fudith Hermann wurde 1970 in Berlin geboren. Nach einer journalistischen Ausbildung und einem Zeitungspraktikum in New York erhielt sie 1997 das Alfred-Dublin-Stipendium der Akademie der Künste. 1998 erschien ihr erstes Buch »Sommerhaus, später«, dem eine außergewöhnliche Resonanz zuteil wurde und für das sie mit dem Litcratur-förderpreis der Stadt Bremen, dem Hugo-Ball-Förderp reis und dem Kleist-Preis ausgezeichnet wurde. 2003 erschien im S. Fischer Verlag der Erzählungsband »Nichts als Gespenster«. Judith Hermann lebt und schreibt in Berlin. Unsere Adresse im Internet: www.fisciierverhge.ite Judith Hermann Sommerhaus, später Erzählungen JUDITH HERMANN Nichts als Gespenster Erzählungen Zwei Frauen, die auf einer Insel ein Spiel spielen, das >sich so ein Leben vorstellen« heißt. Ein Premierenfest, das ein unerwartetes, frühmorgendliches Ende in der Wohnung des Regisseurs findet. Ein Mann, der in seinem Sommerhaus an der Oder Besuch erhält und an eine Vergangenheit erinnert wird, die er nicht mehr kennen will. Judith Hermanns Figuren inszenieren sich ihr Leben, sie lassen sich nur passiv oder als Zuschauer, nur spielerisch in »Lebensläufe« ziehen. Es ist fudith Hermanns Gespür für die Zwischentöne und die subtilen Unaufrichtigkeiten der Gegenwart, das ihre Geschichten so eindrucksvoll macht. Ihre Erzählungen leben vom genau abgewogenen Rhythmus der Sätze und von der Intensität und Dichte der Stimmungen, die sie zu erzeugen vermag. »Wir haben eine neue Autorin bekommen, eine hervorragende Autorin. Ihr Erfolg wird groß sein.« Marcel Rekh-Ranicki »Der Sound einer neuen Generation.« Hellmuth Karásek Von Jonina und Magnus, von Owen und Sikka, von Ruth und Raoul erzählen Judith Hennanns neue Geschichten, von Norwegen, Nevada, Prag, Karlsbad und Island. Sie erzählen vom Lieben und Reisen und davon, wie sich Lieben und Reisen auf wundersame Weise ähnlich sind. Mit großer literarischer Meisterschaft entfaltet Judith Hermann den ihr eigenen unwiderstehlichen Sog und mächtigen Zauber noch intensiver als zuvor. >Mutig greift sie nun aus, lässt sie ihre Erzählungen wachsen und bereichert sie das Spektrum ihrer Tonlagen um Ironisches und gar Witziges, um Sarkasmen und Skurrili-täten.< Roman Bucheli, NZZ In diesem Winter, in dem ich beschloß, mit Peter über Silvester nach Prag zu fahren, lieble Micha Sarah. Sarah liebte Micha, und Miroslav, der Sarah liebte, lebte alleine in Prag und hatte die Jalousien vor allen seinen Fenstern immerzu heruntergelassen. Ihm verdanke ich das einzige tschechische Wort, das ich kenne - srnutna, und smutna heißt traurig. Miroslav hatte Sarah angerufen und gesagt »Willst du nicht Silvester nach Prag kommen, es schneit, und die Moldau ist zugefroren. Wir könnten aufs Dach gehen und das Feuerwerk anschauen«, und Sarah hatte gesagt »Ich komme, aber nur, wenn ich Micha mitbringen kann, ohne Micha gehe ich nämlich nirgendwo mehr hin, und vielleicht kommen auch noch irgendwelche anderen Leute mit«, und Miroslav hatte demütig »Bring mit, wen immer du willst« gesagt. Sarah erzählte später, seine' Stimme habe so entfernt geklungen, als telefoniere er vom Mond aus mit ihr - oder aus der Mungolei.^HRHP Ich fand es schwierig, mit Sarah und Peter und Micha und Miroslav zusammenzusein. Ich drehte den Wasserhahn auf und wieder zu. Peter klopfte an die Tür und sagte »Kaffee oder Tee oder Saft?«, es gab einen Moment, in dem ich froh war über seine Stimme, seine Anwesenheit. Ich frühstückte drei kleine, staubige, tschechische Brötchen und Bananen und Cornflakes, ich trank vier Tassen Kaffee und Wasser dazu, ich hatte das Gefühl, ich könnte überhaupt nicht mehr aufhören zu essen. Der Fernseher lief schon wieder. Miroslav lag mit halb geschlossenen Augen auf der Couch, Micha sah in den Fernseher, Sarah sortierte Silvesterraketen, manchmal sagte sie sanft etwas zu Miroslav, der dann abwesend lächelte. Peter saß neben mir, rauchte Zigaretten, schwieg. Ich wußte, daß wir nicht in die Stadt gehen würden. Wir würden nicht über die Karlsbrücke in die Josephstadt hineingehen, nicht über den Wenzelsplatz laufen, nicht den Hradschin besichtigen, wir würden iücht im Café Slávia sitzen und heiße Schokolade mit Schlagsahne trinken und auf die Moldau sehen, wir würden nicht an Kafkas Grab stehen und nicht mit der Seilbalm hinauf auf den Berg fahren, es wäre lächerlich gewesen, das zu tun. Es spielte keine Rolle, daß wir in Pratr waren.