Eine Anzeige und ihre Geschichte Schafe zählen Warum eine junge Frau auf der Schwäbischen Alb Lämmer liebt, auch als Braten Ja doch«, sagt sie, »natürlich schlachte ich sie selbst. Ich habe ihnen ins Leben geholfen, und ich beende ihr Leben.« Man steht mit Kerstin Riek vor 120 jungen Schafen im Stall, die Tiere blöken gelegentlich und wissen nicht, dass sie zu denen gehören, die als Nächste geschlachtet werden. Sie sehen eine dunkel gekleidete Gestalt, die sie schon häufiger gesehen haben und von der normalerweise Gutes kommt. Sie wissen nicht, dass diese Gestalt Lämmer auch als Braten schätzt. Dass sie, die Schäferin, über ihre Zukunft spricht. Der moderne Stadtmensch, nein, nicht nur der Stadtmensch hat ein komisches Verhältnis zu Schafen. Er liebt und feiert sie, wie Shaun, das Trickfilmschaf, das klüger ist als sein Bauer. Er kennt sie als Kuscheltier, er zählt sie, wenn er nicht schlafen kann, er zählt sich selbst dazu, falls er bibelfromm ist: »Der Herr ist mein Hirte«. Er denkt: Oh, süßes Schäfchen! Und denkt: Ah, leckeres Lamm! Dass dazwischen etwas stattfindet und dass das mit ihm zu tun hat, denkt er nicht. Lieber nicht. Vielleicht blieb der Blick deswegen hängen an einer Anzeige in der Regionalzeitung: »Herzlichen Glückwunsch«, schrieb eine Familie an eine Kerstin. »Herzlichen Glückwunsch zum Tierwirtschaftsmeister Fachrichtung Schafe«. Schäferin. Ist das nicht von gestern? Oder ist das vielleicht, wenn man aktuelle Diskussionen bedenkt, ganz vorn dran? Kerstin Riek ist 25 Jahre alt und Schäferin in sechster Generation. Ein Hof in Nattheim im Osten der Schwäbischen Alb, 900 Muttertiere, Merinoschafe vor allem. Eigentlich war der Onkel der Hoferbe der Schäferei Wiedenmann, aber vor zehn Jahren verunglückte er mit dem Traktor, er starb. Kerstin und ihre Mutter übernahmen, die Familie hilft. Die Hunde, der Stock, die Herde. Es sei in manchem, sagt Kerstin Riek, »noch wie vor 100 Jahren«. Das stimmt, und es ist verblüffend. Hühner liefen vor 100 Jahren noch frei durch die Landschaft und saßen bis vor ein paar Jahren gemeinhin in Legebatterien; inzwischen haben sie ein wenig Freiheit zurück. Lachse schwimmen im Gehege, Forellen im Bassin. Zuchtsauen stehen eingezwängt zwischen Stahlbügeln, wochenlang. Ein Schaf ist nicht auf dieselbe Weise ausbeutbar wie ein Huhn, ein Lachs, ein Schwein. Sein Leben genügt Ansprüchen, die neuerdings viele Menschen den Nutztieren zubilligen wollen. Es bewegt sich und sucht sich aus, was es fressen will. Es braucht Platz auf der Koppel oder zieht grasend durch die Landschaft. Wenn es die Landschaft zum Grasen noch gibt. Passt es in diese Zeit? Aus der »Heidenheimer Zeitung« Es ist, auch auf der Alb, eine Zeit der Logistikhallen, der Parkplätze und immer neuen Gewerbegebiete. Vor zehn Jahren, sagt Kerstin Riek, sei es noch möglich gewesen, mit 500 Schafen auf dem Weg in die Winterweide durch die Kreisstadt Aalen zu ziehen. Das geht nicht mehr: die Bebauung, der Verkehr. Ihr Großvater streckte die Hand raus, dann hielten die Autofahrer an und hatten womöglich sogar Verständnis für den Schäfer, der sie warten ließ. Sie muss immer wieder die Bundesstraße 19 mit der Herde queren, sie braucht zwei Leute in Warnwesten, die ihr helfen. Auf der B19 fahren jetzt in ihrer Gegend drei Millionen Fahrzeuge im Jahr. Aber der Zweck, die Aufgabe der Schafe hat sich nicht verändert. Sie fressen auch auf kargem Boden, wo kein Weizen wächst und wo der Hang zu steil ist für den Schlepper. Wo man sie braucht, um den Deich zu festigen oder die Heide freizuhalten. Sie tragen, schreibt der Autor Eckhard Fuhr in einem liebevollen Porträtbuch über das Schaf, zur »Ästheti-sierung und Vergeistigung von Landschaft« bei. Sie sind genügsam, es wäre ökonomisch unsinnig, sie ein Schafsleben lang in den Stall zu stellen und mit Kraftfutter zu mästen. Sie sind »nicht zum bloßen Produktionsapparat erniedrigt«, so sagt es Fuhr. Er sieht sie als eine Art Leittier für die Zukunft, es gebe schließlich »im Zeitalter der Globalisierung auch eine Migration zurück, dorthin, wo seit Menschengedenken Schafe blöken«. Wer weiß, spekuliert er, »vielleicht steht dem Schaf in postindustriellen Zeiten eine grandiose Zukunft bevor«. Vielleicht ist ja die Logistikhalle von gestern, und das Schaf von morgen? Wer weiß? Kerstin Riek weiß: Es macht bestimmt nicht reich, aber sie mag so leben. Sie ist dabei, wenn Schafe beim Gebären Schwierigkeitenhaben, sie hüft dann, schiebt zum Beispiel das Lamm in der Mutter zurecht. Die Schafe blöken nicht vor Schmerz, sagt sie. Sie seufzen leise, das ist alles. Sie weiß genau, wen sie vor sich hat, wenn sie schlachtet. Wenn es ein Mutterschaf ist, das sie lange kennt, sagt sie: »Mach du, Papa«, aber wenn das Tier tot ist, macht sie weiter. Die Lämmer tötet sie selbst. Lämmer wie diese, die im Stall jetzt vor ihr stehen, sieben, acht Monate alt, 20, 25 Kilogramm schwer. Draußen auf der Weide sind sie über eine Waage gelaufen, wer das richtige Gewicht hatte, kam in den Stall. Je nach Bestellung, nach Bedarf wird immer wieder eine Gruppe zum Schlachthaus auf der älteren Hofstelle gebracht, ein paar Hundert Meter weiter. Dann geschieht das, was für Außenstehende oft so schwer zu verstehen ist: das eigenhändige Töten als Ausdruck des Respekts. Kerstin Riek sagt, in einem ihrer Lehrbetriebe seien die Lämmer lebend verkauft worden, es war ein Schreien auf dem Lkw, schwer zu ertragen. Bei ihr warten die Schlachttiere in der Gruppe, ein Lamm nach dem anderen wird geholt, die Tür geht hinter ihm zu. »Die anderen merken nichts«, da ist sie sich sicher. Dann: Betäubungszange, Entblutungsschnitt, Fell ab, Innereien raus. Das Ergebnis ist dasselbe wie bei einem Tier im Großschlachthof, die Methoden sind es nicht. Wer gern Fleisch essen will, denkt man, muss sich mit dem Vorgang in Kerstin Rieks Schlachthaus abfinden. Die Tiere stehen da, gucken neugierig, blöken, es klingt nicht nach Angst. Barbara Supp Liebe Kerstin, #f-liehen Glückwunsch zum T1ERWIRTSCHAFTS-MEISTER Fachrichtung Schafe ntft der Abschlussnote 1,6> Wir sind sehr stob auf Dich! ' ' Mama & Papa Hermann Schäfer Oma & Rtek Opa sowie das ganze Team der Schäferei Wiedenmann 47