Das „Oratorio di S. Giovanni Nepomoceno" von Antonio Caldara im Kontext der Nepomuk-Oratorien in den 20er Jahren des 18. Jahrhunderts Jana Spáčilová Johann von Nepomuk's sanctification has prompted in the 1720 s a number of different musical works. Although this medieval martyr is actually considered a bohemian national saint in the first place, it were above all austrian and italian composers who have written oratorios devoted to this subject. This study provides a survey of works performed in Bohemia (G. Porsile: Brno 1724, Anonymous: Prag 1729, N. Porpora: Brno 1732), in Vienna (G. Reutter: 1725-1728, G. Reutter the Younger: 1730, 1732) and in Italy (I. Balbi: Milan 1724 etc.). The main focal point is on Antonio Caldara's Oratorio di San Giovanni Nepomoceno, performed in Salzburg 1726. In addition to new insights on pieces Caldara has written for the Salzburg archbishop Harrach, this study is providing a synopsis and short musical profiles for the mentioned pieces. Antonio Caldara (c. 1670-1736), Vizekapellmeister und Hofkomponist Kaiser Karls VI., war eine jener Persönlichkeiten, in deren Werk die Verbindung der österreichischen mit der böhmischen Kultur offenkundig wird. Während der zwanzig Jahre seines Wirkens (ab 1716) in einer der bedeutendsten musikalischen Positionen des damaligen Mitteleuropa hat er sich zu einem der einflussreichsten Komponisten seiner Zeit entwickelt. Seine Beziehung zu den böhmischen Ländern war sehr eng.1 Er hat sie mehrmals besucht; vor allem ist sein Aufenthalt bei der Prager Krönung Karls VI. zum König von Böhmen 1723 bekannt, als er die anlässlich des Geburtstages von Kaiserin Elisabeth Christine aufgeführte Festoper Costanza e fortezza von Johann Joseph Fux dirigierte. Vor dem anwesenden Kaiserpaar wurden auch zwei musikdramatische Werke Caldaras gespielt: La Contesa de' numiund La Concordia de' pianeti.2 Er komponierte auch für den in Mähren begüterten Adel, so etwa für die Besitzerin des Schlosses Vranov nad 1 Die Kontakte Antonio Caldaras zur böhmischen Musikkultur behandelte auch die Studie von Jana Spáčilová und Irena Veselá, „Antonio Caldara a české země - malé ohlédnutí při příležitosti 270. výročí úmrtí skladatele" [Antonio Caldara und die böhmischen Länder - ein kleiner Rückblick anlässlich des 270. Todesjahres des Komponisten], in: Opus musicum 6 (2006), S. 38-44. 2 Zu den anlässlich des Aufenthaltes des Kaiserhofes in Böhmen im Jahre 1723 aufgeführten Werken siehe Irena Veselá, Císařský styl v hudebně-dramatických dílech provedených za pobytu císaře Karla VI. v českých zemích roku 1723 [Der Kaiserstil in den während des Aufenthaltes Kaiser Karls VI. in den böhmischen Ländern im Jahre 1723 aufgeführten musikdramatischen Werken], Diss. Masaryk-Universität Brno 2007. Musicologica Austriaca 28 (2009) Jana Spáčilová Dyjf/Frain an derThaya, Maria Anna Pignatelli, die Gratulationsserenata Ghirlanda difiori (1726). Vor kurzem sind seine Kontakte mit Johann Adam von Questenberg bekannt geworden, für den er die Pastoraloper L'Amornon ha legge komponiert hat.3 Auch Caldaras dem zentralen Heiligen des böhmischen Barock, Johannes von Nepomuk, gewidmetes Oratorium kann man als Ausdruck seiner kulturellen Beziehungen zu den böhmischen Ländern verstehen. Johannes von Nepomuk - ein Märtyrer des Mittelalters als Heiliger des Barock Die Persönlichkeit von Johannes Nepomuk ist im mitteleuropäischen Barock im Zusammenhang mit dem Prozess der Rekatholisierung zum Objekt großen Interesses geworden.4 Einen der wichtigsten Impulse dazu hat der im Jahre 1671 von Bohuslav Baibin verfasste Lebenslauf des Heiligen, Vita B. Joannis Nepomuceni Martyris, gegeben. Innerhalb weniger Jahrzehnte ist aus diesem Märtyrer des Beichtgeheimnisses, zu dem ihn die Legende gemacht hat, ein echter Volksheiliger geworden. Die Welle des Nepomuk-Kultes hat nicht nur Böhmen, sondern auch alle anderen Länder des Habsburgerreiches und Bayern überflutet. Es wurden spezielle Gottesdienste veranstaltet, auf den Brücken wurden seine Statuen errichtet (der bis heute im Tschechischen verwendete Ausspruch „er steht da wie ein Heiliger auf der Brücke" ist ein Relikt dieser Zeit).5 Bei der im Verlauf des Kanonisierungsprozesses erfolgten Öffnung seines Grabes im Prager St. Veitsdom im Jahre 1719 wurde unter seinen sterblichen Überresten auch seine Zunge angeblich unversehrt gefunden - was zu einem Symbol für die Bewahrung des Beichtgeheimnisses wurde. Zwei Jahre danach wurde Johannes Nepomuk von Rom selig- und im Jahre 1729 heiliggesprochen. 3 Den Beziehungen Caldaras zu Jaroměíice nad Rokytnou/Jaromeritz widmete sich Jana Perutková, vor allem in ihren Studien „Libreto k opeře Amalasunta Antonia Caldary - nový příspěvek k opernímu provozu v Jaroměřicích nad Rokytnou za hraběte J. A. Questenberga" [Das Libretto zu Antonio Caldaras Oper Amalasunta - ein neuer Beitrag zum Opernbetrieb in Jaromeritz unter J. A. Graf Questenberg], in: Petr Macek (Hg.), Musicologica Brunensia. Sborník prací filozofické fakulty brněnské univerzity [Sam mel band von Arbeiten der Philosophischen Fakultät der Universität Brünn], H. 38-40 (2003-2005), Brno 2006, S. 207-218, und „Caldarova opera L'Amor non ha legge pro hraběte Questenberga aneb horší nežli čert je to moderní manželství" [Caldaras Oper L'Amor non ha legge für Graf Questenberg oder Schlimmer als der Teufel ist die moderne Ehe], in: Petr Macek (Hg.), Musicologica Brunensia. Sborník prací filosofické fakulty brněnské univerzity, H. 41 (2006), Brno 2007, S. 125-146. 4 Von den tschechischen Historikem haben sich in breiterem Kontext Josef Pekař, Postavy a problémy českých dějin [Persönlichkeiten und Probleme der tschechischen Geschichte], Praha 1990, und Vít Vlnas, Jan Nepomucký, česká legenda [Johannes Nepomuk, eine böhmische Legende], Praha 1993, dem Kult des Johannes Nepomuk gewidmet. 5 Eine der ersten Statuen, die als Inspiration für eine ganze Reihe weiterer Darstellungen des Heiligen gedient hat, wurde im Jahre 1683 auf der Karlsbrücke in Prag an der Stelle seines Märtyrertodes errichtet. Sie wurde von Johann Brokoff (1652-1718) nach einem Modell des Wiener Bildhauers Matthias Rauchmiller (1645-1686) geschaffen. Das „Oratorio di S. Giovanni Nepomoceno" Der Prozess der Kanonisierung war von mehreren Unklarheiten begleitet, einige zogen sich über 100 Jahre hin. Die Nepomuk-Frage wurde am Beginn des 20. Jahrhunderts neu gestellt, als darauf hingewiesen wurde, dass der historische Johänek z Pomuku (1340-1393), Generalvikar des Prager Erzbischofs und eines der typischen Opfer des Konfliktes zwischen Staat und Kirche, mit dem barocken Heiligen nur sehr wenig gemeinsam habe. Im so genannten Streit um Johannes von Nepomuk, an dem tschechische Historiker und Politiker beteiligt waren, kam z.B. auch zum Vorschein, dass es beim Heiligsprechungsprozess in einer so wesentlichen Sache wie dem eigentlichen Datum seines Märtyrertodes zu einem Irrtum gekommen war. Die untersuchende Kommission hatte seinen Tod mit dem Jahr 1383 datiert, wogegen der historische Johann erst zehn Jahre danach, am 20. März 1393, gestorben ist. Der Konflikt König Wenzels IV. mit dem Geistlichen um die Beichte der Königin, der nach Baibin der Hauptgrund für dessen Tod gewesen wäre, hat also eine ganz andere Persönlichkeit betroffen: Im Jahre 1383 war Johanna von Bayern (t 1386) böhmische Königin, während die zweite Gattin Wenzels, die in der neueren Literatur in diesem Zusammenhang oft genannte Sofie, in den barocken Legenden nicht vorkommt. Dieser Irrtum hat sich unter anderem auch auf die Namen der in Caldaras Oratorium auftretenden Personen ausgewirkt-die weibliche Hauptrolle wird als „Regina" bezeichnet, im Text erscheint sie unter dem Namen „Giovanna". Die Verehrung des Johannes von Nepomuk ist auf verschiedenen Ebenen bereits vor dem Beginn seines Heiligsprechungsprozesses zum Ausdruck gekommen. Außer der bildenden Kunst hatte an der Entwicklung des Kultus des neuen Heiligen auch die Musik wesentlichen Anteil. Die dem Thema des Hl. Johannes von Nepomuk gewidmeten musikalischen Werke sind noch nicht systematisch erfasst; als eine der Ursachen kann man die langjährige reservierte Haltung der offiziellen tschechischen Musikgeschichtsschreibung der geistlichen Musik gegenüber anführen.6 Nur den alljährlich zum Namenstag des Heiligen von den Prager geistlichen Orden auf der Moldau bei der Karlsbrücke veranstalteten sogenannten „Wassermusiken" wurde Aufmerksamkeit gewidmet.7 Ein wichtiger Teil der Verehrung Nepomuks waren auch die Gottesdienste mit Gesang unter freiem Himmel, bei den Statuen des Heiligen auf den Stadtplätzen und Brücken, wobei auf Lateinisch und in der nationalen Sprache Litaneien, geistliche Lieder usw. gesungen wurden. Ein besonderes Kapitel in der Geschichte der Musik mit Nepomuk-Themen stellen die Schuldramen dar, vor allem jene der Jesuiten, die den Kult des Heiligen besonders 6 Die bisher wahrscheinlich einzige das Thema Johannes von Nepomuk und die Musik betreffende Studie stammt von Emilien Trolda. Siehe ders., „Hudba svatojanská" [Hl. Johannes-Musik], in: Vilém Bitnar, Karel Procházka (Hg.), Pragensia svatojanská. Sborník statí o kultuře českého baroka [Die Hl. Johannes-Pragensien. Sammelband von Artikeln über die Kultur des böhmischen Barock], Praha 1929. 7 Vladimír Novák, Ludmila Mašlanová, Musicae Navales Pragenses. Pražské lodní hudby 18. století. Studie - texty -analýzy [M. N. P. Prager Schiffsmusiken im 18. Jahrhundert. Studien - Texte - Analysen], Praha 1993. Jana Spáčilová förderten. Emilián Trolda schätzt in seinem Artikel8 ihre Anzahl auf ca. 100 Werke; eine genaue Erfassung dieser Produktion ist wegen des Mangels an Quellen, vor allem der gedruckten Synopsen, nicht möglich. Nach den neuesten Forschungsergebnissen wurden allein in den Prager Jesuiten-Kollegien in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts etwa zehn Stücke aufgeführt.9 Die Musik spielte in diesen Schuldramen lediglich eine begleitende Rolle, einen größeren Anteil hatte sie z.B. in Unio sexaginta elegantiarum paraquariam nactus Nepomuci (Prag 1725), Ortus et occasus seu Vita et Mors [...] DM Joanni Nepomuceni (Václav Antonín Haas, Hradec Kralove/Königgrätz 1730) und vor allem in dem von den Prager Jesuiten anlässlich der Heiligsprechung 1729 aufgeführten, bekannten „Huldigungs-Melodrama" Fama sancta (Text: Antonin Saletka, Musik: vielleicht Šimon Brixi).10 Die Nepomuk-Oratorien in den böhmischen Ländern, in Österreich und in Italien Die Legende über den Märtyrertod des Johannes von Nepomuk enthält einen markanten dramatischen Kern, sodass sie sich auch für das Oratorium gut eignet. Das wahrscheinlich erste Nepomuk-Oratorium im wahren Wortsinn in Böhmen bzw. in Prag war das italienische Oratorium La Sagra Giovanneide Nepomucena, das im Jahre 1729 unter den Auspizien des Prager Erzbischofs Ferdinand Künburg aufgeführt wurde. Der Autor des Textes war der aus Neapel stammende Dichter Giovanni Felicella, der Komponist ist unbekannt.11 In Mähren hatte die Tradition dieser Gattung bereits 1724 begonnen, als in Brünn das Oratorium Ruhmwürdiger Cron- und Ehren-streitt anlangend den grossen Heiligen stummen Wohlredner und wohlredenten Stummen S. Joannem Nepomucenum des Wiener Komponisten Giuseppe Porsile (1672-1750) gespielt wurde.12 Weitere Oratorien mit Nepomuk-Thematik wurden zu Beginn der 1730er Jahre im Zusammenhang mit seiner Heiligsprechung aufgeführt. Am 17. September 1730 fand z.B. in der Brünner St. Peter und Paul-Kirche eine Auffführung des auf Initiative des Probstes Johann Mattheus von Thum und Valsassina entstandenen anonymen Werks Ein andächtig-verfastes Oratorium zu Ehren des grossen Blutzeugens Christi Heil: Joannis von Nepomuck statt.13 8 Siehe Anm. 6. 9 In den letzten Jahren widmeten sich Magdalena Jacková (Institut der Künste - Theaterinstitut Prag) und Katerina Valentová (Historisches Institut, Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik) der intensiven Forschung über die Nepomuk-Schuldramen. Der erstgenannten Kollegin gebührt mein herzlicher Dank für die Bereitstellung von bis jetzt nicht publizierten Informationen. 10 Eine überzeugende Hypothese über Brixi als Komponisten der Musik zu diesem „Huldigungs-Melodrama" hat Vladimír Novák bei der Konferenz Bohemia jesuitica in Prag am 27. 4. 2006 vorgestellt. 11 Libretto: CZ-Pu 52 A 6. Trolda, „Hudba svatojanská" (s. Anm. 6), S. 125 bringt die Abbildung der Titelseite des Librettos. 12 Libretto: CZ-OLu II 8.535, II 23.124, CZ-R C.ll.cc.12; C.ll.dd.18, přív. 2; P.f.48, přív. 4. In der bisherigen musikwissenschaftlichen Literatur ist dieses Werk nicht verzeichnet, die Musik ist nicht erhalten geblieben. 13 Libretto: CZ-OLu 601.268, CZ-R Z.f.18, přív. 11. Das ..Oratorio di S. Giovanni Nepomoceno" Ein weiteres Nepomuk-Oratorium wurde in Brünn in der Fastenzeit 1732 als Bestandteil der alljährlich vom Olmützer Bischof Wolfgang Hannibal Kardinal von Schrattenbach veranstalteten Oratorien-Produktionen aufgeführt,14 das italienische Oratorium // martirio di S. Giovanni Nepomuceno des bekannten neapolitanischen Komponisten Niccolö Porpora (1686-1768).15 Es ist dies das erste unter den genannten Werken, zu dem auch die Musik - und das sogar in drei Exemplaren - erhalten geblieben ist.'6 Das Oratorium entstand wahrscheinlich um 1730 in Venedig und wurde später vielleicht auch in Jaromefice/Jaromeritz gespielt.17 Die Partitur der Brünner Aufführung befindet sich in der Staatsbibliothek zu Berlin.18 Die ursprüngliche Musik Porporas war an einigen Stellen geändert worden, einige Arien transponiert und eine Arie ersetzt (Come all'Olimpo in cima, Consigliere, Nr. 4). Im Jahre 1731 fand eine Feier zu Ehren des neu kanonisierten Heiligen auch auf der Herrschaft des Grafen von Questenberg in Jaromeritz statt, wobei ein nicht näher bestimmbares „Musicale-Boemicum Oratorium" gespielt wurde,19 und zwar in einer von P. Filip, einem Angehörigen des in Jaromeritz ansässigen Serviten-Ordens, verfertigten deutschen Übersetzung.20 Die Autoren des Werkes sind unbekannt, die Partitur interessierte offenbar den Grafen Hartig, da er Questenberg um ihre leihweise Überlassung ersucht hat (es könnte sich dabei aber auch um die oben erwähnte Partitur des Oratoriums von Porpora handeln).21 Berichte über Aufführungen von Oratorien bei einer Nepomuk-Statue gibt es auch aus Kromeriz/Kremsier, wo sie von den Schülern des dortigen Piaristen-Seminars unter der 14 Jana Spáčilová, Hudba na dvore olomouckého biskupa Schrattenbacha (1711-1738). Příspěvek k li-bretistice barokní opery a oratoria [Musik am Hof des Olmützer Bischofs Schrattenbach... Ein Beitrag zur Librettistik der Oper und des Oratoriums des Barock], Diss. Masaryk-Universität Brno 2006. 15 Libretto: CZ-OLu 35.478, I-Mb Racc.dram. 5599. Claudio Sartori, / libretti italiani a stampa dalle origini al 1800, Cuneo 1990-1994, führt lediglich das Exemplar in I-Mb, N. 14948 an. Spáčilová, Hudba (s. Anm. 14), S. 163-168. 16 Zwei Partituren befinden sich in A-Wn (Mus.Hs. 19195 Mus, SA.68.C.9 Mus 26), die dritte in D-B (Mus.Ms.17781). Die Musik in den Wiener Partituren ist identisch, die Berliner weicht in Details ab (andere Sinfonien zum ersten und zum zweiten Teil des Oratoriums, einige Änderungen im Rezitativ, eingefügte Arien). 17 Eines der Wiener Exemplare (SA.68.C.9 Mus 26) weist die typischen Merkmale der Musiksammlung von Graf Questenberg auf. Jana Perutková, „Zur Identifizierung der Questenbergischen Partituren in Wiener Musikarchiven", in: Hudebni věda 1 (2007), S. 5-34. Das zweite Exemplar ist Venezianischer Provenienz. 18 Die Provenienz der Partitur wurde aufgrund der Identifikation der Kopisten festgestellt, Näheres bei Jana Spáčilová, „Die Rezeption der italienischen Oper am Hofe des Olmützer Bischofs Schrattenbach", in: Petr Macek, Jana Perutková (Hg.), Colloquia Musicologica Brunensia 42 (2007) [im Druck]. 19 Die Beschreibung der Feierlichkeiten findet sich gedruckt in: Laudis Joanneae in Julio Monte festive intonantis genuina pietatis echo in valle Questenbergiana Jaromericensi usque audita id est: Festivitas Canonizationis Sancti Joannis Nepomuceni (CZ-R L.l.dd.13, přív.5). 20 Nach dem Brief des Grafen von Questenberg an den Hauptmann von Jaromeritz Haussner vom 11.7. 1731, in dem dieser die Übersetzung „des neulich am Canonisations-Fest des Heyl. Nepomuceni gehaltenen Oratorii" erwähnt. Vladimir Helfen, Hudební barok na českých zámcích. Jaroměfice za hraběte Jana Adama z Questenberku [Der musikalische Barock auf den böhmischen Schlössern. Jaromeritz unter Johann Adam Grafen von Questenberg], Praha 1916, S. 293, 306. 21 Die Partitur eines Nepomuk-Oratoriums wurde Questenberg im November 1733 zurückgegeben. Ebenda, S. 200, 306. Jana Spáčilová Leitung ihres Regens Theodor Josef Agadoni (Ordensname Lambertus ä S. Theodoro) dargeboten wurden.22 Unter den österreichischen Komponisten von Nepomuk-Oratorien sind vor allem Georg Reutter (1656-1738) und sein Sohn Georg Reutter d.J. (1708-1772) mit mehreren Werken zu nennen, die alljährlich im Mai anlässlich des Namenstages des Heiligen an der Wiener Hohen Brücke aufgeführt wurden.23 Eine der ersten Aufführungen fand im Jahre 1725 statt, als über die Nepomuk-Statue eine neue Kapelle gebaut wurde.24 Der Librettist dieser deutschen Oratorien war der aus Hamburg gebürtige, bedeutende Theatermann Heinrich Rademin (1674-1731), der mit dem böhmischen Adel (u.a. mit F. A. von Sporck und J. A. von Questenberg) in Kontakt stand.25 Georg Reutter d.Ä., Hoforganist und Kapellmeister des St. Stephansdomes in Wien, hat für die jährlich abgehaltenen Nepomuk-Feste folgende Oratorien geschrieben: Ortus ab occasu, das ist: Die Erhöhung in der Stürtzung des Glorreichen Märtyrers S. Joannis von Nepomuck (1725) Der Liegend-obsiegende Held, zu allgemeiner Freude der streitend- und triumphirenden Kirche an dem Tag der würcklichen Heilig-Sprechung des glorreichen Märtyrers und sonderbahren Ehren-Beschüßers S. Joannis von Nepomuck (1726) Schweigendes Oraculum, oder die wohl-redende Verschwiegenheit [...] S. Joannis von Nepomuck (1727) Joannes in eodem, das ist: Der im Leben und Todt unveränderlich-beständige Liebhaber Gottes und der Kirchen, Heiliger Joannes von Nepomuck (1728, Reprise 1730 in Ljubljana/Laibach).26 22 Die Chronik des Piaristen-Seminars in Kremsier Continuatio Annalium Domus Cremsiriensis ab Anno 1725, Nationales Archiv (früher Staatliches Zentralarchiv) Praha, Abt. 1, Fonds RPi - Piaristen (40), č. kn. 325.18. 5.1732: „Eodem Vesperi in foro ad Statuam S[anc]ti Joannis Nep[omuceni] Oratorium Musicum R. P. Regens Seminarii Lambertus ä S. Theodoro producit cum felici successu" (20r). 1734: „ipso vero festo decantari fecit P. Lambertus á S. Theodoro Reg[ens] Sem[ina]rii Oratorium germanicum ad Statuam ejusdem Sancti propter horam octavam vespertinam" (23r). Siehe auch Jan Bombera, „K významu Liechtenštejnova zpěváckého semináře v Kroměříži" [Zur Bedeutung des Liechtensteinischen Gesangs-Seminars in Kremsier], in: Hudební věda 4 (1979), S. 326-348, besonders S. 338. 23 Über die Nepomuk-Feierlichkeiten informierte regelmäßig das Wienerische Diarium. Erwähnungen der „neu-componirten Musicalischen Teutschen Oratorio" auf der Hohen Brücke findet man zu den Jahren 1726 (15.5.) und 1727 (21. 5.). 24 Die Johannes Nepomuk-Statue auf der Hohen Brücke wurde in den Jahren 1720/21 gebaut, der Architekt der im Jahre 1857 abgerissenen Kapelle war Anton Johann Ospel. Christiane Salge, Anton Johann Ospel (1677-1756). Ein Architekt des österreichischen Spätbarock, München 2007, S. 180-184. 25 Otto G. Schindler, Art. „Rademin, Heinrich", in: Rudolf Flotzinger (Hg.), Oesterreichisches Musiklexikon, Bd. 4, Wien 2005, S. 1852. Siehe auch Kateřina Bohadlová, Astarto versus Atalanta. Heinrich Rademin, „Director Comicus (1674-1731), v kontextu italsko-německé divadelní dramaturgie počátku 18. století [„.hfl Kontext der italienisch-deutschen Dramaturgie am Beginn des 18. Jahrhunderts], Diss. Karls-Universität Praha 2009. 26 Einige dieser Werke sind in der bisherigen Literatur unerwähnt geblieben oder wurden fälschlich Georg Reutter d.J. zugeordnet, deswegen führe ich die Aufbewahrungsorte der Libretti an. Ortus ab occasu: Sl-Lsk Z VI 2/14; Der Liegend-obsiegende Held: A-Wst A 5484; Schweigendes Oraculum: A-Wst A 5499; Joannes in eodem, Wien 1728: A-Wst A 5472, Joannes in eodem, Ljubljana 1730: Sl-Lsk Z VI 2/15. Vgl. Irmgard Scheitler, Deutschsprachige Oratorienlibretti. Von den Anfängen bis 1730. Beiträge zur Geschichte der Kirchenmusik, Bd. 12, Paderborn 2005, S. 385. Das „Oratoria di S. Giovanni Nepomoceno" Für 1729, dem Jahr der Heiligsprechung des Johannes von Nepomuk, ist bis heute kein Oratorium festgestellt worden, in jenem Jahr fand jedoch ein großes Fest bei der an der Donau gelegenen sog. „Schantzelkapelle", dem zweiten Zentrum der Wiener Nepomuk-Verehrung, statt, mit einer Wassermusik, an der mehr als hundert Musiker beteiligt waren.27 1730 wurde auf der Hohen Brücke Georg Reutters d.J. Oratorium Canticum novum, non novum: das Lob Gottes in seinen Heiligen. Die Gedächtnuß der zu Rom 1729 den 19. Martii erfolgten Heilig-Sprechung [...] des Joannis von Nepomuck aufgeführt.28 Ein weiteres seiner Werke mit dieser Thematik ist erst für das Jahr 1732 belegt; es handelt sich um das italienische Oratorium // Martirio di San Giovanni Nepomuceno mit dem Text von Giovanni Claudio Pasquini, das außer in Wien auch in Würzburg aufgeführt wurde.29 Die Musik dieser Oratorien ist verschollen, mit Ausnahme des letzten, dessen Partitur sich in Reutters Nachlass im Kloster Heiligenkreuz befindet.30 Zu den Orten der Popularisierung des neuen Heiligen zählte auch das seit 1713 unter der Herrschaft der Habsburger befindliche Mailand. Hier wurde 1724 das Oratorium La Calunnia delusa, Oratorio in onore di S. Giovanni Nepomuceno, taumaturgo della Boemia mit der Musik von Ignazio Balbi und anderen Komponisten aufgeführt.31 Einige von diesen haben wahrscheinlich auch die Musik für das dort im Jahre 1726 aufgeführte Oratorium // martirio di S. Giovanni Nepomuceno beigesteuert.32 Viele dieser Werke sind uns leider nur aufgrund ihrer Libretti bekannt, erhalten geblieben ist lediglich die Musik zu den italienischen Oratorien von N. Porpora und G. Reutter d.J. Seit Beginn der 1730er Jahre gibt es jedoch bereits mehrere musikalischen Quellen mit Nepomuk-Thematik; als Beispiel können // Martirio di S. Giovanni Nepomuceno von Michel Fini (Pisa 1737),33 das deutsche Oratorium Der Tod des heiligen Johannes Nepomuk von Gregor Joseph Werner (Esterhäza 1752)M oder das bekannte Werk von Bonaventura Furlanetto // Giubilo Celeste al giungervi della sant'anima de! Protomartire Giovanni Nepomuceno (Venedig 1765) dienen.35 27 Wienerisches Diarium, 18. 5. 1729. Vgl. dazu, und zur Nepomuk-Verehrung in Wien überhaupt, auch den Artikel von Elisabeth Kovács, „Die Verehrung des hl. Johannes von Nepomuk am habsburgischen Hof und in der Reichs- und Residenzhauptstadt Wien im 18. Jahrhundert", in: 250 Jahre Hl. Johannes von Nepomuk. Katalog der IV. Sonderschau des Dommuseums zu Salzburg Mai bis Oktober 1979, Salzburg 1979, S. 69-85, bes. S. 71-74. 28 Libretti: A-Wst A 5478; A-Wn 791.146-B.Mus. 29 Libretti: A-Wst A 96178; A-Wn 25.221-B.Mus, D-WÜu. Sartori, / libretti italiani (s. Anm. 15), N. 14946, 14947. 30 Partitur: A-HE IV a. 31 Libretto: I-Mb Race. dram. 5578, I-Vnm. Sartori, / libretti italiani (s. Anm. 15), N. 4575. Als Komponisten sind bei den einzelnen Arien angeführt: Ignazio Balbi, Giuseppe Paladini, Giacomo Machio, Giuseppe Sammartini, Giovanni Battista Sammartini, Giovanni Maria Marchi, Francesco Fiorino, Angelo Maria Scaccia und Carlo Baliani. Das Werk ist auch bei Trolda, Hudba svatojanská (s. Anm. 6), S. 26, verzeichnet. 32 Sartori, / libretti italiani (s. Anm. 15), N. 14945. Das Libretto in I-Mb, auf das dort verwiesen wird, ist heute nicht mehr aufzufinden. 33 Partitur: I-Vgc Rolandi Ms A-Fi, Text von Damiano Marchi. 34 Partitur: A-Wgm III 17.704, H 28238. 35 Sartori, / libretti italiani (s. Anm. 15), N. 12082, Text von Matteo Fiecco. Jana Spáčilová Caldaras Johannes Nepomuk-Oratorium und seine Rezeption in Böhmen Antonio Caldara schrieb sein Johannes Nepomuk-Oratorium auf Veranlassung des aus dem böhmischen Adel stammenden Erzbischofs von Salzburg, Franz Anton von Harrach (1665-1727, Erzbischof ab 1709), der sich um die Kanonisierung des neuen Heiligen verdient gemacht hatte. Das Werk ist wahrscheinlich für die Einweihung der Johannes Nepomuk-Kapelle im Schloss Mirabell in Salzburg (12. 5. 1726) entstanden.36 Die auto-graphe Partitur des Komponisten, die sich heute im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien befindet, trägt lediglich den Titel Oralono di San Giovanni Nepomoceno (sie!) und den Tag der Vollendung des Werkes „17Marzo 1726", ohne jede Angabe seiner Bestimmung.37 Die Aufführung in Salzburg ist jedoch aufgrund des gedruckten Librettos belegbar. Dessen umständlicher Barocktitel lautet II segreto incontaminato sotto il sigillo della confessione sostenuto con la sua morte da S. Giovanni Nepomuceno. Dieses Libretto wurde bis vor kurzer Zeit in der Bayerischen Staatsbibliothek München aufbewahrt, gilt aber heute als verschollen.38 Die Kapelle von Schloss Mirabell als Aufführungsort erwähnt auch Ludwig Ritter von Kochel in seinem Verzeichnis des Repertoires der Wiener Hof musikkapelle, das er in seiner Monographie über Johann Joseph Fux veröffentlicht hat.39 Das Oratorium zur Einweihung der Nepomuk-Kapelle war nicht das einzige Werk, das Caldara für den Musikliebhaber und bedeutenden Kunstförderer Erzbischof Harrach komponiert hat. Seine ersten Kontakte mit Salzburg können wir bereits mit dem Jahr 1712 datieren, als er sich im Zusammenhang mit seinem angestrebten Engagement an die Hofmusikkapelle Karls VI. in Wien aufhielt.40 Seit seinem Eintritt in kaiserliche Dienste im Jahre 1716 bis zu seinem Tod hat Caldara jedes Jahr wenigstens ein vokal-dramatisches Werk für Salzburg geschrieben. Neben dem Johannes Nepomuk-Oratorium sind heute zwölf weitere Werke bekannt: // Giubilo della Salza (serenata, 1716) Tiridate, ovvero La veritá nell' inganno (1717) Dafne (dramma pastorále, 1719) L'lnganno tradito dall'amore (1720) 36 Christian Hunger, Antonio Caldara. Oratorio di San Giovanni Nepomuceno, Diplomarbeit Salzburg 1984. Ursula Kirkendale, Antonio Caldara. Life and Venetian-Roman Oratorios. Revised and translated by Warren Kirkendale, Firenze 2007, S. 171, führt als Datum der Autführung den 16. 5. 1726 an, mit der Anmerkung, dass das Werk vorher in Wien aufgeführt worden war. 37 A-Wgm III 16158. 38 Die Angabe über den Aufbewahrungsort des Librettos siehe bei Angela Romagnoli, Art. „Caldara, Antonio", in: Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart (Personenteil, Bd. 3), zweite neubearbeitete Ausgabe, Kassel und Stuttgart 2000, Sp. 1660-1674, hier Sp. 1665. 39 Ludwig Ritter von Kochel, Johann Joseph Fux. Hofcompositor und Hofkapellmeister der Kaiser Leopold I., Joseph I. und Karl VI. von 1698 bis 1740, Wien 1872, S. 543. Vgl. auch Adolf Hahnl, „Die Verehrung des hl. Johannes von Nepomuk in der Salzburger Erzdiözese im 18. Jahrhundert", in: 250 Jahre hl. Johannes von Nepomuk (s. Anm. 27), S. 100f und 108. 40 Eine der in diesem Jahr entstandenen Kompositionen, die Kantate Quegl'occhi vez-zosi, ist mit Salzburg 23.7.1712 datiert. Kirkendale, Antonio Caldara (s. Anm. 36), S. 84. Das ..Oratorio di S. Giovanni Nepomoceno // Germanico marte (1721) Camaide imperatore della China o Li Figliuoli Rivali dei padre (1722) GH Ecessi dell'infedelta (1723) // Finto Policare (tragicomedia in musica, 1724) Astarto (1725) L'Etearco( 1726) // Morto redivivo ovvero S. Antonio di Padova (Oratorium, 1726) La Selva illustrata delmerito (Serenata anlässlich des Namenstages des Bruders des Erzbischofs, Josef Graf Harrach, 1717? oder 1727). Das letzgenannte Werk war bis jetzt nur aufgrund des im Benediktinerkloster Kremsmünster erhaltenen Librettos bekannt, die Partitur dieser Serenata wurde unter dem Titel Melibeo e Tirsi im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde neu von der Autorin identifiziert.41 Solche engen Beziehungen zu einer anderen Lokalität bilden im Kontext der Musik des Barock eine Ausnahme, sodass man ohne Übertreibung sagen kann, dass Antonio Caldara der bedeutendste Salzburger Komponist in der Ära Franz Anton von Harrachs war. Der Hofkapellmeister des Erzbischofs, Matthias Siegmund Biechteler (c. 1668-1743),42 und der Vizekapellmeister und Hofkomponist Karl Heinrich Biber (1681-1749) stehen an der Wende der 1710er und 20er Jahre in Caldaras Schatten. Es ist noch nicht geklärt, ob Caldaras Johannes Nepomuk-Oratorium in der Barockzeit auch in Böhmen aufgeführt worden ist. Nach den neuesten Forschungsergebnissen war seine Partitur im Besitz des Kapellmeisters des Prager St. Veitsdomes, Kryštof Gayer (t 1734). Dieser hatte rege Kontakte zu Wien und wahrscheinlich auch zu Caldara selbst, da in der Musikaliensammlung der Metropolitankirche St. Veit mehrere Werke Caldaras erhalten geblieben sind (u.a. zehn sonst unbekannte Messen und Messteile).43 Bei den Feierlichkeiten anlässlich der Heiligsprechung des Johannes von Nepomuk im Oktober 1729 wurde im Veitsdom jedenfalls Caldaras Missa sanctificationis S. Joannis Nepomu- 41 Libretto: A-KR Sign. Textbücher 118. Sartori, / libretti italiani (s. Anm. 15), N. 21473. Partitur: Servigio di camera [Melibeo e Tirsi], A-Wgm III 16.139, A 396. Keine der Quellen ist genau datiert. Das Libretto führt das Datum der Aufführung am 4. Oktober 1717? an. Siehe Brian W. Pritchard, Art. „Caldara, Antonio", in: Stanley Sadie, John Tyrrel (Hg.), The New Grove Dictionary of Music and Musicians, Bd. 4, 2. Aufl. London 2001, S. 819-826, hier S. 824. Die Partitur im Katalog A-Wgm ist mit 1727 datiert (die Quelle selbst weist lediglich das Datum der Vollendung am 10. Februar in Wien auf, die Angabe des Jahres wurde abgeschnitten). 42 Biechteler war übrigens der Komponist des am 31.8.1731 an der Salzburger Universität aufgeführten Benediktiner-Schuldramas Divus Joannes Nepomucenus de Wenceslai tyrannide gloriose triumphans. Siehe Heiner Boberski, Das Theater der Benediktiner an der alten Universität Salzburg (= Theatergeschichte Österreichs, Bd. VI, H. 1), Wien 1978, S. 276. 43 Nach einem von der Autorin provisorisch verfertigten Katalog der Caldara-Messen. Der Kirchenmusik Antonio Caldaras in den tschechischen und mährischen Sammlungen wird eine selbständige Studie gewidmet werden. Jana Spáčilová ceni und vielleicht auch sein Graduale [...] proprio di S. Giovanni Nepomuceno aus dem Jahre 1724 aufgeführt.44 Gayer hat während der Zeit seines Wirkens im Kirchenchor von St. Veit (er hat 15 Jahre ohne Bezahlung ausgeholfen, bis er 1705 Kapellmeister wurde) eine bemerkenswerte, umfangreiche Musikaliensammlung zusammengetragen, in der eine Reihe von direkt aus Italien erworbenen Werken vertreten war. Der größte Teil dieser Sammlung kam nach seinem Tod im Jahre 1734 in den Besitz der Prager Kreuzherren mit dem roten Stern. Ihr Bestand in den Jahren 1737/38 wird durch ein Inventar dokumentiert, dessen Original heute leider verschollen ist.45 Das Inventar hat u.a. eine Rubrik „Opera, & Oratoria descripta" (Scrinium XIX, Fol. 55v), in der einige musikdramatische Werke einschließlich der Angabe, wer ihre Abschrift verfertigt hatte, angeführt sind. Es sind dies die Oper Caio Gracco von Giovanni Bononcini, ein „oratorium germanicum" über Perseus und Andromeda aus der Sammlung Gayers und vier Oratorien von J. J. Fux: // fonte della salute, Christo nell'orto, ein Oratorium „de decolatione S. Joannis Baptistae" (wahrscheinlich La fede sacrilega nella morte del precursor S. Giovanni Battista) und Gesú Cristo negato da Pietro. Die letzte Eintragung ist das „Oratorium a 5 voc. de San. Joan. Nepom. inventu[m] ex Kaiser. Auth. Caldara", zweifellos Caldaras Oratorio di San Giovanni Nepomoceno; der ursprüngliche Besitzer Kryštof Gayer ist leicht identifizierbar. Eine Aufführung des Werkes ist nicht angegeben (auf den folgenden Seiten des Inventars befinden sich Angaben über die Oratorien-Aufführungen in der St. Franziskus-Kirche bei der Karlsbrücke). Da auch die anderen Quellen darüber schweigen, muss man also annehmen, dass Gayer nur die Partitur besessen hat, die später gemeinsam mit seiner Sammlung an die Kreuzherren gelangt ist. Deren Sammlung ist heute nicht zugänglich, sodass es bis jetzt nicht möglich war, das Vorhandensein der Partitur oder wenigstens eines ihrer Teile festzustellen. Kurze Charakteristik des Werkes Caldaras Oratorio di San Giovanni Nepomoceno zeichnet sich im Kontext des barocken hagiographischen Oratoriums durch seine dramatische Wirkung und Theatralität aus. Ein unbekannter Librettist hat die Nepomuk-Legende sehr lebendig und plastisch ausgearbeitet; der zentrale Akzent wurde auf die Charakterisierung der im Laufe der Zeit 44 Beide Werke befinden sich in der Sammlung der Prager Kirche der Kreuzherren mit dem roten Stern. Vgl. Marie Kostílková, „Nástin dějin svatovítského hudebního kůru" [Entwurf einer Geschichte des Kirchenchores im St. Veitsdom], in: Jiří Štefan, Ecclesia metropolitana Pragensis. Catalogus collectionis operum artis musicae, Bd. 1, Praha 1983, S. 14-33, hier S. 27; Romagnoli, „Caldara" (s. Anm. 38), Sp. 1664. 45 Jiří Fukač, Křížovnický hudební inventář. Příspěvek k poznání křížovnické hudební kultury a jejího místa v hudebním životě barokní Prahy [Das Musikalieninventar der Kreuzherren-Sammlung. Ein Beitrag zur Kenntnis der Musikkultur der Kreuzherren und ihrer Position im Leben des barocken Prag], Diplomarbeit Brno 1959. Der zweite Band dieser Arbeit bildet die Edition des Inventars. Im folgenden Text verweise ich auf die Folioangaben von Fukač. Das ..Oratorio di S. Giovanni Nepomoceno" unverändert gebliebenen menschlichen Leidenschaften - der Eifersucht, der Angst, der Liebe und der Hingebung - gelegt. Die Hauptachse der Handlung bildet der Konflikt zwischen König Wenzel IV. (Vences-lao) und seiner von ihm der Untreue verdächtigten Frau Johanna (Regina). Der eifersüchtige Ehemann versucht vergeblich, Johannes (S. Giovanni), den Beichtvater der Königin, dazu zu zwingen, ihm alles zu verraten, was dieser von ihr unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses erfahren hat. Wenzel lässt ihn foltern und verurteilen, ihn von der Brücke in den Fluss stürzen und so töten. Der Vermittler zwischen den streitenden Seiten ist der königliche Minister (Ministro), der auch zum Schluss des Oratoriums eine wichtige Rolle spielt, als die erregte Menge, die den Tod des Tyrannen verlangt, auftritt. In diesem Moment, in dem sich auch die liebende Frau von ihrem Mann voll Furcht abwendet, erinnert der Minister an die Achtung, die die Untertanen dem König schulden würden. Es sei nicht möglich, dass ein Herrscher von der Hand des Pöbels getötet werde; er solle vielmehr eingekerkert am Leben gelassen werden, um vor seinem Tod noch Zeit zur Buße zu haben. Die einzige überirdische Person, die an die geistliche Dimension des Werkes erinnert, ist der Engel (Angelo), der Johannes in seiner tödlichen Angst und auch während der ihm vom König bereiteten schrecklichen Folter Mut zuspricht. In seinem Text wird auch eines der bekanntesten Symbole des Heiligen erwähnt, die fünf Sterne, die über dem Kopf des Ertrinkenden erscheinen. Die schon im Libretto sorgfältig ausgearbeitete Psychologie der auftretenden Personen wird auch durch die Vertonung Caldaras hervorragend ausgedrückt. Die Einlei-tungsaria des Ministers (Tenga il ciel lontan dal seno) lässt die künftige Tragödie, von der keiner der Protagonisten noch etwas wissen kann, vorausahnen. König Wenzel zeigt sich als eifersüchtiger Tyrann, in seiner ersten Aria Mo splendor del sogllo spürt man jedoch eher die Empörung des liebenden Ehemannes. Die Unschuld des Priesters Johannes wird durch den Menuett-Charakter seiner Aria charakterisiert, in der er versucht, seinen Herrn zu beruhigen (Godi in pace quella pace). In der Rolle der Königin ist von Anfang an ihre Beklommenheit zu spüren, der Ausdruck ihrer weiblichen Intuition (Da fieri timori, Come fronda palpitante), ihre Angst kann nicht einmal der Trost des Ministers beseitigen (Rallegrati, che adorno). Der von Johannes angestellte Vergleich des menschlichen Lebens mit einem Schiff auf stürmischem Meer (E' la vita de' mortali) wird von den Figuren der Streicher klangmalend begleitet (Abb. 1), die Wandlung der Königin zu einer entschlossenen, der Gefahr widerstehenden Frau wird mit der Trompete angekündigt (AH'invito di suono guerriero, Abb. 2). Abbildung 1: Caldara: Oratorio di San Giovanni Nepomoceno, Klangmalende Streicherfiguren in E' la vita de' mortali Abbildung 2: Caldara: Oratorio di San Giovanni Nepomoceno, Ankündigung der Königin mit Trompeten in All' invito di suono guerriero Im folgenden Abschnitt werden die wahren Absichten Wenzels enthüllt, das Drama kommt zum vollen Ausbruch. Die düsteren Gedanken des Königs schildert das Unisono aller Streicher „col basso" (Esangue, si, cadrä). In diesem Moment tritt zum ersten Mal der Engel auf, der die Krönung des Märtyrers mit den bereits über dessen Kopf schwebenden Sternen verkündigt (Caleran dal firmamento). Johannes, aus seinem angsterfüllten Schlaf erwacht, ist nunmehr bereit zu leiden (Chi al dolce ardente foco) und erweist sich in seinem Gespräch mit dem König als völlig unerschrocken (das Duett Presto, parla; di). Wenzel liefert ihn den Händen seiner Henker aus, der Engel begrüßt den Märtyrer bereits im himmlischen Reich (Rimira come vago). Während die Wut Wenzels ihren Höhepunkt Jana Spáčilová erreicht (Vedrd, crudel, vedrö), übergibt Johannes mit einem Stoßseufzer seine Seele Gott (T'offro, o Dio, le pene mie, Abb. 3). Beispiel 3. 11 nclc des Riton)ds| T'of-fru.o Di - o. le pe - nc mi - e con quest'ut-ti-mi res-pi Abbildung 3: Caldara: Oratorio di San Giovanni Nepomoceno, Stoßseufzer des Johannes in T'offro, o Dio, le pene mie Zum Schluss kommt jedoch die gerechte Strafe. Johanna, die die Nachricht über die Grausamkeit ihres Mannes erhalten hat, wendet sich empört von ihm ab (Per te non v'e piü scampo), der Minister schützt seinen König zwar vor der Rache der wütenden Menschenmenge, jedoch nur deswegen, um ihm die Möglichkeit zu lebenslanger Buße im Gefängnis zu geben. Der Schlusschor (Viva, si, mä viva in pene) klingt als Beschuldigung des Tyrannen aus. Die Einschaltung der Stimme des Volkes ist im historischen Kontext einer absolutistischen Macht zwar ziemlich ungewöhnlich, hat jedoch einen tieferen Sinn: Ein Herrscher muss - weil er höher als die anderen Menschen steht - für seine Untaten auch eine viel strengere Strafe ertragen. Die neuzeitliche Einstudierung des Oratoriums Die neuzeitliche Uraufführung des Oratoriums von Caldara fand im Jahre 1981 in Salzburg statt.46 Die Erstauffühung in der Tschechischen Republik erfolgte im Rahmen des Projekts Antonio Caldara 2006 am 16. September 2006 im ehemaligen Schloss Harrach in Kunin/Kunwald. Diese Produktion wurde anlässlich des 270. Geburtsjahres des Komponisten vom auf Originalinstrumenten spielenden Barockmusik-Ensemble Hofmusici 46 Hunger, Antonio Caldara (s. Anm. 36), S. 285. Das ,,Oratorio di S. Giovanni Nepomoceno" realisiert. Einen Tag danach wurde das Oratorium im Rahmen des Festivals Baroko 2006 in Olmütz aufgeführt und am 23. September auch in Nepomuk bei Pilsen, dem Geburtsort des Heiligen. Es sangen Jana Jedličková (Regina, Sopran), Pavla Štěpničková (S. Giovanni, Mezzosopran), Ivo Michl (Venceslao, Bass), Kamila Zbořilové (Angelo, Sopran) und Ondřej Šmíd (Ministro, Tenor). Das Ensemble Hofmusici wurde vom Cembalisten Ondřej Macek geleitet. Anlässlich der Aufführung wurde ein Programmheft mit der tschechischen Übersetzung des kompletten Librettos herausgegeben.47 Die Nepomuk-Oratorien in den 20er und in der ersten Hälfte der 30er Jahre des 18. Jahrhunderts (chronologisch) Komponist Librettist Titel Ort und Jahr der Aufführung G. Porsile ? Ruhmwürdiger Cron- und Ehren-streitt Brünn 1724 I. Balbi u.a. La Calunnia delusa Mailand 1724 G. Reutter H. Rademin Ortus ab occasu Wien 1725 G. Reutter H. Rademin Der Liegend-obsiegende Held Wien 1726 A. Caldara ? Oratorio di S. Giovanni Nepomoceno (II segreto incontaminato) Salzburg 1726 Prag? ? ? II martirio di S. Giovanni Nepomuceno Mailand 1726 G. Reutter H. Rademin Schweigendes Oraculum Wien 1727 G. Reutter H. Rademin Joannes in eodem Wien 1728 Laibach 1730 ? G. Felicella La Sagra Giovanneide Nepomucena Prag 1729 ___ 47 Jana Spáčilová (Hg.), Antonio Caldara. Oratorio di San Giovanni Nepomuceno, Programmheft, Český Krumlov 2006. Übersetzung des Librettos von Ondřej Macek. Jana Spáčilová G. Reutter d.J. H. Rademin Canticum novum, non novum Wien 1730 U.(r. ? Ein andächtig-verfastes Oratorium Brünn 1730 , N. Porpora A. Marchese II martirio di S. Giovanni Nepomuceno Venedig c. 1730 Brünn 1732 Jaromeritz? ? ? „Musicale-Boěmicum Oratorium" Jaromeritz 1731 G. Reutter d.J. G. C. Pasquini // Martirio di S. Giovanni Nepomuceno Wien 1732 ? ? „Oratorium musicum" Kremsier 1732 ? ? „oratorium germanicum" Kremsier 1734 Abkürzungsverzeichnis der Bibliotheken: A-HE A-KR A-Wgm A-Wn A-Wst CZ-OLu CZ-Pu CZ-R D-B D-WÜu I-Mb I-Vgc I-Vnm Sl-Lsk Zisterzienserstift Heiligenkreuz, Musikarchiv Benediktinerstift Kremsmünster, Musikarchiv Wien, Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung Wien, Wienbibliothek im Rathaus (früher Stadt- und Landesbibliothek) Olomouc, Vědecká knihovna / Olmütz, Wissenschaftliche Bibliothek Praha, Národní knihovna / Prag, Nationalbibliothek Rajhrad u Brna, Benediktinský klášter / Großraigern, Benediktinerkloster Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin, Preussischer Kulturbesitz Würzburg, Julius-Maximilians-Universität, Universitätsbibliothek Milano, Biblioteca Nazionale Braidense Venezia, Istituto di Lettere, Musica e Teatro Fondazione Giorgio Cini Venezia, Biblioteca Nazionale Marciana Ljubljana, Semeniška knjžnica / Laibach, Seminarbibliothek