Reporter Mein Fall 34 Messerstiche Ein Mann wird so bestialisch ermordet, dass der Kommissar glaubt, ein Serienkiller wäre am Werk gewesen."In Wirklichkeit trieb eine perfide Neugier die Täter. Am Morgen des 7. Dezember 2001 blickte Hauptkommissar Axel Pütter in einen Wohncontainer, der auf dem Gelände einer Molkerei in Herne stand. Auf dem Bett lag die Leiche des Lagerarbeiters Klaus K. in einer Blutlache. Ein Rechtsmediziner sollte später bei der Obduktion 34 Schnitt- und Einstichstellen feststellen - am Hals, Brustkorb, Rücken, an der Schläfe. Die Kehle war viermal aufgeschlitzt worden. Pütter fragte sich zu Beginn der Ermittlungen, ob hier ein Serientäter zugeschlagen hatte. Er war überzeugt, dass jemand, der so bestialisch tötet, schon einmal gewalttätig gewesen sein musste. Axel Pütter sagt heute, in seinen 45 Jahren bei der Polizei habe er es niemals zuvor und niemals wieder mit einem vergleichbar brutalen und sinnlosen Verbrechen zu tun gehabt. Er sitzt im Kurzarmhemd zu Hause an seinem Esstisch in Herne, er erzählt sachlich und klar. Nur einmal, ganz am Ende, erlaubt er sich einen emotionalen Satz. Die Molkerei, sagt Pütter, befand sich in einem weitläufigen Industriegebiet am Großmarkt, wo eigentlich immer jemand auf den Beinen ist. Darum begannen er und sein Team sofort damit, Leute zu befragen. In den folgenden Stunden erfuhren die Polizisten, dass K., 56 Jahre alt, ein gutmütiger Mensch gewesen war, der manchmal zu viel trank. Zeugen waren in der Nacht zwei Männer aufgefallen, die Richtung Molkerei gelaufen waren. Ein Gabelstaplerfahrer hatte bemerkt, dass im Wohncontainer zwischen drei und vier Uhr mehrfach das Licht an- und ausgegangen war. Die Polizisten fanden auch K.s letztes digitales Lebenszeichen, eine SMS, die er am Vorabend an einen Kollegen geschickt hatte. Er sei in einer Kneipe, im Julia-Eck, ob der Kollege Lust habe zu kommen. Axel Pütter dachte, dass K. dort seinen Mörder getroffen haben könnte. Er besuchte das Julia-Eck, 500 Meter vom Tatort entfernt. Der Wirt hieß Thorsten B. und war 24 Jahre alt. Er erklärte Pütter, Klaus K. sei bis etwa zwei Uhr in der Kneipe gewesen. SieJiätten zusammen mit Frank L. geknobelt, dem besten Freund des Wirts, der gerade volljährig geworden war. K. sei ziemlich betrunken gewesen, als er gegen zwei Uhr ging. Pütter bat B. und L. für eine Aussage auf die Wache. Sie wurden parallel befragt. Thorsten B. schilderte folgende Geschichte: Als K. das Julia-Eck verlassen habe, sei sein Freund noch eine Weile geblieben und dann ebenfalls gegangen. Frank L. erzählte diese Version: Nachdem K. gegangen war, hätten sie noch bei B. zu Hause Musik gehört und ferngesehen. Zwischendurch hätten sie für eine halbe Stunde frische Luft geschnappt. Es gebe bestimmt Zeugen dafür, denn ihnen seien Autos entgegengekommen. ■ Weil sich die Darstellungen widersprachen, entschloss sich Pütter, den Wirt und seinen Freund nicht länger als Zeugen zu betrachten, sondern als Beschuldigte. Es war Samstag, 0.10 Uhr. Es dauerte noch eine Viertelstunde, bis Frank L. schließlich ein Geständnis ablegte. Wenig später gab auch Thorsten B. zu, K. umgebracht zu haben. Das Motiv für den Mord schockierte Pütter. Frank L. und Thorsten B. hatten K. erstochen, weil sie wissen wollten, wie es ist, jemanden zu töten, jemanden sterben zu sehen. Mit der Tat wollten sie ihre Freundschaft besiegeln. K. war ein zufälliges Opfer. Sie schilderten die Tat so: Als sie betrunken in der Kneipe saßen, fragte der eine: Machen wir es? Der andere nickte. Zu dritt verließen sie das Julia-Eck gegen viertel vor zwei in der Nacht und gingen zu K.s Wohncontainer, K. sagten sie, sie wollten einen Film zusammen ansehen. Thorsten B. hatte ein Klappmesser dabei, die Klinge war zehn Zentimeter lang. Während der Film lief, zog B. die Kordel aus dem Bündchen einer Jogginghose, die im Container herumlag. Er würgte K. von hinten, bis dieser ohnmächtig wurde. L. stach ihm dann mit dem Messer in Rücken und Bauch. B. schnitt ihm die Kehle auf, weil er sehen wollte, wie das Blut aus dem Hals spritzte, so sagte er es der Polizei. Danach legten sie eine Decke über den regungslosen K., steckten sein Handy ein, sein Portemonnaie, packten den Videorekorder und den DVD-Spieler ein und gingen in B.s Wohnung. Gut eine Stunde später kehrte Thorsten B. zum Container zurück, um ein Scartkabel zu holen. Er sah, dass K. auf dem Bett saß - er lebte noch. B. stach ihm mit dem Messer in den Hals und in die Schläfe. Beide Täter gingen später erneut zum Container, um weitere Sachen zu klauen. Thorsten B. suchte ihn ein viertes Mal in jener Nacht auf, um Fingerabdrücke zu beseitigen. Im Juni 2002 verurteilte das Landgericht Bochum Thorsten B. zu lebenslanger Haft und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Frank L. erhielt neun Jahre und drei Monate Jugendstrafe. Der Richter bezeichnete sie als »absolut abgestumpft, bedenkenlos, kaltblütig«, verglich sie mit Raubtieren, die sich auf ein verletztes Opfer gestürzt haben. Axel Pütter sah Frank L. sieben Jahre nach dem Mord zufällig an einer Pommesbude wieder, er war offenbar vorzeitig entlassen worden. Noch immer fragt sich Pütter, ob es gerecht sei, dass einer = der Täter eine zweite Chance bekommen habe. Er sagt: »Das I Opfer hatte gar keine.« Maik Großekathöfer HT ; Axel Pütter, I fö'jMffljHr 66, war Leiter einer Mordkommission in yJwBHT Bochum, danach stellvertretender Dienst- tfwIL. Stellenleiter im Fachkommissariat für "Sjpj^ Tötungsdelikte. Seit 2016 ist er im Ruhestand.