Die Derivation Die Derivation (zu lat. derivare 'leiten, ableiten, wegleiten'), auch Ableitung genannt, ist neben der Komposition (vgl. [LINK] Komposition versus Derivation) eine der beiden Hauptverfahren zur Wortbildung. Bei der Derivation wird ein Wort als Wortform (z.B. Gold, schön, schöner, flieg-, fliegen) oder ein Konfix (z.B. polit-, ident-) zu einem Derivat abgeleitet (z.B. goldig, schönen, das Fliegen). Das Wort oder Konfix, das abgeleitet wird, wird als Basis bezeichnet. Unter dem Begriff Derivation werden hier drei Wortbildungsarten zusammengefasst: * die explizite Derivation, d.h. die Ableitung mit Wortbildungsaffixen wie -heit, -ig, be- (z.B. schön -> Schönheit, Gold -> goldig, polit- -> politisch, laden -> beladen, ident- -> identifizier(en)). * die implizite Derivation, d.h. die Ableitung mit Ablaut (z.B. trinken -> tränken). * die Konversion, d.h. die Ableitung allein durch Wortartwechsel (z.B. angst -> Angst, fliegen -> das Fliegen, Ernst -> ernst, Fisch -> fisch(en)). Die drei Derivationsarten unterscheiden sich also wie folgt: Wortbildungsaffix Ablaut Wortartwechsel Explizite Derivation + - + / - Implizite Derivation - + - Konversion - - + Durch Derivation entstehen Nomina, Adjektive und Verben sowie einige andere Wortarten: * Das Nomenderivat * Das Adjektivderivat * Das Verbderivat * Das Derivat anderer Wortarten Zur Erklärung von Derivaten nicht benötigt wird hier die Kategorie Rückbildung, d.h. die Ableitung mittels Entfernung eines Wortbildungsaffixes (z.B. sanftmütig -> Sanftmut, Notlandung -> notland(en)). Ebensowenig benötigt wird die Kategorie Zusammenbildung (z.B. Appetithemmer, Dickhäuter, blauäugig). [LINK] Die Rückbildung [LINK] Die Zusammenbildung © IDS Mannheim. Zuletzt geändert am 16.10.2001 09:56. Die Rückbildung Unter Rückbildung wird in der Forschungsliteratur eine Wortbildungsart verstanden, bei der Wörter aus expliziten Derivaten mittels Tilgung des Wortbildungsaffixes gebildet werden, z.B. sanftmütig -> Sanftmut. Die Rückbildung ist sozusagen die Zurücknahme einer expliziten Derivation. Als typische Rückbildungsprodukte, auch Pseudokomposita, Scheinkomposita oder retrograde Derivate genannt, gelten in der Forschungsliteratur Wörter wie Sanftmut aus sanftmütig, Unnatur aus unnatürlich, Eigensinn aus eigensinnig, Mondsucht aus mondsüchtig, notland(en) aus Notlandung, bauchland(en) aus Bauchlandung. Gelegenheitsbildungen, die üblicherweise als Rückbildungsprodukte interpretiert werden, sind u.a. Nicht bei denen - bei uns haben sie hausdurchsucht (Seghers 1933: 131), eine Gesamtheit, die auf sehr komplizierte Art und Weise in sich selbst wechselwirkt (Schnabel/Sentker 1997: 279). Zu einer von der traditionellen Forschungsliteratur weitgehend abweichenden Definition der Rückbildung vgl. Eschenlohr (1999: 144f). Die Rückbildung ist ein auf sprachhistorischen Recherchen beruhendes Erklärungsmodell, das sich zum einen auf nicht immer zuverlässige Quellenrecherchen bzw. fragwürdige Spekulationen stützen muss und zum anderen synchron gegenwartssprachlich gesehen nicht unbedingt gebraucht wird: Zum einen beruht die Rückbildungshypothese auf der Annahme, dass ein Wort (z.B. Sanftmut) zeitlich nach einem anderen (z.B. sanftmütig) aufgekommen sei. Weil jedoch prinzipiell niemand alle deutschsprachigen geschriebenen und gesprochenen Texte aller Sprachstufen auswerten kann, kann prinzipiell niemals nachgewiesen werden, dass ein Wort vor einem anderen gebildet worden ist. Sich dessen bewusst, schlägt u.a. Erben (1993: 36) vor, Rückbildungen "nicht nur durch historische Nachweise zu belegen", sondern auch nach dem Kriterium der "morphologisch-semantischen Motiviertheit' zu entscheiden. Dies führt jedoch ebenfalls zu keinen befriedigenden Ergebnissen: * Erben (1993: 36) argumentiert morphologisch u.a. mit dem Genus, z.B. dem Genusunterschied zwischen femininem Sanftmut und maskulinem Mut. Aus diesem Unterschied leitet er ab, dass Sanftmut nicht als Zusammensetzung mit Mut erklärt werden könne. Dies überzeugt nicht, denn schon Wörterbuchbelege wie dein sanftmuht (Weckherlin 17.Jh., nach DWB XIV 1893: 1787) zeigen, dass das heutige Genus keineswegs immer das einzige ist. Vielmehr ist der Wechsel bzw. das Nebeneinander von Genera ein aus Sprachgeschichte und aus Dialekt versus Standdardsprache bekanntes Phänomen, das alle Wörter, nicht nur Wortbildungsprodukte betrifft, z.B. althochdeutsch das muot (vgl. DWB. XII 1885: 2782), frühneuhochdeutsch der und das taufe neben die taufe (vgl. Donalies, Die Augsburger Bibelhandschrift 1992: 111f) oder schwäbisch der Butter neben standarddeutschem die Butter. Dass Sanftmut heute ein Femininum ist, schließt also keineswegs einen Zusammenhang mit maskulinen Mut aus. * Auch die semantische Überlegungen, auf die Erben (1993: 36) setzt, überzeugen nicht: So ist z.B. Sanftmut zwar tatsächlich nicht zu analysieren als Kompositum aus sanft und gegenwartssprachlichem Mut 'Tapferkeit', aber durchaus als Kompositum aus sanft und historischem Mut 'Gemütszustand, Befindlichkeit', wie es heute noch in guten Mutes sein existiert. Vgl. noch DWB (XII 1885: 2782): "mut [...] bezeichnet das innere eines menschen nach allen seinen verschiedenen seiten hin". Zum anderen können die in der Forschungsliteratur als Rückbildungsprodukte interpretierten Bildungen synchron gegenwartssprachlich gesehen offenbar in allen Fällen als Wortbildungsprodukte der sonstigen Wortbildungsarten verstanden werden, nämlich als Komposita, z.B. Sanftmut als 'sanfter Mut', mähdresch(en) als 'dreschen und dabei gleichzeitig mähen'. Wörter wie Unnatur können als explizite Derivate analysiert werden (Natur + Un-). Die von Åsdahl-Holmberg 1976 als Pseudokomposita bezeichneten Verben des Typs bruchrechnen, notlanden schließlich sind keine Wortbildungsprodukte: Wortbildung ist ja die Bildung von Wörtern, d.h. von syntaktisch untrennbaren Einheiten. Verben mit syntaktisch mobilen Bestandteilen (z.B. er rechnet Bruch, er fährt Rad) sind keine Wörter. Sie werden hier als Präverbfügungen verstanden und aus der Wortbildung ausgenommen. Diese beiden Hauptargumente sprechen dagegen, die Rückbildung überhaupt als eigene Wortbildungsart anzusetzen. Zudem bleibt ungeklärt, wie denn offensichtliche Wortbildungsprodukte des Typs sanftmütig oder eigensinnig sind, analysiert werden sollen: Ableitungen aus Sanftmut und Eigensinn + -ig können sie der Rückbildungshypothese zufolge ja nicht sein, wenn Sanftmut und Eigensinn gerade umgekehrt Ableitungen aus sanftmütig und eigensinnig sein sollen. Was aber dann? Auf die Katgeorie Rückbildung wird hier aus diesen Gründen verzichtet. Der Rückbildung werden mitunter auch Derivate wie Kauf zugerechnet (so bei Fischer et al. 1987: 79). Sie werden als Rückbildungsprodukte aus einer Infinitivform (z.B.kaufen) interpretiert, von der das Flexionssuffix -en getilgt worden sein soll. In der Wortbildung spielen Flexionsaffixe jedoch unmittelbar keine Rolle; sie haben nicht teil an Wortbildungsprozessen, sondern kommen höchstens als mitgebrachte Elemente von in der Wortbildung verwendeten Wortformen vor (z.B. bei Sohnespflicht, Kinderzimmer). Vgl. [LINK] Fugenelement oder Flexionsaffix? Derivate wie Kauf werden daher hier (wie u.a. auch bei Fleischer/Barz 1995: 52) als Konversionsprodukte aus verbalen Stammformen (z.B. kauf-) analysiert: kauf- -> Kauf. In diesem Sinne ist es übrigens auch verfehlt, "Wurzelwörter" wie protz prahl oder grübel grübel als Rückbildungen zu den Infinitivformen der Verben, sozusagen als "Kürzung eines Verbs auf seinen Stamm" zu verstehen (so Androutsopoulos 1998: 186). Diese Wörter werden plausibler mit Teuber 1998 als "Inflektive", d.h. unflektierte Verbformen, verstanden; sie sind keine Phänomene der Wortbildung. Ebenfalls als Rückbildungsprodukte werden mitunter Bildungen wie Entscheid interpretiert (so bei Schippan 1969: 85 und Erben 1993: 34f); sie werden als Ableitungen aus parallelen expliziten Derivaten wie Entscheidung gesehen. Erben (ebd.) nennt sie "Erleichterungsrückbildungen". Deren Ableitungsweg wäre jedoch relativ kompliziert: entscheiden -> Entscheidung -> Entscheid. Weil es für einen so komplizierten Umweg keinen guten Grund gibt, werden Bildungen dieses Typs hier (wie bei Fleischer/Barz 1995: 52) als unmittelbare Konversionsprodukte aus einem Verbstamm analysiert: entscheid- -> Entscheid. Mitunter wird die Rückbildung auch der Kurzwortbildung zugerechnet. Typische Kurzwortbildungsprodukte sind S-Bahn, Azubi und LKW. Zu diesen Bildungen kann man Rückbildungsprodukte wie notlanden oder Sanftmut jedoch stimmigerweise nicht stellen: Kurzwörter des Typs S-Bahn sind lediglich ausdrucksseitige Varianten der Ausgangswörter; es findet kein Wortartwechsel statt und auch die Bedeutung bleibt weitgehend erhalten. Vgl. Die Kurzwortbildung. © IDS Mannheim. Zuletzt geändert am 18.05.2005 12:1 Die Zusammenbildung Unter Zusammenbildung, einem "von W.Henzen 1965, H. Pauls Anregung folgend, eingeführten Begriff" (Bzdega 1999: 13), wird "in der älteren Wortbildungsforschung" (Günther in Glück 1993: 708) eine verhältnismäßig produktive Wortbildungsart verstanden, mit der vor allem Nomina und Adjektive wie Appetithemmer, Dickhäuter, Vogelscheuche, blauäugig, viertürig, scharfzüngig gebildet werden. Diese Wortbildungsprodukte werden in der Forschungsliteratur verschieden analysiert und verschieden eingeordnet: Zwar den Komposita zugehörig, aber als Sonderfall betrachten sie u.a. Engel (1988: 522) und Eisenberg (1998: 222). Wörter wie Appetithemmer und viertürig sind für diese Autoren deshalb Sonderfälle, weil sie ihrer Ansicht nach den zentralen Kriterien der Komposita nicht entsprechen: Komposita bestehen per definitionem aus Wörtern und/oder Konfixen.Appetithemmer und viertürig bestehen augenscheinlich jedoch nicht aus Wörtern oder Konfixen; ihre zweite Einheit ist weder ein übliches Wort (*Hemmer, *Häuter, *türig), noch kann die zweite Einheit sinnvollerweise als Konfix definiert werden: Typische Konfixe sind bio-, therm-/-therm und ident-; sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie wie *Hemmer, *türig usw. nicht frei vorkommen, aber anders als diese grundsätzlich basisfähig sind, d.h. mit Wortbildungsaffixen abgeleitet werden können (z.B. biotisch, thermisch, identisch, identifizieren, Identität). *Hemmer und *türig dagegen sind Derivate, d.h. bestehen aus erstens einer Basis (hemm- bzw. Tür) und zweitens einem Wortbildungsaffix (-er bzw. -ig). Mitunter werden Wortbildungsprodukte wie Appetithemmer dieser Besonderheit wegen auch als Mischphänomene der Komposition und Derivation bzw. als eigenständige Zwischenphänomene zwischen Komposition und Derivation gestellt, so u.a. bei von Polenz (1980: 170). Häufig wird außerdem der Unterschied zwischen Zusammenbildung und Zusammenrückung nicht klar getroffen. Vgl. den fundiert kritischen Forschungsüberblick bei Leser (1990). Auf den Terminus Zusammenbildung "und die damit explizierte Sonderstellung der betreffenden Wortbildungskonstruktion kann" jedoch verzichtet werden (Fleischer/Barz 1995: 47; so auch Leser 1990: 107); die Wortbildungsprodukte lassen sich als explizite Derivate bzw. Komposita bestimmen: Recht plausibel ist der Vorschlag von Fleischer/Barz (zuletzt 1995: 46f, so auch Ortner et al. 1991: 121f und daran anschließend Motsch 1999: 8), Wörter wie Appetithemmer, Arbeitnehmer oder viertürig als explizite Derivate mit einer Phrase als Basis zu analysieren: * (den) Appetit hemm(en) + -er * vier Tür(en) + -ig Gegen diese syntaktisch argumentierende Analyse spricht jedoch, wie Leser (1990: 30) einwendet, dass die Phrase mitunter "nicht einer frei auftretenden (syntaktischen) Wortgruppe entspricht" (z.B. bei Grablegung gegenüber ins Grab legen, Dankeschön gegenüber Ich danke schön). Bei Wortbildungsprodukten aus bzw. mit Phrasen wird die Phrase allerdings normalerweise nicht um Wortbestandteile gekürzt (z.B. ihr Das-darf-doch-nicht-wahr-sein-Augenaufschlag, Vergissmeinnicht). Daher analysiert er in Analogie zu den englischen synthetic compounds (z.B. blue-eyed) Wortbildungsprodukte wie Appetithemmer und viertürig als Determinativkomposita; er segmentiert in * Appetit + Hemmer * vier + türig Dass die zweiten Einheiten normalerweise nicht vorkommen, begründet er damit, dass sie eine semantische Spezifizierung verlangen, z.B. Hemmer ebenso wie das Verb hemmen eine Spezifizierung dessen, was gehemmt wird (z.B. hemm(en) + den Appetit, Hemmer + des Appetits). Dieses Phänomen ist in der Linguistik als Argumentvererbung bekannt. Auch türig (oder beinig, armig, äugig, rädrig) verlangen seiner Meinung nach eine derartige Spezifizierung; sie sind für sich genommen semantisch sinnlos: Dass Autos Türen und Menschen Beine haben, muss nicht eigens ausgedrückt werden, hingegen ist z.B. kommunikationsrelevant, wie viele Türen ein Auto (z.B. zwei oder vier) oder wie beschaffene Beine ein Mensch hat (z.B. kurze oder lange). In diesem Sinne versteht Leser Einheiten wie Hemmer auch durchaus als Wörter, also als syntaktisch frei vorkommende Einheiten; sie benötigen eben nur eine bestimmte semantische Umgebung: der Hemmer meines Appetits. Dieser Ansatz ist im Prinzip bedenkenswert, doch sollte folgender elementare Unterschied nicht übersehen werden: Während Appetithemmer ein normales Determinationskompositum mit Determinativrelation ist (Hemmer des Appetits, vgl. auch [LINK] Rektionskomposita wie Romanleser), trifft dies auf Bildungen des Typs Dickhäuter und viertürig nicht zu. Hier bestimmt die erste Einheit keineswegs die zweite semantisch näher (*dicker Häuter), vielmehr wird die Ableitungsbasis der zweiten Einheit (Haut) determiniert (dicke Haut). Insofern ist es plausibler, derartige Bildungen als Phrasenderivate zu sehen: dicke Haut + -er (Vgl. Donalies 2001). Daraus ergibt sich, dass die Kategorie Zusammenbildung nicht benötigt wird; die fraglichen Bildungen werden analysiert als: * Komposita mit deverbalen Zweiteinheiten und determinierenden Ersteinheiten: Appetithemmer, Vogelscheuche. * Explizite Derivate aus denominalen bzw. deverbalen Zweiteinheiten und adjektivischen Ersteinheiten, die die Basis der Zweiteinheit attribuieren: Dickhäuter, Schwarzseher, Langschläfer, viertürig, blauäugig Die explizite Derivation Die explizite Derivation ist neben der Determinativkomposition die häufigste Wortbildungsart. Bei der expliziten Derivation werden explizit (d.h. 'ausdrücklich, deutlich') Derivate gebildet, nämlich indem Wortbildungsaffixe (z.B. -heit, -lich, -isch, be-, un-) vor allem an Wörter oder Konfixe angehängt werden. Typische explizite Derivate sind z.B. Schönheit, männlich, kryptisch, beschreib(en). Folgende Merkmale sind charakteristisch für explizite Derivate: * Merkmal 1: Explizite Derivate sind binär. * Merkmal 2: Die zweite Einheit eines expliziten Derivats bestimmt in der Regel die grammatischen Merkmale (z.B. die Wortart) des Derivats. * Merkmal 3: Zwischen den Einheiten eines expliziten Derivats bestimmt eine Bedeutungsbeziehung. Dabei bestimmt keineswegs immer die zweite Einheit die Bedeutung des Derivats. Durch explizite Derivation entstehen: * Das explizite Nomenderivat * Das explizite Adjektivderivat * Das explizite Verbderivat * Das explizite Derivat anderer Wortarten Mitunter werden in der Forschungsliteratur Wörter wie Appetithemmer und Dickhäuter als Zusammenbildungen von anderen Wortbildungserscheinungen abgegrenzt. Hier werden sie als Komposita (Appetithemmer) bzw. als explizite Derivate verstanden (z.B. Dickhäuter). Vgl. [LINK] Die Zusammenbildung. © IDS Mannheim. Zuletzt geändert am 22.04.2002 08:34. Das explizite Nomenderivat Mit expliziter Nomenderivation werden eher Präfixnomina (z.B. Untat) und Suffixnomina (z.B. Schönheit) als Zirkumfixnomina erzeugt. Zirkumfigierung ist auch bei der Nomenbildung selten; sie ist dort auf das Zirkumfix ge-...-e beschränkt (z.B. Gerede). Viele Präfixe expliziter Nomenderivate wie erz- (z.B. Erzfeind), hyper- (z.B. Hyperinflation), mega- (z.B.Megaparty), un- (z.B. Untat) und ur- (z.B. Urzeit) werden auch zur Derivation von Adjektiven verwendet. Vgl. außerdem ausschließlich bei der Nomenbildung vorkommendes ex- (z.B. Exgatte) und mit Verben und Adjektiven gemeinsames ko- (z.B. Koautor). Besonders im Präfixbereich haben sich zahlreiche entlehnte Einheiten etabliert, z.B. inter-, multi-, neo-, post-, prä-, vize-. Präfixe der Nomenderivation determinieren die Basis, z.B. Megaparty 'eine Party, und zwar eine besonders große, großartige, herausragende', vgl. mega-. Im Gegensatz zu Präfixen können Suffixe nicht zur Bildung von Wörtern verschiedener Wortarten herangezogen werden; sie bestimmen ja die grammatischen Merkmale, u.a. die Wortart, sind also wortartspezifisch. Basen sind vor allem Wörter (z.B. in Schönheit) und Konfixe (z.B. in identisch), mitunter auch Sätze und Phrasen (z.B. in blauäugig). Mit der nominalen Suffixderivation werden u.v.a. Personenbezeichnungen gebildet wie Asylant, Liebchen, Schönling. Vgl. auch Wortbildungsprodukte, die Personen bezeichnen. Vor allem leiten Sprecherschreiber mit dem Suffix -er nomina agentis ab, also Nomina, die handelnde Lebewesen bezeichnen, z.B. Argumentierer, Bäcker, Bastler, Boxer, Erbauer, Jogger, Lerner, Leugner, Prüfer, Randalierer, Sprinter, Verkäufer, Zweifler), bzw. Geräte, die als Handlungsträger wahrgenommen werden (z.B. Entsafter, Leuchter, Mixer, Plattenspieler). Basis solcher Bildungen sind häufig neben Verben auch Präverbfügungen, z.B. in Acht der neun liberianischen Flüchtlinge, die von der Wasserschutzpolizei auf einem maltesischen Frachter als "Einschleicher" verhaftet worden waren (TAZ 29.2.1996: 21, Cosmas). Systematische Beschränkungen gibt es hier offenbar nicht, daher finden sich auch zahlreiche Okkasionalismen wie in die kühnen Erdreister (Mann 1939, Cosmas), die großen Versteher und Küchenpsychologen (TAZ 10.6.1994: 26, Cosmas), Sie, die Studenten von heute, sind die Entscheider von morgen (Werbung von BASF im Programmheft zum 3.Mannheimer Sprachfestival 1997: o.S.). Semantisch kann ein Suffix ein Transponierer, ein Determinans oder ein Determinatum sein: Suffixe transponieren (z.B. in Schönheit, Versuchung); hier ändert sich die grammatische Funktion, jedoch nicht die kategorielle Bedeutung. Außerdem determinieren Suffixe: So determiniert das Suffix -ling in Dichterling Dichter als 'Dichter, und zwar ein schlechter, ein lächerlicher', das Suffix -in in Lehrerin determiniert Lehrer als 'Lehrer, und zwar ein weiblicher'. Schließlich werden Suffixe determiniert, z.B. -chen durch sensibel in Sensibelchen 'jemand, und zwar jemand, der besonders sensibel ist', -ling durch lehr- in Lehrling 'jemand, und zwar jemand, der gelehrt wird'. Vgl. [LINK] Das transponierende, das determinierende und das determinierte Affix. Durch Zirkumfigierung leiten Sprecherschreiber vor allem nomina actionis ab, also Nomina, die eine Tätigkeit ausdrücken, z.B. Geblubbere, Gedränge, Gefauche, Gegackere, Gehopse, Geklimpere, Gelache, Gemeckere, Gerede, Gerufe, Geschaue, Geschnarche, Gezanke, vgl. ge-...-e. Diese Bildungsmöglichkeit wird auch häufig okkasionell genutzt, z.B. Bundestagspräsidentin Antje Vollmer und Außenminister Kinkel meiden das wichtigtuerische Gejette (TAZ 23.12.1996: 4, Cosmas), Das Wetter bis Samstag früh: Ungut launisch im Norden, zwangsneurotisches Geregne, Geböe und Geschaure im ganzen Land (TAZ 1.11.1996: 20, Cosmas). Als Basis kommen außer Verben auch Präverbfügungen vor, wobei jeweils nur das Verb (z.B. brüllen) zirkumfigiert wird, das Präverb (z.B. an, ein) wird morphologisch abgetrennt, vgl. Angebrülle, Angegrapsche, Eingeschleime, Durchgekaue, Herbeigerede, Rumgespringe, Zugeklotze (alle TAZ 1989-1998, Cosmas). Mit ge-...-e werden Nomina meist abgeleitet, um - unabhängig von der negativ oder positiv bewerteten oder neutralen Verbbasis - ein negativ bewertetes Tun auszudrücken: Zum Beispiel vom Gerede des Bundespräsidenten zu sprechen ist einigermaßen despektierlich. Vgl. aber daneben eher positive Bildungen wie in Über dem Goldgelb des Rapsfeldes das Geschäume der Kirschbäume (Rezzori 1994: 6). Weniger genutzt wird die Möglichkeit, Kollektiva, d.h. Sammelbezeichnungen, mit Nomenbasis zu bilden, z.B. Gebirge 'Ansammlung vieler Berge', so auch Gestänge. Nicht hierher gehören sprachhistorisch relativ alte nomina actionis wie Getratsch, Gezänk und Kollektiva wie Geäst, Gebüsch, Gefieder, Gestüt, Gewölk, Gewitter; Bildungen dieses Typs sind offenbar nicht zirkumfigiert, wobei das -e des Zirkumfixes apokopiert worden wäre, d.h. im Verlauf der Sprachgeschichte entfiel. Vielmehr ist es, wie Olsen 1991 zeigt, auf eine althochdeutsche Flexionseigenart zurückzuführen, also überhaupt nicht durch Wortbildung entstanden. Häufig sind die älteren und gegenwartssprachlich unproduktiven -e-losen Formen Parallen zu den heutigen hochproduktiven, z.B. Geheul und Geheule, Gestöhn und Gestöhne. Basen expliziter Nomenderivate sind Nomina (z.B. in Dichterling, Häschen, Lehrerin), Adjektive (z.B. in Frechling, Gemeinheit, Liebchen), Verben (z.B. in Begehung, Läufer) sowie Präverbfügungen (z.B. in Ausrutscher, Mitbringsel), häufig auch Konfixe (z.B. in Chronist, Demonstration, Technik, Zynismus), mitunter außerdem Phrasen (z.B. Dickhäuter). Zu den in der Forschungsliteratur als Zusammenbildungen verstandenen Bildungen des Typs Dickhäuter vgl. [LINK] Die Zusammenbildung. © IDS Mannheim. Zuletzt geändert am 10.09.2001 10:07. Das Nomenkonvertat Nominale Konversion ist eine relativ einfach zu handhabende und daher gut ausgebaute, mit fast allen Wortarten mögliche und wenig beschränkte Wortbildungsart; vor allem die Infinitivkonversion ist nahezu unrestringiert. Sicher am häufigsten nutzen Sprecherschreiber die Konversion aus Verbinfinitiven (z.B. das Drehen, das Gehen, das Gelingen, das Singen, das Sehen, das Stehen, das Beten, das Verfluchen). Zur Infinitivkonversion werden - nach Sandberg 1976: 124 seltener als in der Forschungsliteratur angegeben - mitunter auch Verbphrasen mit Reflexivpronomen als Basis verwendet, vgl. verbittertes Sich-Abfinden [...], Sich-Einmischen und Sich-Verweigern (Loest 1995: 144). Umstritten ist, ob die Nominalisierung von Verbinfinitiven überhaupt zur Wortbildung gehört. Vgl. [LINK] Die Infinitivkonversion. Häufig finden sich auch Derivate aus Präsensverbstämmen, z.B. Lauf, Schlaf, Schwenk, Stau, Treff, vgl. auch Okkasionalismen wie in Sie sagen, das sei kein Borg, das sei eine Bettelei (Kesten 1931: 152), allerdings war das Gewebe [des Schirms] den Wassermassen nicht gewachsen, zersiebte lediglich die Tropfen zu Niesel (Woelk 1993: 167), Auszuckerung und Nachdunklung bedeuten keinen Verderb, sondern sind natürliche Vorgänge (Aufschrift auf einer Tüte mit Sonnenblumenkernen der Firma Kluth 1998). Ebenfalls als Konvertate werden hier Bildungen des Typs Biss analysiert. In der Forschungsliteratur meist als implizite Derivate verstanden, werden sie hier als unmittelbare Ableitungen aus verschiedenen Verbstämmen, vor allem aus Präteritalstämmen gesehen. Etablierte Nomenderivate dieser Art sind z.B.Betrieb, Biss, Ritt, Tritt, Verbot,Wurf, Zwang. Bildungen wie Wurf sind aus sprachhistorischen Formen konvertiert. Mitunter kommen auch hier Okkasionalismen vor, z.B. ein kleiner Spazierschlich (Klemperer 1934: 162). Vgl. Die implizite Derivation. Aus Verbstämmen konvertierte Nomina sind offenbar grundsätzlich Transpositionen, d.h. es findet ein Wortartwechsel statt, von dem die kategorielle Bedeutung nicht betroffen ist. Transposition liegt auch vor bei Nomina wie Sitz 'Sitzgelegenheit' (z.B. in Autositz, Hochsitz, Kindersitz): Nomina wie Sitz 'Sitzgelegenheit' werden hier als umgedeutete, sekundäre Bildungen analysiert: Aus Sitz mit der primären Bedeutung 'das Sitzen' (vgl. sie lobte den Sitz seines Fracks) hat sich eine sekundäre Bedeutung konkretisiert. Auch bei Konvertaten wie Versteck, zu denen es heute keine transponierten Pendants mehr gibt (Großvater Eduard plant den *Versteck von Ostereiern im Kürbisbeet ), liegen offenbar historisch nachweisbare primäre Bildungen zugrunde, z.B. einen versteck machen (Adelung, nach DWB 25, 1956: 1639). Eher selten wird die Konversion von Adjektivstämmen zur Bildung von Bezeichnungen für Eigenschaften genutzt (z.B. Ernst aus ernst). Häufiger bilden Sprecherschreiber dagegen auch okkasionell Personenbezeichnungen mit adjektivischer Basis, vgl. der alte Unverzagt (Barlach 1936: 271), ein korrekt gekleideter Stehkragenneureich(Mahlsdorf 1992: 162). Formen wie der Charmante, die Kluge, der Abgeordnete, die Kranke sind dagegen keine Wortbildungsprodukte. Es gibt im Deutschen nämlich keine Nomina, die adjektivtypisch flektiert werden, ein invariantes Genus haben (der Charmante, die Charmante, das Charmante) oder Komperativ- und Superlativformen. Formen wie im kleinen Schwarzen, das sehr Allgemeine, das absolut Schöne, der Charmantere, der Behutsamste haben eindeutig Adjektiv-, nicht Nomentypika. Die fraglichen Formen sollten allerdings auch nicht als Adjektive interpretiert werden, weil es allen gängigen Syntaxtheorien widerspräche anzunehmen, dass es Nominalphrasen mit adjektivischem Kopf gäbe. Daher werden Formen wie der Charmante, das kleine Schwarze hier als "wissensgestützte Ellipsen" interpretiert, d.h. als Nominalphrasen mit einem Nomen, das nicht unbedingt expliziert werden muss, z.B. der charmante (Mann), das kleine schwarze (Kleid). Vgl. auch etablierte Ellipsen wie in Onkel Helmuth und Tante Hertha fuhren wieder mit der Elektrischen (Rezzori 1976, S. 219). Außerdem werden Nomina aus sonstigen Wortarten oder mitunter auch aus Sätzen und Phrasen konvertiert. Diese Nomina sind meist irgendwie auffällig, aber vom System her erlaubt: Möhrings waren Frühaufs [...] ob ihr Mieter nicht ein Frühauf sei(Fontane 1907: 16), sein Leben im schrankfreien Überall (Barlach 1936: 34), die Lippen der Mussehls sogen das Tröpfchen Blut wie ein rotes Bisschen Vergissmichschnell ein (Barlach 1936: 271), Der Gauleiter und seine Frau waren umgekommen. Sie hatten die kleine Todeskapsel des Für-alle-Fälle geschluckt (Koeppen 1953: 13), Und die Straße führt nur ins Undsoweiter (Noteboom 1958: 87), Die Philosophen sind wirlose Iche (ZEIT 1.5.87: 45, Cosmas),unsere geliebten Gespräche-am-Tage-danach (Lander 1995: 35), Eindrücke wieder mal von Langzuvor und Fastnichtmehrwahr (Rühmkorf 1995: 362). Vgl. Der Satz und die Phrase als Wortbildungseinheiten. Extrem ungewöhnlich sind (übliche Abfolgen auf den Kopf stellende) okkasionelle Konvertate wie in Diese Verwendung-von-Sprache-zu-einem-Zweck konstituiert sich in Akten des Meinens und Verstehens (Hörmann 1976: 497). Selten, schon der begrenzten Auswahl der Basen wegen, kommen auch Nominalisierungen von bedeutungshaltigen Wortbildungsaffixen wie -ismus vor, z.B. Sartre, Camus und die Ismen der Vierzigerjahre (Meckel 1980: 81), Ein Ismus ist immer eine Ideologie, das Gegenteil einer wissenschaftlichen Theorie (Ditfurth 1993: 109). Das Adjektivderivat Während durch Derivation gleichermaßen Nomina, Adjektive und Verben entstehen, erweitert die Komposition vor allem den Wortschatz der Nomina: Adjektivderivation ist deutlich produktiver als Adjektivkomposition. Morphologisch zu unterscheiden sind bei den adjektivischen Derivaten: * Das explizite Adjektivderivat, d.h. das Adjektiv mit Affix (z.B. freundlich). * Das Adjektivkonvertat, d.h. das Adjektiv ohne morphologische Veränderung (z.B. ernst). Durch implizite Derivation werden ausschließlich Verben erzeugt (z.B. tränken), keine Adjektive. Vgl. Die implizite Derivation. Hinsichtlich ihrer Semantik sind Adjektivderivate deutlich weniger vielfältig als Nomina und Verben. © IDS Mannheim. Zuletzt geändert am 12.06.2007 11:29. Das explizite Adjektivderivat Mit expliziter Adjektivderivation werden vor allem Präfixadjektive (z.B. unmöglich) und Suffixadjektive (z.B. freundlich) erzeugt. Zirkumfigierung ist auch bei der Adjektivbildung selten; sie ist auf das Zirkumfix ge-...-ig beschränkt (z.B. geläufig). Viele Präfixe expliziter Adjektivderivate werden auch zur Derivation von Nomina verwendet, u.a. erz- (z.B. erzkonservativ), hyper- (z.B. hyperschlau), mega- (z.B. megamodern), un- (z.B. unmöglich) und ur- (z.B. urgemütlich). Besonders im Präfixbereich haben sich viele entlehnte Einheiten etabliert, z.B. a-, bi-, de-, hyper-, mega-, poly -. In der Regel determinieren Präfixe der Adjektivderivation die Basis, z.B. hyperschlau 'schlau, und zwar besonders schlau, in übertriebenem Maße schlau'. Im Gegensatz zu Präfixen können Suffixe nicht zur Bildung von Wörtern verschiedener Wortarten herangezogen werden; sie bestimmen ja die grammatischen Merkmale, u.a. die Wortart, sind also wortartenspezifisch. Semantisch sind Adjektivsuffixe zum einen Transponierer (z.B. in schmeichelhaft, wacklig); hier ändert sich nur die grammatische Funktion, nicht aber die kategorielle Bedeutung. Zum anderen sind Adjektivsuffixe Determinantien, so bestimmt z.B. in gelblich das Suffix -lich die Farbbezeichnung gelb semantisch näher als 'gelb, und zwar irgendwie nicht ganz so, nicht ganz richtig gelb, weniger gelb als erwartet'. Als einziges Zirkumfix zur Bildung von Adjektiven findet sich ge-...-ig. Basis sind Verben. Sprecherschreiber nutzen diese Möglichkeit heute jedoch offenbar nicht mehr; die wenigen zirkumfigierten Adjektive sind etabliert, z.B. gefügig, gehässig, geläufig, gelehrig. Entgegen der Forschungsliteratur werden hier Adjektive des Typs bebrillt und gefleckt nicht als Zirkumfigierungsprodukte zu "Scheinpartizipia" (Kühnhold et al. 1978, S. 309) gesehen, sondern als Adjektivierungen echter Partizipformen: -t ist ein gängiges Flexionssuffix zur Bildung von Partizipien (z.B. erkrankt, geholt, gebracht, begeistert); zu konstruieren, dass -t außerdem ein Wortbildungsaffix zur Bildung einiger Adjektive wie bebrillt sei, ist nicht notwendig. Adjektive wie in eine beampelte Kreuzung, das bemützte Kind, der befrackte Ober, der belaubte Lorbeer, der besternte Abendhimmel erklären sich morphologisch und systematisch stimmiger als Konvertate: Verben, die vom System her durchaus gängig sind, z.B. in Kontexten wie Die Stadt beampelt die Lessingstraße und am Abend besternt Gott den Himmel, der neue Optiker hat inzwischen ganz Mannheim bebrillt, bematsch dich aber bitte nicht wieder so, Mäxchen (vgl. auch etablierte Verben dieses ornativen Typs wie bestuhlen, bekleiden, polstern, rahmen), werden zu partizipialen Adjektiven konvertiert, z.B. eine beampelte Kreuzung. Das Verbderivat Während durch Derivation gleichermaßen Nomina, Adjektive und Verben entstehen, erweitert die andere Hauptart der Wortbildung, die Komposition, vor allem den Wortschatz der Nomina. Derivation ist also für Verben sehr viel relevanter als Komposition. Morphologisch zu unterscheiden sind: * Das explizite Verbderivat, d.h. das Verb mit Affix (z.B. beladen, befestigen). * Das implizite Verbderivat, d.h. das Verb mit Ablaut (z.B. tränken). * Das Verbkonvertat, d.h. das Verb ohne morphologische Veränderung (z.B. buttern). Das implizite Verbderivat Die implizite Derivation, also die Wortbildung durch Ablaut, ist kaum produktiv. Mit ihr werden nur Verben aus Verben abgeleitet. Auch sprachhistorisch hat die implizite Derivation vermutlich keine elementare Rolle gespielt. Vgl. Die implizite Derivation. Sprecherschreiber bilden offenbar gegenwärtig keine impliziten Verbderivate; etablierte implizite Verbderivate sind z.B. legen, senken, setzen, tränken. Die Basis impliziter Verbderivate ist grundsätzlich ein Verb (liegen, sinken, sitzen, trinken). Ausgesagt wird immer, dass jemand etwas tut, damit sich ein anderer im Zustand des mit der Basis Bezeichneten befindet (z.B. der Vater legt Leonorchen in den Korbwagen, Leonorchen liegt im Korbwagen). Verben dieses Typs werden kausative Verben genannt (zu lat. causativus 'verursachend'). Das Verbkonvertat Die Konversion wird vor allem zur Bildung von Nomina und Verben, seltener zur Bildung von Adjektiven genutzt. Als Basis konvertierter Verben kommen so gut wie alle Nomina in Frage; etabliert sind z.B. Bildungen mit Tierbezeichnungen (z.B. sich aalen, büffeln, dackeln, gockeln, reihern, robben, tigern, unken, wieseln) oder Eigennamen (z.B. gaucken, kneippen, mendeln, röntgen). Gebildet werden u.a.Verben, die ein Hinzufügen ausdrücken (z.B. düngen, ehren, loben, ölen, pfeffern, salzen, zuckern) oder ein Wegnehmen (z.B. häuten, köpfen, schälen), ein Einverleiben (z.B. frühstücken, kümmeln, vespern) oder Hervorbringen (z.B. eitern, fohlen, kalben, krümeln, rußen). Oft werden durch konvertierte Verben auch Tätigkeiten bezeichnet, die mit einem bestimmten Instrument ausgeführt werden (z.B. geigen, flöten, löffeln, meißeln, pinseln, sensen, sicheln) oder mit Tätigkeiten charakteristischer Lebewesen verglichen (z.B. gärtnern, gockeln, schriftstellern, schulmeistern). Vgl. als Zeichen der Produktivität auch die sehr zahlreichen okkasionellen Bildungen wie in und papageit von dem überwundenen System (Klemperer 1933: 58), Bis er offenbar auf eigene Rechnung langfingerte (Klemperer 1942: 154), dass sich Kühe in einem Stall von Format einer Theaterbühne wohl fühlen und so stramm milchen wie in einem hellwarmen Massivstall (Strittmatter 1963, Cosmas), bei Hühnern und Entenvögeln, bei denen nur die Weibchen brutpflegen (Lorenz 1963: 49), Sie rechteckten [...] ums Volleyballfeld (Loest 1981: 368), Linde selbst flötet, Helga Storck harft (taz 1989, Cosmas), das kümmerliche erste Gras sensen (Schneider 1994: 11), "Jetzt reicht's!" giraffte Regine Hildebrandt (taz 1996, Cosmas), Becky Sharp, das ist ein Superweib, die abenteuert durch die Gegend (Marie Claire 10/1996: 74). Aus Adjektiven konvertierte Verben sind z.B. bleichen, faulen, garen, grünen, heilen, nässen, säuern, süßen, trocknen, welken; vgl. auch okkasionelle Bildungen wie in Sitzen da und scherzen über die Langeweile hinweg. Eiteln über ihre wichtigen Aufträge (Berg 1996: 98). In der Forschungsliteratur ist umstritten, ob verbale Konvertate mit Adjektivbasis als produktiv gelten können oder nicht (vgl. Olsen 1986 und Eisenberg 1998: 285). Beschränken lassen sich Sprecherschreiber bei der Konversion von Verben aus Adjektiven offenbar durch die Komplexität einer Basis: Nicht konvertiert werden üblicherweise komplexere Adjektive (z.B. sie *niedlicht ihre Schwester, vgl. aber verniedlichen). Bei der Konversion aus Nomina gibt es solche Beschränkungen nicht (vgl. brutpflegen, langfingern, rechtecken, schriftstellern). Mitunter werden auch sonstige Wortarten oder Phrasen als Basis verwendet, z.B. ich werweißte noch, wußte nicht, ob ein oder aus (Späth 1978: 112), Studenten, die das FDJ-Angebot nicht unterschreiben, werden geext (Reimann 1997: 213), und das Parkett (dort saßen die Delegierten) murrte und pfuite (ebd.: 277, Eigenbeleg). Relativ häufig als Basis sind Onomatopoetica, also Lautmalereien, z.B. tuten, ticken, piepsen. Ausgedrückt wird immer eine Verlautung, z.B. die Uhr tickt, das Küken piepst 'die Uhr macht tick, das Küken macht pieps'. So auch okkasionell Die Fliegen ssssten (Özdamar 1992: 73). Das Derivat anderer Wortarten Nicht nur Nomina, Adjektive und Verben entstehen durch Derivation, sondern auch Wörter anderer Wortarten, nämlich Adverbien. Morphologisch zu unterscheiden sind: * Das explizite Adverbderivat * Das Adverbkonvertat Das explizite Adverbderivat Durch explizite Derivation entstehen nicht nur Nomina, Adjektive und Verben, sondern auch Adverbien. Meist werden Nomina mittels Suffix zu Adverbien abgeleitet, z.B. mit den Suffixen -halber (probehalber, umstandshalber), -lings (bäuchlings, rücklings), -s (angesichts, abends), -wärts (feindwärts, talwärts). Dass Bildungen dieses Typs produktiv sind, zeigen auch Okkasionalismen wie in zwei sich mundlings berührende Fischchen (TAZ 1.9.1988: 17, Cosmas), so rasant strebt es aber dann durch alles Hin und Her verhängniswärts (TAZ 8.3.1994: 23, Cosmas). Mitunter werden auch Adjektive suffigiert, z.B. mit den Suffixen -dings (neuerdings, schlechterdings), -ens (wärmstens, schnellstens), -lei (beiderlei, solcherlei), -weg (glattweg, rundweg). Eher selten werden andere Wortarten als Basen herangezogen, z.B. Adverbien (hinabwärts, vgl. -wärts) oder Präpositionen (aufwärts, vgl. -wärts). Präfigierung von Adverbien kommt offenbar nicht vor. Die in der Forschungsliteratur (z.B. bei Lenz 1995: 83) als präfigierte Adverbien angegebenen Einheiten werden hier als Adjektive in adverbialer Funktion definiert, z.B. unfern, unschwer, unweit, vgl. un-. Das Adverbkonvertat Durch Konversion entstehen nicht nur Nomina, Adjektive und Verben, sondern auch Adverbien. Vor allem werden Nominalphrasen zu Adverbien konvertiert, z.B. erklärlicher Weise -> erklärlicherweise, andeutungsweise, kurzerhand, überhaupt, zutage, hierzulande, imstande. Zum Teil bestehen Derivat und Nominalphrasen parallel: auf Grund neben aufgrund. Vgl. [LINK] Die Zusammenrückung. Die Kurzwortbildung Außer durch Komposition und Derivation werden im Deutschen auch durch Kürzung Wörter gebildet. Bei der Kurzwortbildung werden Langformen zu im Wesentlichen gleichwertigen Varianten gekürzt, z.B. Er ist Auszubildender/Azubi bei der Post. Die Langformen sind Nomina (z.B. Auszubildender) oder Phrasen (z.B. Zweites Deutsches Fernsehen -> ZDF). Es entstehen Nomina, sehr selten auch Konfixe (z.B. Prol- in Prolo 'Prolet'). Weggekürzt werden typischerweise beliebige Laute bzw. Buchstaben (z.B. bei Azubi), außerdem Silben (z.B. bei Abitur -> Abi) und bedeutungstragende Einheiten (z.B. bei Oberkellner -> Ober). Kurzwörter sind immer Varianten zu weiterhin existierenden Vollformen. Das unterscheidet sie elementar von allen anderen Wortbildungsprodukten: Kurzwort und Langform existieren parallel im Wortschatz. "Das bedeutet auch, dass Kurzwörter nicht das Ergebnis von diachronen Lautwandlungen sind. Das aus (ahd.) hegizussa entstandene nhd. Wort Hexe ist kein Kurzwort, weil es keine synchrone Vollform neben sich hat" (Greule 1996: 195). Kurzwörter sind also im Wesentlichen bedeutungsmäßig identisch mit ihren Langformen, dennoch entstehen neue Wörter, weil neue Ausdrucksseiten entstehen und weil sich mitunter auch funktional und stilistisch etwas verändert (vgl. legeres Prof gegenüber offiziellerem Professor). Insofern sind Kurzwörter eigenständige Wörter. Daher gehört die Kurzwortbildung auch zur Wortbildung, die ja definiert wird als Bildung von Wörtern aus vorhandenem Sprachmaterial. Üblicherweise behält das Kurzwort alle grammatischen Eigenschaften seiner Langform. Ausnahme ist das bei manchen Kurzworttypen relativ regelmäßige Plural-s (z.B. ABMs, Demos, Kats, Lkws, Profs), vgl. dazu Eisenberg 1998: 158f. Gelegentlich haben Kurzwörter auch ein eigenes, von der Langform abweichendes Genus (z.B. das Info vs. die Information, vgl. Das Kurzwort, das aus dem Anfang seiner Basis besteht). Nach der Art der Kürzung zu unterscheiden sind: * Unisegmental gekürzte Kurzwörter, z.B. Abi <- Abitur, Cello <- Violoncello, Lisa <- Elisabeth. * Partiell gekürzte Kurzwörter, z.B. U-Bahn <- Untergrundbahn. * Multisegmental gekürzte Kurzwörter, z.B. Lkw <- Lastkraftwagen. Wie alle anderen Nomina werden auch Kurzwörter zur Wortbildung herangezogen, nämlich zur: * [LINK] Komposition mit Kurzwörtern, z.B. Matheprof (vgl. auch Das Nomenkompositum). * [LINK] Derivation mit Kurzwörtern, z.B. SPDler, Kuli (vgl. auch Das Nomenderivat). Abzugrenzen ist das Kurzwort von: * der Abkürzung, z.B. Dr. * dem Kunstwort, z.B. Onko. * dem Konfix, z.B. bio-. Nicht der Kurzwortbildung des Deutschen zuzurechnen, sondern entlehnt sind Bildungen, die bereits in ihrer Herkunftssprache gekürzt wurden, z.B. Radar zu engl. radar <- radio detection and ranging, so auch AIDS, eMail, KGB, Laser, PC, www. Wortbildung ist ja ein Prozess, der innerhalb einer Sprache stattfindet; Entlehnung dagegen ist ein Austausch zwischen zwei Sprachen, nämlich der Herkunfts- und der Zielsprache. Vgl. Die Wortbildung und andere Möglichkeiten der Wortschatzerweiterung. Das unisegmental gekürzte Kurzwort Ein unisegmental gekürztes Kurzwort entsteht dadurch, dass ein Segment eines Wortes weggekürzt wird, z.B. Abi <- Abitur. Dagegen wird bei partiell gekürzten Kurzwörtern (z.B. U-Bahn) nur an einem Teil eines Wortes weggekürzt, der andere Teil bleibt vollständig erhalten; bei multisegmental gekürzten Kurzwörtern (z.B. Azubi) wird an mehreren Segmenten diskontinuierlich gekürzt. Unisegmental gekürzte Kurzwörter werden weiter differenziert in: * Das Kurzwort, das aus dem Anfang seiner Langform besteht, z.B. Abi <- Abitur. * Das Kurzwort, das aus dem Ende seiner Langform besteht, z.B. Cello <- Violoncello. * Das Kurzwort, das aus der Mitte seiner Langform besteht, z.B. Lisa <- Elisabeth. Das Kurzwort, das aus dem Anfang seiner Langform besteht Viele Kurzwörter entstehen durch Tilgung einzelner oder mehrerer Endlaute bzw. Endbuchstaben, mitunter auch durch Kürzung bedeutungstragender Einheiten. Übrig bleiben die Anfangssegmente, z.B. Abi <- Abitur, Akku <- Akkumulator, Demo <- Demonstration, Hoch <- Hochdruckgebiet, Kat <- Katalysator, Ober <- Oberkellner, Prof <- Professor, Uni <- Universität. Die Langform solcher Kurzwörter sind meist Nomina und zwar sowohl Simplizia (z.B. Abitur) als auch Komposita (z.B. Hochdruckgebiet) und Derivate (z.B. Demonstration), mitunter auch Phrasen (z.B. Zoo <- Zoologischer Garten). Solche Kurzwörter werden häufig Kopfwörter genannt. Weil der Terminus Kopf jedoch in der Grammatikologie und auch hier in ganz anderem Sinne verwendet wird, führt die Benennung in die Irre. Vgl. Kopf. So ist Zoo natürlich nicht im grammatischen Sinne der Kopf der Nominalphrase Zoologischer Garten; der Kopf einer Nominalphrase ist immer ein Nomen (hier also Garten). Besonders Kurzwörter, die aus den Anfängen ihrer Langformen bestehen, haben häufig ein eigenes, von der Langform abweichendes Flexionsparadigma mit Plural-s (z.B. Demos, Infos, Lkws, Profs, Unis). Vgl. dazu Eisenberg (1998: 158f). Selten entwickeln sie auch ein eigenes Genus: So das Foto <- die Fotografie, das Info <- die Information, z.B. in Das ist kein Info vom ADAC (Zeit 1996, Cosmas), Die Mainzer starten Anfang Oktober ein 15minütiges Spätinfo "heute nacht" (Spiegel 1994, Cosmas), Das Schnupper-Info beginnt am Mittwoch (MM 1989, Cosmas). © IDS Mannheim. Zuletzt geändert am 26.01.200 Das Kurzwort, das aus der Mitte seiner Langform besteht Während Kurzwörter, die auf den Anfang ihrer Langform gekürzt werden, häufig sind, gibt es die Kürzung auf die Mitte der Langform extrem selten und offenbar nur bei Vornamen. Es entstehen Koseformen wie Lisa <- Elisabeth, Basti <- Sebastian, Resi <- Theresia. Gekürzt wird dabei prinzipiell nach Silbengrenzen. Beschränkungen ergeben sich eventuell daraus, dass Kurzwörter, die aus der Mitte ihrer Langformen bestehen, längere Langformen brauchen. Eventuell spielt auch eine Rolle, dass die Kürzung der ersten und letzten Teile zu keiner mit der Langform assoziierbaren Form führt, z.B. Professor -> *Fess vs. Professor -> Prof. Offenbar bevorzugen Wortkürzer die Kürzung auf den Anfang einer Langform, z.B. Prof. Wie Fleischer/Barz (1995: 220f) aber betonen, lässt im Allgemeinen "das fertige Kurzwort keinen eindeutigen Rückschluss auf die zugrunde liegende Vollform zu". Fleischer/Barz denken dabei vor allem an Initialkurzwörter wie Lkw, BMW, ARD. Vgl. Das multisegmental gekürzte Kurzwort. Rückschließen auf die Langform kann man bei Kurzwörtern also ohnehin nicht immer; Rückschließbarkeit ist demnach kein unabdingbares Kriterium für die Bildung von Kurzwörtern. Zu Komposita, die vermeintlich aus drei Teilen bestehen und deren Mitte gekürzt worden sein soll (z.B. Bierdeckel <- Bierglasdeckel), siehe [LINK] Die Klammerform. Ausführlich gegen Ansätze, Klammerformen als Kurzwörter zu verstehen, argumentiert Kobler-Trill (1994: 99-101). Das partiell gekürzte Kurzwort Ein partiell gekürztes Kurzwort entsteht aus meist etablierten Determinativkomposita, z.B. Orangensaft. Deren erste Einheit wird auf ihren Anfangsbuchstaben gekürzt, die zweite Einheit bleibt erhalten, z.B. O-Saft <- Orangensaft. Dagegen wird bei der unisegmental kürzenden Kurzwortbildung ein Wort auf eines seiner Segmente gekürzt (z.B. Abi <- Abitur) und bei der multisegmental kürzenden Kurzwortbildung wird an mehreren Bestandteilen diskontinuierlich gekürzt (z.B. Azubi <- Auszubildender). Typische partiell gekürzte Kurzwörter sind u.a. O-Ton <- Originalton, U-Bahn <- Untergrundbahn, U-Boot <- Unterseeboot, U-Haft <- Untersuchungshaft, Ü-Wagen <- Übertragungswagen. Bei komplexen Ersteinheiten (z.B. in Selbstbedienungs(1)laden(2)) wird auf die Anfangsbuchstaben der Untereinheiten (Selbst(1)bedienung(2)) gekürzt: SB-Laden. So auch UV-Strahlen <- Ultraviolettstrahlen. Gelegentlich wird auch die Ersteinheit auf Silben gekürzt, z.B. Schukostecker <- Schutzkontaktstecker. Die Silben werden nach Aussprechbarkeit gebildet; mit den Silbengrenzen der Langform müssen sie nichts zu tun haben, vgl. -ko- versus -kon-. Nach Androutsopoulos (1998: 137) ist das Muster des partiell gekürzten Kurzwortes auch in der legereren Jugendsprache beliebt, z.B. A-Saft <- Apfelsaft, C-Wurst <- Currywurst, Vokuhila-Frisur <- Vorne-kurz-hinten-lang-Frisur. Vgl. auch in Ein echter Verlierer mit Vokuhila-Frisur (Amica 6/2001: 26). Kurzwortbildung bietet sich vermutlich besonders dort an, wo stark etablierte Komposita gekürzt werden und der Kontext das Verstehen stützt: So wird eine gutwillige Kellnerin wohl ohne Probleme eine Bestellung wie einen T-Saft, bitte! deuten können. Dass die Kürzung bei partiell gekürzten Kurzwörtern ausschließlich am Anfang der komplexen Basis vorgenommen wird, hat sicher seine Ursache im generellen Kommunikationsprinzip Verständlichkeit: Der syntaktische und semantische Kern von Determinativkomposita ist im Deutschen ja immer die zweite Einheit. Vgl. Das Determinativkompositum. So bestimmt Spiel in Schachspiel alle grammatischen Merkmale des Kompositums; ein Schachspiel ist ein Spiel. Würde die zweite, die grammatisch und semantisch dominante Einheit gekürzt, würde dies nicht mehr so einfach funktionieren, z.B. wäre bei Untergrundb nicht zu entscheiden, um was für eine Art Nomen es sich handelt (?das Untergrundb); auch, um was es sich sachlich handelt, wäre kaum zu erkennen. Dagegen erschließt sich aus U-Bahn jedenfalls, dass es um eine Bahn geht; das Kurzwort hat alle grammatischen Merkmale der Zweiteinheit. Diese Rezeptionserleichterungsprinzipien hindern allerdings Sprecherschreiber nicht daran, auch Kurzwörter eines anderen Typs zu bilden, die bis zur Unkenntlichkeit verkürzt sind, nämlich multisegmental gekürzte Kurzwörter wie Ukw. Nicht zur den partiell gekürzten Kurzwörtern werden hier Wortbildungsprodukte wie Rehaklinik, Rehamaßnahme zugerechnet, auch nicht als Sonderfall, denn Rehaklinik ist ein Kompositum mit dem Kurzwort Reha <- Rehabilitation, vgl. Da muss ich in die Reha (Berliner Zeitung 19.3.1998: 39, Cosmas), Die Reha war sehr effektiv (Mannheimer Morgen 13.2.1999, Cosmas), zur Intensiv-Reha geschickt (TAZ 4.11.1993: 20, Cosmas). Vgl. Das Nomen-Nomen-Kompositum. Nicht verwechselt werden sollten Kurzwörter wie U-Bahn mit Komposita, deren erste Einheit ein Buchstabe ist, z.B. S-Kurve 'Kurve, die wie ein S aussieht'. Vgl. Das nominale Kompositum mit anderen Einheiten. © IDS Mannheim. Zuletzt geändert am 12.09.2001 11:17 Das multisegmental gekürzte Kurzwort Ein multisegmental gekürztes Kurzwort entsteht dadurch, dass seine Langform an mehreren ihrer Segmente diskontinuierlich gekürzt wird, z.B. Auszubildender -> Azubi, während unisegmental gekürzte Kurzwörter auf einem Teil ihrer Langform reduziert werden (z.B. Abi <- Abitur), und partiell gekürzte Kurzwörter auf den ersten Teil ihrer Langform, der zweite Teil bleibt erhalten (z.B. U-Bahn <- Untergrundbahn). Multisegmental gekürzte Kurzwörter entstehen also durch Kürzungen an mehreren Segmenten, z.B. werden die erste und die zweite Einheit eines Kompositums auf einen oder mehrere Anfangslaute bzw. -buchstaben gekürzt wie in LK <- Leitungskollegium und Schupo <- Schutzpolizist. Die Langformen sind Komposita (z.B. Kita <- Kindertagesstätte und Schupo) oder Phrasen, z.B. IDS <- Institut für Deutsche Sprache. Hinsichtlich der Art der Kürzung gibt es Mischformen, bei denen nicht nur mehrere Anfangssegmente, sondern auch Laute bzw. Buchstaben aus der Mitte oder dem Ende der Teile eines Kompositums oder einer Phrase zur Kurzwortbildung verwendet werden (z.B. Bafög <- Bundesausbildungsförderungsgesetz, Btx <- Bildschirmtext, Gema <- Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und Vervielfältigungsrechte). Es entstehen Buchstabenwörter (z.B. IDS, Btx) oder Silbenwörter (z.B. Schupo, Gema): * Buchstabenwörter sind überwiegend Initialwörter, auch Akronyme genannt (zu griech. akron 'Spitze'), d.h. Wörter, die auf die Initialen, die Anfangsbuchstaben der Einheiten ihrer Vollformen gekürzt worden sind (z.B. IDS <- Institut für Deutsche Sprache). Einige Buchstabenwörter sind Mischformen (z.B. Btx). Buchstabenwörter mit drei Initialen sind am häufigsten, z.B. ABM, ABS, AKW, AOK, APO, ARD, BfA, BMW, BND, BRD, Btx, CDU, DDR, DGB, dpa, FAZ, FDP, GAL, GAU, IBM, IDS, Lkw, MKS, NDR, NRW, ORB, PDS, RAF, SFB, SPD, SWR, Tbc, TÜV, Ufa, Ukw, VHS, ZDF, ZGL. Seltener sind Buchstabenwörter mit weniger, noch seltener Buchstabenwörter mit mehr als drei Buchstaben, z.B. AG, IM, Lk, OB, UB, TH, TU, VW, WG; ADAC, CVJM, BASF, StGB. * Die Silben der Silbenwörter werden nach Aussprechbarkeit geformt; mit den Silbengrenzen der Langform müssen sie nichts zu tun haben, vgl. Schu- in Schupo, das aus der Silbe Schutz der Langform gekürzt wurde. Häufig werden Idealsilben aus Konsonant + Vokal gebildet. In neuerer Zeit sind solche Buchstaben- und Silbenwörter beliebt, die Homonyme zu etablierten Wörtern bilden, z.B. JULI <- Junge Liberale, MAUSI <- Marderultraschallsicherung, OBST <- Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie. Auch Pendants zu Eigennamen kommen zunehmend vor, z.B. ANNA <- Akademikernachwuchsneuordnungsabgabe, SUSI <- Selbstorganisierte Unabhängige Siedlungsinitiative, Ver.di <- Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft, ZEUS <- Zentralblatt für Erziehungswissenschaft und Schule. Bezeichnungen für Institutionen, Firmen, Organisationen, Parteien, Publikationsmedien, Projekte u.ä. werden mitunter sogar eigens nach ihrer Kürzbarkeit auf solche homonymen Pendants hin kreiert. Dabei geht es meist um positive Assoziationen zum Homonym, um Auffälligkeit und Eingängigkeit des Kurzwortes; semantisch haben die Kurzwörter in der Regel nichts mit ihren Homonymen zu tun. Zur hier nicht als notwendig betrachteten Unterscheidung der multisegmental gekürzten Kurzwörter in einerseits reguläre multisegmental gekürzte Kurzwörter (z.B. Schupo, Gema) und andererseits "besondere" multisegmental gekürzte Kurzwörter (z.B. Btx) siehe Kobler-Trill (1994). Nach Kobler-Trill (ebd.: 73ff) sind Kurzwörter wie Btx besondere Bildungen, weil "ihre Segmente nicht von Morphemanfängen des Basislexems stammen". So auch Tbc <- Tuberculose, DAX <- Deutscher Aktienindex und ddp <- Deutscher Depeschendienst. Diese Art des Kurzwortes wird hier den ohnehin heterogenen Mischformen zugerechnet. Multisegmental gekürzte Wörter wie ABS <- Antiblockiersystem, SPD <- Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Schiri <- Schiedsrichter sind im Vergleich zu anderen Kurzwörtern wie Demo und U-Bahn recht hörerleserunfreundlich. Besonders an diesen multisegmental gekürzten Kurzworttyp haben Fleischer/Barz (1995: 221) wohl gedacht, als sie die "gestörte Erschließbarkeit" von Kurzwörtern kritisierten. Undurchsichtige Wortbildungsprodukte sind "von Seiten des Sprachbenutzers unerwünscht - die vielen unwilligen Anfragen beweisen es" (ebd.). Dem Interesse an leichter Verständlichkeit steht das Interesse an sprachökonomischer Kürze entgegen. Besonders bei Phrasenbasen (z.B. Aktiengesellschaft für Anilinfabrikation -> Agfa, Grammatisches Informationssystem -> Grammis) leuchtet die Nützlichkeit der Kürzung sofort ein: Die Kurzwörter sind besser zu handhaben, sie können zusammengesetzt (z.B. agfa-freundliche Beschlüsse) und abgeleitet werden (z.B. wir Grammisler). Zudem wird der Interessenkonflikt Verständlichkeit versus Kürze dadurch gemildert, dass multisegmental gekürzte Kurzwörter meist etabliert sind; insbesondere Bezeichnungen für Institutionen, Parteien u.ä. werden ohnehin nicht okkasionell gebildet: Nicht zufällig sind besonders Buchstabenwörter häufig Fachwörter wie StGB <- Strafgesetzbuch. Multisegmental gekürzte Kurzwörter müssen also einfach gelernt werden wie alle anderen arbiträren, d.h. nicht aus sich selbst heraus erklärbaren Wörter (z.B. Tisch, Stuhl) auch Das Kurzwort und die Abkürzung Abzugrenzen sind Kurzwörter u.a. von der Abkürzung. Kurzwörter haben eine eigene Lautung, z.B. Lkw (sprich: elkawe). Vgl. [LINK] Zur Aussprache von Kurzwörtern. Kurzwörter sind grafische, lautliche, mitunter auch grammatische und semantisch-stilistische Varianten einer Langform. Abkürzungen dagegen sind rein grafische Varianten, sie werden ausschließlich als Langform ausgesprochen, z.B. Prof.Dr. (sprich: Professor Doktor). So auch etc., kg, u.A.w.g., usw. oder Länderkürzel wie D für Deutschland. Als reine Schreibgebräuche gehören Abkürzungen nicht zur Wortbildung. Besonders in Abgrenzung zur Abkürzung definiert Kobler-Trill (1994: 13f) das Kurzwort als "nicht nur grafisch, sondern auch phonisch realisierbare, gekürzte Form". Gelegentlich existieren in verschiedenen Verwendungskontexten parellel Kurzwort und Abkürzung, vgl. Prof (z.B. in als Prof war er sehr beliebt) und Prof. (z.B. als Adressierung in Herrn Prof.Dr. Albert Einstein). Mitunter wird auch eine Abkürzung als Kurzwort realisiert: "Das Abkürzungswort km/h [...] wird heute häufig als Intitialwort artikuliert" (Naumann 1986: 26). Zur Aussprache von Kurzwörtern In der Regel werden Kurzwörter wie alle anderen Nomina ausgesprochen. Auch die Betonungsverhältnisse entsprechen den üblichen Regeln, z.B. Schupo. Bei den Buchstabenwörtern (vgl. Das multisegmental gekürzte Kurzwort) gibt es allerdings Ausspracheeigenheiten. So ist zu unterscheiden zwischen: * Kurzwörtern, die wie andere Wörter auch "mit dem Lautwert der einzelnen Buchstaben ausgesprochen werden" (Kobler-Trill 1994: 81), z.B. FAZ, GAL, RAF, TÜV. * Kurzwörtern, bei denen ungewöhnlicherweise "die einzelnen Buchstaben mit ihrem 'alphabetischen Buchstabennamen' genannt werden" (ebd.), z.B. AOK (sprich: A-O-Ka), so auch ADAC, ARD, Lkw, IDS, SED, SPD, TH, TU. Hier zeigt sich eine Besonderheit der Kurzwortbildung. Gelegentlich wird die gewünschte Aussprechweise grafisch markiert: Einige Buchstabenwörter werden geschrieben, wie sie gesprochen werden sollen, z.B. Edeka <- EDK <- Einkaufsgenossenschaft deutscher Kolonialwarenhändler, so nach Kobler-Trill (1994: 84) auch Debeka <- Deutsche Beamtenkrankenversicherung und Kadewe <- Kaufhaus des Westens. Zumindest bei den beiden letzten Beispielen ist aber wohl nicht ganz klar, ob es sich nicht eher um multisegmental gekürzte Silbenkurzwörter handelt: Debeka <- Deutsche Beamtenkasse, Kadewe <- Kaufhaus des Westens. Wie auch immer Kurzwörter ausgesprochen werden: Sie haben eine gegenüber ihrer Langform eigene Lautung Das Kurzwort und das Kunstwort Abzugrenzen sind Kurzwörter u.a. von einer bestimmten Art von Kunstwörtern, nämlich von den durch Kürzung entstandenen Kunstwörtern. Gemeinsam haben beide zwar die Kürzung, aber während Kurzwörter auch semantisch Varianten ihrer Langformen sind, also im Wesentlichen das bezeichnen, was ihre Langformen bezeichnen (z.B. Azubi = Auszubildender), bezeichnen Kunstwörter nicht das, was ihre Basen bezeichnen, z.B. ist Adidas ein Sportbekleidungsmarkenname und keine Bezeichnungsvariante für die namengebende Person Adi Dassler; Haribo ist ein Süßwarenmarkenname und keine Bezeichnungsvariante für die namengebende Person Hans Riegel, Bonn. So auch Onko gekürzt aus ohne Koffein als Markenname für einen Kaffee. Das Kurzwort und das Konfix Abzugrenzen ist das Kurzwort u.a. vom Konfix. Konfixe sind gebundene Einheiten, die nur in Wortbildungsprodukten vorkommen, z.B. bio- (zu griech. bios 'Leben') in Biotop, Biotonne, biotisch. Kurzwörter dagegen sind Wörter, also frei vorkommende Einheiten, z.B. Bio <- Biologieunterricht in Weil unser Lehrer krank ist, fallen Bio und Mathe heute aus. Während das Konfix bio- keine Variante zu irgendetwas ist, sondern eine durch Entlehnung in den Wortschatz übernommene Einheit, ist Bio eine Variante der Langform Biologieunterricht. Langform und Kurzwort existieren nebeneinander. Sehr selten werden Konfixe durch Kürzung gebildet, z.B. kul- <- Kugelschreiber im expliziten DerivatKuli oder prol- in Prolo 'Prolet'. In der Forschungsliteratur (vgl. Greule 1996: 200f) werden Einheiten wie kul- gelegentlich als "gebundene Kurzwörter" bezeichnet (Greule 1996: 200f). Diese Bezeichnung widerspricht aber dem Wortbegriff, wie er hier verwendet wird: Wörter sind per definitionem nicht gebunden. Vgl. Das Wort. Daher wird eine Einheit wie kul- hier den Konfixen zugeordnet, die gebunden, aber basisfähig sind, d.h. die die Basis expliziter Derivate wie Kuli (aus dem Konfix kul- und dem Suffix -i ) bilden können. Vgl. Das Konfix Die Neumotivierung Zu den Wortbildungsarten im weiteren Sinne gehört neben dem Wortspiel die Neumotivierung. Unter Neumotivierung wird in der Forschungsliteratur üblicherweise ein Vorgang verstanden, bei dem an die Ausdrucksseite eines etablierten Wortes angeknüpft und mit den semantischen Interpretationsmöglichkeiten der Ausdrucksseite dieses Wortes gespielt wird. So wird z.B. das etablierte Kompositum Morgenland 'Orient, d.h. Land, in dem es zuerst Morgen wird' umgedeutet zu 'Land, wie es morgen sein wird'. Als neumotiviert gelten auch Wörter, die in ihrer ursprünglichen Bedeutung neu belebt werden, z.B. die Hoch-Zeit des Rock'n Roll zu lexikalisiertem Hochzeit 'Eheschließung, Fest der Eheschließung', das sich aus mhd. hôchzît 'hohe, festliche Zeit' entwickelt hat. Diese eher seltene Art der Neumotivierung wird auch Remotivierung (lat. re 'zurück') genannt, weil die Motivierung in einen ursprünglichen Zustand zurückführt. Solche Vorgänge sind vor allem semantischer Natur; verändert wird ausschließlich die Inhaltsseite. Insofern handelt es sich hier um Bedeutungsveränderungen, nicht um Wortbildung. Vgl. Die Wortbildung und andere Möglichkeiten der Wortschatzerweiterung. Um Wortbildung aber handelt es sich u.a. bei neumotivierenden Entlehnungsvorgängen, bei denen die Ausdrucksseite des herkunftssprachlichen Wortes assoziativ in eine motivierende Eindeutschung einfließt, z.B. Hängematte aus haiitianisch hamaca 'Schlafnetz' oder Vielfraß aus norwegisch fjeldfrøss 'Bergkater'. Fleischer/Barz (1995: 18) sprechen anschaulich von "Eindeutungen". Ebenfalls zur wortbildenden Neumotivierung wird hier die sogenannte Pseudomotivierung gestellt (z.B. Maulwurf, Sündflut, anberaumen). [LINK] Die Pseudomotivierung Die Neumotivierung wird häufig sprachspielerisch für witzige Gelegenheitsbildungen genutzt, z.B. es ist nicht nur das Handwerk, es ist Kopfwerk, Augenwerk, Mundwerk, Fußwerk, das Werk des ganzen Körpers (FAZ 1995, Cosmas). Einige Neumotivierungsprodukte sind etabliert, z.B. Hängematte, Maulwurf, anberaumen.