Günter Fleischhauer GEORG PHILIPP TELEMANNS ZYKLUS "VI MORALISCHE CANTATEN" FÜR EINE SIKGSTIMMB, SOLOINSTRUMENT UND BASSO CONTINUO NACH WORTEN VON JOACHIM JOHANN DANIEL ZIMMERMANN (HAMBURG 1736 - 37) Unter den zahlreichen im Selbstverlag publizierten Werken, mit denen Georg Philipp Telemann den Kennern und Musikliebnabern seiner Zeit zum Singen und Spielen geeignetes Aufführungs- und exemplarisches Studienmaterial bot , nehmen 3 Sammlungen von je 6 weltlichen Kantaten für eine Singstimme mit Instrumentalbegleitung (Hamburg 1731, 1735 und 1736 - 37) führende Posi-tionen ein. An ihnen erläuterte zwar nicht mit ausdrücklichem Hinweis, aber dennoch deutlich erkennbar, wie die folgenden Ausführungen zeigen möchten, der mit dem Komponisten in der Reichs- und Hansestadt Hamburg befreundete Musikschriftsteller der Aufklärungsepoche, Johann Adolph Scheibe (1708 - 1776)^, die Merkmale der Kammerkantate in seiner wöchentlich erscheinenden Zeitschrift "Der critische Musikus", deren Publizierung er im März 1737 mit Telemann gemeinsam begonnen, bald jedoch allein fortgesetzt hatte. Im Urteil weiterer Zeitgenossen dominierte Telemannszuletzt erschienene Sammlung "VI moralische Cantaten" (TVWV 20: 29 - 34), deren Verse Christian Friedrich Weichmann in seiner Anthologie "Poesie der Niedersachsen" (Hamburg 1738) abdruckte.■* Und noch 1770 erklärte der Hamburger Literaturprofessor Christoph Daniel Ebeling in seinem "Versuch einer auserlesenen musikalischen Bibliothek" : "Telemann hat vor Jahren 3 Sammlungen (weltlicher Solokantaten) stechen lassen. Die besten darunter sind die 6 moralischen Cantaten, welche mit einer Violine (oder Querflöte - G. F.) heraus sind, und wozu der sei. Pastor Zimmermann den Text gemach* hat." Der Textdichter dieser Sammlung, Joachim Johann Daniel Zimmermann (geb. am 27. 10. 1710 in Salzwedel/Altmark - gest. am 2. 1. 1767 in Hamburg) hatte nach Absolvierung der Schulen seiner Heimatstadt seit April 1728 in Hamburg das Gymnasium besucht und dort bei dem mit seinem Vater befreundeten Hauptpastor der Jakobikirche, Erdmann Neumeister, gewohnt; auf dessen Empfehlung widmete er sich 1730 - 32 in Rostock dem Studium 32 der Theologie, unterrichtete nach seiner Rückkehr in die Elbestadt einen Sonn Neumeisteis, setzte anschließend seine Universitätsstudien in Helmstedt fort und wurde schließlich wieder in Hamburg unter die Kandidaten des Geistlichen Ministeriums aufgenommen, im Jahr 1738 zum Katecheten am Zuchthaus und 1741 zum Diakonus und später Archidiakonus an der Katharinenkirche erwählt.7 Neben Michael Rlchey (1678 - 1761), Professor für Geschichte und Griechisch am Hamburger Johanneum, war er seit etwa 1733 Telemanns bevorzugter Textdichter für dessen städtische Fest- und Trauerkantaten, Oratorien und Passionsmusiken -z. B. für Telemanns "Bürgerkapitänsmusiken" (1734, 1736, 1737)8, für städtische Trauerkantaten (1733, 1740, 1745, 1765)9, ferner für die Festmusiken zur Hundertjahrfeier des Westfälischen Friedens (1748), zur Zweihundertjahrfeier des Augsburger Religionsfriedens (1755), zur Einweihung der großen Michaeliskirche (1762) und für verschiedene Passioňsmusiken (1745 und 1755). Einem zeitgenössischen Hamburger Bericht zufolge hat Zimmermann dabei "die Bewunderung und den Beyfall der grösten hiesigen Dichter und Kenner guter Gedichte erhalten". In seiner Sammlung von 6 Kantaten, die Weichmann zufolge "der c Telemannischen Composition gewidmet worden waren" , preist der an Neumeisters madrigalischen Kantatentexten geschulte Autor aus dem neuen, sich im 2. Drittel des 18. Jahrhunderts entwickelnden Natur- und Lebensgefühl des Bürgertums im Geist der Aufklärung "Die Zufriedenheit" (Nr. 1), die "Tonkunst" (Nr. 2), "Das mäßige Glück" (Nr. 3), "Die Liebe" (Nr. 4), "Die Landlust" (Nr. 5) und "Die Freundschaft" (Nr. 6) - und erfüllte damit einen alten Wunsch Telemannsj denn dieser hatte bereits am 12. März 1725 brieflich den befreundeten Frankfurter Gelehrten Johann Friedrich Armand von Uffenbaoh gebeten: "Wollten Dieselben Sich bemühen, ein halb oder gantz Dutzend Cantaten von geistlich-moralischen Inhalte, so, daß sie so wohl in der Kirche, als bey Privat-Concerten, gemacht werden könnten, zu verfertigen, so wollte die Composition darzu, nach allem besten Vermögen, übernehmen ... Daß das Public ein solches Werk wohl aufnehmen würde, solches stehet zu glauben, und wollen Herr Brookes und Richey mich dessen gewiß versichern." Im sog. "Amsterdamer Katalog" (1733) und hernach im Hamburger "Verzeichniß der 33 Telemannischen Musicalischen Werke" (1734) kündigte er unter seinen geplanten Kompositionen, "so nach und nach heraus gege-ben werden können" , zwei Zyklen von je d moralischen Kantaten an, deren Entstehung man in die folgenden Jahre datieren kann. Wie in dem zuerst (Ende 1735) erschienenen Zyklus "VI moralische Cantaten" für eine Singstimme und Basso continuo (TVWV 20:23-28) - fünf davon nach Worten des schlesischen Dichters und Gott-sched-Schülers Daniel Stoppe J - besteht jede "Cantata" auch in der nachfolgenden Zimmermannschen Sammlung (1736 - 37), die aber "annoch mit einer Violine oder Traverse begleitet wird" , 15 aus: Aria - Recitativo - Aria. Prägnante Textdeklamation unter weitgehender Berücksichtigung der jambischen Versfüße bestimmt die in der Mitte der Kantaten befindlichen und die jeweilige Anfangs- und Schluß-Arie verbin- 1*6 denden Rezitative. Grundsätzlich erklärte Telemann zu deren 17 Gestaltung bereits im Vorwort seines Kantaten-Jahrgangs 1731 , daß er sich bestrebt habe, "die Aussprache vernehmlich zu machen, die Unterscheidunga-Puncte mögligst in acht zu nehmen, und die Rhetorischen Figuren so anzubringen, dasz die in der Poesie befindlichen Regungen erwecket werden mögen". Letzteres trifft besonders für die Arien zu, wie wir noch hören und sehen werden. Ferner verlangte Telemann zur Rezitativ-Gestaltung: "Der Componist soll in selbigem reden, und zwar verständlich. Diesemnach musz der Accent auf die Sylben also geleget werden, wie man sie im gemeinen Leben ausspricht. Fällt er auf die unrechten, so wird der Sänger unvernehmlich, wenn man ihm auch an der Seite stünde; die Commaten, Colen, Semicolen, Puncte etc. sind von nicht geringer Wichtigkeit: Es kann, bey deren unbedachtsamen Verwechselung eine Zweydeutigkeit, ja gar ein ver- lfi kehrter Verstand, entstehen ... Viele Redner-Figuren sind nicht weniger eine trifftige Angelegenheit eines Componisten: Da kömmt eine Frage vor, die zugleich eine Ausrufung seyn kann, oder umgekehrt: es giebt zweifelhafte, bejahende, verneinende Fragen; soll denn disz alles auf einerley Ahrt, oder auf Gerathe wol, ausgedrüeket werden? Der Poet lasset Bilder oder lebendige Personen sprechen: beyde müssen einen Unterschied haben: die Rede wird vor Schmerz oder Freude, vor Zorn .oder Blödigkeit etc. unterbrochen; es wird ein Satz in einem umfänglichen Vortrage 34 etlichemal, entweder im ersten oder neuen Verstände, oder widersprechend, wiederholet: Wie hier ein Redner die Stimme nach der Sache Eigenschaft einrichtet, so sollte es auch der Componist thun." Wie Telemann diese Forderungen erfüllte, zeigen verschiedene Rezitative der vorliegenden Sammlung exemplarisch. Sorgfältige Beachtung der "Unterscheidunga-Puncte" (Komma, Ausrufungazeichen, Doppelpunkt) und absichtsvolle Setzung der betonten Silben auf die schweren Taktteile kennzeichnen z. B. das Rezitativ der "Freundschafts"-Kantate (Nr. 6), worin die falschen von den echten Freunden nachdrücklich unterschieden werden (siehe Boten-beispiel l)19» Sinnvolle Textdeklamation, bei der grammatische und rhetorische Akzente durch Pausen, Intervallsprünge und rhythmische Dehnungen einzelner Silben, "wie man sie im gemeinen Leben ausspricht", verdeutlicht werden, bestimmt auch das Recitativo semplice der Kantate (Nr. 1) "Die Zufriedenheit" (siehe Notenbeispiel 2). Ferner bemerkte Scheibe (1739) zur Rezitativ-Gestaltung in Kammerkantaten: "Außer der Beobachtung der Worte und ihres Nachdrucks kann man gar wohl in mancherley fremde Tonarten und Gänge ausschweifen. Doch muß auch solches dem Verstände und der Beschaffenheit der Worte nicht widersprechen ... Folglich muß man eine gründliche Einsicht in die Lehre von den musikalischen Geachlechten besitzen. Alle Arten der Intervallen, so wohl der diatonischen, chromatischen, ala enarmonischen, sind es, die zur Auszierung und Schönheit eines solchen Recitativs nicht wenig beytragen." Entsprechende Beispiele für textausdeutende harmonische Fortschreitungen chromatischer und enharmonischer Art unter abermaliger differenzierter Beachtung der Sinneinschnitte und Interpunktionszeichen, der "Commaten, Colen, Semicolen, Puncte etc.", bieten Telemanns Rezitative der Kantaten "Das mäßige Glück" (Nr. 3), "Die Liebe" (Nr. 4) und "Tonkunst" (Nr. 2/ siehe Notenbeistiiel 3). "Die stärksten Gedanken sollen vornehmlich in der Arie stehen", 22 verlangte Scheibe (1739) unter Bezugnahme auf "die Beschreibung der Cantaten, welche uns der Herr Professor Gottsched in 35 seiner critischen Dichtkunst giebt": "und ... so muß auch der Charakter der Cantate, sie mag nun moralisch, verliebt, ernsthaft, oder scherzhaft seyn, auf das genaueste in Acht genommen werden; denn die Schreibart muß mit der Sache vollkommen übereinstimmen." Im einzelnen wünschte er zur Arien-Komposition in Kammerkantaten: "Man soll allezeit auf die Harmonie und Melodie zugleich sehen ... Es muß darinnen eine bündige Nachahmung ... herrschen, die aber durch einen fließenden deutlichen Gesang, 23 der den Worten überaus gemäß sein muß, zy erheben" ist. In der Singstimme soll "ein beständiges Cantabile herrschen"; dar-•unter verstand er "eine solche Melodie, die alle künstliche und ausgesuchte Auszierungen flieht, die mehr mit Hauptnoten, die aber eine natürliche Annehmlichkeit haben müssen, zu thun hat. Sie muß aber sehr nachdrücklich, und dennoch fließend und leicht seyn." Hervorragende Belege hierfür bieten Telemanns Schluß-Arie der Kantate (Nr. 1) "Die Zufriedenheit": "Immerhin, wird mein Sinn, ohne Sorgen, ohne Seid, ruhig scherzen" (A-Dur, 4/4-Takt, Lustig) und die Eingangs-Ärie der Kantate (Nr. 6): "Freunde, laßt uns besser lieben" (F-Dur, 4/4-Takt, Nicht langsam ; siehe Notenbeispiel 4). 25 Grundsätzlich erklärte Scheibe ferner : "Die Worte in einer solchen Arie werden einem aufgeweckten Kopfe immer neue Gelegenheit zu sinnreichen Erfindungen geben ... Man kann die Worte mit Nachdruck, und wie es der Affect, oder der Inhalt derselben erfordert, aussprechen lassen. Man kann auch wohl eine geschickte Verwechslung des Hauptsatzes mit einem Gegensatze anwenden; Man kann auch' durch kleine Ausdehnungen dem Sänger etwas zu thun geben ..., doch müssen diese Auszierungen niemals lang und weitläuftig seyn; sie müssen sehr genau mit dem Hauptsätze übereinstimmen, und folglich die Deutlichkeit und den Nachdruck der ganzen Arie vermehren." Entsprechend vielfältig, aber stets darauf bedacht, Sinn und Affekt der Tektworte musikalisch zu exprimieren, ist Telemanns melodische Schreibart im Zyklus; sie reicht von der soeben gehörten liedhaften, leicht fließenden Kantabilität bis zur italienischen Arien-Melodik mit affektvollen Koloraturen und lombardischen Rhythmen im theatralischen Stil - z. B. in der ersten Arie der "Liebes"-Kantate (Nr. 4): "Du bist ein tolles Ungeheuer" (d-Moll, 4/4-Takt, Hurtig; siehe 36 Notenbeispiel 5). ' Mit klangfreudigen Koloraturen und kleinen "Auszierungen, welche die Deutlichkeit und den Nachdruck der ganzen Arie vermehren" , werden ebenfalls folgende affekthaltige Worte amplifi-ziert: fröhlich in der Eingangs-Arie der Kantate (Nr. 1) "Die Zufriedenheit": "Fraget nicht, vergnügte Freunde, was. mich stets so fröhlich macht" (T. 8 - 11; 18-21); gefällt in der Eingangs-Arie der Kantate (Nr. 3) "Das mäßige Glück": "Der Glanz, wonach der Ehrgeiz zielet, ge= fällt mir nicht" (T. 53 - 59); ' Scherz in der Schluß-Arie der Kantate (Nr. 4) "Die Liebe": "Wenn ich ja noch lieben werde, muß es ohne die Beschwerde, nur mit Lust und Scherz geschehn (T. 93 -102); schallen in der Schluß-Arie der Kantate (Nr. 5) "Die Landlust": "Laßt hier Gesang und Saiten schallen" (T. 50-57). Wiederholt bediente Telemann sich zur affekt- und sinnvollen Textinterpretation in den Da-capo-Arien auch bekannter Tanztypen - z, B. der italienischen Variante der Gigue (Giga) in der fröhlichen Schluß-Arie der "Freundschafts"-Kantate (Nr. 6): "Es leben echte Freunde" (F-Dur, 12/8-Takt, Lebhaft) und in der schwungvollen Schluß-Arie zum Preis der "Tonkunst" (Nr. 2): "Nur lustig voran, ihr erweckenden Saiten" (D-Dur, 6/8-Takt, Munter; vgl. Notenbeispiel 6). Wiegender Siciliano-Rhythmus bestimmt in der Kantate (Nr. 5) "Die Landlust" die pastorale Eingangs-Arie: "In euch, ihr grünen Auen" (E-Dur, 6/8-Takt, Hirtenmäßig) , während die Schluß-Arie der gleichen Kantate vom heiteren Menuett charakterisiert wird: "Laßt hier Gesang und Saiten schallen" (E-Dur, 3/8-Takt; siehe Notenbeispiel 7). Zur Gestaltung des Mittelteils der Da-capo-Arien in Kammerkan- 28 taten gab Scheibe zu erwägen , "ob es nicht annehmlicher und den Zuhörern gefälliger seyn mögte, wenn man diesen Theil durch eine Veränderung der Tonart von dem ersten Theile unterscheiden würder-«id wenn man also die große Tonart (Dar - G. F.) in die 37 kleine, oder auch die kleine Tonart (Moll) in die große verwandelte. Der Inhalt der Worte muß aber vornehmlich den Ausschlag eeben." Statt des Wechsels der Dur/lioll-Tonarten gleicher Stufe 29 (Mutatio per Modům aut Tonum) bevorzugte Telemann den Übergang zur jeweiligen Paralleltonart - nach fis-Koll in beiden A-Dur-Arien der Kantate (Hr. T) "Die Zufriedenheit", nach F-Dur in der d-Moll-Schlußarie der "Liebes"-Kantate (Nr. 4), vereinzelt auch zu anderen terzverwandten Tonarten - zur Dominantparallele h-Moll in der G-rDur-Eingangsarie der Kantate (Nr. 3) "Das mäßige Glück" und nach a-Moll in der F-Dur-Schlußarie der "Freund-schafts"-Kantate (Nr. 6). Differenziert und maßvoll brachte Telemann zur Textinterpretation (explicatio textus) in den Arien auch musikalisch-rhetorische Figuren zum Einsatz, "dasz die in der Poesie befindlichen Regungen erwecket werden mögen", wie er im Vorwort seines Kan- 17 taten-Jahrgangs 1731 erklärt hatte. Harmonisch modulierte er z. B. zur Dominanttonart H-Dur in der ersten Arie der Kantate (Nr. 5) "Die Landlust" bei der Frage: "Wo lebt man mit Vertrauen? Wo ist die beste Welt?", um die Antwort voller Nachdruck in der Grundtonart (E-Dur) folgen zu lassen: "In euch, ihr grünen Auen, in dir, beblümtes Feld" (siehe Notenbeispiel 8). Absichtsvoll benutzte er tonmalerische und emphatische Wiederholungsfiguren, um den Affekt, den Sinn und/oder die Blldhaftig-keit einzelner Worte und Gedanken musikalisch auszudrücken und nachhaltig zu vertiefen. So bediente er sich in der Schluß-Arie der "Freundschafts"-Kantate (Nr. 6) der "Palillogia", der Wiederholung von Tongruppen auf gleicher'Tonstufe, und einer diatonisch absteigenden tonmalerisehen "Katabasis", um den falschen Freunden entschieden den Laufpaß zu geben (siehe Notenbeispiel 9).30 Im Sekundintervall aufwärtssteigende Wiederholung von Tongruppen, die sog. "Gradatio" oder "Climax" - "wenn eine Clausul mit und ohne Cadentz etlichemahl immediate nacheinander immer um einen 31 Ton höher angebracht wird" - diente ihm in der Schluß-Arie der Kantate (Nr. 3) "Das mäßige Glück" dazu, die Gefahren der Höhe mit anschließendem Sturz (Katabasis) sinnfällig zu veranschaulichen (T. 21 ff.), und in der Eingangs-Arie der Kantate (Nr. 4) "Die Liebe", um deren Gefahren affektvoll und bildhaft zugleich 38 auszumalen (siehe Notenbeispiel 10). Telemanns Stärke lag - wie schon Scheibe erkannte - in der Benutzung der "Paronomasia", einer Wiederholungsfigur zur emphati- 32 sehen Vertiefung des Ausdrucks : "Unser Telemann ist. sehr glücklich in der Anwendung dieser Figur. Er weiss die Worte nicht allein auf eine geschickte Art zu zergliedern, sondern auch dadurch den Verstand zu verstärken. Und gewiß, wenn sie mit solcher Geschicklichkeit und so reifem Nachdenken angebracht wird: so wird sie allemahl einen starken Eindruck bey den Zuhörern machen." Entsprechende Beispiele hierfür enthalten die Eingangs-Arie der Kantate Nr. 1: "Fraget nicht, vergnügte Freunde" (T. 12 ff.) und die Schluß-Arie der Kantate Nr. 6: "Es leben echte Freunde" (siehe Notenbeispiel 11). Zur Satztechnik in den Arien der Kammerkantaten mit einem obligaten Instrument (Oboe, Flöte oder Violine) verlangte Scheibe, "daß die Singstimme und das Instrument nach einer regelmäßigen 33 Nachahmung beständig einander folgen sollen" . Die Ausarbeitung (elaboratio) einer solchen Arie beschrieb er dann folgendermaßen: "Man erfindet einen Hauptsatz, welcher von der Beschaffenheit ist, daß er von der Singstimme ganz bequem kann nachgesungen werden. Zu diesem kurzen Hauptsatze setzet man noch eine kurze Folge, damit daraus ein vollständiges Rittornell entstehe, welches das Instrument, das man sich zur Begleitung der Arie erlesen hat, voraus spielet. Es müssen aber diejenigen Sätze, welche man mit dem Hauptsatze verbunden hat, gleichsam nur eine weitere Ausführung desselben seyn; sie müssen ganz ungezwungen daraus fließen ... Es stellet also ein solches Rittornell gleichsam den ganzen Inhalt der Arie vor, und es beáteht darinnen der wirkliche Vortrag mit seinen Abtheilungen und Eintheilungen." Entsprechende Beispiele für mehrgliedrige Ritornelle, die "gleichsam den ganzen Inhalt der Arie vorstellen", in denen das Instrument die Singstimme thematisch-motivisch antizipiert und nach einem prägnanten "Hauptsatz" ungezwungene Ausführungen desselben liefert, worauf die Singstimme den "Hauptsatz" im kanonischen Einsatz nachahmt, bieten die Eingangs- und Schluß-Arien der Kantaten "Die Zufriedenheit" (Nr. 1), "Die Liebe" (Nr. 4) und "Die Landlust» (Nr. 5). 39 34 Für die weitere Gestaltung der Arie wünschte Scheibe , "daß die Singestimme und das Instrument sich beständig um die Wette verwechseln, daß sie sich einander antworten, nachahmen, und gleichsam einen sinnreichen Wettstreit halten", während "der Baß, oder die Unterstimme nur ganz ernsthaft und ohne sonderliche Auszie-rung einher geht". Gelegentlich kann auch er sich an der Imitation des "Hauptsatzes" beteiligen, doch rät Scheibe , "daß man behutsam damit verfahren, und diese Nachahmung nicht allzu weit-läufftig ... beybehalten soll". Ansätze zu kanonischen Imitationen des kurzen "Hauptsatzes", in der Unterstimme, sog. "freye Nachahmungen"^ , enthalten nur die Schluß-Arien in den Kantaten Kr. 1 "Immerhin wird mein Sinn" und Nr. 2 "Nur lustig voran, ihr erweckenden Saiten". "Das vornehmste in einer solchen Arie ist also", resümierte 35 Scheibe , "daß die beiden Oberstimmen, nämlich die Singestimme und das sie begleitende Instrument sich gleichsam beständig mit einander besprechen müssen, und daß der Baß, als die Unterstimme, diesen angenehmen Wettstreit durch eine ernsthafte, ungekünstelte und harmonische Begleitung mehr erheben, befördern, als unterbrechen soll. Und so gehören alle Au3zierungen und Veränderungen der Melodie eigentlich in die Oberstimmen, und der Baß hat damit sehr wenig zu thun: weil er nur die Harmonie und den Zusammenhang erhalten und nachdrücklich machen muß." Hervorragende Beispiele für den beschriebenen "angenehmen Wettstreit" der Oberstimmen bzw. für den konzertierenden Stil nach Art instrumentaler Trio-Sonaten, wobei Telemann nach kanonischen Einsätzen in den Oberstimmen bald zu klangfreudigen Sexten- und Terzenpassagen übergeht, während die Unterstimme vorwiegend harmonische Stützfunktionen erhält, "nur ganz ernsthaft und ohne sonderliche Aus- 37 zierung einher geht"^ , bieten die Eingangs-Arie der Kantate (Nr. 1) "Die Zufriedenheit": "Präget nicht, vergnügte Freunde" (T. 8 ff.), die Schluß-Arie der Kantate (Nr. 2) "Tonkunst": "Nur lustig voran, ihr erweckenden Saiten" (T. 27 ff.), die Eingangs-Arie der "Freundschafts"-Kantate (Nr. 6): "Freunde, laßt uns besser lieben" (T. 23 ff.) und*die erste Arie der "Tonkunst"-Kantate (Nr. 2): "So fort, ihr angestimmten Saiten" (T. 10 ff.; siehe Notenbeispiel 12). Insgesamt gestaltete Telemann also in musikalisch differenzierter 40 Weise, dabei den unterschiedlichen Sinn, Affekt- und Bildgehalt einzelner Worte und Gedanken vertieft ausdeutend, die 6 moralischen Kantaten für eine Singstimme, Soloinstrument und Basso con-tinuo melodisch und harmonisch ausdrucksvoll, satztechnisch und rhythmisch durch Taktwechsel der Eingangs- und Schluß-Arien abwechslungsreich (vgl. die Übersicht auf S. 46); darüberhinaus verband er sie Jedoch tonartlich zum Zyklus, indem er die ersten drei Kantaten im Quintenzirkel abwärts führte (Nr.1: A-Dur; Nr.2: D-Dur: Nr.3: G-Dur), die nachfolgenden drei hingegen stufenweise aufsteigen ließ (Nr.4: d-Moll; Nr.5: E-Dur; Nr.6: F-Dur). Zusammenfassend kann daher gesagt werden: Telemanns Zyklus "VI moralische Cantaten" nach Worten von Joachim Johann Daniel Zimmermann (1736 - 37) gehört zu jenen vorbildlichen Vokalwerken des gebürtigen Magdeburger Meisters, an denen zeitgenössische Musikschriftsteller der Aufklärungsepoche - wie Johann Adolph Scheibe (1739) - ihre musikästhetischen Kriterien, Postulate und satztechnischen Beschreibungen von Gattungsmerkmalen entwickelten. Brieflich gestand der Berliner Hofkomponist und führende Musikschriftsteller der dortigen Aufklärung, Johann Friedrich Agricola (1720 - 1774), dem Altmeister Telemann am 18. November 1752 : "Sie sind der erste gewesen, der mir, in einem noch zarten Alter, durch Sechs gewisse Cantaten von Ihrer Arbeit, die mir damals zu Händen kamen" - es könnten die unsrigen gewesen sein -"einen Begriff beygebracht hat, wie Singesachen, wenn sie schön seyn sollen, eingerichtet werden müssen. Diese Cantaten, und Ihre Kirchenstücke, deren ich viele noch in meiner Vaterstadt (Dobit-schen bei Altenburg - G. F.) gehöret habe, sind das erste von Musik gewesen, so mir das Herz gerühret hat." Und 1770 resümierte Christoph Daniel Ebeling in einer ersten Gesamtwürdigung der kompositorischen Leistung Telemanns nach dessen Tod (1767): "Er hat zuerst unter den Deutschen Leichtigkeit und Natur in die 39 Melodien seiner Arien gebracht" , womit Telemann im 2. Drittel des 18. Jahrhunderts zukunftsträchtige Beiträge zur Entwicklung 40 kantabler Vokalmusik auf deutsche Texte geliefert hat. Exemplarisch dokumentiert dies auch die nun vollständig erklingende Kantate (Nr. 1) "Die Zufriedenheit", dargeboten von Heiner Vogt mit den Studenten Thekla Hennig (Querflöte), Christward Buchholz (Violoncello) und Almut Feltz am Spinett. 41 Anmerkungen 1 Vgl. Ruhnke, Martin: Telemann als Musikverleger, in: Musik und Verlag. K. Vötterle zum 65. Geburtstag, Kassel, Basel, Paris ... 1968, S. 504 ff.; Siegmund-Schultze, Walther: G. Ph. Telemann, Leipzig 1980, S. 50 ff. 2 Vgl. Menke, Werner: Das Vokalwerk G. Ph. Telemanns, Überlieferung und Zeitfolge, Kassel 1942, S. 21, 126 f.; TVWV 20:17-34; Mühne, Christian: Die weltlichen Solokantaten G. Ph. Telemanns. Phil. Diss. (A) Halle 1982 (masch.), Bd. I, S. 23, 33, 44, 64, 70 f. u. ö. 3 Vgl. Bergner, Caroline und Hoke, Hans Gunter: Art. Scheibe, Johann Adolph, in: MGG XI, 1963, Sp. 1618 f. 4 Scheibe, Johann Adolph: Critischer Musikus, Nr. 41 ff., bes. Nr. 43, 44, 47 (Juni-Juli 1739); zitiert wird nach 2. Aufl. Leipzig 1745. - Zur ursprünglich geplanten Zusammenarbeit von Telemann und Scheibe vgl. dessen Bericht bei Ruhnke, Martin: Telemann im Schatten von Bach? in: Hans Albrecht in memoriam, Kassel, Basel 1962, S. 149 f. 5 Weichmann, Christian Friedrich: Poesie der Niedersachsen, 5. Theil, Hamburg 1738, S. 318 - 325. 6 Ebeling, Christoph Daniel: Versuch einer auserlesenen musikalischen Bibliothek, in: Unterhaltungen, Bd. X, Hamburg 1770,. S. 529 f. = Telemann, Georg Philipp: Singen ist das Fundament zur Music in allen Dingen, eine Dokumentensammlung (TD), hg. von Werner Rackwitz, Leipzig 1981, Hr. 87, S. 297. 7 Vgl. Nachrichten von Niedersächsischen berühmten Leuten und Familien, 1. Bd., Hamburg 1768, S. 106 ff.; Lexicon der Hamburgischen Schriftsteller, Bd. 8, Hamburg 1883, S. 240 f.; Allgemeine Deutsche Biographie, 45. Bd., Leipzig 1900, S. 266 f.; Mühne, a. a. 0., I, S. 53. 8 Vgl. Maertens, Willi: G. Ph. Telemanns Hamburger Kapitäns-musiken. Phil. Diss. (A) Halle 1975, Bd. I, S. 48 f. 9 Vgl. Maertens, Willi: Art. in den Programm-Festschriften der Magdeburger Telemann-Festtage 1973, S. 50 f. und 1984, S. 63 f. 10 Vgl. Hörner, Hans: G. Ph. Telemanns Passionsmusiken, Borna-Leipzig 1933, S. 60; Hobohm, Wolf: Telemann und Ramler, in: Telemann und seine Dichter. Konferenzbericht der 6. Magdeburger Telemann-Festtage 1977, Magdeburg 1978, 2. Teil, S. 61 f. 11 G. Ph. Telemann, Briefwechsel (TB), hg. von Hans Grosse und Hans Rudolf Jung, Leipzig 1972, Nr. 71, S. 219. - Eine ähnliche Bitte richtete Telemann noch am 3.f 2. 1740 an den damals in Göttingen weilenden Dichter Albrecht (von) Haller: TB Nr. 53, S. 143; TD Nr. 54, S. 194. 12 Zitiert nach Ruhnke, Martin: Telemann als Verleger seiner Werke. Verlagskataloge, in: TWV, Bd. I, 1984, Anhang S. 235 f. 42 13 G. Ph. Telemann: Moralische Kantaten für Singstimme und Basso continuo, hg. von Kurt Janetzky, Continuo-Einrich-tung von Dietrich Knothe, Vorwort von Hans-Joachim Schulze, Leipzig 1978 (DVfM 9508). Vgl. auch die Schallplattenein-spielung mit Peter Schreier (Tenor) bei Etema 827 469 und Haufe, Eberhard: Daniel Stoppe als Textdichter Telemanns, in: Konferenzbericht der 6. Magdeburger Telemann-Festtage 1977, Magdeburg 1978, 1. Teil, S. 75 ff. 14 Nachricht von Telemannischen Musicalien, so selbiger künftig heraus zu geben entschlossen (Hamburg, den 26. September 1735): "Zweyther Theil moralischer Cantaten, deren erster aus einer Singe-Stimme mit dem Fundament bestehet, dieser aber anzioch mit einer Violine oder Traverse begleitet wird. Jener kostet 1 Rthlr. 8 Ggr. und der letzte 1 Rthlr. 16 Ggr.; Hiervon wird alle 14 Tage, Donnerstags, ein Stück heraus kommen." Zitiert nach TWV I, S. 237 (s. o. Anm. 12), 15 Die Einrichtung der Kantaten erfolgte nach dem in der Musikabteilung der Deutschen Staatsbibliothek Berlin erhaltenen Erstdruck (Mus 15892 R) im Auftrag vom Rat des Bezirkes Magdeburg für die Telemann-Ehrung der DDR 1984 in Magdeburg, wo sie im Eröffnungskonzert vom dortigen telemann-consort mit der Sopranistin Christa Maier (Rostock) erstmalig wiederaufgeführt wurden. Partitur und Aufführungsmaterial (Ms) befinden sich seitdem im Zentrum für Telemann-Pflege und -Forschung in Magdeburg, Liebigstr. 10- 16 Im Unterschied zur ersten Sammlung moralischer Kantaten (1735) kürzte Telemann die Zimmermannschen Texte nur geringfügig, wobei er einzelne Wendungen und Worte durch geeignetere ersetzte. Vgl. die vergleichende Gegenüberstellung bei Mühne, a. a. 0., I, S. 82 f. 17 Telemann: Fortsetzung des Harmonischen Gottesdienstes, Hamburg 1731 = TD Nr. 42, S. 171 f. 18 Entsprechend konstatierte Scheibe in seiner "Abhandlung vom Recitativ" (Crit. Mus., S. 743): "Vom Recitative kann man nicht sagen, daß es ein Gesang ist, sondern man kann es vielmehr eine Reihe verschiedener aufeinander folgender Töne nennen, die dazu erfunden sind, die Rede des Menschen nachzuahmen oder vielmehr ordentlicher abzumessen. Es ist also eine singende Rede." Vgl. dazu Ruhnke", Martin: Das italienische Rezitativ bei den deutschen Komponisten des Spätbarock, in: Analect«, musicologica 17, 1976, S. 82 ff. T9 Die Klangbeispiele des Vortrags nach einem Mitschnitt der Magdeburger Aufführung 1984 (s. o. Anm. 15) folgen hier gekürzt als Notenbeispiele auf S. 47 ff. 20 Scheibe, Crit. Mus., 43. Stck., S. 399 und 44. Stck., S. 408, 21 In seiner "Abhandlung von den Musicalischen Intervallen und Geschlechtern" (Hamburg 1739, S. 8 f.) schrieb Scheibe: "Als ich auch endlich nach Hamburg kam, und die Ehre der Bekanntschaft eines vortrefflichen Telemanns erlangte, ward ich noch mehr von der Gewißheit meines Systems überzeuget, weil ich in den musicalisohen Stücken dieses großen Mannes sehr oft solche ungewöhnliche und fremde Intervallen antraf, 43 die ich fast selbst noch nicht'für brauchbar gehalten hatte, weil ich sie noch nicht bey andern Componisten angetroffen ..... Ich hörte mit größtem Vergnügen, daB Er alle Intervalle, die sich in meinem System befanden, mit der schönsten Zierlichkeit und so nachdrücklich und rührend in seinen Stücken anbrachte, wo es nur die Stärke der Gemüths-bewegungen erforderte." Vgl. dazu Fleischhauer, Günter: Einige Gedanken zur Harmonik Telemanns, in: Beiträge zu einem neuen Telemannbild. Konferenzbericht der 1. Magdeburger Telemann-Festtage 1962, Magdeburg 1963, S. 52 ff. 22 Scheibe, Crit. Mus., 41. Stck., S. 383, 23 Scheibe, Crit. Mus., 43. Stck., S. 396 f. 24 Seit 1734 benutzte Telemann vorwiegend deutsche Tempo-, Vortrags- und Ausdrucksbezeichnungen. 25 Scheibe, Crit. Mus., 43. Stck., S. 396 f. 26 "Im theatralischen Styl ist bei der hohen Schreibart auf eine feurige, nachdrückliche und prächtige Melodie zu sehen, und die Harmonie ist nur zur Begleitung nötig", konstatierte Scheibe, Crit. Mus., 42. Stck., S. 390. 27 G. Ph. Telemann: Die Landlust. Kleine Kantate von Wald und Au, hg. von Rolf Ermeler, BA 1787, S. 9 ff. 28 Scheibe, Crit. Mus., 47. Stck., S. 435. 29 Nach Walther, Johann Gottfried: Musicalisches Lexicon, Leipzig 1732, S. 435: "Wenn, um einigen Affect zu expri-mieren, aus einem Modo in einen andern gegangen wird, z, E. aus dem Modo minore in majorem, & vice versa, dieses heisset: Mutatio per Modum aut'Tonum." 30 Zur Identifizierung der Figuren vgl. Unger, Hans-Heinrich: Die Beziehungen zwischen Musik und Rhetorik im 16. - 18. Jahrhundert, Würzburg 1941, S. 68 ff.; Schmitz, Arnold: Art. "Figuren, musikalisch-rhetorisehe", in: MGG IV, 1955, Sp. 178 ff.; Buelow, George J.: Art. "Rhetoric and music", in: The New Grove Dictionary of Mu3ic and Musicians, vol. IV, London 1980, S„ 795 ff.; Bartel, Dietrich: Handbuch der musikalischen Figurenlehre, Laaber 1985. 31 Walther, Musicalisches Lexicon, S. 172. 32 Scheibe, Crit. Mus., 76. Stck., S. 691: "Sie geschieht, wenn man einen Satz, ein Wort, oder eine Redensart, so schon dagewesen, mit einem neuen besondern und nachdrücklichen Zusätze wiederholet. Sie wird in der Instrumental-und Vokalmusik mit gleichem Nachdrucke gebrauchet ..." Vgl. dazu Ziebler, Karl: Zur Ästhetik der Lehre von den musikalischen Redefiguren im 18. Jahrhundert, in: ZfMw XV, 1933, S. 295; Fleischhauer, Günter: Die Musik G. Ph. Telemanns im Urteil seiner Zeit, in: Händel-Jb., 13./14. Jg., 1967/68, S. 192. 33 Scheibe, Crit. Mus., 44. Stck., S. 404 f. 34 Scheibe, Crit. Mus., 44. Stck., S. 406 f. 35 Scheibe, Crit. Mus., 44. Stck., S. 407 f. 44 -*>w 36 "In der freyen Nachahmung geschieht alles" - nach Scheibe, Crit. Mus., 44. Stck., S. 405 (Anmerkung) - "mit einer gewissen willkührlichen Freyheit, ohne sich weder an die Größe der Intervallen des Hauptsatzes, noch auch an den Eintritt der Stimmen zu binden." 37 Von seiner Eisenacher Zeit (1708 - 12) berichtete Telemann in seiner letzten Autobiographie 1740 (= TD Nr. 55, S. 204): "Aufs Triomachen legte ich mich hier insonderheit, und richtete es so ein, daß die zwote Partie die erste zu seyn schien, und der Baß in natürlicher Melodie, und in einer zu jenen nahe tretenden Harmonie, deren jeder Ton also, und nicht anders seyn konnte, einhergieng. Man wollte mir auch schmeicheln, daß ich hierin meine beste Krafft gezeiget hätte." Vgl. dazu Schmitz, Eugen: Geschichte der weltlichen Solokantate, Leipzig 1955, S. 297; Mühne, Christian: Die Satztechnik im Spannungsfeld von Traditionsbezug und Neuerertum in den weltlichen Solokantaten G. Ph. Telemanns, in: Konferenzbericht der Telemann-Ehrung der DDR 1981, Magdeburg 1983, 3. Teil, S. 73 f. 38 TB Nr. 122, S. 366 f. 39 Ebeling: Unterhaltungen, Bd. I, S. 315 = TD Nr. 87, S. 294. 40 Vgl. Siegmund-Schultze, Walther: Telemann - Meister kunstvoller Popularität, in: Konferenzbericht der 3. Magdeburger Telemann-Festtage 1967, Magdeburg 1969, 1. Teil, S. 33 ff., 46; Zauft, Karin: Telemanns Liedschaffen und seine Bedeutung für die Entwicklung des deutschen Liedes in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Magdeburger Telemann-Studien II, 1967, S. 7 ff.; Kross, Siegfried: Telemann und die Liedästhetik seiner Zeit, in: Konferenzbericht der Telemann-Ehrung der DDR 1981, Magdeburg 1983, 2. Teil, S. 32 ff. 45 Übersicht zum Zyklus: VI MORALISCHE KANTATEN Nr. Aria Recitativo Aria 1 DIE ZUFRIEDENHEIT "Fraget nicht, vergnügte Freunde" A-Dur, 4/4-Takt, Mutig "Ich schätze den noch nicht beglückt" "Immerhin wird mein Sinn" A-Dur, 4/4-Takt, Lustig 2 TONKUNST "So fort, ihr angestimmten Töne" D-Dur, 4/4-Takt, Lebhaft "0 holder Klang" "Nur lustig voran, ihr erweckenden Saiten" D-Dur, 6/8-Takt, Munter 3 DAS MÄSSIGE GLÜCK "Der Glanz, wonach der Ehrgeiz zielet" G-Dur, 3/8-Takt "Ist noch ein Plätzgen auf der Welt" "Die Höhe hat Gefahr" G-Dur, 2/4-Takt 4 DIE LIEBE "Du bist ein tolles Ungeheuer" d-Iäoll, 4/4-Takt, Hurtig "Ein wenig liebt man von Natur" "Seufzer und Geduld" d-Moll, 2/4-Takt, Munter 5 .DIE LANDLUST "In euch, ihr grünen Auen" E-Dur, 6/8-Takt, Hirtenmäßig "Hier schießt mein Blick" "Laßt hier Gesang und Saiten schallen" E-Dur, 3/8-Takt 6 DIE FREUNDSCHAFT "Freunde, laßt uns besser lieben" . F-Dur, 4/4-Takt, Nicht langsam "Nicht jeder, den mit mir" 4 ---------—— "Es leben echte Freunde" F-Dur, 12/8-Takt, Lebhaft 46 Hotenbeispiele SM jt-±f, *1M Wŕ»V ty-Ailtt-A ■M'4l£l kjU tr's JMtüit, u»/ djM A»'~ CGik Wet/ *Ml y»rf.4W-y»' *» «L« -WVM —KM-, - • . - *r AW «feíA., «• <£*-&! jUd,' 4x*-Jum 4t/U#*A maüU. , . 48 7 «6fo AW $*-.*£■}. jLj S*!-t? **U-jbír C*»to Wc £#■»!». „it ttr-ii■ 4± 44-Já. W*té} =^t 49 50 Rüdiger Bernhardt DIE BESCHÄFTIGUNG DER DDR-IITERATUR MIT DER GESTALT UND DEM WERK MOZARTS I " ... und wie hat es denn nun der Herr Mozart gemeint ..." Dieser Satz aus Fritz Rudolf Fries' außergewöhnlichem Roman "Alexanders neue Welten" ist irritierend. Die Musikwissenschaftler können bis ins Detail belegen, wie es Mozart gemeint hat, und seit einiger zeit beteiligen sich auch Germanisten und Schriftsteller an der Deutungs- und Antwortsuche. Das Ergebnis ist eindeutig: Natürlich wußte Mozart, wie er es meinte. Aber nicht so eindeutig ließ sich die Frage bisher beantworten, wie wir glauben, daß er es gemeint haben könnte. Nach der Inszenierung des "Don Giovanni" an der Deutschen Staatsoper Berlin - die Premiere war am 13. Oktober 1985 - kam es zu heftigen Auseinandersetzungen über Inszenierung, Deutung und Vermittlung. Innerhalb dieser Auseinandersetzungen sind Positionen auffallend, die historisch herleitbar sind. Der Physiker Wolfgang Burkkardt z. B. sieht in Mozarts Opern "Botschaften an die Menschen, man denke nur an den 'Figaro' oder an die 'Zauberflöte'. Ich meine, sein Auftreten gegen die Sondermoral Privilegierter ist auch 2 heute noch sehr aktuell." In dieser Meinung treffen sich ein traditionell geschaffener Kanon Mozartscher Werke mit seiner Anwendung im Gegenwärtigen, wie es sich,z. B. auch in Volker Brauns "Hinze-Kunze-Roman" vollzieht. Völlig anders artikulierte der wissenschaftliche Mitarbeiter Klaus Harnisch seinen Eindruck als ein "schauderndes Vergnügen", in dem das "schauerliche Funktio- 3 nieren eines sozialen Mechanismus" erkennbar werde. Und wie hat es denn nun der Herr Mozart gemeint? Der Streit um die Inszenierung des "Don Giovanni" ist ein Indiz für sich verändernde Rezeptionsgewohnheiten, für das Zerbrechen eines vorhandenen gefestigten Kanons. Wie ist es zu ihm gekommen, und wo liegen die Ursachen dafür, daß er in Frage gestellt wird? Der suchende Germanist möchte sich orientieren, handelt es sich doch bei der Diskussion um die besagte Inszenierung auch um die Diskussion von Handlung und Text. Auf der Suche begegnet 51