34 SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · Juni 2009 Quantencomputer Quanten- computer mit Ionen Von Christopher R. Monroe und David J. Wineland I n den letzten Jahrzehnten haben sich Rechentempo und Zuverlässigkeit von Computern drastisch erhöht. Moderne Chips packen fast eine Milliarde Transistoren auf eine zentimetergroße Siliziumscheibe, und künftig werden Computerelemente noch weiter schrumpfen, bis hinunter zur Größe einzelner Moleküle. Solche Rechner dürften höchst ungewohnt anmuten, denn sie werden nach quantenmechanischen Regeln arbeiten – gemäß den physikalischen Gesetzen, die das Verhalten von Atomen und Elementarteilchen erklären. Daran knüpft sich die große Erwartung, dass Quantencomputer bestimmte wichtige Aufgaben wesentlich schneller auszuführen vermögen als herkömmliche Rechner. Die wohl bekannteste dieser Aufgaben ist das Faktorisieren einer großen Zahl, die das Produkt zweier Primzahlen ist. Zwei Primzahlen zu multiplizieren fällt Computern leicht, selbst wenn die Zahlen hunderte Ziffern lang sind, aber der umgekehrte Prozess – das Herleiten der Primfaktoren – ist so schwierig, dass er die Grundlage fast aller heute gebräuchlichen Verschlüsselungstechniken bildet, vom Onlinebanking bis zur Übertragung von Staatsgeheimnissen. Im Jahr 1994 zeigte Peter Shor an den Bell Laboratories in Murray Hill (New Jersey), dass ein Quantencomputer diese Kodes theoretisch leicht knacken könnte, weil das Tempo, in dem er Zahlen zu faktorisieren vermag, exponentiell höher ist als das jedes bekannten klassischen Algorithmus. Und 1997 zeigte Lov K. Grover, damals ebenfalls an den Bell Labs, dass ein solches Gerät das Durchsuchen einer unsortierten Datenmenge erheblich beschleunigen würde – beispielsweise das Auffinden einer Person in einem Telefonbuch, von der man nur die Telefonnummer kennt. Doch einen Quantencomputer tatsächlich zu bauen wird gar nicht leicht sein. Seine Hard­ware – die Atome, Photonen oder künstlichen Mikrostrukturen, welche die Daten als Forscher experimentieren bereits mit Geräten, in denen einzelne Atome Daten speichern und manipulieren. Am Ende dieser Entwick­lung könnten ungeahnt leistungsfähige Computer stehen. In Kürze r Quantencomputer werden Daten mittels Atomen, Photonen oder künstlichen Mikrostrukturen speichern und verarbeiten, erwarten Forscher. Eines Tages sollen diese Maschinen geradezu unglaubliche Rechenkunststücke zu Wege bringen. r Auf die Manipulation eingefangener Ionen richten sich dabei besondere Hoffnungen. Schon heute lassen sich Daten auf Ionen speichern und von einem Ion zum anderen übertragen. r Komplette IonenfallenComputer zu entwickeln, ist im Prinzip sicher machbar – aber noch bleiben viele praktische Probleme zu lösen. quantencomputer SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · Juni 2009 35 Astronomie & Physik Foto: David Emmite;  Fotoillustration (Kugeln): George Retseck Quantenbits, kurz Qubits, speichern – muss widersprüchlichen Forderungen genügen. Die Qubits müssen einerseits genügend isoliert von ihrer Umgebung sein; sonst würden unerwünschte Wechselwirkungen die Berechnung stoppen. Dieser zerstörende Vorgang, die so genannte Dekohärenz, ist der Fluch des Quan­tencomputers. Andererseits müssen die Qubits stark miteinander wechselwirken und letztlich exakt gemessen werden, damit sich das Resultat ihrer Berechnungen feststellen lässt. In aller Welt verfolgen Wissenschaftler mehrere Ansätze, um den ersten Prototyp eines Quantencomputers zu bauen. Unsere eigene Forschung konzentriert sich auf die Datenverarbeitung mittels einfach positiv geladener Ionen; das sind Atome, denen ein Hüllenelektron geraubt wurde. Wir haben kurze Ionenstränge in Fallen gesperrt, halten also die Teilchen in einem Vakuum zwischen Elektroden fest, indem wir elektrische Felder an­legen. So können sie Inputsignale von einem Laser empfangen und gemeinsam Daten speichern. Unser Ziel ist die Entwicklung skalierbarer Rechengeräte – das heißt von Systemen, die Hunderte oder auch Tausende Qubits enthalten. Solche Systeme würden in der Tat komplexe Aufgaben lösen, an denen jeder gewöhnliche Computer scheitern muss. Ein Akkord von Quantenzuständen Die Quantenmechanik ist eine Wellentheorie. Genau wie Schallwellen, die von mehreren Klaviersaiten ausgehen, sich zu einem Akkord vereinen, können verschiedene Quantenzustände zu einer Überlagerung oder Superposition kombiniert werden. Beispielsweise kann ein Atom gleichzeitig an zwei Orten oder in zwei unterschiedlichen Anregungszuständen sein. Wenn ein Quantenteilchen in einem solchen Superpositionszustand gemessen wird, »kollabiert« der Zustand – so die gängige Interpretation – zu einem eindeutigen Resultat, wobei die Wahrscheinlichkeit jedes möglichen Messresultats durch den relativen Anteil der Wellen in der Superposition gegeben ist (siehe Kasten auf S. 36). Auf diesen Superpositionen Künftige Ionenfallen-Computer könnten Daten mit Ionensträngen kodieren und verarbeiten, die sich ein wenig wie das als Schreibtischspielzeug beliebte – und hier symbolisch in ein Computergehäuse eingebaute – Kugelstoßpendel verhalten. Die Ionen treten durch Schwingungsbewegungen miteinander in Wechselwirkung. Forscher können die Teilchen manipulieren, indem sie Laserstrahlen darauf richten. Astronomie & Physik 36 SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · Juni 2009 Quantencomputer beruht die Macht eines Quantencomputers. Während ein herkömmliches Bit nur die Werte 0 oder 1 annehmen kann, vermag ein Qubit zugleich 0 und 1 zu sein. Ein System mit zwei Qubits kann vier Werte auf einmal annehmen – 00, 01, 10 und 11. Im Allgemeinen vermag ein Quantencomputer mit N Qubits gleichzeitig 2N Zahlen zu manipulieren; eine Ansammlung von nur 300 Atomen, die je ein Quantenbit speichern, könnte mehr Werte enthalten, als es Teilchen im Universum gibt! Diese größeren Quantensuperpositionen sind üblicherweise verschränkt, das heißt, die 0 + 1 0 1 0 0 + 1 1 0 0 1 1 beideFotos:JointQuantumInstitute,Universityofmaryland JenChristiansen,nach:FredAlanWolf,TakingtheQuantumLeap Spukhafte Fernwirkung Das Prinzip der quantenmechanischen Datenverarbeitung lässt sich auf dem Labortisch demonstrieren. Die Forscher verwenden einen Laser (das blaue Gerät in der Fotografie links), dessen Strahlen durch mehrere Spiegel bis zu dem Apparat geleitet wird, der die gefangenen Ionen enthält (oben). Der Laser kühlt das Ion – entzieht ihm also seine kinetische Energie –, so dass die Forscher es leicht manipulieren können. Messungen der einzelnen Qubits sind korreliert. Man kann sich die Quantenverschränkung, die in der klassischen Physik kein Gegen­stück hat, als eine unsichtbare Verdrahtung zwischen den Teilchen vorstellen; Einstein sprach darum von »spukhafter Fernwirkung«. In unseren Experimenten mit eingefangenen Ionen verhält sich jedes elektrisch schwebende Ion wie ein mikroskopischer Stabmagnet; die Qubitzustände 0 und 1 entsprechen zwei möglichen Orientierungen jedes atomaren Magneten, sagen wir aufwärts und abwärts. Mittels Laserkühlung, die den Atomen durch Photonenstreuung kinetische Energie entzieht, werden die Ionen in der Falle fast zum Stillstand gebracht. Da sie in einer Vakuumkammer ruhen, sind sie von der Umgebung isoliert, doch die elektrische Abstoßung zwischen ihnen liefert eine starke Wechselwirkung, so dass sie Verschränkung erzeugt. Haarfeine Laserstrahlen werden auf einzelne Ionen gerichtet, um die in den Qubits gespeicherten Daten zu manipulieren und zu messen. In den letzten Jahren haben Forscher viele experimentelle Indizien dafür gesammelt, dass Quantencomputer mit eingefangenen Ionen prinzipiell konstruierbar sind. Man hat verschränkte Zustände aus bis zu acht Qubits erzeugt und gezeigt, dass diese rudimentären Computer simple Algorithmen ausführen können. Anscheinend ist es im Prinzip einfach, Der zweideutige Kippwürfel (a, oben) symbolisiert ein Ion in einem Superpositionszustand von 0 und 1. Erst die Messung versetzt das Ion in einen eindeutigen Zustand, entweder 0 oder 1 (a, unten). Bilden zwei Ionen eine verschränkte Superposition (b), zwingt eine Messung beide in den gleichen Zustand – entweder 0 oder 1 –, obwohl eine physikalische Verbindung zwischen ihnen fehlt. a b SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · Juni 2009 37 Astronomie & Physik A B A’ B’ 0 0 0 0 0 0 0 0 1 11 11 1 1 1 0 0 + 1 0 0 + 1 1 obgleich technisch sehr aufwändig, mit gefangenen Ionen auch viel mehr Qubits darzustellen. Nach dem Vorbild klassischer Computer gälte es, aus jeweils nur wenigen eingesperrten Ionen einige Typen logischer Gatter zu konstruieren. Man kann herkömmliche Fehlerkorrekturtechniken auf die Quantenwelt anwenden, indem man jedes Qubit durch mehrere Ionen kodiert. Diese redundante Kodierung macht das System fehlertolerant, solange die Fehler sich nicht zu sehr häufen. Letztlich würde ein brauchbarer Quantencomputer höchstwahrscheinlich mindestens 1000 Ionen speichern und manipulieren, die inmitten komplexer Anordnungen von Elektroden auf mikroskopischen Chips gefangen säßen. Die erste Bedingung für einen »universellen« – für alle möglichen Berechnungen tauglichen – Quantencomputer ist ein zuverlässiger Speicher. Versetzen wir ein Qubit in eine Superposition von 0 und 1 (wobei die magnetische Orientierung des Ions zugleich auf- und abwärtsweist), muss es diesen Zustand beibehalten, bis die Daten verarbeitet oder gemessen werden. Wie die Forscher seit Langem wissen, können in elektromagnetischen Fallen fixierte Ionen sehr gute Qubitspeicher bilden, mit einer Superpositionsdauer – auch Kohärenzzeit genannt – von mehr als zehn Minuten. Diese relativ lange Lebensdauer folgt aus der extrem schwachen Wechselwirkung eines Ions mit seiner Umgebung. Nur nicht den Nachbarn stören! Die zweite Grundvoraussetzung ist die Fähigkeit, ein einzelnes Qubit zu manipulieren. Da die Qubits auf der magnetischen Orientierung eines eingesperrten Ions beruhen, können die Forscher für kurze Zeit oszillierende Magnetfelder anlegen, um ein Qubit von 0 zu 1 oder umgekehrt umzuschalten, oder um es in eine Superposition zu versetzen. Auf Grund der kleinen Abstände zwischen den gefangenen Ionen – meist nur ein paar tausendstel Millimeter – lassen sich die oszillierenden Felder zwar nur schwer auf ein einzelnes Ion beschränken. Gerade das ist aber wichtig, denn oft wollen wir die Orientierung eines Qubits ändern, ohne seinen Nachbarn zu stören. Das Problem lässt sich lösen, indem man feine, genau auf das oder die gewünschten Qubits fokussierte Laserstrahlen verwendet. Die dritte Vorbedingung ist die Fähigkeit, zumindest einen Typ von logischem Gatter zwischen Qubits zu konstruieren. Ein solches Schaltelement kann einem klassischen UNDoder ODER-Gatter gleichen, aus denen herkömmliche Prozessoren aufgebaut sind, aber es muss auch auf die nur Qubits eigenen Superpositionen einwirken. Ein häufiges logi­sches Wahrheitstafel eines CNOT-Gatters Jen Christiansen Gatter für zwei Qubits heißt kontrolliertes Nicht-Gatter oder kurz CNOT. Nennen wir die Qubit-Inputs A und B, wobei A das Kontrollbit ist. Hat A den Wert 0, so lässt das CNOT-Gatter B unverändert; wenn A gleich 1 ist, kehrt das Gatter den Wert von B um – von 0 nach 1 oder umgekehrt (siehe Kas­ten oben). Dieses Element heißt auch bedingtes lo­gisches Gatter, denn seine Einwirkung auf den Qubit-Input B – ob das Bit kippt oder nicht – wird durch den Wert des Qubit-Inputs A bedingt. Um ein bedingtes logisches Gatter zwischen zwei Ionen-Qubits herzustellen, brauchen wir eine Kopplung zwischen ihnen; sie müssen kommunizieren. Da beide Qubits positiv geladen sind, sind ihre Bewegungen durch Coulomb-Abstoßung elektrisch stark gekoppelt. Im Jahr 1995 schlugen Juan Ignacio Cirac und Peter Zoller an der österreichischen Universität Innsbruck eine Methode vor, wie sich mit Hilfe dieser Coulomb-Wechselwirkung die internen Zustände der beiden Ionen-Qubits indirekt koppeln lassen und ein CNOT-Gatter verwirklicht werden kann. Eine Variante ihres Gatters funktioniert kurz zusammengefasst folgendermaßen. Stellen wir uns zwei Murmeln in einer Mulde vor. Angenommen, sie sind geladen und stoßen sich gegenseitig ab. Beide Murmeln streben zum tiefsten Punkt der Mulde, aber die CouEin Computer mit gefangenen Ionen beruht auf logischen Gattern wie dem kontrollierten NichtGatter CNOT aus zwei Ionen A und B. Die Wahrheitstafel zeigt: Hat A (das Kontrollbit) den Wert 0, bleibt B unverändert. Doch wenn A gleich 1 ist, kippt das Gatter den BWert, das heißt: B wechselt von 0 nach 1 oder umgekehrt. Falls A in einem Superpositionszustand von 0 und 1 ist, versetzt das Gatter die beiden Ionen in eine verschränkte Superposition. (Ihr Zustand ist dann identisch mit dem im ­Kas­ten links unten (b) ge- zeigten.) enormes potenzial Die hohen Erwartungen, die sich an Computer mit Ionenfallen richten, beruht auf der Tatsache, dass ein System mit N Ionen 2N Zahlen auf einmal zu speichern vermag. Mit wachsendem N nimmt der Wert 2N exponentiell zu. 25 = 32 210 = 1 024 250 = 1 125 899 906 842 624 2100 = 1 267 650 600 228 229  401 496 703 205 376 38 SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · Juni 2009 Quantencomputer lomb-Abstoßung zwingt sie, ein bisschen weiter oben und einander gegenüber zu verharren. In diesem Zustand bewegen sich die Murmeln nicht unabhängig voneinander. Sie könnten beispielsweise in der Mulde längs ihrer Verbindungsgeraden in konstantem Abstand hin- und herschwingen. Auch ein Paar von Qubits in einer Ionenfalle würde eine gemein­same Bewegung ausführen, wie zwei durch eine Feder verbundene Pendelgewichte. Diese Bewegung können die Forscher anregen, indem sie mit einem Laserstrahl, der auf Elektroden Abstoßung zwischen positiv geladenen Ionen Ion in Superposition von Auf- und Abwärtszustand ElektrodenLaserstrahl Super­position von ruhendem und bewegtem Strang Prozessor Speicher Prozessor Speicher Elektroden Illustrationen:JenChristiansen; FotoIonenfalle:JasonAmini,NIST Bewegungskopplung von Ionensträngen Ein Weg zum Bau eines Ionencomputers führt über die Verbindung der Ionen durch ihre gemeinsame Bewegung. Ein Ionenstrang schwebt durch elektrische Kräfte zwischen zwei Anordnungen von Elektroden. Da die positiv geladenen Teilchen einander abstoßen, teilt sich jede Oszillation, in die ein einzelnes Ion versetzt wird – etwa durch einen präzise gezielten Laser –, dem ganzen Ionenstrang mit. Laser können auch die magnetische Orientierung der Ionen kippen, in der die im Strang gespeicherten Daten kodiert sind. Wenn die Orientierung aufwärts dem Wert 1 entspricht, bedeutet abwärts 0. Diese Multizonen-Ionenfalle wurde am National Institute of Standards and Technology entwickelt. Die Zukunft: Dieses System auf größere Ionenzahlen zu erweitern, ist allerdings schwierig. Anscheinend sind längere Stränge aus mehr als 20 Ionen fast unmöglich zu kontrollieren, weil ihre zahlreichen gemeinsamen Bewegungszustände miteinander interferie­ren. Darum entwickeln Forscher gitterförmige Fallen, in denen die Ionen beispielsweise von einem Speicherstrang zu einem Datenverarbeitungsstrang befördert werden können. Durch die Quanten­verschränkung der Ionen werden Daten von einer Zone der Falle zu einer anderen über- tragen. ●1 Wenn das Ion links außen im Zustand aufwärts ist, kippt es der Laser und versetzt es in Bewegung; der ganze Strang gerät in Schwingung. ●2 Ein anderer Laser kippt das Ion ganz rechts nur dann, wenn es in Bewegung ist. ●3 Ein weiterer Laser kippt das Ion links außen, sofern es sich bewegt, und stoppt die Bewegung. ●4 Die Ionen ganz links und ganz rechts sind nun verschränkt und können als ein logisches Gatter für Quantenbe- rechnungen dienen. SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · Juni 2009 39 Astronomie & Physik die natürliche Schwingungsfrequenz der Falle moduliert ist, Strahlungsdruck ausüben (siehe Kasten links). Vor allem lässt sich der Laserstrahl so einstellen, dass er das Ion nur beeinflusst, wenn dessen magnetische Orientierung aufwärtsweist, was hier dem Qubitwert 1 entspricht. Außerdem rotiert die Orientierung dieser mikroskopischen Stabmagneten, während sie im Raum oszillieren. Das Ausmaß der Rotation hängt davon ab, ob sich nur ein Ion oder beide im Zustand 1 befinden. Insgesamt gilt: Indem wir die Ionen für eine sorgfältig abgestimmte Zeitspanne einer spezifischen Laserkraft aussetzen, können wir ein CNOT-Gatter erzeugen. Werden die Qubits anfangs in einen Superpositionszustand gebracht, verschränkt die Wirkung dieses Gatters die Ionen; dadurch wird es ein grundlegender Baustein für die Realisierung einer beliebigen Quantenberechnung mit vielen Ionen. 99 Prozent sind noch zu wenig Forscher an mehreren Laboratorien – an der Universität Innsbruck, an der University of Michigan in Ann Arbor, am National Institute of Standards and Technology (NIST) in Boulder (Colorado) und an der University of Oxford – haben funktionierende CNOT-Gatter hergestellt. Natürlich arbeitet keines dieser Gatter perfekt, weil Fluktuationen der Laserintensität und elektrische Streufelder die Reinheit der Ionenbewegungen beeinträchtigen. Derzeit gelingt den Forschern die Konstruktion eines Zwei-Qubit-Gatters, das mit einer Genauigkeit von knapp über 99 Prozent arbeitet, das heißt mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von unter einem Prozent. Ein brauchbarer Quantencomputer benötigt allerdings rund 99,99 Prozent Genauigkeit, damit Korrekturtechniken richtig funktionieren. Alle Teams, die Ionenfallen erforschen, versuchen nun, das Hintergrundrauschen entsprechend zu reduzieren; diese Aufgabe ist zwar ungemein schwierig, aber prinzipiell lösbar. Doch lässt sich aus gefangenen Ionen wirklich ein vollwertiger Quantencomputer entwickeln? Leider sind längere Ionenketten, die mehr als rund 20 Qubits enthalten, kaum zu kontrollieren, weil ihre zahlreichen kollektiven Bewegungszustände miteinander interferieren. Darum verfolgen Wissenschaftler den Ansatz, die Quantenhardware in handliche Stücke zu teilen und Berechnungen mit kur­zen Ionenketten auszuführen, die auf dem Quan­tencomputerchip hin und her verschoben werden. Elektrische Kräfte können die Ionenketten nämlich bewegen, ohne deren innere Zustände zu stören, und somit die von ihnen getragenen Daten bewahren. Man könnte eine Kette mit einer anderen verschränken, um Daten zu übertragen und Verarbeitungsaufgaben auszuführen, die den Einsatz vieler logischer Gatter erfordern. Diese Architektur würde dem in Digitalkameras verwendeten ladungsgekoppelten Bauelement (charge-coupled device, CCD) ähneln. So wie ein CCD elektrische Ladung über eine Anordnung von Kondensatoren verschiebt, könnte ein Quantenchip Fäden aus einzelnen Ionen durch ein Gitter aus linearen Fallen treiben. Bei vielen Experimenten am NIST werden Ionen durch eine so genannte Multizonen-Linearfalle geschleust. Für viel größere Systeme sind aber kompliziertere Strukturen erforderlich, in denen zahlreiche Elektroden die Ionen in jede Richtung zu leiten vermögen. Die Abmessungen der Elektroden müssten zwischen hundertstel und zehntel Millimeter liegen, damit sie den Ionentransport präzise eingrenzen und steuern. Zum Glück können die Konstrukteure dafür Mikrofabrikationstechniken nutzen, die bereits für den Bau herkömmlicher Computerchips in Gebrauch sind, insbesondere mikroelektromechanische Systeme und die Halbleiterlithografie. Im Jahr 2007 haben mehrere Teams die ers­ten integrierten Ionenfallen vorgeführt. An den Universitäten von Michigan und Maryland wurde dafür eine Galliumarsenid-Halbleiterstruktur eingesetzt. Am NIST haben For­scher eine neue Ionenfallen-Geometrie entwickelt, bei der die Ionen über einer Chipoberfläche schweben. Gruppen bei der Firma Alcatel-Lucent und den Sandia National Laboratories fabrizierten auf Siliziumchips sogar noch raffiniertere Varianten. Dennoch sind diese Chipfallen weiterhin sehr unvollkommen. Die Forscher müssen das von nahen Oberflächen ausgehende atomare Rauschen reduzieren, vielleicht durch Kühlung der Elektroden mit flüssigem Stickstoff oder Helium. Auch müssen sie die Bewegung der Ionen über den Chip geschickt organisieren, damit die Teilchen sich nicht erwärmen und ihre Position unkontrolliert verändern. Allein um Ionen um eine Ecke in einer T-förmigen mit frdl. Gen. von Rainer Blatt, Universität Innsbruck Ein schwebender Strang von acht Kalziumionen wird in einer Vakuumkammer gefangen gehalten und durch Laserkühlung fast völlig zum Stillstand gebracht. Solche Stränge können Quantenberechnungen ausführen. Die kleine Grenze Der Bau eines Computers mit einzelnen Atomen als Speicherelementen führt an eine natürliche Grenze der Miniaturisierung. Schon 1959 meinte der amerikanische Physiker Richard Feynman in einer berühmten Vorlesung mit dem Titel »There’s Plenty of Room at the Bottom« (Ganz unten ist viel Platz): »Wenn wir in der sehr, sehr kleinen Welt ankommen – sagen wir, bei Schaltkreisen aus sieben Atomen –, begegnen wir vielen neuen Vorgängen, die völlig neue Konstruktionsmöglichkeiten bieten. Atome verhalten sich im Kleinen völlig anders als irgendetwas im Großen, denn sie gehorchen den Gesetzen der Quantenmechanik.« 40 SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · Juni 2009 Quantencomputer Vakuumröhre Elektrode emittierte Photonen Ion in Superposition von Aufwärts- und Abwärts- zustand Laserstrahl Glasfaser oder oder Photonzustand 50 Prozent 50 Prozent Strahlteiler Fotodetektor ERGEBNIS 1 25 Prozent Wahrschein- lichkeit ERGEBNIS 2 25 Prozent Wahrschein- lichkeit ERGEBNIS 3 50 Prozent Wahrschein- lichkeit Ionenkopplung mittels Photonen Kreuzung zu bugsieren, sind die elek­trischen Kräfte sorgsam zu synchronisieren. Unterdessen verfolgen andere Wissenschaftler einen alternativen Ansatz, der einige Schwierigkeiten bei der Kontrolle der Ionenbewegungen umgehen soll. Statt die Ionen durch ihre Oszillationen zu koppeln, dienen Photonen, also Lichtteilchen, zur Verbindung der Qubits. Nach einer Idee, die Cirac, Zoller und ihre Kollegen Luming Duan von der University of Michigan und Mikhail Lukin von der Harvard University 2001 formulierten, emittiert jedes gefangene Ion Photonen, deren Eigenschaften wie Polarisation oder Wellenlänge dabei mit den internen magnetischen Zuständen des Ions verschränkt werden. Dann wandern die Lichtteilchen durch Glasfasern zu einem Strahlteiler. Solch ein optisches Element spaltet normalerweise einen Lichtstrahl, in dieser Anordnung funktioniert es aber umgekehrt als Lichtweiche: Die Photonen treten von entgegengesetzten Seiten in das Gerät ein, und wenn sie die gleiche Polarisation und Wellenlänge besitzen, interferieren sie miteinander und können nur auf ein und derselben Bahn austreten. Doch bei unterschiedlicher Polarisation oder Wellenlänge – ein Hinweis darauf, dass sich die gefangenen Ionen in unterschiedlichen Qubitzuständen befinden – folgen die Photonen separaten Pfaden zu einem Detektorenpaar (siehe Kasten oben). Der entscheidende Punkt ist: Nachdem sie die Detektoren erreicht haben, lässt sich nicht mehr sagen, welches Ion welches Photon emittiert hat, und genau dieses Quantenphänomen erzeugt die Verschränkung zwischen den Ionen. Doch die emittierten Photonen werden nicht bei jedem Versuch erfolgreich gesammelt oder nachgewiesen. In der Tat gehen die Lichtteilchen sogar in den allermeisten Fällen verloren, sodass die Ionen nicht verschränkt sind. Aber dieser Fehler lässt sich kompensieren, indem man den Vorgang wiederholt und Ein anderer Ansatz verbindet die Ionen mit Hilfe der von ihnen emittierten Lichtquanten. Zwei weit voneinander entfernte gefangene Ionen (lila) schweben jeweils in einer Vakuumröhre (Foto unten). Sie werden mit Laserpulsen angeregt und emittieren Photonen, die dann durch Glasfasern zu einem Strahlteiler wandern. Die Frequenz der Photonen hängt von der magnetischen Orientierung der Ionen ab; ein Photon, das von einem Ion in einem Superpositionszustand Aufwärts-Abwärts stammt, ist zum Beispiel in einer Frequenzsuperposition Rot-Blau. Sind die Photonen der zwei Ionen im selben Zustand, so lenkt der Strahlteiler beide zu einem Fotodetektor. Falls die Photonen unterschiedliche Zustände repräsentieren, wandern sie zu separaten Detektoren. Sobald das geschieht, sind die Ionen verschränkt, denn nun lässt sich nicht sagen, welches Ion welches Photon emittiert hat. Foto Vakuumröhre: Steven Olmschenk, Joint Quantum Institute, University of Maryland;  Illustrationen: JEN CHRISTIANSEN SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · Juni 2009 41 Astronomie & Physik Christopher R. Monroe (links) ist Physikprofessor an der University of Maryland und gehört deren Joint Quantum Institute und dem National Institute of Standards and Technology (NIST) an. Seine Spezialität ist das elektromagnetische Einfangen, Laserkühlen und Manipulieren von Atomen und Ionen. David J. Wineland promovierte 1970 an der Harvard University. Er leitet die Ionenspeichergruppe bei der Time and Frequency Divison des NIST in Boulder (Colorado). Sie konzentriert sich auf Laserkühlung und Spektroskopie von eingefangenen Ionen. Aaronson, S.: Die Grenzen der Quantencomputer. In: Spektrum der Wissenschaft 7/2008, S. 90 – 97. Monroe, C. R.: Quantum Information Processing with Atoms and Photons. In: Nature 416(6877), S. 238 – 246, 2002. Nielsen, M. A.: Spielregeln für Quantencomputer. In: Spektrum der Wissenschaft 4/2003, S. 48 – 56. Weitere Weblinks zu diesem Thema finden Sie unter www.spektrum.de/ artikel/992814. gefangene Ionen Laser- strahl Mikrospiegel­ anordnung Mikrospiegel­ anordnung emittierte Photonen Strahlteiler CCD-Kamera aktivierte Pixel zeigen Ionenverschränkung an einfach darauf wartet, dass Photonen in den Detektoren gleichzeitig gezählt werden. Sobald dies eintritt – selbst wenn die Ionen weit auseinanderliegen –, beeinflusst die Manipulation des einen Qubits das andere, und ein logisches CNOT-Gatter kann funktionieren. Forscher an den Universitäten von Michigan und Maryland haben erfolgreich zwei Ionen-Qubits, die rund einen Meter voneinander entfernt gefangen lagen, mittels der Interferenz der von ihnen emittierten Photonen verschränkt. Das größte Hindernis bei solchen Experimenten ist die magere Verschränkungsrate; die Wahrscheinlichkeit, die einzelnen Photonen in einer Faser einzufangen, ist so gering, dass nur ein paar Mal pro Minute Ionen verschränkt werden. Die Quote ließe sich drastisch steigern, wenn jedes Ion in einem so genannten optischen Hohlraum von hoch reflektierenden Spiegeln umgeben würde. Dadurch würde die Ionenemission viel stärker mit den Glasfasern verkoppelt, aber diese Verbesserung lässt sich derzeit experimentell nur sehr schwer realisieren. Bis jetzt müssen die Forscher zwar jeweils lange auf den Eintritt der Interferenz warten, dann aber können sie das System tatsächlich zum Verarbeiten von Quantendaten nutzen. Der Vorgang ähnelt dem Versuch, in einem neuen Haus Kabelfernsehen zu bekommen: Es mag viele Telefonanrufe erfordern, bis die Kabelfirma das System installiert, aber letztlich wird man angeschlossen, und der Fernseher läuft. Außerdem können die Quantengatter im Prinzip große Qubitmengen verarbeiten, wenn man per Glasfaser zusätzliche Ionenemitter anschließt und die Prozedur wiederholt, bis immer mehr verschränkte Verbindungen entstehen. Auch sollte es möglich sein, sowohl die Photonenkopplung als auch die zuvor diskutierte Bewegungskopplung einzusetzen, um mehrere kleine Gruppen gefangener Ionen über große oder gar globale Distanzen zu verbinden. Genau das ist die Idee eines »Quantenverstärkers«, in dem kleine Quantencomputer in regelmäßigen Abständen vernetzt wer­­ den, um ein Qubit aufrechtzuerhalten, während es hunderte von Kilometern zurücklegt. Ohne ein solches System würden die Daten meist für immer verloren gehen. Erste Zeichen radikaler Veränderung Noch liegt die Konstruktion eines leistungsfähigen Quantencomputers in weiter Ferne. Den­­noch werden schon heute manchmal Quan­tendaten verarbeitet. Zum Beispiel finden einige simple logische Operationen, die für Zwei-Qubit-Gatter nötig sind, in Atomuhren Verwendung; diese Geräte messen die Zeit mittels der Frequenz der von Atomen beim Übergang zwischen unterschiedlichen Quantenzuständen emittierten Strahlung. Auch können Forscher die Verfahren zum Verschränken gefangener Ionen nutzen, um spektroskopische Messungen zu verfeinern, das heißt, das von angeregten Atomen emittierte Licht genauer zu analysieren. Das Gebiet der Quanteninformatik wird die Datenverarbeitung radikal verändern. Ansammlungen eingesperrter Ionen spielen dabei eine führende Rolle, denn sie sind zum ­einen besser von der Umgebung isoliert als die meis­ten anderen physikalischen Systeme. Andererseits können die Forscher verschränkte Quantensuperpositionen, die aus einigen Ionen bestehen, mit Hilfe von Lasern leicht herstellen und messen. In den kommenden Jahren rechnen wir mit einer neuen Generation von Ionenfallen-Chips, die den Weg für Quantencomputer mit viel mehr Qubits bereiten könnten. Dann wird vielleicht der Traum von einer extrem leistungsfähigen Quantenmaschine endlich Wirklichkeit. Die Zukunft: Die Ionenkopplung mit Photonen verspricht ein relativ einfaches Verfahren zu sein, mit dem sich viele Ionen verbinden lassen. Laserstrahlen werden auf eine Anordnung gefangener Ionen gerichtet, und die emittierten Photonen wandern zu einer Batterie von Strahlteilern. Eine CCD-Kamera könnte leicht feststellen, wann zwei Ionen verschränkt werden, und jede Verschränkung würde die Rechenkapazität des Ionencomputers steigern.