Wichtig ist, daß er sich in seinem Sessel am offenen Fenster bereithält für die Befehle der Nacht. In der Pflicht, das Land zu entvölkern Während alle Vaterlandpersonen oder wenigstens die allermeisten jetzt schlafen, ihre Muskeln schlafen und ihr Ehrgeiz schläft, soll er zu ihnen sprechen, und was er spricht, wird in ihre schlafenden Köpfe als Traumbefehl eindringen, dem sie sich nicht entziehen können. Einen Traumbefehl ausschicken zu müssen, noch dazu einen von solcher Tragweite, das ist eine entsetzliche Bürde. Pong versucht unter Tränen, sich selbst davon zu entbinden. Aber er muß, er muß es tun, muß es allen schlafenden Vaterlandpersonen in die Ohren geben, damit sie sich nach und nach an ein mit Blei gefülltes Ende heranträumen, aus dem ihre Körper, zu schwer sich zu rühren, nicht mehr auffinden. Gewiß keine leichte Aufgabe, allein der Gedanke zieht ihn mit Schwarzgewichten zu Boden. Allen, die jetzt unterwegs 28 sind, Rastlosen, solchen, die nachts Dienst tun oder schlaflos sich herumwälzen, muß er erst einmal mit scharfer Stimme den Schlaf anbefehlen. Eine in der Nähe heulende Dauerhupe meldet ihm, daß der erste auf das Steuerrad niedergesunkene Fahrer seinem Befehl erlegen ist, bedeutsämerweise bevor er ihn ausgesprochen hat. So wirkungsvoll ist schon alles rund um seine Person. Uns sollte es eine Warnung sein, daß wir uns in achtunggebietende Distanz zu jener verhängnisvollen Grenze zurückziehen und lieber von dort aus schauen, was sich in dem geheimnisvollen Land weiter begibt. Was zu geschehen hat, kann keiner verhindern, auch Gott kaum und Gottes Helfer schon gar nicht, es sei denn, ER rührte ihnen persönlich die Flügel. Die Not, die da draußen wartet, soll aber mit einer gewissen Anmut hereinlaufen, das wäre Pong lieb. Bevor er seinem Befehl genauen Wortlaut verleiht, sorgt er dafür, daß die Glieder der verurteilten Landesbewohner nicht in unnötigen Verrenkungen auf den Matratzen herumfahren. Seine Stimme, sanft wie ein für die Henkersmahlzeit ausgesuchter Pfirsich, läßt über ihren Wunden zarte Häute sich bilden; sie glättet die in Gier verzerrten Menschengesichter und zaubert einen Ausdruck verwunderter Achtung auf ihnen hervor und spricht, spricht ohne zu wissen, wozu es gut sein könnte, ein kleines Gebet: 29 HERR, wohin sollen wir gehen. Lös auf den Harngestank des wüsten Einerlei. Was Metzger ausarbeiten, arbeit ein. Die kalten Panzerbauer zerleg, mach ungeschehen, was geschehen, und fall der toll gewordenen Luft in die Zügel. In den Tapfen des Gebets würde er liebend gern noch ein Weilchen fortlaufen, es kommt aber so, daß unbeherrschbare Füße, die ihm ein Teufel untergeschnallt hat, immer lustig mit ihm auf und davon rennen. Der Mond ist inzwischen hinter den Wipfeln der großen Bäume verschwunden und hat einen Kronschatz aus bösen Juwelen ins schwarze Laub praktiziert. Pong springt, zerzupft wie es in ihm aussieht, von einem Apparat zum andern, und was da Knöpfe und Tasten hat, legt los. Wie zu erwarten der Fernseher und darin das senderlose Flimmern, der Radioapparat, eine botschaftslose Kurzwelle, ebenso Fön, Wasserkocher, Starmix, Eierkocher, Staubsauger, Dampfbügeleisen, Rasierapparat, Diaprojektor ohne Dia, das hinter einem Stapel aus Zeitungen und Büchern versteckte Diktaphon, zwar nicht sein schweigsames Telephon, wohl aber Kaffeemaschine und Toaster mitsamt Filter und Pulver und Zwillingsbrotscheiben, und in das rastlose Summen und Tröpfeln und Kochen und Zischen und Dröhnen spricht er seine Befehle, die durch die Maschinenkabel in die Steckdosen und von dort in 3° die Hauskabel und von dort in die dickeren Straßenkabel und von dort in die Bezirkskabel und von dort in alle Landeskabel wandern und wieder hinaus und luftig in die Ohren der Schläfer hinein und luftig in die Ohren der Wachen, um sie schlafen zu machen. Alle Befehle sind ergangen. Gottlob sind wir in unsere Stellungen eingegraben, genügend weit weg und deshalb nicht in der Not, gehorchen zu müssen. Erschöpft schaltet Pong die Geräte wieder ab. Die Perfektionsruhe des getanen Werks umgibt ihn wie ein eherner hohler Ring. Er zweifelt nicht, daß alle Landesbewohner unter ihren Schlafmasken erstickt sind. Er wird in aller Ruhe herumgehen und betrachten können, wen er will. Das Bellen des großen Hundes vermeldet, daß es so ist. Was jetzt? Glück? Macht endlich Glück sich breit und leuchtet wie eine schräg aufgestellte Fläche grellen Schnees? Wenn da nicht - schwer zu sagen von wo - Cellophanstimmen knisterten, der noch zu schluckende Wurm am Faden im Universum aufgehängt wäre, wenn nicht Zuckungen über seine Füße sprängen, die vermuten lassen, daß etwas verschwiegen in ihm siedet, wäre es Glück, ein mit weicher Naht an seine Kurven und Enden genähtes Glück. Wir drücken uns hier mit Absicht zaghaft aus. Wäre, hätte, könnte, das sind keine Wörter für eine unumwundene Auskunft. Und wenn wir den vor Pong liegenden Weg scharf ins Auge nehmen, 3i steht da eine ganze Hürdenparade mit >Wenn< und >Aber< und >Hier nicht< und >Da auf keinen Fall weitere Ob nach Uberspringen derselben das Glück herrscht, können wir noch nicht absehen und deshalb auch niemandem versprechen. Pong jedenfalls tut, was vernünftigerweise zuerst getan werden muß, nämlich Leichentoilette bei seinen Freunden halten. Natürlich kann er sich nicht um alle Toten des Landes kümmern, allein beim Versuch, sie zu zählen, müßte er scheitern. Zu-jsammengelegt ergäben die Leiber ein Totengebirge, wie man es selbst Oben nicht alle Tage zu sehen bekommt. Aasvögel, Käfer und die dafür zuständigen Organismen werden mit dem Knochenputzen so bald nicht fertig sein. An den Freunden aber hat er seine Pflicht zu erfüllen. Schon bald will er sich dranmachen, über ihren Rümpfen die steifen Arme zu kreuzen. Mit der Leichenrede wird er sich aber nicht über Gebühr aufhalten. Sie soll von der Gottesfreundschaft handeln, wie unter deren Dach die Freunde ihren Mann gestellt und sogar eine gewisse vorübergehende Beachtung erfahren hatten, von der aber nicht viel blieb außer einem bißchen Aufgekratztsein bei Wind und Blitz. Ob seine Kraft wohl so weit langt, daß er den Spaten nimmt und bis zu zehn Erdlöcher damit aushebt? An in Stein gemeißelte Inschriften ist jedenfalls nicht zu denken, das Steinmetzhandwerk beherrscht er nicht. Wer könnte einspringen? Keiner da. Er wird es wohl mit Findlingen auf den Gräbern bewenden lassen, doch solange er lebt, darauf soll man ruhig Gift nehmen, bleiben Leichnam und Name und Ort in seinem Gedächtnis mit der Stahlfeder vermerkt. Beim Aufwälzen der Steine, welches mit Gedankenhebelkraft geschieht, kommt ihm in den Sinn, daß sein Vorzugsleben, wiewohl es sich unter dem blendenden Sonnensegel seines Gedankenkünstlerhirns hoch hinaufbauscht, doch auch von einem Nachteil beschwert ist. Pong läßt den Kopf ein klein wenig hängen, und eine höchstens zweihundert Gramm schwere Melancholie, ein schönes Exemplar von eleganter Schlaffheit mit schwarzseidenen Fransen, Feuchtpartikel im Schlepp, kriecht über sein Hinterhaupt augzu. Deine gehaltvollen Reden, läßt sie ihn wissen, die ja nicht immer warten können, bis man Höhererseits ein Ohr dafür hat, werden kein Erdenfell mehr rühren, wenn sie in Wellen davon-wandern, das ist der Nachteil, und dieser augen-blicks noch kraftlose Nachteil wird vielleicht bald unabsehbar groß sich auswuchern, wir wissen es nicht, du nicht und ich nicht, und ob das zu wissen überhaupt gut wäre, steht dahin. 32 33 Maßnahmen Licht und Schatten, unter den Bäumen zeigt sich ihr Schnittmuster all Augenblick neu. Pong steht unter der Blutbuche im Garten und kann die Augen vom Boden nicht lösen. Aus heiterem Himmel, durch das raschelnde Blätterdach, ist eine Aufgabe gefallen, die ihn zwingt, aufzupassen wie ein Schießhund. Er muß auf die Lichtflecke starren, deren Formen zu ihm sprechen, genauer gesagt: aus denen die Wahrheit spricht. Eine bestimmte Wahrheit? Nein, einfach die Wahrheit rundheraus und ohne Blatt davor. Mit heller Stimme fordert sie ihn auf, ihr Terrain zu verteidigen und überall Grenzen zu ziehen, scharfe Grenzen zwischen ihr und der Dummheit. Und so steht er schon über eine Stunde unter der Buche und paßt auf. Nicht einfach, was man da von ihm verlangt. Die Falten über der Nasenwurzel bezeugen es, seine Augen schmerzen, vom Blutandrang pochen die Schläfen. Schon der kleinste Windstoß bringt alles zum Flirren. Durch das Laub schießen Blitze, und diese Blitze bewirken einen Aufruhr, und auf diesem Aufruhr reitet mit Schenkeln aus Stahl der Befehl: Maß nehmen, anpacken, ein neues Muster entwerfen, heute noch, jetzt! Wie ferngelenkt marschiert er ins Haus. Ein Sortier- und Vertreibungswerk wartet auf ihn. Teile dich, Totes Meer, und verschlinge, was in dich hinab muß! Hinab muß die Dummheit. Mit Haut und Haar. Mit ihrem Gefolge, ihren mit Katzengold gesprenkelten Fibern. Wenigstens in seinem Haus soll die Dummheit, wo sie an Dingen klebt und ihm die Sicht nimmt, ausfindig gemacht und vernichtet werden. Die Dummheit aus der breiigen Stadt zu vertreiben, gar aus dem Land, gar aus der Welt, damit wird er sich erst nach und nach befassen können. Wenn es gelingt, sie aus seinem Haus zu verscheuchen, ist immerhin ein Anfang gemacht, wer weiß, vielleicht springt sein Beispiel auf andere über und erzeugt Nachahmer. Pong glaubt, daß unnütze Dinge die Dummheit ausdünsten, auch solche, von denen es zu viele gibt, oder solche, die durch mangelnde Schönheit den Blick stumpf werden lassen. Zu den Poren der Haut dringt sie beim Menschen ein, schläft ein Weilchen in seinen Organfalten, wird fett und ist bald Alleinherrscherin über den Leib und all die graubrüstigen Leibgedanken. Freilich, Ponj darf mit einem gewöhnlichen Menschen nicht verglichen werden, doch der ständige Abwehrkampf hat seine Haut schon ziemlich mitgenommen, und so könnte, wenn er nicht aufpaßt, die Dummheit im Verein mit der Lüge eines Tages auch bei ihm ein Schlupfloch finden. So weit wird es nicht kommen. Pong ist der Herr. Er wird die falschen Dinge aus seinem Weg stoßen. 56 57 Herr und Knecht hat nicht denselben Gott. Er ist der Herr! Er ist der Herr! Welchen Gott hat der Herr? Er hat zum Gott eine Frau: die Wahrheit. Wen hat der Knecht zum Gott? Auch eine Frau: die Dummheit. Den Dummen treibt der Wind dahin und dorthin, er muß sich ducken, er wird krumm. Pong aber möchte im Meer der Wahrheit baden, frei, mit gut geschmierten Gelenken. Sollte ihn das Meer der Wahrheit unvollkommen finden, mag es ihn einsalzen und wegschlecken wie einen schadhaften Kanister. Lieber wäre ihm allerdings, die Wahrheit würde ihn nach dem Bad bei der Hand nehmen und einen Weg entlangführen, da und dort innehalten und mit dem Finger auf das weisen, was er wissen muß. In seinem Haus geht das nicht. In seinem Haus wachsen mannshohe Schweinsborsten, zwischen denen er herumirrt wie in einem Schilf. Wozu sind die neunzehn Kaffeelöffel in der Geschirrschublade gut? Daß er, bevor er den einen findet, mit dem der Kaffee umzurühren wäre, von achtzehn anderen verwirrt wird. Wozu hat er soundsoviel Hemden, Westen, Unterhosen, Strümpfe, Gürtel, Taschentücher? Damit ihn das Suchen nach dem richtigen Stück aufregt, und er vor der Raffiniertheit der Sachen, die sich jedesmal anders hinlegen, kapituliert. Es führen die Dinge sich selbst ins Feld und machen ihn zum Trottel. Von einem Kraftaustausch zwischen ihm und ihnen kann nicht die Rede sein. Er allein vergeudet seine Kraft an sie. Eine fast fleischliche Drangsalierung geht von ihnen aus, obwohl sie sich zu tarnen wissen und in der Hand oft kühl und abweisend liegen. Außerdem lassen sie unaufhörlich einen leisen Fragenhagel auf ihn niederregnen, den er gar nicht bemerkt, aber sein Gehirn ist mit der Beantwortung dieser Fragen insgeheim beschäftigt. Wenn er, wie gewisse russische Gangster in Amerika, in der Küche ein Einmachglas mit den abgeschnittenen Fingerkuppen seiner Gegner aufbewahrte, wäre es ja selbstverständlich, daß Fragen auf ihn niederhagelten. Aber so ein Einmachglas steht bei ihm nicht in der Küche. Statt dessen fragen ihn, wenn er die Knopfbox aufmacht, zweiundsiebzig Knöpfe nach nicht mehr anwesenden Kleidungsstücken, wo und wann getragen und warum abgelegt, fragt ein Perlmuttknopf, wo, wenn man die Mutter aufmache, ihre Perle sei, fragen aus Steinnüssen gedrehte Knöpfe nach der malaiischen Purgiernuß, und Stoffknöpfe, diese scheinbar gemütlichen Stoffknöpfe, lassen nicht locker, bis Pong ihre Gewebenamen in Kreuzwortfelder buchstabiert. Der Große Organisator müßte sich selbst ins Gesicht speien, wenn er tagtäglich von so vielen Dingen angelächelt, gefragt, herumgeschubst, zu Grübeleien angehalten würde. In Kürze wird Pong Musterung halten um kennen, was alles aus dem Haus muß, damit er sich als vollendeter Herr erweist und nichts mehr von 58 59 f ti ' tu; n aío ,J' r y, 5- V' í tór -.i > i JLi," ;r3iQ. 4i7 Í^Uyf J * {0) tíí ' * //, te ' v ^ Vcv - v 4* - Wir »Ii i 'V , * f 6í) íf% (-1 ) 'tíS. iwt f ja ,l '-Mr -u t) - ť1 5 _______iMÄ > hS'Ä ist im......iiiiiiiiiiiiiii few Í^Ä^:aÍ ■i>oAi.:i MA/ 'f/ II« í# S 7vtV 1 '^HKvW^'- f 5' '^'v''^v 10 1383 Lewitsoharoff M Vi f:r r 'ä /(M í /ď f í"' "iiwjiiiymt Ä! Jawohl, Pong war gesprungen, einen kühnen Sprung hatte er gewagt, und zwar vom Dach seines Hauses aus dem Mond entgegen. Der Mond! Sich ihm zu nähern war schon lange sein Bestreben gewesen. Als ein Mondgeschöpf unvergleichlicher Art sah er sich, dem Mond gehörte all sein Trachten und Sehnen. Aber nein, das Schicksal hatte ihn gefoppt, wie schon so oft. Nicht auf dem Mond war er gelandet, sondern im Gezweig der Blutbuche, die dicht neben seinem Haus stand. Dort hatte er zitternd und verletzt gehangen, gar nicht der kühne, pläneschmiedende Pong, wie er sich selbst und andere ihn kannten, sondern ein Schmerzensbündel, zu dem Feuerwehrmänner eine Leiter hatten aufrichten müssen, um ihn von den Ästen zu heben, damit er mit Sirenenlärm ins Krankenhaus verfrachtet werden konnte. Immerhin, Pong hatte nicht vor Schmerz geschrien, obwohl ihm nach Schreien sehr wohl zumute gewesen war. Tapferkeit und Unbesieglichkeit, die seinen Charakter auszeichneten, waren ihm geblieben, selbst in hoher Not. Nun also - nicht auf der genarbten Mondoberfläche war er gelandet, sondern in einem Krankenzimmer mit dürrem Gesteck an der Wand und etwas, das wohl nach Meer aussehen sollte, aber bloß ein bläuliches Kindergeschmier war. Um sich die neue Lage schönzureden, war er versucht zu sagen: Krankenhaus heißt die Devise!, aber eine Devise war es eigentlich nicht, denn mit irgendeinem Ritterkodex hatte Y\or\?D -\m*m ■HoviP-sewvj- - Tri «MS AU WUfc sein Aufenthalt nicht das geringste zu tun. Eher war das ein Zwangseinschluß, wenn auch ein gutmütig von höherer Warte aus ersonnener, um sein gebrochenes Bein zu heilen. In eine völlig neue, ihm unbekannte Lage war er geraten, das Bein in einer komplizierten Apparatur hängend, er selber auf dem Rücken liegend, und kein Spielraum, sich auf die Seite zu drehen. Krankenhaus? Das hieß für ihn Siechenstation. Jedenfalls war es kein geeigneter Aufenthaltsort für einen Pong, ein Wesen von ungewöhnlicher Tatkraft und Energie, das normalerweise über ein geschmeidiges Spiel seiner Glieder verfügte. Gut, gut, als Säugling mochte er auf einer Entbindungsstation zur Welt gekommen sein, wie allgemein behauptet wurde, aber daran hatte er immer Zweifel gehabt. Und seine Zweifel, nein, seine Zweifel, die konnte ihm keiner nehmen. Als Ratschbürtiger, wie er sich selbst zu nennen pflegte, als ein Wesen, das ohne weitere Umstände, ohne Tralala in einem Ratsch zur Welt gekommen war, hatte er ein Krankenhaus bestimmt nicht nötig gehabt. Aber Pong wäre nicht Pong, wenn er sich mit der neuen Lage nicht auch ein wenig angefreundet und seinen heimlichen Nutzen aus ihr gezogen hätte. Zum Beispiel gab es da zwei Krankenschwestern. Schwester Erika und Schwester Mandy. Die eine war dick und breit, die andere lang und dünn. Pong schuf ihre Maße um, schuf für beide ein ideales Maß. Für ihn natürlich kein Problem, an den jeweiligen Gestalten gewisse Verbesserungen vorzunehmen, zum Beispiel die kurze Dicke auf Kosten der langen Dünnen ein wenig zu strecken, von ihrem allzu üppigen Fleisch etwas an die Dünne abzugeben, die ohne weiteres mehr davon gebrauchen konnte. An der fleischigen Stupsnase der ursprünglich Dicken, alsbald aber schon ansehnlich Gestreckten gab es auch etwas abzuziehen. Pong machte Wurr! - er nannte das Vervollkommnen von Personen mittels Subtraktion und Addition sein persönliches Wurren -, und schon ward die Fleischnase von Schwester Erika etwas länger und zierlicher gebaut, während die allzu dünne Krummnase der ursprünglich dünnen Schwester Mandy eine vorteilhafte Glättung und leichte Schwellung erfuhr. Elf Kilo zog er von der einen ab und schlug sie der anderen zu. Er verkleinerte und vergrößerte wechselweise ihre Busen. Der Mund der einen war viel zu voll geraten, der andere zu dünn, ein Strich nur. Auch hier schuf er Abhilfe. Als hätten sie Nachricht von einer erlösten Welt empfangen, hielten die Krankenschwestern manches Mal vor seinem Bett inne und wußten nicht, woher auf einmal so viel Schönheit über sie gekommen war. Mit Zeigefingern und Daumen bildete Pong ein Dreieck, durch dessen Seiten er die beiden, jeweils die eine, hernach die andere, betrachtete und neue Maß Verhältnisse an ihnen zur Wirkung brachte. Bisweilen kam er sich vor wie Michelangelos Gottvater, über einen großen Zirkel gebeugt. Natürlich sagte er zu den Schwestern kein Wort über die getroffenen Umschaffungen zu ihren Gunsten, das verstand sich ja von selbst. In der prekären Lage, in der sich Pong befand, wollte er nicht weiter auffallen. Es hatte schon genügt, daß zwei, drei Male ein männliches Weißkittelgeschöpf 8 9 ihn besuchen gekommen war, nein, nicht zu fröhlichen Zwecken, sondern einzig und allein, um ihn auszuhorchen und womöglich irgendwelche Maßnahmen über ihn zu verhängen, die Pong keineswegs dienlich sein konnten. Der Mann (wenn es denn ein Mann war und kein verkleideter Arztsimulant auf Anraten des Teufels) war ihm auf der Stelle herzlich unsympathisch gewesen. Aber Pong war schlau. So leicht ließ er sich nicht hereinlegen. Er hatte sein aller-feinstes, allerhöflichstes Lächeln gelächelt und war dem Mann, der ihm mit abgefeimten Vernünfteleien gekommen war, so liebenswürdig begegnet, als würde er alle Sorgen der Welt, die der Mann sich scheinbar machte, auch sich selber machen, wovon allerdings keine Rede sein konnte. Pong blieb der, der er immer gewesen war. Ein Pläneschmied, ein waghalsiger Konstrukteur, auf Abenteuer aus und keineswegs auf den Beifall irgendwelcher hergelaufener Weißkittelmänner, die glaubten, wenn sie an ihm herumdokterten, hätten sie Rechte an ihm erworben und könnten ihre Maßnahmen als Erfolg verbuchen. Daß sie sein gebrochenes Bein heilten, ließ er sich gern gefallen, mehr nicht. Er schlief schlecht, einige Nächte lang schlief er überhaupt nicht. Vielleicht, weil er die Pillen, die man ihm mit dem Abendessen in einem geviertelten Schälchen austeilte, nicht einnahm, sondern nur so tat, als würde er sie schlukken, sie aber alsbald ausspuckte und in einem schwarzen Täschchen verwahrte, das er während seines Sprungs um den Bauch geschnallt getragen hatte und das nun auf dem Nachttisch lag. Und wieder hatte es eine Mondnacht gegeben, noch nicht bei voll erblühtem Mond, aber es hatte nicht viel dazu gefehlt. Pong sah auf dem Flachdach des gegenüberliegenden Hauses ein Rudel Rehe laufen mit einem großen Hirsch in ihrer Mitte, einem Zwölfender. Sein herrliches Geweih trug er mit Würde. Plötzlich wandte der Hirsch den Kopf zu ihm her und sah ihn aus vollkommen runden Augen an. Anmut und Beherrschung, und wer weiß, vielleicht sogar ein uneinholbares Weltwissen lagen in diesem Hirschblick. Pong fühlte sich sogleich erkannt, auserkoren und erkannt. Er und der Hirsch, sie wußten beide, wie es um die Welt stand und was not tat. Dann gab es eine kleine Turbulenz -ach, es ging viel zu schnell, denn Pong hätte sich gern noch eine Weile an dem Anblick geweidet -, da waren der Hirsch und seine Rehe wie von Zauberhand verschwunden. Erregt blieb Pong zurück. Das Herz schlug wild in seiner Brust. War das eine Nacht! Eine Mondlektion war ihm erteilt worden, wenn auch nicht vom Mond selbst, sondern nur von ihm illuminiert. In der Nachschau kam ihm der Hirsch als das schönste Wesen vor, das ihm je begegnet war. Bisweilen verspürte er einen unbändigen Juckreiz am Rücken, am Hintern und an Stellen, die er sich weigerte beim Namen zu nennen. Aber seine Selbstbeherrschung rettete ihn. Betrat eine Krankenschwester sein Zimmer, lächelte er sein unergründliches Pong-Lächeln und schwieg sich über seine Nöte aus. Jeden Morgen versetzte ihn die Putzfrau in Schrecken. Sie war ein hartes Geschöpf, fuhrwerkte mit Mop und Y\0W!) ~\f,whw .vnovifc-sewjv Lappen derart rüde im Zimmer herum und unter seinem Bett, daß Pong von der Angst heimgesucht wurde, ein Stoß mit dem Mop könnte ihn aus dem Bett kippen. Auch redete sie unverständliches Zeug auf ihn ein, Kurzsätze, die wohl der Ermunterung dienen sollten, auf ihn aber eine gegenteilige Wirkung hatten, nämlich eine Schockwirkung. »Hammas wieder!« stieß sie hervor, und Pong glaubte sofort, er würde von den Palästinensern verschleppt und kein Lösegeld der Welt, schon gar nicht die ihm eigentlich wohlgesinnten Israelis, könnten ihn aus deren Klauen befreien. War die Putzfrau endlich weg, kehrte Ruhe ein, die er für einen kurzen Morgenschlaf nützte. Als sie das erste Mal sein Zimmer verlassen hatte, war an Schlaf allerdings nicht zu denken gewesen. Sie hatte Eimer, Wischmop und Lappen gepackt und ihm das Wort »Jutilein!« entgegengeschleudert. Lange, lange hatte er grübeln müssen. Jutilein - hieß das womöglich Jüdenlein? Hatte sie ihn fälschlicherweise für einen Juden gehalten, in Unwissenheit darüber, daß Pong überhaupt keiner Volksgruppe angehörte? War sie eine von den Leuten, die auch das Wort Judenfurz gern benutzten, wie gewisse Anstreicher nach dem Krieg, die damit eine nicht korrekt überstrichene Stelle an der Wand meinten? Am nächsten Tag rief sie wieder »Jutilein!« quer über sein Bett hin, da sah er klarer und ärgerte sich darüber, daß ihm ein dummes Wort so viel nutzlose Denkarbeit abverlangt hatte. Heute zögerte der Morgenschlaf, ihn zu übermannen. Er trudelte nicht sofort weg, sondern verspürte das Bedürfnis, sich an die Dinge zu erinnern, die er in seiner Wohnung zurückgelassen hatte. Sie beruhigten ihn. Nicht irgendwelche Dinge, die quasi jedermann besitzt, nein, besondere Objekte, die intrikaten Zwecken dienten; Da war zum Beispiel der Spiegel. Schön umrahmt von Walnußholz mit einem Spitzdächlein und - waren es Säulen an den Rändern? Nein, keine Säulen, bestimmt keine Säulen. Pong kniff die Augen zusammen, um den Spiegel möglichst genau aus seinem Gedächtnis hervorzukramen. In diesem keineswegs gewöhnlichen, sondern sehr besonderen Spiegel sah man sich gefleckt. Gefleckt wie ein Pardel, dachte Pong und mußte leise kichern, weil ihm das Wort Pardel außerordentlich gut gefiel. Golden und schwarz gefleckt, genau wie es um die eigene Seele stand, denn der Spiegel war ein Seelenspiegel, keiner, der auf gewöhnliche Weise, eben mal so lala, das Gesicht dessen wiedergab, der in ihn hineinschaute. War Pong in glanzvoller, hochgestimmter Verfassung, zeigte ihn der Spiegel betont von seiner goldenen Seite; glommen finstere Gedanken in ihm, trat die Schwärze des Spiegels mit Macht hervor und lieferte ein abgründiges Bild der Gedanken, die in seiner Seele wogten. Wie wäre es wohl, wenn ich gerade jetzt in ihn hineinblickte? überlegte Pong, aber zu einer abschließenden Betrachtung kam er nicht mehr, da sich nun doch der Schlaf einstellte und alle Pong-Gedanken, die neuen wie die alten, die bösen wie die guten, ihm an unsichtbaren Fäden aus dem Kopf gezogen wurden. i IX Was für ein Tag war denn heute? Pong war schon so durcheinander, daß er nicht mehr den Wochentag wußte, das Datum erst recht nicht. Aber er wagte es nicht, jemanden danach zu fragen. Für dumm oder altersvergeßlich wollte er nicht gelten. Heute war eh alles irgendwie anders. Man schob sein Bett an eine andere Stelle, weiter nach vorne, zum Fenster hin. Pfleger, die er nicht kannte, machten sich daran zu schaffen. Pong war so aufgescheucht und von wimmelnden Ideen besetzt, daß er nicht wissen wollte, was das denn zu bedeuten habe. Das Allerschlimmste trat ein. Ein anderes Bett wurde hereingeschoben, mit einem anderen vergipsten Mann darin. Das war ja noch schöner! Pong war außer sich. Man mutete ihm einen Bettgesellen zu. So weit war es also gekommen. Lauthals seinen Unmut herausschreien konnte er nicht. Ein fremder Mann! In seinem Zimmer! Das inzwischen natürlich ein Pong-Zimmer war, ganz und gar ein Pong-Zim-mer. Er blieb stumm wie ein Fisch, aber innerlich kochte er. »So, nun haben Sie Gesellschaft«, sagte der blöde Fritze noch, der das Bett vorneweg gezogen hatte, und der zweite blöde Fritze, der es geschoben hatte, ergänzte: »Ist doch schöner, wenn man sich ein bißchen unterhalten kann. Machen Sie's gut!« Der Mann im Bett gegenüber sagte erst einmal nichts. Gut - er war wenigstens vorläufig, aber wahrscheinlich nur vorläufig, still. Doch das half wenig. Er war ja da. Aufdring- 7° lieh anwesend. Pongs Gedanken rasten um den Mann herum. War er dick, dünn, groß, klein, dumm oder helle? Ein Hochstapler, ein Aufschneider oder eine unscheinbare Büromaus, womöglich der Angestellte einer Sparkasse? Einer, der an der Kasse den Kunden das Bargeld vorzählte? Oder ein Automechaniker, der mit Schmieröl in Kontakt kam? Dick schien er nicht, dazu lag er zu vergraben in seinen Kissen, und in der Bauchgegend wölbte sich kein Berg. Pong linste ein wenig hinüber und sah auf dem Nachttisch eine randlose Brille liegen. Daneben der übliche Medikamentenkram. Da lag auch noch ein Buch auf dem Nachttisch. Pong hätte viel dafür gegeben, herauszubekommen, was das für ein Buch war. Aber dazu hätte er sich vorbeugen und hinüberstarren müssen. Das konnte er allenfalls tun, wenn der Mann eingeschlafen war. Doch woran würde Pong merken, daß der da drüben schlief? Schnarchte er etwa? Das wäre die Höhe! Ein Schnarcher in seinem Zimmer! Pong würde kein Auge zubekommen, wenn der da drüben in der Nacht loslegte. Im Moment blieb es aber still. Der Mann rührte sich nicht. Ist er vielleicht schon tot? überlegte Pong, oder steht er noch unter Narkose? Fragen über Fragen, die Pong die Haare zu Berge stehen ließen, weil er auf keine eine Antwort fand. Nach etwa zehn Minuten tat der Mann einen Atemzug, den man auch als Seufzer interpretieren konnte. Ein winziger Seufzer nur, aber immerhin, ein Lebenszeichen. Aha, sagte sich Pong, er lebt, Aber schon rasten seine Gedanken wieder los. Roch der Mann von da drüben? Würde er das Zimmer verpesten? Würde er unentwegt die Flimmerkiste laufen lassen, und Pong würde sich ein Handtuch als Binde über die Augen legen müssen, um halbwegs bei Verstand zu bleiben? Würde der Mann ständig Besuch bekommen, den Besuch von einer Frau etwa oder von Kindern, die scheußliche Schnittblumen mitbrachten und das Zimmer mit dummen Redensarten füllten? Oder hatte er noch eine alte Mutter, die ständig in Gejammer ausbrach? Alles war verkehrt. Die ganze Welt war verkehrt. Die Pyramiden von Gizeh standen köpf, die Sphinx lag auf dem Rücken, alle Häuser standen köpf, und trotzdem leuchtete die Maisonne und tat so, als schiene sie gutmütig auf eine Welt herab, die ganz in Ordnung war. Nichts war in Ordnung, nichts, nichts, nichts! Alles war verkehrt! Kapierte das denn keiner! Gottlob, Schwester Erika kam. In seiner Aufregung vergaß er, sie bei ihrem richtigen Gedankennamen zu nennen. Offenbar schlief der Mann da drüben, denn sie schaute nur kurz zu ihm hin und widmete sich dann Pong, sprach mit leiser Stimme, war ein bißchen bekümmert darüber, daß er das Frühstück nicht angerührt hatte. »Wenn man mich derart kalt überrascht, kann ich nichts essen«, sagte Pong. Schwester Erika strich ihm begütigend über die Hand. »Ich verstehe Sie gut, das ist alles nicht so einfach für Sie. Für mich wäre es das auch nicht, wenn ich hier im Bett läge, ganz bestimmt nicht.« Egal, was sie sagte, ihre Stimme klang wohltuend. Pong beruhigte sich tatsächlich ein bißchen. 72 73