JMS: D« F 3/Z006 5. /ÍSf - /f Si. Baldu r Neuber Phonetische und rhetorische Wirkungen sprechstimmlicher Parameter / Einleitung Beim Erwerb einer Fremdsprache geht es gegenwartig oftmals um viel mehr als nur um potenziell gute semantische Verständigung und grammatikalische Korrektheit. Insbesondere im beruflichen Kontext werden zunehmend professionelle rhetorische Fähigkeiten in Gespräch und Rede erforderlich, wie z.B. im Rahmen von Verhandlungsführungen, Präsentationen auf Fachmessen oder auch in Fachvorträgen auf Tagungen. Sind rhetorische Schulungen im Bereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache bisher auch eher die Ausnahme, so wurde ihre Relevanz zumindest prinzipiell erkannt (vgl. Wier-lacher 1992; Neuber 1996:240ff.). Nahezu unbeachtet geblieben ist hingegen die Tatsache, dass auch sprechstimmliche Parameter als erhebliche rhetorische Wirkungsfaktoren anzusehen sind. Diese Behauptung soll im Folgenden theoretisch erörtert und am Beispiel eigener empirischer Untersuchungen begründet werden. Anschließend an die Darstellung werden einige didaktische Perspektiven für die Umsetzung dieser Erkenntnisse in Lehr- und Lernprozessen gezeigt. 2 Definition der sprechstimmlichen Parameter 2.1 Formen Unter dem Begriff „Formen sprechstimmlicher Parameter" sind hauptsächlich die folgenden phonetischen Erscheinungen zu verstehen: - Sprechtonhöhe und Tonhöhenvariation, - Schallintensität (Lautstärke) und ihre Schwankungen, - Sprechtempo undTempovariation(Agogik), - Pausierung, - Stimmklang. Die genannten Parameter treten in der natürlichen gesprochenen Sprache immer in Kombination auf. 2.2 Funktionen Im Deutschen üben die genannten sprechstimmlichen Parameter vor allem folgende Funktionen aus: - Sie geben Auskunft über die sprechende Person (z.B. Alter, Geschlecht, regionale Herkunft). - Sie gliedern den Redefluss in Einheiten, die bei adäquater Realisation erheblich zur Verbesserung der Rezeptions- und Behal-tensleistung beitragen (vgl. Neuber 2002). - Sie verdeutlichen das Gemeinte (z. B. durch Ironie, Nachdruck, Sachlichkeit). - Sie vereindeutigen semantische Zweifelsfälle und verhindern Ambiguität (z. B. „Im Text steht Mitgift, nicht mit PAUSe ftJ 3ft Gift."). - Sie signalisieren Emotionen, wie z. B. Freude, Wut oder Verzweiflung (vgl. Kranich 2003). Bereits hier wird die rhetorische Relevanz dieser Funktionen erkennbar, denn es ist sicher plausibel, dass z. E Aversion oder Mitgefühl gegenüber der sprechenden Person ebenso wichtige rhetorische Wirkungsträger sind wie die Konsequenzen, die sich aus einer mittelfristig behaltenen oder vergessenen Äußerung ergeben können. 3 Rhetorische Wirkungen Mit „rhetorischen Wirkungen" sind Kommunikationseffekte gemeint, die auf Meinungswechsel, Einsteilungswechsel und/oder Hand-lungsinitiierung und -Wechsel hinauslaufen. Dabei wird mit Müller (vgl. 1999:13) und in Anlehnung an Hovland/Irving/Kelly (1953) unter „Meinungswechsel" eine kurzfristige interne (d.h. kognitive, voluntative und/oder emotionale) Änderung verstanden, unter „Ein-stellungswechsel" hingegen eine langfristige. Der Begriff „Handlungsinitiierung" bezeichnet ebenfalls eine langfristige Änderung, die jedoch extern (also in dem für andere ericenn-* baren Handeln) sichtbar wird. 151 Alle genannten rhetorischen Wirkungen können zum einen auf einer tiefgründigen rationalen Elaboration durch den Rezipienten beruhen, die man in Anlehnung an das Modell der Elaborations Wahrscheinlichkeit von Pet-ty/Cacioppo (1986) auch als Verarbeitung über die „zentrale Route" („central route") bezeichnet. Zum anderen fußen diese Wirkungen auf einer Vielzahl von Erscheinungen wie sozialer Identifikation, Vorurteilen oder auch Konditionierung und Verwendung von Heuristiken. Die Verarbeitung erfolgt in diesem Fall über die „periphere Route" („peripheral route"). Die Details der psychologischen und rhetorischen Aspekte dieses empirisch umfassend gestützten Modells werden u.a. durch Frindte (vgl. 2001:79f£) erörtert und sollen an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Wichtig ist, dass die Verarbeitung über die „periphere Route" nicht auf tiefgründiger gedanklicher Durchdringung beruht, sondern auf ektosemantischen Prozessen wie Sympathie, Attraktivitätseinschätzung oder auch Kompetenzzuweisung. Betrachtet man die unter 2.2 genannten Funktionen der sprechstimmlichen Parameter, so wird deutlich, dass deren rhetorische Wirkungen der Verarbeitung über die periphere Route zuzuweisen sind. Das würde z.B. bedeuten, dass Meinungswechsel durch gezielten Einsatz sprechstimmlicher Parameter herbeigeführt werden können. Diese Überlegung soll u. a. in den folgenden Abschnitten mit empirischen Daten untersetzt werden. 4 Forschungslage Relevant für den vorgestellten Gegenstandsbereich sind insbesondere die Situationen in der Prosodieforschung und in der rhetorischen Wirkungsforschung sowie an den interdisziplinären Schnittstellen zu Linguistik, Psychologie und Soziologie. Es kann daher an dieser Stelle nur ein sehr kurzer und grober Überblick gegeben werden. Die phonetischen Merkmale „Melodisie-rung", „Schallintensität", „Sprechtempo" und „Pausierung" sind hinsichtlich ihrer hör- und messbaren Eigenschaften gut beschrieben. Weitaus weniger untersucht sind der Stimmklang, die kombinatorischen Erscheinungen der aufgeführten Parameter sowie Erscheinungen im Grenzbereich zwischen Artikulation (d.h. der Bildung von Lauten und Lautkombinationen) und Stimme. Letzteres ist z.B. der Fall, wenn in dem Wort der Vokal [a:] gedehnt und mit Stimmhebung gesprochen wird, um dem Kommunikationspartner nicht Zustimmung, sondern Zweifel und Ablehnung zu signalisieren. Die Untersuchung der Funktionen der genannten Parameter und ihrer Kombinationen weist zahlreiche Desiderate auf. Gut beschrieben und didaktisch aufbereitet sind hingegen die kommunikativen Auswirkungen phonetischer Interferenzen im Erwerb des Deutschen als Zielsprache (vgl. Stock/Hirschfeld 1996; Hirschfeld/Stock 2000). Die Verbindung zwischen sprechstimmlichen Parametern und rhetorischer Wirksamkeit wurde lediglich für den angloamerikanischen Raum in größerem Umfang untersucht, für das Deutsche existieren eher marginale Hinweise auf den Sachverhalt Einen guten Literaturüberblick zu dieser Thematik gibt Müller (1999). Die vorhandenen empirisch gestützten Studien verwenden hauptsächlich deskriptive Verfahrensweisen oder sie arbeiten mit der Manipulation einzelner phonetischer Parameter. Die zweite Herangehensweise wird in der modernen Phonetik zunehmend kritisch betrachtet, da sich im natürlichen Sprechen immer Parameterkombinationen verändern und auch die synthetische Manipulation eines einzelnen Parameters (z. B. der Sprechgeschwindigkeit) die Veränderung des Gesamteindrucks der phonetischen Struktur nach sich zieht. Ein weiteres Problem ist die Verwendung oftmals kleiner Stichproben und sehr spezieller Untersuchungsdesigns. Hier stellt sich die Frage nach der Zuverlässigkeit (Reliabilität) und der Übertragbarkeit auf andere Situationen (externe Validität). Die Übertragbarkeit der Ergebnisse von rhetorischen Wirkungsuntersuchungen aus dem angloamerikanischen in den deutschen Sprach-und Sozialraum ist auch wegen der unterschiedlichen phonetischen und phonologischen Systeme und soziokulturellen sowie soziopho-netischen Differenzen sehr fragwürdig. Will man diesen Sachverhalt illustrieren, so muss man nur die amerikanische Rede- und Werbekultur mit der deutschen vergleichen: Typische (und für einheimische Hörer gelungene) amerikanische Redeleistungen (z.B. im Fachvortrag) können auf deutsche Hörer zu improvisiert wirken, weil sich die Vortragsstile oftmals an den Regularitäten der Spontansprache orientieren. Zugleich wirkt der Einsatz der phonetischen Mittel von Amerikanern auf Deutsche oftmals theatralisch überzogen und somit „unecht". Sehr gut beobachtbar ist dieses Phänomen auch in juristischen Plädoyers und in Werbespots aus dem angloamerikanischen Raum. Vermutlich unterliegen amerikanische Rezipienten gleichartiger deutschsprachiger Kommunikationsereignisse den umgekehrten rhetorischen Wirkungseffekten. Neben den Resultaten wissenschaftlicher Studien existieren mehr oder weniger brauchbare Hinweise in der reichhaltig vorhandenen rhetorischen Ratgeberliteratur, die vor allem auf Lehrerfahrung, Introspektion, leider aber oft auch auf Legendenbildung beruhen. 5 Eigene empirische Resultate 5.1 Modifikation von Textmerkmalen Die Ergebnisse einer eigenen Studie über den Zusammenhang zwischen Prosodie und (globaler) Textkohärenz (vgl. Neuber 2002) lassen mehrere Ableitungen auf rhetorische Wirkungen sprechstimmlicher Parameter zu. Im Hauptversuch der Arbeit wurde u. a. die Wirkung der sprechstimmlichen Parameter eines selbst formulierten Textes („Waldhaus") untersucht, der im Wesentlichen die fiktive Wegbeschreibung zu einem verwunschenen Haus in einem Wald enthielt, dessen Kamin-zimmer dem Besucher den innigsten Wunsch seines Lebens zu erfüllen vermag. DerText wurde bei vollständig gleichem Wortlaut von einem professionellen Sprecher einmal in monotoner Sprechweise („Diktiersprache") und einmal in bewegter und intensiv gestalteter Sprechweise mit starker innerer Beteiligung vorgetragen und jeweils digital aufgezeichnet. Der Text wurde anschließend insgesamt 200 deutschen Muttersprachlern vorgespielt. Jede Versuchsperson kannte nur jeweils eine Version. Die Probanden erhielten im Anschluss an das Hören die vorher nicht bekannt gegebene Aufgabe, den Text so genau wie möglich in Stichpunkten wiederzugeben. Außerdem sollten sie nach vorgegebenen antonymischen Attributen (wie z. B. „interessant" - „uninteressant", „verständlich" - „unverständlich") ausgewählte Testmerkmale in einem siebenstufigen quasiin-tervallskalierten Schema bestimmen. Die statistische Auswertung der vorab festgelegten max. 44 möglichen Items je Text und Person ereab U.a. einp hrirh^itmifilraiit»* tTrhÄ- hung der Behaltensleistung nach dem Hören der intensiv gestalteten Version gegenüber der monotonen Sprechvariante. Es kann somit als erwiesen angesehen werden, dass die Behaltensleistung eines Textes über die Modifikation sprechstimmlicher Parameter steuerbar ist - eine rhetorisch hochrelevante Aussage. Besonders interessant war die Tatsache, dass die Probanden ihre mehr oder weniger guten Behaltensleistungen zumeist nicht oder nicht sinnvoll zu den Sprechvarianten in Bezug setzen konnten. In Nachgesprächen äußerten sogar etliche die Ansicht, sie hätten sich infolge der monotonen Sprechweise „besonders konzentriert" und somit sicher vieles behalten - ein trügerischer Irrtum. Nicht nur die Behaltensleistung von Texten ist abhängig von sprechstimmlichen Parametern, sondern auch die Zuweisung von Textmerkmalen. Im geschilderten Versuch änderten sich die folgenden rhetorisch wichtigen Parameter signifikant bzw. hochsignifikant infolge der Sprechweise: - Textverständlichkeit, - Verhältnis Konkretheit - Abstraktheit, - Zusammenhang, - Struktur, - Bedeutung. Der wortiautgleiche Text wurde in intensiv gestalteter Sprechweise als wesentlich verständlicher, konkreter, zusammenhängender, strukturierter und bedeutsamer beurteilt als der monoton gesprochene. Die rhetorischen Konsequenzen aus dieser Aussage müssen sicher nicht ausgeführt werden. Interessant ist wiederum, dass die Verarbeitung nahezu vollständig über die „periphere Route" zu verlaufen scheint, da die Versuchspersonen nicht prognostizieren können, ob und welche Kriterien sich sprechweisenabhängig ändern, obwohl ein eindeutiger kausaler Zusammenhang besteht. Das gilt übrigens für Laien und Experten gleichermaßen. Noch heute ist es gängige Meinung in der Linguistik, dass Merkmale wie „Bedeutung" und „Textstruktur" ausschließlich durch die Sprachzeichen konstituiert werden. 5.2 Modifikation rhetorischer Wirkungskriterien Der unter 5.1 beschriebene Versuch wurde ursprünglich zur Beantwortung der Frage nach malen (also sprechstimmlichen Parametern) und globaler Textkohärenz konzipiert. Ans der Sicht des praktizierenden Rhetorikers weist er für die Suche nach rhetorischen Wirkungen zwei wesentliche Nachteile auf: 1. Der beschriebene Versuchstext besitzt zwar ein hohes Maß an Rhetorizität, kann jedoch im Vergleich zu anderen Redetexten nicht als Prototyp gelten. 2. Kontraste zwischen monotoner Sprechweise einerseits und intensiv gestalteter Prosodie andererseits sind zwar in der Redepraxis durchaus beobachtbar, für professionelle (d. h. im beruflichen Kontext tätige) Rednerpersönlichkeiten jedoch sicher nicht typisch. Zu erwarten sind hier im muttersprachlichen Bereich eher durchschnittliche bis leicht überdurchschnittliche sprechgestalterische Fähigkeiten, die zumeist durch ungesteuerten Erwerb entwickelt wurden. Sowohl das „vollkommene phonetische Antitalent" als auch der sprecherzieherisch und stimmbildnerisch perfekt geschulte Redner sind seltene Ausnahmen. Um diesen wichtigen Faktoren gerecht zu werden, wurde für eine zweite Studie alsVersuchs-text eine Einleitungsrede für einen Rhetorikkurs konzipiert, der die Interessenten (in diesem Fall waren dies die Versuchspersonen) zur aktiven Veranstaltungsteilnahme motivieren sollte. Auch hier wurden ausschließlich die Sprechweisen variiert, diesmal allerdings nur mit unterschiedlichen Anweisungen für die zu realisierenden Sprecherintentionen: a) sachlich informative Sprechweise, b) engagierte Sprechweise mit möglichst aufrichtiger innerer persönlicher Beteiligung. Um „Deformationen" durch Eingriffe des Versuchsleiters auszuschließen, erfolgten sowohl die Texterstellung als auch der Vortrag in eigener Regie von Studierenden. Hinweise über mögliche sprecherische Umsetzungen wurden nicht gegeben. Es entstanden mehrere aufgezeichnete Versionen von zwei Sprecherinnen, aus denen die Studierenden selbst die Darbietungsvarianten auf der Basis ihrer Alltagserfahrungen auswählten. Die sprechstimmlichen Parameter beider Realisationen weisen für ungeschulte Hörer nur geringfügige Auffälligkeiten und Unterschiede auf und können (im Gegensatz zur monotonen Version im ersten Versuch) von phonetisch unausgebildeten Personen nur diffus charakterisiert werden. An der Untersuchung nahmen diesmal 59 Probanden teil, wobei 31 ausschließlich die Rede A („engagiert gesprochen") und 28 ausschließlich die Rede B („sachlich gesprochen") hörten und beurteilten. Erfragt wurden diesmal über vierstufige Skalen („trifft überhaupt nicht zu" bis „trifft genau zu"): - die Motivation zur Kursteilnahme; - die Einschätzung der Kompetenz der „Leiterin"; - Interesse und Aufmerksamkeit für den Redeinhalt; - die Einschätzung, ob eine Kursteilnahme für den Probanden als sinnvoll erscheint; - das Vertrauen in die Rednerin; - der Entscheidungszeitraum für eine mögliche Kursteilnahme; - die Engagiertheit der Rednerin; - die Qualität des Redeinhalts. Zusätzlich wurde gefragt, ob die Probanden irgendetwas an der Rede irritiere, um so ggt erkennbare Auffälligkeiten der Sprechweisen enttarnen zu können und sicherzustellen, dass die tatsächlich manipulierten Variablen des Textes, nämlich ausschließlich die sprechstimmlichen Mittel, nicht erkennbar werden. Die Ergebnisse der statistischen Auswertung (vgl. Jäkel 2002: 16-23) zeigen zweifelsfrei, dass die Probanden sowohl die Rednerin als auch die Rede der Variante (A) weitaus positiver bewerteten als die der Variante (B). Die vorab intendierte Steuerung der sprechstimmlichen Parameter führte dazu, dass die Versuchsteilnehmer sich durch die Rede motiviert fühlten, den Kurs zu besuchen, und die Rednerin als kompetent, vertrauenserweckend und überzeugt von ihrer Arbeit einschätzten. Sie gaben außerdem an, dem Vortrag mit großer Aufmerksamkeit gefolgt zu sein. Besonders interessant ist die Tatsache, dass auch in diesem Versuch der Inhalt, der In-teressantheitsgrad.die Durchdachtheit und die Logik der mit aufrichtigem Engagement gesprochenen Rede eine besonders positive Einschätzung erfuhren. So lag die Beurteilung der Durchdachtheit mit einem Mittelwert von x = 2,55 nominal unmittelbar bei der bestmöglichen Bewertung „trifft genau zu". Im statistischen Vergleich der beiden Sprechversio- nen hinsichtlich der inhaltlichen Kriterien unterschieden sich die Eindrücke der Probanden von der Durchdachtheit und Logik des gesprochenen Textes jeweils signifikant. Alle Items, die die Kompetenz und das Engagement der Leiterin betrafen, wiesen sogar hochsignifikante Unterschiede auf. „Das auffälligste Ergebnis dieser Untersuchung war die Wirkung des Sprechausdrucks auf die Beurteilung der Kompetenz der Sprechers." (Jäkel 2002: 22) Die Datensituation zeigt eindeutig, dass die Hörer sowohl die vermeintliche berufliche Kompetenz als auch die Persönlichkeit der Sprecherin anhand des Sprechstils des Vortrags bewerteten. Werden die sprechstimmlichen Parameter dem Inhalt nicht gerecht, zieht der Rezipient negative Rückschlüsse auf die Person und ihre Eigenschaften. Besonders erstaunlich ist, dass für das Erzielen dieser Effekte keine Änderungen des Redeinhalts erforderlich waren. 5.3 Methodenkritik Hauptproblem der hier beschriebenen experimenteilen Vorgehensweise ist die eingeschränkte Übertragbarkeit der Ergebnisdetails auf andere rhetorische Situationen, da -ähnlich wie in der geäußerten Kritik an den angloamerikanischen Studien - ein komplexes Faktorengefüge zu beachten ist. Hierzu gehören z.B. subkultureile Einflüsse und die -nicht zuletzt mediengeprägten - spezifischen Rezeptionserfahrungen und Vorbildvorstellungen der Hörer. Aus der Sicht des Praktikers ist zudem der methodisch erforderliche Ausschluss visuell erkennbarer Signale (wie z.B. äußeres Erscheinungsbild, Mimik und Gestik) problematisch, da diese höchstwahrscheinlich ähnlich gravierende Auswirkungen auf die Einschätzung von Persönlichkeitseigenschaften haben wie die Sprechstimme. In den „rhetorischen Normalfällen" der Vortragssituation, der Face-to-face-Kommunika-tion oder der Bild-Ton-Übertragung, wirken diese Faktoren natürlich immer mit. Als gesichert kann jedoch angesehen werden, dass sprechstimmliche Parameter rhetorische Wirkungsfaktoren erster Güte sind, die sich zudem - zumindest unter kontrollierten Bedingungen - genau vorhersagen lassen. Starke Indizien ergeben sich außerdem für die These, dass die Modifikationen der sprechstimmlichen Parameter über die „periphere Route", also rational weitestgehend unreflek- tiert, verarbeitet werden, sodass sich das entsprechende Ursache-Wirkungs-Gefüge der bewussten Alltagsbeobachtung fast vollständig entzieht. 6 Konsequenzen für Forschung und Didaktik im Fremdsprachenunterricht Die beschriebenen rhetorischen Wirkungen der Modifikationen sprechstimmlicher Parameter sind grundsätzlich im mutter- wie auch im fremdsprachlichen Kontext vorhanden und beobachtbar. In Letzterem kommen systematische Verzerrungen hinzu, die sich aus phonetischen Interferenzen in den Prosodien von Ausgangs- und Zielsprache ergeben. Wohl jede erfahrene DaF-Lehrkraft hat bereits beobachtet, dass den Sprechweisen von Lernera aus bestimmten Herkunftssprachen oftmals Sprechermerkmale zugeordnet werden, die sich in Wirklichkeit zumeist nicht auf deren Persönlichkeitseigenschaften zurückführen lassen. So erscheinen uns russische Muttersprachlerinnen in deutsch gesprochenen Vorträgen auf Grund der starken melodischen Variation und einer insgesamt für das Deutsche überhöhten Sprechtonlage oftmals emotional stark erregt bis gereizt, obwohl dies sprecherseitig gar nicht der Fall geschweige denn intendiert ist. Finnische Sprecher erzeugen hingegen durch ihre ausgangssprachlich bedingt schwächer ausgeprägten melodischen Konturen sowie vom Deutschen abweichende temporale Strukturen oftmals in Vorträgen ungewollt Sprechstile, die von Deutschen als langweilig und konzentrationshemmend empfunden werden. Die mittlere Intensität (Lautstärke) vietnamesischer Muttersprachler liegt in öffentlich beobachtbaren Gesprächssituationen zuweilen so weit über den Erwartungswerten deutscher Beobachter, dass leicht der Eindruck provokativer Unangemessenheit entstehen kann. Die Zahl der Beispiele ließe sich behebig fortsetzen. Es besteht hier jedoch zunächst noch ein außerordentlich hoher Bedarf an empirisch gestützter Grundlagenforschung. Die Resultate sollten perspektivisch in folgende didaktische Konsequenzen münden: 1. Erkennung und Abbau ungewollter sozio-phonetischer Interferenzen zwischen Ausgangs- und Zielsprache, insbesondere wenn diese negative rhetorische Wirkungen erwarten lassen; 2. Erweiterung der Zielsetzungen der traditionellen korrektiven Phonetik auf die Des-kription und Korrektur sprechstimmlicher (insbesondere prosodischer) Merkmalskombinationen; 3. Entwicklung der Rhetorizität (einschl. der sprechstimmlichen Wirkungsfaktoren) für Deutsch lernende Ausländer, insbesondere wenn diese ihre Fähigkeiten in beruflichen Kontexten benötigen. Derartige Zielsetzungen sind bisher im Fremdsprachenunterricht (nicht nur im Bereich DaF/ DaZ) kaum bekannt, haben jedoch elementare Bedeutung für kommunikative Erfolge wie auch Misserfolge. So werden z. B. grammatische Fehler von Ausländern im Kommunikations-alltag auch in rhetorischen Kontexten weitgehend kompensiert und sogar entschuldigt, wenn sie nicht zu gehäuft auftreten. Der Muttersprachler erkennt in diesen Situationen bewusst, dass unbeabsichtigte Unzulänglichkeiten aufgetreten sind, die jeder in den eigenen Lernerfahrungen des Mutter- und Fremd- sprachenerwerbs bereits selbst irgendwann durchlebt hat. Phonetische Fehler der in diesem Aufsatz beschriebenen Kategorien werden jedoch sofort stigmatisiert. Der Gesprächspartner wirkt gereizt oder gelangweilt und macht, sich dadurch unsympathisch, der Vortragende erscheint inkompetent, an seinem eigenen Inhalt wenig interessiert und strapaziert zudem unser Konzentrationsvermögen, ohne dass wir die Gründe dieses „unangemessenen" Verhaltens nachvollziehen können, da wir die entsprechenden Signale lediglich über die periphere Route verarbeiten. Die beschriebene Problematik ist mit den hier vorgestellten Überlegungen und Resultaten keinesfails gelöst. Es ist jedoch hoffentlich ein guter Anfang gewagt und es wäre viel gewonnen, wenn dieses erste Aufdecken der unbewussten Anteile der Sprechkommunikation zu dem Bewusstsein führte, dass sich das Weiterdenken und -arbeiten auf diesem Gebiet für die Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts in jeder Hinsicht lohnt. Literatur Frindte, Wolfgang (2001): Einführung in die Kom-munikationspsvchologie. 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