Helene Hegemann: AXOLOTL ROADKILL 152 Die Hochzeit steigt in einer 400 Quadratmeter großen Wohnung im Westen. Wir haben uns sechs Stockwerke hochgequält und stehen schwer atmend vor einem offenen Türspalt, durch den sich eine vertretbare Bassline ihren Weg nach draußen erkämpft. Raus aus dieser unerträglich zwanglosen, halbprivaten Partyscheiße. 153 Als ich an mir runtergucke, stelle ich fest, dass ich seit schätzungsweise vier Tagen ohne Unterbrechung einen Wollpulli mit Eichhörnchen- Applikationen trage. Und seit mehr als sechs Stunden, das mache ich mir dann währenddessen auch noch kurz bewusst, umkrallt meine rechte Hand diese mit Süßwasser und dem Axolotl gefüllte Plastiktüte. »Ist doch ein super Hochzeitsgeschenk«, sagt irgendjemand, und ich antworte: »Ich bin kein Verbrecher, ich sehe nur im Moment schlecht aus.« Das Axolotl lächelt nicht mehr. Die Wohnung ist überfüllt mit an ihren Getränken nippenden Menschen, Asymmetrie, Hysterie und Satin, also alles, was gute Partykleider ausmacht, und teilweise haben die Gäste sich irgendeinen Glitzerscheiß ins Gesicht geschmiert. Die Umgebung ist mir etwas zu holzvertäfelt. Ich bleibe im Türrahmen des zu einem stark frequentierten Chill-out umfunktionierten Badezimmers stehen und beobachte Hersilie, die vor wenigen Wochen in der Lobby des Maritim Grand Hotels auf einem herumstehenden Flügel Killing me softly für mich gespielt hat, nach zwei Bacardi für zwölf Euro pro Stück. Sie sitzt momentan auf einem Badewannenrand und disqualifiziert sich vor zwei gelangweilt dreinblickenden Männern, indem sie wild gestikulierend ein mit ihrer Vorliebe für Strickmode einhergegangenes Fickdesaster nacherzählt. Ich höre gleichermaßen entsetzt und belustigt zu, als mich plötzlich ihr zu Tode verzweifelter Freund Georg aus dem Türrahmen reißt. Warum trägt dieser Scheißkerl einen Pelzmantel und zwei Sonnenbrillen übereinander? Er sagt: »Scheiße, kannst du bitte irgendwas unternehmen?« »Ich fühle mich heute mal für absolut nichts verantwortlich, Georg, ich bin hier nur als diskutierende Füllmasse hingekommen, gemeinsam mit meinem Axolotl.« »Mifti, die beiden Typen da sollen mein nächstes Projekt mit diesen in Prospekthüllen eingeschweißten Alltagsgegenständen finanzieren, und außerdem sind sie voll die humorfreie Zone. 153 Wenn sich da morgen in deren Büro in Erinnerung gerufen wird, dass Hersilie zu mir gehört, halten die mich für vollkommen indiskutabel. « »Hersilie ist deine Freundin, Sweetheart!« »Was soll ich denn deiner Meinung nach bitte schön machen jetzt?« »Überhaupt nichts. Sei doch mal froh, dass sie im Gegensatz zu der humorfreien Zone da drüben immer ihr eigenes Partyzelt dabeihat.« »Aber kann sie dieses Partyzelt nicht wenigstens heute mal abstreifen? « »Ich glaube ehrlich gesagt, ihr Partyzelt ist festgewachsen.« »Ach du Scheiße.« »Was ist dir lieber, Georg? Kollektive Verkrampfung im Arsch oder …« Ein angestrengter Typ in Polyestershorts drängt sich zwischen uns und will mitdiskutieren, ich habe ihn, soweit ich weiß, noch nie zuvor gesehen. »Kollektive Verkrampfung im Arsch? Wie kommt denn so was zustande?« Georg mustert den Typen und sagt: »Äh, Mifti, kennt ihr beide euch schon? Das ist, äh …« »Ja, ich glaube, wir kennen uns, du bist … Scheiße, warte, ich weiß genau, dass wir uns kennen, ähm…« »Ich bin Geschmeido, wir wurden uns mal auf dieser Party vorgestellt, wo man nur mit diesen Buttons reinkam, auf denen ›Ich will ficken‹ stand. Gestern habe ich mit deinem Bruder geschlafen.« »Mmh.« Und Georg sagt, kurz bevor er feststellt, dass er damit die Situation verkackt hat und blitzschnell verschwinden muss: »Ach Kleini, mach dir nichts draus, ich kann mich auch nicht an den Typen erinnern.« Ich gucke Geschmeido an. Er sieht inzwischen wirklich scheiße aus. 155 »Ich war sogar anwesend, als du mit meinem Bruder geschlafen hast.« »Krass, stimmt ja, entschuldige.« Er umarmt mich und röchelt irgendeinen zusammenhangslosen Scheiß. Ich bin kurz davor, ihm kommentarlos den Rücken zuzukehren, bis er zu dem Gestammel plötzlich noch klar und deutlich hinzufügt: »Also wenn man so wie du durch zwei Pullover durchschwitzt, dann ist schon ganz schön was im Busch.« »Hä?« »Irgendwie scheint dein Körper ziemlich harten Dreck abzusondern gerade. Vorhin hast du halt einfach mal hardcoremäßig durchgeschwitzt, sowohl durch deinen als auch durch meinen Pullover!« »O Mann.« »Ja.« »Bis später.« Die überdimensionale Neutralität der Situation interessiert mich nicht, der lieblos an der Zimmerdecke festgeklebte Disko - kugelwolfskopf interessiert mich nicht, und dieser sich aus allen Himmelsrichtungen auf die Heftigkeit meines Pulsschlags auswirkende Beat interessiert mich nicht, obwohl mein Blutdruck kurz davor ist, irgendein für die Eigenversorgung des Lungengewebes zuständiges Gefäß zerplatzen zu lassen. Von weitem sehe ich Jürgen, dessen Freudengeschrei zu dreißig Prozent auf meine Anwesenheit und zu siebzig Prozent auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass hier die ganze Zeit irgendein beauftragter, angeheirateter Großunternehmer rumläuft und ausgewählten Gästen ungefragt bis zu drei Gramm Koks in deren Arschtaschen steckt. Ecstasybowle ist ebenfalls vorhanden. Alles, was ich will, ist Wasser. Einen Plastikbecher mit Wasser, das diese Scheißatemnot irgendwo an - ders hinspült und mich wieder etwas anderes sein lässt als diese fleischgewordene, megaklaustrophobisch einen aus T-ShirtÄrmeln rausstehenden Ellbogen nach dem anderen abkriegende 156 ANGST. Mich interessiert nicht, dass Gloria und Thomas sich gerade vor den perfekt zurechtgemachten Augen ihrer dreihundert Bekannten den Namen des jeweils anderen tätowieren lassen, auf einem kleinen Podest liegend, mit an ihrem Hochzeitsdress befestigten Engelsflügeln. Jubelgeschrei, durchsichtige Plastikstühle, Ker zenlicht, die Schulter eines Mannes mit eng zusammenstehenden Augen, auf der ich gerade versehentlich mein Kinn abgelegt habe. Ich fange an zu spüren, wie unfassbar gut der aussieht in seinem vermutlich von irgendeiner Jungdesignerin geflockt bedruckten Mottosweatshirt. Er steht kurz still, mit meiner rechten Hand in seiner, bis ich mich entspanne und er näher kommt und sagt: »Du darfst übrigens ruhig atmen.« »Ich kann irgendwie nicht mehr atmen.« Meine Hand an seinem Nacken, abwechselnd flach auf seiner Schulter oder zusammengeballt wie eine Faust. Sein Bauch und seine Oberschenkel an meinem Bauch, an meinen Oberschenkeln. Meine Lippen, schrecklicherweise in der Nähe seines Ohrs. Die leichteste Veränderung des Drucks seiner Hand auf meinem Rücken verändert unsere Bewegung. Weil ich auf jede erdenkliche Weise versuche, mir meine Zärtlichkeit zu erhalten, sage ich unglaublicherweise den schrecklichen Satz: »Fass mich an.« Er legt seine Hand etwas zu energisch auf meinen Kopf, und ich zittere, wegen dieser Dinge die in mir aufsteigen, wegen dieser Scheißsituation und meiner Lebenslust, was soll ich tun, er braucht nur noch einmal die Hand nach mir auszustrecken, ich sehe mir das alles ohne die geringste Reaktion an, seine Finger versuchen, meine fettigen Haare zu enttorken, der ganze Horror verschwindet durch den Abfluss, und sobald nur eine Spur Ver - langen im Spiel ist, erstarre ich wie ein kleiner vom Blitz getrof - fener Scheißschlaukopf. Als er mich küsst, bedeutet das Krieg. Ich gucke auf einen Spuckefaden, den ich zwischen pechschwarzen Bartstoppeln auf seiner Wange hinterlassen habe und drehe mich um. 157 Er keift mir hinterher: »Was schleppst du da eigentlich die ganze Zeit für ein Scheißtier mit dir rum?« Inzwischen hat sich auch Glorias Taxifahrervater tätowieren lassen. Wie schön. Er kann jetzt das in seinen Unterarm gemeißelte Gesicht von Rudi Carrell durch Neukölln spazieren tragen. Ich wichse in die Bodylotion meiner Schwester. Im äußeren Rand meines Blickfelds platziert sich Ophelia momentan so, dass sie sehen kann, welche Platte Emre als Nächstes auflegt. Ich finde es geil, wenn sich die Schlampe mit meinem Sperma einreibt. Er hat ihr nicht nur widersprüchliche Gefühle eingebrockt, sondern den allergrößten Dreckscheiß ihres Lebens. Den liebte sie nämlich. Er war der Erste, den sie ernsthaft geliebt hat, der Arsch. Und normalerweise schreit er den ganzen Tag »GOOD LIFE« in einem sonnendurchfluteten Apartment in London. Die beiden hatten eine kranke Passion für Brian Wilson von den Beach Boys, weil der ist so sick und so, Pet Sounds ist ja auch nur dunkel dunkel dunkel. Ich hab mich mit diesem ganzen komplizierten Beziehungsproblem im letzten Herbst mal unter einer japanischen Zierkirsche vor Ophelias Haustür behelligen lassen. »Ich liebe die Welt, ich liebe Fohlen, ich liebe Adjektive, genau wie du, ich liebe den Görlitzer Park, ich liebe Frauen. Und Männer sind halt irgendwie beschränkt«, sagte sie. »Ich habe mit zwölf einen ganzen Roman geschrieben, der nur aus Songtexten von Nick Cave zusammengeflickt war. ›Next to me lies the print of your body plan like the map of a forbidden land.‹« O-Ton Bryan Ferry: Where would you go if you were me? Weit und breit hassverzerrte, erfolglose Gesichter. »Was, joggen, hä?« »Gehst du noch joggen auf dieser Tartanbahn am Mauerpark?« »Nein, nur noch Yoga.« »Ich bin mir ja 158 nicht ganz sicher, ob ich das Girl da vorne interessant oder traurig finden soll.« »Aber beim Yoga wird man halt immer so scheiße mit dem Rücken an die Wand gebunden und muss sich dann in der, scheiße, wie heißt die denn, Hundestellung? Joey, heißt das Hundestellung, kennst du dich damit aus?« »Das ist die megaminderjährige Schwester von dieser Marketingtante und dem coolen Wörterdschungelbruder.« »Armes junges altkluges Mädchen.« »Hund, genau.« »Aber interessant zu sehen, was passiert, wenn man so einem todlangweiligen Teenagerdrama mal eine Bühne gibt.« »In diesem Hund muss man sich dann jedenfalls beim Yoga immer über komische übereinandergestapelte Klötze bücken, und danach tut mir grundsätzlich der Rücken voll weh.« »Finde ja diese wertschätzende Haltung ihr gegenüber immer so krass. Warum wird so was sechzehnjähriges, ständig ins Hardcorearrogante Abrutschendes, Kommunikationsfloskeln Bedienendes zu so einer Party eingeladen? Geht die noch zur Schule?« »Was für Klötze?« »Die ist drogenabhängig, wie soll die noch zur Schule gehen.« »Würde der sogar zutrauen im Deutschunterricht zu fragen, ob sie kurz mal in den Chemieraum kann, Heroin über irgend - einem Bunsenbrenner fertigmachen.« »Klötze?« »Bin auch voll genervt von der. Tut irgendwie so, als hätte sie die Pubertät übersprungen und kämpft jetzt damit, sie nicht aufholen zu müssen. Kann auch gar nicht richtig zuhören, diese Floskelgeredescheiße und das ständige ›Ja, ja‹ in allen an sie gerichteten Fragen – wie schwer ist das denn bitte zu ertragen.« »Was für Klötze meint der denn?« »Hab ’ne Bekannte in ähnlichem Alter mit ähnlicher Rede, superanstrengend, erfahrungsgemäß wird dazu geneigt diese Scheißsorte Mensch maßlos überzubewerten.« »Na ja, Klötze. Klötze halt. So viele verschiedene Sorten Klötze gibt es ja auch nicht.« »Stimmt übrigens irgendwie, Altklugheit spielt da auch eine ganz, ganz große Rolle.« 159 Ich bin ein böser Mensch. Ich bin ein kranker Mensch. Aber hauptsächlich bin ich der einzige Mensch hier weit und breit, der ernsthaft von sich behaupten kann, durch und durch skrupellos zu sein, trotz seiner jahrelang innegehaltenen Antigrößenwahnposition und dem ununterbrochen in die Welt geschrienen: »Im Endeffekt verläuft alles nach den fundamentalen Gesetzen des gesteigerten Bewusstseins und der Trägheit, die sich aus diesen Gesetzen ergibt, folglich ist alles relativ ›und nichts kann geändert werden und wenn wir schon leben müssen, dann bitte schön in einem netten französischen Schlösschen, tschüs‹-Lebensgrundsatzgedöns.« Worauf ist diese Skrupellosigkeit zurückzuführen? Auf meine Abgeklärtheit? Die Bügeleisennarbe auf meinem Rücken? Darauf, dass mir beigebracht wurde, auf die Frage: »Du wirst wohl lieber in den Arm genommen, als dass du jemanden in den Arm nimmst« zu antworten: »Ja, schon von Geburt an«? Auf meine kaputtgeschlagenen Kniegelenke? Auf meine Temperaturunempfindlichkeit, die auf meiner Haut ausgedrückten Zigaretten, auf irgendeinen genetischen Defekt, durchgebrannte Synapsen und diese ganze Wut darauf, dass ich jeden Morgen in einem generalisierten Angstzustand aufwachen muss? Mir bereitet es keine Schwierigkeiten, dabei zuzusehen, wie einer Sechsjährigen bei vollem Bewusstsein gleichzeitig mit kochendem Schwefel die Netzhaut ausgebrannt und irgendein Schwanz in den Arsch gerammt wird, und danach verblutet sie halt mit weit geöffneten Augen auf einem Parkplatz. Ich habe aufgehört, mich mit dem Gedanken an eine grüne Wiese in diese gesellschaftlichen, friedlichen und politisch korrekten Normen zurückzuintegrieren, sobald so eine Gewaltphantasie aus den Tiefen meines Unterbewusstseins hervortritt. »Lasst mich hier raus«, waren die ersten Worte, die ich lernte. Von mir werden Orakelsprüche erwartet, ich soll den Teufel performen, das Vakuum, Erwachsenenwörter aneinanderreihen, ohne sie zu verstehen. Es ist megahart, ein Indivi- 160 duum zu sein. Die natürlichen Bedürfnisse eines Kindes zu befriedigen. So was hat mir nie das Geringste gegeben. Ich habe Sandkuchen grundsätzlich nur dann gebaut, wenn die Möglichkeit in der Luft lag, wenigstens einen mit Kühltasche und Eistee ausgestatteten Erwachsenen auf der gegenüberliegenden Spielplatzbank davon zu begeistern. Genau dieser Impuls ist eigentlich das Einzige, was übrig geblieben ist aus »meiner schweren Kindheit«. ICH KANN EUCH MÜHELOS DIE ZARTEN FREUDEN BIETEN, DIE MIR MEIN LEBEN LANG VERWEHRT BLIEBEN, LEUTE!! Es hagelt an die Fenster. Das ist kein sanfter Regen, sondern etwas, das folgenschwer durch die Knochen geht, der Himmel färbt sich dunkelrot, du sitzt in deinem Multimediasessel in Lederoptik, du kannst dich nicht bewegen, und wenn du aufstehst, bist du tot. Wenn der Film reißt, zerfällt die Welt. Tausend Monster überziehen den Planeten, zwischen Menschen im Dreck, sie kriechen aus der feuchten Erde und aus deinem Zentralnervensystem, und während du noch versuchst, dich gegen sie zu wehren, trägst du bereits verzückt ihr Zeichen auf der Stirn. Ich liege auf dem Boden und lasse mich von ihnen zertreten. Sogar jetzt lüge ich. Ich lüge, weil ich eigentlich genau weiß, wonach ich mich sehne. Glauben Sie ernsthaft, dass ich mir die behauptete Dringlichkeit abnehme von all dem halbspießigen Bullshit, den ich innerhalb der letzten acht Monate geschrieben habe? Ich schwöre, dass ich kein einziges, absolut kein einziges meiner mit diesem Tagebuch in Zusammenhang stehenden Worte glauben kann. Das heißt, ich glaube an die Worte, ich weiß, dass sie der gemeingültigen Auffassung von Wahrheit entsprechen, aber gleichzeitig bereitet es mir ganz erhebliches physisches Unbehagen, zu behaupten, das alles sei in irgendeiner Form berechtigt. Die Aufregung darüber, dass der Begriff des Hundes nicht bellt, steht 161 mir offenbar ziemlich gut. Die Entrüstung, die Trauer darüber könnte man sogar sagen. Handgeschöpftes Büttenpapier hat seine Berechtigung. Heroin hat auch seine Berechtigung, das steht völlig außer Frage. Dostojewski, hilf mir! Dich fasziniert dein Gesicht im Spiegel, und wie es sich verhärtet, doch besser drehst du dich zur Wand und siehst es nicht. Ihr verfickten Scheißpersonen hier überall, die ihr euch ausschließlich für irgendein euch zwei Auslandssemester in Peking ermöglichendes Praktikum interessiert, oder meinen schwer einzuordnenden Kleidungsstil! Mich interessieren Weltkriege, abgetrennte Köpfe mit noch immer perfekt sitzenden Frisuren und nicht der Satz: »Wahnsinn, ab und zu trägst du am Ostersonntag durchlöcherte Schlaghosen und zwei Tage später dann plötzlich ein Kleid, welches dich und dein Umfeld direkt ins 19. Jahrhundert zurückkatapultiert.« Ich sitze überanstrengt auf einer Klobrille. Das Axolotl hängt an dem nicht mehr funktionstüchtigen Abschließscheiß der Toilettenkabine. Mit der einen Hand versuche ich, die Tür zuzuhalten, und mit der anderen tippe ich eine SMS an Edmond in mein Telefon. Ich spüre, dass ich WIRKLICH wahnsinnig werde, jetzt ist es also so weit. Möge kommen, was wolle. 0 Uhr 12. »Lieber Edmond, ich wollte dir nur kurz sagen, dass ich dich liebhabe. Du wirst dich sicher fragen, warum ausgerechnet jetzt. Das weiß ich ehrlich gesagt auch nicht so genau. Ich hab heute da in der Küche dieses Kartoffelbrot gesehen und fand das Wort so unglaublich niedlich und den Vorgang, dass du einkaufen gehst und vor dem Brotregal stehst und denkst: Hey, geil, da ist ein Brot, das Knolli heißt, vielleicht sollte ich das einfach mal mitnehmen. Hat auch super geschmeckt. Bis morgen. PS: Dürfen das 162 alles nur Kranke sein? Oder Totgesagte? Ich leide jetzt schon so unter den Leiden der anderen. Modelliere bitte deine Krankheit, betreibe bitte neurolinguistisches Programmieren und sag bitte allen, dass sie mich verfickte Scheiße noch mal einfach nur in Ruhe lassen sollen.« »Liebe Mifti, meine Freundin Sarah dachte schon, du wärst ’ne Ostdeutsche, weil du Scheiblettenkäse kaufst.« Als ich mich umgucke werde ich von der Tatsache erschüttert, dass kein Klopapier mehr am Start ist. Draußen steht eine Schlange hysterischer Kerle, ich sitze auf dem Männerklo. »Ey Babys, ihr kokst am besten irgendwo anders, wir müssen echt kacken.« Ich zerre mich über die Grenze zur Nachbartoilette und muss ausschweifend und wortgewaltig einem etwa neunzehnjährigen, oberkörperfreien Schwaben erklären, dass er auf der Stelle zurück nach Stuttgart gehen soll. Daraufhin wird mir eine durchnässte Rolle Papier ausgehändigt. Mir ist schwindelig, als ich mich an der Schlange vorbei zurück in die Menschenmasse kämpfe, und auf einmal lodert Panik in mir auf, ein mein komplettes Innenleben ankokelndes Feuer, das die Kehle entlangwütet. O. k., jetzt also auch noch das, zwischen verschwitzten Gesichtern, an denen rotbraungefärbte Haarsträhnen kleben bleiben, kann ich mir weiß Gott was Vertretbareres vorstellen, als ausgerechnet in diesem Ambiente einer Panikattacke zum Opfer zu fallen. Jeder in meine Richtung abgeschossene Blick verwandelt sich in einen Pfeil, der mich trifft und den ich vor lauter Paranoia, anstatt ihn rauszuziehen, so tief in meinen Körper reinbohre, dass ihn niemand mehr sehen kann. Vor mir reihe ich die als Nächstes zu bewältigenden Arbeitsschritte aneinander – aus der Wodka - lache aufstehen, die durchnässten Schnürsenkel zumachen, nach Hause fahren oder zumindest Nachtluft schnuppern an einem 163 weit geöffneten Fenster. Zu blockiert, meine Arme bewegen sich nicht, meine Knie geben nach, meine Augen können nichts mehr fixieren, und das alles mit zehn Zentimeter langen Pfeilspitzen in meiner Rippengegend, die sich ineinander verkeilt haben. Ich will heulen, das funktioniert nicht, ich will mich an den von Ophelia vor meiner ersten Ecstasypille geäußerten Satz: »Das geht vorbei« erinnern, und auch das funktioniert nicht, weil sich inzwischen nicht mehr die routinierte Frage nach der Dauer des Horrors stellt, sondern nur noch zwei dunkel vor mir aufleuchtende Möglichkeiten am Start sind: Entweder ich überlebe das und kann ab morgen beschließen, nie wieder Drogen zu nehmen, ich werde mir das auf einen Zettel schreiben: DAS ZEUG IST NICHT GUT FÜR DICH! Und danach drei Wochen einen Sexkino Idyllenzeitraum veranstalten, abwechselnd Pornos und Spaghetti Sorrentina und Erziehungsratgeber. Oder aber: Ich sterbe jetzt. Foxi streckt mir seine Hand entgegen, es kostet mich sehr große Überwindung, mich von ihm hochziehen zu lassen, kurz an der Wand anzulehnen und dann drei Schritte zur nächstgelegenen Abstützmöglichkeit zu stolpern. Es ist Alessa. Unter ihrem fetten Make-up ist inzwischen ein großer roter Pickel zutage getreten, von An - gesicht zu Angesicht mit den Pickeln eines anderen konfrontiert zu werden ist natürlich immer ziemlich schwierig, und sie sagt: »Mifti, das tut mir ja so leid mit dem Heroin, soll ich dir den Finger in den Hals stecken?« Irgendjemand brüllt: »Ha ha, Heroin, wie out ist das denn.« Ich weiß, was ich antworten will, mache den Mund auf, und meine Stimme versagt, quäle mir ein halbes Nicken raus, das mich voll überanstrengt, quäle mich vier Schritte weiter durch inhaltsloses Rumgetanze in eine Richtung, die ich mir nicht ausgesucht habe und fühle nur, wie irgendwelche abgesonderten Flüssigkeiten meinen Rücken runterströmen. Sieben Schritte bis ich zu dem kleinen Geländer einer Wendeltreppe komme, an dem ich mich eine Wahnsinnsmenge unregelmäßiger Stufen hochziehe. Irgendjemand schreit: »Ey, die da vorne geht 164 aufs Dach! Schatz, du darfst nicht aufs Dach, die lassen hier niemanden mehr aufs Dach nach null Uhr, weil die Chance besoffen da runterzustürzen bei ungefähr neunundneunzig Prozent liegt.« Am Ende der Wendeltreppe ist eine kleine Luke. Ich stemme sie auf, indem ich sowohl mich selbst als auch die kleine Menge verbliebener Kraftreserven in mir zusammenreiße. Kalter Wind, es fühlt sich an, als würde ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich atmen. Dreiminütiger Kurzurlaub im Teutoburger Wald. Ohne bewusst miterlebt zu haben, wie mein Körper das bewerkstelligt hat, stehe ich endlich wieder fest auf beiden Beinen, auf der Mitte des Daches, mit einem Ausblick auf Berlin, der tiefste Gerührtheit in mir auslöst. Allein im Westen der Stadt entdecke ich von hier oben auf Anhieb drei brennende Mülltonnen. Als ich mich umdrehe, sehe ich in einer Entfernung von etwa hundert Metern eine kleine Gruppe einander die Hände schüttelnder Leute, aus der ein Umriss in einem Rhythmus auf mich zusteuert, der mir bekannt vorkommt. Das Format der Handtasche kommt mir bekannt vor. Das Geräusch der Absätze kommt mir bekannt vor. Sie ist noch immer zu konditioniert, um auf den Ballen zu gehen. Dann steht sie plötzlich vor mir, in einem souverän gehaltenen Abstand, hebt langsam die Hand und fährt sich links und rechts durch die Haare, und ich muss lächeln, weil das so typisch für sie ist. Und anders als früher. Es ist, als würde ich sie gerade noch mal kennenlernen, obwohl sie sie ist. In zweitausend anderen Ländern, in zweitausend Wohnungen, in der Hölle, im Himmel, wird sie immer sie sein. Ich gucke sie an, sie guckt mich an, wir stehen da wie zwei Eichhörnchen in diesen Zeichentrickfilmen und stellen im Dornengestrüpp plötzlich fest, dass die komplette Außenwelt in Anwesenheit des anderen ruhigen Gewissens ausgeklammert werden kann. Keine Ahnung wie lange. Mein Zeitempfinden wird von etwas 165 anderem überschattet. Es sind vielleicht zwei Minuten Stille oder zwei Stunden, jedenfalls ist das alles unfassbar, der Schweiß auf meiner Haut wird zu einer meinen Körper einhüllenden Eisschicht. Mein Gesicht versteinert sich und mein Mund steht offen. Alice. O. k. Ich habe bereits angefangen, es stilvoll zu finden, dich als verflossene Legende zu hypen, und jetzt stehst du hier in meiner endlich einsetzenden Regenerationsphase plötzlich vor mir, starrst mich an, und gezwungenermaßen normalisiert sich mein Herzschlag. »Hast du dir weh getan?«, sagt sie. »Wie bitte?« »Hier fällt ungefähr dreißig Mal pro Nacht irgendjemand die letzte Stufe hoch. Hab so ein Gestöhne gehört und dachte: Scheiße, schon wieder.« LIEBER GOTT, ICH VERLANGE JA NICHT, DASS SIE AUF IHRE UNDURCHSICHTIGKEIT VERZICHTET, ICH VERLANGE NUR EIN GANZ, GANZ KLEINES STÜCKCHEN FREIHEIT!!!!!! »Hab ich gestöhnt?« »Du hast irgendein Geräusch gemacht.« »Ich bin einfach nur ein bisschen überfordert.« »Ja, das bin ich auch oft.« »Weiß ich.« »Ähm …« »Warum bist du so?« »Ich glaube, du hast Fieber, ist alles in Ordnung?« »Was soll denn bitte in Ordnung sein?« »Schatz?« »Es ist nichts.« »Genau das wollte ich hören.« »Ich frage dich jetzt am besten mal, was du hier machst.« »Auflegen. Und zwar in zehn Minuten. Wenn du noch ein Getränk willst, sagst du mir am besten JETZT Bescheid.« 166 »Nein.« »Mifti?« »Ja?« Sie atmet ein und genau darauf habe ich gewartet, auf dieses Fünkchen Ehrlichkeit in ihrem Gesicht, darauf, dass jede ihrer Regungen in Zeitlupe abläuft, dass die Zeit sowieso irgendwie stehen - bleibt und man sich wieder anguckt und weiß, was bisher passiert ist und jedes Getränk und jeder Job vollkommen egal ist plötzlich. »Verabscheust du mich?« Und dann überkommt mich plötzlich irgendwas. »Weißt du noch, wie du mir das Meer gezeigt hast? Als ich krank geworden bin in dem Ferienhaus in Frankreich mit diesen Fieberschüben, zwischen all den überdimensionalen Tierpostern und diesen in randlosem Glas gerahmten Fotos von Sonnenuntergängen, du weißt worauf ich hinauswill, als ich diese Panik gekriegt habe und 40 Grad Fieber. Ich weiß jetzt, woran das lag. Ich hatte Angst vor meinem eigenen Körper oder vor der Tatsache, dass mein Bewusstsein nichts mit der Welt zu tun hat, schon gar nichts mit meinem Fleisch oder meiner Haut und diesem ganzen optisch in Erscheinung tretenden Material, das mir einfach immer so zugeordnet worden ist bisher. Ich wollte aufhören zu denken, weil Wörter bedeutungslos waren, weil Bedeutungslosigkeit bedeutungslos war, weil das Leben nichts wert war, weil meine komplette Physiognomie Teil des in sich stimmigen Organismus eines belebten Himmelskörper ist, von dem ICH mich aber abgrenze. Und dann bist du morgens mit mir ans Meer gegangen. Jeden Morgen haben wir das Meer angestarrt und wir waren da so gerne, weil es wie wir war, Alice. Es war die Antwort auf alles. Das Meer verstand sich von selbst. Und das Meer ist nur das Meer, solange es in Bewegung ist. Alles, was du mich gefragt hast und alles, was wir gesehen haben und gemacht haben, das verstand sich alles von selbst, es war ein Kunstwerk, und das Kunstwerk waren wir. Das Meer lebt von den Wellen und jede einzelne Welle bricht ir- 167 gendwann, einfach, weil sie sich vorwärtsbewegt. Ich sehe immer dein Gesicht und wie es nach irgendeinem Ausdruck strebt. Die Wellen, die sich brechen, verlieren ihre Form und bringen ihre Form dadurch erst richtig zum Ausdruck. Und jetzt, jetzt stehst du plötzlich vor mir. Und ich sehe dein Gesicht, aber irgendwie anders. Und ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, dass es dich wirklich gibt.« Ohne sich noch mal nach mir umzudrehen, klettert sie als personifizierter »Business Casual Wear«-Begriff zurück durch die Luke. Als personifizierte Koketterie viel eher. Ich habe noch nie in meinem Leben so unkontrolliert gezittert wie jetzt. Mein Sternenhimmel, meine Stadt, mein wie ein epileptischer Anfall anmutender Totalabsturz. Irgendwie kriege ich es trotz allem hin, die rudimentärste, an Partybesucher gestellte Anforderung zu erfüllen: Wenn schon nicht cool, dann wenigstens unauffällig sein. Wäre das ein Film, würde eine an irgendeiner Sonderkonstruktion über meinem Kopf befestigte Kamera bei jedem Einatmen senkrecht auf mich zustürzen. Mir würde eine Träne das Gesicht runterkullern und ein Platzregen würde einsetzen. Im äußersten Fall würde mir vielleicht noch aufgetragen, irgendetwas total Verrücktes zu machen, beispielsweise ein Sektglas über mir auskippen und schreien: »O. k., here we go, jetzt wirst du von mir gefickt!« Aber die Welt funktioniert ja leider anders, fällt mir in letzter Sekunde ein. 0 Uhr 24. Emre mixt seine letzten beiden Songs ineinander, und Alice stellt ihre mit diesen ganzen Aufklebern verzierte Plattentasche ab, zieht ihren Mantel aus, umarmt ihn kurz und setzt sich die Kopfhörer auf. Ophelia kommt heulend auf mich zu, ich sage: »Dein Vater würde sich bestimmt freuen, wenn er wüsste, dass du heute Abend feierst.« Sie knallt mir eine. Wie ich dieses Taubheitsgefühl vermisst habe, das sich nach so einer Ohrfeige durch das Gesicht zieht. Ich schlage zurück. 168 »WAS WILLST DU EIGENTLICH, MIFTI? HÄ? ALICE IST HIER, WARUM DISKUTIERT IHR NICHT ENDLICH MAL WIEDER SCHÖN ÜBER TOLLE VERGEWALTIGUNGSFILME?« »Das mit ALICEist eine Geschichte über Musik und sonst nichts. Über alles eben. Und nichts. Das hat nichts mit Homosexualität zu tun.« Sie knallt mir noch eine und sagt mit einem Gesichtsausdruck, in dem sich gerade die ultimative Abscheu verhärtet: »Boah, bist du eklig.« Ich nehme ja gar nichts mehr richtig wahr, deswegen lache ich nur dümmlich und lasse mich von jemandem wegzerren. Es ist der Mottosweatshirttyp. »FICK DICH, MIFTI! FICK DICH! FICK DICH ENDLICH, ICH WILL DICH NIE WIEDERSEHEN!« »Was geht denn da zwischen euch?«, fragt der Mottosweat - shirttyp, und weil ich nicht antworte, fügt er hinzu: »Ist alles o. k.?« »Nein, absolut nichts ist o. k.« »Das ist doch schon mal ein Ausgangspunkt.« »Wo ist mein Axolotl? Mein Axolotl ist weg, kannst du mir helfen, mein Axolotl wiederzufinden? Es war doch …« und dann breche ich mitten im Satz ab, weil ich die ersten von Alice initiierten Gitarrenakkorde als einen Song identifiziere, der nur mir gilt. Keiner der Hochzeitsgäste hat Bock auf die Zombies. Auf Kreaturen, die in einem körperlichen Zustand zwischen Leben und Tod existieren und liebesmäßig underfucked »She’s not there« performen. Die Situation auf der simulierten Tanzfläche verändert sich drastisch, aber sie zieht dieses Ding knallhart durch. Ich sage: »Das ist alles so naheliegend.« Der mittlerweile an meinem Rücken klebende Typ hat mich neben sich vor einem Tapeziertisch abgestellt, auf dem massenhaft Blumen und Geschenke liegen. Das Axolotl schwimmt traurig in einer mit Wasser gefüllten Glasschale. Er sagt: »Ey, scheiße, guck mal, ist die echt?« Ich gucke mir die Knarre in seiner Hand an, die er von dem 169 Tisch aufgehoben hat. Ein dicker, glatzköpfiger Typ kommt von hinten auf uns zu, während Colin Blunstone gerade But it’s too late to say you’re sorry, how would I know, why should I care? singt. »Die ist nicht nur echt, das ist ’ne 9-mm-Halbautomatikpistole und daneben liegt ein geladenes Ersatzmagazin.« »Die ist geladen?« Ich so: »Mach die bitte weg.« »Hat Thomas die schon gesehen? Warum schenkst du dem so was?« Well, no one told me about her The way she lied No one told me about her How many people cried »Was ist das denn für ’ne Frage?« »Was willst du dem damit denn bitte signalisieren? Dass man sich als verheirateter Mensch abknallen muss? Oder irgendjemand anderes? Mifti, nimm auf der Stelle dein Axolotl, wir müssen verschwinden.« »Na gut, ich mach’s, obwohl …?« 203 Quellennachweis und Danksagung Aus folgenden Quellen (Bücher, Songs, Filme, Blogs etc.) sind Teile in den Text eingeflossen, als wörtliches Zitat, modifiziertes Zitat oder Inspiration: Aus Airens Blog: airen.wordpress.com Später erschienen als Buch unter dem Titel Strobo mit einem Nachwort von BOMEC. © SuKuLTuR, Berlin 2009. Zitiert mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Hegemann S. 9: Irgendwie läuft mir zu Lorbeerkränzen geflochtenes Blut aus dem rechten Ohr. Airen: Ich grinse aus dem Fenster, aus meinen Ohren fließt in dicken Strömen Blut, von Lorbeerblättern umflochten. Hegemann S. 11: […] hyperrealen, aber durch Rohypnol etwas schlecht aufgelösten Vaselintitten […] Airen:[…]hyperrealen aber durch Rohypnol etwas schlecht aufgelösten Vaselintitten. Hegemann S. 23: Ich habe Fieber, […] ein Promille im überhitzten Blut […] Airen: […] ich habe ein Grad Fieber sowie ein knappes PromilI Alkohol im überhitzten Blut. Hegemann S. 30: […] sturzbesoffen auf Autodächern herumzuliegen und über (…) zu diskutieren. Airen: […] stockbesoffen auf einem Autodach in Kreuzberg und redete über Titandioxid. Hegemann S. 34/35: Thomas bietet uns zwei Lines Ketamin an, das in der Tiermedizin zur Narkose eingesetzt wird und in kleinen Dosen bewusstseinsverändernd wirkt. (…) Das Zeug brennt höllisch in der Nase. Airen: Eigentlich ist Ketamin ein Narkosemittel aus der Notfallmedizin, aber in sehr viel geringeren Dosen wirkt es halluzinogen. (…) Ich zieh nur eine kleine Bahn. Aber die tut schon höllisch weh in der Nase. Hegemann S. 35: […] in irgendeiner zum Ficken gedachten Sofanische […] Airen: […] auf der Gummibank eines zum Ficken gedachten Separees […] Hegemann S. 36: […] steht auf dem Klodeckel, um drei Lines Speed auf der Trennwand zur Nachbartoilette zurechtzumachen. 204 Airen: […] klettert (…) auf die Klobrille und macht die Lines an der Grenze zur Nachbartoilette zurecht. Hegemann S. 52: […] Technoplastizität, Annika. Airen: Eine gierig in alle Ecken züngelnde Techno-Plastizität. Hegemann S. 60: »Ey, […] wartet […] jemand auf dich« (…) […] (…) […] mit angewinkelten Beinen (…) […] lasse ich mich […] lange in den Mund ficken. Airen: »Hey, da (…) wartet einer auf dich.« (…) (…) die Beine angewinkelt (…) Ich lasse mich Ewigkeiten in den Mund ficken […] Hegemann S. 64: Man hätte dir echt die Gedärme aus dem Körper schneiden können, und irgendwann wärst du dann aufgewacht, ohne Tasche und mit ’nem 2x2 Quadratmeter großen Arschloch. Airen: Ich hätte dir echt den Blinddarm rausnehmen können. Wäre dir das im Club passiert, wärst du irgendwann ohne Handy und mit« – ausladende Geste – »sooo einem Arschloch aufgewacht!« Hegemann S. 72: […] erfahren […], dass ich nicht […] mit dem Argument »Scheiß Kapitalismus!« geweigert habe, […]zurückzuzahlen.. Airen: […] erfahre also (…) mit dem Argument. »Scheiß Kapitalismus!« geweigert zu bezahlen […] Hegemann S. 74: Ich drehe mich um und knalle rückwärts gegen einen grobporigen Typen in grünen Klamotten. […] er setzt mich in ein Taxi […] Airen: Ich steige aus, mache drei Schritte nach vorn und pralle rückwärts gegen die Bahn. (…) verfrachten mich in ein Taxi. Hegemann S. 79/80: […] erbsengroße Plastikkugel […] Anstatt mir zu antworten, wickelt sie die Plastikfolie ab. Schlussendlich liegt auf dem Mahagonitisch eine Messerspitze bräunlichen Pulvers, das wie Instanttee aussieht und nach einer Mischung aus Zigarettenkippen, Müll und Essig riecht. Aus einem Stück Silberpapier dreht sie sich ein Röhrchen, auf ein weiteres schüttet sie die Hälfte des Pulvers. Als sie ein Feuerzeug unter die Folie hält, schmilzt das Heroin und zieht eine kleine Rauchschwade hinter sich her. […] Airen: […] erbsengroße Plastikkugel (…) Schicht um Schicht wickle ich die Plastikfolie ab, bis in der Mitte eine gute Messerspitze bräunlichen Pulvers zum Vorschein kommt. Sieht in etwa so aus wie Instant-Tee und riecht säuerlich, wie eine Mischung aus Zigarettenkippen, Müll und Essig. Diacetylmorphin. Dann hole ich Alufolie. Aus einem Stück drehe ich mir ein Röhrchen. Auf ein anderes schütte ich ein Viertel des Pulvers. Sobald ich ein Feuerzeug unter die Alufolie halte, schmilzt das Heroin (…) und zieht eine kleine Rauchfahne hinter sich her. 205 Hegemann S. 105: […] als nachts mit Bleigewichten an den Knöcheln vor dem Spiegel […] Jeder Track war eine Herausforderung. Ich hätte Strom gefressen, um (…) »Krasse Choreographie« tuschelten […] Airen: […] jeden Abend mit Bleigewichten an den Knöcheln vor dem Spiegel (…) jeden Track als Aufgabe sah (…) »krasse Choreographie« tuschelten, als ich elektrischen Strom gefressen hätte […] Hegemann S. 130: […] »Wieso nicht?«/»Ich ficke nicht mehr.«/»Mann, Alter, ich bin übelst geil!«/»Ich ficke jetzt nicht mehr mit dir.«/»Aber warum denn nicht?«/»Ich will nicht.«/»Bist du positiv?«/»Ja.« […] Ich gehe tanzen. Airen: »Lass uns ficken!«/»Nein.«/»Wieso nicht?«/»Ich ficke nicht.«/»Mann Alter, ich bin übelst geil, wir holen jetzt nen Gummi von der Bar und ticken!«/»Nein.«/ »Aber warum nicht? Bist du positiv?«/»Ja.« (…) Ich gehe tanzen. Hegemann S. 135: »Der ist stockbisexuell. […] Dort erklärt er dann einer zierlichen Schwarzhaarigen mit so einer Art olivfarbenen Traumbeinen, wie geil es ihn macht, dass ihre Haut überall gleich aussieht, sogar in den Achselhöhlen, […].« Airen: [Titel des Blogeintrags: stock-bi] Zierlich, schwarzhaarig, keine zwanzig und olivfarbene Traumbeine (…) Ich küsse ihren Körper, ihre ultrazarte Haut, die überall die gleiche ist: An den Waden, an den Schenkeln, am Bauch und am Po, zwischen ihren Schulterblättern, auf ihren Brüsten und sogar unter ihren Achseln. (…) Ich ficke grottenschlecht, zittere hilflos auf ihr rum und gebe irgendwann auf. Hegemann S. 136: […], moderiere ich schwerstelegant zu ihr hinüber. Airen: […], moderiere ich mich zu Jan rüber. Hegemann S. 172: […]: lese den Zettel: Bleib ruhig liegen, es ist alles in Ordnung. Im Türrahmen steht der ausschließlich in Boxershorts steckende Mottosweatshirttyp und sagt: »Bleib ruhig liegen, es ist alles in Ordnung.« Airen: Der Nette Fucker steht nackt in der Tür und wispert: »Hey Airen! Bleib ruhig liegen! Alles ok!« Vor dem Sofa steht ein Tisch, darauf ein Zettel: »Lieber Airen! Bleib ruhig liegen, das ist ok!« Hegemann 177: […]in diesem Glitter-Schmutz- und Pailletten-System, ganz böser Nightmare Bass für Erwachsene. […] Airen: […] ein Künstlerleben zu führen also mit Glitter, Schmutz und Pailletten, mit ganz bösem Nightmare-Bass für Erwachsene (…) Hegemann S. 199: […]Rokokoaltbau, der näher am türkischen als am schwulen Teil Schönebergs liegt (…) einer der beiden bestgeöffneten Lidl-Filialen. […]Flur mit schwarzem Holz und Spiegeln geht. Airen: […] Rokokoaltbau, im Hausflur schwarzes Holz und Spiegel. (…) näher am 206 türkischen als am schwulen Teil Schönebergs gelegen hatte (…) von einem der beiden bestgeöffneten Liedls in Berlin. Weitere Zitate (teilweise modifiziert und in einzelne Teile über längere Passagen verstreut); alle Angaben, soweit sie der Zustimmung bedurften, mit freundlicher Genehmigung der genannten Verlage/Urheber: S. 9: Von »(…),die Nacht« bis »unrhythmische Trommeln, (…)« stark modifiziert aus: Malcom Lowry: Unter dem Vulkan. Titel der Originalausgabe: Under the Volcano. © 1947 by Malcolm Lowry. Aus dem Englischen von Susanna Rademacher; ©1963, 1974, 1984 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg; 11.Auflage 2005, S. 54 f. S. 15: Die kursiv gesetzten Zeilen leicht modifiziert aus: Rainald Goetz: Rave. © Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998, 1.Auflage 2001, S. 85 S. 15: Die Zeilen»Berlin is here to mix everything with everything« bis »(…) wohin ich sie trage« stammen von Jim Jarmusch. Ab »Ich bediene mich überall (…)«: angelehnt an die fünfte Regel aus The Golden Rules of Filmmaking von Jim Jarmusch, der wiederum Jean-Luc Godard zitiert. Weiter zitiert werden diese Zeilen bei Paul Arden in: Egal, was du denkst, denk das Gegenteil. Titel der Originalausgabe: Whatever you think think the opposite. © 2006 Paul Arden. Aus dem Englischen von Sünje Redies; © 2007 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln, S. 94 S. 40: Von »Ich will Erleuchtung (…)« bis »(…) unausweichliche Notwendigkeiten einfach von selbst?« leicht modifiziert aus: Kathy Acker: Große Erwartungen. Ein Punk-Roman. Titel der Originalausgabe: Blood and Guts in High School Plus Two. Great Expectations. © 1978 by Kathy Acker. Aus dem amerikanischen Englisch von Uschi Gnade; © 1988 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München, S. 73 S. 66: Von »Ich weiß, dass, wenn man Bäume malen soll (…)« bis »(…) zu viele Blüten Romantik« modifiziert aus: Valérie Valère: Das Haus der verrückten Kinder. Ein Bericht. Titel der Originalausgabe: Le pavillon des enfants fous. © 1978 by Éditions Stock, Paris. Aus dem Französischen von Uli Aumüller.© 1991 Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, S. 71 S. 103: Von »Ja also, mein Vater, meine Mutter (…)« bis »Habe ich sie wirklich geliebt? « Modifiziert aus: Kathy Acker: Große Erwartungen. Ein Punk-Roman. Titel der Originalausgabe: Blood and Guts in High School Plus Two. Great Expectations. © 1978 by Kathy Acker. Aus dem amerikanischen Englisch von Uschi Gnade; © 1988 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München, S. 105 f. 207 S. 148: Von »(…) ich habe Angst« bis »(…) die uns zerfleischt« stark modifiziert aus: Kathy Acker: Meine Mutter: Dämologie. Titel der Originalausgabe: My Mother: Demonology ©1993 by Kathy Acker. Aus dem amerikanischen Englisch von Lotte Dreimann und Angela Rummel; © 1995 by MAAS Verlag, Berlin, S. 228 S. 168: »Das Meer verstand sich (…)« bis »(…) solange es in Bewegung ist.« Aus: David Foster Wallace: Tiere sehen dich an. In: Kleines Mädchen mit komischen Haaren. Titel der Originalausgabe: Girl with Curious Hair; © 1989 David Foster Wallace. Aus dem amerikanischen Englisch von Marcus Ingendaay. © by Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG, Köln 2001, S. 67 S. 193: David Foster Wallace: John Billy. In: Kleines Mädchen mit komischen Haaren. Titel der Originalausgabe: Girl with Curious Hair; © 1989 David Foster Wallace. Aus dem amerikanischen Englisch von Marcus Ingendaay; © by Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG, Köln 2001, S. 121 f. S. 171: The Zombies: She’s not there (1964) S. 202/203: Von »Was kann aus mir für sie entstehen?« bis »(…) und sie scheint fast nichts zu sein.« Stark modifiziert aus: Maurice Blanchot: Der letzte Mensch. Titel der Originalausgabe: Le dernier homme. © Editions Gallimard, Paris 1957, nouvelle édition 1977. Aus dem Französischen von Jürg Laederach; © Urs Engeler Editor. Basel/ Weil a. R., Wien 2005, S. 6 f.; S. 17 f. S. 204: Der Brief an die Mutter entspricht in weiten Teilen dem Song Fuck U auf dem Album Noise der Band Archive (erschienen 2004). Die freie, modifizierende Übersetzung stammt von Helene Hegemann. Von Jonas Weber Herrera, aus privaten Korrespondenzen: S. 19: Von »Gibt es eigentlich Frauen, die Actionfilme gedreht haben?« bis »(…) einfach scheiße zu dir sein.« S. 149: »Von ›Sorry‹, aber fuck!« bis »(…) Scheißfelsen bumsen.« Weitere private Quellen: S. 28/29: Die Email von Ophelia ist die verfremdete Wiedergabe einer privaten Korrespondenz. S. 56: Ein der Autorin mündlich überlieferter Dialog (leicht verändert) aus dem Drehbuch Westwind von Ilja Haller (entwickelt für credofilm) S. 180 bis 185: Die Emails von Ophelia sind angelehnt an eine private Korrespondenz. 208 Weitere Internet-Quellen: S. 160: Der Dialog lehnt sich teilweise an Leserkommentare zu einem Interview mit Helene Hegemann an. S. 49: Modifizierte Leserkommentare von Makita zu einer Kurzgeschichte von Helene Hegemann auf www.kurzgeschichten.de Inspirationen ohne genaue Quellentextkenntnis: Kathy Acker: Harte Mädchen weinen nicht; Meine Mutter.Dämologie; Große Erwartungen. Aus dem amerikanischen Englisch von: Uschi Gnade; Lotte Dreimann und Angela Rummel; Uschi Gnade; © 1985, 1995 und 1988 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München) Weitere Inspirationen: S. 42/43: Von »Du bist nur Opfer (…)« bis »(…) Körper krabbeln?« Inspiration aus dem Film Martyrs von Pascal Laugier Ich danke: Coco, Jonas Weber Herrera, Tjorven Vahldieck, Annika Pinske, Kathrin Krottenthaler, Jule Böwe, Christian Fenske, Juri, Christiane Voss, Laura Tonke, René Pollesch, Leo& Jan, Maurice Blanchot, Ulrike Ostermeyer, Petra Eggers, Sophie Rois, Gabriel, Leisha, Maren Ade, Maria, Pascal Laugier, Airen und vor allem Carl Hegemann. Besonderer Dank an Kathy Acker Dieser Roman folgt in Passagen dem ästhetischen Prinzip der Intertextualität und kann daher weitere Zitate enthalten. Der Verlag hat sich bemüht, alle uns bekannten Rechteinhaber zu ermitteln. Sollten dennoch Inhaber von Urheberrechten unberücksichtigt geblieben sein, bitten wir sie, sich mit dem Verlag in Verbindung zu setzen.