Ingeborg Bachmann Das Spiel ist aus Mein lieber Bruder, wann bauen wir uns ein Floß und fahren den Himmel hinunter? Mein lieber Bruder, bald ist die Fracht zu groß und wir gehen unter Mein lieber Bruder; wir zeichnen aufs Papier, viele Länder und Schienen. Gib acht, vor den schwarzen Linien hier fliegst du hoch mit den Minen. Mein lieber Bruder, dann will ich an den Pfahl gebunden sein und schreien. Doch du reitest schon aus dem Totental und wir fliehen zu zweien. Wach im Zigeunerlager und wach im Wüstenzelt, es rinnt uns der Sand aus den Haaren, dein und mein Alter und das Alter der Welt mißt man nicht mit den Jahren. Laß dich von listigen Raben, von klebriger Spinnenhand und der Feder im Strauch nicht betrügen, iß und trink auch nicht im Schlaraffenland, es schäumt Schein in den Pfannen und Krügen. Nur wer an der goldenen Brücke für die Karfunkelfee das Wort noch weiß, hat gewonnen. Ich muß dir Sagen, es ist mit dem letzten Schnee im Garten zerronnen. Von vielen, vielen Steinen sind unsre Füße so wund. Einer heilt. Mit dem wollen wir springen, bis der Kinderkönig, mit dem Schlüssel zu seinem Reich im Mund, uns holt, und wir werden Singen: Es ist eine schöne Zeit, wenn der Dattelkern keimt! Jeder, der fällt, hat Flügel. Roter Fingerhut ist's, der den Armen das Leichentuch säumt, und dein Herzblatt sinkt auf mein Siegel. Wir müssen schlafen gehn, Liebster, das Spiel ist aus. Auf Zehenspitzen. Die weißen Hemden bauschen. Vater und Mutter sagen, es geistert im Haus, wenn wir den Atem tauschen. Heimweg Nacht aus Schlüsselblumen und verwunschenem Klee, feuchte mir die Füße, dass ich leichter geh. Der Vampir im Rücken übt den Kinderschritt, und ich hör ihn atmen, wenn er keuzweis tritt. Folgt er mir schon lange? Hab ich ern gekränkt? Was mich retten könnte, ist noch nicht verschenkt. Wo die Halme zelten um den Felsenspund, bricht es aus der Quelle altem, klarem Mund: "Um nicht zu verderben, bleib nicht länger aus, hör das Schlüsselklirren, komm ins Wiesenhaus! Reinen Fleisches wird sterben, wer es nicht mehr liebt, über Rauch und Trauer nur mehr Nachricht gibt." Mit der Kraft des Übels, das mich niederschlug, weitet seine Schwinge der Vampir im Flug, hebt die tausend Köpfe, Freund- und Feindgesicht, vom Saturn beschattet, der den Ring zerbricht. Ist das Mal gerissen in die Nackenhaut, öffnen sich die Türen grün und ohne Laut. Und die Wiesenschwelle glänzt von meinem Blut. Deck mir, Nacht, die Augen mit dem Narrenhut. Scherbenhügel Vom Frost begattet die Gärten - das Brot in den Öfen verbrannt - der Kranz aus den Erntelegenden ist Zunder in deiner Hand. Verstumm! Verwahr deinen Bettel, die Worte, von Tränen bestürzt, unter dem Hügel aus Scherben, der immer die Furchen schürzt. Wenn alle Krüge zerspringen, was bleibt von den Tränen im Krug? Unten sind Spalten voll Feuer, sind Flammenzungen am Zug. Erschaffen werden noch Dämpfe beim Wasser- und Feuerlaut. O Aufgang der Wolken, der Worte, dem Scherbenberg anvertraut. Tage in Weiß In diesen Tagen steh ich auf mit den Birken und kämm mir das Weizenhaar aus der Stirn vor einem Spiegel aus Eis. Mit meinem Atem vermengt, flockt die Milch. So früh schäumt sie leicht. Und wo ich die Scheibe behauch, erscheint, von einem kindlichen Finger gemalt, wieder dein Name : Unschuld ! Nach so langer Zeit. In diesen Tagen schmerzt mich nicht, daß ich vergessen kann und mich erinnern muß. Ich liebe. Bis zur Weißglut lieb ich und danke mit englischen Grüßen. Ich hab sie im Fluge erlernt. In diesen Tagen denk ich des Albatros', mit dem ich mich auf- und herüberschwang in ein unbeschriebenes Land. Am Horizont ahne ich, glanzvoll im Untergang, meinen fabelhaften Kontinent dort drüben, der mich entließ im Totenhemd. Ich lebe und höre von fern seinen Schwanengesang Paul Celan Mit Brief und Uhr Wachs, ungeschriebenes zu siegeln, das deinen Namen erriet, das deinen Namen verschlüsselt. Kommst du nun, schwimmendes Licht? Finger, wächsern auch sie, durch fremde, schmerzende Ringe gezogen. Fortgeschmolzen die Kuppen. Kommst du, schwimmendes Licht? Zeitleer die Waben der Uhr, bräutlich das Immentausend, reisebereit. Komm, schwimmendes Licht. Blume Der Stein. Der Stein in der Luft, dem ich folgte. Dein Aug, so blind wie der Stein. Wir waren Hände, wir schöpften die Finsternis leer, wir fanden das Wort, das den Sommer heraufkam: Blume. Blume - ein Blindenwort. Dein Aug und mein Aug: sie sorgen für Wasser. Wachstum. Herzwand um Herzwand blättert hinzu. Ein Wort noch, wie dies, und die Hämmer schwingen im Freien. Tenebrae Nah sind wir, Herr, nahe und greifbar. Gegriffen schon, Herr, ineinander verkrallt, als wär der Leib eines jeden von uns dein Leib, Herr. Bete, Herr, bete zu uns, wir sind nah. Windschief gingen wir hin, gingen wir hin, uns zu bücken nach Mulde und Maar. Zur Tränke gingen wir, Herr. Es war Blut, es war, was du vergossen, Herr. Es glänzte. Es warf uns dein Bild in die Augen, Herr. Augen und Mund stehn so offen und leer, Herr. Wir haben getrunken, Herr. Das Blut und das Bild, das im Blut war, Herr. Bete, Herr. Wir sind nah. Sprachgitter Augenrund zwischen den Stäben. Flimmertier Lid rudert nach oben, gib einen Blick frei. Iris, Schwimmerin, traumlos und trüb: der Himmer, herzgrau, muß nah sein. Schräg, in der eisernen Tülle, der blakende Span. Am Lichtsinn errätst du die Seele. (Wär ich wie du. Wärst du wie ich. Standen wir nicht unter einem Passat? Wir sind Fremde.) Die Fliesen. Darauf, dicht beieinander, die beiden herzgrauen Lachen: zwei Mundvoll Schweigen.