Petra Salašová, 361277 Ich muss zugeben, dass ich den Roman Der Vorleser nicht gelesen habe. Während der Lektüre hat aber mein Interesse ein Motiv geweckt, das in zwei Aufsätzen behandelt wird: es ist die Sehnsucht der Hauptfigur nach einem Zuhause. In der Rezension von Rainer Moritz findet sich eine Bemerkung, in der es heißt, dass für Michael das Werk Odyssee nicht nur während des Vorlesens, aber auch später von besonderer Bedeutung ist: „Homers ‚Odyssee‘ erweist sich als Michaels Lieblingstext; das Epos einer Heimkehr liegt, wie sich am Ende zeigt, dem ‚Vorleser‘ als versteckter Chorgesang zugrunde.“[1]^1 Nur die Tatsache, dass das antike Epos über das Ankommen an den Heimatort Michael besonders angesprochen hat, müsste nicht von Belang sein, aber in dem Zusammenhang mit Michaels Träume bestätigt sich doch ihre Relevanz: „Ich gehe die Stufen hinauf und drücke die Klinke. Aber ich öffne die Tür nicht. Ich wache auf und weiß nur, dass ich die Klinke ergriffen und gedrückt habe.“[2]^2 Zu diesem Zitat bemerkt Hannes Fricke, dass solche Träume „von Häusern und Türen […] als Klammermotiv im Text immer wieder auftauchen“[3]^3 und dass sie mit dem „Gefühl der Heimatslosigkeit“[4]^4 verbunden sind. Diese Annahme unterstützt Fricke noch mit einem anderen Zitat aus dem Roman: „Ich wachte auf und wusste wieder, dass Hanna tot war. Ich wusste auch, dass die Sehnsucht sich an ihr festmachte, ohne ihr zu gelten. Es war die Sehnsucht danach, nach Hause zu kommen.“[5]^5 Dass Michael das fehlende Gefühl der Sicherheit, ein wirkliches Zuhause zu haben, durch seine Beziehung zu Hanna zu ersetzen versucht, wie das oben wiedergegebene Zitat andeutet, beweist auch Frickes Deutung, dass Hanna in dem Verhältnis eine fast mütterliche Rolle spielt[6]^6. Die Beziehung zwischen Michael und seiner Mutter müsste man sicher genauer untersuchen: also ob Michael vonseiten der Mutter nicht genug Liebe gezeigt wird, was die Ursache seines Gefühls der „Heimatslosigkeit“[7]^7 sein könnte. Auch das Verhältnis mit dem Vater scheint problematisch zu sein: Fricke bezeichnet ihn als „gefühlskalt“[8]^8. Nicht zuletzt sollte man den Generationenkonflikt in den Zusammenhang mit Michaels fehlendem Geborgenheitsgefühl einbeziehen: „Um überhaupt Zuwendung zu bekommen, hätten die Kinder schnell lernen müssen, bestimmte Punkte gegenüber ihren Eltern nicht anzusprechen bzw. diese zu verdrängen.“[9]^9 Könnte vielleicht diese Kommunikationsbarriere der Grund der Probleme in der Beziehung mit den Eltern und damit die Ursache Michaels „Sehnsucht danach, nach Hause zu kommen“[10]^10, sein? Oder hat dieses Sehnen seine Quelle in dem Schuldgefühl, seine Eltern für ihre Vergangenheit verurteilt zu haben, wie es die damalige Zeit verlangte[11]^11? Sicher könnte man die Emotion als ein Schuldgefühl bezeichnen, denn Michael selbst zugibt, dass er den Eltern „nichts vorwerfen konnte“[12]^12. Die Fragestellung der Arbeit könnte also sein: was verursacht Michaels Gefühl der „Heimatslosigkeit“[13]^13? Sind es die Eltern? Das Schuldbewusstsein? Und wie wird dieses Gefühl in dem Roman ausgedrückt, wie wird auf es aufmerksam gemacht? Durch das Werk die Odyssee, die Träume, die Beziehung zu Hanna, oder noch durch etwas anderes? [14]1Moritz, Rainer: Die Liebe zur Aufseherin. Bernhard Schlinks Roman „Der Vorleser“ – ganz einfach ein Glücksfall. In: Deutsche Literatur 1995, Jahresüberblick. S. 271. [15]2Schlink, Bernhard: Der Vorleser, S. 10f. Zit.n.: Fricke, Hannes: Bernhard Schlink: Der Vorleser. In: Romane des 20. Jahrhunderts, Band 3. S. 284. [16]3Fricke, Hannes: Bernhard Schlink: Der Vorleser. In: Romane des 20. Jahrhunderts, Band 3. S. 284. [17]4Ebd. [18]5Schlink, Bernhard: Der Vorleser, S. 200. Zit.n.: Fricke, Hannes: Bernhard Schlink: Der Vorleser. In: Romane des 20. Jahrhunderts, Band 3. S. 285-286. [19]6Vgl. Fricke, Hannes: Bernhard Schlink: Der Vorleser. In: Romane des 20. Jahrhunderts, Band 3. S. 282. [20]7Ebd., S. 284. [21]8Ebd., S. 275. [22]9Fricke, Hannes: Bernhard Schlink: Der Vorleser. In: Romane des 20. Jahrhunderts, Band 3. S. 283. [23]10Schlink, Bernhard: Der Vorleser, S. 200. Zit.n.: Fricke, Hannes: Bernhard Schlink: Der Vorleser. In: Romane des 20. Jahrhunderts, Band 3. S. 285. [24]11Vgl. Fricke, Hannes: Bernhard Schlink: Der Vorleser. In: Romane des 20. Jahrhunderts, Band 3. S. 285. [25]12Schlink, Bernhard: Der Vorleser, S. 162. Zit.n.: Fricke, Hannes: Bernhard Schlink: Der Vorleser. In: Romane des 20. Jahrhunderts. Band 3, S. 284. [26]13Fricke, Hannes: Bernhard Schlink: Der Vorleser. In: Romane des 20. Jahrhunderts, Band 3. S. 284.