Brüssel, den 21.10.2009 KOM(2009) 551 endgültig 2009/0164 (COD) Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes {SEK(2009) 1373}{SEK(2009) 1374} BEGRÜNDUNG KONTEXT DES VORSCHLAGS Gründe und Ziele Bei diesem Vorschlag handelt es sich um eine Neufassung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes[1] („Anerkennungsrichtlinie“ oder „Richtlinie“). Im Haager Programm wurde die Kommission aufgefordert, die Bewertung der Rechtsakte aus der ersten Phase abzuschließen und dem Rat und dem Europäischen Parlament Vorschläge für die Rechtsakte und Maßnahmen der zweiten Phase so vorzulegen, dass diese vor Ende 2010 angenommen werden können. In der Asylstrategie[2] schlug die Kommission vor, dass die zweite Phase des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems durch Anhebung der Schutzstandards und Gewährleistung ihrer konsequenten EU-weiten Anwendung abgeschlossen werden sollte. Der am 16. Oktober 2008 angenommene Europäische Pakt zu Einwanderung und Asyl („Pakt“) verlieh diesem Ziel weiteren politischen Rückhalt und gab neue Anstöße mit der Forderung, dass Initiativen ergriffen werden sollten, um die Einführung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zu vollenden und so ein höheres Schutzniveau zu bieten. Der Kommission liegen inzwischen umfassende Informationen über die Umsetzung der Richtlinie, deren begriffliche Unzulänglichkeiten und die Art und Weise ihrer Anwendung in der Praxis vor. - Im Juni 2007 legte die Kommission ein Grünbuch [3] vor, in dem Optionen für die Ausgestaltung der zweiten Phase des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zur Diskussion gestellt wurden. Im Zuge der öffentlichen Konsultation gingen bei der Kommission 89 Beiträge unterschiedlichster Provenienz ein, darunter Beiträge von vielen Mitgliedstaaten und NRO[4], in denen vielfältige Ideen für etwaige Änderungen der Richtlinie dargelegt werden. - Im Rahmen ihrer regelmäßigen Überprüfungen trug die Kommission Informationen über die Umsetzung und Anwendung der Richtlinie zusammen und zog zudem mehrere Studien des UNHCR und verschiedener NRO[5] zu Rate, in denen die Umsetzung der Richtlinie bewertet wird, sowie einen Bericht, den das akademische Netzwerk Odysseus[6] im Auftrag der Kommission ausgearbeitet hatte. - Weitere Daten wurden auf der Grundlage der ausführlichen Fragebögen , die die Kommission an die Mitgliedstaaten und die Zivilgesellschaft gerichtet hatte, erhoben. - Außerdem wurde im Auftrag der Kommission eine externe Studie erstellt, in der der aktuelle Erkenntnisstand sowie die Ergebnisse der Konsultationen und Fragebögen im Hinblick auf die Ausarbeitung der Folgenabschätzung zu diesem Vorschlag analysiert werden[7]. - Darüber hinaus veranstaltete die Kommission mehrere Sachverständigensitzungen , auf denen etwaige Änderungen der Richtlinie diskutiert wurden: eine Sitzung mit Richtern, Akademikern, Vertretern des UNHCR und ausgewählten Sachverständigen aus den Mitgliedstaaten am 26.6.2008, zwei Sitzungen mit Vertretern der Mitgliedstaaten (eine auf Sachverständigenebene am 19.11.2008 und eine weitere im Rahmen des Ausschusses für Einwanderung und Asyl am 12.12.2008) sowie zwei Sitzungen mit Vertretern von NRO am 8.1.2009 und 23.2.2009. Wie die Kommission anhand dieser Informationen feststellte, besteht ein Hauptproblem darin, dass die angenommenen Mindestnormen ungenau und unklar formuliert sind. Dies hat zur Folge, dass sie - nicht ausreichen, um die ungeschränkte Vereinbarkeit mit den sich weiterentwickelnden Menschenrechts- und Flüchtlingsrechtsnormen zu gewährleisten, - nicht zu einem hinlänglichen Harmonisierungsniveau geführt haben und - sich negativ auf die Qualität und Effizienz des Entscheidungsprozesses auswirken. Zu demselben Ergebnis gelangte die Kommission in Bezug auf die Richtlinie 2005/85/EG des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft („Asylverfahrensrichtlinie“)[8]. Der vorliegende Vorschlag wird zusammen mit der Neufassung der Asylverfahrensrichtlinie angenommen, um auf der derzeitigen Rechtsgrundlage ein höheres Maß an Harmonisierung und bessere materiell- und verfahrensrechtliche Schutznormen zu gewährleisten und somit, wie im Haager Programm gefordert, weitere Fortschritte im Hinblick auf die Einführung eines gemeinsamen Asylverfahrens und eines einheitlichen Status zu erzielen. Folgende Änderungen sind geplant: a) Vereinfachung der Entscheidungsverfahren, um zu tragfähigeren Entscheidungen in erster Instanz zu gelangen und somit Missbrauch zu verhindern ; b) Straffung der Verfahren für die Zuerkennung von Rechten und folglich Verbesserung der Effizienz des Asylverfahrens und c) Sicherstellung der Kohärenz mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Konkret bedeutet dies: a) Infolge der ungenauen und unklaren Formulierungen mehrerer Bestimmungen der Richtlinie ist es für die Entscheidungsträger schwierig, rasch zu tragfähigen Entscheidungen zu gelangen. Ferner hat der Umstand, dass Begriffe unterschiedlich ausgelegt werden können, oftmals Rechtsbehelfe und Folgeanträge sowie eine hohe Quote erfolgreich angefochtener ablehnender Entscheidungen zur Folge. Durch Reduzierung des Spielraums für Unsicherheit und Verwaltungsfehler, Präzisierung der Rechtsbegriffe und damit Vereinfachung ihrer Anwendung gewährleistet der Vorschlag, dass die Behörden besser in der Lage sind, unbegründete und missbräuchlich gestellte Anträge und generell Anträge zügiger zu bearbeiten und zu tragfähigen Entscheidungen zu gelangen, die bei Einlegung eines Rechtsbehelfs in der Regel nicht revidiert werden müssen, so dass sich langwierige Rechtsstreitigkeiten vermeiden lassen. Dies wird auch zur Folge haben, dass Personen, die tatsächlich Schutz benötigen, die in der Richtlinie vorgesehenen Rechte schneller in Anspruch nehmen können, dass die Mitgliedstaaten gleichzeitig eine bessere Handhabe haben, um abgelehnte Asylbewerber rasch aus dem betreffenden Hoheitsgebiet abzuschieben, und dass das gesamte Verfahren an Glaubwürdigkeit gewinnt. b) Außerdem zielt der Vorschlag darauf ab, die Verfahren zu straffen und den mit der Beibehaltung von zwei Schutzstatus verbundenen Kosten- und Verwaltungsaufwand zu reduzieren . Aufgrund der Angleichung der Rechte, die den beiden Gruppen von Schutzberechtigten zuerkannt werden, brauchen die Behörden künftig keine unterschiedlichen Bedingungen und Verfahren für die Ausstellung von Aufenthaltstiteln und Reisedokumenten sowie für die Gewährung von Zugang zur Beschäftigung, zur Sozialhilfe, zur medizinischen Versorgung und zu Leistungen für Familienangehörige sowie zu Integrationsprogrammen mehr anzuwenden. Die entsprechenden Verwaltungsverfahren werden gestrafft und die mit der Schaffung und Beibehaltung verschiedener Infrastrukturen verbundenen Kosten verringert. c) Soweit die Flüchtlings- und Menschenrechtsverpflichtungen Gegenstand einer sich ständig weiterentwickelnden verbindlichen Auslegung seitens der zuständigen nationalen und internationalen Gremien und Gerichte sind, soll mit dem Vorschlag zudem sichergestellt werden, dass die Vorgaben der EU-Rechtsvorschriften uneingeschränkt mit den seit Annahme der Richtlinie durch die einschlägige Rechtsprechung des EuGH und des EGMR weiterentwickelten Normen vereinbar sind . Was den finanziellen und bürokratischen Aufwand für geplante Maßnahmen von Mitgliedstaaten anbelangt, deren Asylsystem vor allem aufgrund ihrer geografischen oder demografischen Lage einem besonderen und unverhältnismäßigen Druck ausgesetzt ist, so werden Mittel des Europäischen Flüchtlingsfonds bereitgestellt, um die betreffenden Mitgliedstaaten in geeigneter Weise zu unterstützen und eine gerechtere Lastenteilung zwischen allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Außerdem wird das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen gemeinsame Maßnahmen zugunsten besonders belasteter Mitgliedstaaten koordinieren und unterstützen und generell den Mitgliedstaaten dabei helfen, die kostengünstigsten Möglichkeiten zur Durchführung der geplanten Maßnahmen durch gemeinsame Nutzung bewährter Praktiken und den strukturierten Austausch von Fachkenntnissen von hohem Niveau zu bestimmen. Allgemeiner Kontext Für die erste Phase des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems hatte der Europäische Rat auf seiner Tagung in Tampere das Ziel vorgegeben, die rechtlichen Rahmenbedingungen der Mitgliedstaaten auf der Grundlage gemeinsamer Mindestnormen zu harmonisieren. So wurde die Anerkennungsrichtlinie angenommen, um gemeinsame Kriterien zur Bestimmung der Personen, die internationalen Schutz benötigen, festzulegen und sicherzustellen, dass diesen Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen geboten wird. Mit dem vorliegenden Vorschlag sollen die Mängel beseitigt werden, die in den Asylvorschriften der ersten Generation festgestellt worden waren; außerdem sollen bessere und einheitlichere Schutzstandards gewährleistet und somit, wie in den Schlussfolgerungen von Tampere gefordert und im Haager Programm bekräftigt, weitere Fortschritte im Hinblick auf die Einführung eines gemeinsamen Asylverfahrens und eines einheitlichen Status erzielt werden. In der Folgenabschätzung zu diesem Vorschlag werden eingehend die Probleme erläutert, die sich bei dieser Richtlinie stellen, sowie die Vorarbeiten zu ihrer Neufassung und die verschiedenen Lösungsoptionen, einschließlich der Option, der hier der Vorzug gegeben wird. Übereinstimmung mit anderen Maßnahmen und Zielen der Union Dieser Vorschlag steht in Bezug auf die Schaffung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in vollem Einklang mit den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere aus dem Jahr 1999 und dem Haager Programm von 2004. ANHÖRUNG DER INTERESSIERTEN KREISE Die Vorschläge, die anlässlich des Grünbuchs vom Juni 2007 vorgelegt wurden, und die oben erwähnten Studien zur Bewertung der Umsetzung der Richtlinie lieferten der Kommission wertvolle Informationen zu den Aspekten, die in dem Änderungsvorschlag aufgegriffen werden müssen. Wie oben bereits näher erläutert wurde, organisierte die Kommission außerdem eine Reihe von Anhörungen, damit die Grundzüge der vorgeschlagenen Änderungen informell mit Vertretern der Mitgliedstaaten, von NRO und des UNHCR, mit für Flüchtlingsrecht zuständigen Richtern und mit Akademikern erörtert werden konnten. Die Befragten sprachen sich für eine weitere Harmonisierung der Schutzgründe und des Inhalts des zu gewährenden Schutzes aus. Uneinig waren die Mitgliedstaaten in der Frage der Ausweitung der Definition des Begriffs „Familienangehörige“ und hinsichtlich der Änderung der Definition einer „bestimmten sozialen Gruppe“. Weitgehendes Einvernehmen bestand zwischen den Mitgliedstaaten darin, dass die mit dem Flüchtlingsstatus und dem subsidiären Schutzstatus verknüpften Rechte zwar angeglichen werden müssen, aber zwei separate Status beibehalten werden sollten. Dagegen befürworteten die Vertreter des UNHCR und der Zivilgesellschaft die Einführung eines einzigen einheitlichen Status. Die Beteiligten wiesen ferner nachdrücklich darauf hin, dass Artikel 15 Buchstabe c präzisiert werden muss. Die Kommission schlägt einen pragmatischen Ansatz vor: So soll die Definition des Begriffs „Familienangehörige“ dahingehend ausgeweitet werden, dass die Kohärenz mit den Vorschlägen zur Änderung der Dublin-Verordnung[9] und der Richtlinie über die Aufnahmebedingungen[10] gewährleistet ist. Was die Definition des Grundes „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ anbelangt, so sollen vor allem konkretere Anhaltspunkte für die Bedeutung geliefert werden, die geschlechtsspezifischen Aspekten beizumessen ist. Darüber hinaus zielen die Änderungen darauf ab, alle Unterschiede bei der Behandlung der beiden Gruppen, die nicht als sachlich gerechtfertigt anzusehen sind, zu beseitigen, um unter Beibehaltung der Unterscheidung zwischen den beiden Status zu einem einheitlicheren Schutz zu gelangen. Die Forderung, wonach eine „ernsthafte individuelle Bedrohung“ gemäß Artikel 15 Buchstabe c vorliegen muss, wurde vom EuGH in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 in der Rechtssache C-465/07[11] ausgelegt. Der Gerichtshof legte die Bedingungen fest, unter denen eine solche Bedrohung für einen Antragsteller, der aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen nicht spezifisch betroffen ist, ausnahmsweise als gegeben angesehen werden kann, und gab Empfehlungen dazu ab, inwieweit der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt als Kriterium heranzuziehen ist, wenn bewertet werden soll, ob eine ernsthafte individuelle Bedrohung vorliegt. In diesem Zusammenhang überprüfte der Gerichtshof die Logik, die Struktur und den Wortlaut mehrerer Bestimmungen der Richtlinie und stellte fest, dass sie alle diese Auslegung in kohärenter Weise bestätigen und mit ihr in Einklang stehen. Außerdem kam er zu dem Schluss, dass diese Auslegung in vollem Umfang mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), einschließlich der Rechtsprechung des EGMR zu Artikel 3 EMRK, vereinbar ist. Angesichts der in diesem Urteil enthaltenen Auslegungsempfehlungen und des Umstands, dass die entsprechenden Bestimmungen als mit der EMRK vereinbar eingestuft wurden, wird daher eine Änderung von Artikel 15 Buchstabe c nicht als notwendig angesehen.