ÖDIPUS STADT Die Theben-Trilogie Nach Sophokles, Euripides, Aischylos Und den Stücken „König Ödipus“, „Sieben gegen Theben“, „Die Phönizierinnen“ und „Antigone“ Übersetzung: Gregor Schreiner. Textbuch, Stand 30. August 2012 Personen: Ödipus Kreon Teiresias Iokaste Eteokles Polyneikes Antigone Ismene Menoikeus/Haimon Boten/Wächter Prolog: KIND 1: Der beste Mann und König hingemordet, Längst hättet ihr's erforschen müssen! Drum mach ich wie für einen Vater seine Sache Zu der meinen und spüre auf den Mörder Laios'! KIND 2: Befrag Teiresias, den blinden Seher, Den einzigen der Menschen, der die Wahrheit weiß. Von ihm erfährst du Sicheres. KIND 1: Der Chor zieht ein, die Ältesten von Theben. KIND 2 UND KIND 1: Lieblich erklingende Stimme Apollons, Du delfischer Helfer und Heiland, Zeig uns den Weg aus der Not! Denn Herrschaft, auf Unrecht gegründet, Schafft niemals Recht. Einmal gebeugt Und gebrochen, wird es Verhängnis Nicht einem nur – vielen! Und wir, Bürger Thebens, das Volk, In rechtlosen Zustand gestürzt, Werden zu Sklaven im eigenen Haus, Ungefragt, stimmlos und ohne Gewicht, Zuschauer unseres Untergangs. Schaff Ordnung, o König, Und schenk uns Gehör, Ödipus hörst du? Ödipus! Ödipus! KIND 2: Der Chor der Ältesten geht ab und kehrt nicht wieder. I. TEIL KÖNIG ÖDIPUS Nach Sophokles 1 ÖDIPUS: Ich weiß, Kreon, was Theben leidet, Wie du seh ich die Seuche wüten in der Stadt, Doch keiner, und sei er ganz von Pest bedeckt, Trägt schwerer noch an diesem Leid als ich, Denn was er duldet, gilt nur für ihn selbst; meine Seele stöhnt Vor Jammer um die Stadt und dich und mich zugleich. Der Sorge Pfade hab‘ ich alle ausgeschritten, Die einzige Rettung, die ich fand, befahl ich Und sandte dich nach Delphi, meinen Schwager. Jetzt, da du wiederkehrst, wär‘ ich ein schlechter König, Tät‘ ich nicht alles, was der Gott uns offenbart Zum Wohle dieser Stadt. Was, Kreon, bringst du uns? KREON: Heilsames, denn auch das Schwierige, Wenn es zum rechten Ende kommt, ist gut. ÖDIPUS: Was fordert das Orakel? KREON: Gehen wir hinein. ÖDIPUS: Zu allen rede! KREON: Phoibos Apollon gebietet klar und deutlich, Den Schandfleck, der sich von Thebens Erde nährt, Zu tilgen. ÖDIPUS: Schandfleck? KREON: Wir sollen verbannen oder töten den, Dessen Blutschuld unsere Stadt vergiftet. ÖDIPUS: Von wem sprichst du? KREON: König, vor dir war Laios Herr in Theben. Der Überfall auf ihn blieb ungesühnt und unser Auftrag ist, Die Mörder, wer‘s auch sei, zu strafen. ÖDIPUS: Doch sind sie nicht längst außer Landes? Wo wird Zu finden sein die Spur so alter Schuld? KREON: Bei uns hier, sprach der Gott. ÖDIPUS: Was weiß man über Laios‘ Tod? KREON: Nach Delphi zog er aus und kam nie wieder heim. ÖDIPUS: Und auch kein Bote, kein Begleiter seiner Fahrt? KREON: Sie starben alle bis auf einen, der aus Angst Nichts, was er sah, zu sagen wusste. ÖDIPUS: Nichts? KREON: Eins nur. ÖDIPUS: Eins führt uns vielleicht zum nächsten. KREON: Er sagte: Räuber überfielen sie. ÖDIPUS: Räuber? Wer wagt so etwas, wenn er nicht Bezahlt wurde mit Geld aus dieser Stadt? KREON: So scheint es, ja. Dem erschlagenen Laios Jedoch stand kein Rächer in der Notzeit auf. ÖDIPUS: So groß kann keine Not sein, Dass man einen Königsmord nicht ahndet! KREON: Die Sphinx zwang uns zu schaun, Wie wir den nächsten Tag erleben Und zu lassen, was im Dunkel lag. ÖDIPUS: Ich will durchleuchten dieses Dunkel Bis auf den Grund und will der Stadt Gerechtigkeit verschaffen Wie dem Gott. So gebe ich in Theben jetzt bekannt: Wer etwas weiß von Laios, Sohn des Labdakos, Und seinen Mördern, irgendetwas, den fordere ich auf, Mir alles kundzutun! Kennt jemand den Täter, Verschweig er’s nicht! Eine Belohnung zahl‘ ich, Groß wie eines Königs Dank. Wer aber schweigt, Sei’s für den Freund, sei’s für sich selbst, Den werden wir aus unsern Häusern stoßen, Weil er ein Schandfleck ist für Theben! – Hört ihr? Der beste Mann und König hingemordet, Längst hättet ihr’s erforschen müssen! Nun bin ich an seiner Stelle, Habe die Macht, die Laios einst besaß, Habe sein Bett und teil‘ ein Weib mit ihm, Drum mach ich wie für einen Vater seine Sache Zu der meinen und geh dem allen nach: Vernichten werde ich den Mörder Laios‘, Und alle, die nicht mittun, sollen untergehn! KREON: König, wenn ich dir raten darf, Befrag Teiresias, den blinden Seher, Den einzigen der Menschen, der die Wahrheit weiß. Von ihm erfährt man Sicheres. ÖDIPUS: Gut. KREON: Gut. ÖDIPUS: Lass ihn kommen! KREON: Nicht untätig hab ich es schon veranlasst und Nach ihm geschickt, mich wundert, dass er noch nicht hier ist. ÖDIPUS: Wie kann er säumen? Ich will den Mörder kennen! 2 ÖDIPUS: O du, der alles sieht, Teiresias, Sagbares und Unsagbares, Himmlisches und Irdisches! Du weißt, wie’s um uns steht. Die Stadt, kannst du sie auch nicht sehen, so weißt du doch, Wie’s um sie steht. Man riecht die Pest! Die Seuche endet nur, wenn wir entdecken Laios‘ Mörder / Ihn töten oder ihn verbannen aus dem Land! TEIRESIAS: Schlimm zu wissen, was dem Wissenden nicht nutzt. ÖDIPUS: Warum so mutlos? TEIRESIAS: Lass mich gehen! Du trägst am leichtesten dein Los Und ich das meine, wenn du nicht in mich dringst. ÖDIPUS: Nicht nach Gesetz und Freundschaft redest du, Wenn du uns deinen Rat versagst. TEIRESIAS: Ihr wisst nichts; und ich sage nichts. ÖDIPUS: Gibst Theben preis dem Untergang? TEIRESIAS: Ich will mir selbst und dir nicht wehtun. Von mir erfährst du’s nicht. ÖDIPUS: Ich bitte, wo ich zur Rede zwingen kann! TEIRESIAS: Es kommt von selbst, auch wenn ich schweige. ÖDIPUS: Sag mir, was kommen wird! Die Wahrheit! TEIRESIAS: Du sprichst von Wahrheit, doch ich hör nur Zorn. ÖDIPUS: Durch dich bin ich in Zorn und halt Nicht länger an mich! Mir scheint, du hast die Tat Mit angestiftet, auch verübt, nur nicht mit Händen mordend, Sondern durch Geld und List! Wenn das heraus ist, so sind Verbannung oder Tod dein Los! TEIRESIAS: Ach, wirklich? Ich fordere, dass du bei der Weisung bleibst und dich ihr selber unterwirfst: Der Schandfleck dieser Stadt bist du! ÖDIPUS: So leicht kommst du mir nicht davon. TEIRESIAS: Ich wäre längst davon! Du zwangst zu reden mich. ÖDIPUS: Sag das nochmal! TEIRESIAS: Du hast mich schon verstanden. ÖDIPUS: Ich kann’s nicht fassen. Wiederhol‘s! TEIRESIAS: Den Mörder Laios‘ nenn‘ ich dich. ÖDIPUS: Du schmähst mich zweimal! TEIRESIAS: Ich könnte mehr noch sagen, dir zum Zorn. ÖDIPUS: Soviel es dir beliebt! TEIRESIAS: Nichts ahnend, sag ich, Treibst du Schande mit dem Blut, aus dem du bist. ÖDIPUS: Du glaubst, du kannst so mit mir reden? TEIRESIAS: Solange es die Macht der Wahrheit gibt. ÖDIPUS: Sind das Erfindungen von Kreon oder dir? TEIRESIAS: Nicht Kreon bringt dir Unheil, nur du selbst. ÖDIPUS: Der treue Kreon, Ratgeber mir und Freund, Hintergeht mich, will vom Thron mich stoßen Und stiftet diesen Scharlatan hier an, der Augen nur Für seinen Vorteil hat und in der Seherkunst ein Blinder ist! TEIRESIAS: Du spottest, wo man dich verspotten wird! ÖDIPUS: Dann sag mir doch, du Seher, Warum, als hier die Sphinx, die Hündin, herrschte Und unsere Stadt in Angst und Schrecken hielt, Warum sprachst du für Theben kein erlösend Wort? Ihr Rätsel zu entwirren, warst du nicht imstande! Ich kam daher, ich Ödipus, nicht wissend, traf ich’s Mit dem Verstand, braucht‘ deine Künste nicht, Ich, den du verleumdest, weil du dir vom Thron, Den Kreon will, Vergünstigung erhoffst. Aber ihr täuscht mich nicht! TEIRESIAS: Ich sage nur, da du als Blinden mich verhöhnst: Du siehst und siehst doch nicht, wie du im Dunkel steckst, Nicht, wo du wohnst, mit wem du haust, und nicht, Von wem du stammst. Nichts wissend bringst du Schmach Über die Deinigen im Totenreich und auf der Erde. ÖDIPUS: Schweig! TEIRESIAS: Noch vieler anderer Übel wirst du nicht gewahr, Warte nur, bis du sie erst erblickst und dann Schau Dunkles nur. ÖDIPUS: Was soll das? Führt ihn ab! TEIRESIAS: Ich wäre nicht gekommen, hätt‘st du nicht gerufen. ÖDIPUS: Einen Seher rief ich, keinen Narren! TEIRESIAS: Deinen Eltern dereinst schien ich bei Verstand. ÖDIPUS: Welchen? Welchen Eltern? Welchen? Welcher Mensch hat mich gezeugt? TEIRESIAS: Der Tag heut macht dich und zerstört dich ganz. ÖDIPUS: Wie sagst du alles rätselhaft und unbestimmt! TEIRESIAS: Bist du, es zu erraten, nicht der Beste? ÖDIPUS: Verhöhne nur, worin du groß mich finden wirst! TEIRESIAS: Doch eben dieses Glück wird dein Verderben. ÖDIPUS: Hab ich nur diese Stadt gerettet, ist’s mir gleich. TEIRESIAS: So geh ich denn! ÖDIPUS: Nimm Kreon mit! Ihr beide seid mir widerlich! 3 Ödipus, Kreon. ÖDIPUS: Was säumst du? KREON: Zu Unrecht, König, richtet dein Zorn sich gegen mich. ÖDIPUS: Was Recht ist, lass ich mir von dir nicht sagen! KREON: Noch nie hat sich mein Rat der Stadt und dir Als falsch erwiesen. ÖDIPUS: Du bist der Mörder Laios‘, du neidest mir Den Thron, die Macht! Glaubst du, ich merk es nicht Und weiß mich nicht zu wehren? KREON: Niemand erhebt im Ernst hier solchen Vorwurf! ÖDIPUS: Hast du nicht herbestellt dies Lügenmaul? KREON: Und stehe jetzt noch fest zu diesem Rat. ÖDIPUS: Wann wurde Laios umgebracht, Übte Teiresias sich damals schon in seiner Kunst? KREON: Genauso weise und geehrt. ÖDIPUS: Und warum sprach’s der weise Mann damals nicht aus? KREON: Ich weiß nicht. Wo ich nicht verstehe, schweig ich lieber. ÖDIPUS: Doch deinen Vorteil kennst du gut und sagst es auch. KREON: Mit welchem Grund klagst du mich an? ÖDIPUS: Steckte Teiresias nicht mit dir zusammen, er hätte nie den Mord an Laios meine Tat genannt! KREON: Mit meiner Schwester, deiner Frau beherrschst du Diese Stadt und ich steh euch als Dritter gleich. ÖDIPUS: Und dabei zeigst du dich als schlechter Freund! KREON: Wer will mit Ängsten lieber herrschen, Wenn er bei ruhigem Schlaf dieselbe Macht besitzt? Denn jetzt empfang ich alles ohne Furcht von dir. Wie sollte mir der Königsthron da teurer sein Als sorgenfreie Macht? ÖDIPUS: Du hast darüber nachgedacht. KREON: Erweist sich, dass ich mit dem Zeichendeuter Hinter deinem Rücken etwas plante, töte mich. Doch nicht auf unbewiesene Verdächtigungen klag mich an! Allein die Zeit zeigt den gerechten Mann. ÖDIPUS: Wenn jemand dem Untergang geweiht ist und rasch vorangeht, Muss ich mit meinem Urteil schneller sein. KREON: Was hast du vor? Treibst du mich aus der Stadt? ÖDIPUS: Nein, nicht entfliehen, sterben sollst du! KREON: Ich will Beweise erst für meine Schuld. Und wenn du dich irrst? ÖDIPUS: Gleichviel: Es gilt Gehorsam! KREON: Nicht dort, wo einer schlecht befiehlt! ÖDIPUS: Ich denke einzig an die Stadt! KREON: Auch ich hab Anteil an der Stadt, nicht du allein! ÖDIPUS: Und bringst doch Schande über mich, den König! 4 IOKASTE: Was streitet ihr? Die Stadt ist krank, Und ihr habt Besseres nicht im Sinn als Zankerei? KREON: Ödipus droht mir, Schwester, mit Verbannung oder Tod und wählt von beiden Übeln noch das Schlimmste. ÖDIPUS: Einen Anschlag gegen mich hat er geplant! KREON: Zugrunde gehen will ich, wenn das wahr ist. IOKASTE: Glaub ihm, Ödipus, tu’s um meinetwillen, ich steh dir für ihn ein. ÖDIPUS: Was redest du? IOKASTE: Er hat noch nie dir schlecht geraten, Lass ihn bei allem schwören, was ihm heilig ist. ÖDIPUS: Heilig ist ihm die Königswürde nicht! IOKASTE: Schwört er dir einen feierlichen Eid, Schenk du ihm weiter dein Vertrauen. ÖDIPUS: Wenn du das willst, so willst du mein Verderben. KREON: Bei aller Götter erstem Gott, Phoibos Apollon! Ich will zugrunde gehen, zielte mein Denken und mein Handeln auf die Königsmacht, die dir gebührt. Mir liegt allein das Schicksal dieser Stadt am Herzen. ÖDIPUS: So soll er leben und sei es auch mein Tod. Verlass das Land und nimm mit meinen Hass! KREON: Dich selbst beherrschst du schlecht, Doch reuen wird’s dich, wenn dein Zorn vergeht. ÖDIPUS: Lässt du mich jetzt und gehst? KREON: Ich gehe, von dir verkannt zwar, Doch der Schwester lieb wie eh und je. 5 Iokaste, Ödipus. IOKASTE: Wie konnt‘ es so weit kommen? ÖDIPUS: So geht’s, Wenn du mich preisgibst und dein Herz erkalten lässt. IOKASTE: Woher nur dieser Zorn? ÖDIPUS: Du weißt ja nicht, was Kreon gegen mich geplant … IOKASTE: Lass Richterin mich sein in euerm Streit. ÖDIPUS: Er nennt mich Laios‘, deines Mannes Mörder. IOKASTE: Das sagt er? ÖDIPUS: Teiresias, den dreisten Seher hat er vorgeschickt, Und hält sich selbst den Mund von allem frei. IOKASTE: So hör, dass Sehertum nichts über dich vermag! Ein Spruch erging an Laios einst, ihm sei bestimmt, Zu sterben durch den Sohn, falls ihm, dem Gott zum Trotz, Ein Kind geboren werden sollt‘ aus mir. Doch ihn erschlugen Räuber, fremd und unerkannt, Am Dreiweg, wie man sagt. Der Spruch erfüllt sich nicht! ÖDIPUS: Am Dreiweg, sagtest du? Am Dreiweg? IOKASTE: Was ist? ÖDIPUS: Laios, sagst du, wurde am Dreiweg umgebracht? IOKASTE: Ja. Nach Delphi führt ein Weg. ÖDIPUS: Wie lange ist das her? IOKASTE: Eh‘ du der Sphinx‘ blutiges Rätsel lösen konntest Und Herrscher wurdest über diese Stadt. ÖDIPUS: Von Laios sprich. Wie alt war er, wie sah er aus? IOKASTE: Groß und an Gestalt dir ähnlich. ÖDIPUS: Weh mir. IOKASTE: Was hast du? ÖDIPUS: Und Laios ging als schlichter Wandrer Oder entsprechend seinem Königsrang hatt’ er Geleit? IOKASTE: Sie waren fünf im Ganzen, Und ein Wagen bloß, der Laios trug. ÖDIPUS: Wer brachte euch die Nachricht? IOKASTE: Ein Diener überlebte nur. ÖDIPUS: Ist er im Haus noch? IOKASTE: Nein, nicht mehr. Nach deinem Sieg über die Sphinx Zog er als Hirte fort. ÖDIPUS: Holt ihn hierher! IOKASTE: Wozu? ÖDIPUS: Ich habe schon zu viel gesagt. IOKASTE: Willst du dich deinem Weib nicht anvertrauen. ÖDIPUS: Polybos, er war mein Vater, in Korinth, Merope Mutter mir. Ich galt als mächtigster der Bürger dort, Bis mir ein Mann, beim Gastmahl, trunken, Zuruft, untergeschoben sei dem Vater ich. Schwer getroffen, zog ohne Mutters oder Vaters Wissen ich Nach Delphi, Dunkles tat mir Apollon kund: Der Mutter müsst‘ ich mich vermischen, ein Geschlecht Erzeugen, das vor der ganzen Welt verflucht; Des Vaters Mörder würd‘ ich sein, der mich gezeugt. Und ich, dies fürchtend, blieb der Heimat fern und zog In Lande, wo ich hoffte, nie zu sehn, dass sich Die Schmach der Prophezeiung mir erfüllt. Wandernd komm ich in diese Gegend – Dir, Frau, sag ich die Wahrheit: dem Dreiweg War ich schon ganz nah, da kam ein Mann auf einem Wagen, Wie du sagst, und aus dem Wege will der Wagenlenker mich Wie auch der Alte mit Gewalt vertreiben, Und ich im Zorne töte den, der mich verdrängt, Den Lenker, und der Alte, als ich weiter will, er zielt herab vom Wagen mit dem Schwert auf mich und ich - Erschlug sie alle. IOKASTE: Warte auf den Diener, bis wir ihn ausgeforscht, Solange habe Hoffnung! ÖDIPUS: Ja, Hoffnung ist das einzige, was mir noch bleibt. 6 BOTE: Ist dies das Haus von Thebens Herrscher, König Ödipus. IOKASTE: Ich bin die Mutter seiner Kinder, seine Frau. BOTE: Dann lebt beglückt mit Glücklichen fortan! IOKASTE: Was hast du uns zu sagen, Fremder? BOTE: Deinem Gatten und dem Hause Gutes, Königin. IOKASTE: Woher kommst du? BOTE: Aus Korinth. Das Wort, das ich euch überbringe, Wird ihn schmerzen, freuen aber umso mehr! Zum Herrscher von Korinth ruft Ödipus man aus. IOKASTE: Wie? Polybos ist nicht mehr an der Macht? BOTE: Nicht, seit dem der Tod ihn in sein Grab genommen. ÖDIPUS: Was sagst du? Mein Vater tot? BOTE: So wahr ich lebe! IOKASTE: Nun seht, was Weissagungen wert sind! Diesen Mann hat Ödipus seither gemieden, Ihn nicht zu töten, wie ihm prophezeit – Jetzt ist er tot und nicht durch ihn! ÖDIPUS: Wie kam er um? Durch Krankheit oder Mord? Wie kam er um? Durch Krankheit oder Mord? BOTE: Ihn schlug sein Alter und die Zeit. ÖDIPUS: Und ich war hier, hab nichts getan! IOKASTE: Es fällt ein helles Licht auf uns Von deines Vaters Grab! ÖDIPUS: Ja, die Göttersprüche starben mit ihm! IOKASTE: Nun nimm dir nichts von alldem mehr zu Herzen! ÖDIPUS: Doch fürcht‘ ich meiner Mutter Bett. IOKASTE: Du träumst. ÖDIPUS: Lebt denn Merope noch? BOTE: Ja. Was sorgst du dich? ÖDIPUS: Ein Fluch, so schlimm wie Vatermord: Dass ich mich mit der Mutter paare! BOTE: Und deshalb hieltst du von Korinth dich fern? Da zitterst du um nichts! ÖDIPUS: Wieso? BOTE: Weil Polybos dein Fleisch und Blut nicht war. ÖDIPUS: Das sagt mir keiner ungestraft! BOTE: Aus meiner Hand nahm er dich als Geschenk! ÖDIPUS: Aus fremder Hand? Und hat mich dennoch so geliebt! BOTE: Die Kinderlosigkeit macht‘ dich ihm teuer. ÖDIPUS: Du kauftest mich und gabst mich ihm? BOTE: Ich fand dich in den Wäldern des Kithairon Und machte der durchbohrten Füße Fesseln frei. Nach diesem Umstand nannte man dich Ödipus, Den Schwellfuß. ÖDIPUS: Wer nannte mich so? Sprich! BOTE: Ich weiß nicht; der dich brachte, kennt sich besser aus. ÖDIPUS: Von einem anderen nahmst du mich? BOTE: Von einem Hirten, einem wohl von Laios Leuten, Dem da! ÖDIPUS: Er meint den Hirten, den wir herbestellt! IOKASTE: Scher dich nicht darum! ÖDIPUS: Ich muss doch wissen wer mich zeugte! IOKASTE: Wenn dir dein Leben lieb ist, frage nicht! ÖDIPUS: Die Frage quält mich so. IOKASTE: Mögest du nie erfahren, wer du bist! ÖDIPUS: Der Hirte da trete heran! IOKASTE: Weh dir, Unglücksseliger, weh! Nur das Hab ich dir noch zu sagen uns sonst nichts. 7 ÖDIPUS: Du also bist, den wir so lange suchten? Ich frage erst den Fremden aus Korinth: Ist’s dieser, Den du meinst? BOTE: Ihn, den du vor dir siehst. ÖDIPUS: Du da, sieh jetzt her Gib Antwort! Laios‘ Diener warst du? HIRTE: Sklave. ÖDIPUS: Welche Arbeit? HIRTE: Den Herden folgt ich meines Lebens längste Zeit. ÖDIPUS: Bist du dem Mann da einst begegnet? HIRTE: Welchem? ÖDIPUS: Der da steht: Hattest du je mit ihm zu tun? HIRTE: Aus dem Gedächtnis kann ich es nicht sagen. BOTE: Lang ist es her, ich helf dir auf die Sprünge. HIRTE: Was soll das? BOTE: Der da war das kleine Kind! HIRTE: Verrecken sollst du! Bist du endlich still? ÖDIPUS: Nein! Verleugne nicht das Kind, nach dem er fragt. HIRTE: Er redet und ereifert sich und weiß nichts! ÖDIPUS: Wenn du nicht sprichst, redest du Tränen bald! HIRTE: Was willst du wissen? ÖDIPUS: Das Kind – du gabst es ihm? HIRTE: Ich tat’s. Wär‘ ich krepiert nur an dem Tag! ÖDIPUS: Wo nahmst du’s her, das Kind? War es von andern? War es dein? HIRTE: Mein eignes? Nein, gegeben wurde es in meine Hand. ÖDIPUS: Von wem? HIRTE: Bei den Göttern! Frag nicht weiter! ÖDIPUS: Du bist verloren, wenn ich nochmals fragen muss! HIRTE: Ein Sprössling war’s aus Laios‘ Haus. ÖDIPUS: Blutsverwandt mit ihm? HIRTE: Es war das seine, heißt es. Doch drin dein Weib Weiß das am besten. ÖDIPUS: Wie? Sie übergab es dir? HIRTE: Ja, Herr. Töten sollt ich es. ÖDIPUS: Das Kind? Die eigene Mutter hat’s verlangt … HIRTE: Weil es den Vater morden wird und schlimmer noch – ÖDIPUS: Weshalb hast du’s nicht umgebracht?! HIRTE: Mitleid, Herr. Ich dachte, besser fort als tot, Der da, dacht‘ ich, bringt es nach Korinth, ins fremde Land, Von wo es niemals wiederkehrt. Und jetzt Sitzt du auf Laios Thron. ÖDIPUS: Frau! Mutter! Reut‘s dich, dass du mich nicht getötet hast Mit eigner Hand oder der Hirte da nicht kälter war Und mich mit Stachelfesseln an den Füßen Den Tieren des Kithairon ließ zum Fraß! Mutter! Frau! Von der ich kam und es nicht durfte, Mit der ich lebte und’s nicht durfte, Dem Vater, den ich tötete, verhasst Wie auch den Göttern! Teiresias, Jetzt seh‘ ich es! Dunkel, Dunkel, nur noch Dunkel! Bürger von Theben, hier ist der Vatermörder Muttergatte! Ich bin es, Ödipus! Seht her! Apollon hat dies hier an mir vollbracht, Dem Unheilssohn, durch meine Hand. Warum nur musst‘ ich sehn, wo blind ich war, Warum noch sollt‘ ich sehn, jetzt, da ich’s erkannt, Auf was kann ich noch blicken und es lieben? Die Kinder? Die mir Brüder, Schwestern sind, Geboren mir vom Schoß, der mich gebar! Ich weiß gar nicht, mit was für Augen ich Vater und Mutter ansehen soll, komm ich zur Totenwelt … Ihr Bürger dieser Stadt, ich bitt euch, Jagt mich fort, Oder erschlagt mich und den Leichnam werft ins Meer. Warum ergreift mich keiner, fesselt mich? Bin ich voll Aussatz, schlimmer als die Pest?! Das heilloseste Kind bin ich, Ein Fleisch mit der Schande, ein Blut mit der Schuld, Wenn etwas schlimmer als das Schlimmste ist, Ist es mein Los! 8 ÖDIPUS: Kreon! Bist du’s? Du kommst als Bester zu dem schlimmsten Mann, Gewähr mir eins! KREON: Was ist‘s? ÖDIPUS: Verstoße mich! KREON: Ich will zuerst vom Gott erfahren, was sich ziemt. ÖDIPUS: Seine Weisung schreit zum Himmel: Der Vatermörder, Frevler, ich - soll untergehn! KREON: So scheint es dir. Doch in der Not ist’s besser, Auf den Rat der Zeit zu warten. ÖDIPUS: Ich bin verloren, was denn noch! KREON: Auch du wirst jetzt gehorsam sein den Göttern. ÖDIPUS: Treib mich ins Gebirge, das die Mutter Und der Vater einst dem Kind setzten als Grab; Ich muss aus diesen Mauern, ich verpeste diese Stadt! Denn eines weiß ich: Nie ließen mich die Götter tot, wie ich bin, am Leben, Wenn nicht für schlimmeres, für schlimmstes Leid. Doch unser Schicksal gehe nur, wohin es geht! Um die Söhne, Eteokles, den erstgeborenen, Und Polyneikes, Bruder ihm im Streit, sorge dich nicht! Männer sind sie, voller Zorn und Ehrgeiz Wie ich einst, hochmütig selbst in der Schmach. Doch meine beiden Mädchen, um sie tut es mir leid. Antigone, Ismene, kommt! Spür ich euch mit Händen, Ist mir, als hätt‘ ich euch wie als ich sah. Hör‘ ich meine beiden Lieben weinen, Die liebsten meiner Kinder, ist es so? ANTIGONE Es ist so. ÖDIPUS Kinder, ihr, in meinen brüderlichen Armen, Wie machtet ihr des Vaters Augen früher strahlend, Wenn ich nach euch so schaute, machtet ihr glücklich mich, Der ich nicht sehend und nichts wissend, euch Zum Vater wurde, wo ich selber ward gesät. Euch bewein ich, Euer Leben! In welche Häuser Lässt man euch noch ein, was werden das für Feste, Auf denen, wenn ihr kommt, das Lachen stirbt Und die Musik verstummt. Wer nimmt euch jetzt noch, Welcher Mann, und geht das Wagnis ein der Schande, Die wie ein Schatten fällt auf euer Haupt, Denn euer Vater schlug den seinen tot und pflügte die, Die ihn gebar und euch ihm schenkte aus demselben Schoß. Nein, Kinder, da ist keiner, ihr müsst unfruchtbar Und ehelos zugrunde gehen. Ich bete nur, dass ihr Es besser trefft als euer Bruder, der euch pflanzte! KREON: Geh ins Haus. ÖDIPUS: Du weißt, was ich dich bitte. KREON: Ich weiß – ÖDIPUS: Dass du mich ziehen lässt. KREON: Gottes Gabe forderst du. ÖDIPUS: Kinder, führt mich von hier fort! KREON: So geh, doch lass die Kinder hier! ÖDIPUS: Niemals! KREON: Es geht in dieser Stadt nicht mehr Nach deinem Sinn. ÖDIPUS: Es sind meine Kinder! KREON: Die Kinder meiner Schwester. Sie gehören Theben! ÖDIPUS: Es ist mein letzter Wunsch. KREON: Was dir nach Wunsch ging, war dein Unglück. II. TEIL SIEBEN GEGEN THEBEN / DIE PHÖNIZIERINNEN Nach Aischylos, Euripides 1 ETEOKLES: Bürger von Theben, fürchtet nichts! Denn stets hat sich der Krieg Für uns Belagerte durch Göttergunst gewendet. Jetzt liegt vor unsern Mauern wie ein Schwarm Das Heer von Argos und droht mit Ansturm auf die Stadt. Drum zu den Türmen unserer sieben Tore Macht euch auf in vollem Harnisch! Füllt die Brustwehr, stellt euch an den Zinnen auf Und sperrt die Stadttore mit allem, was ihr habt! Seid, Thebaner, fest in euerm Mut! Die Überzahl der Fremden Schlägt ein Gott! Und ihr, Schutzherren unsrer Stadt, Steht uns bei, diesem so tapferen Volk und mir, Eteokles, dem Sohn des Ödipus, von Laios‘ stolzem Stamm! Dies freie Land soll nie dem Joch der Knechtschaft Unterworfen sein! 2 POLYNEIKES: Mutter? IOKASTE: Polyneikes? POLYNEIKES: Die Wächter ließen unbehelligt mich passieren Ins Innere der Stadt, doch fürchte ich, einmal gefangen, Komm ich mit heiler Haut hier nicht heraus. IOKASTE: Mein Kind! Mein liebes Kind! Ich hatte keine Hoffnung mehr, dich lebend zu umfassen, Nachdem dich Bruderhass von hier verbannt. Ach, Polyneikes, Ich trauerte um dich wie um ein totes Kind. Im Haus dein Vater, blind und abgedankt, klagt immerzu, Und versucht, sich zu erhängen. POLYNEIKES: Milde und Einsicht sind seinem Alter fremd. IOKASTE: Noch immer flucht er euch und eurem Hunger Nach der Macht und ruft die Rachegeister an, Weil ihr ihn vor der Welt versteckt und Herrscht in seinem Namen, so wie jetzt Eteokles. Doch weiß ich wohl, dass er sich nach dir sehnt, Mein Sohn, ganz Theben sehnt sich! POLYNEIKES: Mutter, dieses Haus hier, Theben ist für mich jetzt Feindesland. IOKASTE: Hab keine Angst, mein Wort beschützt dich. POLYNEIKES: Das Schwert gezückt, lief atemlos Ich durch die Häuserschatten, wie ein Dieb, Eteokles mit seinem Hass bedroht mein Leben, und ich muss weinen, wieder zu sehn nach so viel Jahren Die Tempel, Plätze, Mauern meiner Jugend, Von wo zu Unrecht ich vertrieben bin! IOKASTE: Ein Gott zerstört das Haus des Ödipus, Und damit fing es an, dass ich entgegen Götterwille Ihn gebar, den Sohn und Mann, der nie sein sollte, Und doch sind wir noch da und tragen unsern Namen stolz. Du aber, mein Kind, hör‘ ich, du bist vermählt In fremdem Land und fremdem Haus – verzeih, Ich weiß nicht, wie ich, ohne dich zu kränken, Fragen soll. POLYNEIKES: Frag nur. IOKASTE: Was führte dich nach Argos, welcher Plan? POLYNEIKES: Es fügte sich. IOKASTE: Zur Ehe gab Adrast dir seine Tochter … POLYNEIKES: Ich suchte Obdach, heimatlos. IOKASTE: Du kränkst durch solche Heirat Laios‘ Haus. POLYNEIKES: Die Ehe gibt mir keinen Grund zur Klage. IOKASTE: Sie gibt Befehl dir über dieses Heer. POLYNEIKES: Auch das. Adrast schwor mir, mich heimzuführen Siegreich über Theben mit sieben Völker Waffenhilfe! IOKASTE: Und diese Ehe ist der Preis. POLYNEIKES: Mutter, es schmerzt mich so wie dich, Die Heimat zu bekriegen als ein Fremder. Doch Du weißt, die Götter wissen, es ist des Bruders Schuld, Nicht meine, dass ich zur Waffe greifen muss! Dir, Mutter, kommt es zu, das Schlimmste zu verhüten. Bring zur Vernunft Eteokles! Söhn uns aus! 3 ETEOKLES: Nur dir zuliebe komm ich, Mutter. Zur Sache gleich! Was schlägst du vor? Den Kriegsrat unterbrach ich, um zu hören Deinen Schlichterspruch. IOKASTE: Geduld! Langsame Rede macht die Einsicht reif. Eteokles, ich bitte, blick auf deinen Bruder, Und zeig auch, Polyneikes, du ihm dein Gesicht – So ist’s gut. Mach du den Anfang, Polyneikes! Du hast ein fremdes Heer gegen die Stadt geführt, Weil du meinst, Unrecht sei dir geschehen? POLYNEIKES: Schlicht redet, wer die Wahrheit spricht. Vorsorge traf ich für des Vaters Erbe, Für mich und ihn, damit der Fluch sich nicht erfüllt, Den Ödipus gesprochen über uns, und Bruderzwist Um Macht und Reichtum uns vernichtet. Freiwillig trat ich zurück, zog in die Fremde Und überließ dem Bruder auf ein Jahr die Krone, Um Thebens Herrscher dann zu sein im nächsten Jahr, Er aber, der die Übereinkunft feierlich gebilligt, Hält sein Versprechen nicht und will den Thron Und meinen Erbteil mir nicht zugestehen. Noch jetzt bin ich bereit, wenn er mir gibt, Was mein, des Heeres Abzug zu befehlen, Mein Amt als König auszuüben, für ein Jahr, Um es ihm herzuleihen für gleiche Zeit. In diesem Fall belagere ich Theben nicht, Und zieh die Sturmleitern zurück von seinen Mauern. Wird aber mir mein Teil versagt, wage ich alles! Die Götter rufe ich als Zeugen, Dass ich nur kämpfe für mein Recht, Weil mich der Bruder rechtlos aus der Heimat drängt! ETEOKLES: Wär‘ unser Handeln nur auf eine Art zu deuten, Es gäb auf dieser Erde keinen Streit. In Wahrheit ist den Menschen nichts gemeinsam, Worte nur. Ich, Mutter, sprech es offen aus: Vor nichts mache ich halt, ich gehe jeden Weg, Und sei’s, bis in der Erde dunklen Schoß, Wenn ich von dort mir Herrschaft holen könnte. Als Ältester bin ich zum Königsein geboren Und kann unmöglich abtreten die Macht an einen, Der dazu nicht taugt. Ich wär‘ kein Mann! Und schwach und schmachvoll stünde Theben da, Wenn ich, durch fremde Waffen eingeschüchtert, Mein Zepter einem Nebenkönig überließ. Nein! Will er ungekrönt in unsern Mauern wohnen, Meinetwegen. Doch was den Thron betrifft, Geb ich nicht nach und zerreiße unsern Pakt, Der Stadt zum Heil, die es verdient, Dass nur der Beste sie regiert. IOKASTE: Nicht doch, Eteokles! Gleichheit ist das Band, das Freund mit Freund Und Staat mit Staat vereint, und du Willst mit dem gleichen Teil des Erbes nicht Wie er zufrieden sein? Wo bleibt das Recht? Und schlecht regiert die Macht, die sich Auf Unrecht gründet, Feindschaft sät! Willst du mit ansehen Thebens Untergang, Um deiner Herrschaft willen, sehen, wie Argos‘ Schwerter Thebens Speere brechen Und ein Heer, siebenmal so groß wie unsres, Herfällt über die Häuser, Männer, Frauen dieser Stadt? ETEOKLES: Mich rügst du und redest Thebens Feind Das Wort? IOKASTE: Zu dir auch, Polyneikes, sprech ich; Falsch war’s, mit Adrast dich zu verbinden und Mit fremder Heeresmacht zu ziehen gegen uns, Denn nähmst du Theben ein – was Gott verhüte – Was wär‘ das für ein Ruhm? Wer in der Heimat, Wird dich lieben? Und wenn dein Bruder siegt, Wie stehst du da, wenn du zurück nach Argos kommst Und bringst Unzählige nicht wieder mit? Schon jetzt spricht doch das Volk: „Unsel’gen Ehebund hat Adrast gestiftet, Für eine Hochzeit sterben unsere Söhne!“ Treib’s nicht zum Äußersten! POLYNEIKES: Aber ich muss doch, Mutter! ETEOKLES: Das führt zu nichts, wir enden hier. Nur unter der Bedingung bin zum Frieden ich bereit, Dass ich das Zepter in den Händen halte, niemand sonst. IOKASTE: Kind - ETEOKLES: Nein, Mutter, lass mich, keine Predigt! Und du, Verräter, flieh aus diesen Mauern Oder stirb! POLYNEIKES: Durch wen? Wo ist der Unverwundbare, Der mich im Kampf besiegt? ETEOKLES: Er ist ganz nah! Hier bin ich. POLYNEIKES: Ich hörte stets, dass Reichtum feige macht. ETEOKLES: Und doch führst du gegen die Stadt ein Heer In Überzahl? POLYNEIKES: Ich fordre nochmals meinen Teil an Vaters Krone! ETEOKLES: Fordere, so viel du willst! Der Thron ist mein. POLYNEIKES: Du nennst dein mehr als nur die Hälfte? ETEOKLES: Alles. Geh! Verschwinde! POLYNEIKES: Götter dieser Stadt - ETEOKLES: Die du zu zerstören kamst – POLYNEIKES: Hört mich an! ETEOKLES: Den, der sein Vaterland bekämpft! POLYNEIKES: Man vertreibt mich aus der Heimat! ETEOKLES: Mehr noch! Töten werd‘ ich dich. IOKASTE: Eteokles, hör auf! - hör auf! hör auf! POLYNEIKES: Mutter, ich geh! ETEOKLES: Du musst! Verlass die Stadt! POLYNEIKES: Nur lass vom Vater mich noch Abschied nehmen. ETEOKLES: Nein. POLYNEIKES: Meinen Schwestern. ETEOKLES: Nie darfst du sie wiedersehen. POLYNEIKES: Antigone! Ismene! ETEOKLES: Ruf nicht nach denen, deren Feind du bist. POLYNEIKES: Mutter – ETEOKLES: Du bist ihr Sohn nicht mehr! IOKASTE: Nie zeigtet ihr euch mehr als Söhne eures Vaters. POLYNEIKES: Er verhöhnt mich! ETEOKLES: Und du, hast du mich nicht verhöhnt? POLYNEIKES: Wo, Bruder, stehst du in der Schlacht? ETEOKLES: Warum fragst du? POLYNEIKES: Dir entgegen tretend, töt‘ ich dich. ETEOKLES: Ich komme dir zuvor. IOKASTE: Habt ihr vergessen, was euch droht? ETEOKLES: Von mir aus geh zugrund das ganze Haus! POLYNEIKES: Es wird nicht lange dauern. ETEOKLES: So spricht einer, der hier König werden wollte. POLYNEIKES: Theben, lebe wohl! Mutter, Vater, alle, Ob ich euch jemals wieder sehe, weiß ich nicht, Doch wenn ich euch Zerstörung bringe, so ist das seine Schuld! Mir bleibt allein die Hoffnung, ihn zu töten, Und diese Stadt zu retten vor dem Untergang! ETEOKLES: Geh endlich! Göttliche Ahnung war’s vom Vater, Polyneikes dich zu nennen, weil du zäh im Streite bist. Jetzt entscheidet zwischen uns das Schwert. 4 ETEOKLES: Kreon, Kreon, Kreon. Die Zusammenkunft mit Polyneikes Hat nicht zur Einigung geführt. KREON: Dann steht ein Sturmangriff der Feinde uns bevor? ETEOKLES: Wir werden offen ihm entgegen ziehen, Aus Wall und Graben vorwärts in die Schlacht! KREON: Aber unser Heer ist klein, groß das ihre, Und Argos‘ Streitmacht gilt den Griechen viel. ETEOKLES: Nur Mit! Ich tränke das Feld mit ihrem Blut! Mein Heer soll hinter Mauern sich nicht ducken! KREON: Es siegt, wer Mut und Klugheit paart. ETEOKLES: Was denn? Sollen wir etwa die Waffen strecken? KREON: Gewiss nicht! Doch die Kunde geht, Es wollten sieben ihrer besten Helden – ETEOKLES: Helden! KREON: Mit sieben Tausendschaften unsere Tore stürmen. ETEOKLES: Und ich soll gar nichts tun und warten? KREON: Stell sieben Helden, einen an jedes Tor, auch du. Nimm die Kampferprobtesten als Feldherrn, dass sie Dir beistehen mit Befehlsgewalt. Einer sieht nicht alles … ETEOKLES: So sei es denn, ich geh zu meinem Heer, Und wenn ein Gott unsere Geschicke lenkt, Dann führt er meinen Bruder mir entgegen, Auf dass ich ihn im Lanzenkampf durchbohre. KREON: König … ETEOKLES: Ach, eins noch, Kreon, wenn ich falle … Versprich mir, dass dein ältrer Sohn Haimon sich mit Antigone vermählt Und die Verlobung siegelt durch den Ehebund, Damit aus unsern beiden Häusern eines wird. Hab Dank. Leb wohl! KREON: König, warte! Teiresias, den Seher, wollen wir fragen, Ob nicht ein Gott das Kommende ihm offenbart. Mein Sohn Menoikeus führt ihn hierher. ETEOKLES: Dir wird er gern verkünden, was er weiß. Mir, der ich früher seine Seherkunst verspottet hab, Ist er nicht wohlgesonnen. Ich ziehe in den Kampf! 5 TEIRESIAS: Menoikeus, ist es noch weit Zu deinem Vater? Müd sind meine Knie … KREON: Du bist am Ziel. Hilf ihm, mein Junge! TEIRESIAS: Kreon, sprich, was ist so dringend? KREON: Erst sammle deine Kraft und schöpfe Atem. TEIRESIAS: Erschöpft, ja, das ist wahr, das bin ich, Kehrte erst gestern von Erechtheus zurück, Auch dort war Krieg; den Söhnen Kekropos Hab ich den Sieg verheißen und aus der Beute Einen Kranz von Gold als Ehrensold empfangen. KREON: Glücksbote sei für uns dein Siegeskranz! Du weißt, von Argos‘ Heer umstellt, befindet Theben sich In großer Not. Schon ist Eteokles hinausgeeilt zur Schlacht. Mir aber trug er auf, dich zu befragen, Durch welche Tat die Stadt gerettet wird. TEIRESIAS: Für ihn, Eteokles, würd ich zum Seherspruch Den Mund nicht öffnen. Dir, weil du mich fragst, Sag ich’s. Kreon, diese Stadt ist krank Und hat mit Pest und Tod noch lange nicht Genug gesühnt. Von Heilung, von Vergebung Ist sie so weit entfernt wie je, Seit Laios wider göttlichen Gebots Den Muttergatten Ödipus gezeugt. Denn gottgewollt war seine Blendung und Gemeint als Warnung an die Stadt. Doch den Gezeichneten verbergen seine Söhne vor der Welt Sie halten ihn gefangen im Dunkel seines Hauses wie im Grab. Und jeder Tag, den er nicht sieht, erneuert seinen Fluch: Dass sie das Erbe teilen mit dem Schwert, Bis nichts mehr ist und auch sie selbst nicht mehr! KREON: So lautet denn der Spruch …? TEIRESIAS: Wie habe ich mit Wort und Tat versucht, Der Söhne Gier zu zähmen, sie gescholten und gewarnt Und dadurch beide mir zum Feind gemacht! Jetzt naht für sie der Tod durch eigne Hand; Und Leichen über Leichen hingestreckt, Erwecken bald in Theben bitt’re Klage. Ja, auch du, verdammte Stadt, wirst mit zerstört, Wenn meinem Seherwort man nicht gehorcht. KREON: Dann gibt es Hoffnung? TEIRESIAS: Am besten wär’s, von Ödipus‘ Geschlecht Wär‘ keiner Bürger, keiner Herr in dieser Stadt. Gottlos sind sie und dem Staat eine Gefahr. Zur Rettung gibt es nur noch einen Weg. Ihn dir zu nennen, Kreon, wag ich nicht, Denn grausam, all zu grausam, ist der Schnitt, der Theben heilen kann. KREON: Sprich. TEIRESIAS: Ich geh. Lebt wohl! Als einen unter vielen Trifft mich, was kommt. Verhüten kann ich’s nicht. (KREON: Halt, Alter! Bleib! ) KREON: Du fliehst vor mir? TEIRESIAS: Dein Schicksal flieht vor dir, nicht ich. KREON: Sprich aus, was diese Stadt noch retten kann! TEIRESIAS: Jetzt wünschst du es, bald nicht mehr. KREON: Es gibt nichts, was ich zu wissen mehr begehre! TEIRESIAS: Gut denn! Vernehmen sollst du meinen Spruch. Wo ist Menoikeus? MENOIKEUS: Hier bin ich. TEIRESIAS: Entfernen soll er sich. Er soll weg, weg. KREON: Er ist mein Sohn, er wird zu schweigen wissen. TEIRESIAS: In seiner Gegenwart soll ich es sagen? KREON: Es wird ihn freuen zu hören, was uns hilft. TEIRESIAS: So höre denn! Dies ist mein Seherspruch: Menoikeus musst du opfern, Kreon, deinen Sohn, Für diese Stadt. Selbst riefst du dein Geschick. KREON: Opfern? Ich? Nein! In welchen Abgrund stößt du mich mit einem Wort. TEIRESIAS: Abgrund für dich, doch Rettung für die Stadt. KREON: Ich habe nichts gehört. Theben fahr wohl! TEIRESIAS: Rettung ist’s für Theben. Rettung für die Stadt. KREON: Geh nur! Ich brauche deine Sprüche nicht. TEIRESIAS: Ist Wahrheit nicht mehr wahr, weil sie dich schmerzt? Ist Wahrheit nicht mehr wahr, weil sie dich schmerzt? KREON: Schweig, bitte! Verbreite nicht es in der Stadt … TEIRESIAS: Zu spät Kreon. Das wär Verrat; mein Schweigen ist gebrochen, Das Wort läuft um. KREON: Was willst du tun? Mein jüngstes Kind dem Tode weihn? TEIRESIAS: Zu handeln ist nicht meine Sache, ich verkünde nur. KREON: Warum Menoikeus, warum? TEIRESIAS: Haimon, deinen ältren Sohn, schließt Die Verlobung mit Antigone, der Tochter des Verderbens, Vom Gottesopfer aus. Nur der Jüngste, Unschuldigste von allen, Menoikeus, kann die Vaterstadt durch seinen Tod befreien Und Adrast mit seinem Heer zu einem Rückzug zwingen, Auf den der Schatten seines Todes fällt und der Glanz Von Thebens Ruhm. Jetzt weißt du alles. Und Kreon, fass mich nie wieder an. 6 KREON: Was ist? Muss ich noch sagen, was sich von selbst versteht? Ich habe alles, was ich kann, für diesen Staat getan, Mein Kind als Opfer ihm zu schlachten, kann ich nicht. Ich selbst bin gern bereit, fürs Vaterland zu sterben, Aber du, Menoikeus - das kann kein Gott von mir verlangen! Auf, auf, bevor es sich im Volk herumspricht! Lass hinter dir den dreisten Seherspruch Und flieh, so schnell du kannst, aus diesem Land! MENOIKEUS: In welche Stadt? Zu wem? KREON: Nimm über Delphi deinen Weg - MENOIKEUS: Gut. KREON: Und weiter, bis Aitolien, nach Thesprotien! Dort findest du Asyl und Zuflucht. MENOIKEUS: Und wie komm ich an Geld? KREON: Damit versehe ich dich! Warte hier! MENOIKEUS: Ja, Vater. KREON: Du bist ein guter Junge. MENOIKEUS: Geh nur, Vater, geh. KREON: Mein Sohn … MEONIKEUS: Er will mich feig und schickt mich fort. Verzeihen muss man’s ihm, er ist alt, Doch mir verzeihen könnt‘ ich’s nie! Niemals! Soll ich mein Leben retten, fliehen Und in Sicherheit mich bringen, während andre - Männer! - die kein Orakel bindet, an den Toren stehen In Reih‘ und Glied, zum Tod bereit. Vater, Willst du mich so? Als einen Feigling, Einen, der die Freunde in den Tod schickt, Um selbst das Weib zu spielen, jammernd und außer Gefahr? Ich kann dir nicht gehorchen, gegen mein Vaterland, Die Vaterstadt! Kann nicht Asyl bei Fremden suchen, Die mich verachten werden, weil mir mein Leben lieber ist Als Götter Wille. – Nein, Vater, nein! Hin tret ich vor alle auf den höchsten Turm Und töte mich und stürze in die schwarze Tiefe Und frei wird Theben sein. Nur so bin ich Dein Sohn! Könnt‘st du mich sehen … Das ist Iokaste! IOKASTE: Was ist? Du blickst so heiter In so düstrer Stunde? MENOIKEUS: (nach vorn) Ich liebe sie, wie die Mutter, Die mir starb, indem sie mich gebar; Verwaist, trank ich an ihrer Brust mich satt. Hab Dank für alles! IOKASTE: Wo willst du hin, Menoikeus? MENOIKEUS: Leb wohl, leb wohl! IOKASTE: Wohin? MENOIKEUS: Zu meiner Mutter. IOKASTE: Menoikeus? … 7 IOKASTE: Mir ist so bang, so bang … Sind das die Trommeln schon der Schlacht? Schon Kriegsgeschrei? Und diese Stille? Alles schreckt mich. – Ach, Ödipus, Du Pest aus meinem Leib, treibst du Die Söhne in den Bruderkrieg durch deinen Fluch … Ihr Götter! Bist du nicht Knappe von Eteokles Und sollst mit deinem Schild ihn decken in der Schlacht? Was bringst du? Lebt mein Sohn?! BOTE: Er lebt. IOKASTE: Und Polyneikes auch? Ist er verwundet? BOTE: Unversehrt ist deiner Söhne Paar! IOKASTE: Hab Dank, hab tausend Dank! Was bringst du noch? BOTE: Gute Nachricht! Das Heer von Argos‘ ist Zurückgeschlagen von den sieben Toren dieser Stadt Und unsere Verluste sind gering. Denn Kreons Sohn, Fürs Vaterland sich opfernd, trat an den Zinnenrand Mit blankem Schwert und schnitt, dem Land zum Heil, Sich selbst die Kehle durch. IOKASTE: Menoikeus …? BOTE: Ein Held! Und hoch erhaben, stand er still, Dem Feind Einhalt gebietend durch die Opfertat, Dann stürzt‘ er in die Tiefe; das Blut, in dem er lag, War schwarz, Hals über Kopf ergriff Der Feind auf dieses Himmelszeichen hin die Flucht! Unsere Mauern stehen unbesiegt. IOKASTE: Die Götter haben uns verziehen. Meine Kinder leben, und Thebens Fall blieb aus. Dank, Dank! ANTIGONE: Mutter! Eteokles und Polyneikes Verloren ist ihr Leben! IOKASTE: Der Bote sagt - ANTIGONE: Sie messen sich im Einzelkampf! IOKASTE: Nein! Nein! Menoikeus starb, fürs Vaterland Sich opfernd, und brachte Argos‘ Heer zum Rückzug! ANTIGONE: Deine Söhne messen sich im Einzelkampf! IOKASTE: Ich kann nicht mehr… 8 KREON: Menoikeus ist tot. ANTIGONE: Ach, ach, ach, Kreon, Kreon, Kreon, Onkel, Onkel, Onkel … KREON: Was? Was bringst du? ANTIGONE: … KREON: Ist’s möglich, dass ich, in Trauer Um mein totes Kind, das Schlimmste nicht erfuhr? Sprich! ANTIGONE: Klagen kann ich nur. KREON: Du lässt mir keine Hoffnung. ANTIGONE: Meine Brüder, Kreon … KREON: Tot? ANTIGONE: Sie schaun der Sonne Licht nicht mehr. KREON: Tot, Eteokles? Der Staat enthauptet? Theben, herrenlos? Eteokles ist tot? ANTIGONE: Er ist‘s, Ermordeter und Mörder Seines Bruders. KREON: Das kann nicht sein. Mein Kind geschlachtet Und jetzt ist dieses Opfer ganz vergeblich? Teiresias, hätt’st du uns das geweissagt – Tot, Eteokles? ANTIGONE: Und Polyneikes tot, und tot, Mitsamt den Brüdern, auch die Mutter, deine Schwester. KREON: Gut. Gut, gut. Die Götter lassen keine Strafe aus Und ihre Härte hat ein übermenschlich‘ Maß. ANTIGONE: Ein schwarzer Tag, schwarz, Bis in alle Zeit. KREON: Was ist geschehen, sag. ANTIGONE: Den Bruderkampf noch zu verhindern, Versöhnung zu erflehen, eilten wir, Mutter und ich, Da lagen sie schon auf dem Platz und starben, Die Wunden offen weit wie Münder ohne Atem. Unser Bitten kam zu spät. Die Mutter schrie. Eteokles, röchelnd im Todeskampf, hörte Ihr Klagen, legte seine Hand um sie und Wortlos, nichts als Tränen in den Augen. Und Polyneikes – KREON: Gut. Gut. ANTIGONE: Polyneikes sprach: Mit uns ist’s aus. Mutter, du tust mir leid Und meine Schwester und der tote Bruder. Obwohl verhasst, bleibt er mir Bruder doch. KREON: Wo ist der Leichnam des Eteokles? Bringt ihn, Salbt ihn königlich und bahrt ihn auf zur Schau! ANTIGONE: Bestattet mich, sprach Polyneikes, bestattet mich, bestattet mich, Mutter, und Schwester, du, in Heimaterde! Den Zorn der Stadt besänftigt, auf dass mir wenigstens Ein Grab die Heimat gibt, die mir kein Haus gegönnt. Schließ mir die Augen zu, Mutter, mit deiner Hand, Sprach er, und ihre Hand, die bebte, nahm er Und legte sie sich aufs Gesicht. KREON: Antigone, lass gut sein. – Leute, hört ihr? Erweist dem König dieser Stadt die letzte Ehre! ANTIGONE: Sie schlugen sich zugleich, Zugleich auch hauchten sie das arme Leben aus, Und Mutter, als sie beide tot fand, Keinen Atem mehr in ihren Leibern, riss In wildem Schmerz das Schwert aus ihrem Fleisch Und stieß den Stahl sich mitten durch den Hals. KREON: Ja, schrecklich. ANTIGONE: O Polyneikes, wie ist an diesem Tag Die Ahnung deines Namens wahr geworden. Streit – nicht Streit nur, nein, dein tötender Tod Hat unser Haus zu Fall gebracht. KREON: Was bringt ihr den da, den Verräter? ANTIGONE: Aber, Kreon ... KREON: Hierher gehört er nicht! ANTIGONE: Er ist mein Bruder. KREON: Er gehört nicht in die Reihe dieser Toten! ANTIGONE: Keinem, nur Polyneikes ziemt der Platz Zwischen Mutter und Bruder, und lag ich selber dort! KREON: Freund von Geburt, wurd er aus Mutwillen Dem Staat zum Feind. ANTIGONE: Und gab dafür zur Strafe hin sein Leben. KREON: Auch tot noch soll er büßen. Er mordete den König! ANTIGONE: Und war's zur Hälfte selbst, stand ihm doch zu Ein Teil der Krone. KREON: Bestattet wird der Königsmörder nicht! ANTIGONE: Dein Wort bindet mich weniger als alte Pflicht. Ich tu's! KREON: Du bringst dich neben ihm ins Grab! ANTIGONE: Schön ist's, wenn nah vereint Geschwister ruhn. KREON: Geh ins Haus. ANTIGONE: Ich bleib bei diesem Toten. KREON: Geh ins Haus! ANTIGONE: Lass mich verbinden seine Wunden. KREON: Ich warne dich! ANTIGONE: So will ich, Liebster, wenigstens dich küssen ... KREON: Du bist mit meinem Sohn verlobt, verhalte dich auch so! ANTIGONE: Meinst du, ich nähm ihn lebend? KREON: Du musst! Du musst! - Weg da! ANTIGONE: Vater, hörst du? Vater! KREON: So ruf ihn doch, er ist nicht König mehr, Und seine Söhne - der eine, der es war, ist tot, Der andere hat auch als Toter jedes Recht verwirkt. ANTIGONE: Vater! Komm! Komm, blinder Mann! Verfluchter Fluchender! Ödipus, komm, zeige dich! Der Tod der Brüder Hat den Bann gebrochen, und offen stehen die Pforten Der Gefangenschaft, die dich so lang gehalten, Du Luftgespenst und Gast der Tiefe… 9 ÖDIPUS: Was störst du, Kind, die Nacht, in der ich lebe, Zerrst meine Blindheit ungestüm ans Tageslicht Und brichst den Frieden altvertrauten Kummers. ANTIGONE: Traurige Botschaft, Vater, bring ich dir, Denn deine Rache schafft dir selbst den größten Schmerz: Tot sind deine Söhne, auch deine Gattin-Mutter Lebt nicht mehr. Dein Fluchgeist nahm Besitz Von deinen Söhnen, Brüdern, beiden, und mit dem Schwert Haben sie statt des Erbes sich den Tod geteilt. ÖDIPUS: Weh! Weh! ANTIGONE: Bitt'rer wär's, du könntest jetzt Die Leichen deiner Kinder, deiner Frau erblicken Mit sehenden Augen. KREON: Viel Leid schuf uns und sich Das Haus des Ödipus. Zeit ist's, zu schließen Endlich diese Wunde, die nie heilt. Drum Theben - Ödipus - vernimm mein Wort! Die Krone geht von deinem Sohn Eteokles Über auf mich, denn ich war ihm im Staat Der Nächste. Desweiteren gebe ich bekannt, Haimon, mein älterer Sohn, erhält zur Braut Mitsamt dem Brautschatz: dein Kind Antigone. Es war des toten Königs letzter Wille. Nun, Ödipus, zu dir: Du kannst hier nicht bleiben. Teiresias hat uns geweissagt, dass nie, Solange du hier haust, Frieden herrscht und Ordnung, Entferne dich! Nicht, dich zu kränken, nicht Aus Hass befehl ichs, sondern aus Sorge um das Wohl Der Stadt, denn deine Nähe schadet Theben. Du bist verbannt aus diesen Mauern, Bei Strafe deines Lebens. ÖDIPUS: Du hast mich nicht verstoßen einst, als ich Dich darum bat, jetzt habe ich in meiner schwarze Wut Die Söhne, Brüder in den Tod getrieben, Weil sie mich lebend in die Gruft gesperrt Aus Gier nach meiner Macht, meinem Vermächtnis. Was soll ich jetzt noch fliehen? Und vor wem? KREON: Geh. ÖDIPUS: Du tötest mich, indem du mich verbannst. KREON: Fass mich nicht an! Ich kann dich hier nicht dulden, Und treff ich dich, droht Schlimmeres dir Als ein lebendig Grab! – Wohlan! Die ehrenvollen Toten tragt herein Zu Aufbahrung und ewigem Gedächtnis. Ihn, der Theben mit Barbaren-Macht Zerstören wollt, den Verräter Polyneikes, Werft unbestattet vor die Mauern dieser Stadt! Und wer es wagt, wer heimlich diesen Leichnam schmückt Und deckt mit Erde, ist des Todes Und stirbt wie dieser da als ein Verräter. – Geh ins Haus und warte auf den Tag, An dem du Haimons Gattin wirst. ANTIGONE: Mein Vater, armer Vater, Ich wein um dich noch mehr als um die Toten. Dein Schicksal ist halb schwer nicht und halb leicht, In jedem Punkt trifft's dich mit voller Härte. -Dich aber frag ich, Kreon, du neuer König: Warum verbannst du unsern alten Vater Und schaffst für diesen Toten ein Gesetz, Das viel mehr Unrecht bringt als Recht? KREON: Ihr habt in Theben keine Stimme mehr. ANTIGONE: Nein? KREON: Nein. Eine neue Zeit bricht an. ANTIGONE: Dem armen Vater folg ich in Verbannung. KREON: Sehr edel und sehr unvernünftig. ANTIGONE: In deiner Stadt kann ich nicht bleiben. KREON: Das wirst du. Noch dazu in meinem Haus. ANTIGONE: Ich zieh es vor, zu sterben mit dem Vater. KREON: Dein Sinn, Antigone, wird sich noch ändern, So wahr ich König bin! 10 ÖDIPUS: Mein Kind, für deinen guten Willen dank ich dir – ANTIGONE: Soll ich vermählen mich und dich alleine lassen? ÖDIPUS: Bleib hier, sei glücklich! Mein Leid ertrag ich selbst. ANTIGONE: Wer würde dir, dem Blinden, Hilfe sein? ÖDIPUS: Wo ich zu Boden falle, bleib ich liegen. – Führ mich zur Mutter. Mein armes Mütterchen. Mein armes Weib. ANTIGONE: Da liegt sie nun. Ihr blieb kein Leid erspart. ÖDIPUS: Wo ist Eteokles, wo Polyneikes? ANTIGONE: Beisammen liegen sie hier hingestreckt. ÖDIPUS: Ihr Lieben. ANTIGONE: Du, Polyneikes, warst der Liebste mir. ÖDIPUS: Jetzt, Kind, erfüllt sich der Orakelspruch, Wonach ich, nirgends heimisch, auf der Irrfahrt sterbe. Auf diese Reise gehe ich ohne dich nach Kolonos, Ich, Ödipus, der in der Rätselkunst Den großen Sieg errang und einst Der blut‘gen Jungfrau dunkles Wort gedeutet – ANTIGONE: Sprich von der Sphinx nicht mehr, Die Erfolge der Vergangenheit lass ruhn, Wir trotzen beide diesem neuen König, Nur das ist das Gebot der Stunde! Vater, bleib! ÖDIPUS: Bürger von Theben, Seht, ich bin Ödipus, ich galt als großer Mann, als Sphinx Bezwinger und Erlöser aus der Tyrannei – und jetzt? Entehrt und schutzlos treibt mich Kreon aus der Stadt. Seht euch das an! Seht her! Seht! III. TEIL ANTIGONE Nach Sophokles. 1 ANTIGONE: Ismene. Ismene. Ismene. Das Erbe unseres Vaters zieht nun seinen Bann Um dich und mich. Vom Grab schließt Kreon einen unsrer Brüder aus … Eteokles zieht nach Gesetz und Brauch feierlich ein Ins Totenreich, doch Polyneikes‘ Leichnam soll Im Grabe keiner bergen, keiner ihn betrauern, Ruhmlos, schutzlos wirft Kreon ihn den Vögeln vor zum Fraß, ISMENE: Wer seinem Wort zuwider handelt, wird gesteinigt. ANTINGONE: Jetzt zeigt sich, wer wir sind. ISMENE: Was willst du tun? ANTIGONE: Die Frage ist nicht, was ich tu, Sondern ob du mir dabei hilfst. ISMENE: Wobei? ANTIGONE: Den Leichnam davor zu bewahren, Aas zu sein. ISMENE: Du möchtest ihn bestatten gegen das Verbot? ANTIGONE: Ja, meinen Bruder und den deinen. ISMENE: Kreon wird uns strafen. ANTIGONE: Mich von den Meinen trennen kann er nicht! ISMENE: Alle sind sie tot nur wir sind noch am Leben, Und jetzt willst du, dass wir zugrunde gehen: gesteinigt! Nein. Nein. ANTIGONE: Dann ist es so. Dann ist es so. Nicht mir zuliebe weihte ich dich ein, Sondern um deinetwillen. Ich tu’s auch ohne dich. ISMENE: Antigone … ANTIGONE: Unsern Bruder begrabe ich allein Und schön wird mir nach solcher Tat der Tod, Von ihm geliebt, lieg ich bei ihm, dem Liebsten, Der Stadt eine Verbrecherin, der Unterwelt Gehorsam. ISMENE: Das sind doch Worte. ANTIGONE: Mehr als den Mächtigen hier oben Dien‘ ich den Göttern in der Tiefe, Dort lieg ich länger. ISMENE: Glaubst du, was du da sagst. ANTIGONE: Weißt du es besser? ISMENE: Ich will nicht schuldig werden, Auch an den Toten nicht, Antigone. Doch bin ich nicht dafür geschaffen, Das Gesetz zu brechen und mich zu stellen Gegen alle! ANTIGONE: Dann flüchte dich in diesen Vorwand. Ich aber gehe hin und berge des geliebten Bruders Leib Im Grab. ISMENE: Du machst mir Angst. ANTIGONE: Um mich sei nicht in Sorge! Fürchte um dich! ISMENE: Dann halte wenigstens die Tat geheim, Ich will es auch. ANTIGONE: Nicht doch! Schrei sie heraus! Tu‘s allen Leuten kund! ISMENE: Du hast bei kalten Dingen ein so heißes Herz. ANTIGONE: Ich weiß auf meiner Seite, die mir wichtig sind. ISMENE: Und siehst doch nicht, was dir entgegensteht! ANTIGONE: Wenn du so redest, Schwester, Machst du dich mir verhasst und den Verstorbenen auch. ISMENE: Ich will nur, dass du lebst. ANTIGONE: Ich bin bereit, das Ungeheure zu erleiden Und geht es über meine Kräfte, ist der Tod mein Trost. ISMENE: Dein Ehrgeiz um die Tat verrät dich. Du willst das Leid, das unser Erbe ist, Noch übertreffen und dich an seine Spitze stellen. ANTIGONE: Ich bin die Tochter meines Vaters, wer bist du? 2 KREON: Die Götter richten unsere Stadt, Die sie mit Sturm geschüttelt, wieder auf. Die schweren Wolken der Belagerung und Pest Sind fortgezogen, endlich klart der Himmel auf Und Morgensonne bringt uns Neubeginn! Ihr habt von jeher Laios‘ Macht und Thron verehrt, Habt seinem Sohn und Enkel treu gedient, Dem Rätsellöser Ödipus sowie Eteokles, Dem großen Kriegsherrn. Beide sind nicht mehr. Also obliegt die Sorge um die Stadt nun mir, Dem Nächsten im Geschlechte der Gefallenen, Bruder der verstorbenen Königin und Vater Des Menoikeus, der ruhmreich sich geopfert hat Für unsern Sieg und für die Gunst der Götter, Vater auch von Haimon, dem unser König sterbend noch Zur Frau die Schwester zugedacht, Antigone. Doch kein Erbarmen lass ich walten bei dem Neffen, Polyneikes, der mit fremder Heeresmacht, mit Schwert Und Feuer bis auf den Grund vertilgen wollte unsere Stadt, Verwandtes Blut vergießen und als Sklaven euch verkaufen In Barbaren-Hand. Kein Bürger Thebens soll ihn Mit einem Grabe ehren, niemand ihn betrauern; Zur Äsung für die Geier und die Hunde hingeworfen, Soll sein Leichnam faulen in der Sonne! Nie sollen, das gelobe ich, die Verräter Unter meiner Herrschaft Ehre finden! Wachen stehen um die Leiche, jeden aufzugreifen, Der zu falscher Nachsicht sich verleiten lässt, Und fasst man ihn, wird seine Strafe furchtbar sein! KREON: Was ist? WÄCHTER: König, ich will nicht behaupten, dass ich atemlos Vor Eile komme oder an den Füßen Flügel habe. Denn ganz und gar nicht einig war ich mit mir selbst Und stritt mich so: Bist du des Wahnsinns, Rief ich, was gehst du dahin, wo dir Strafe droht! Um mich sogleich zu warnen: Elender, du, säume nicht, Denn kommt es anderweitig ihm zu Ohren, Wird deine Strafe furchtbarer noch sein! – Pah, Was könnte schlimmer sein als dieser Botengang, Ruft wieder der andere in mir – und darauf ich: Wenn du nicht voran machst, wirst du’s erleben, geh! Dies wälzend hin und her wurde die kurze Straße lang, Am Ende jedoch siegt die Pflicht, es dir zu melden, Und sei es auch ein Nichts, ein bisschen Staub, Zu wenig, um das Aug zu ärgern - gleichviel, Der König muss es wissen, und hier bin ich, Um zu sagen, dass man seinem Schicksal nicht entgeht, Es kommt, nicht wahr, wie‘s kommen muss. KREON: Zum Inhalt deiner Botschaft … WÄCHTER: Erst red ich, mit Verlaub, von mir: Ich habe nicht die Tat verübt und Hab auch nicht gesehen, wer es war, drum, Sollte man mich strafen, wär‘ das ungerecht. KREON: Komm zur Sache! WÄCHTER: Leicht gesagt, wenn einem davor graut. KREON: Was ist so ungeheuer? WÄCHTER: Du rätst es nicht? KREON: Jetzt sprich endlich und scher dich fort! WÄCHTER: Scher dich fort… KREON: Hey! WÄCHTER: Gut dann, du hast es so gewollt, nun höre, Den Toten hat jemand mit dünnem Staub bestreut und ist Verschwunden. KREON: Was sagst du? WÄCHTER: Verschwunden. KREON: Mit Staub bestreut? WÄCHTER: Auch das! KREON: Wer wagt es?! WÄCHTER: Weiß nicht, irgendein spurloser Täter war’s. Die Erde drum herum war hart und trocken, ohne Riss. Und als der erste Wächter es uns andern zeigte, Erschien‘s uns seltsam, wie ein Wunder, ja, das fanden alle! Der Tote war nicht mehr zu sehn, zwar nicht im Grab, Doch dünn, wie um den Fluch zu bannen, Staub drauf. KREON: Wie ist das möglich - unbemerkt?! WÄCHTER: Genau das haben wir uns auch gefragt! Und böse Worte hagelte es durcheinander, Der erste Wächter greift den zweiten an, Der vorletzte den letzten, der wiederum Den Rest, viel hätte wirklich nicht gefehlt, Und es wär‘ zwischen uns, so wahr ich lebe, Zu Auseinandersetzungen gekommen! Doch dann, auf einmal, Fällt ein Wort, bei dem wir alle tief bestürzt Den Blick zu Boden senken, nämlich, Wir müssten es dir sagen, König, Nicht verschweigen dürften wir’s! Und damit dein Zorn nicht gleich Die ganze Mannschaft trifft, war die Idee, Wir senden einen, der den Kopf hinhält für alle. So ward‘s beschlossen und dummerweise Fiel das Los auf mich. KREON: Du willst ein Wächter sein und sprichst Von Taten ohne Spur? WÄCHTER: Wenn nicht von Taten ohne Täter. KREON: Was? WÄCHTER: Die ganze Zeit schon gehe ich mit mir zu Rat, Ob diese Tat nicht eine gottgewirkte ist. KREON: Ich warne dich! Sag das nie wieder! Kein Gott da oben ehrt den schlechten Mann! WÄCHTER: Doch vielleicht Götter von da unten? KREON: Das gibt es nicht! WÄCHTER: Ach so. KREON: Deckt ihn ab, hört ihr? Legt seine Leiche Wieder frei! Ich will ihn grablos! –Und du, Nun sag schon, wer hat euch bestochen? WÄCHTER: Wie? KREON: Wer hat fürs Wegschauen euch bezahlt? WÄCHTER: Keiner, Herr. KREON: Geht das schon los, das Aufmucken und Murren Und dass sie hinter meinem Rücken heimlich Mit den Köpfen wackeln, weil sie für schwach mich halten Und glauben, meine Herrschaft sei auf Sand gebaut! Denkt ihr, ich merk das nicht? – Sprich, wie viel Geld Hat man euch zugesteckt? WÄCHTER: Keins, Herr. KREON: Lüg mich nicht an! Ich kenn den Gott, der diese Tat gewirkt hat – Er wohnt in eurem Beutel! WÄCHTER: Nicht doch, nein! Wir saßen nur ein wenig abseits Im Schutz der Hügel, weil der Wind so ging Und den Gestank uns ins Gesicht blies und die Fliegen – So eine Leiche riecht schnell bei dem Wetter -, Da kam’s wie eine Staubwolke heran Und senkte sich auf den verfaulten Leib, Mehr Windhauch als ein menschlich Wesen – KREON: Ich will das nicht hören! Schweig! Du sagst mir jetzt, wer diese Tat verübt, Und nennst du ihn mir nicht, sind die des Todes, Die ihm zugesehen. Lebendig sollt ihr hängen, Unter Qualen, bis ihr gesteht, wer’s war! WÄCHTER: Darf ich was sagen oder mach‘ ich kehrt und geh? KREON: Nenn mir den Täter oder lass die dreiste Rede! WÄCHTER: Zwickt dich die Rede oder dein Gewissen? KREON: (Wie?) Meinen Ärger willst du untersuchen? WÄCHTER: Der Täter liegt dir auf der Seele, Ich nur in den Ohren. Das stimmt, ich rede viel, Doch ich hab‘ wirklich nichts getan. KREON: Für Silber hast du dich verkauft! WÄCHTER: Schlimm, schlimm, wenn jemand Richter Und im Unrecht ist. KREON: Du wagst es! Du - verspotte nur mein Urteil jetzt! Wenn sich die Schlinge zuzieht und deinem Lügenmaul Die Luft ausgeht, wirst du schon noch die Wahrheit sagen Und erkennen, wohin die Gier nach Geld dich bringt! WÄCHTER: Die, König, die da war’s! KREON: Was? WÄCHTER: Die war’s, sag ich. Die ist‘s gewesen! KREON: Du weißt nicht, was du sprichst! WÄCHTER: Die Wolke, die den Leichnam barg, war sie. KREON: Das erfindest du in deiner Not! WÄCHTER: Sie hat den toten Mann mit Staub bestreut! Ich schwör’s, bei meinem Leben! KREON: Schweig, Wahnsinniger! WÄCHTER: Ich soll nicht reden? Eben noch hast du’s verlangt. KREON: Halt den Mund! ANTIGONE: Er sagt die Wahrheit. Ich bekenne, dass ich’s tat und leugne nichts. WÄCHTER: Ja! Ja … KREON: Du hast nichts gehört, verstanden, schweig! Kein Wort zu keinem Menschen! Jetzt verschwinde! Los! WÄCHTER: Dann bin ich frei? Sehr wohl, Herr, für Eure Güte vielen Dank. KREON: Lauf! Lauf! 3 KREON: Antigone, du kanntest das Gesetz. ANTIGONE: Wie sollt‘ ich nicht. KREON: Und dennoch hast du es gebrochen. ANTIGONE: Es war kein Gott, der es verkündet hat, Noch wurde von den Göttern jemals solches Unrecht Zum Gesetz gemacht. KREON: Du weißt nicht, was du sagst. ANTIGONE: Es gibt keinen Befehl, weder von dir Noch irgendeinem Sterblichen, der imstande wäre, Das heil‘ge Recht der Toten umzustoßen. Denn nicht seit heute oder gestern erst besteht es, Sondern immer schon; und niemand weiß, woher es kommt. KREON: In welche Lage bringst du mich! ANTIGONE: Aus Angst vor eines Menschen Strafe Kann ich nicht schuldig werden an den Göttern. KREON: Soll ich dich töten? ANTIGONE: Ich leide größere Qualen, wenn draußen Vor den Toren unserer Stadt die Leiche meines Bruders In der Sonne brennt. KREON: Du zeigst dich ganz als Tochter deines Vaters, Derselbe starre Sinn, derselbe schroffe, unbeugsame Zorn! Hast du an seinem Beispiel nicht gelernt, wohin das führt? ANTIGONE: Auf meines Vaters Größe gründet deine Macht Und stolz bin ich auf ihn, wiegt auch sein Schicksal schwer. KREON: Ich warne dich, leg diesen Starrsinn ab und übe Reue, Sonst bist du endgültig verloren. Und wärst du tausendmal / Mit meinem Sohn verlobt! ANTIGONE: Wie mir von deinen Worten keins gefällt, So müssen dir die meinen unerträglich sein. Was könnt‘ ich besseres, rühmlicheres von mir sagen, Als dass ich meinen Bruder in ein Grab gelegt? Die ganze Stadt würde mich loben, mir zujubeln dafür, Nur dass die Angst die Zungen und die Herzen fesselt. KREON: So ist es nicht! ANTIGONE: Wie du beliebst, Denn Tyrannei kann tun und reden, was sie mag. KREON: Das denkst du unter Thebens Bürgern ganz allein. ANTIGONE: Sie denken’s auch, doch reden sie dir nach dem Mund. KREON: Was? ANTIGONE: Sie denken’s auch, doch reden sie dir nach dem Mund. KREON: Du wagst es?! ANTIGONE: Ich sage, was ich sagen muss. KREON: Dein erster schwerer Fehler war, dass du Bestehende Gesetze übertratst. Der zweite, schlimmere noch, Dass du dich damit vor mir rühmst. ANTIGONE: Ich rühm mich nicht, ich weine um die Toten. KREON: Du lässt mir keine Wahl, Antigone, du musst hinab. Und wärst du nicht nur meiner Schwester Kind, sondern Mein eigen, du würdest meinem Urteil nicht entgehen. Denn so spricht König Kreon Nicht Blutsverwandte, und auch kein Weib, verschont aus falscher Rücksicht die Gerechtigkeit! ANTIGONE: Gerechtigkeit! KREON: Gerechtigkeit. Bürger dieser Stadt! Verstoßen hat Mutwillig dies Mädchen gegen das Gesetz! Drum klage ich sie an, samt ihrer Schwester, Die diesen Ehrendienst am Feind mit angestiftet hat, Des Hochverrats. Ruft mir Ismene! Sie soll kommen! Ich halte nun Gericht! ANTIGONE: Du willst mehr als meinen Tod? KREON: Ich will nichts weiter. Alles hab ich, Hab ich dies! ANTIGONE: Dann lass die Schwester! KREON: Bekennst du dich so frei zu deiner Tat, Bekenn‘ auch dies, und reiß sie mit dir ins Verderben: Sie hat dich unterstützt. ANTIGONE: Das ist nicht wahr. Ich hab’s allein getan! KREON: Ismene, Ismene! 4 ANTIGONE: Geh! ISMENE: Nein! KREON: Gib zu, dass du ihr bei der Grablegung geholfen hast! Oder willst du weiter noch in deiner Lüge gehen und sagen, Du hättest nichts davon gewusst? ISMENE: Wenn sie es tat, Tat ich es auch und trage mit die Schuld. ANTIGONE: Das ist nicht wahr. Du hast es nicht gewollt Aus Furcht vor ihm, und ich gab keinen Anteil dir daran. ISMENE: In dieser Stunde des Gerichts kenne ich keine Angst Und bin Gefährtin dir in deiner Not. ANTIGONE: Wer es getan hat, weiß die ganze Totenwelt. Ich brauche keine Freundin, die nur Worte macht. ISMENE: Stoß mich nicht von dir! Als könnte ich Nicht mit dir sterben und einstehen für den toten Bruder. Kreon beginnt Ismenes Haar zu flechten. ANTIGONE: Du sollst mit mir nicht sterben! Was du in Wahrheit nicht getan hast, damit rühm‘ dich nicht. Wenn ich gerichtet werde, ist’s genug. ISMENE: Verlässt du mich, was bleibt mir noch. ANTIGONE: Frag das Kreon, ihm galt deine Sorge! ISMENE: Dich wollt‘ ich retten. ANTIGONE: Rette dich! Ich neide dir das Überleben nicht. ISMENE: Teilen darf ich nicht dein Los? ANTIGONE: Du hast fürs Leben dich entschieden, ich fürs Sterben. ISMENE: Nicht ohne dass ich meine Gründe dir genannt. ANTIGONE: Du hieltest diesen Weg für gut, ich jenen. ISMENE: Wir haben beide teil an einer Schuld. ANTIGONE: Ismene, vergeben und vergessen. Du lebst, Doch meine Seele ist schon lang gestorben und dient Nur noch den Toten. ISMENE: Lass mich, Schwester, nicht allein. KREON: Die Schwestern sind verrückt. Die eine war’s von Anfang an, die andre wird es eben jetzt! ISMENE: Ich habe klarer nie gedacht. KREON: So warst du bei Verstand, Als du die Tat aushecktest mit der Schwester? ISMENE: Wir sind die Töchter unseres Vaters. KREON: Schlimm geht's dir, wenn du zu Schlimmen dich gesellst. ISMENE: Ich bin bereit, das Ungeheure zu erleiden! KREON: So? ISMENE: Du trennst mich nicht von meiner Schwester. KREON: Sag nicht "Schwester", denn sie ist nicht mehr. ISMENE: So willst du töten deines Sohnes Braut? KREON: Es lässt sich auch auf andren Äckern säen! ISMENE: Du selbst hast ihrer Hochzeit zugestimmt. KREON: Für gute Söhne schlechte Frauen, Lass mich in Ruh‘ mit diesem Ehebund! / Hades wird sie von der Hochzeitslust noch heilen; Hau ab! Weg mit dir! Weg! 5 KREON: Haimon, ich hoffe nicht, du kommst im Zorn, / Weil du das Urteil über deine Braut gehört? HAIMON: Von dir, Vater, und deinem edlen Sinn Lass ich mich leiten. KREON: So ist es gut, mein Sohn, Wirf nicht um eines Weibes willen, aus Sinnenlust und Gier Die Einsicht weg, denn eine frostige Umarmung Bringt ein schlechtes Weib ins Haus. Vergiss Antigone! Deine Verlobung mit ihr heb ich auf! Soll sie sich tief im Hades mit den Toten gatten, Im Leben, Haimon, betrachte sie als unsern Feind. Da sie in off‘nem Ungehorsam aufgegriffen wurde Und mit Bekennermut sich des Verbrechens rühmt, Kann ich – selbst wenn ich wollte – kein Erbarmen zeigen, Sonst würde ich als Lügner dastehen vor der Stadt. Antigone muss sterben! Muss! Wie‘s das Gesetz befiehlt. Denn um zu leben, darf unser Herrscherhaus nicht zaudern, Und ich bin sicher, du, als mein Sohn, verstehst. HAIMON: Nun, dass du nicht recht hast, Vater, Will ich nicht behaupten. Doch niemand Hat seine Ohren und Augen überall. Du weißt nicht, Was der eine sagt, der andere meint, Ein dritter sich im Stillen denkt. Kein Bürger spricht zum König offen, Mir aber wird‘s von allen Seiten zugetragen, Wie sehr die Stadt um dieses Mädchen klagt, Weil sie, die schuldloseste von allen Frauen, Die schlimmste Strafe leidet für die gute Tat. KREON: Wer sagt das? HAIMON: Alle. Und dunkles Raunen läuft durchs Volk, Nicht einer, der das harte Urteil gutheißt! Drum, Vater, hege nicht nur eine Meinung in dir, Erwäge ruhig, ob Milde besser nicht als Zorn Der Herrschaft unseres Hauses dient! KREON: Willst du in deinem Alter mich das Denken lehren, Mir Rat geben, der ich schon Könige gelenkt?! HAIMON: Was ich weiß, habe ich von dir gelernt. Lern von dir selbst: Sieh die Sache, nicht meine Jugend. KREON: Die Sache wäre: dass man einen Staatsfeind ehrt, Gegen mein Gebot! HAIMON: Schlechte zu ehren, fordert von dir keiner, Nur Respekt vor eines Toten Recht. KREON: Feind bleibt Feind, ob tot oder lebendig. HAIMON: Und Mensch bleibt Mensch. KREON: Hat sie dich angesteckt? Sind denn schon alle hier Verseucht von dieser Pest des Widerspruchs, Der Rebellion?! HAIMON: Nicht rebellieren will das Volk von Theben, Es wünscht nur einen weisen König. KREON: Sagt mir das Volk jetzt, wie ich herrschen soll? HAIMON: Merkst du nicht, wie unbesonnen du jetzt sprichst? KREON: Soll es nach mir gehen oder andern hier im Land? HAIMON: Der Staat kann nicht bestehen, wenn einer alle unterjocht. KREON: Chaos droht, zeigt er sich führungslos und schwach! HAIMON: Wer nur nach seinem Sinn regiert, herrscht bald allein In einem leeren Land. KREON: Du streitest auf der Seite dieser Frau. HAIMON: Dein Wohl liegt mir zuallererst am Herzen. KREON: Und so greifst du mich an, bar jeden Respekts? HAIMON: Um zu verhindern, dass du unrecht handelst! KREON: Ist Unrecht, die Gesetze einzuhalten? HAIMON: Wenn die Gesetze Götterrecht verletzen. KREON: Ganz hörig und verfallen bist du diesem Weib! HAIMON: Du findest nie im Dienst der Schande mich. KREON: Nur ihr gilt deine ganze Rede! HAIMON: Und dir und mir und auch den Todesgöttern! KREON: Nach ihrem Schoß gelüstet’s dich, du Weiberknecht! HAIMON: Du willst nur reden, reden, aber hören nicht! KREON: Bei ihrem Leben, Haimon, du vermählst dich nicht mit ihr! HAIMON: So stirbt sie, und im Sterben nimmt sie jemand mit! KREON: Willst du mir drohen? HAIMON: Dem Unrecht widersprechen – heißt das drohen? KREON: Nicht straflos hast du mich zuerst belehrt und jetzt verhöhnt! HAIMON: Ich sage nur die Hälfte dessen, was ich sagen will! KREON: Holt mir die Metze! Dass sie ihm gleich Vor Augen stirbt, in Gegenwart des Bräutigams! HAIMON: Vor meinen Augen sterben wird sie nicht, Und niemals wirst du mich mit deinen Augen wiedersehen! KREON: Haimon? Haimon! Und würdest du vom Thron mich stoßen, Dies Mädchen wirst du nicht von ihrem Los befrein! 6 ANTIGONE: War Haimon bei dir? KREON: Was ändert das? Der Sohn regiert hier nicht den Vater. ANTIGONE: Nicht sich wollt‘ er Gehör verschaffen, Sondern Thebens Stimme. KREON: Zum Fürsprecher hast du in deinem schweren Fall Den Ungeschicktesten gewählt. Dein Brautkleid Wird das Leichentuch. ANTIGONE: So vermählst du mich dem Hades? KREON: Hast du geglaubt, es wird dazu nicht kommen? ANTIGONE: Ich glaube nicht an einen Staat, In dem man für das Recht der Toten sterben muss. KREON: Glaub nur, dass gilt, was Thebens König sagt. ANTIGONE: Durch dich wird unsre Stadt zum Totenhaus. KREON: Den Tod habt ihr, das Schandgeschlecht des Ödipus, Nach Theben eingeschleppt. Du büßt des Vaters Fluch zu Ende! ANTIGONE: So gehe ich den Weg der Nimmerwiederkehr, Unvermählt, allein und kinderlos, Und sehe niemals mehr das Tageslicht. KREON: Du hast es wirklich nicht geglaubt. ANTIGONE: Es ist an mir, dass unser Erbe sich erfüllt. Weh, weh! KREON: Hör auf zu jammern. Nie fänden Klagelied Und Jammer vor dem Tod ein Ende, führten sie zu was. Hinweg mit ihr! Los! In die Felsengruft, Ins Grabgewölbe schließt sie ein, ohne Geleit, Ohne die Schwester! Ohne Licht! Schwarz und Einsam soll sie Hochzeit halten mit den Toten! ANTIGONE: Nur diese eine Hoffnung macht mich stark: Den Vater wird mein Kommen freuen, freuen Dich, Mutter, und dich, mein lieber Bruder, auch, Die ich mit dieser Hand euch wusch und salbte Und auf den Gräbern Spenden weihte, Ich, Antigone, die Grablegerin aller! Und dafür, Polyneikes, dass ich dich zur Ruh‘ gebettet hab‘ Aus Liebe, ernt‘ ich Hass. Man treibt mich fort, Kein Brautkleid, keine Hochzeit, keine Kinder, Verlassen von den Meinen, komm ich, Unselige, Lebend in der Toten Schattenreich … KREON: Dicht an den Rand des Seins rührt deine Rede, Jedoch du flehst vergeblich. Ich sag dir nichts, Was Hoffnung lässt. ANTIGONE: Ich flehe nicht die Worte nur, gehen meinem Weg voraus. Wo lang? KREON: So wird der Sturm in dieses Mädchens Seele Endlich stumm. 7 TEIRESIAS: Wo ist sie? KREON: Du kommst zu spät, Teiresias, Die Dinge sind entschieden. TEIRESIAS: Erst lass mich reden. Und dann handle! KREON: Gehandelt habe ich, die Nachrede hältst du. TEIRESIAS: Noch nie wichst du von meinem Ratschlag ab, Nur einmal – KREON: Davon sprich nicht. TEIRESIAS: Du brauchst nun deine ganze Klugheit. Auf der Schneide des Geschickes stehst du jetzt! KREON: Was bringst du? Ist es schlechte Kunde, mach es kurz. TEIRESIAS: Ich wünschte selbst, ich hätte Licht für dich und könnte dir den Weg weissagen, Allein, ich bin am Ende meiner Seherkunst. An alter Stelle, Vogel schauend, saß ich, Da hör ich unbekannter Tiere Stimme, Krähenarten, Geier, laut krächzend, in barbarischem Geschrei; Voll Sorge bracht‘ ich Brandopfer den Göttern, Doch die Feuer loderten nicht auf, In Asche schwelend schmolz das Fett, Das von den Schenkelstücken troff, verzischte Und in dem Rauch war der Geruch von Tod. Gedunsen und hochaufgebläht platzten Die Bäuche und die Knochen lagen abgeschmolzen da, Verkohlt und ohne Zeichen, deutungslos! Besudelt sind die Feuerstätten und Altäre, Entheiligt durch der Vögel und der Hunde Fraß Am Leib von Ödipus‘ gefallenem Unglückssohn. Die Götter wenden sich von unsern Opfern und Gebeten ab! Kein Vogel spricht mehr. Sie tranken sich am Leichensaft des Toten satt. KREON: Ist das alles? TEIRESIAS: Alles, was ich weiß. Die Zukunft ist verschlossen, kein Lichtstrahl Fällt mehr durch die Tür der Zeit, Ich bin so blind und ahnungslos wie du, Und alles, was mir bleibt, ist mein Verstand. Dies nur bedenke, Kreon, den Menschen ist gemeinsam, Dass sie irren, doch ist nur der von Rat und Glück Verlassen, der im Irrtum immer weiter geht! Ich bitte dich: Dem Friedlosen gib seinen Frieden Und fordre nicht zur Rache die Unterwelt heraus! Den Toten nochmals töten – welcher Heldenmut! Sieh’s ein, Kreon. Ich mein es gut. KREON: Alle, wie die Schützen auf ihr Ziel, Habt ihr es abgesehen auf diesen Mann, auf mich! Die Meinen haben mich verraten und verkauft Seit langem schon, und jetzt kommst du, Alter - Ein Seher, der bekennt, dass er nichts sieht – Mich dennoch zu bestürmen. Und wenn ihr alle irrt? Wenn von dem hohen Preis, Den ich zu zahlen hab, der kleinste Teil nur fehlt, Bevor das Schicksal sich zum Guten wendet Und ihr mir dankt für meine Festigkeit? Nein. Nein! Ich bleib dabei. Ihr bergt den Hochverräter mir in keinem Grab! Und wenn die Sonnenadler selbst die Klauen schlagen In sein Fleisch und tragen ihn vor Gottes Thron, Ihr findet mich nicht schwach! TEIRESIAS: Ist das dein letztes Wort? KREON: Stell mich nicht länger auf die Probe. TEIRESIAS: Du warst der beste Ratgeber der Stadt, dann Wurdest du König. KREON: Klug reden lässt sich leicht, Nur die Entscheidung hat in dieser Welt Gewicht. TEIRESIAS: Die Macht hat dir den Sinn verkehrt. KREON: Teiresias … Ich will nicht mit dir streiten. TEIRESIAS: Du tust es, wenn du meine Warnung Lüge nennst. KREON: Du sagst, doch selbst du weißt es nicht. TEIRESIAS: Ich weiß nur, etwas muss sich ändern! KREON: Nichts Sicheres sprichst du und verlangst doch, Dass ich auf dich höre? TEIRESIAS: Ja. Denn nur durch mich besitzt du Die befreite Stadt. KREON: Du überschätzt dich. TEIRESIAS: Willst du, dass ich dich verfluche? KREON: Die Zeichen sind erloschen, alter Mann. In dem, was kommt, besitzen Flüche keine Kraft. Ich glaub an gar nichts mehr. TEIRESIAS: So höre, Kreon! Nicht lang mehr zieht die Sonne ihre Bahn, Bis du mit Fleisch aus deinem Fleisch beglichen hast Die Schuld, die unsere Totengötter von dir fordern, Weil du ein Lebendes ins Grab gestürzt, Den Leichnam aber hier behältst, am Tageslicht. KREON: Und das glaubst du? TEIRESIAS: Hasserfüllt und voller Eifersucht Verfolgen dich die Rächerinnen des Hades und der Götter, Den Frevel heimzuzahlen dir mit gleichem Leid, tot zu sein, doch nicht gestorben, so hängend zwischen Welt und Welt! KREON: Du fluchst, aber du weißt es nicht. TEIRESIAS: In Feindschaft stehen alle Nachbarvölker auf, Denen die Hunde und Hyänen Fluch und Schande bringen Mit dem zerfetzten Leichnam, wo todesschwangere Vögel Fäulnis und Verwesung in den Wolken sammeln, Schwärzer als die Pest. Weh dir! Weh! Du bist das Ende dieser Stadt. KREON: (Warte!) Ich weiß, Mit keiner Lüge hast du Theben je getäuscht. Doch soll ich auf dich hören, brauch ich Sicherheit. Setzt du auf diesen Rat dein Leben? TEIRESIAS: Ich bin kein Held. KREON: Du willst, dass ich auf dein Gutdünken hin Mein Amt, mein Wohl und das des Staates wage, Doch selbst hältst du dich frei? TEIRESIAS: Du bist der König. KREON: Was soll ich tun? Sag du. TEIRESIAS: Entlass das Mädchen aus der Unterwelt Und gib dem hingestreckten Mann ein Grab! Dann bete, bete, bete … ! KREON: Nachgeben erscheint dir klug? TEIRESIAS: Mit jedem Augenblick, der ungenutzt verstreicht, Rückt das Verderben näher. KREON: Aber bin ich dann noch König und kein Narr? TEIRESIAS: Wer kann hier stehen und von sich sagen, ich weiß was kommen wird. Finde es heraus Kreon. Ich kann dir nichts mehr raten. KREON: Holt sie da raus! Ich will sie sehen! Holt sie da raus! Ich will sie sehen! 8 ANTIGONE: Zu spät, Kreon, zu spät! Es stirbt die Stadt, die Häuser sterben, Das Haus des Ödipus und deines auch, Und ihr, die lebt, seid schuld! Haimon, dein Sohn - hörst du ihn schreien? Der Klaglaut da, dies Röcheln, das ist er! – Er schreit und weint um mich, um unser Leben Und wütet gegen deine Herrschaft, Die uns und allen hier die Zeit verdunkelt. Komm, Kreon. Sieh ihn dir an, den Sohn, ein letztes Mal! Er wird dich anstarren mit wilden Augen, Dir ins Gesicht spucken und mit dem Schwert, Sich selbst durchbohren! Im Sterben noch. Mit letzter Kraft, umschlingt er meine Knie Und haucht mit Flüchen auf den Vater Seinen Liebesschwur mir in mein Ohr. Nie liebten wir uns, Kreon, so Wie jetzt im Hass auf dich. Vater - Ich darf doch Vater sagen? – deine Kinder Feiern Hochzeit jetzt und schließen einen Bund, Den auch der Tod nicht trennt, in ewiger Nacht. Ja. Ja, so küsst er auf die Lippen mich! Und dann, tief Atem holend, bricht eine Flut hervor Aus Purpurtropfen und aus Galle, Alles Leben in ihm stürzt sich um und aus, Blut spritzt mir auf die weiße Wange, Ein Schwall auf meinem Leib, der ihm im Tod gehört! Geh hin, und sieh’s dir an, Tot bei der Toten wird er liegen, geh, Und vergiss Ismene nicht, die bravste Aller Schwestern, am Eingang dieser Höhle, Ihre verlorene Leiche, die mir folgen wollt‘. Sieh hin, Kreon! Siehst du es nicht? Seid ihr alle blind? Ich aber, ich sehe! Sehe das Ende deiner Tyrannei, die Sonnenfinsternis Über der Stadt und in der Dunkelheit, die kommt, Die Rebellion der Toten gegen eure Lügen. Gegen eure Lügen.