für Massenvernichtung und nicht für Einzelvernichtung. Aber ich habe, der einzelnen wegen, die sich absentierten, ein altmodisches Verfahren entwickeln müssen und werde daher wenig Gnade vor ihren Augen finden. RICHTER Von wem Gnade. Und wozu? GUTER GOTT Eins muß ich richtigstellen. Die ausschweifende Phantasie meiner Handlanger habe ich nur gelenkt und benutzt; meiner Nüchternheit war sie zuwi- Meister 133 der. Mit solchen Auswüchsen hat man es nur bei niedrigen Naturen zu tun. Mordlust ist mir fremd. RICHTER Sie bestreiten? GUTER GOTT Es geschah nur Recht. RICHTER Sie bestreiten? Wozu dann Gnade?! GUTER GOTT Dann: Keine Gnade. Stimmen guter rat nicht mehr teuer spott billiger tu's oder stirb! keine gnade für Nachtigallen denk daran was immer geschieht weitergehen freiwillige vor schakale und wölfe nach ein friede kommt selten allein keine gnade solange es zeit ist scharfe massnahmen schärfer nieder mit allen schranken du kannst es nicht mit dir nehmen halt! bei licht bei licht besehn: halt! Im Zimmer des 30. Stockwerks Jennifer Errette mich! JAN Ist das aus dir geworden!? Bist du's geworden? Aus einem rosaroten Mädchen mit Tagebüchern, Gutenachtküssen und Autoküssen, mit Truman und vollgekritzelten Heften unter dem Arm, sehr nett und wie gefällt Ihnen? — Wozu sind die Feuerleitern da an allen Häusern: damit man sich retten kann, wenn es brennt; und wozu sind die Feuerlöscher in allen Zimmern: damit man löschen und sich retten kann. JENNIFER Errette mich! Von dir und von nur. Mach, daß 134 wir uns nicht mehr bekämpfen und daß ich stiller werde zu dir. JAN Weinst du ? Wein doch! JENNIFER Glaubst du, daß wir wahnsinnig sind? Jan Vielleicht. JENNIFER Verachtest du mich? Jan Nur ein wenig. Nur so viel, daß mein Staunen nicht endet über dich. Aber ich bin auch erstaunt über mich. JENNIFER Wirst du heute fahren? JAN Nein. JENNIFER Aber ich weiß doch, daß es nur ein Aufschub ist, immer wieder ein Aufschub. Wozu? JAN Frag nicht! Weil vielleicht noch etwas aussteht. -Aber wo ist deine Neugier hin? Du wolltest mir ganz andere Fragen stellen und Antworten auf Fragen geben, die du in mir vermutest. JENNIFER Ja, ja. Laß uns endlich sprechen und ruhig da-"liegen. Erzähl! JAN Etwas aus der Kindheit? Geschichten vom Lande und aus der Stadt, Eltern, Tanten, Onkeln? Aus der Schulzeit? Von vergrämten Lehrern, Kreideschlachten und bestandenen Prüfungen? - Ich bin geboren worden, und dann war es bald zu spät. JENNIFER Ja. Es ist vielleicht töricht. . . obwohl ich meine, wissen zu müssen, wie alles war. JAN Dann könnte ich dir noch sagen, in welchen Ideen und welchen Gesinnungen ich mich versucht habe, wieviel Geld ich jetzt für Ideenlosigkeit verdiene und wie die Aussichten sind. Oder das Land beschreiben, seine Berge, Apfelbäume und neueste Grenzverhältnisse. Aber ihr sagt hier nur: Europa. Europäer. Wie könnte ich da kleinlich sein, von unseren Apfelbäumen reden und die Pinien und Strände außer achtlassen, die es auch geben mag. Überdies ist alles sehr weit weg und trägt keine Aufschriften mehr für mich. 135 Jennifer Und... aber ... JAN Noch etwas? JENNIFER leise Die anderen, die es gegeben hat. Und was bedeute jetzt ich? JAN nach kurzem Überlegen Habe ich dich so sehr eingeschüchtert, daß du erst jetzt danach fragst? Die unausbleibliche, beliebte Frage. Ich bin ja vorbereitet. Aber was willst du damit? Wenn ich dir nun etwas erzählte, von wenig Frauen oder sehr vielen, von Enttäuschungen - so nennt man das doch? - oder unvergeßlichen Erlebnissen. Das Vokabular ist mir durchaus geläufig, und ich habe mir für die Vergangenheit einige Fassungen zurechtgelegt. Wie es mir grade einfiel. Es gibt eine tragische Fassung und eine leichtsinnige, eine mit einem roten Faden und eine, die bloß als Statistik gelten kann. Aber war's nicht zu wünschen, daß du mir alle erließest? JENNIFER Ja. Nur als du von dem Brief sprachst, den du mir nicht schreiben wirst, sagtest du: »schreib mir am besten postlagernd, denn, aber das erkläre ich dir später . . .« JAN Ich wollte mich wohl verraten. Denn es gibt jetzt wirklich jemand drüben, der auf mich wartet. Immer wartet jemand. Oder es hätte nie anfangen dürfen. Man wird ja weiter gereicht, eine Beziehung löst die andere ab, man siedelt von einem Bett ins andere. JENNIFER Was wirst du sagen, wenn du zurückkommst? JAN Nichts. JENNIFER gequält Als wäre nichts geschehen? JAN Das habe ich nicht gesagt. Ich will damit nicht einmal sagen, daß ich dorthin zurückgehen werde. Aber so oder so gilt, daß nichts zu sagen ist. JENNIFER Weil es einfacher ist. Oh, alles ist so einfach, einfach! JaN Wein doch! Aber vergiß nicht, daß auch du gesagt hast: sag es niemand. 136 JENNIFER Ja. Weil es in den Briefen steht, die von den Eichhörnchen kommen. JAN Sie werden wissen, was sie schreiben. JENNIFER Und wenn sie es nicht wissen! - So werd ich dich also nie kennenlernen. JAN Was hättest du davon, wenn du von meinen Schwächen wüßtest und von ein paar guten Taten, die mir nebenbei unterliefen. Ich will nichts von dir wissen, dich ausklammern aus deinen Geschichten. Wenn du gehst, dich bewegst, blickst, wenn du mir folgst, nachgibst und kein Wort mehr findest, dann weist du dich aus, wie dich kein Papier, kein Zeugnis je ausweisen könnten. Ich zitt-re nicht um deine Identität. Verändert, beleidigend. Aber wir könnten versuchen, eine gemeinsame Basis zu finden, wenn du Wert darauf legst. JENNIFER Nicht so! Nicht so! JAN Was weißt du von Interferenzen und von Automa------tkm, von Quantenlaunen und intersubjekliver Verifikation? JENNIFER Nicht so! Jan Von nuklearen Veränderungen, Psychopathologie imd vom Paläolithikum? Jennifer ängstlich Bitte nicht! JAN Darüber wird man also nicht reden können. Jennifer Nein... JAN Über anderes vielleicht? JENNIFER Worüber du willst. Ich werde mir Mühe geben. JAN Warum Mühe? JENNIFER Um dir näherzukommen. JAN Würdest du eine Meinung äußern? Jennifer Welche? Jan Das frage ich dich. JENNIFER Ist dir das so wichtig? JAN Nein. Ich möchte nur feststellen, weil wir schon da- 137 bei sind, was bleibt, wenn du keine Meinung hast, dir aber Mühe geben willst und so weiter. JENNIFER Stoß mich nicht zurück. JAN immer wacher, ironischer Es gibt noch andre Möglichkeiten zu kommunizieren. Wir könnten die Theater besuchen und in der Pause Gedanken austauschen über den gut fabrizierten Feuerzauber. JENNIFER Von welchem Theaterstück sprichst du? JAN Von einem, das ich mit dir nie sehen werde. — Und was ist's mit der Musik? Wenn wir Muße haben, hören wir ims ein bedeutendes Klavierkonzert an, dessen Ecksätzen man Brillanz nachrühmen könnte und dessen geistvolle Organik besticht. JENNIFER Du meinst eine ernste Musik? JAN Und wenn es so nicht geht, werden wir Galerien besuchen und mit angestrengten Augen einen Farbwert erfassen. Und wenn es auch so nicht geht, wirst du kochen lernen und mich mit Frittaten, Saucen und Desserts unterhalten. Abends bleibt der Ausweg ins Kino. Man starrt miteinander auf die Leinwand und entspannt sich. Irgend etwas, verlaß dich drauf, wird sich schon finden, das uns zusammenhält. Kinder zum Beispiel, Sorgen und schlechtes Wetter. Verlaß dich drauf! J RNNIFER Mir soll alles recht sein. Jan böse Mir auch. JENNIFER Du bist schön, wenn du zornig wirst. JAN Ich bin jetzt nicht zornig. Ich möchte nur ausbrechen aus allen Jahren und allen Gedanken aus allen Jahren, und ich möchte in mir den Bau niederreißen, der Ich bin, und der andere sein, der ich nie war. JENNIFER Du bist schön, und du bist ja schon, wie du nie warst. JAN Ich werde dir noch etwas sagen: es ist unmöglich, daß das mit uns geschehen soll. 138 Du mein, ich dein. Vertrauen gegen Vertrauen. Laß uns an die Zukunft denken. Gute Kameraden sein. Freundschaft halten. Schützen einander, zusammenstehn. Ein Trost sein. Ein Trost sein. Du bist der erste Mensch, der kein Trost für mich ist. Meine Freunde und meine Feinde waren zu ertragen, auch wenn sie mich lähmten und meine Langmut verbrauchten. Alles war zu ertragen. Du bist es nicht. JENNIFER Du bist schön, und ich bete dich an. Ich gebe dir Küsse auf die Schulter und denke nichts dabei. Heißt das trostlos sein? JAN Ja. Aber es ist nur der erste Angriff, der erste Schlag auf eine Kette, die nicht zerbrechen will. Aber horch. Schon klingt sie, und am Ende, wenn sie ohne Laut zer-"■ springen sollte, wirst du wieder nichts dabei denken. Aber es kann auch das Gesetz der Welt dann nicht mehr auf uns liegen. Im Büro des guten Gottes BILLY Die beiden machen es nicht mehr lang. Verdrehen schon die Augen. Starren ins Ungefähre. Lästern. FranKIE Karten auf den Tisch. Was sagt der letzte Wisch? Was sagt unser Meister? BILLY Warten. Abwarten. Ein Kratzgeräusch. BILLY Kratz nicht auf dem Munilionsschrank herum. Er wird dir eins auf die Pfoten geben. 139 FRANKIE Es juckt mich schon so. BILLY Sollen wir ihnen noch einen Brief schicken? FRANKIE Aber einen, der den Puls beschleunigt, den Druck hinaufsetzt. Zum Teufel mit ihnen. BILLY Was schreiben wir? FRANKIE »Sag es niemand.« BILLY Versteht sich. FRANKIE Ich könnt mich ins Fell beißen. Mir fällt nichts ein. BILLY Beiß dich! FRANKIE Au! Au! Au! BILLY Noch immer nichts? FRANKIE Ichhab's! BILLY Wird was B echtes sein. FRANKIE Höher hinauf müssen sie. BILLY Eine Nuß gefällig? Kopfnuß vielleicht? FRANKIE Behalt deine Nüsse! Im letzten Stock muß ein Zimmer frei werden. Gib die Kartei her! Wer schmort jetzt oben? BILLY Wie hoch? Im 57. Stock? Das wäre der letzte. FRANKIE Gib her! Herr Missismister. Wir probieren es. BILLY Wie? FRANKIE Er muß heraus. Wir kommen angehüpft. Mit einem Sprung flieg ich ihm auf die Brust. Und er packt seine Koffer, vor Schreck. BILLY Zieht aus, und sie ziehen ein. Dann? FRANKIE Dann schweben sie und müssen haushalten mit der Stickluft. Verlieren den Boden unter den Füßen. Fühlen Schwindel. Und pfeifen - er pfeift - pfeifen auf die himmlische Erde. Er pfeift wieder. BILLY Himmlisch. So geht's schneller. FRANKIE Ach, wie gut! BILLY Ach wie gut, daß niemand weiß, daß ich Billy -FRANKIE Daß ich Frankie - 140 BILLY Das zahme, das scheue -FRANKIE Das flinke Eichhorn heiß. Im Gerichtssaal RICHTER Tatsächlich zog ein Mann im letzten Stock aus diesen oder anderen Gründen aus. GUTER GOTT Der Portier erinnerte sich an ein Trinkgeld, das er von den beiden bekommen hatte, und quartierte sie um. Von dem Zimmer oben gab es eine seltsame Aussicht. Eine im Flug verlassene Welt lag unten. In einem Aug konnte man schon den Mond und im anderen noch die Sonne haben. Das Meer wölbte sich sichtbar in der Ferne und zog Schiffe und Rauch hinunter an andere Erdteile. TAlCHTER Was für ein Manöver, dieser Umzug! Dachten Sie, oben unbemerkter handeln zu können? GUTER GOTT Nein, nur rascher. Ich trieb nur die Dinge voran, die nicht mehr aufzuhalten waren. Dann war mir auch leid, daß sie nahezu kein Geld mehr hatten. Ich wollte ihnen ablenkende Sorgen ersparen. Sie wissen, wie teuer die Zimmer oben sind. RICHTER wegwerfend Auch noch Mitleid. Ja, ich weiß. Blätternd. Ist es richtig, daß wir zur letzten Nacht kommen? GUTER GOTT Zu einer, die auftrat vor dem letzten Tag wie die allerletzte. Mit einer unbändigen Temperatur. Fieberheiß. Der Ventilator war ohnmächtig. RICHTER Heute wie damals. GUTER GOTT Das Eis schmolz im Glas, eh man es an die Lippen hob. RICHTER Und den beiden kamen keine Bedenken? GUTER GOTT Sie hatten den Brief und glaubten aufs Wort. 141 Im Zimmer des 57. Stockwerks JENNIFER Bedenk es. Wieder ein Wink. Wieder ein Zeichen. Zärtlich. Gute, liebe Eichhörnchen. Jan Umzug am Abend. Einzug in die Nacht selbst. JENNIFER Ich werde meine Haarbürste neben deine legen. Deine Bücher aufstellen. Deine Jacke aufhängen neben meinen Röcken. Ich möchte jetzt alles so hinlegen und stellen, als blieb es für immer. Welch ein Augenblick! Und ich will mir einprägen für immer: die stille Nacht und die feuchte Glut, die glänzende Insel, über der wir sind, und das Licht, das wir hier abbrennen werden, um ihr noch Glanz hinzuzufügen, zu niemandes Ehren. JAN Komm! Laß aus der Hand fallen, was du hältst. Laß alles fallen für immer. Ich fühle, daß ich nie besser wissen werde, auf welchem Langen- und Breitengrad ich mich befinde, und nie besser, worauf alles gegründet ist als in diesem beliebigsten Zimmer. Genau hier ist es zu spüren, wo es wenig Erde gibt. Hier ist Raum. Und "du beherbergst mich, den Fremden. JENNIFER Weil er von weither kommt und weit fort muß, schlage ich ihm das Bett auf und stelle den Wasserkrug neben ihn. JAN Aber er tappt noch in manchem Dunkel und findet sich nicht zurecht. Er erzeugt noch Befremden, weil sein Akzent hart ist, und er vermag noch kein Vertrauen einzuflößen. Ich möchte jetzt eine Karte haben, die mich dir erklärt: alle meine Wüsten, sandfarben darauf, und weiß die Tundren, und eine noch unbetretene Zone. Aber auch eine neue grüne Zeichnung ist da, die besagt, daß der Kältesee in meinem Herzen zum Abfließen kommt. JENNIFER Endlich. Endlich. JAN Und ich möchte ein Buch haben, aus dem ich erfah- 142 re, was in dir vorkommt, Klima, Vegetation und Fauna, die Erreger deiner Krankheiten und ihre stummen verbissenen Gegner in deinem Blut, und die Lebewesen, die allerkleinsten, die ich mir herüberhole mit meinen Küssen. Ich möchte einmal sehen, was jetzt ist, abends, wenn dein Körper illuminiert ist und warm und aufgeregt ein Fest begehen möchte. Und ich sehe schon: durchsichtige Früchte und Edelsteine, Kornelian und Rubin, leuchtende Minerale. In eine Feerie verwandelt, die Blutbahnen. Sehen. Schauen. Alle Schichten bloßgelegt. Die Decken feinen Fleisches, weiße seidige Häute, die deine Gelenke umhüllen, die entspannten Muskeln, schön polierte Knochen und den Lack auf den bloßen Hüftkugeln. Das rauchige Licht in deiner Brust und den kühnen Schwung dieser Rippen. Alles sehen, alles schauen. JENNIFER Könnt ich mehr tun, mich aufreißen für dich und in deinen Besitz übergehen, mit jeder Faser und wie es sein soll: mit Haut und mit Haar. JAN Und hören. Das Ohr an dich legen, weil es nie still ist in dir und eine auf- und absinkende Windwoge in deiner Lunge gibt, das Geräusch von einem Kolben, der niederfällt in deiner Herzkammer, einen ängstlichen Laut, wenn du schluckst, und Geisterknacken in deinen Gliedern. JENNIFER Horch mich aus. Denn ich kann kerne Geheimnisse vor dir haben. JAN Aber werde ich hinter alle kommen? - Oh, es wird mich Eifersucht heimsuchen und nicht freigeben, eh ich die okkulten Farben innen kenne und die geheimen Gänge durch Zellkammern, das ausgeschüttete Salz im Geweb, Larven und Lampióne darin, Mosaikböden mit den Darstellungen versunkener Mythen. Schwammwerk und Mark. Die ganze verschwenderische Anlage, die du bist, und die ohne Ruhm vergehen soll. 143 JENNIFER Vergeh ich schon ? Und vergeh ich nicht wegen dir? JAN Dann ist wenig Zeit auf der Welt. Denn wenn alles entdeckt und verformelt ist, wird die Lasur deiner geschmeidigen Augen und die blonde Haarsteppe auf deiner Haut von mir noch nicht begriffen sein. Wenn alles gewußt, geschaffen und wieder zerstört sein wird, werde ich noch verführt werden im Labyrinth deiner Blicke. Und es wird mich das Schluchzen, das deinen Atemweg heraufkommt, bestürzen wie nichts sonst. JENNIFER So wenig Zeit. Viel zu wenig Zeit. JAN Und darum will ich dein Skelett noch als Skelett umarmen und diese Kette um dein Gebein klirren hören am Nimmermehrtag. Und dein verwestes Herz und die Handvoll Staub, die du später sein wirst, in meinen zerfallenen Mund nehmen und ersticken daran. Und das Nichts, das du sein wirst, durchwalten mit meiner Nichtigkeit. Bei dir sein möchte ich bis ans Ende aller Tage und auf den Grund dieses Abgrundes kommen, in den ich stürze mit dir. Ich möchte ein Ende mit dir, ein Ende. Und eine Revolte gegen das Ende der Liebe in jedem Augenblick und bis zum Ende. JENNIFER Mein Ende. Sag es zu Ende. JAN Es ist da eine Niedertracht von Anfang an, und keine Blasphemie wird ihr Ausmaß erreichen. Was müssen wir uns vorhalten lassen mit Liebe, dieser Flammenschrift, und auslöschen sehen, wenn wir nähergekommen sind? Wer hat geschrien, daß Gott tot ist? Oder gestürzt in die Donnerhallen! Oder daß es ihn nicht gibt. Ist da nicht zu wenig verklagt in der wenigen Zeit? Reißen wir unsere Herzen aus für ein Nichts und um mit dieser jämmerlichen Klage die Leere zu füllen, und stirbst du dafür! Oh nein. Lieb mich, damit ich nicht schlafen und aufhören muß, dich zu lieben. Lieb mich, damit ein Einsehen ist. Denn warum sollte ich dich nicht 144 festhalten, dich foltern und in dir verzweifeln können an allem? Warum soll ich mir noch vorhalten lassen, wie lang und wie oft ich dich zu halten habe, obwohl ich es immer will und dich für immer will! Ich will dich jetzl nicht verlassen, betrügen in Traumwelten und mich betrügen lassen in Schlafwelten. Ich will, was noch niemals war: kein Ende. Und zurückbleiben wird ein Bett, an dessen einem Ende die Eisberge sich stoßen und an dessen unterem Rand jemand Feuer legt. Und zu beiden Seiten: nicht Engel, aber Dolden aus Tropen, Papageienhohn und dürre Geflechte aus Hun-gerland. Schlaf nicht ein, ich bitte dich. JENNIFER Ich werde nicht mehr schlafen. Dich nicht mehr lassen. J AN So komm. Ich bin mit dir und gegen alles. Die Gegenzeit beginnt. Im Gerichtssaal RICHTER Wovon ist die Rede? GUTER GOTT Von einem anderen Zustand. Von einem Grenzübertritt. Von etwas, das Sie und ich nicht erwogen haben. RICHTER zurückhaltend Wir haben hier schon mit allen möglichen Fällen zu tun gehabt. GUTER GOTT Sie haben nur mit mir zu tun. Damit aber nichts. RICHTER Anmaßungen. - Wollen Sie auch behaupten, daß die Geschichte von Ellen Hay und diesem Bamfield und all den anderen, die Sie - Guter Gott Die ich? Ich? RICHTER Die getötet wurden, ähnlich verlief? GUTER GOTT Das kann ich nicht behaupten. Jede Ge- 145 schichte fand in einer anderen Sprache statt. Bis in die Wertlosigkeit verlief jede anders. Auch die Zeit war eine andere, in die jede getaucht war. Aber wer sich nicht damit beschäftigt hat, mag wohl Ähnlichkeit drin sehen. So wie es eine Ähnlichkeit zwischen Zweibeinern gibt. Aber alle hatten die Neigung, die natürlichen Klammern zu lösen, um dann keinen Halt mehr in der Welt zu finden. Sagt man nicht, es seien nicht immer die Mörder, sondern manchmal die Ermordeten schul-dig? RICHTER Versuchen Sie nicht, die Dinge auf den Kopf zu stellen! Und die Worte zu verdrehen. GUTER GOTT Ich versuche nichts dergleichen. Ich möchte Sie nur davon unterrichten, daß die beiden an nichts mehr glaubten und ich in gutem Glauben handelte. Richter Sie! GUTER Gott Wollen Sie mein Glaubensbekenntnis? -Ich glaube an eine Ordnung für alle und für alle Tage, in der gelebt wird jeden Tag. Ich glaube an eine große Konvention und an ihre große Macht, in der alle Gefühle und Gedanken Platz haben, und ich glaube an den Tod ihrer Widersacher. Ich glaube, daß die Liebe auf der Nachtseite der Welt ist, verderblicher als jedes Verbrechen, als alle Ketzereien. Ich glaube, daß, wo sie aufkommt, ein Wirbel entsteht wie vor dem ersten Schöpfungstag. Ich glaube, daß die Liebe unschuldig ist und zum Untergang führt; daß es nur weitergeht mit Schuld und mit dem Kommen vor alle Instanzen. Ich glaube, daß die Liebenden gerechterweise in die Luft fliegen und immer geflogen sind. Da mögen sie vielleicht unter die Sternbilder versetzt worden sein. Haben Sie nicht gesagt: er hat sie nicht begraben —? Haben Sie es nicht gesagt? Richter Ja. 146 GUTER GOTT Und ich wiederhole es nur. Nicht begraben. Verstehen Sie. Versetzt. Unter Bilder. RICHTER gewöhnlich Sie sind ein krankhafter Phantast. Jeder Mensch könnte Ihnen aus eigener Erfahrung eine Reihe von glücklichen Paaren nennen. Die Jugendfreundin, die später an einen Arzt geriet. Die Nachbarn auf dem Land, die schon fünf Kinder haben. Die zwei Studenten, die einen Ernst fürs Leben und füreinander verraten. GUTER GOTT Ich gestehe Ihnen unzählige zu. Aber wer wird sich mit Menschen beschäftigen, die nach einem anfänglichen Seitensprung in die Freiheit ohnehin Instinkt bewiesen haben. Die das bißchen anfängliche Glut zähmten, in die Hand nahmen und ein Heilmittelunternehmen gegen die Einsamkeit draus machten, eine Kameradschaft und wirtschaftliche Interessengemeinschaft. Ein annehmbarer Status innerhalb der Gesellschaft ist —geschaffen. Alles im Gleichgewicht und in der Ordnung. RICHTER Etwas anderes ist nicht möglich und gibt es nicht. GUTER GOTT Weil ich es ausgerottet und kaltgemacht habe. Ich habe es getan, damit es Ruhe und Sicherheit gibt, auch damit Sie hier ruhig sitzen und sich die Fingerspitzen betrachten können und der Gang aller Dinge der bleibt, den wir bevorzugen. RICHTER Es gibt nicht zwei Richter - wie es nicht zwei Ordnungen gibt. GUTER GOTT Dann müßten Sie mit mir im Bund sein, und ich weiß es nur noch nicht. Dann war es vielleicht nicht beabsichtigt, mich außer Gefecht zu setzen, sondern etwas zur Sprache zu bringen, worüber besser nicht geredet werden sollte. Und zwei Ordner wären einer. Stimmen ein gestirn macht keinen himmel 147 EINLENKEN RATSAMER VERSCHLAGEN SEIN PROBEWEISE GEWALT AUF VORRAT RAKETEN SPRITZIGER BOMBEN FÜLLIGER SCHWERES WASSER RUCHBARER LÖST AUF LÖST EUCH AUF LÖST DIE WELT BEIM GONGSCHLAG NULL UHR NULL UNTER SCHLÄGEN STEIGEN UND SINKEN DENK DARAN DU KANNST ES NICHT MACH ES KURZ UND SÜSS GRINS LIND ERTRAG ES-HALT! Im Zimmer des 57. Stockwerks JAN Nimmst du es an? Wirst du es ertragen? Obwohl es »Abschied« heißt und kein Wort mehr für uns ist. JENNIFER Mich erschreckt nur, daß du noch immer da bist und daß ich dich ansehn muß, während die letzten Sekunden kommen. Ich werde bald nichts mehr sein. War's zu Ende. Ich ohne Schmerz. Wäre ich ohne mich. Darf ich alles sagen? JAN Alles. Sag alles! JENNIFER Rühr mich nicht mehr an. Komm mil- nicht zu nah. Ich würd Zunder sein. JAN Wie weit soll ich weggehn? JENNIFER Bis zur Tür. Aber leg die Hand noch nicht auf den Griff. JAN entfernt Ich .. . JENNIFER Sprich nicht mehr zu mir. Und umarm mich kein letztes Mal. JAN Und ich! JENNIFER Drück jetzt die Schnalle nieder und geh, ohne dich umzudrehen. Nicht mit dem Rücken zu mir. Ob- 148 wohl ich die Augen schließen und dein Gesicht nicht mehr sehen werde. JAN Aber ich kann nicht. . . JENNIFER Tu mir nicht mehr weh. Mit keinem Aufschub. JAN während er durch das Zimmer zu ihr zurückgeht Ich kann nie mehr gehen. JENNIFER Nicht. Rühr mich nicht an! JAN Nie mehr. Sieh mich doch an. Nie mehr. JENNIFER langsam, während sie sich auf die Knie wirft Oh, das ist wahr. Nie mehr. JAN entsetzt Was tust du? Tu das nicht! JENNIFER Auf den Knien vor dir liegen und deine Füße küssen? Ich werde es immer tun. Und drei Schritte hinter dir gehen, wo du gehst. Erst trinken, wenn du getrunken hast. Essen, wenn du gegessen hast. Wachen, wenn du schläfst. JAN leise Steh auf, meine Liebe. — Ich will das Fenster ^öffnen und den Himmel hereinlassen. Du wirst warten und nicht mehr weinen, wenn ich jetzt geh - nur um die Schiffskarte zurückzugeben, um für immer das Schiff fahren zu lassen. Das feuerrote Taxi werde ich nehmen, das am schnellsten fährt. Es ist ja soweit. Ich weiß nichts weiter, nur daß ich hier leben und sterben will mit dir und zu dir reden in einer neuen Sprache; daß ich keinen Beruf mehr haben und keinem Geschäft nachgehen kann, nie mehr nützlich sein und brechen werde mit allem, und daß ich geschieden sein will von allen andern. Und sollte mir der Geschmack an der Welt nie mehr zurückkommen, so wird es sein, weil ich dir und deiner Stimme hörig bin. Und in der neuen Sprache, denn es ist ein alter Brauch, werde ich dir meine Liebe erklären und dich »meine Seele« nennen. Das ist ein Wort, das ich noch nie gehört und jetzt gefunden habe, und es ist ohne Beleidigung für dich. JENNIFER Oh, sag es niemand. 149 JAN Mein Geist, ich bin wahnsinnig vor Liebe zu dir, und weiter ist nichts. Das ist der Anfang und das Ende, das Alpha und Omega . . . JENNIFER Ein alter Brauch: wenn du mir deine Liebe erklärst, werde ich dir meine gestehen. Meine Seele - JAN Unsterblich oder nicht: es gibt kein Ja mehr auf dieses. Im Gerichtssaal GUTER GOTT Ja, auffliegen müssen sie, spurlos, denn nichts und niemand darf ihnen zu nah kommen. Sie sind wie die seltenen Elemente, die da und dort gefunden werden, jene Wahnsinnsstoffe, mit Strahl- und Brandkraft, die alles zersetzen und die Welt in Frage stellen. Noch die Erinnerimg, die von ihnen bleibt, verseucht die Orte, die sie berührt haben. Dieses Gericht wird ohne Beispiel sein. Wenn ich verurteilt werde, wird es zur Beunruhigung aller geschehen. Denn die hier lieben, müssen umkommen, weil sie sonst nie gewesen sind. Sie müssen zu Tode gehetzt werden — oder sie leben nicht. Man wird mir entgegenhalten: dieses Gefühl verläuft sich, gibt sich. Aber da ist gar kein Gefühl, nur Untergang! Und es gibt sich eben nicht. Und es kommt doch darauf an, auszuweichen, sich anzupassen! Antworten Sie - bei allem, was Ihnen Recht ist. Antworten Sie! Richter Ja. GUTER GOTT Auf dieses Ja folgt nichts mehr. Darauf ginge ich noch einmal hin und täte es noch einmal. 150 Im Zimmer des 57. Stockwerks Jennifer Herein. Guter Gott Sie sind allein ? Jennifer Ja. Bitte. GUTER GOTT Ich möchte nur ein Paket abgeben. Es ist bestellt worden für Sie. JENNIFER ohne Bewegung Ich weiß nichts davon. GUTER GOTT Es soll eine Überraschung für Sie sein. JENNIFER mit schwacher Freude Ein Geschenk. Ja? GUTER GOTT ich darf es hier abstellen? Und Sie werden nicht neugierig sein und warten, bis Sie nicht mehr allein sind? JENNIFER Oh, gewiß. Ich bin nicht neugierig. Ich kann jetzt warten. Warten. GUTER GOTT verändert Er wird gleich zurück sein. JENNIFER Ja, gleich. Er ist nur . . . bricht ab. . . nur für eine Weile weggegangen, er beeilt sich, obwohl es nicht mehr eilt. Denn es ist ein Tag der Überraschungen heute. Verstummt. Sehen Sie, es ist ein besonderer Tag. - Danke. Stille. JENNIFER Es ist gut. Danke. Sie gehen nicht? GUTER GOTT unbeweglich Sie danken mir? JENNIFER Ja. Flüsternd. Aber ich muß jetzt allein sein. Verstehen Sie. Weil heute abend ein Schiff ausläuft, das ihn mir nicht fortnehmen kann, und weil mir dann das Glück die Kleider zerreißen wird. Gehen Sie, bitte, weil ich zu niemand reden darf. Ich liebe. Und ich bin außer mir. Ich brenne bis in meine Eingeweide vor Liebe und verbrenne die Zeit zu Liebe, in der er hier sein wird und noch nicht hier ist. Ich bin gesammelt über den Augenblick hinaus bis in meinen letzten und liebe ihn. 151 Gehen Sie endlich. Sehen Sie mich nicht so an. Atmen Sie nicht diese Luft hier. Ich brauche sie. Ich liebe. Gehen Sie fort von hier. Ich liebe. GUTER GOTT Kein Brief vom Eichhörnchen? JENNIFER Großer Gott! GUTER GOTT Ein Brief vom Eichhörnchen. Darin steht: sag es niemand. JENNIFER furchtbar, leise Sagen Sie das nicht. Sie nicht. Niemand. GUTER GOTT Niemand weiß. Jennifer Niemand. Die Tür schlägt zu. Musik. In einer Bar in der 46. Straße Jan eintretend Guten Tag. BARMANN Was darf essein? JAN zusammenfahrend Ich weiß nicht. Was? BARMANN Doppelter Whisky. Eis bis oben hin. In der Verfassung. JAN Ja. Aber rasch. Wie spät ist es eigentlich? Meine Uhr geht so langsam. Ich meine, die muß bald stehenbleiben, weil ich sie ein paar Tage lang nicht aufgezogen habe. BARMANN hantierend Verdammt heiß heute. Er stellt ihm das Glas auf die Theke. Viel kann nicht mehr auf die Stunde fehlen. Ich kann den Apparat anstellen. Dann wissen Sie's bald genauer. JAN Sehr freundlich. BARMANN während er am Apparat dreht und ihn einstellen möchte Das Baseballspiel ist schon vorbei. Reklame natürlich. 152 STIMMEN leise, aus dem Apparat kommend GEHEN WEITERGEHEN GEHEN JAN Ich muß gehen. BARMANN In der 46. Straße können Sie nicht weiter. Reißen die Straße auf. Mir bleibt die Kundschaft aus. Sie müssen zurück um einen ganzen Block. JAN So. Ja, es ist so leer hier. Stimmen leise DENK DARAN SOLANGE ES ZEIT IST JAN Noch einen Doppelten. Wissen Sie . . . Ich hätte nur gerne einmal . . . Ich halte Sie nicht auf? B ARMANN Aber nein. Kenne das. Kennen niemand. JAN Ach nein. Das ist es nicht. Aber ein paar Worte täten gut. Nur so. BARMANN Sie sind ein sehr netter Mensch. Er stellt ihm das Glas hin. JAN Ist das eine Zeitung - von heute? BARMANN Natürlich. Nehmen Sie! JAN Nur einen Blick hineinwerfen . . . Seit Tagen habe ich nämlich keine Zeitung mehr gelesen. Er schlägt sie auf. Stimmen leise KEINE GNADE DENK DARAN JAN Bei uns, ich meine, dort drüben, hat die Regierung gewechselt. Ich hatte keine Ahnung. Stimmen keine gnade keine zeit für gnade JAN auffahrend Die Zeit! Können Sie nicht ein anderes Programm suchen? B A RM ANN Kann's j a versuchen. Er versucht, eine andere Station zu finden. STIMMEN hervorbrechend, von Nebengeräuschen begleitet DENK DARAN DU KANNST ES NICHT HALT! STEHENRLEIBEN BEI LICHT HALT! 153 BARMANN Versuchen. Er dreht weiter und stößt auf die Musik, die laut hervorbricht und dann von einer dumpfen Detonation abgebrochen wird. Auf dem Korridor des 57. Stockwerks FraNKIE Schön gestoben. Schön geflogen. BILLY Aber er. War nicht da. Ist nicht gekommen. Weinerlich. Schweinerei. FraNKIE Ich hab mir den Pelz versengt. Bin fast auch geflogen. Was melden wir? BILLY Gründliche Explosion und schlechte Berechnung. Ein Toter zu wenig. Und der Meister wartet untere in der Halle. Wollte sich's anhören. FRANKIE geziert Ich trau mich nicht vor ihn. Hab mein Fell versengt. BILLY Horch! Sie kommen schon. Gaffer. Wir klettern außen herunter. Springen durchs Zimmer. Hinaus. Weg! FRANKIE Pfui, da sieht's aus. Schwarz wie in der Hölle. Brandig. Raucht noch. Hustend. Ach wie gut. Im Gerichtssaal RICHTER Sie ist allein gestorben. Guter Gott Ja. RICHTER Und warum? Gleich fortfahrend, sicherer. Weil er plötzlich, als die Entscheidung gefallen war, Lust verspürte, allein zu sein, eine halbe Stunde lang 154 ruhig zu sitzen und zu denken, wie er früher gedacht hatte, und zu reden, wie er früher geredet hatte an Orten, die ihn nichts angingen, und zu Menschen, die ihn auch nichts angingen. Er war rückfällig geworden, und die Ordnung streckte einen Augenblick lang die Arme nach ihm aus. Er war normal, gesund und rechtschaffen wie ein Mann, der vor dem Abendessen ein Glas in Ruhe trinkt und aus seinem Ohr das Geflüster einer Geliebten und aus seinen Nüstern den hinreißenden Geruch verscheucht hat - ein Mann, dessen Augen sich wieder beleben an Druckerschwärze und dessen Hände sich schmutzig machen müssen an einer Theke. GUTER GOTT Er war gerettet. Die Erde hatte ihn wieder. Jetzt wird er längst zurück sein und bei schlechter Laune und mit mäßigen Ansichten lange leben. RICHTER Und vielleicht nie vergessen. Ja. Guter Gott Meinen Sie? Richter Ja. GUTER Gott Sind wir am Ende? RICHTER Gehen Sie. Den langen Gang hinunter bis zum Paternoster. Sie kommen zu einem Nebenausgang. Niemand wird Sie aufhalten. Guter Gott Die Anklage ? RICHTER Bleibt aufrechterhalten. GUTER GOTT Das Urteil? Ihren Spruch - werde ich nie erfahren? Welcher Blitz schwimmt in Ihren Augen, Euer Gnaden? Mit welchem Vorbehalt fragten Sie, und mit welchem antworten Sie jetzt? Schweigen — bis zuletzt? Ergeht, und die Tür fällt hinter ihm zu. RICHTER allein Schweigen. 155