Zur Genderproblematik im Schlinks Roman „Der Vorleser“: Frauenidealisierug * weibliche Hauptfiguren , die in Werken der Holocaust- und Erinnerungsliteratur auftreten, sind überwiegend als passive Opfer des Regimes geschildert, die Übeltäter sind meistens männlichen Geschlechts * das Bild der Frau wird idealisiert – Frauen sind generell wie zärtliche, liebende und schwache Geschöpfe gesehen * Frauen/Mutter geben das Leben, sie nehmen es nicht weg Mögliche Thesen/Fragen zu dieser Problematik: * die Frau muss makellos sein, um den Mann würdig zu sein → ist eine Frau Analphabetin, dann kann sie nicht mit dem Mann gleichgestellt werden * hätte sich Hanna mit dem Analphabetismus Michael anvertraut, würde sie die obere Hand in ihrer Beziehung verlieren * Fricke weist darauf hin, dass Hanne „in den Text als mutterähnliche Figur eingeführt wurde (sie badet Michael in der Weise, wie der Junge es schon bei seiner Mutter genossen hatte).“[1]^1 Das führt dazu, dass er sie nicht als die Täterin, sondern als das Opfer sieht oder mindestens will er sie als das Opfer sehen, weil er sie idealisiert hat. Er sucht nach einer Rechtfertigung, warum sie gemacht hatte, was sie gemacht hatte, als er auf die Idee ihres Analphabetismus stößt. Das scheint genug zu sein, um sie in seinen Augen zum Opfer zu machen, oder wenigstens in den Augen des Lesers. Doch das erweist sich am Ende immerhin als nicht genügend * Weidemann bedenkt auch die Tatsache, dass Hanne nur ihre Unfähigkeiten verbirgt, nicht ihre SS-Geschichte[2]^2. Es scheint so, als für Hanne viel wichtiger wäre, ihr Makel zu verbergen, als ihre Beteiligung bei den kriminellen Taten zu leugnen. Eine Frau, die sich in einer Männerwelt durchsetzen will, muss ihre Unvollkommenheiten maskieren und verbergen. * Michael versucht Hanne zu verbessern – er nimmt aber für sie nur die Geschichte von KZ-Überlebenden und jüdischen Zeugen auf, er will sie besser machen als sie ist * Er kann in ihr eine Kriminele nicht sehen, weil sie eine Frau ist, die er geliebt hatte (physisch) und Frauen sollen von ihrer Natur gut und liebend sein * Folge: am Tag ihrer Freilassung bringt sie sich um, weil die Zeit und das Regime, in dem sie lebte, Ehrgeiz hatte und zu dem sie gehörte, vorbei ist, und sie ist nicht dazu fähig, sich in das Bild einer „anständigen“ Frau zu transformieren * Lutz und Jeßing neigen dazu, ihren Selbstmord, als eine Exkulpation zu sehen[3]^3. Dennoch konnte es nicht die Unwilligkeit sich verändern und den neuen Bedienungen sich anpassen sein? * Fricke fragt sich auch, „wie ist die Reaktion der Jüdin zu verstehen? Als Geste der vorsichtigen Annäherung gegenüber“ Als freundliche Geste Michael gegenüber?[4]^4 Die erwartete Reaktion der Jüdin wäre voller Hass gegenüber Hanna. Dagegen sympathisiert die Jüdin mit Hanna, obwohl sie mehrere Gründe dazu hat, Hanna zu hassen und zu beurteilen als Michael. Gibt es eine Verbindung oder Verständnis zwischen den Frauen? * „Homers ‚Odyssee‘ erweist sich als Michaels Lieblingstext, das Epos einer Heimkehr liegt[...] dem ‚Vorleser‘ als versteckter Chorgesang zugrunde.“[5]^5 → das Bild der Penelope, der idealen Frau die brav ihren Mann abwartet, ohne anderen Männer zu begehren [6]1FRICKE, Hannes: Bernhard Schlink: Der Vorleser. In: Interpretationen. Romane des 20. Jahrhunderts. Stuttgart 2003, S. 282 [7]2Vgl. WEIDEMANN, Wolker: Lichtjahre. Eine kurze Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis heute. 4. Aufl. Köln: Kiepenheuer-Witsch, 2006, S. 196 [8]3Vgl. LUTZ, Bernd; JEßING, Benedikt: Deutschsprachige Dichter und Schriftsteller vom Mittelalter bis zur Gegenwart., 4., Aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: J.B. Metzler, 1997 [9]4FRICKE, Hannes: Bernhard Schlink: Der Vorleser. In: Interpretationen. Romane des 20. Jahrhunderts. Stuttgart 2003, S. 291 [10]5Deutsche Literatur 1995. Jahresrückblick. Ed. Franz Josef Görtz et al. Stuttgart: Reclam,1996.