Europäische Ethnologie und Interkulturelle Kommunikation Author(en): Roth, Klaus Objekttyp: Article Zeitschrift: Schweizerisches Archiv für Volkskunde = Archives suisses des traditions populaires Band(Jahr): 91(1995) Heft 2 Persistenter Link: http://dx.doi.org/10.5169/seals-117939 Erstellt am: 28.05.2012 Nutzungsbedingungen Mit dem Zugriff auf den vorliegenden Inhalt gelten die Nutzungsbedingungen als akzeptiert. Die angebotenen Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in Lehre, Forschung und für die private Nutzung frei zur Verfügung. Einzelne Dateien oder Ausdrucke aus diesem Angebot können zusammen mit diesen Nutzungsbedingungen und unter deren Einhaltung weitergegeben werden. Die Speicherung von Teilen des elektronischen Angebots auf anderen Servern ist nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Konsortiums der Schweizer Hochschulbibliotheken möglich. Die Rechte für diese und andere Nutzungsarten der Inhalte liegen beim Herausgeber bzw. beim Verlag. SEALS Ein Dienst des Konsortiums der Schweizer Hochschulbibliotheken c/o ETH-Bibliothek, Rämistrasse 101, 8092 Zürich, Schweiz retro@seals.ch http://retro.seals.ch Schweizerisches Archiv für Volkskunde 91 (1995). H. 2. 163-181 Europäische Ethnologie und Interkulturelle Kommunikation* Von Klaus Roth I. Der bereits 1937 in einem Zeitschriftentitel verwendete1 und 1955 auf dem interna¬ tionalen Volkskundekongress in Arnhem vorgeschlagene Name Europäische Ethnologie sollte nicht nur die vielfältigen und z.T. belasteten Fachbezeichnun¬ gen («Volkskunde», «Folklore», «Ethnographie» u.a.) ersetzen und eine europa¬ weit einheitliche Fachbezeichnung bieten, sondern das Fach auch im grösseren Rahmen der ethnologischen Wissenschaften verorten (cf. Lutz 1970: 29; Hauschild 1982: 11). Europäische Ethnologie hat seither in einigen europäischen Ländern, vor allem in Skandinavien, als Fachbezeichnung eine gewisse Bedeutung erlangt (cf. Stoklund 1972, 1981), erscheint als Fachname in mehreren Einführungen (Svensson 1973, Weber-Kellermann 1985, Brednich 1988) und ist im deutschen Sprachraum - trotz einer früheren Scheu (cf. Lutz 1970) - zur Benennung einiger Institute (Marburg, Frankfurt, Münster, Innsbruck, Wien, Berlin) gewählt worden. 1967 wurde die Zeitschrift «Ethnologia Europaea» gegründet und bald darauf er¬ schienen mehrere Zeitschriften mit analogen Namen2. Freilich: verdrängt hat der neue Name die alten Fachbezeichnungen bis heute keineswegs. Der Name Europäische Ethnologie sollte nach den Erfahrungen des Natio¬ nalismus in vielen europäischen Ländern darüber hinaus aber auch einen Perspekti¬ venwechsel signalisieren. Die Volkskunde (bzw. Folklore oder Ethnographie) war im 19. Jahrhundert entstanden - und hatte ihre Legitimation erhalten - als eine «Wissenschaft vom eigenen Volk» (Lutz 1970: 27f). Stand bei der Volkskunde das Interesse an der Erkundung, Darstellung, Pflege und vielfach auch Überhöhung der eigenen, der «nationalen» (bäuerlichen) Kultur im Zentrum, so war es der Völker¬ kunde von Anbeginn um die Erforschung fremder, und das hiess: aussereuropäischer schriftloser Kulturen gegangen. Die benachbarte, die europäische Fremde und die kulturelle Vielfalt des Kontinents blieben bei dieser Aufgabenteilung der Fächer ausgespart im Vertrauen darauf, dass jedes Land seine Kultur als eigene erforschen werde und dafür wohl auch am besten gerüstet sei. Europäische Eth¬ nologie sollte eben diese Lücke schliessen und Europa als Ganzes zum Gegen¬ stand ethnologischer Forschung machen. Heute, 40 Jahre nach dem Kongress in Arnhem, ist es Zeit, Bilanz zu ziehen und zu fragen, was Europäische Ethnolo¬ gie eigentlich bedeutet, welches heute ihre Beziehung zu Volks- und Völkerkunde ist und ob sie die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt hat - oder ob Leopold Kretzenbachers ernüchternder Satz von der «vorerst nur als Wunschbild vor uns schwe¬ benden, noch nicht erreichten Ethnologia Europaea» noch immer zutreffend ist (Kretzenbacher 1986: 3). 163 Klaus Roth SAVk 91 (1995) II. Was also bedeutet Europäische Ethnologie? Allgemeine Übereinstimmung dürfte darüber bestehen, dass Europäische Ethnologie mehr und anderes meint als «Ethnologie in Europa» und dass es ihr nicht darum gehen kann, ganz Europa als einheitlich und «eigen» dem «fremden» Aussereuropa gegenüberzustellen. Doch darüber hinaus besteht, so scheint es, wenig Konsens. Stattdessen ergeben sich aus den vielfältigen Äusserungen recht divergente Auffassungen, die mir zu einigen kritischen Fragen Anlass geben. ¦ Ist die Bezeichnung Europäische Ethnologie lediglich so etwas wie ein Syn¬ onym für die alten Namen, ein schmuckes Etikett für die bekannten («volkskundli¬ chen», «ethnographischen») Inhalte? Manche Bücher, die den Namen im Titel füh¬ ren, weisen in ihren Inhalten kaum eine erkennbare europäische Perspektive auf (cf. Brednich 1988, Bimmer 1983 u.a.). ¦ Oder hat sich Europäische Ethnologie zu einem bloss additiven Sammelbe¬ griff für die unverändert nationalen «europäischen Volkskunden» (Niederer 1970: 46; Lutz 1970: 28) entwickelt'.' ¦ Geht es vielleicht bei der Europäischen Ethnologie nur darum, die dispara¬ ten nationalen Forschlingsansätze und Methoden zu vereinheitlichen, um «a uni¬ form European folklife research in systematic form» zu schaffen und dadurch «the need of a systematic cooperation within ethnology» zu befriedigen (Erixon 1967: 5)? Erschöpft sie sich also darin, allein auf der Ebene des Wissenschaftsdiskurses ein Forum zu bilden für den europäischen Erfahrungsaustausch und zur Abstim¬ mung von Theorien und Methoden auf Tagungen und Kongressen, in Zeitschriften und Sammelbänden? Haben diese «Verklammerungen die in der Geschichte einmal massgebende nationale Ausrichtung der Volkskunden» wirklich überwun¬ den, wie Wiegelmann (1977: 10) optimistisch meinte? ¦ Ist Europäische Ethnologie eine auf den Forschungsraum Europa ausgerich¬ tete regionale Untergliederung der Völkerkunde bzw. Ethnologie, vergleichbar der Ethnologie anderer Kontinente? Ist sie damit eine Wissenschaft, die sich primär dem jeweils Fremden in Europa zuwendet? In diese Richtung scheint die Gründung einer «Kommission für Europäische Ethnologie» in der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde im Jahre 1993 zu weisen, mit der der für den deutschen Sprachraum spezifische «dualistische Horizont» (Giordano 1984: 83), die scharfe Trennung zwischen Volks- und Völkerkunde vielleicht aufgehoben werden könnte. ¦ Oder ist sie, im Gegensatz dazu, die «Ethnologie Europas», also eine in ihren Ansätzen und Methoden eigenständige und die Spezifik des Kontinents in den Mit¬ telpunkt stellende Wissenschaft der europäischen Kulturen in ihrer Eigenart, Viel¬ falt und Gesamtheit? Ein solcher den Sonderweg Europas betonender Zugang scheint - vor allem in der Entwicklungs- und Modernisierungsdiskussion (cf. Senghaas 1982) - verbreitet zu sein; für die Europäische Ethnologie birgt er freilich die Gefahr des Eurozentrismus und der Überhöhung der eigenen, «zivili¬ sierten Welt» (Giordano 1984: 84). Die Volkskunde hätte wahrlich schlecht aus der 164 Europäische Ethnologie und Interkulturelle Kommunikation SAVk 91 (1995) Geschichte gelernt, wenn sie als Europäische Ethnologie den Nationalismus von einst (cf. Gerndt 1995) ersetzte durch einen «europäischen Nationalismus». ¦ Oder ist nicht Europäische Ethnologie ihrem Wesen nach eine komparatistische Wissenschaft, eine «Vergleichende Ethnologie Europas» und vor allem eine Wissenschaft der Kulturbeziehungen und -Strömungen in und nach Europa sowie der lnterdependenzen und Interaktionen zwischen seinen Gruppen und Völkern? ¦ Beinhaltet also Europäische Ethnologie primär die Sicht aufdie eigene Kul¬ tur oder in demselben Masse auch die Sicht aufdie anderen Kulturen in Europa, die der Nachbarvölker und Minderheiten ebenso wie die der entfernteren Völker und Gruppen? Ist sie also eine Wissenschaft sowohl des Eigenen als auch des Fremden bzw. der Beziehungen zwischen Eigenem und Fremdem, der Selbstsuche und der Fremderfahrung, der Innensicht und der Aussensicht? Bevor wir uns aber der Standortbestimmung der Europäischen Ethnologie zuwenden, muss zunächst einmal, um nicht mit einer Unscharfe zu beginnen, ge¬ fragt werden, welches Europa in welchen Grenzen der Untersuchungsraum des Faches ist. Ist dieser geographisch definiert und erstreckt sich im Osten bis zum Ural und Kaukasus und im Südosten bis zum Bosporus? Oder ist er kulturell defi¬ niert und umfasst alle «drei historischen Regionen Europas» (Szücs 1990) bzw. Kulturkreise (Axt 1993) oder «civilizations» (Huntington 1993)? Gehören also der sich selbst oft als ausserhalb «Europas» empfindende Balkan (Roth 1988) und Ar¬ menien mit dazu? Und wie steht es mit der Türkei oder den auf europäische Besied¬ lung und Kolonisation zurückgehenden Kulturen in Nord- und Südamerika, in Süd¬ afrika, Australien und Sibirien? Mir scheint, dass hier noch einiger Klärungsbedarf besteht. Europäische Ethnologie sollte nicht nur nationale Grenzen und Begrenzun¬ gen überwinden, sondern nach der Intention der Gründungsväter auch den Blick öffnen für das Neben- und Miteinander der europäischen Völker und die Wechsel¬ beziehungen zwischen dem Eigenen und dem Fremden, sollte explizit die «nahe Fremde» einbeziehen. Mit dem Namen Europäische Ethnologie verband sich damit im Grunde ein Paradigmenwechsel des Faches von einer narzisstisch aufdie Beschäftigung mit dem Eigenen ausgerichteten Volkskunde hin zu einer das Frem¬ de stets mitreflektierenden Ethnologie. Das im Namen enthaltene Programm und sein Anspruch, so die These dieses Beitrags, ist aber bislang nur ansatzweise einge¬ löst worden. Wenn wir der Ansicht sind, dass dieses Programm einer Euro¬ päischen Ethnologie sinnvoll und notwendig ist (und ich bin dezidiert dieser Ansicht), so ergeben sich einige Fragen, Fragen nach der Spezifik der Europä¬ ischen Ethnologie, nach ihren Zielen und Methoden. Wichtig ist aber auch die Frage nach den Gründen dafür, warum sie bisher nicht genügend Akzeptanz gefun¬ den hat. Was also sollten die Aufgaben und Ziele einer Kulturwissenschaft sein, die sich Europäische Ethnologie nennt - und was müsste getan werden, um diese Ziele zu erreichen? Wenngleich Europäische Ethnologen bereits etliche übernationale, gesamteuro¬ päische und kulturvergleichende Projekte erfolgreich durchgeführt und sich der 165 Klaus Roth SAVk 91 (1995) Kultur anderer europäischer Regionen zugewandt haben, so müssen wir doch kon¬ statieren, dass die übergrosse Mehrheit von ihnen sich in «ethnozentrischer Befan¬ genheit» (Niederer 1970: 46) nahezu ausschliesslich mit der eigenen Kultur und ihren regionalen und sozialen Teilkulturen befasst, also weiterhin Volkskunde, Eth¬ nographie oder Folkloristik in den Grenzen nationaler Staaten, Sprachen und Kul¬ turen betreibt. Sie tun dies fast ausschliesslich aus der - auf die Nationalkultur bezogen - kulturellen Innensicht, aus der emischen Perspektive". Die Notwendig¬ keit und Berechtigung einer Erforschung der eigenen Kultur aus der Binnenper¬ spektive ist unbezweifelt, dient diese Forschung doch ganz wesentlich dem Verste¬ hen und dem Verstehbarmachen der eigenen Kultur in ihrer Komplexität und ihrem dynamischen Wandel (cf. Stoklund 1972:11 ); die meisten europäischen Volkskund¬ ler haben zudem in der Erforschung der eigenen Kultur und ihrer Teilkulturen ihre eigentliche Kompetenz. Volkskunde als Wissenschaft der eigenen (Alltags)Kultur ist notwendig und legitim - solange sie nicht zu nationaler Überhöhung, zur Mysti¬ fizierung der eigenen Kultur und Geschichte und zur Glorifizierung des eigenen «Volkstums» beiträgt. Die Beschäftigung mit der eigenen Kultur kann für die Europäische Ethnolo¬ gie jedoch nur ein Aspekt, kann nur eine Ausgangsbasis für das kulturelle Ver¬ stehen sein. Denn zur eigenen Kultur gehört stets auch die Fremderfahrung, die Begegnung mit und die Verarbeitung von kultureller Differenz: Das Fremde im Eigenen begegnet uns bereits in Form von unterschiedlichen regionalen, konfessio¬ nellen und sozialen Teilkulturen, doch darüber hinaus ist der direkte Nachbar¬ schaftskontakt mit ethnischen Minderheiten und anderen Völkern, mit sprachlicher oder kultureller Fremdheit ein konstituierendes Element der historischen Erfah¬ rung Europas, zumindest in grossen Teilen des Kontinents. Erinnert sei zum einen an die grossen historischen Vielvölkerstaaten und die heutige Europäische Union, zum andern an die zahlreichen ethnisch-kulturellen Mischgebiete sowie die heuti¬ gen Länder mit verschiedenen Sprachen oder Kulturen (Belgien, Finnland, Rumä¬ nien, Schweiz u.a.). Seit Jahrhunderten sind zudem Fremde, seien es Religions¬ flüchtlinge, Einwanderer, Handwerker, Kaufleute, Siedler, Soldaten oder Arbeits¬ migranten, in fast jedes europäische Land gekommen (cf. Schuhladen 1993); die heutigen «Gastarbeiter» in den westeuropäischen Ländern stehen durchaus in die¬ ser langen Tradition4. Das Studium des Fremden im Eigenen und der Prozesse des Kulturkontakts und der Akkulturation ist damit ohne jeden Zweifel eine zentrale Aufgabe der Europäischen Ethnologie. Entgegengesetzt ist die Perspektive, wenn es um das Studium des Eigenen im Fremden geht. Hier rückte in der älteren Volkskunde das Fremde erstmals intensi¬ ver ins Blickfeld, doch ging es in diesen Untersuchungen stets vorrangig oder aus¬ schliesslich um die «Inseln des eigenen Volkstums» in fremdkultureller Umge¬ bung. Die umgebenden Völker wurden, wie etwa in der Sprachinselvolkskunde, in abgrenzender oder sogar herabsetzender Art und Weise behandelt, und erst die Interethnik-Forschung konnte diese Perspektive zurechtrücken (Weber-Kellermann 1967). Nach dem Kriege wurden einige Herkunftsländer der Vertriebenen und 166 Europäische Ethnologie und Interkulturelle Kommunikation SAVk 91 (1995) Flüchtlinge untersucht5, doch stand nur selten deren Kultur als solche gleichbe¬ rechtigt im Blickfeld; das gleiche gilt auch analog für die meisten Untersuchungen von europäischen Auswanderern in Übersee. Der Blick auf das Fremde, über die nationalen Grenzen hinweg auf andere euro¬ päische Kulturen, ist, was die Gesamtzahl der veröffentlichten Arbeiten betrifft, bis heute eher die Ausnahme geblieben. Viele der hier anzuführenden Studien sind zudem aus der Distanz geschrieben, d.h. sie basieren auf der Auswertung literari¬ scher oder ähnlicher Quellen und nicht oder nur am Rande auf eigener Empirie. Es ist aber genau die eigene Anschauung fremder Kulturen, die erkenntnisfördernd ist auch in dem Sinne, dass sie entscheidend zum Verstehen der eigenen Kultur beitra¬ gen kann. Auf diesen Wert des Studiums fremder Kulturen hatte Wilhelm H. Riehl bereits 1858 in seinem Vortrag «Die Volkskunde als Wissenschaft» hingewiesen: «Nur wer in der Fremde gewesen ist, vermag die Heimat objektiv zu erfassen und zu schildern; die Volkskunde ist ihrer Natur nach vergleichend, aus der vergleichen¬ den Beobachtung entwickelt sie ihre Gesetze, und der echte Volksforscher reist nicht bloss, um das zu schildern, was draussen ist, sondern vielmehr, um die rechte Sehweite für die Zustände in seiner Heimat zu gewinnen» (Riehl 1910: 207f). 1970 hob Arnold Niederer die Notwendigkeit der Fremderfahrung für die «rechte Seh¬ weite» für das Eigene erneut hervor mit den Worten: «In der Tat bleiben die spezifi¬ schen Probleme der eigenen Kultur letztlich problemlos, wenn sie nicht durch den Vergleich mit dem Fremdkulturellen erhellt werden» (Niederer 1970: 46). Die forschende Annäherung an andere (europäische) Kulturen oder Kulturre¬ gionen (aus der etischen Perspektive des Forschers als professioneller Fremder6) im Rahmen einer so verstandenen Europäischen Ethnologie ist gekennzeichnet durch unterschiedliche Forschungsinteressen, Ansätze und Perspektiven. Die wichtigsten von ihnen seien kurz angedeutet: 1. Dass die Erforschung europäischer Kulturen um ihrer selbst willen durch fremdkulturelle Forscher relativ selten geblieben ist, hat mehrere Gründe. Neben der dargestellten immanenten Ausrichtung des Faches sind hierfür die in der Regel fehlenden Kenntnisse der Sprachen und Kulturen sowie auch äussere Faktoren ver¬ antwortlich, etwa die Tatsache, dass grosse Teile Osteuropas lange Zeit für westli¬ che Forscher schwer zugänglich waren. Für manche Regionen, wie etwa Südosteu¬ ropa, gilt, dass sie «für die deutsche Volkskunde mit der Fülle ihrer Sprachen, Kul¬ turen, Religionen, Konfessionen, politischen und mentalen Umbrüche, Zwänge und Hoffnungen kaum im Blickfeld» stehen und «wohl eher weiterhin wegen der Barrieren von Sprachen und Polit-Systemen schwer zugänglich bleiben dürften» (Kretzenbacher 1986: 3). Die Polit-Systeme sind inzwischen verschwunden... Aufschlussreich und zugleich ein wenig verblüffend ist nun allerdings, dass sich der forschende Blick nur selten auf die kulturell näherstehenden Nachbarländer richtete und auch Forschungen in den grossen west- und mitteleuropäischen Indu¬ striestaaten durch Ausländer selten sind. In Ländern wie Frankreich, England, der Schweiz oder Deutschland haben sich allenfalls ein paar nordamerikanische Kul¬ turanthropologen betätigt (Theodoratus 1982), wie überhaupt der Beitrag der an- 167 Klaus Roth SAVk 91 (1995) gelsächsischen Sozial- und Kulturanthropologie zur Europäischen Ethnologie beachtlich ist (cf. ebda; Lange 1979, Stoklund 1972: 9-11 Der Normalfall ethnolo¬ gischer Forschung im europäischen Ausland ist vielmehr, dass Ethnologen oder Volkskundler aus west- und mitteleuropäischen Ländern7 oder den USAS vor allem Reliktkulturen in den peripheren, «exotischen» Regionen Europas aufsuchen, also den Balkan (cf. Roth 1993b), den Mittelmeerraum, besonders Süditalien und Spa¬ nien, Irland, Schottland oder andere Randgebiete - teilweise in Zusammenarbeit mit einheimischen Kollegen (cf. Hofer 1968). 2. Europäische Gesamtstudien, also Studien, die den gesamten Raum Europas oder aber grosse Teilgebiete umfassen und als einen grossen Kulturraum behan¬ deln, sind von volkskundlicher Seite selten (cf. Cuisenier 1979) durchgeführt wor¬ den, meistens nur anhand von eng begrenzten Themen wie Familienform (Gavazzi 1979/80), Tragegeräte (Klodnicki 1982/83), Dreschflegel (Trojan 1983) oder Fuhr¬ werke (Viires 1977/78). Umfangreichere und mutigere Entwürfe für grössere Zu¬ sammenhänge liegen eher aus Nachbardisziplinen wie der Geistes- und Kulturge¬ schichte vor (cf. Burke 1978). 3. Häufiger sind Parallelstudien, in denen das gleiche Thema parallel in ver¬ schiedenen europäischen Ländern jeweils von einheimischen Forschern untersucht und dargestellt wird, ohne dass ein Vergleich beabsichtigt ist oder im Mittelpunkt steht. Die europäische Dimension dieses Ansatzes ergibt sich somit erst durch die Zusammenfügung in einen grösseren Rahmen. In die Gruppe der Parallelstudien fallen die Atlasprojekte in den verschiedenen europäischen Ländern und die Versu¬ che ihrer europäischen Synopse', aber auch zahlreiche Sammelbände wie etwa jene über die Volkskultur der europäischen Länder (cf. Gebhard 1963), über Nahrung und Nahrungsforschung in Europa (Ethnologia Europaea 5), über Gemeindefor¬ schungen (Ethnologia Europaea 6), über Nationalismus (Ethnologia Europaea 19) und Mythologien (Ethnologia Europaea 21). 4. Im Gegensatz dazu steht bei Vergleichsstudien ausdrücklich der Kulturver¬ gleich im Vordergrund, d.h. die Suche nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen zwei oder mehr europäischen Kulturen. Der Vergleich spielt in der Euro¬ päischen Ethnologie als einer wesensmässig komparatistischen Wissenschaft eine zentrale Rolle (cf. Gerndt 1977/78), sei es bei der Ermittlung von Ökotypen durch den Vergleich von Märchenvarianten nach der Historisch-geographischen Methode10, sei es bei thematischen Vergleichsstudien (cf. Baumgarten 1983), oder beim Vergleich von Kulturräumen, Nationalkulturen oder von einzelnen Gemein¬ den (cf. Bianco 1974). 5. Hiervon abgesetzt werden müssen Studien der Interdependenzen und Zusam¬ menhänge zwischen den Kulturen sowie der interethnischen Beziehungen in Euro¬ pa, sei es auf der Makroebene zwischen ganzen Völkern, sei es auf der Mikroebene zwischen Regionen, Gemeinden oder Gruppen. Auf der Makroebene geht es um die Untersuchung der Wanderwege von Erzählungen (Finnische Schule), von Kul¬ turströmungen (cf. Schier 1966) und Kulturgrenzen (cf. Weiss 1962), von Diffusionsvorgängen sowie auch von Migrations- und Remigrationsprozessen (Burkard 168 Europäische Ethnologie und Interkulturelle Kommunikation SAVk 91 (1995) 1993). In die gleiche Gruppe fallen aber auch Untersuchungen der Wahrnehmun¬ gen der Völker voneinander und der stereotypen Bilder, die sie voneinander haben (cf. Gerndt 1988). Auf der Mikroebene hingegen befinden sich Untersuchungen der interethnischen Beziehungen in Mischgebieten und Gemeinden, wie etwa die Interethnik-Studien in Südostcuropa von Ingeborg Weber-Kellermann und Annemie Schenk, sowie auch jene neueren Studien in Gemeinden oder Grossstädten, die die Beziehungen zwischen Arbeitsmigranten und ansässiger Bevölkerung zum Thema haben (cf. Greverus 1988). 6. Ganz auf der Mikroebene des konkreten Kontakts zwischen Angehörigen ver¬ schiedener Kulturen befinden sich schliesslich Interaktionsstudien. In diesen Un¬ tersuchungen der interkulturellen Kommunikation geht es zum einen um den direk¬ ten Kulturkontakt und Kulturkonflikt", also die personale Interaktion und fäce-to/flce-Kommunikation, zum andern um die hierfür relevanten Aspekte wie Selbstwahrnehmung und Selbstverständnis (cf. Daun 1990), Fremdverstehen und interkulturelle Hermeneutik (Niederer 1970) sowie kulturelle Differenz und den Umgang mit ihr. Während aus Skandinavien bereits einige volkskundliche Studien zu diesem Thema vorliegen (cf. Ehn 1993, Daun 1989, 1990, Tuomi-Nikula 1993 u.a.), sind sie bislang in anderen europäischen Ländern noch selten (cf. Roth 1995, Volbrachtovä 1988). III. Im Gegensatz zu den traditionellen Fachbezeichnungen impliziert der Name Euro¬ päische Ethnologie somit vor allem eine Wissenschaft der Vielfalt der Völker und Kulturen Europas und ihres Mit- und Nebeneinanders; genauer gesagt: der Kulturen in Europa, denn auch die in Europa heute vertretenen Kulturen aussereuropäischer Migranten und Flüchtlinge müssen notwendigerweise einbezogen wer¬ den. Europäische Ethnologie ist damit nicht mehr nur eine Wissenschaft der eigenen Kultur, sondern ganz wesentlich auch eine Wissenschaft der Wechselbe¬ ziehungen und Interaktionen zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Eigenes und Fremdes - sie sind heute allenthalben in Europa und weltweit nicht mehr so scharf voneinander zu trennen, wenn sie es denn jemals waren. So ist es kein Zufall, wenn die Grenzen zur Völkerkunde verschwimmen und diese sich der Europäi¬ schen Ethnologie nähert. Aufgaben und Ziele der Forschung in der Europäischen Ethnologie sind so¬ mit zum einen - im Sinne von Günter Wiegelmann (1977: 9f) - die Erfassung, Beschreibung und Klassifikation der materiellen, sozialen und geistigen Kultur der in Europa lebenden Gruppen und Völker in ihrer Differenzierung und die Analyse der kulturellen Ausdrucksformen und Werte- und Nonnensysteme in ihrem Wan¬ del. Aufgabe ist aber zum andern auch die Untersuchung dieser Kulturen in ihren Beziehungen und ihrer Bezogenheit aufeinander, also der Dynamik ihres Nebenund Miteinanders, ihrer Kontakte und auch ihrer Konflikte. 169 Klaus Roth SAVk 91 (1995) Ist dieser Anspruch der Europäischen Ethnologie in der Forschung vielleicht in Ansätzen eingelöst, so gilt dies gewiss nicht für die Lehre und die Praxis. Denn, so müssen wir fragen, Beschreibung und Analyse cui bono? Ist es nicht auch eine Aufgabe der Europäischen Ethnologie, das angehäufte Wissen denen wieder zur Verfügung zu stellen, von denen es erhoben wurde? Sollte sie nicht auch ihren bereits vor 25 Jahren in Falkenstein12 angemahnten Beitrag zur Lösung gesell¬ schaftlicher Probleme leisten? Freilich befällt viele bei dem Gedanken an eine «an¬ gewandte Europäische Ethnologie» Unbehagen, denn allzu gut in Erinnerung sind die Gefahren der Verwendung kulturellen Wissens, sei es durch Politiker oder Ad¬ ministratoren, durch Kleriker oder Ideologen, durch Geschäftemacher oder gar Mi¬ litärs. Die Angst davor, dass Ethnologen oder ihre Erkenntnisse in den Dienst einer schlechten Sache gestellt werden, ist sicher nicht unbegründet, wie etwa der Krieg im ehemaligen Jugoslawien wieder einmal gezeigt hat (cf. Roth 1993). Zu fragen ist also, zur Lösung welcher gesellschaftlichen Probleme das ethnolo¬ gische Wissen heute beitragen kann. Und zu klären ist, wer dieses Wissen wozu missbrauchen und wie man dieses verhindern kann. Die Angst vor Missbrauch darf die Europäischen Ethnologen aber nicht paralysieren, denn machen wir uns nichts vor: Unsere Gesellschaften sind heute (wieder) mit einem gravierenden Problem konfrontiert, das uns in ganz besonderer Weise betrifft und fordert. Nachdem es einige Jahrzehnte so aussah, als seien ethnische Konflikte in Europa weithin gelöst und Kriege undenkbar, ist es zu einem beängstigenden Anwachsen von ethnischem Selbstbewusstsein und kulturellem Fundamentalismus und zu einem bedrohlichen Aufflammen von Nationalismen und interethnischen Konflikten gekommen (cf. Köstlin 1994, Kaschuba 1995). Es sind-nach dem «Ende der Systeme»-Konflikte vor allem entlang jener alten Verwerfungslinien, die die drei europäischen Kultur¬ kreise voneinander trennen (cf. Szücs 1990, Axt 1993, Huntington 1993). In mehre¬ ren westlichen Ländern hat zudem der Zustrom von Arbeitsmigranten, Flüchtlin¬ gen und Asylbewerbern sowie die Skepsis gegenüber der Europäischen Union den Nationalismen und regionalen und ethnischen Partikularismen Auftrieb gegeben. Fügen wir noch die wachsende Internationalisierung in allen Bereichen und die steigende Zahl von Kulturkontakten in Alltag und Urlaub hinzu, so ergibt sich, dass kulturelle Differenz wieder zum Problem geworden ist. Der Soziologe Robert Picht stellte 1987 fest, dass mit der Intensivierung internationaler Kooperation die «Kul¬ turmauer» wachse, denn «Fremdheit, jene scheinbar undurchdringliche und irritie¬ rende Andersartigkeit der Mentalitäten und Orientierungen wird um so spürbarer, je mehr die Partner aufeinander angewiesen sind» (Picht 1987:282). Von Millionen von Menschen ist heute in einem bislang ungekannten Masse die Fähigkeit gefor¬ dert, mit kultureller Differenz umzugehen. Weder die betroffenen Menschen noch die zuständigen Wissenschaften, unter ihnen die Europäische Ethnologie, scheinen in der Lage zu sein, zur Überwindung der «Kulturmauer» und zur «Ver¬ söhnung der Differenzen» (Adorno 1951: 130) aktiv beizutragen. Welches ist die Position der Europäischen Ethnologen zu diesen offenkundig grösser werdenden gesellschaftlichen Problemen? Sind sie, wie früher, Interessen- 170 Europäische Ethnologie und Interkulturelle Kommunikation SAVk 91 (1995) bewahrer des «Eigenen», der eigenen Kultur und Nation? Stehen sie auch heute auf der Seite derer, die nationalkulturell und ethnozentrisch argumentieren und han¬ deln, die kulturelle Homogenität fordern und vielleicht sogar ethnische Säuberun¬ gen legitimieren? Ein solches Handeln wäre gewiss unvereinbar mit allem, wofür der Name Europäische Ethnologie steht. Diese kann und darf niemals den Weg beschreiten, den die «angewandte Volkskunde» im Dienste von nationalistischer oder sozialistischer Ideologie und Parteiräson zeitweilig ging oder zu gehen ge¬ zwungen war (cf. Jacobeit u.a. 1994, Gerndt 1995). Kann es aber, um dieser Gefahr zu entgehen, die Position der Europäischen Ethnologen sein, neutral beobachtende und analysierende Dritte zu bleiben und sich - in vornehmer Zurückhaltung - nicht einzumischen und ihren Beitrag zur Verminderung der Spannungen und Konflikte zwischen den Völkern in Europa zu verweigern? Angesichts der Art und der Ernst¬ haftigkeit der Probleme kann dies wohl kaum die angemessene Haltung sein. Die Volkskunde muss als Europäische Ethnologie auch hier einen Paradig¬ menwechsel vollziehen, um dem Anspruch gerecht zu werden. Obwohl alle bisher genannten Aktivitäten weiterhin wichtig sind, reicht es heute nicht mehr aus, ledig¬ lich internationale Tagungen und Kongresse zu veranstalten, europäische und über¬ regionale Zeitschriften in allgemein zugänglichen Sprachen'' herauszugeben, in engen Themenbereichen mit Kollegen aus anderen Ländern Vergleichsstudien zu erarbeiten und gelegentlich Forschungen in anderen Kulturen zu betreiben. Von der Europäischen Ethnologie sind heute vielmehr weitergehende Konzepte und Aktivitäten gefordert, die freilich an alle Betroffenen auch höhere Anforderungen stellen: 1. Mit ihrem Fundus an Wissen über die Kulturen der Völker in Europa und ihre Beziehungen zueinander ist die Europäische Ethnologie gefordert, dieses Wis¬ sen zur Verfügung zu stellen, um Schaden abzuwenden und die Kommunikation, das Verstehen zwischen den ethnischen Gruppen und den Völkern zu fördern. Sie sollte konkret dazu beitragen, die Fähigkeit der Menschen zu erhöhen, mit Diffe¬ renz und Fremdheit umzugehen, sollte Wege des Verstehens und des Zusammen¬ wirkens zwischen den Ethnien aufzeigen. Es wäre dies eine angewandte Europäi¬ sche Ethnologie im Dienste des besseren Zusammenlebens der Völker und Gruppen in einer kleiner gewordenen Welt, einer Welt der Globalisierung und der täglich zunehmenden Kulturkontakte und -konflikte in nahezu allen Bereichen von der Wirtschaft und Politik bis hin zu Kulturbetrieb und Tourismus. Wie kommt die Europäische Ethnologie aber diesem Ziel der «Beihilfe zur Völkerverständigung» näher? Was muss sich im Fach ändern? Um zur Lösung die¬ ser neuen gesellschaftlichen Probleme beizutragen, müssen in der Lehre und der Forschung neue Akzente gesetzt werden. An erster Stelle gilt es, vom Studium des Eigenen ausgehend die immer noch sehr relevanten Grenzen des Nationalen zu¬ gunsten übergreifender und vergleichender Ansätze zu überwinden. Dabei darf es aber keinesfalls das Ziel sein, kulturelle Differenz zu verleugnen und sie etwa durch eine europäische Einheitskultur ersetzen zu wollen. Die kulturelle Vielfalt Europas ist die Grundlage, sie zu wahren das Ziel der Europäischen Ethnologie. Wenn 171 Klaus Roth SAVk 91 (1995) aber diese Vielfalt nicht zerstörerisch wirken soll, ist es unumgänglich. Wissen und kulturelle Techniken für den alltäglichen Umgang mit eben dieser Fremdheit be¬ reitzustellen. Über die Forschung hinaus muss es also das Ziel angewandter Euro¬ päischer Ethnologie sein, Kommunikation zwischen Menschen aus verschiede¬ nen Kulturen zu erleichtern und den Menschen zu helfen, kulturelle Differenz zu akzeptieren und den Umgang mit ihr zu erlernen, vor allem in der Alltagswelt. 2. Aus diesen allgemeinen Überlegungen ergeben sich für die universitäre Lehre und Forschung konkrete Forderungen an die Lehrenden und die Lernenden. Für immer mehr Lehrende wird in Zukunft die Kompetenz in einer weiteren europäi¬ schen Kultur, d.h. der Erwerb von Kenntnissen einer anderen Kultur und Sprache wichtiger werden müssen. Hieraus können sich dann verstärkt Lehrveranstaltun¬ gen über diese Kulturen und auch Forschungen ergeben; erstrebenswert werden dabei vor allem grenzüberschreitende Forschungsprojekte sein, wobei die bewusste Einbeziehung der Innen- und Aussenperspektive (emisch - etisch) die enge Zu¬ sammenarbeit mit einheimischen Kollegen nahelegt (cf. Hofer 1968). Auf institu¬ tioneller Ebene wird es entscheidend sein, sowohl die Institutskooperationen zwi¬ schen europäischen Universitäts- und Forschungsinstituten erheblich auszubauen als auch den regelmässigen Austausch von Dozenten im Rahmen europäischer Pro¬ gramme in weitaus stärkerem Masse zu realisieren. Die gleichen Ziele und Forderungen betreffen analog auch die Studenten der Europäischen Ethnologie, für die der Erwerb von intimeren Kenntnissen zu¬ mindest einer anderen europäischen Kultur (mit Betonung der Alltagskultur und der Sprache) notwendig wird. Solche Kenntnisse sollten auf theoretischer Ebene durch Lehrveranstaltungen und praktisch durch die Teilnahme an Exkursionen und durch Kulturaufenthalte, vor allem aber durch das Studium an anderen europä¬ ischen Universitäten (im Rahmen von Austauschprogrammen) und durch Aus¬ landspraktika erworben werden. Darüberhinaus muss jedoch angesichts der ethnischen, kulturellen und sprach¬ lichen Vielfalt Europas die Beihilfe zum Verstehen der anderen Kulturen auch darin bestehen, das angesammelte Wissen über diese Kulturen allgemein zugänglich zu machen. In allen Ländern wird unverändert der weitaus grösste feil der ethnologi¬ schen Forschungsergebnisse in der Nationalsprache publiziert - und damit in den meisten Ländern auch nur im sehr engen nationalen Rahmen rezipiert. Eine vor¬ dringliche Aufgabe für die Europäische Ethnologie wäre deswegen die Erarbei¬ tung umfassender Bibliographien zu einzelnen Kulturen und Kulturregionen, die jene Forschungsliteratur enthalten, die in einer der grösseren europäischen Spra¬ chen verfasst und damit allgemein zugänglich ist14, sowie auch die Erstellung von Datenbanken, die das kulturelle Wissen allgemein zugänglich machen1'. 172 Europäische Ethnologie und Interkulturelle Kommunikation SAVk 91 (1995) IV. Den aktivsten und unmittelbarsten Beitrag zum besseren Verstehen der Völker könnte die Europäische Ethnologie jedoch dadurch leisten, dass sie in ihrer Forschung, ihrer Lehre und ihrer Aussenwirkung die Interkulturelle Kommu¬ nikation zu einem ihrer Aufgabenfelder macht (cf. Roth 1993a). Interkulturelle Kommunikation, die die beiden Basisbegriffe «Kultur» und «Kommunika¬ tion» so unmittelbar in Beziehung zueinander setzt, ist die Wissenschaft von den kommunikativen Interaktionen und Bedeutungsvermittlungen zwischen Men¬ schen unterschiedlicher Kultur, von der Wahrnehmung und der Hermeneutik des Fremden und vom Umgang mit kultureller Differenz (cf. Hinnenkamp 1994). Interkulturelle Kommunikation als Wissenschaft ist die Frucht mehrerer Disziplinen, ist also bereits in ihrer Genese interdisziplinär. Konstitutiv sind zum einen die Erkenntnisse und Erfahrungen der Kulturanthropologie, denen sie die kulturtheoretischen und methodologischen Grundlagen verdankt, sowie zum an¬ dern die Ergebnisse der Kommunikationswissenschaft und der pragmatischen Lin¬ guistik besonders zur Texthermeneutik und Diskursanalyse, der interkulturellen Psychologie, die vor allem Erkenntnisse zur Wahrnehmung und zur Verarbeitung von Fremdheit geliefert hat, und der interkulturellen Pädagogik. Auch die Volks¬ kunde hat in wichtigen Bereichen Ergebnisse beizutragen, vor allem in Bereichen wie Interethnik, Migration, Akkulturation, Stereotypen, Rituale, alltägliches Er¬ zählen u.a.m. Sowohl Kultur als auch Kommunikation sind Systeme der symbolischen Bedeu¬ tungsvermittlung und somit auf das Engste miteinander verflochten, ja nahezu dekkungsgleich. Im folgenden müssen wir aber die beiden Bereiche getrennt betrachten. Grundlage der Interkulturellen Kommunikation ist der erweiterte Kultur¬ begriff, der - und das ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig - neben den sicht¬ baren Objektivationen (Artefakte, Handlungen, Verhalten) vor allem auch die un¬ sichtbaren Subjektivationen, also die Werte und Normen, die Einstellungen und Vorstellungen, Ideen und Haltungen, Denkweisen und Wahrnehmungsmuster um¬ fasst. Kulturen werden dabei als historisch entstandene und sich dynamisch wan¬ delnde komplexe und hochdifferenzierte Systeme gesehen. In der Auseinanderset¬ zung, ob Kulturen (wie Sprachen) als kognitive Systeme mit einer je eigenen «Grammatik» zu verstehen sind, wie etwa W H. Goodenough meint, oder aber als symbolische Systeme, wie Clifford Geertz dagegenhält, wird heute eine mittlere, beide Ansätze verbindende Position bezogen. Interkulturelle Kommunikation ist - in der Forschung und in der Lehre stets konfrontiert mit dem Spannungsverhältnis zwischen der realen Komplexität von kulturellen Systemen und menschlichem Verhalten und der (notwendigen) Ei¬ genschaft des Menschen, diese Komplexität in seiner Wahrnehmung zu reduzieren und einfache Kategorien zu bilden. Haben wir also auf der einen Seite die Komple¬ xität und Dynamik kultureller Makrosysteme (wie etwa Nationalkulturen) mit all ihren mikrokulturellen Subsystemen (wie Regionalkulturen, Gruppenkulturen, So- 173 Klaus Roth SAVk 91 (1995) zialschichtenkulturen, Subkulturen usw.), so steht dieser Komplexität die Neigung des Menschen gegenüber, von der eigenen Kultur und von fremden Kulturen redu¬ zierte, stereotype «Bilder im Kopf» zu entwickeln und zu tradieren. In jeder Begeg¬ nung zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen geht es damit nicht so sehr darum, wie die jeweils fremde Kultur «wirklich» ist, sondern wie sie wahrgenom¬ men wird - und wie diese Wahrnehmungen gedeutet und in Handeln umgesetzt werden. Und ein zweites: Um das Handeln eines fremdkulturellen Gegenübers an¬ gemessen interpretieren und verstehen zu können, benötigen wir nicht alle Infor¬ mationen über die gesamte Kultur, sondern wir müssen ihre grundlegenden und «typischen» Normen und Werthaltungen kennen, die weite Bereiche des tatsächli¬ chen Ausdrucksverhaltens beeinflussen. Hieraus ergibt sich, dass die Interkulturelle Kommunikation sich zum einen sehr intensiv mit Wahrnehmungsgewohnheiten und Deutungsmustern, mit Stereotypisierungen und Umgang mit Stereotypen befassen muss, und dass sie zum anderen für jede Kultur die zentralen Werthaltungen und Normen, Konzepte und Weltbilder, Standards und Muster, also in gewissem Sinne die grundlegenden Ele¬ mente der «Grammatik» herausarbeiten muss16. Der zweite Grundpfeiler der Interkulturellen Kommunikation ist die Kommunikation in ihren beiden Funktionen als Bedeutungsvermittlung und als symbolische soziale Interaktion. In ganz besonderem Masse ist bei der Kommuni¬ kation zwischen Fremden neben dem Inhaltsaspekt auch der Beziehungsaspekt Watzlawick 1969) ausschlaggebend für Verstehen und Nichtverstehen. Er ist des¬ wegen so entscheidend, weil der grössere Teil der Übermittlung von Bedeutungen nicht verbal (und damit eher kognitiv), sondern paraverbal (etwa durch Tonfall und Tempo) und vor allem nonverbal (durch Gestik, Mimik, Verhalten) erfolgt. Stärker als die ohne Zweifel wichtigen sprachlichen Zeichen stehen somit beim interkultu¬ rellen Verstehen die nonverbalen Codes, also das gesamte nicht-sprachliche, we¬ sentlich affektive Ausdrucksverhalten im Vordergrund. Über die Dechiffrierung verbaler Denotationen und Konnotationen hinaus kommt damit dem Fremdverste¬ hen als einer Hermeneutik fremdkulturellen Handelns und der diesem zugrundelie¬ genden Werte und Normen eine entscheidende Rolle zu. Der Interkulturellen Kommunikation als einer relationalen Kulturwissen¬ schaft geht es also nicht um den Vergleich von Kulturen, sondern um die Interaktio¬ nen zwischen ihnen. Im Zentrum steht die Frage: Was geschieht, wenn Menschen mit verschiedenen kulturellen Codes miteinander kommunizieren und sozial interagieren? Der Kulturkontakt, der Kulturkonflikt, der Kulturschock, das Verstehen und Missverstehen zwischen Kulturen ist damit das zentrale wissenschaftliche Pro¬ blem der Interkulturellen Kommunikation. Unterschiedliche Ansätze sind bisher entwickelt worden, um das Problem der Konfrontation kultureller Codes und damit der kulturellen Unterschiede in den Griff zu bekommen. Wenn es auch für die Forschung und Lehre ein Problem dar¬ stellt, dass jeder Mensch - auch der Forscher - fremde Kulturen stets durch die «Brille» seiner eigenen Kultur wahrnimmt und bewertet, so ist doch für die Inter- 174 Europäische Ethnologie und Interkulturelle Kommunikation SAVk 91 (1995) kulturelle Kommunikation das Streben nach einer neutralen Position zwi¬ schen den Kulturen und der Kulturrelativismus die einzig akzeptable Basis und Methode. Gerade aus der Position des Relativismus ergibt sich aber die Notwen¬ digkeit eines Fixpunktes und gemeinsamen Nenners, der die Unterschiedlichkeit der Kulturen erst erfassbar und vergleichbar macht. Alle bisherigen theoretischen Grundlegungen der Interkulturellen Kommunikation stimmen darin über¬ ein, dass sie diesen Fixpunkt ausserhalb der Kulturen im Allgemeinmenschlichen lokalisieren. Ausgehend von der Prämisse, «dass es nur eine begrenzte Zahl von allgemeinmenschlichen Problemen gibt, für die alle Völker zu allen Zeiten irgend¬ welche Lösungen finden mussten», und dass wohl alle alternativen Problemlösun¬ gen präsent sind, die einzelnen Kulturen aber jeweils ihre eigene Auswahl treffen, haben die Anthropologen Florence Kluckhohn und EL. Strodtbeck 1961 fünf sol¬ che Grundprobleme ermittelt. Sie kleideten sie in die Form von Fragen, auf die jede Kultur ihre eigene Antwort findet: (1) Welcher Art ist die menschliche Natur? (human nature orientation), (2) Wel¬ ches ist die Beziehung des Menschen zur Natur? (man-nature orientation), (3) Welches ist die zeitliche Orientierung des Lebens? (time orientation), (4) Welcher Art ist das menschliche Handeln? (activity orientation) und (5) Welcher Art ist die Beziehung des Menschen zu anderen Menschen? (relational orientation). Bei der «Mensch-Natur-Orientierung» unterscheiden sie etwa zwischen den drei wesentli¬ chen Variationen «Unterwerfung unter die Natur», «Harmonie mit der Natur» und «Beherrschung der Natur», und bei der zeitlichen Orientierung zwischen Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsorientierung (Kluckhohn 1961: 11). Von der Proxemik und Linguistik ausgehend, entwickelte der Kulturanthropolo¬ ge Edward Hall bereits 1959 ein Modell, nach dem jede Kultur aus zehn (miteinan¬ der verbundenen) Primärinformationssystemen (primary message systems) be¬ steht, die in den biologischen Grundlagen des Menschen wurzeln. Jedes dieser In¬ formationssysteme17 ist kulturell überformt und wertbeladen. Hall untersuchte besonders die Informationssysteme Territorialität (Umgang mit Raum), Temporalität (Umgang mit Zeit), Interaktion und Gruppenverhalten (association) und kam zu so hilfreichen Unterscheidungen wie jenen zwischen High-context und Low-confexr-Kulturen sowie zwischen Kulturen mit monochronem und polychronem Um¬ gang mit der Zeit: In High-context-Kulturen gibt es dichte Beziehungs- und Infor¬ mationsnetze zwischen den Menschen, in Low-context-Kulturen sind diese ziem¬ lich locker; Menschen in monochronen Kulturen tun gewöhnlich «eine Sache nach der anderen», während polychrone Menschen fast immer mehreres gleichzeitig er¬ ledigen. Diese grundlegenden Orientierungen haben Auswirkungen auf das ge¬ samte kulturelle System. Sprache, so eine Kernaussage Halls, ist Teil nur eines der zehn Informationssysteme (interaction) und gehört zum sichtbaren Teil des kultu¬ rellen Eisbergs, dem der weitaus grössere Teil der non-verbalen «verdeckten Kul¬ tur» gegenübersteht. Der holländische Organisationspsychologe Geert Hofstede kristallisierte 1980 auf der Basis von über hunderttausend in 40 Ländern erhobenen Fragebögen vier 175 Klaus Roth SAVk 91 (1995) Faktoren heraus, die das Arbeitsverhalten entscheidend determinieren. Ihnen kommt als Indikatoren weit über das Arbeitsverhalten hinaus eine Schlüsselfunk¬ tion zu, da sie Antworten auf Grundfragen der menschlichen Existenz geben und damit auf viele andere Kulturbereiche verweisen. Die vier kulturellen Indikatoren sind 1 der Machtdistanz-Index, der darauf verweist, dass jede Kultur mit der gege¬ benen Ungleichverteilung von Macht und Reichtum anders umgeht und jeweils andere Arten von sozialer Hierarchie und Machtverteilung schafft und toleriert, (2) der Unsicherheitsvermeidungs-Index, der den in jeder Kultur anderen Umgang mit den Risiken des Lebens anzeigt; in Kulturen mit hoher Risikovermeidung herr¬ schen Sicherheitsstreben, Regeln, Riten und feste Formen vor, (3) der Individualis¬ mus-Index, der das in den Kulturen unterschiedliche Mass an sozialer Bindung und das Verhältnis zwischen Individualismus und Gruppenbezogenheit anzeigt, und (4) der Männlichkeits-Index, der ein Indikator der kulturell definierten Rollen und Ei¬ genschaften der Geschlechter ist und auch aufdie «Männlichkeit» bzw. «Weiblich¬ keit» ganzer Kulturen verweist (Hofstede 1980, 1991). Es ist mir nicht möglich, hier die theoretischen Grundlagen der Interkultu¬ rellen Kommunikation auszubreiten'*. Daher möchte ich abschliessend nur noch darauf eingehen, wie diese (und viele andere Erkenntnisse) an der Universität München indie Lehre umgesetzt worden sind (cf. Roth 1992). In der Zusammenar¬ beit der Fächer Volkskunde, Völkerkunde und Deutsch als Fremdsprache sind dort in den letzten sechs Jahren Konzepte für die Vermittlung einer ethnologisch be¬ gründeten Interkulturellen Kommunikation entwickelt und erprobt worden. Ziel ist die Vermittlung interkultureller Kompetenz, d.h. die Vermittlung von Kulturbewusstheit (cultural awareness), von Wissen und Sensibilität im Umgang mit der eigenen und fremden Kulturen. Eindeutig ist damit die Entscheidung für einen kultur-allgemeinen und nicht für den kulturspezifischen Zugang: Der für die Kul¬ turwissenschaften19 angemessene und erfolgreich erprobte Ansatz ist nicht auf ein¬ zelne Kulturen ausgerichtet, sondern zielt primär aufdie Vermittlung allgemeinen Grundlagenwissens über Kultur, Kommunikation, Wahrnehmung und Stereotypisierung. Fremdverstehen und Umgang mit Fremdheit. Konkrete Kulturen werden anhand von Problembereichen und Konflikt-Fällen behandelt, wie auch den Stu¬ denten geraten wird, sich (in anderen Fächern) Wissen über einzelne Kulturen und Sprachkenntnisse anzueignen. Diese Ziele sind auf verschiedenen didaktischen Wegen erreichbar. In der Frage, ob ein eher kognitiver oder affektiver Zugang zu bevorzugen ist, hat sich ergeben, dass bei der Vermittlung von interkulturellem Wissen an Studenten bzw. Erwachsene das kognitive Vorgehen geeigneter ist, denn anders als im Kindesalter ist intuitives und affektiv-emotionales Lernen im univer¬ sitären Unterricht nur begrenzt möglich (Roth 1992). Dieser Zugang beinhaltet im wesentlichen folgende Schritte: Der erste ist die Vermittlung theoretischer Grundlagen, die Bewusstmachung der eigenen Kultur und die Sensibilisierung für die eigene kulturelle Bedingtheit, die eigenen Wahr¬ nehmungs- und Deutungsmuster. Die Bewusstmachung der eigenen «kulturellen Brille» bildet die Grundlage für den zweiten Schritt, den verstehenden Zugang zu 176 Europäische Ethnologie und Interkulturelle Kommunikation SAVk 91 (1995) kultureller Fremdheit. Möglichst auf der Grundlage vorhandener Fremderfahrun¬ gen soll hier eine Sensibilisierung für kulturelle Andersartigkeit, für verborgene Signale und für die Logik anderskulturellen Handelns und Verhaltens sowie eine Anleitung zum kulturellen Fremdverstehen vermittelt werden. Auf der dritten Stufe geht es um die Vermittlung der Fähigkeit, mit anderen Kulturen angemessen zu kommunizieren, d. h. um die Vermittlung von Techniken des Umgangs mit anderen kulturellen Codes. Die Fähigkeit zur Empathie ist hier entscheidend für die Vermei¬ dung oder Lösung interkultureller Konflikte und für die Schaffung von kultureller Synergie. Auf der vierten Stufe geht es um die Sensibilisierung für spezifische Kulturen und damit um die Vermittlung von Kenntnissen über eine bestimmte Kul¬ tur einschliesslich der Sprache, Landeskunde, Geschichte, Institutionen usw. V. Die Notwendigkeit der Europäischen Ethnologie ergibt sich nicht nur aus der am Jahrhundertende zugespitzten Problemlage (cf. Köstlin 1994), sondern grund¬ sätzlich aus den Realitäten Europas. Es sind diese Realitäten, die die Synthese von Ansätzen der traditionellen Volkskunde und der Völkerkunde, die Verbindung des Studiums des Eigenen und des Fremden, der Binnen- und der Aussensicht wie auch der diachronen und der synchronen Perspektive fordern. Die Beschäftigung mit den Problemen der nahen Fremde, des Mit- und Nebeneinanders, der Beziehungen und Zusammenhänge der Völker und Gruppen, vor allem aber der interkulturellen Kommunikation zwischen den Menschen Europas macht den Reiz und die Chance einer so verstandenen Europäischen Ethnologie aus. Sie hat für diese Aufgabe nicht nur gute Voraussetzungen, sondern als Wissenschaft der europäischen Kultu¬ ren auch die Pflicht, ihren Beitrag zur Lösung der Probleme im Zusammenleben der Völker zu leisten. Wie keine andere Disziplin kann sie der Spezifik der euro¬ päischen Verhältnisse Rechnung tragen, den historischen Bedingungen ebenso wie der heutigen komplexen Situation. Diesem Ziel würde es gewiss dienen, wenn so¬ wohl die nationalen als auch die internationalen Vereinigungen Europäischer Eth¬ nologen20 und die übernationalen Institutionen sich dieser Herausforderung deutli¬ cher als bisher stellen würden. Sie könnten dadurch die Lehre und die in Europa dringend notwendige Forschung in diesem Bereich vorantreiben - und damit nicht nur der Europäischen Ethnologie ein neues und angemessenes Profil geben, sondern vielleicht auch neue Arbeitsfelder für junge Europäische Ethnologen er¬ schliessen, beispielsweise als Vermittler zwischen den Kulturen21. 177 Klaus Roth SAVk 91 (1995) Anmerkungen * Dieser Beitrag stützt auf einen Vortrag ab. der am 5. Internationalen Kongress der Société Interna¬ tionale d'Ethnologie et de Folklore (SUT) in Wien (12. 16. Sept. 1994) gehalten wurde. 1937 gab Sigurd Erixon erstmals die Zeitschrift Folkliv heraus, die den Untertitel Rev ievv of Nordic and European Ethnology trug und 1938 umbenannt wurde in Journal for European Ethnology and Folklore (s. Bringéus 1983: 229f). Ethnologia Slavica [1969]. Ethnologia Scandinavia [1971]. Ethnologie française [1971]. Ethnolo¬ gia Fennica [1972]. Ethnologia Polona [1975]: zu dieser Problematik vgl. Wiegelmann 1977: 9. Aus der Tatsache, dass die Volkskunde sich mit Vorliebe der «Binnenexotik», den marginalen Re¬ gionen und Sozialschichten im eigenen Land zuwandte und die Forscher fast immer aus einem anderen sozialen Milieu als die Erforschten stammen, ergibt sich auch eine gewisse etische Per¬ spektive in der volkskundlichen Forschung. 1 vgl. die zahlreichen «Gastarbeiter»-Studien aus dem Frankfurter Institut für Kulturanthropologie. z.B. von Alfred Cammann, Alfred Karasek. Josef Hanika u.a. vgl. Michael Agar: The Professional Stranger. New York 1980. Von den in anderen europäischen Kulturen forschenden deutschsprachigen Volkskundlern (im wei¬ teren Sinne) seien erwähnt: Maximilian Braun. Dagmar Burkhart. Christian Giordano. Ina-Maria Greverus. Arthur Haberlandt. Leopold Kretzenbacher. Max Matter. Arnold Niederer. Klaus Roth. Rudolf Schenda. Annemie Schenk. Werner Schiffaucr. Alois Schmaus. Claudia Schöning-Kalen¬ der. Gabriella Schubert. Ingeborg Weber-Kellermann. Gisela Welz. Von den in der Bibliographie bei Theodoratus 1982: 154-162 verzeichneten Arbeiten amerikani¬ scher Kulturanthropologen über europäische Kulturen behandeln etwa dreiviertel den Balkan. Spa¬ nien. Italien. Irland/Schottland und Russland, und nur ein Viertel das ganze übrige Europa, vgl. etwa die unter der Redaktion von Matthias Zender von der Ständigen Internationalen Atlaskom¬ mission herausgegebenen Forschungen zum ethnologischen Atlas Europas und seiner Nachbarlän¬ der. Bd. I: Die Termine der Jahresfeier in Europa Erläuterungen zur Verbreitungskarte. Göttin¬ gen: Schwartz 1980. "' Hinzuvveisen ist hier aufdie zahlreichen Typenmonographien zu Erzählungen und Balladen, von denen die meisten in der Reihe FFC in Helsinki erschienen sind. z.B. zwischen Angehörigen ethnischer Gruppen, bei der Arbeitsmigration (cf. Gyr 1989). am Ar¬ beitsplatz in Institutionen und Organisationen (cf. Rolli 1993a). bei Auslandseinsätzen oder in einer interkulturellen Ehe (Tuomi-Nikula 1993). ' cf. Wolfgang Brückner (Hg.): Volkskunde in Deutschland. Begriffe Probleme Tendenzen. Dis¬ kussion zur Standortbestimmung. Frankfurt am Main 1970. wie Anthropological Journal on European Cultures [1992ff]. Ethnologia Europaea, Ethnologia Scandinavica. Ethnologia Slavica u.a. M Für den südosteuropäischen Raum vgl. Roth 1993b. Am Institut für Folklore der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften wird derzeit mit Unterstüt¬ zung der UNESCO an einer «Datenbank der balkanischen Folklore» gearbeitet, die Daten zur gei¬ stigen, sozialen und auch materiellen Kulturvoll sieben Balkanländern enthalten soll: geplant ist die Herstellung und der Vertrieb von CD-Roms. '" Für die heutige schwedische Kultur vgl. etwa Daun 1989 wie auch andere Beiträge in dem gleichen Heft der Ethnologia Europaea. Halls zehn Primärinformalionssysteme sind interaction, association, subsistence, bisexuality. terri¬ toriality, temporality, learning, play defense, exploitation (Hall 1973: 95). Ausser der bereits zitierten Literatur sei verwiesen auf Dodd 1991. Desjeux 1991. Samovar 1991. Hofstede 1991. Hansen 1995. Hinnenkamp 1994: 1-25. ebenso wie auch für die Kommunikationswissenschaften, die Linguistik, die Pädagogik, die Psy¬ chologie u.a. Disziplinen. 1 wie die Ethnologia Europaea. die Société internationale d'ethnologie et folklore mit ihren Kommis¬ sionen u.a. Der Ethnologe als «marginal man» ist ohnehin prädestiniert «für die Rolle des Interpreten. Schlich¬ ters und Vermittlers» und seine Tätigkeit sei «immer wieder mit der des Übersetzers. Dolmetschers oder Interpreten verglichen worden» (Lindner 1989: 24). 178 Europäische Ethnologie und Interkulturelle Kommunikation SAVk 91 (1995) Literatur Adorno, Theodor 1951: Minima moralia. Frankfurt. Axi. Heinz-Jürgen 1993: Die Befreiung der Kulturen. Europas Kulturkreise nach dem «Ende der Systeme». In: Südosteuropa-Mitteilungen 33: 1-13. Baumgarif.n. Karl 1983: Das englische und das deutsche Hallenhaus Versuch einer Deutung. In: Ethnologia Europaea 13: 189-202. Bianco. Carla 1974: The Two Rosettos. Bloomington. Bimmer, Andreas C. (Hg.) 1983: Europäische Ethnologie in der beruflichen Praxis. Berichte aus Mu¬ seum und Hochschule. Bonn: Habelt. Brednich, Rolf W. (Hg.) 1988: Grundriss der Volkskunde. Einführung in die Forschungsfelder der Europäischen Ethnologie. Berlin: Reimer. Bringéus. Nh.s-Arvtd 1983: The Predecessors of Ethnologia Europaea. In: Ethnologia Europaea 13: 228-233. Burkard. Maria 1993: Entre dos tierras - Zwischen zwei Welten. Transkulturationsprozess galicischer Remigrantlnnen. Magisterarbeit Tübingen. Burke, Peter 1978: Popular Culture in Early Modern Europe. London. Cuisenier, J. (Hg.) 1979: Europe as a Cultural Area. The Hague: Mouton. Daun, Âke 1989: Studying National Culture by Means of Quantitative Methods. In: Ethnologia Euro¬ paea 19: 25-32. Daun. Ake 1990: Svensk mentalitet. Ett jämforande perspektiv. Stockholm: Rabén & Sjogren. Desjeux, Dominique 1991 : Le sens de l'autre. Stratégies, réseaux et cultures en situation interculturel¬ le Paris: UNESCO. Dodd, Carley H. 1991: Dynamics of Intercultural Communication. Dubuke: Wm.C.Brown Publis¬ hers. Ehn. Billy, Jonas Frykman. Orvar Löegren 1993: Försvenskningen av Sverige. Det nationellas lorvandlingar. Stockholm: Natur och kultur. Erixon, Sigurd 1967: European Ethnology in our Time. In: Ethnologia Europaea 1: 3-11. Gavazzi, Mu.ovan 1979/80: Die Mehrfamilien der europäischen Völker, ln: Ethnologia Europaea 11: 158-190. Gebhard. Torsten. Josef Hanika 1963: IRO-Volkskunde. Europäische Länder. München: IRO-Ver¬ lag. Gerndt, Helge 1977/78: Die Anwendung der vergleichenden Methode in der Europäischen Ethnolo¬ gie. In: Ethnologia Europaea 10: 2-32. Gerndt. Helge 1988 (Hg.): Fach und Begriff «Volkskunde» in der Diskussion. Darmstadt: WBG. Gerndt. Helge (Hg.) 1988: Stereotypvorstellungen im Alltagsleben. Beiträge zum Themenkreis Eremdbilder - Selbstbilder - Identität. Festschrift für G. Schroubek. München. Gerndt, Helge 1995: Deutsche Volkskunde und Nationalsozialismus - was haben wir aus der Ge¬ schichte gelernt? In: Schweiz. Archiv für Volkskunde 91: 53-75. Greverus. Ina-Maria et al. (Hg.) 1988: Kulturkontakt - Kulturkonflikt. 2 Bde. Frankfurt M. Giordano. Christian 1984: Soziologie, Ethnologie. Kulturanthropologie. Zur Bestimmung wissen¬ schaftlicher Horizonte. In: Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie in Frankfurt. Hg. Insti¬ tut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie. Frankfurt M., 79-90. Gyr. Ueli 1989: Lektion fürs Leben. Welschlandaufenthalte als traditionelle Bildungs-. Erziehungs¬ und Übergangsmuster. Zürich. Hall. Edward T. 1969: The Hidden Dimension. Garden City: Anchor Books. Hall, ET. 1973: The Silent Language. Garden City: Anchor Books. Hansen, Klaus P. 1995: Kultur und Kulturwissenschaft. Tübingen. Basel: Francke. Hauschild, Thomas 1982: Zur Einführung Formen europäischer Ethnologie. In: Nixdorf/Hauschild 1982:11-26. Hinnenkamp, Volker 1994: Interkulturelle Kommunikation. Heidelberg (Studienbibliographien Sprachwissenschaft Hofer, Tamäs 1968: Anthropologists and Native Ethnographers in Central European Villages: Compa¬ rative Notes on the Professional Personality of the Disciplines. In: Current Anthropology 9: 311-315. Hofstede, Geert 1980: Culture's Consequences: International Differences in Work-Related Values. Beverly Hills, London: Sage. 179 Klaus Roth SAVk 91 (1995) Hofsiede. Geert 1991: Interkulturelle Zusammenarbeit. Kulturen Organisationen Management. Wiesbaden: Gabler. Huntington, Samuel P. 1993: Clash of Civilizations? In: Foreign Affairs 72,3: 22^49. Jacobeit. Wolfgang, Hannjost Lixfeed, Olaf Bockhorn (Hg.) 1994: Völkische Wissenschaft. Gestalten und Tendenzen der deutschen und der österreichischen Volkskunde in der ersten Hälfte des 20. Jhs. Wien. KASCHUBA, WOLFGANG 1995: Kulturalismus: Vom Verschwinden des Sozialen im gesellschaftlichen Diskurs. In: Zeitschrift für Volkskunde 91: 2716. Klodnicki, Zygmunt u.a. 1982/83: Zur Systematik der Dreschflegel in Europa. In: Ethnologia Euro¬ paea 13: 85-96. Kluckhohn. Florence und F. L. Strodtbeckl961: Variations in Value Orientations. New York. Könenkamp. Wolf-Dieter 1988: Natur und Nationalcharakter. Die Entwicklung der Ethnographie und die frühe Volkskunde. In: Ethnologia Europaea 18: 25-52. Köstlin. Konrad 1994: Das ethnographische Paradigma und die Jahrhundertwenden. In: Ethnologia Europaea 24: 5 20. Kretzenbacher. Leopold 1986: Ethnologia Europaea. Studienwanderungen und Erlebnisse auf volkskundlicher Feldforschung im Alleingang. München: Trofenik. Lange, Charles 1970: European Ethnology and American Anthropology. In: Ethnologia Europaea 4: 5-8. Linder. Rolf 1989: Kulturelle Randseiter. Vom Fremdsein und Fremdwerden. In: Kultur anthropolo¬ gisch. Eine Festschrift für Ina-Maria Greverus. Hg. Chr. Giordano u.a. Frankfurt. 15-28. Löfgren. Orvar 1989: The Nationalization of Culture. In: Ethnologia Europaea 19: 5-24. Lutz, Gerhard 1970: Deutsche Volkskunde und europäische Ethnologie. Zur Wissen¬ schaftsgeschichte der 50er Jahre. In: Ethnologia Europaea 4: 26 32. Lutz, Gerhard 1982: Die Entstehung der Ethnologie und das spätere Nebeneinander der Fächer Volkskunde und Völkerkunde in Deutschland. In: Nixdorf Hauschild 1982: 29 46. Müller, Klaus E. 1973/74: Die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt in der ethnologischen Er¬ kenntnis. In: Ethnologia Europaea 7: 1-16. Nixdorf, Heide. Thomas Hauschild (Hg.) 1982: Europäische Ethnologie. Theorie und Methoden¬ diskussion aus ethnologischer und volkskundlicher Sicht Berlin: Reimer. Niederer. Arnold 1970: Wege zum nationalen Selbstverständnis und zum Fremdverständnis. Einfüh¬ lung oder Empirie. In: Ethnologia Europaea 4: 43-49. Niederer. Arnold 1976: Nonverbale Kommunikation. In: Direkte Kommunikation und Massenkom¬ munikation. Hg. H. Bausingerund E. Moser-Rath. Tübingen. 201-214. Picht, Robert 1987: Die «Kulturmauer» durchbrechen. Kulturelle Dimensionen politischer und wirt¬ schaftlicher Zusammenarbeit in Europa. In: Europa-Archiv 10: 279-286. Riehl, Wilhelm H. '1910: Die Volkskunde als Wissenschaft. In: Kulturstudien aus drei Jahrhunderten. Stuttgart. 195 218. Rohan-Csermak.Gezade 1967: La notion de «complexe ethnique européenne». In: Ethnologia Euro¬ paea 1:45 58. Rohan-Csf.rmak, Geza de 1967: Conférence internationale d'ethnologie européenne. Hässelby 1965. In: Ethnologia Europaea 1: 59-74. Roth, Juliana 1992: Lernen für interkuiturelle Kompetenz. Konzepte und Erfahrungen eines Pilotpro¬ jekts an der Universität München. In: Grundlagen der Weiterbildung 3,2: 109-111. Roth. Ki aus 1988: Wie «europäisch» ist Südosteuropa? Zum Problem des kulturellen Wandels aufder Balkanhalbinsel, ln: Wandel der Volkskultur in Europa. Hg. N.A. Bringéus et al. Münster. Bd. 1, 219-231. Roth. Klaus 1993a: «Interkulturelles Management» ein volkskundliches Problem? Zur interkultu¬ rellen Dimension von Wirtschansunternehmen. In: Der industrialisierte Mensch, Hg. M. Dauskardt und H. Gemdt. Hagen, 275-290. Roth, Klaus und Gabriele Wolf 1993b: Südslavische Volkskultur. Bibliographie zur Literatur in englischer, deutscher und französischer Sprache zur bosnisch-herzegovv inischen. bulgarischen, ma¬ zedonischen, montenegrinischen und serbischen Volkskultur. Columbus, Ohio: Slavica Publishers. Roth. Klaus (Hg.) 1995: Zeit, Geschichtlichkeit und Volkskultur im postsozialistischen Südosteuro¬ pa. In: Zeitschrift für Balkanologie 31: 31^45. Samovar, Larry A.. Richard E. Porter (Hg.) 1991 : Intercultural Communication. A Reader. 6. Ausg. Belmont, Cal.: Wadsworth Pubi. 180 Europäische Ethnologie und Interkulturelle Kommunikation SAVk 91 (1995) Sc m nk. Annemie, 1. Weber-Kellermann 1973: Interethnik und sozialer Wandel in einem mehrspra¬ chigen Dorf des rumänischen Banats. Marburg. Schenk, Annemie 1988: Interethnische Forschung. In: R.W. Brednich (Hg.), Grundriss der Volkskun¬ de. Einführung in die Forschungsfelder der Europäischen Ethnologie. Berlin: Riemer, 273-289. Schier, Bruno :1966: Hauslandschaften und Kulturbewegungen im östlichen Mitteleuropa. Göttin¬ gen. Schuhladen. Hans 1994: Wieviel Vielfalt ertragen wir? Zur Pluralität der multikulturellen Gesell¬ schaft. In: Zeitschrift für Volkskunde 90: 37-58. Senghaas, D. 1982: Von Europa lernen. Entwicklungsgeschichtliche Betrachtungen. Frankfurt/M. Sioklund, Bjarne 1972: Europäische Ethnologie zwischen Skylla und Charybdis. In: Ethnologia Scandinavia, 3-14. Stoklund. Bjarne 1981: Europäische Ethnologie. Würzburg, München, 3-36 Ethnologia bavarica. Heft 9). Svensson. Sigfrid 1973: Einführung in die Europäische Ethnologie. Meisenheim am Gian: Hain. Szücs. Jenö 1990: Die drei historischen Regionen Europas. Frankfurt: Verlag Neue Kritik. Theodoratus, Robert. J. 1982: The Contribution of American Cultural Anthropology to European Ethnology. In: Nixdorf/Hauschild 1982: 145-163. Trojan, MieczysLaw 1983: Dreschflegel in Europa. Methodische Probleme einer Karte. In: Ethnolo¬ gia Europaea 13: 203-226. Tuomi-Nikula, Outi 1993: Stereotype und direkte Kommunikation. In: Kieler Blätter für Volkskunde 25:89-110. Viires. Ants 1977/78: A Proposition for the Typological Classification of European Farm Wagons. In: Ethnologia Europaea 10: 76-87 Voi brachtova, Libuse 1988: Der Kulturschock der «kleinen Unterschiede». In: Ina-Maria Greverus et al. (Hg.), Kulturkontakt - Kulturkonflikt. Frankfurt/M. Bd. 1: 209-218. Watzlawick, Paul, Janet Beavtn, Don Jackson 1969: Menschliche Kommunikation. Formen, Stö¬ rungen, Parodien. Stuttgart. Weber-Kellermann. Ingeborg 1967: Probleme interkultureller Forschungen in Südosteuropa. In: Ethnologia Europaea 1: 218-231. Weber-Kellermann. Ingeborg. Andreas C. Bimmer 1985: Einführung in die Volkskunde/Euro¬ päische Ethnologie. Stuttgart: Metzler. Weiss, Richard 1962: Die Brünig-Napf-Reuss-Linie als Kulturgrenze zwische Ost- und Westschweiz auf volkskundlichen Karten. In: Schweiz. Archiv für Volkskunde 58: 201-231. Wiegelmann, Günter, Matthias Zender. Gerhard Heilfurth 1977: Volkskunde. Eine Einfüh¬ rung. Berlin: E. Schmidt. 181