/ Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften MZK-RK Brno IllllEllllIll 3-öfi*2 • l'HHIHHllMi;« Das Stück spielt in den Zwanziger Jahren. Man kann aber auch in den Kostümen ein wenig die vorkommenden .Zciispt iinge« andeuicn, vor allem die vorweggenommene Ziiknnl I Nora muß aul jeden lall von einer akrobatisch geübten Schauspielerin gespielt werden, die .um Ii tanzen kann. Sie muß die jeweils angeführten Turnübungen machen können, dabei ist es aber egal, ob es »professionell« wirkt oder nicht, es kann also iiihig auch ein wenig ungeschickt aussehen, was sie macht, liva muß iinmei ein wenig verzweifelt und zynisch wirken. I'IIKS« )NIÍN: Nota I lehner l'i imiii.iIi In I i Nil., m i innen Iv.i Vni.ul.....i ',. I n i.ii m I m I I, n '.i I..... Mini .i. i Aiiiii nunc 1 I ,.i ■. .1.1 I I. Im. l ľ lul/'.l.lil ' I I 111 I 11 Ii Ii 1 Ii uro des Personalchefs. Der Personalchef sitzt am Schreibtisch, Nora i/iiukt sieb ein wenig verspielt herum, faßt alles an, setzt sieb mal kurz bin, mal springt sie jäh auf und geht herum. Ihr Verhalten steht im Widersprui b :u tb rer ziemlich heruntergekommenen Kleidung. NORA: Ich bin keine Frau, die von ihrem Mann verlassen wurde, sondern < ine . die selbsttätig verließ, was seltener ist. Ich bin Nora aus dem gleit Im......gen Stück von Ibsen. Im Augenblick flüchte ich aus einer verwirrten (lemtitslage in einen Beruf. PERSONALCHEF: An meiner Position können Sie studieren , daß ein Itriitl I ei ne Flucht, sondern eine Lebensaufgabe ist. NORA: Ich will aber mein Leben noch nicht aufgeben! h h stiebe meine pei sönliche Verwirklichung an. PERSONALCHEF: Sind Sie in irgend einer Tätigkeit geübt > NORA: Ich habe die Pflege und Aufzucht Alter, Sc hwa< Im . 1 >«!>•!- i. I.i.mk« i sowie von Kindern eingeübt. PERSONALCHEF: Wir haben hier aber keine Alten, Schwachen, Debilen, Kranken oder Kinder. Wir verfügen über Maschinen. Vm nun M.imI..........K der Mensch zu einem Nichts werden, erst dann kann et wiedet n\ < im m Iii was werden. Ich allerdings wählte von Anfang an den besehwetlu beten Wei; u et ner Karriere. NORA: Ich will weg von meinem Pfleger-Image, dieser kleine litgeus........ fest in mix. Wie hübsch sich dieser Vorhang von den diistei und gi .. Ii titln I. wirkenden Wänden abhebt! Daß auch unbcseelte Dinge eine Sc < h I.. ..... erkenne ich jetzt erst, da ich mich aus meiner Khe befreite. PERSONALCHEF: Arbeitgeber und Vertrauensleute haben die lieie Hni I all llllg der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitiiehmei ,n siluti rn und zu fördern. Haben Sie Zeugnisse? NORA: Mein Mann hätte mir sicher das Zeugnis einer guten llau.li.ui und Mutter ausgestellt, aber das habe ich mir in letzter Sekunde veriuasseli PERSONALCHEF: Wir verlangen hier Fremdzeugnisse. Kennen Sic denn keine Fremden? NORA: Nein. Mein Gatte wünschte mich häuslich und abgeschlossen, wi il die Frau nie nach den Seiten schauen soll, sondern meistens in sich hinein oder zum Mann auf. PERSONALCHEF: Es war kein legaler Vorgesetzter, was ich zum Beispiel bin. NORA: Doch war er ein Vorgesetzter! In einer Bank. Ich gebe Ihnen den Kai, 261A001846 r ! sich nicht, wie er, von Ihrer Stellung verhärten zu lassen. PERSONALCHEF: Die Einsamkeit, die oben am Gipfel besteht, schafft immer Verhärtung. Warum sind Sie abgehauen? NORA: Ich wollte mich am Arbeitsplatz vom Objekt zum Subjekt entwickeln. Vielleicht kann ich in Gestalt meiner Person noch zusätzlich einen Lichtstrahl in eine düstere Fabrikshalle bringen. PERSONALCHEF: Unsere Räume sind hell und gut gelüftet. NORA: Ich möchte die Menschenwürde und das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit hochhalten. PERSONALCHEF: Sie können überhaupt nichts hochhalten, weil Sie Ihre Hände für etwas Wichtigeres brauchen. NORA: Das Wichtigste ist, daß ich ein Mensch werde. PERSONALCHEF: Wir beschäftigen hier ausschließlich Menschen; die einen sind es mehr, die anderen weniger. NORA: Ich mußte erst mein Heim verlassen, um ein solcher Mensch zu werden. PERSONALCHEF: Viele unserer weiblichen Angestellten würden kilometerweit laufen, um ein Heim zu finden. Wozu brauchen Sie denn einen fremden Ort? NORA: Weil ich den eigenen Standort schon kannte. PERSONALCHEF: Können Sie maschineschreiben? NORA: Ich kann büroarbeiten, sticken, stricken, nähen. PERSONALCHEF: Für wen haben Sie gearbeitet? Namen der Firma, Anschrift, Telefonnummer. NORA: Privat. PERSONALCHEF: Privat ist nicht öffentlich, Zuerst müssen Sie öffentlich werden, dann können Sie ihre Objektstellung abbauen. NORA: Ich glaube, ich eigne mich speziell für außergewöhnliche Aufgaben. Das Gewöhnliche verachtete ich stets. PERSONALCHEF: Wodurch glauben Sie sich zu solcher Außergewöhnlichkeit prädestiniert? NORA: Weil ich eine Frau bin, in der komplizierte biologische Vorgänge vorgehen. PERSONA IX ;i IUI': Wie sind denn Ihre Qualifikationen auf dem Gebiet, das Sie außergewöhnlich nennen? NONA: I. Ii li;il>e ein anschmiegsames Wesen und bin künstlerisch begabt. I'EKS« >NAI.< 111 < 1 •: Dann müssen Sie eine weitere Ehe eingehen. N< IN A Ii Ii habe ein .m\< liniiegsames, rebellisches Wesen, ich bin keine einfache l'i i-.iiiiln liki ii , k Ii bin vielschichtig. I 'IHM Iii A11 MM- I l.iiiii solltet i Sie keine weitere Elte eingehen. NORA: Ich suche noch nach mir selber. PERSONALCHEF: Bei der Fabrikarbeit findet jeder früher oder später sieh selber, der eine hier, der andre dort. Zum Glück muß ich nicht htbrikarbeken. NORA: Ich glaube, mein Gehirn sträubt sich noch, weil es bei der Arbeit an der Maschine kaum verwendet werden wird. PERSONALCHEF: Ihr Gehirn brauchen wir nicht. NORA: Da es in der Zeit meiner Ehe brach lag, wollte ich jetzt eigentlich . . . PERSONALCHEF unterbricht: Sind Ihre Lungen und Ihre Augen gesund? Haben Sie Zahnschäden? Sind Sie zugempfindlich? NORA: Nein. Auf meinen Körper habe ich geachtet. PERSONALCHEF: Dann können Sie gleich anfangen. Haben Sie noch weitere Qualifikationen, die Ihnen vorhin nicht eingefallen sind? NORA: Ich habe seit vielen Tagen nichts mehr gegessen. PERSONALCHEF: Wie außergewöhnlich! NORA: Zuerst will ich jetzt das Gewöhnliche tun, doch das ist nur eine Zwischenlösung, bis ich das Außergewöhnliche in Angriff nehmen kann. 2 Fabrik, Werkshatte, Arbeiterinnen und Eva und Nora bei der Arbeit. ARBEITERIN: Hast du Kinder? NORA: Ja. Und alles in meinem Blut schreit nach ihnen. Das ist das Blut in mir. Aber mein Hirn sagr nein, weil zuerst ich komme, noch yormeinen Kindern. ARBEITERIN: Die Arbeit am Menschen oder auch die Textilarbeit kreist uns Frauen wohl ununterbrochen im Blut. Wir müssen dieses Blut nur noch aus uns herauslassen. EVA: Blutarmut ist hier übrigens eine beliebte Berufskrankheit. ARBEITERIN: Wenn man 8 Jahre lang den Weg nach ein und derselben Arbeitsstätte zurücklegt, kennt man fast jedes Gesicht. Auch höre ich wohl manchmal ein wenig den andren Gehenden zu und bin erfreut, wenn neben viel Belanglosem auch einmal vom Verband und den Interessen der Arbeiterschaft die Rede ist. ARBEITERIN: Nach 20 Minuten trete ich in das Tor ein und hänge mein zweites, dem Unternehmer gehörendes Ich, die Kontrollmarke, ab. ARBEITERIN: Um Vi! beginnt die Maschine, die mein Tätigkeitsfeld ist. EVA: Um 7 höre ich auf und bin überhaupt nichts mehr. ARBEITERIN: Während der Arbeit schweifen unsere Gedanken zu unsren 8 9 Männern und Kindern ab, die der echtere Teil von uns sind. ,■ EVA: Die Maschine ist der falsche Teil. NORA: Dann muß man es eben sein lassen und auf die Suche nach seiner ureigensten Begabung und Bestimmung gehen, die möglicherweise ganz woanders liegt. Ich selber wagte zum Beispiel diesen Schritt. EVA: Vielleicht liegt meine Bestimmung in der Brandmalerei oder im indischen Tempeltanz. Wie soll ich das wissen? NORA: Indem du soviel wie möglich versuchst. Indem du in dich hineinblickst und danach handelst, was du dort drinnen siehst. ARBEITERIN: Meine Bestimmung liegt in meinen Kindern, für die ich aber leider keine Zeit habe, weil ich fabrikarbeiten muß. NORA: Es gibt Augenbücke, da man alles rücksichtslos hinter sich lassen muß. EVA: Sie berücksichtigt eben die Tatsache, daß ihre Kinder ohne sie vor Hunger krepieren würden. ARBEITERIN: Wir können es ja alle nicht verstehen, Nora, wie du deine Kleinen schutzlos zurücklassen konntest! ARBEITERIN: Du mußt gleichzeitig ein Stück deines Herzens zurückgelassen haben! ARBEITERIN: Wir sind zwar einfache Frauen, wären aber nie dazu fähig. NORA: Ich bin eben kompliziert und war dazu fähig. EVA: Viele von uns wären gern komplizierter, etwa so kompliziert wie die Maschine, die sie bedienen. NORA: Da ich ein schwieriges Naturell habe, brauche ich auch viel Zeit für seine Erforschung. ARBEITERIN: Die Arbeit machen wir innerlich unbeteiligt, die Kindern machen wir unter großer innerer Anteilnahme. ARBEITERIN: Ohne unsre Kinder können wir nicht träumen, daß aus unseren Kindern einmal etwas Besseres wird. NORA: Der hohe Preis, den ich zahle, ist, daß ich innerlich geteilt bin, seit ich keine Kinder mehr habe. EVA: Angeblich soll die erste Teilung der Arbeit diejenige von Mann und Frau zur Kindererzeugung sein. Die Arbeit mit den Kindern aber hat die Frau allein. So wird sie wieder ganz gemacht und wie neu. AK REITERIN: Wenn wir geteilt blieben, würden wir unsere Arbeit schlecht verneinen, die nämlich einen ganzen Menschen erfordert. HVA: Manchmal tötet die Maschine, wenn sie will, damit wäre man wieder in Si in kc zerteilt. N< >KA: I luli, wie gruslig! ARBEITERIN Wir müssen dankbar sein, daß es uns noch nicht erwischt hat. ARBEITERIN: Schon erscheint der Meister mit dem neuen Patteizettel. NORA: Was für hübsche Kinderparties wir feierten! Manche Erinnerungen schneiden wie ein Messer in einen hinein. EVA: Im Gegensatz zur Maschine ist die Frau das völlige Gegenteil, weil sie vom Gefühl her funktioniert. Keiner muß an ihr drehen. ARBEITERIN: Wir Frauen sind zur Erwerbsarbeit gezwungen, wir dürfen kein Kindchen hegen und pflegen. EVA: Wenn sich uns allerdings eine männliche Hand entgegenstreckt, dürfen wir gleich ein, zwei oder mehrere Kindchen hegen. NORA: Ich habe diese männliche Hand gehabt und sie von mir gestoßen. EVA: Viele von uns würden einer männlichen Hand meilenweit nachlaufen. Anschließend würden wir liebend gern die Maschine mit dieser Hand vertauschen. NORA: Aber wenn sie die Hand dann haben, wird sich früher oder sparet ein Abgrund zwischen den Partnern auftun: die Krise. ARBEITERIN: Dafür haben wir keine Zeit. ARBEITERIN: Dafür haben nur die Bürgerlichen Zeit. EVA: Wenn eine Epoche der wirtschaftlichen Instabilität herannaht, in Gestalt einer Arbeitslosigkeit, wird man uns ohnedies von der Maschine wieder abpflücken. ARBEITERIN: Dann wird das Gebären wieder eine kreative Tätigkeil sein. EVA: Dann wird das wieder was sein: das Heim. ARBEITERIN: Dann werden wir endlich unsre Eheringe legal hergeben dürfen, wie du vorhin gesagt hast, Nora. EVA: Gold werden wir für Eisen geben. NORA: Nein, den Ring nicht hergeben, weil man muß, sondern weil man den inneren Drang hat, daß dir der Mann plötzlich wieder ein Fremder ist. ARBEITERIN: Sowas kennen wir nicht. Das ist für die Bürgerlichen. EVA: Zuerst Gold für Eisen, dann Kinder für den Frontkampf. ARBEITERIN: Dann wird auch eine Mutter wieder eine Schönheit ausstrahlen. EVA: Bald ist es soweit, bald naht diese Zeit! ARBEITERIN:"Außerdem sehe ich eine Zeit, in der der Mensch wieder Gefühle zeigen darf. NORA: Gefühle muß man notfalls vergessen können. EVA: Der Vater Gefühle des Schmerzes beim Bauchschuß, die Mutter (refUhlc der Freude, über ihre toten Söhne weinen zu dürfen. ARBEITERIN: Heute herrscht mehr Egoismus. NORA: . . . wird in dieser künftigen Zeit die Frau nicht eine Milchkuh sein? Davor bin ich schließlich geflohen! lo ARBEITERIN: Wird das schön sein, wenn sich Frauen an Männer schmiegen und sagen, sie wollen nie mehr eigenwillig und herrschsüchtig sein! ARBEITERIN: Ich stelle mir auch gerne vor, daß ich einmal erlebe, wie eine Frau zu einem Mann sagt, er soll nicht schlecht gegen seine Mutter sein, weil die ihm einst das Leben schenkte. ARBEITERIN: Wir könnten überhaupt noch viel mehr Leben schenken, wenn wir nicht ständig an der Maschine stehen müßten. ARBEITERIN: Wenn man sich einem Mann hingibt, ist das ein Höhepunkt im Leben, leider gewöhnt man sich auch daran. NORA: An die Maschine hab ich mich nie gewöhnt. Außerdem werde ich mich nie daran gewöhnen, daß die Frau ein andres Niveau haben soll als der Mann. Dagegen müßten wir doch auch kämpfen! ARBEITERIN: Das ist für die Bürgerlichen. Fabrik, Umkleideraum, Spinde, etc. Nora, Eva, der junge Vorarbeiter VORARBEITER: Ich liebe dich, Nora. Ich weiß von dem Augenblick an, da ich merkte, daß du das Beste bist, was ich im Moment erreichen kann, daß ich dich liebe. Allerdings bin auch ich das Beste, was du in deiner augenblicklichen Lage erreichen kannst. Ich sehe gut aus ... NORA: ... es bemerkt den auffälligen, sichtbaren und großen Penis eines Bruders oder Gespielen, erkennt ihn sofort als überlegenes Gegenstück seines eigenen, kleinen und versteckten Organs und ist von da an dem Penisneid verfallen, kann nichts Kulturelles mehr schöpfen. VORARBEITER: Das sind lauter Wörter, die ich noch nie gehört habe, bis auf eines, das mir aus Frauenmund nicht so gut gefällt wie aus Frauenhand. NORA: Ich schiebe den Gedanken an Liebe weit von mir. Die Liebe sucht nicht nach Wert oder Unwert, weil sie nie das Ihre sucht. Ich suche jedoch das Meine sehr kräftig. VORARBEITER: Auch ich suche das Meine, was du werden sollst. EVA: Warum kann nicht ich die Deine werden? Ich tue alles für dich! VORARBF.ITIiR: Ich will nicht:, daß man sich mir anbietet, ich will, daß man sich kostbar macht. Ii VA: Ich hin schon seil Jahren Iiier, und mich liebst du überhaupt nicht. VORARBEITER: Noras Wcihlit likcii isi unzerstörter, weil sie noch nicht so lan-)',<■ an der Maschine stein. Nota isi mein Erau als du. EVA: Meine Slü< k/alilcn sind aber höher. I.! NORA: Für die Liebe ist jetzt keine Zeit, nur für die Selbstfindung ist Zeit. EVA: Wenn du mich schon nicht lieben kannst, so konzentriere dich wenigstens auf die Tatsache, daß sie die Produktion verschleppen, den Maschinenpark nicht mehr erneuern und unsere Wohnsiedlung verfallen lassen! VORARBEITER: Eine Frau verhärtet, wenn ihre Gefühle nicht erwidert werden. Du brauchst dich nicht zu wundern, daß deine Liebe nicht von mir erwidert wird. EVA: Wenn wir unsre Häuser nichr mit Blumenkästen aufputzten, fiele der Mangel an Renovierung noch deutlicher ins Auge. VORARBEITER: Aus dir spricht kein Funke Gefühl. NORA: Das Volk ist in seiner überwiegenden Mehrheit angeblich so feminin veranlagt, daß weniger nüchterne Überlegung als vielmehr gefühlsmäßige Empfindung sein Denken und Handeln bestimmt, sagt Adolf Hitler. EVA: Das gehört doch im Moment nicht hierher! VORARBEITER: Ich höre dir gerne zu, Nora! Den Worten folge ich nicht, doch deine Stimme ist Musik. Musik deshalb, weil Gefühle eine Frau verschönen. EVA: Aber ich liebe dich doch! VORARBEITER: Das ist mir egal. EVA: Merkst du nicht, wie unsere Häuser verfallen? Unter Blumenvasen, Spitzengardinen und Gartenzwergen zerbröckeln? Hast du denn nur mehr Augen für Nora? Du solltest doch früher mal sogar Vertrauensmann. . . NORA unterbricht: Frauen müssen solidarisch und nicht eifersüchtig sein weil sie von Natur aus einen starken inneren Zusammenhalt haben. VORARBEITER: Wenn man liebt, merkr man keine Verkommenheit kannst mich daher unmöglich so stark lieben wie du behauptest, Eva. NORA: Wie kannst du so deinen Stolz verletzen lassen, Eva? EVA: In der Liebe muß man seinen Stolz vergessen können. NORA: Das könnte ich niemals. Aber ich will dir trotzdem eine Freundin sein. Willst du, Eva? EVA: Du hast leicht großzügig sein! VORARBEITER: Ich will Nora. Ich will Nora. NORA: Die Liebe sucht nicht das Ihre, ich aber suche das Meine noch sehr stark. Ich bin in einem Prozeß der inneren Gärung. EVA: Es wird ohnedies eine Zeit kommen, da man für Gefühle keine Zeit mehr haben wird, weil die Fabrik hier vor die Hunde geht, weil unsere Arbeitsplätze ... VORARBEITER: unterbricht Eben das mißfällt mir an dir! Daß du dir für Gefühle keine Zeit nimmst. Selbst ein Mann muß für Gefühle Zeit haben. NORA: Auch ich wehre mich stark gegen Gefühle. Wenn man fühlt, ist man oft der Dumme, weil man der schwächere Teil wird. 13 Eva, Du I EVA zu Vorarbeiter: Ich liebe dich aber! Ich wehre mich nicht. NORA: Diese Umgebung ist überhaupt nicht dazu angetan, Gefühle zu wecken. VORARBEITER: Wenn man liebt, verschwindet die Umgebung und nur mehr die Liebe ist da. ! NORA: Im normalen Liebesleben wird der Wert der Frau durch seine sexuelle Integrität bestimmt und durch jede Annäherung an den Charakter der Dir- nenhaftigkeit herabgemindert. , VORARBEITER: Das habe ich wieder nicht ganz verstanden, Nora, du sollst mit mir nicht so reden! Das demütigt einen liebenden Mann. , EVA: Vielleicht wird diese Umgebung ja kaputtgeschlagen, ohne daß die Liebe anklopft. VORARBEITER: Das habe ich verstanden, und es mißfällt mir sehr. EVA: Ich liebe dich! i VORARBEITER: Ich will aber nicht dich, sondern Nora. NORA: Ich liebe dich aber überhaupt nicht. j VORARBEITER: Das glaubst du nur, weil du nicht weißt, wie das ist, wenn man mich liebt. i i 4 i Nora fegt den Boden der Vabrikhalle aus, der Vorarbeiter sitzt dabei und schaut ihr zu, ab und zu faßt er sie an, doch Nora entzieht sich ihm immer wieder, die Sekretärin kommt dazu. SEKRETÄRIN: Ich habe Ihnen eine Mitteilung zu machen: Unser Herr Personalchef wird morgen nachmittag einige Herren einer befreundeten Firmengruppe durch unseren Betrieb führen. Sie haben heute, vorausgesetzt, daß Sie eine Frau sind, eine Stunde früher frei, um aufzuräumen, die Toiletten bitte nicht zu vergessen. NORA: Aber ich räume doch schon die ganze Zeit auf! SEKRETÄRIN: Außerdem wünscht die Firmenleitung, daß Sie ein kleines Be-grüßungsprogramm auf kulturellem Gebiet einstudieren. Sie, Frau Helmcr, sollen ja, wie man mir mitgeteilt hat, für derlei Dinge eine gewisse Eignung, die man vielleicht besser mit dem Worte Übung umschriebe, besitzen. Angeblich sind Sic ja früher in Kreisen gewesen, in denen Kultur etwas bedeute-ic, w;r, nun Minen um Ii bruchstückhaft ansieht. Also bitte: ein, zwei Lieder mu geniisi liicin ('.hor ohne Orchester, etwa wie beim Betriebsfest voriges Jahr, dann vicllcichi eine kleine Tanzeinlage, Sie wissen Bescheid. NORA: Sind Sie nicht auch eine Frau . . . ? SEKRETÄRIN: Natürlich. Sieht man das denn nicht? NORA: Warum sehen Sie dann nicht wie eine Frau aus, nämlich fröhlich? Warum sehen Sie ernst aus? SEKRETÄRIN: Wenn man eine Direktionssekretärin ist, hat man es nicht nötig, ständig ein Grinsen auf den Lippen zu tragen, weil die eigenen Lebensumstände auch ohne das schön sind. NORA: Fühlen Sie denn keine Verbundenheit mit mir? SEKRETÄRIN: Uns verbinden höchstens gewisse Gebunsschmerzen, wenn wir einmal ein Kind bekommen. Obwohl ich diese Schmerzen wahrscheinlich stärker empfinden würde, geht. NORA: Ich könnte morgen Tarantella tanzen. Das lehrte mich mein Gatte. VORARBEITER: Tanze nicht Tarantella! Du vergrößerst dadurch den Abstand zwischen uns nur unnötig. NORA: Könnte eine andre als ich Tarantella tanzen, tanzte sie sicher auch Tarantella. Außer mir kann doch keine etwas vortragen. VORARBEITER: Der Werkschor ist aber schon fast ein professionelles Gebilde! NORA: Wenn ich morgen getanzt haben werde, werde ich still aus deinem Leben gehen. Nachdem jetzt wieder einige Wochen verflossen sind, fühle ich einen Stachel in mir, der mir sagt, daß ich ohne meine Kinder nicht mehr sein kann. Diese lange Prüfung hat mich das erkennen lassen. VORARBEITER: Das darfst du nicht, Nora! Du darfst nicht gehn! Eine Arbeit ist nicht immer ein Schmerz oder eine Prüfung. NORA: Ich bin an meine Grenzen gestoßen. VORARBEITER: Wenn du tanzt, hebst du dich zu sehr von mir ab, und man sieht den Hintergrund, nämlich mich, nicht mehr. NORA: Ich halte es hier nicht mehr aus. ich muß in eine Umgebung gehen, wo meine Kinder auf mich warten. Nur mehr für die Kleinen will ich jetzt leben und so meinen Fehler wieder gutmachen. 5 Chefbüro. Der Personalchef hält eine Rede, Konsul Wey gang und ein zweiter Herr sprechen währenddessen leise miteinander, man merkt, daß sie die Hauptpersonen sind. Im Hintergrund noch zwei, drei Personen, Sekretär etc. PERSONALCHEF: Sie, Herr Konsul Weygang, sind wohl zu den führenden Persönlichkeiten der Wirtschaft unseres Landes aufgerückt. Um das Gemeinwohl sorgen Sie, der Textilkönig, sich als Präsident der Olympischen Gesell- I I 15 schaft, des Weltnaturschutzbundes, des Vereins zur Förderung des alpinen Gedankens, als Mitglied im Beirat für Entwicklungspolitik beim Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie im Außenhandelsbeirat des Haushaltsministeriums . WEYGANG leise: Mein Amt als Präsident des Groß- und Außenhandelsverbandes habe ich jedenfalls aufs Erfreulichste mit den kurzfristigen finanziellen | Schwierigkeiten meiner Firma verbunden. HERR: Ich erinnere mich gut, Weygang, gestützt auf Ihre Macht als oberster Chef dieser Organisation, die über 12 Landes- sowie 75 Fachverbände rund 100.000 Firmen repräsentiert, haben Sie sich um eine Staats-Bürgerschaft in der Höhe von 14,5 Millionen sowie um eine Zinsbürgschaft des Landkreises u. a. für ein hochspekulatives Baumwollgeschäft mit Ägypten bemüht. Man nennt das eine Verbindung von Amt und Geschäft. WEYGANG: Um Naturfasern kümmere ich mich jetzt nicht mehr, weil in der Kunstfaser die Zukunft liegt. HERR: Was soll diese Besichtigung für einen Zweck haben, sagen Sie es end- j lieh, Sie Geheimniskrämer! WEYGANG: Nur Geduld, mein Lieber! ,j HERR: Hat der Minister . . . Wey gang macht psst, Herr fährt leiser fort . . . hat der Minister die Akten noch immer nicht einsehen können? Sie wissen . . . PERSONALCHEF laut und selbstgefällig: In Ihrer engeren Heimat amtieren Sie, verehrter Herr Konsul, außerdem als Vorsitzender des Wirtschaftsbeirats der Landesregierung sowie des Wirtschaftsforums e. V. in unserer Hauptstadt. Nebenher sitzen Sie, Herr Konsul Weygang, noch in fünf Aufsichts- bzw. Verwaltungsräten , u. a. der Bräuninger-Brauerei, der Herdy-Bank sowie der staatlichen Kreditanstalt für den industriellen Aufbau. Wey gang und Herr haben sich zum Fenster hin ganz zurückgezogen, sprechen sehr leise. HERR: Was meinen Sie, wie weit schon durchgesickert ist, daß das ganze Gelände hier Spekulationsobjekt ist ... WEYGANG: Angeblich gibt es seit neuestem Unruhe in der Belegschaft, weil der Maschinenpark langsam veraltet, Sie wissen ja. . . dann die Wohnsiedlung . . . natürlich steckt kein Mensch mehr was rein. HERR: Die Leute kriegen Angst. WEYGANG: Das Schöne ist, daß auch die andre Seite, Sie wissen . . . unsre Freunde, denen das Objekt noch gehört, kein Interesse an Investitionen hat. Das Werk ist seit längerem unrentabel, das Transportproblem . . . HEKK: Sie wollen ohnehin die Produktion verlegen. WKYGANG: Andrerseits, wenn wir jetzt an dem Gelände zuviel Interesse zeigen, werden sie auch mißtrauisch, vergessen Sie das nicht. HERR: Andrerseits müssen sie uns, wenn sie verkaufen wollen, die Fabrik als rentabel präsentieren. WEYGANG: Andrerseits darf natürlich niemand auch nur ahnen, was gewisse interessierte Kreise mit dem Gelände in Wirklichkeit . . . HERR: Die Energiedebatte ist abgeschlossen . . . WEYGANG: Ja, der Energie gehört die Zukunft. Wie ich diesen Hugo Stinnes immer bewundert habe . . .! den Zusammenschluß des horizontalen Elektrizitäts-Trusts von Siemens-Schuckert mit den Kohle- und Eisenzufuhren der Rheinelbe zu diesem gigantischen Superkarteil . . . HERR: Wollten Sie damals nicht auch in Währungen. . . ? WEYGANG: Damals war ich noch nicht so weit. Sie wissen ja, er hat ausländisches Geld mit Märkern gekauft, die er sich von der Reichsbank geliehen hatte, was den Kurs der Mark natürlich ins Bodenlose gesenkt hat. HERR: Anschließend hat er die Darlehen zu einem Bruchteil des ursprünglichen Betrages zurückgezahlr. WEYGANG: Und die kleinen Leute haben das Geld in Schubkarren zu ihren täglichen Einkäufen gefahren. HERR: Das waren noch Zeiten! WEYGANG: Sie werden wiederkommen. HERR: Diesmal werden Sie dafür sorgen, daß sie wiederkommen. Wey gang macht pantomimisch psst, nimmt ihn bei der Schulter und führt ihn wortlos wieder nach vorne in die erste Reihe. Der Personalchef, der inzwischen ein Glas geleert hat, fährt fort: PERSONALCHEF: Für Ihre Mühen und Verdienste wurden Sie, Herr Konsul, nicht nur zum Ehrenbürger Ihrer Heimatstadt, zum Ehrensenator der dortigen Universität sowie zum Ehrenpräsidenten des Centre International du Commerce de Gros, Brüssel, ernannt, sondern zugleich mit dem großen Verdienstorden am Bande, der Ehrenplakette Ihrer Vaterstadt, dem großen silbernen Ehrenzeichen der . . . Wey gang will zur Türe hinaus, Herr will ihm folgen, doch Wey gang bedeutet ihm, er solle bleiben und die andren Herren beschäftigen. Herr gehorcht augenzwinkernd und mit beruhigenden Gesten. Weygang alleine und verstohlen ab. 6 Fabrikhalle. Sie ist sauber aufgeräumt und mit Girlanden, Lampions, Blumen, Zweigen etc. etwas primitiv aufgeputzt. Im Hintergrund vielleicht zwei, drei einfache Tische, gedeckt für das Festessen der Arbeiter. Nora übt im Vordergrund Tarantella. Sie tanzt. Nach einer Weile kommt der Personalchef. 16 17 PERSONALCHEF: Was wollen denn Sie hier so früh? NORA: Ich kann später nicht tanzen, wenn ich vorher nicht eine Generalprobe abgehalten habe. PERSONALCHEF: Nicht so stürmisch. Erhöhen Sie lieber Ihre Stückzahlen! NORA: Gerade so muß es sein, tanzt immer wilder. PERSONALCHEF: Ihre Bewegungen könnten stattdessen ruhig etwas sinnlicher ablaufen. NORA: Ich bin hier in keinem Nachtklub oder Kabarett. Ich bin privat hier und tue meinen Kollegen einen Gefallen. PERSONALCHEF: Dadurch, daß Sie hier tanzen, tun Sie nicht Ihren Kollegen, sondern der Firma einen Gefallen. NORA: Das ist doch das gleiche! Zusammenarbeit ist, was zählt. PERSONALCHEF: Sie tanzen zu ungeil. NORA atemlos: Geilheit, Pornographie ist ein Akt des Tötens der Frau, während Männerbünde stets geheiligt wurden durch die Entweihung der Frauen. Das ist ein Ritual patriarchalischer Herrschaftserhaltung, nichts anderes. Pause. Sie tanzt. PERSONALCHEF: Was Sic immer für Wind machen wegen der primitivsten Dinge. NORA atemlos: Mein Gatte nannte es unanständig, wenn ich zu wild tanzte. PERSONALCHEF: Hat Ihr Mann Sie bezahlt? Na sehen Sie. Wir hingegen bezahlen Sie gut. NORA: Nicht mehr lange! Ich werde bald in meine ursprüngliche Umgebung zurückkehren, die besser für mich geeignet ist. Im Hintergrund tritt unbemerkt Weygang auf, bleibt jäh stehen und beobachtet, seinerseits unbeobachtet, Nora beim Tanzen. Nora tanzt immer wilder, flicht akrobatische Kunststücke hinein, macht die große Brücke. PERSONALCHEF: Hören Sie auf, mir wird schon beim Zusehen ganz schwindlig! Das muß Ihnen ja furchtbar w.ehe tun. Nora tanzt weiter. Sie werden sich noch was brechen! Nora tanzt weiter. Wey gang tritt endlich hervor und scheucht den Personalchef, der sich tief verbeugt, mit einer Handbewegung weg. Personalchef ab. WEYGANG: Mein Gott, was für ein beachrlicher Frauenkörper! Gäbe es solche Körper in unsrem Leben nicht, nie könnten wir uns regenerieren. NORA: die ihn noch nicht bemerkt hat. Ich will wieder einmal die Bewegung ausführen, wie mein Gatte es mich lehrte, sinnlich, doch nicht zu sinnlich. WF.YG AN(; leise: Was dem einen zu wild oder zu schnell ist, ist genau richtig für mich. Wovor eine kleinere und feigere Natur zurückschreckt, das zieht mich magist Ii an. Nora tanzt weiter, bemerkt plötzlich Weygang und erschrickt. NORA: Wer sind Sie? tanzt nach einer kleinen Pause wieder weiter. Wey gang schweigt. Ich fühle, daß Sie nicht nur an meinem Körper, sondern auch an meiner Seele interessiert sind. Das habe ich sofort gespürt. Schon lange hat sich niemand mehr für meine Seele interessiert. WEYGANG: Mir ist ja, als ob der Blitz in mich einschlägt. Wie kommt das? NORA tanzend: Nicht wahr, es ist ein Zusammenklang aus Körper und dem, was in dem Körper drinnen ist?! Das Innere einer Frau beachten viele Männer zuwenig. WEYGANG: Ich dagegen fühle mich zu ganzheitlicher Betrachtung fähig. Plötzlich fährt etwas wie ein Pfeil durch mich hindurch. Es ist nicht das leidige Waffenverdikt des Versailler Vertrags, sondern du bist es! NORA: Man darf eben den Körper nicht vom Kopf trennen. WEYGANG: Was entsteht plötzlich in mir? Es wird doch nicht etwas wie ein Gefühl sein, was ich längst verschüttet glaubte? NORA: Wenn etwas derart Starkes von einem Besitz ergreift, dann darf man sich nicht wehren. WEYGANG: Auch ich darf einmal ein Privatleben haben. NORA: Darf ich Ihnen diesen bescheidenen kleinen Tanz widmen? tanzt die ganze 7.eit über, wirft ihm jetzt ihr Halstuch wie bei einem Stierkampf zu. WEYGANG: Ich fange es auf und übernehme damit gleichzeitig eine heilige Verpflichtung. Werden Sie jetzt nur für mich tanzen? Nur für mich? NORA: Ich werde die Welt um mich herum vergessen und nur für Sic tanzen. Sie sind ein fremder Mensch und kommen mir doch so nah und vertraut vor. Auch in mich schlägt plötzlich dieser Blitz ein. WEYGANG: Jetzt sind es schon sehr viele Blitze. NORA: Sie sehen mich plötzlich mit einer Spur Unsauberkeit in Ihren Gedanken an. Ich weise aber diese Blicke nicht wie sonst zurück, sondern erschauere unter ihnen. Etwas Neues ist an mich herangetreten. WEYGANG: Darf ich mein neuestes teuerstes Gut nicht ansehen? NORA: Sie besitzen doch hoffentlich noch viel teurere Güter?! WEYGANG: Selbstverständlich. Doch sie entwerten zusehends im Vergleich mit dir. NORA: Das sind Worte, die eine Frau aufblühen lassen. Es sind lang entbehrte Worte. Sie tanzt näher an ihn heran, schmiegt sich plötzlich an ihn. ' WEYGANG: Du hast noch die Tarantella im Blute, das merk ich. Und das macht dich noch verführerischer. NORA: tanzt noch einmal davon. Ich versuche, mich diesen unsichtbaren Fäden ein letztes Mal zu entziehen. Nicht sprechen bitte! Nur gemeinsam 19 schweigen. Sie kommt in Weygangs Arme. Dieser Pelz erinnert mich an etwas Langentbehrtes. Gleich werde ich alle Schranken beiseitefegen. Auch diese Fabrik ist eine solche Schranke. WEYGANG: Wie heißt du? NORA: Nora. WEYGANG: Wie die Hauptfigur des gleichnamigen Theaterstücks von Ibsen? NORA: Was Sie alles wissen ... Sie sind so stark! WEYGANG: Vor einem starken Gefühl kann auch ein Mann erschrecken. Sie sind keine gewöhnliche Arbeiterin, Sie sind etwas ganz andres. NORA: Meine Herkunft ist kein Geheimnis, obwohl ich ein geheimnisvolles Wesen bin. Die Herkunft stammt aus einem besseren Milieu. WEYGANG: Ein jähes Erschrecken überkommt mich. NORA: Ich erschrecke mehr als du, weil Gefühle mehr weiblich sind. WEYGANG: Ich werde dich hier herausholen. Der Unternehmer ist nicht der böse Wolf, als den ihn die Öffentlichkeit sieht. Als Gewinne gelten schließlich noch nicht einmal alle Zinsen, die mein Eigenkapital trägt. NORA: Ich beobachte, wie auf deinem Gesicht unerbittliche Härte in raschem Wechsel mit unvorstellbarer Zärtlichkeit kommen und gehen. Dieser Wechsel fasziniert mich. WEYGANG: Als ich dich während der Tarantella jagen und locken sah, da kochte mein Blut. NORA: Wie deine Blicke auf meiner Haut brennen! Sie ziehen mir förmlich die Kleider vom Leibe. Ich wehre mich nur noch schwach. Ein unglaublich starker Sog geht von dir aus. Im Hintergrund treten die Arbeiterinnen in Festtagskleidung auf und formieren sich zum Chor. Ganz im Hintergrund auch ein paar männliche Arbeiter für die tiefen Stimmen. Sie stehen unbeweglich da und warten auf ihren Einsatz. WEYGANG: Motor des Wachstums: Jener Satz, um den die Verzinsung des Eigenkapitals die marktübliche Vergütung für langfristig verliehenes Geld übersteigt. Das ist die Prämie für mein Risiko des Scheiterns und der Lohn für die Gefahr, auf meinen Waren sitzenzubleiben. NORA: Solche Worte lassen eine ziehende Schwäche in meinem ganzen Körper entstehen. Gleich muß ich mich unwillkürlich so weit zurückbiegen, daß mein Kopf beinahe den Erdboden berührt, tut es. WEYGANG: Du tanzest ja, als ginge es um Leben und Tod, wohl deshalb, weil es um mich gehl, nie In w:ihr?! NORA: Ith schlage ein Rad und mache zum Abschluß einen Spagat, tut es. Ächzend rit hu* itli midi wieder auf, müde, aber glücklich. //// es. 20 WEYGANG: Ich kann meinen Gefühlen jetzt nicht länger entfliehen. Sie umarmen einander. Die Arbeiter beginnen leise zu summen. Vorarbeiter hält es nicht länger aus und stürzt aus dem Chor heraus auf Nora zu. WEYGANG: Nora, komme zu mir! NORA: Ich kann nicht mehr nein sagen. Ich sage ja! VORARBEITER schüttelt Nora: Nora, du kannst nicht so einfach fortgehen! Du kennst diesen Mann doch gar nicht! NORA: beachtet ihn nicht. Ich muß diesem Ziehen nachgeben. WEYGANG: beachtet Vorarbeiter nicht. Ich danke dir. Ich werde für dich sorgen. VORARBEITER: Du mußt bei mir bleiben, Nora! Du kannst nicht mit einem fremden Mann mitgehn. NORA zu Vorarbeiter: Ein Mann muß auch lernen zurückzustehen vor dem Stärkeren. Das ist in der Natur so weise eingerichtet. VORARBEITER: Geh nicht, Nora! Ich werde dich sicher hier herausholen können! Ich werde unermüdlich Kurse besuchen und Aufstiegschancen wahrnehmen. NORA: Schließe dich endlich der Meinung an, daß auch Männer Gefühle empfinden dürfen. VORARBEITER: Ich kann ja gegen meine Gefühle nichts ausrichten! NORA: Ich liebe ihn. VORARBEITER: Du liebst nur sein Geld! NORA: Schon einmal ist Geld ein schlimmer Abstieg für mich gewesen, ein zweites Mal werde ich einen Aufstieg nehmen. Geld will ich diesmal von meiner Liebe fernhalten. WEYGANG: Wollen wir nicht endlich gehen, Liebste? Gleich führe ich dich zu meinem wartenden Automobil. VORARBEITER: Wenn ich nun aber ohne dich nicht leben kann, Nora? NORA: Das Leben geht immer weiter. WEYGANG: Komm! Eine ganze Ewigkeit liegt vor uns. PERSONALCHEF schüchtern: Wir haben aber noch ein kleines Kulturprogramm . . . Weygang und Nora stehen umschlungen, während die Arbeiter immer noch die Anfangstakte summen. NORA: Ach ja, bitte, Liebster! Ich soll doch das Sopransolo singen! Mach mir die Freude! WEYGANG: Wenn meine kleine übermütige Hummel denn durchaus will NORA: Oh bitte, bitte . . . schmeichelnd hüpfe ich aus dem Stand heraus sehr oft und sehr hoch in die Luft empor, tut es. 21 WEYGANG: Da kann ich freilich nicht nein sagen. Das sind ganz neue Töne in meinem Leben. Nora geht in die Mitte des Chors und singt mit den anderen einen Kirchenglockenwalzer Bim bam bim bam. Während die Arbeiter singen. WEYGANG: In der Wirtschaft sind nicht Naturkräfte mit ihren zwingenden Folgen, sondern beseelte Menschen am Werke. Sie bedürfen leitender, ordnender Prinzipien, um nicht Chaos und Anarchie Tür und Tor zu öffnen. Die Bühne verdunkelt sich langsam. Der Chor singt im Dunkeln weiter: »Oh, wie wohl ist mir am Abend« — Kanon. 7 Fabrikbesichtigung. Die Arbeiterinnen sitzen an ihren Maschinen und »schauarbeiten« demonstrativ für die Gruppe der Besichtiger. Die beiden Gruppen wechseln sich in den Dialogen ab. Nora hat Weygangs Mantel um, er hat den Arm um ihre Schulter gelegt und beschäftigt sich zwischendurch immer wieder liebevoll mit ihr. Nora nickt demonstrativ zu Weygangs Worten. EVA leise: Etwas wirft seinen Schatten voraus. Es ist möglicherweise der Schatten der Spekulation. ARBEITERIN: Oft bin ich müde und abgespannt, daß ich weder lesen noch schreiben kann. Aber welcher Unternehmer fragt auch nach Geist und Wissen der Arbeiterin? ARBEITERIN: Und doch sehne ich mich, trotz Arbeit, ein Mensch zu sein, und als solcher zu leben. EVA: Wenn man aber die Liebe erleben darf, sind alle Schatten verflogen, und nur mehr die Liebe ist da. ARBEITERIN: Man müßte mehr auf sich aufmerksam machen ... EVA: Wenn wir uns etwa ins Zuschneidemesser stützten oder uns von der Krempelmaschine beziehungsweise dem Reißwolf in Stücke hacken ließen . .. ARBEITERIN: Nut dürften wir uns nicht allzusehr verstümmeln. Ein Resrder Weiblichkeil müßte gewahrt bleiben. ARBEITERIN: Haß wir geschlagen werden, tröstet unsre Männer darüber hinweg, «laß wir sie über die Zustände nicht hinwegzutrösten vermögen. ARBEITERIN: Es ist keiner so niedrig, daß er nicht noch etwas Niedrigeres hätte: seine Frau. WliYCiANC laut: Mii dem Stand der F.hc sieht und fällt das Gemeinwesen. 1 ll'RK: Hie einen sind die I lülcrinnen unsres Hauswesens und werden wiederum viin uns slrengsieiis gehüiei , die anderen sind garnichls. WEYGANG: Der Mann hat eine Begierde und einen Trieb. Die Frau ist Gegenstand des Triebes. Die Frau reizr und läßt den Trieb sich an ihr befriedigen. HERR: In der Erotik kann ein Mann stark anarchische Gedanken ausleben. Der Mann wird von deren Illegalität fasziniert und enthemmt. WEYGANG: Ein Mann kann auch oft über die bürgerliche Moral siegen, vorausgesetzt, er gehört überhaupt der bürgerlichen Klasse an. HERR: . .. Der Mann siegt durch Zerstörung, Kampf, Raub und Gewalt über die bürgerliche Moral. WEYGANG: Unser Trieb kann sogar durch den Kopf der Frau gereizt werden. Den Mann reizt es in Wirklichkeit noch mehr, diesen kleinen Kopf ebenfalls zu unterwerfen. HERR: In der Wirtschaft und mit Hilfe der Wirtschaft geht es um das Überle-1 ben. WEYGANG: Die Frau hat als Subjekt keinen Anteil an revolutionären Gedanken und Aktionen. Das bedeutet in der Praxis zum Glück, daß mindestens die Hälfte der Menschheit wegfällt, wenn es um umstürzlerische Akte geht. ARBEITERIN wieder leise: Ein stolzer ernster Mann würde sich über uns beugen, uns das Blut mit seinem weißen Stecktuch abwischen, uns in weiche Kaschmirdecken hüllen und zu seinem Automobil tragen. EVA: Auch die Blutflecken auf den schneeweißen Lederpolstern würde uns dieser gütige Mensch nachsehen. ARBEITERIN: Er wäre kein Gigolo, von denen ich schon gehört habe, daß es sie gibt. EVA: Durch irgendetwas muß er wertgemindert sein, sonst bekämen wir ihn doch niemals für uns! ARBEITERIN: Besser als durch Impotenz, Körperschäden, Idiotie oder Charakterschwäche, wäre er durch ein Alter behindert. ARBEITERIN: Ich möchte aber lieber einen jungen .. . ARBEITERIN: Für Jugend kannst du dir nichts kaufen. \ ARBEITERIN: Jung bin ich selber. EVA: Lieber jung und reich als arm und alt. \ ARBEITERIN: Mir wäre Impotenz egal. ARBEITERIN: Mir wäre ein Aussehen egal, weil hur die Liebe und das Wesen zählen. . WEYGANG wieder laut: Im unverdorbenen Weibe soll angeblich kein Geschlechtstrieb hausen. Nur die Liebe wohnt darin. Das Weib hat den Naturtrieb, einen Mann zu befriedigen. HERR: Leider ruiniert sich die Frau oft bewußt am Arbeitsplatz. WĽYGANG: Zum Glück gibt es uns noch, die wir uns als Empfänger von Beschreibungen weiblicher Schönheit verstehen. HERR: Längt die Invcstitionslust an zu sinken, beginnt die Industrie, zu teuer gewordene Arbeitskräfte in Gestalt des schönen Geschlechts einzusparen. WEYGANG: Daß Frauen immer das Schönste an sich kaputtmachen müssen: Zuerst die Hände, dann das Gesicht, dann den Körper! HERR: Jedes Volk und jede Klasse hat die Frauen, die es verdient. WEYGANG: Die Frau ist das, was nicht spricht und von dem man nicht sprechen kann. HERR: Genau. Dieser Freud sagt, daß jemand erst erfahren muß, daß er kastriert ist, bevor er zu sprechen anfangen kann. WEYGANG: Der Mann muß der Frau ihre Kastration erst beibringen, äh, ich meine, er muß sie sie lehren. HERR: Sehr richtig. Außer dem Penis kann sie sonst nichts mehr verlieren. WEYGANG: Interessant! Sie haben das also auch gelesen . . . HERR: Na, stellen Sie sich vor, die beiden Geschlechter wären gleich und alle Exemplare wären auch noch gleich schön! WEYGANG: Furchtbar. ARBEITERIN leise: Mir wäre auch ein geistiger Schaden recht, weil man den durch Liebe, Zuwendung und Geduld wieder wettmachen könnte. ARBEITERIN: Mir wäre nur der Charakter wichtig. Schön müßte er dafür nicht sein. Trinken soll er nicht. ARBEITERIN: Schließlich ist mein Mann ja auch nicht schön. ARBEITERIN: Meiner auch nicht. ARBEITERIN: Auch meiner nicht! ARBEITERIN: Ihr habt ja alle schon Männer. Ich aber wäre frei! Frei für ihn! EVA: Impotenz wäre vielleicht ganz gut. Man müßte dann keine Kinder mehr gebären. ARBEITERIN: Wenn ein Geld da ist, machen Kinder nichts. ARBEITERIN: Nur das Wesen zählt. Während der letzten Sätze der Frauen geht die Unternehmer-Delegation. Weygang, der sich alles genau ansieht, nimmt Nora mit sich, die Arbeiterinnen bleiben allein zurück. 8 //// Mause des Unternehmers Weygang. Herrenzimmer. Weygang, der Minister, der Sekretär Weygangs, der sich im Hintergrund hält. MINISTER: Nora lebt nun schon seit einigen Monaten in Ihrem Haus, lieber Fritz, und die Zeit konnte ihrer Schönheit noch nichts anhaben. WEYGANG: Was Frauen betrifft, zählt für mich, ausgehend davon, daß sie leicht verderbliche Ware darstellen, Qualität vor Quantität. MINISTER: Wenn man jedoch bedenkt, wie rasch Sie Ihren Bestand auszutauschen beziehunsweise zu ergänzen pflegen, kommt man beim Rechnen doch auf eine gewisse Quantität. WEYGANG: Und was sagen Sie zu Noras Körper, lieber Minister? MINISTER: Es ist beinahe undenkbar, daß er bereits mehrere Kinder geboren I haben soll, wie ich gehört habe. WEYGANG: Der Mensch verwirklicht sich jedoch in seinem Tun. MINISTER: Der eine mehr, der andre weniger. WEYGANG: Die Wirtschaft muß Maßnahmen treffen, nicht für eine Welt, wie sie sein sollte, aber nicht ist, sondern um der Welt zu helfen, wie sie ist. MINISTER: Oder wie es Sokrates so trefflich ausdrückte: Ich weiß, daß ich nichts weiß, haha ... WEYGANG: Und er fügte hinzu: Aber Ihr wißt nicht einmal das, haha .. . MINISTER: Entweder weiß man, oder man weiß nicht. WEYGANG: Wissen ist Macht. MINISTER: Garnichts ist garnichts. WEYGANG: Das soll wohl bedeuten, daß die Gerüchte stimmen. MINISTER: Welche Gerüchte? WEYGANG: Sie wissen genau, was ich meine. Ich habe das Werk besichtigt. Man hat versucht, auf dilettantische Weise, möchte ich sagen, den Anschein zu erwecken, als handle es sich um eine Firma mit gesunder Infrastruktur. MINISTER: Und handelt es sich oder nicht? WEYGANG: Völlig verrottet. Die Transportkosten sind ihnen längst zu hoch. Sie planen eine Verlegung. Es muß allerdings eine Person existieren, die ein Interesse daran hat, mir das Ganze anzudrehen. MINISTER: Soweit ich informiert bin, wollen die meisten Aufsichtsratsmitglie-I der erst mal schließen und dann in Ruhe abwarten, ob die Grundstückspreise vielleicht in Zukunft einmal anziehen werden. WEYGANG: So lange können wir nicht warten, und Sie wissen das. Ich hoffe, Sie wissen das! Ich muß die Person herausfinden, die das auffallend interessierte Glied in der Kette ist. MINISTER: Einer ist immer der Schwächste, das lehrt uns die Natur mit ihren zahlreichen Wundern. WEYGANG: Auf dem Boden, der noch nicht der Meine ist, der aber der Meine sein wird, falls Sie mir die Informationen besorgen, lernte ich Nora kennen, die nun die Meine ist. 25 MINISTER: Eine solche Frau . . . WEYGANG: Meine Nora, mein Sonnenschein und mein kostbarster Besitz. MINISTER: . . . könnte auch gut mein Sonnenschein sein. WEYGANG: Sie hat nicht nur ein Gesicht und einen Körper, sondern auch noch eine beträchtliche Allgemeinbildung. MINISTER: Sie sind ein guter Geschäftsmann, Fritz, das muß man Ihnen lassen. Sie verstehen es zu verkaufen. WEYGANG: Der Gedanke, mich je von ihr zu trennen, schneidet wie ein Dolch durch mich hindurch. Nachdem der Schnitt vollführt ist, schiebe ich den Gedanken weit fort. MINISTER: Ich alter Kenner sage: der Mythos Frau — die Haut, der Körper als der Ort, in den sich der ewige Widerspruch eingeschrieben hat! Zuviele Laien sind auf diesem Gebiet als Wilderer tätig. WEYGANG: Das Kapital ist jedoch von allergrößter Schönheit. Nicht einmal Vermehrung beeinträchtigt seinen hervorragenden Wuchs. MINISTER: Sie hat eine starke Kindlichkeit wie beispielsweise Wedekinds Lulu sie auch hat. Sie hat keinen moralischen Maßstab. WEYGANG: Ja. Ich liebe sie und bin ihr vollkommen verfallen. MINISTER: Auch ich könnte sie lieben. WEYGANG: Ist was dran oder nicht? MINISTER: Woran? Mit Geld allein ist es diesmal nicht abgetan, lieber Fritz. WEYGANG: Kapital ist ängstlicher Natur. Es scheut vor der Abwesenheit von Profit oder der Drohung von nur sehr kleinem Profit zurück wie die Natur vor der Leere. MINISTER: Die Natur scheut keineswegs vor der Leere zurück, sie trachtet sie vielmehr aufzufüllen. Das deckt sich zufällig mit meiner privaten Philosophie, die der Thermodynamik entnommen wurde, WEYGANG: Ein Bild, der Thermodynamik entnommen? MINISTER: Das Maß der Entropie ist das Maß der Unordnung. Die Natur strebt demnach vom Chaos zur Ordnung. Die geringste Unordnung wäre der Wärmetod des Universums, wenn nämlich alle Atome die gleiche Temperatur besäßen. WEYGANG: Daraus läßt sich wohl schließen, daß die größte Entropie in einer idealen sozialistischen Gesellschaft herrschte, in der alle gleich viel besäßen. Die es aber zum Glück nie geben wird. Dieses Ereignis käme nämlich dem einro|)is( heu Wärmetod des Universums gleich. MINISTER: I )iesc Katastrophe gilt es, mit vereinten Kräften zu verhindern, sie wird aber ohnedies nicht eintreten, weil die menschliche Natur dagegen ist. WEY(JAN(i: Die Natut begünstigt den Gewerbetreibenden im großen Stil, wie sie übrigens auch die Liebe begünstigt, meine zu Nora zum Beispiel. Wie immer die üblichen Schweizer Konten? MINISTER: Ja. Aber diesmal müssen Sie was drauflegen, mein Gutester. WEYGANG: Was denn? MINISTER: Ihre Nora reizt mich nicht unbeträchtlich. I WEYGANG: Die Frau, die ich liebe, werde ich niemals verschachern, eher ver- schachere ich mich selber oder meinen rechten Arm. [ MINISTER: Dann eben nicht! WEYGANG: Mit Nora werde ich noch im hohen Alter Zusammensein, Phile- i mon und Baucis. MINISTER: Im hohen Alter möchte ich ganz bestimmt nicht mit ihr Zusammensein. WEYGANG: Allerdings dauert, nach meinen Erfahrungen selbst die größte Leidenschaft nur eine kurze Dauer. Wenn Sie warten, bis meine größte Leidenschaft abgeklungen ist, kriegen Sie sie. MINISTER: Abgemacht. WEYGANG: Noras Verlust wird mir wie einige Messer in mein Herz schneiden. MINISTER: Sie müssen sie ja nicht umsonst hergeben. Die Regierungen dreier Länder reißen sich um das Geschäft, und ich habe den Schlüssel dazu. WEYGANG: Na gut, sagen wir in drei Wochen. Von größter Schönheit aber ist das Kapital. MINISTER: Das in Frage stehende Objekt wird an der bewußten Stelle gebaut. Sie wissen selbst, wie ideal das Gelände ist, dünn besiedelt, jede Menge Kühlwasser, lange Anfahrtswege für diverse Bürgerinitiativen, keine nennenswerte Industrie, etc. etc. WEYGANG: Ist das auch ganz sicher? Sie wissen wohl Einzelheiten? MINISTER: Auch der Ministerpräsident der Provinz ist dafür. WEYGANG: Gut. MINISTER: Im Frühjahr wird der Wert der Grundstücke das Zehnfache betragen. Aber wahrscheinlich noch mehr. WEYGANG: Hauptaktionär ist die Conti-Bank, nicht wahr? Und in der Conti-Bank ist eine Schwachstelle. MINISTER: Sehr richtig. WEYGANG: Herr Minister, ich danke Ihnen für das Gespräch. Der Minister setzt sieb eine Sonnenbrille auf und geht durch eine Seitentür hinaus, Weygang wendet sich seinem Sekretär zu, der die Papiere, die er die ganze Zeit über sortiert hat, sofort weglegt. WEYGANG: Wissen Sie übrigens, was der Minister nicht weiß, wer einer der Direktoren der Conti-Bank ist? 27 SEKRETÄR: Nein, Herr Weygang. WEYGANG: Helmer. SEKRETÄR: Ich kenne keinen Helmer. WEYGANG: Sie kennen aber eine Nora. Sie war mit ihm verheiraret. SEKRETÄR: Unglaublich, Herr Weygang. WEYGANG: Den Posten hat er durch Protektion gekriegt, er selbst verfügt weder über festverzinsliche Wertpapiere noch über produktives Vermögen. Außerdem soll er unglaublich ehrgeizig sein und weit über seine Verhältnisse leben. Angeblich will er wieder heiraten, diesmal in die Jugend und in die Society hinein. SEKRETÄR: Sowas, Herr Weygang! WEYGANG: Gut, daß der Minister das nicht mitgekriegt hat, der hätte sonst seine Prämie glatt verdoppelt. SEKRETÄR: Wieso, Herr Weygang? WEYGANG: Wenn der auch noch den Helmer informiert, dann . . . das könnte den Preis ins Gigantische treiben . . . SEKRETÄR: Mein Gott, Herr Weygang! WEYGANG: Ich muß Helmer zum Verkaufen bringen, ohne daß er mißtrauisch wird, vielleicht wird das nicht so schwer sein, weil er ohnehin verkaufen will. SEKRETÄR: Um so besser, Herr Weygang. WEYGANG: Ich werde Nora auf ihn ansetzen wie einen Spürhund auf die Fährte. Sie wird alles Nötige aus ihm herauskriegen. SEKRETÄR: Das klingt plausibel, Herr Weygang. WEYGANG: Das richtige Leben habe ich ihr erst gezeigt, jetzt will sie sich dafür rächen, daß Helmer sie vom richtigen Leben jahrelang methodisch abgehalten hat. SEKRETÄR: Sowas, Herr Weygang. WEYGANG: Außerdem entfernte ich ihre frühere Engstirnigkeit beinahe ganz, ihr Horizont ist beträchtlich geweitet worden. SEKRETÄR: Das sieht man Frau Helmer an, Herr Weygang. WEYGANG: Wie können Sie ihr das ansehen mit Ihren beschränkten Erfahrungen, die sich auf zweitklassiges Material beschränken? SEKRETÄR: Ich kann es ja gar nicht erkennen, Herr Weygang! Ich habe das nur so hingesagt. WEYGANG: Diese schöne, wilde, weite, zügellose, verrückte Welt! SEKRHTÄR: Ja, Herr Weygang. WliYCANG: Ist gut. Ich brauche Sie heute nicht mehr. SliKKITÄK: Vielen Dank, Herr Weygang. WEYGANG: Die größte denkbare Schönheit jedoch besitzt das Kapital. Ihm kann auch Vermehrung äußerlich nichts anhaben. Es wird nur einfach mehr. 9 Noras luxuriöses Boudoir. Annemarie räumt auf. Nora tanzt bei der Türe herein, sie trägt ein elegantes Neglige. NORA: Ach, wird das herrlich, Annemarie, ich sehe es schon vor mir! ANNE: Endlich kann meine Frau Nora sich wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zuwenden! Ich sage immer: einen Mann verliert man, die Kinder aber bleiben einem. NORA: Diesen Mann werde ich nicht verlieren, meine alte Annemie! ANNE: Sie werden sich recht freuen, ihr Mütterlein wieder zu haben. Ich wage gar nicht, daran zu denken, aber, Nora, wenn Sie bald ein süßes Geheimnis in sich fühlten . . . ? Wenn Sie sich bald sogar zum vierten Male Mutter fühlten . . . ? NORA: Nun bin ich soeben erst zu Frau gemacht worden, nun will ich das genießen und nicht gleich ein weiteres Kind gebären . . . ANNE: Eine Frau darf nichr so sprechen, weil sie sich damit an den Kindern versündigt ... NORA: Ach, Annemarie, das verstehst du nicht, bist du doch niemals so ganz und gar Frau gewesen, wie ich es jetzt bin. ANNE: Wenn eine Frau heftig liebt, darf sie auch vor dem Äußersten nicht zurückschrecken, nämlich dem geliebten Mann ein Kindchen zu schenken. Wir Frauen sind doch alle dieselben, wenn wir heben! NORA: Nun geh, Annemarie, ich glaube, der Herr kommt! Weygang tritt ein, Annemarie geht hinaus, Nora wirft sich in Weygangs Arme. Geliebter, wie sich das Gefühl der Liebe doch ständig in mir verstärkt! Das Erschrecken vor der Größe dieses Gefühls macht mich äußerst weiblich. WEYGANG: Du mußt nicht erschrecken, mein Kleines! Wenn du schon erschrickst, dann erschrecke lieber vor dem Alter, das dir bevorsteht. NORA: Mein Liebster macht solche Spaße .. . Manchmal trifft es einen Mann und eine Frau gemeinsam, manchmal nur einen davon. Wenn es eine Frau alleine trifft, ist das schlecht, weil Frauen sowas viel schwerer verwinden. WEYGANG: Das ist eine Fröhlichkeit bei dir, die ganz von innen herauskommt. Bei Frauen ist das Innen meist sehr tief, während Männer manchmal seicht, hohl und flach sein können. Das Leben schleift die Männer mehr ab, weil sie heftiger lieben als die Frauen. 29 NORA: Das kleine Mädchen blickt hechelnd zur Tür und fragt, welches schöne Spiel wir heute spielen. WEYGANG: Bei einer Frau sind innen und außen gleich wichtig. NORA: Auffordernd blicke ich zur Eingangstür und frage: Gehen wir heute nicht aus? In einer Minute bin ich angezogen. WEYGANG: Nein, heute nicht. Heute muß ich mit meinem kleinen Mädchen einmal ernsthaft reden. NORA: Ooooch, leicht beleidigt stampfe ich mit dem Fuß auf und drehe mich einmal um meine Längsachse, dich jedoch schelmisch von unten her anblickend, um zu zeigen, daß ich es nicht so ernst meine wie es aussieht. WEYGANG: Nun, nun, meine Lerche muß nicht gleich die Flügel hängenlassen. NORA: Ich schlage mit meiner kleinen Faust auf den Tisch, blicke aber zwischen meinen wilden Haarlocken mit einer Mischung aus leichter Ängstlichkeit und banger Frage und süßer Gewißheit, geliebt zu werden, zu dir empor. WEYGANG: Nach all den vielen vielen Monaten kommt der Ernst des Lebens. NORA: Ja, weil unsre Liebe jetzt tiefer und reifer geworden ist. Weil man vor so einem Gefühl demütig und ernst wird. WEYGANG: Hat mein lockerer Zeisig wieder Geld verschwendet? NORA: Zwischen dem Ernst blitzt der Schalk hervor. Entfesselt tanze ich im Zimmer umher und lasse die weiten Ärmel meines Negliges flattern. WEYGANG: Ach, ich bin gar nicht froh heute, mein Herz. NORA: Noch rasch eine doppelte Pirouette tut es zum Abschluß, so, fertig! Wie gut, daß es in der Liebe nicht mein und dein gibt, sondern nur ein unser! WEYGANG: Leider/gibt es noch ein starkes mein. NORA: Nie suchte ich das Meine, immer nur das Deine! WEYGANG: Kapital ist das einzige, was seine Vermehrung ständig sucht und dabei doch nichts an Schönheit einbüßt, während Frauen, die eifrig ihre Vermehrung betreiben, an ihrem Äußeren oft Schaden nehmen. NORA: Aber ich plane ja gar keine Verunzierung meines Äußeren. WEYGANG: Könnte meine Heidelerche Verantwortung tragen? Mir ein echter Partner sein? Der Partnertyp ist eine Art Frau, die langsam modern zu werden beginnt. NONA: Uli bin aber mehr eine altmodische Frau, die ganz hinter den Mann /uriii kniii, daß man nur mehr ihn sieht. WI'YdAN». Dann verschweige ich es lieber . . . N< HtA Nrin, es. saj; es1 WI'Y(.AN<. Lioba nicht! Virllrulii muß ich mir dm h einen Partiicrtyp .in .1 Ii.ilI. ii , , , NORA: Sag es! Sag es! Jetzt mache ich noch eine formvollendete Arabeske tut es. WEYGANG: Der Kapitalist kann aus seinem Geld mehr Geld machen ohne zu produzieren. NORA: . . . indem er alles redlich mit mir teilt, Freud und Leid, was ihm wiederum doppelt an Liebe zurückkommt, haha! WEYGANG: Meine Lerche will sich wohl ausschütten vor Lachen. NORA: Dem Manne eine Stütze im Erwerbsleben, doch lieber einen Mann haben, der keine Stütze im Erwerbsleben benötigt, sondern allein erwirbt. WEYGANG: Es geht um ein sehr großes Geschäft, Nora. Daher bin ich auch so ungewöhnlich ernst und vielsagend. NORA: Solch ein vielsagender Ernst wirkt wie ein Hammer. Man fühlt sich so geborgen unter ihm. WEYGANG: Helmer, dein früherer Mann, ist nämlich hinein verwickelt. NORA lacht ungläubig: Nein! WEYGANG: Kapital kann auch Eigengesetzlichkeiten entwickeln und wuchern. NORA jäh und ernst: Mich verbinden nicht unbedingt freundschaftliche Gefühle mit Helmer, wie du weißt. WEYGANG: Obwohl auch du über dich hinauswuchern kannst, indem du diese kleinlichen Gefühle überwindest? NORA: Was? WEYGANG: Es geht um eine Spekulation von gigantischen Ausmaßen. NORA: Geht wieder dein Leichtsinn mit dir durch! Wenn wir Frauen euch nicht bremsen würden . . . mit unsren kleinen Händen . .. WEYGANG: Ich muß ihn dahin kriegen, daß er macht, was ich will. Er muß aber glauben, daß ich mache, was er will. NORA: Dafür bin ich eine schwache Frau, daß ich mir nichts gefügig machen kann, daß ich dir aber gefügig bin. WEYGANG: Die körperlichen Spezialeigenschaften, die mich einst für dich einnahmen, können auch andre für dich einnehmen ... NORA: Oh, pfui, Bär! WEYGANG: Schließlich habe ich einiges in dich investiert. Mit Investition beschreibt man eine Masse von Gütern, die allesamt nur etwas gemein haben: sie werden nicht mittelbar verbraucht. NORA: Du hast mich aber verbraucht, Bär! Und wie schön war das! Ich tue alles für dich, alles bis auf das Eine. WEYGANG: Großzügige Menschen wie wir kennen das Eine nicht als Schranke, sondern als Schrankenlosigkeit. i, 31 NORA: Ich beuge mich weit zurück wie in Abwehr, tut es. WEYGANG: Kindfrauen wie du geben sich oftmals andren Personen hin, ohne dabei ihr Image als Kindfrau zu beschädigen. Sie machen sich andre Menschen sogar hörig, die sich anschließend oft erschießen. NORA: Pfui! Wie kannst du so abscheulich reden! WEYGANG: Mir bleibt keine Wahl. Sonst stocken Kauf und Verkauf, Handel und Wandel. NORA: Auch in einer Kindfrau kann etwas zerbrechen. WEYGANG: Solange noch die Möse hält . . . NORA: Bär! Ich rufe halt! Ich bedecke mein Gesicht mit den Händen und blicke fragend zwischen den Fingern durch, bereit, beim ersten Anzeichen eines Lächelns deinerseits wieder fröhlich im Räume umherzuhüpfen und April! April! zu rufen, tut es. WEYGANG: Mir tut es selbst am meisten weh. NORA: Dann tu dir nicht weh! WEYGANG: Manchmal muß man sich selbst bewußt verletzen. Manchmal sehen Frauen gerade daran, daß ein Mann sie stark verletzt, einen Beweis für seine Liebe. Weil er sich selbst dabei noch stärker mit verletzt. NORA: Nein! WEYGANG: Wie nennt man die Vögel, die lockeren, die alles verschwenden? NORA: Zeisige, begreift langsam. WEYGANG: Das Motto für die nächsten Wochen: Nicht wie ein Zeisig verschwenden, sondern selber geben. NORA: Aber ich gab doch viel .. - mich nämlich! WEYGANG: Ich gab auch viel: mich und Mehrwert. NORA: Das kannst du nicht von mir verlangen. WEYGANG: Wenn dich nun dein kleines Bärchen recht artig und herzlich um etwas bäte . . . NORA: Dann? WEYGANG: Dein Bär würde umherspringen und allerlei lustige Streiche machen, wenn du liebenswürdig und fügsam wärst. Ab hier schweigt Nora, Weygang redet mit verstellter Stimme ihren Part mit: Würdest du's dann tun? Erst muß ich natürlich wissen, um was es sich handelt. Bei der Spekulation handelt sich's um eine Eisenbahnlinie wie in dem Stück »Stützen der Gesellschaft«, auch von Ibsen. Eisenbahn! Wieso Eisenbahn? Schließlich gehören uns die in Frage stehenden Grundstücke noch nicht. Warum denn nicht? Weil wir sie erst kaufen müssen! Eigentlich soll man nicht mehr kaufen wollen, wenn man das Wichtigste schon hat: die Liebe. Die Welt wild dann doch nur um so rascher versinken, und nur unsre Liebe wird zurückbleiben. Die Welt kann aber erst dann versinken, wenn sie zuvor durch den Akt des Ankaufs geschaffen wurde. Aber mir tun die Menschen so leid, die jetzt dort arbeiten, egal, wo das ist. Immer denkst du an andre, wo du doch nur an mich denken sollst. Meist denke ich ohnehin nur an uns. Wir gründen andernorts, egal, wo das ist, eine neue Siedlung, die wir die Nora-Helmer-Blocks nennen . . . helle freundliche Wohnungen . .. die ersten Einbauküchen in der Geschichte des sozialen Wohnungsbaus . . . vielleicht sogar ... kaum wage ich es auszusprechen, weil doch eine gewisse Überwindung dazugehört ... die Nora-Wcygang-BlocksU! Die Nora-Weygang-Blocks! Habe ich recht gehört Liebster? Eigentlich hörte ich nur die beiden Worte Nora und Weygang. Ich antworte: Ja, vielleicht! Oh, Liebster! Ich antworte noch bestimmter: ja, wer weiß?! Ist es also wirklich nicht gemein, was ich da tun will? Nein. Und willst du unsren Bund wirklich durch die Ehe krönen? Möglicherweise ja. Oh, Liebster, endlich gehöre ich dir richtig und ganz. So verhält es sich mit dem Eigentum, meine kleine Lerche. Er umarmt Nora, die jedoch bleibt erstarrt stehen. Er sieht sie lange lächelnd an, dann geht er hinaus. 10 Noras Schlaßimmer, Annemarie, Nora. ANNE: Ihr Gesichtsausdruck ist so weich geworden, Nora, das besagt sicher, daß Sie sich Ihrer ursprünglichen Bestimmung besonnen haben... . NORA: Besonnen? Ich? ANNE: Gleichzeitig wirken Sie irgendwie durchsichtig. Wahrscheinlich deshalb, weil Sie sich so nach Ihren Kleinen verzehrt haben . . . NORA: Wovon redest du eigentlich? ANNE: Unser guter Herr Helmer und unser guter Herr Weygang werden niemandem eine Bitte abschlagen können, erst recht nicht die Bitte einer Mutter um ihre Kinder. NORA: Laß mich bloß jetzt mit den Bälgern zufrieden! ANNE: Meine kleine Nora macht Spaß, weil sie ohne ihre Kinder gar nicht zufrieden sein kann. NORA: In diesem Augenblick zieht sich eine Frau aus einem bestimmten sozialen System zurück, in unsrem Falle aus der Familie. 33 ANNE: Zerreißen Sie nicht die Fäden, die Sie unsichtbar mit Ihren Kleinen verbinden! NORA: hebt ein Strickzeug von einem Stuhl auf. Gehört Ihnen das Strickzeug? ANNE: Diese rohen Worte passen gar nicht zu Ihrem sanften Naturell. NORA: Du strickst also? ANNE: Sie sind doch bereits seit vielen Jahren Mutter, Nora, und immer noch der leichtsinnige verantwortungslose Wildfang ... NORA: Wissen Sie was, Sie sollten lieber sticken. ANNE: Aber es sind unschuldige Würmer. Auch ich mußte einst einen unschuldigen Wurm hergeben ... NORA: Weil das viel schöner aussieht. Sehen Sie mal: man hält die Stickerei so mit der linken Hand, und dann führt man mit der rechten die Nadel.. .so.. .hinaus in einem leichten, langgestreckten Bogen, nicht wahr...? ANNE: Vielleicht ist es sogar bald noch ein Würmchen mehr ... NORA: Beim Stricken dagegen.. .das sieht immer unschön aus. Übrigens ist der Kapitalismus eine Folge der auf die Spitze getriebenen Männerherrschaft, welche ich satt habe. Wirft das Strickzeug in die Ecke, Annemarie läuft ihm nach, kniet am Boden und fädelt die heruntergefallenen Maschen behutsam wieder auf. ANNE: Das sollte doch ein Geschenk für Ivar werden! Ein neuer Pullover zu seinem Geburtstage. NORA: Das Phänomen unsrer Reproduktionsfähigkeit ist das beruhigende Element, das herrscht, wenn die Frauen über ihre Regel oder ihre Kinder sprechen. Was viele zugleich aushalten müssen, gibt dem Einzelnen Sicherheit. ANNE: Nachdem ich die Strickerei wieder in Ordnung gebracht haben werde, werde ich die schöne große Gehpuppe für Emmy verpacken. Es hat geklopft. NORA: Na, mach schon auf! Annemarie steht ächzend auf geht öffnen. WEYGANG steckt pantomimisch-schüchtern den Kopf zur Türe herein, dann kommt er mit einem Blumenstrauß auf Nora zu: Ich will mich mit dieser zornigen kleinen Frau hier noch einmal aussprechen. Ich spreche mich aus und genieße gleichzeitig den Anblick dieser zornigen kleinen Frau, weil Zorn eine Frau verschönen kann. Er verabreicht ein loderndes Feuer. ANNE: Ich ziehe mich diskret zurück, weil Mann und Frau alleine bleiben wollen, sie geht. NORA: Oft gibt es, wenn ein Mann und eine Frau alleine bleiben, den zündenden Funken. Man sagt auch: es hat gefunkt. WliYGANG: Du hasi noch die Tarantella im Mut, das merk' ich. Und das 34 macht dich noch verführerischer. Horch! Wie hell deine Augen leuchten, wie erregt deine Backen blitzen, wie böse deine Zähne funkeln! NORA: Zuerst muß man die Familie auffliegen lassen, dann muß man alles übrige auffliegen lassen. WEYGANG: Wie deine Haare fliegen und wie auch dein Atem fliegt! Außerdem fliegt auch deine Brust hinter deinen Atemzügen. NORA: rennt ihm mit dem Kopf voran in den Bauch. Er hält sie lachend fest, sie ringen miteinander, Wey gang nimmt das Ganze nicht ernst, er wehrt sie lächelnd ab. WEYGANG: Wie alles bebt, was wichtig und wesentlich an dir ist ... ANNE: schaut erschreckt bei der Türe herein. Für Kinder ist das doch nichts. Kinder brauchen eine geordnete Umgebung, um geordnet aufwachsen zu können. 11 Bei Helmer daheim. Frau Linde umflattert Helmer eifrig und penetrant. LINDE: Liebster Torvald, der Tee kocht gerade! Ist das nicht fein? Solch einen Tee hätte dir deine frühere Frau, Nora, gewiß nicht zu bereiten verstanden. Helmer schweigt. Liebster! Willst du ein Stück Zucker, zwei Stück Zucker oder drei Stück Zucker? HELMER: Vier Stück. LINDE: Aber du hast doch sonst noch nie vier Stück genommen?! Auch der Tisch ist schon gedeckt. Ist das nicht fein? Helmer schweigt. Du ahnst nicht, wie glücklich mich selbst scheinbar unbedeutende Tätigkeiten, wie Zucker in den Tee werfen, beglücken! HELMER: Ich hingegen fühle überhaupt nichts dabei. LINDE: Weil ich dabei jedesmal denken muß, wie sehr meine besten Kräfte und Fähigkeiten bisher doch brachlagen. HELMER: Wo lagen? LINDE: Beim Büroarbeiten natürlich, liebster Helmer und Mann! Ich bin viel zu schöpferisch begabt, um auf die Dauer bürozuarbeiten, was ich jetzt erst erkannt habe. Mit deiner Hilfe, Liebster! Deine Exfrau Nora hat das ja nie begriffen. Gibt es eine schöpferischere Aufgabe als Kindern die ersten Schritte ins Leben zu erleichtern? Vor allem so tiefgreifend gestörten Kindern wie von der Mutter, der ursprünglichen Mutter, verlassenen?? HELMER: Na ja ... UNDE: Ein Mann kann so etwas nicht begreifen. Gerade deshalb lieben wir 35 euch Männer ja so, weil immer ein Rest Fremdheit zwischen Mann und Weib besteht. HELMER: Man läßt gewisse Leute nicht gern an sich heran, liebende Frauen zum Beispiel. IJNDE: Du fliehst wegen deiner großen Enttäuschung noch vor der Liebe, Tor-vald. Aber glaub mir, Nora war das nicht wert! Unter meinen geduldigen Frauenhänden wird sich das übrigens bald ändern. Wir Frauen können eines besonders gut: warten, wenn es sein muß jahrelang! HELMER: Ich muß jetzt viel alleine sein, seit Nora mich verließ. Ich muß jetzt in mein Innerstes hineinhören. Was ich dort höre, wird über meine Zukunft bestimmen. In groben Umrissen weiß ich es aber schon: Hochfinanz sagt mein Inneres. LINDE: Warte nicht zu lange! Vielleicht ist es doch etwas Falsches, was dir dein Innerstes zuflüstert. Ein Mann muß nicht immer nur hinausstreben, er kann auch zuhause bleiben. Außerdem steht zu befürchten, daß dir draußen ein möglicherweise anziehenderes Objekt als ich über den Weg läuft. HELMER: Ich brauche jetzt sehr viel Zeit für mich allein. LINDE: Liebesleid dauert keine Ewigkeit. HELMER: Auf Grund meiner schweren inneren Verletzung lasse ich jetzt niemanden meht an mich heran. LINDE: Nur ein Mann kann so sprechen! So stolz und so herzlos. HELMER: Ich bin ein sogenannter einsamer Wolf geworden, ein lone wolf, was sehr oft von Frauen gerade dehalb begehrt wird. LINDE: Du sollst aber von andren Frauen nicht begehrt werden! Nur für mich darfst du dich rückhaltlos öffnen, Torvald! HELMER: Wir einsamen Börsenhaie jagen stets alleine unsre Beute. Mit starken Reißzähnen bewaffnet, schnappen wir das scheue Wild Geld den anderen weg . . . mit unsren bewehrten Fängen .. . LINDE: Von dir geht ein untrüglicher Geruch nach Macht aus, Torvald. Wenigen ist es vergönnt, ihn zu riechen. Darum liebe ich dich ja so sehr. Aber auch darum, weil ich, als Einzige, weiß, wie zärtlich und sanft du sein kannst. HELMER: Wann sollte ich je sanft gewesen sein? LINDE: Es genügt, daß deine Linde es weiß. Du brauchst jemanden, der mit zarter 1 land den täglichen Kleinkram von dir fernhält. HHI.MER: Das Kapital ist von großer Schönheit, Anziehungskraft und Eigenge-St'izli« likcil. [INI >l\: Wie du sprichst . . . als ob du nie etwas andres getan hättest! Wir Frauen sind «Li rliri ungeübt. NHI.MEK: lind was isl inil Krogsiad? LINDE: Bei Krogstad: keine Erfüllung für mich. HELMER: Warum eigentlich nicht? LINDE: Krogstadt srrahlt kein Fluidum von Macht aus, dem ich schon völlig verfallen bin. Es strahlt übrigens ganz stark von dir aus. Krogstadt hat keine Position im Wirtschaftsleben. Du bist das meiste, was ich zu erreichen vermag. HELMER: Ich bin das meiste, das Frauen, die viel mehr erreichen könnten als du, erreichen können! LINDE: Willst du deine kleine Linde etwa eifersüchtig machen? Das ist nicht anständig, wenn man einen Tieferstehenden, der einen wahrhaft liebt, quält. HELMER: Dann nimm dir doch einen wirklich Tieferstehenden wie Krogstad, der dann auf deiner Ebene ist. Vielleicht quält der dich dann nicht ... LINDE: Du verletzest meine Weiblichkeit, indem du sowas sagst. HELMER: Wir einsamen Wölfe verletzen eben manchmal, ob mit Absicht oder nicht. Wonach wir riechen ist Geld. LINDE: Riechst du das selbstgebackene Teegebäck, liebster Torvald? Nur für dich buk ich es. HELMER: Ich habe für solche Dinge keine Zeit, das weißt du doch, er stopft sich das Gebäck geistesabwesend in den Kund. LINDE: Rieche, Helmer, bitte, mir zuliebe! Einmal nur! HELMER: Siehst du nicht, daß mich die Börsennachrichten fesseln? LINDE: Torvald, weil du gerade von Fesseln sprichst .. . HELMER plötzlich aufmerksam: Ja? LINDE: Wollen wir es wieder spielen, unser Spiel, dieses Spiel unsrer langen Nächte. HELMER: Wie meinst du? LINDE: Ein harter Charakter, der immer nur mit Jagen beschäftigt ist, darf selbst mal, in der Abgeschiedenheit seines Schlafzimmers, wo alles nur Denkbare gestattet ist, zum Gejagten werden! Das ist der Ausgleich, den die Natur fordert. HELMER: Ach Lindelein ... LINDE: Wir sind doch über moralische und kleinliche Maßstäbe erhaben, Torvald, nicht wahr? Ich erzähle es auch keiner Menschenseele weiter. HELMER: Willst du ... jetzt . .. ? LINDE: Deine Herrin sein, jawohl, Torvald! zieht sich etwas mühsam die Stiefel an. HELMER: Jetzt habe ich aber doch gar keine Zeit . .. weil ich doch . . . die Börsennachrichten ... LINDE: Doch Torvald, komm! Rasch! Hierher! 37 III.I.MI'K: Daß du ja iiiciiunilrin was davon ri/älilsl! LINDE: Niemandem! Das im linset allriiugrs Geheimnis, Torvald. I IHI.MEK: Schließlich isi das der Ausgle« Ii, den ein leidenschaftlicher Spieler und Spekulant, wie ii Ii, eben manchmal braucht. I.INDli: Sicher, sicher, Hclnicrchcn, komm peitschen! Komm zu deiner Herrin! Sofort, sage ich! Du wirst sehen, nachher fühlst du dich gleich besser, weniger abgeschlafft. HELMER: Ich und abgeschlafft? LINDE: Aber doch nur bis nachher! Komm jetzt . .. zieht ihn fort. HELMER: Aber die Kinder können doch jeden Moment kommen ... LINDE: Bis die Kinder wieder da sind, sind wir längst mit Peitschen fertig. Sie wollten heute bis zum Teich gehen, Schwäne füttern. HELMER: Dann aber fix! draußen Türe. Kinder stimmen. LINDE: Verflucht nochmal! Äh . . . jetzt sagen meine Instinkte auf einmal, daß ich mich auf die Kinder werfen und sie an meine Brust drücken muß. Offenbar wurde wegen Schlechtwetters der Spaziergang verkürzt. Ihr armen mutterlosen Kleinchen! eilt hinaus, das Folgende von draußen. Wie frisch und munter ihr ausseht! Nein, wie rote Backen ihr bekommen habt. Wie Äpfel und Rosen. Kinderstimmen immer dazwischen. Habt ihr euch gut unterhalten? Das ist ja fein. Ja so: du hast Emmy und Bob auf dem Schlitten gezogen? Alle beide? Ja, du bist ein tüchtiger Kerl, Ivar. Ach, meine süßen kleinen Püppchen! Wie? Mit Schneebällen habt ihr euch beworfen? Oh, da hätt' ich dabei sein mögen! ... 12 Weygangs Arbeitszimmer. Weygang und Helmer. Sie sind beide mit Cognac-schwenkern und Zigarren beschäftigt. »Männliche« Atmosphäre. Helmer wirkt servil. WEYGANG leise beiseite: Da haben wir also das schwache Glied in Person. laut zu Helmer: Sie wissen wohl, lieber Helmer, was uns beide heute zusammenführt: es ist das Kapital. HELMER: Oh vielen Dank, Herr Konsul. Wie Sie ganz richtig sagen, färbt das Kapital auf uns beide ab, das sage ich auch immer zu meiner Haushälterin, Frau Linde. Ich trachte, meine Verpflichtungen dem Kapital gegenüber in meiner Stellung stets einzuhalten. WEYGANG: Btav, Helmer. Sie sind noch nicht lange in unserem Club? HELMER: Habe erst seit kurzem die Ehre, Herr Konsul. Doch schon schieße ich wie ein Hai, pardon, ein Hecht zwischen den etwas verkalkten Säulen des Großkapitals hin und her und bringe frischen Wind hinein, Herr Konsul. WEYGANG: Sagen Sie nicht Konsul zu mir! Ich hoffe, Sie halten mich nicht für eine verkalkte Säule?! HELMER: Nie würde ich mir erlauben, verehrter Herr Weygang. WEYGANG: Freilich, eine Blutauffrischung können wir immer gebrauchen. HELMER: Wenn ich einmal ein Unternehmer sein werde, Herr Weygang, werde ich wie ein Pavlovscher Hund auf jenen starken Stimulus reagieren, der Erbe für die Kinder heißt. WEYGANG: Ach ja, Sie haben ja Kinder, mein Bester. HELMER: Gesunde Kinder, Herr Konsul. Zwei Söhne. WEYGANG: Wenn ich recht informiert bin, sind Sie zur Zeit noch immer Angestellter der Conti-Bank, nicht wahr, Helmer? HELMER: Alles in mir strebt aber nach Veränderung, die Horten von Eigenkapital lautet, Herr Konsul. WEYGANG: Ach, lassen wir das Geschäft doch einmal beiseite, Helmer! HELMER: Das kann ich nicht, Herr Konsul Weygang, weil es mir bereits in Fleisch und Blut übergegangen ist. Ich bin wohl für das Spekulieren mit Fakten und Zahlen geboren, Herr Konsul. WEYGANG: Sie sind eine blendende Börsenerscheinung, Helmer. HELMER: Das glaube ich auch, Herr Konsul. Aber nehmen Sie dem Kapitalisten nicht die Kinder, Sie nehmen ihm damit alles, was ihn motiviert, Vermögen anzusammeln und Menschen zu beschäftigen. Er wird es bald verprassen! Vielleicht sogar im Ausland, wohin ich auch einmal möchte, Herr Konsul. WEYGANG: Ich weiß, ich weiß, Helmer. HELMER: Aber ich habe schon einen Fuß in der freien Marktwirtschaft stehen, Herr Konsul. WEYGANG: Und den zweiten wollen Sie wohl so bald wie möglich nachziehen, was? HELMER: Oh, das wäre wunder-wunderschön, Herr Konsul. WEYGANG: Dann nehmen Sie einen Augenblick Ihren einen Fuß aus der freien Marktwirtschaft und den andren aus der Bank ... HELMER: Das fällt mir schwer, Herr Konsul, zu tief schon bin ich dort verwurzelt. WEYGANG: Überbrücken Sie diesen Spalt und denken Sie daran, daß ein genialer Manager sich auch ab und zu vom Managen ausruhen muß . . . HELMER: Oft sagte ich schon zu Frau Linde, meiner Haushälterin, ich müßte mehr aus mir machen, Herr Konsul ... WEYGANG: Sic müssen sich in Ihnen angemessenen Kreisen bewegen ... 38 39 HELMER: Wo sind diese Kreise, wo sind diese Kreise, Herr Konsul?? WEYGANG: Fühlen Sie sich schon reif genug dafür? HELMER: Sehr reif, sehr reif, verehrter Herr Konsul! WEYGANG: Wenn Sie sich wirklich stark genug fühlen, dann könnte ich Sie bei einer Freundin einführen ... HELMER: Oh, lieber, verehrter Herr Konsul . . . WEYGANG: Ich bin nicht Ihr lieber Konsul. HELMER: Verzeihen Sie bitte, Herr Konsul, ich habe aber nicht »mein lieber« gesagt! WEYGANG: Diese Dame, von der ich eben sprach, verbringt ihre Zeit, indem sie von Blüte zu Blüte flattert. HELMER: Etwas Speichel tropft mir bei dem bloßen Gedanken aus dem Mundwinkel, Herr Konsul. WEYGANG: Das ist ein ganz neuer und origineller Typus Frau, in den Staaten nennt man ihn den »Flapper«. HELMER: Ich könnte mein Englisch auffrischen, Herr Konsul ... WEYGANG: Die Dame ist ein Geschöpf ohne jegliche moralische Maßstäbe, das doch gleichzeitig wie ein Kind aussieht. Äh . . . bedeutungsvoll ... sie kann auch oftmals sehr grausam sein . . . HELMER: Mein Gott . . . die Dame ist Amerikanerin, sagten Sie ... Herr Konsul? Werde ich mich ihr auch verständlich machen können . . . sollte man denn wirklich ... geheime Wünsche . . . einer Ausländerin . .. WEYGANG: Reden Sie doch keinen Quatsch, Helmer! Vielleicht sind Sie doch noch nicht so weit, und das Erlebnis würde Sie umwerfen . . . HELMER: Es wird mich nicht werfen, Herr Konsul, bestimmt nicht! Ich verspreche! Eine Kindfrau, das wäre etwas andres als das, was man üblicherweise zu Hause stehen hat, Herr Konsul. WEYGANG: Dann ist das abgemacht, Helmer? HELMER: Wie soll ich Ihnen für Ihre Güte danken, Herr Konsul?! WEYGANG: Sie wissen doch noch gar nicht, ob Sie das Ganze überhaupt verkraften können, Helmer . . . HELMER: Mein Gott, Herr Konsul, wenn der große Jäger einmal zum Gejagten wird . .. Und ich darf wirklich kommen, Herr Konsul? WEYGANG: Selbstverständlich, Helmer. Ich werde Sie einführen. HERR: Oh vielen vielen Dank für die großzügige Einladung. Und herzliche Grüße an die Dame, äh . . . werde nicht verabsäumen, pünktlich zu erscheinen . . . WF.YGANG: Das hoffe ich. Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige, Helmen licn! 13 Noras Schlafzimmer. Nora und Annemarie. Nora ist im Schlafrock und schminkt sich vor dem Spiegel, Annemarie räumt auf. ANNE: Ich kann mir das gar nicht ansehen . . . Das muß den Herren ja entsetzlich wehtun! NORA: Die wollen, daß es ihnen wehtut, Annemarie! ANNE: Ich erinnere mich der furchtbaren Prügel, die mir mein Vater als Kind NORA: Dein Vater war von Natur aus arm und verkommen, Annemarie, diese Herren sind von Natur aus reich. ANNE: Daß sich von Natur aus wohlhabende Männer so zurichten lassen . . . Sie sollten lieber Ihre Kinder schlagen, Nora, wenn Sie schon etwas schlagen müssen. Das ist die Natur der Frau. NORA: Meine Kinder würde ich nie schlagen! Und Frau und Natur ergeben nicht notwendigerweise zusammen ein Naturwesen. Man kann beide auch trennen. Keine Weiblichkeit auf Naturbasis mehr! ANNE: Einer Frau, die so etwas tut, muß das noch mehr weh tun als einem Mann, der so etwas erleidet, weil das der Frau gegen ihre Natur geht. NORA: Das verstehst du nicht, meine alte Annemarie. ANNE: Neues Leben zu machen, ist unsre Bestimmung, nicht altes Leben zu zerstören ... NORA: Deine vielleicht, meine nicht. Klingel. Sieh mal, wer draußen ist. Er kann's noch nicht sein, es ist noch zu früh. ANNE: Ein gebildeter Mensch kommt niemals auf die Sekunde pünktlich. geht öffnen. Von draußen die Stimme Helmers. HELMER: Pünktlich auf die Sekunde! So etwas kann unter Umständen die Voraussetzung für eine Karriere oder ihren Niedergang sein. Auch die Details darf man nicht außer acht lassen ... Sie sind doch ... Sie sind doch . . . ANNE: Annemarie. Meine Güte, der Herr Helmer! Die Stimmen werden deutlicher, kurze Zeit später stürzt Annemarie zur Türe herein. Frau Nora, Nora! Es ist der Herr Helmer! Es ist der Herr Helmer persönlich! Sollten sich nach so langer Zeit beide Hälften eines Ehepaares wieder zu einem Ganzen zusammenfinden ? NORA: Ich weiß, wer da ist, Annemarie. Nimmt den Schlafrock ab. Darunter trägt sie eine Sado-Ausrüstung, hohe Lederstiefel, etc. Sie holt eine Reitgerte und setzt sich eine Maske auf ANNE: Sicher will er wegen der Kinder mit Ihnen reden. Seien Sie verstän- 1 dig, meine Nora. will ihr Peitsche und Maske wegnehmen, Nora stößt sie weg. Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen. Nora! Seien Sie gescheit! Nora stößt Annemarie so heftig weg, daß diese strauchelt und beinahe fällt. Meine Nora wird gewiß das Richtige tun. Wenn eine Mutter an ihre Kinder denkt, tut sie instinktiv das Richtige. Wenn man mir mein Kind damals gelassen hätte, hätte ich in meinem Leben viele falsche Dinge nicht getan. Vielleicht kommen Mann und Frau jetzt endlich wieder zusammen und bilden eine Einheit? NORA: Halt die Klappe, Annemarie! Sag ihm bloß nicht, wer ich bin! ANNE: Nie würde ich mich zwischen die beiden Teile eines Ehepaars drängen, weil das, was zwischen ihnen besteht, leichter zu zerstören ist als Spinnweben. geht hinaus. Nach einer Weile kommt Helmer linkisch herein. Nora steht unbeweglich. HELMER: Oh guten Abend, gnädige Frau, wie steht das werte Befinden . . . äh . . . komm her, das ist wohl schwer, wenn man ohne festen Halt im Leben steht, also haltlos ist ... überreicht ihr mit einer Verbeugung einen Blumenstrauß. Darf ich mir erlauben . . . Nora wirft ihn in die Ecke. Meine Güte, es hat schon angefangen . . . gleich komme ich, gleich! . . . und sage bitte zu mir: so, mein Sklave, jetzt habe ich ein hübsch und fest, stramm und sadistisch ver- und zusammengeschnürtes Paket aus dir gemacht, damit deine Blutzirkulation besser funktioniert . . . prüft die Möbel mit dem Finger. Was für ein hübsches Heim! Schöne Möbel, — geschmackvoll. Ich hätte sie freilich lieber in dunklem Kaukasisch-Nuß als in heller Eiche, aber sonst ... beste Qualität ... äh, unsre Ordnung geht vom Menschen als Individuum aus. Nur in einer freien Wirtschaft kann der Mensch seine Individualität bewahren. NORA: Würden Sie bitte niederknien! HELMER: Entschuldigung, gnädige Frau. Aber Sie kommen mir irgendwie bekannt vor, figürlich meine ich. will sie anfassen, traut sich aber dann doch nicht. Sie sehen jemandem ähnlich. Wollen wir nicht vorher den Teppich wegrollen? ... äh ... ich möchte ihn nicht unnötig beschmutzen . . . dann will ich bitte auch noch, daß du mich raffiniert knebelst, mir dann noch ein Unterhemd von dir so fest um mein Gesicht bindest, daß ich es unmöglich von selbst abstreifen kann, und daß du dich dann bitte auch, nachdem ich dir wehr- und hilflos ausgeliefert bin, über mich lustig machst und harte, gemeine und ordinäre Dinge zu mir sagst . . . NORA: Auf die Knie! I llü.MHK: Verzeihung. Sofort, hebt ungeschickt die Hosenbeine und kniet nieder. Wollen gnädige Frau nicht schauen, ob jemand horchen kann? Das beruhigt mich. Hie- Dame, ich meine den Diensttrampel dort draußen, kenne ich M nämlich ... und auch Sie ... außerdem stopfe mir dann bitte noch alte Seidenstrümpfe von dir so derart fest in den Mund als es nur geht und knebel mich damit derart sadistisch, daß ich nicht den geringsten Laut . . . NORA: fesselt ihn. Sie sind Industrieller, hat man mir berichtet ... da haben Sie doch sicher Informationen, das Wesen der Industrie betreffend ... HELMER: Vielen Dank für die Fesselung, gnädige Frau! Und zieh dich dabei bitte so hauteng, sinnlich und aufreizend an als du nur kannst, ziehe dir ein hautenges schwarzes Unterkleid an, das sich so hauteng an deinen sinnlich und pervers üppig schönen, festen, prallen und wundervollen Busen schmiegt und spannt, daß es höher nicht mehr geht ... du Luder ... ebenso bitte ich auch um schöne, dunkle und lange Seidenstrümpfe und die hübschesten Schuhe, die du hast ... ich werde dir das in Zukunft alles genau aufschreiben, wie ich will, daß ich es besorgt kriege ... NORA: Nun, nun, nicht diese erschreckten Taubenaugen! Ich verzeihe dir deine Angst, obwohl sie im Grunde eine Beleidigung für mich ist. Ich verzeihe dir diese Beleidigung, weil sie zugleich ein Beweis deiner großen Liebe zu mir ist. verschnürt ihn. HELMER: Nicht so fest bitte, gnädige Frau. NORA: Wenn die Wirtschaft einen einmal fest in ihren Krallen hat, läßt sie einen nicht mehr so schnell los. Du mußt mir alles sagen. Je mehr du mir sagst, desto heftiger kann ich zuschlagen. HELMER: Ich will ja alles sagen! Diese Stimme kommt mir immer bekannter vor! NORA: Ich soll ja nicht reden, sondern du! HELMER: Wenn jemand, dessen Gedanken sonst sehr hoch im Raum herumfliegen, plötzlich durch Fesseln daran gehindert wird, diese Gedanken fliegen zu lassen, staut sich das unheimlich auf und ergibt schließlich eine Eruption. In der Wirtschaft sind nicht Naturkräfte mit ihren zwingenden Folgen, sondern beseelte Menschen am Werke, er wird immer mehr verschnürt. Ist das dort Sevres-Porzellan, diese Tasse mit den Blumen drauf .. . ? Wirklich, dieses Heim hat Stil und Geschmack. NORA: Jetzt will ich nichts von der Wirtschaft im Allgemeinen sondern von der Wirtschaft im Besondren hören, schnürt. HELMER: ... Und das nächste Mal ziehe dir bitte von dem an, was du hast, das Hautengste, was du hast. Du weißt, ich stehe schrecklich auf das und mag es sehr ... Bitte schaue auch bei dir nach, oder vielleicht ist es sonstwie möglich, gnädige Frau, ob Sie das nächste Mal ein paar feste lederne Riemen haben, vielleicht auch sonstige feste Stricke oder eine Wäscheleine, die bekanntlich jede Frau hat. . . . Schließlich ist der Mensch Subjekt der Wirtschaft und nicht die Wirtschaft selbst! wird geschlagen, aaah. stöhnt. 43 i :4 : m 5i -.f-t IS / Mtf* 'IM 4- Jiji NORA: Ich höre gleich wieder auf, wenn du nicht über deine beruflichen Probleme redest! HELMER: Ja Herrin! wird geschlagen, stöhnt. Der Mensch kann allein nicht überleben, er braucht den andren. Hohe Massenkaufkraft sicherr Gewinn. Schläge. Nicht so fest, bitteschön. NORA: Zu umständlich und zu wenig präzise, hört zu schlagen auf. HELMER: . . - bitte bitte nicht aufhören, liebe verehrte gnädige Frau! ... Vielleicht kannst du mich bitte, wenn ich das nächste Mal zu dir komme, gefesselt, gebunden, ver- und zusammengeschnürt, in Wachstuchschürzen fest eingepackt, zusammengeschnallt und mit deinem Kombinagehemd um mein Gesicht gebunden, so fest, daß ich es unmöglich von selbst abstreifen kann, bis zum nächsten oder übernächsten Tag so liegenlassen, bis du wiederkommst . . . wobei du mich bitte außerdem noch in der Wohnung einsperrst .. . aaah . . . NORA: hört auf zu schlagen und setzt sich hin. Ich brauche Details! HELMER: Ich sag's ja schon! Ich sag's gleich! stöhnt. Das nächste Mal mußt du bitte die Stricke und Lederriemen vorher in Wasser eine Zeitlang einweichen NORA: Soll ich wieder aufhören? HELMER: Aber nein, Verehrteste, Liebste . . . wird geschlagen, stöhnt. Nach meinen Informationen sind die Grundstücke und die darauf befindliche Tex-tilfabrik völlig verkommen und wirtschaftlich so gut wie ruiniert. Wir planen die Schließung des Werkes wegen Unrentabilität . . . NORA: Und wo liegt dieses Werk? HELMER: Ich werde dir zum nächsten Mal einen Brief geben, wie ich mir wünsche, von dir behandelt zu werden, und ich sage dir auch, daß ich darinnen recht ordinär schreiben werde, was ich möchte, daß du mit mir machen sollst . . . worauf du bitte sagen mußt, das macht nichts. Es gibt kaum etwas, wonach ich mich nicht sehne . . . schlagen bitte! Schlagen! Nicht aufhören, Ver-ehrtestc! NORA schlägt: Wo? HELMER: Die Lerchenau, die Lerchenau, die ist nicht nur bei Tage grau. Habe ich nicht gesagt, du sollst bitte fester schlagen? NORA: schlägt zögernder. Was? Die Lerchenau? HELMER: Ich werde in dem Brief nicht schön schreiben, wenn ich sage, wie schrecklich ich auf stöckelige Schuhe stehe, im Winter auf hohe enganliegende, hochhackige Pelzstieferl, auf hautenge schwarze Reizwäsche und dunkle Seidenstrümpfe, eventuell mit dunkler Naht . . . Mach bitte weiter, du Hexe! NORA: Die Lerchenau? HELMER: Diese Grundstücke wären normalerweise keinem Menschen, der auch nur eine Ahnung hat, anzudrehen. Aber ich schaffe es, indem ich das Gerücht ausbreite, daß dort vielleicht eine Eisenbahnlinie hingebaut wird . . . Weiter bitte! wird geschlagen, stöhnt. Ein Grund der Unrentabilität: das Transportproblem. Ich glaube immer mehr, daß wir uns kennen, gnädige Frau. NORA: Die Lerchenaus soll also verkauft werden, schlägt. Ich würde Eichkätzchen spielen und für dich von Ast zu Ast hüpfen, schlägt jetzt immer wilder. HELMER: Wir leben heute wesentlich weiter entfernt von den Wirkungen uns-rer Entscheidungen als früher, stöhnt immer häufiger dazwischen ... Ich hoffe doch, du hast all die Sachen, die ich dir aufschreiben werde. Auch einen schwarzen Busenhalter bitte. NORA: schlägt. Du also bist das, der die Lerchenau zu verkaufen har ... und du weißt auch noch andere Details, da bin ich ganz sicher . . . Mir aber genügt das große Ganze .. . deine kleine Heidelerche weiß sich den Rest schon zusammenzureimen . HELMER: Aufhören! Aufhören bitte, das ist denn doch zuviel! Nora schlägt in der Folge immer stärker. Du hast recht, wenn du nicht aufhörst, sobald ich »aufhören« sage . . . stöhnt . . . dann möchte ich bitte ferner, daß du auch mir Seidenstrümpfe anziehst und meine bestrumpften Schenkel mit Stricken von oben bis unten so stramm als du nur kannst . . . stöhnt. . . und dann noch andre Sachen bitte, die ich nicht so laut aussprechen kann, sondern nur bis zum nächsten Mal aufschreiben .. .stöhnt. . . nämlich mich nach allen Regeln der Kunst bitte so vergewaltigen, bis ich mich vor Wonne nicht mehr auskenne ... mich so viele Stunden als du nur Zeit hast, mit meinem Gesicht unter deinem sinnlich und pervers schönen Hintern und Busen sowie mit meinem Kopf zwischen deinen festen bestrumpften Schenkeln . . .stöhnt. . . Ich glaube, wir kennen uns, gnädige Frau. NORA: schlägt. . . wie unvernünftig ich heut wieder bin! Wie sich sowas doch vererbt, vom Papi auf das Töchterlein, schlägt wild. HELMER stöhnt: weiter werde ich schreiben, wie du bitte mit deinem. . . stöhnt. . . nein, ich kann das nicht laut sagen, ich werde auch das aufschreiben. Wenn nicht das aussichtslose Chaos jede wirtschaftliche Ergiebigkeit negieren soll, müssen Normen . . . ohne Aussicht auf Gewinn stockt das Rad ... Helmer fällt um und bleibt reglos liegen. NORA: Jetzt brauch ich meine Augen und meine feinen kleinen Hände nicht mehr so anzustrengen. Nimmt die Maske ab. Torvald! Hier spricht dein Zeisig. HELMER: kommt langsam zu sich. Nora! NORA: Dies Jahr brauchen wir doch wirklich gar nicht zu knausrig sein. Du wirst ja nun die Lerchenau verkaufen . . . Daß nur dein Leichtsinn nicht mit dir durchgeht! Daß du nur nicht borgen mußt! HELMER: Mein Gott, Nora ... ich plane nichts Unethisches. Sie haben doch kürzlich erst ihre Behausungen mit so viel Liebe renoviert ... sowas kannst du von mir nicht glauben, NORA: Doch. HELMER: Ich gebe es nur schweren Herzens zu: Ich habe gelogen, Nora! NORA: Ist es mein Eichkätzchen, das da rumort? HELMER: So sage es wenigstens nicht Herrn Weygang, obwohl es natürlich gar nicht stimmt! NORA: Oder ist es mein Zeisig, der da herumzwitschert? HELMER: Außerdem bin ich gesellschaftlich ruiniert, wenn herauskommt, was aus meiner früheren Frau geworden ist ... du zerstörst hiermit auch eine keimende neue Beziehung, Nora! Zu einem jungen Geschöpfe. NORA: Um so besser. HELMER: Nora, um unsrer gemeinsamen Kinder willen . . . beschwöre ich dich . . . niemandem etwas davon zu sagen ... nein, ich bitte dich, das bist du mir wohl schuldig . . .da du mich doch verließest, frauenlos zurückließest NORA: Au pfui, wie kannst du nur so abscheulich reden! HELMER: Um unsrer ehemaligen Liebe willen . . . NORA: Pfui, wie kannst du sowas sagen! Du hast noch die Tarantella im Blute, das merk' ich. Und es macht dich noch verführerischer. HELMER: Nora, du als Frau bringst so etwas über die Lippen? Nora! So hör doch, Nora! NORA: Ach ja, ja. Es ist wirklich herrlich zu leben und glücklich zu sein .Vielleicht kriege ich auch das Meer wieder einmal zu sehen?! Pause. Nora sitzt schwer atmend auf dem Bett. Nach einer Weile drückt sie auf die Klingel. Annemarie kommt herein, entfesselt umständlich und ächzend Helmer, hilft ihm auf die Beine, klopft seinen Anzug ab und führt ihn hinaus. ANNE: zurückkommend Das war aber nicht sehr schön von meiner kleinen Nora, die ich einst auf meinen Atmen wiegte. Der arme Mann! Sein Anzug war auch ganz schmutzig, der muß in die Reinigung, da hilft nichts. Schämen Sie sich was! 14 In Helmers Wohnzimmer. Helmer undKrogstadbei Tisch. Linde bedient die Herren. HELMER: Für privates Glück werde ich in nächster Zeit nicht viel Zeit haben. LINDE: Oh Liebster, zwischen deinem privaten und deinem beruflichen Glück darf es aber keine Schranken geben, sonst machst du dich kleiner, als du bist! HELMER: Ist das Essen denn noch nicht fertig? LINDE: Zwischen meiner Hingabe und dir steht ja auch keine Schranke. Meine Hingabe ist schrankenlos. HELMER: Hast du nicht gehört? Linde ab in die Küche. LINDE aus der Küche: So? Also ein großer Hund war da, der hinter euch herlief? Aber er biß doch nicht? Nein, artige Kinder beißen die Hunde nicht. So? Spielen sollen wir? Was sollen wir denn spielen? Verstecken? Ja, spielen wir verstecken. Bob soll sich zuerst verstecken. Ich soll's? Ja, ich will mich zuerst verstecken. Lärm aus der Küche, Krachen, Splitter. HELMER: Sagen Sie mal, Buchhalter Krogstad ... wir wissen alle aus dem Theater, daß Sie diese Frau, die da eben in der Küche, einst geliebt haben. KROGSTAD: Dies Gefühl ist in mir verschüttet. Ich glaube, ich kann in Zukunft nie wieder etwas fühlen, weil ich mich neuerdings für den Weg des selbständigen Geschäftsmannes entschieden habe, übrigens so wie Sie, Herr Helmer. HELMER: Ich hätte die Linde aber abzugeben. Vielleicht wissen Sie noch nicht, daß ich heiraten werde. Eine junge Dame aus allerbester Gesellschaft. KROGSTAD: Ich habe mich zwar für den Weg des Geschäftsmannes entschieden, habe aber noch gar kein Geschäft. HELMER: Wenn Sie mir die Linde abnehmen, bekommen Sie Ihr Geschäft und in der Linde auch noch eine zuverlässige Hilfskraft. KROGSTAD: Glauben Sie, sie wird das ohne weiteres akzeptieren? HELMER: Ach, wir beide, Sie und ich, wir kennen doch die Frauen . . . KROGSTAD: Ich kenne zusätzlich auch noch das Leben. HELMER: Ich kenne das Leben viel besser! Nur das Leistungsprinzip ermöglicht einen wirtschaftlichen, kulturellen und persönlichen Aufstieg. Es kann ferner Wohlstand und Reichtum erhalten, KROGSTAD: Zuerst brauche ich nur einen Ort, an dem ich dann was leisten kann. HELMER: Kriegen Sie, kriegen Sie. Aber da wäre noch etwas. KROGSTAD: Ja? Ad 47 HELMER: Hören Sie, Sie haben doch die Nora gut gekannt .. . KROGSTAD: Ja. HELMER: Ich habe sie wiedergesehen. Unter für sie unsagbar demütigenden Umständen, ersparen Sie mir Details! KROGSTAD: Dem Wiedersehen muß eine gewisse Tragik angehaftet haben. HELMER: Das Schlimmste aber ist, daß sie folgendes ruinieren könnte: Meine Kinder, meinen Haushalt, mich, meinen Ruf, Sie, Kxogstad, Frau Linde, meine Zukunft, mein Geschäft, meine Position, meine gesellschaftliche Stellung, meine zukünftige Ehe ... KROGSTAD unterbricht: Ich kann mir nicht denken, daß sie das alles zerstören könnte. HELMER: Ich weiß nicht, woher Sie es hat, aber sie ist plötzlich geschäftlich ungeheuer informiert. Von mir hat sie das nicht. KROGSTAD aufmerksam; Wie meinen Sie das? HELMER: Sie kann mich an den Abgrund bringen und vielleicht sogar in ihn hinein! KROGSTAD: Dann muß sie aber eine Menge Macht haben. HELMER wütend: I wo, keine Spur. Ich stelle mir nur gerade vor, wie es wäre, wenn sie eine längere Auslandsreise anträte ... KROGSTAD: .. . oder gar nicht mehr vorhanden wäre . . . HELMER: Sagen Sie nicht so grauenhafte Sachen! Zeigen Sie lieber Ehrgeiz, Erfolgsstreben, Gewinnstreben, Karrieredenken, Pflichtgefühl und Vertragstreue, Krogstad! LINDE: kommt mit einem Tablett herein. Das Essen ist fertig! zu Krogstad: Schneidet es nicht wie ein Messer in dich hinein, wenn du siehst, welch tiefe Bindung mich und Torvald verbindet? KROGSTAD: Hoffentlich keine Hülsenfrüchte, die darf ich nicht essen. LINDE wütend: Wenn hier einer etwas nicht essen darf, dann ist es mein Torvald hier! sie schmiegt sich an Helmer, der wehrt sie ärgerlich ab. Zu Krogstad: Siehst du's nun: nie denkt er an sich, immer nur an mich und meinen Ruf . . . weil wir doch noch nicht verheiratet sind . .. Daß ein Mann so zart empfinden und dabei so hart aussehen kann! teilt das Essen aus. Es dauert abends immer so lang, bis er die Härte des Geschäftslebens abgelegt hat . . . KROGSTAD: Ach, geschmortes Rindfleisch, das hab ich gern ... Hast du sicher mir zuliebe gemacht, was, Christinchen? LINDli wütend: Nein! Für Torvald und nur für ihn! Kannst du's denn immer noch nicht lassen, dich in eine für beide Teile so beglückende Beziehung hineinzudrängen? Freilich gelänge dir das ohnehin nie! KROGSTAD: . . . und junge Erbsen . . . prima, er will sich nehmen. AK : LINDE: hält ihn zurück. Zuerst nimmt sich mein Torvald. Finger weg! HELMER: Halt endlich die Klappe, Linde! LINDE zu Krogstad: Das sagt er jetzt nur, weil er vor dir seinen weichen Kern verbergen will, den er mir aber oftmals zeigt, wenn wir ganz allein sind. HELMER: Mensch, Linde ... LINDE zu Krogstad: Wurdest du's diesem edel empfindenden Mann ansehen, daß er manchmal eine Herrin hat, nämlich mich? KROGSTAD: guckt in einen anderen Topf. Junge Kartöffelchen ... so hab ich's gern. 15 Wieder Fabrikhalle wie früher. Die Arbeiterinnen, darunter auch Eva, machen gerade Frühstückspause. Der Vorarbeiter ist auch dabei, etwas abgehoben von den andren. Nora ist zu Besuch, ihre Kleidung ist zwar teuer, aber ihr ganzer Habitus wirkt nachlässig. Möbelteile liegen umher, es sieht ein wenig nach Heimwerkerwerkstatt aus. ARBEITERIN: Wie du siehst, sind hier große Fortschritte entstanden, ich denke nur an die kleine Werksbücherei, die wir uns einrichten dürfen. EVA: Bisher mußtet ihr mit eurem Buch an einem erleuchteten Schaufenster stehen, um lesen zu können, bald werdet ihr tatsächlich im Freien stehen, wartet nur ab! ARBEITERIN: So etwas überhört man am besten, Nora! NORA: Bildung ist Sinn für Schönheit und muß erworben werden. EVA: Die Schönheit ist schon da. Dem Himmel sei Dank! NORA: Bildung ist Sinn für Kultur und muß, ebenso wie der Charakter, erworben werden. EVA: Voraussetzung allerdings ist die Beseitigung von Armut und Zeit zum Denken. Bald werdet ihr viel Armut haben und jede Menge Zeit zum denken. Dann wird es aber zu spät sein. ARBEITERIN: Du mußt nicht auf sie hören, Nora, ungeliebte Frauen werden manchmal unleidlich. ARBEITERIN: Der Herr Personalchef hat uns auch eigens erlaubt ... ARBEITERIN: eine Kinderkrippe für die werkseigenen Kinder zu gründen. EVA: Um uns von den Gerüchten abzulenken, die Schließung lauten. ARBEITERIN: Es kann aber gar nicht mehr geschlossen werden . .. ARBEITERIN: weil die Sozialdemokratie dagegen ist, das wissen wir sicher. EVA: Schön, daß die Sozialdemokratie es dir gesagt hat. Sie hätte gleich besseres Baumaterial liefern können! 49 VORARBEITER: Ach, ich alter Heimwerker sehe, daß das für die Ewigkeit gemacht ist! Eva stößt mit dem Fuß kräftig gegen ein montiertes tSüctoer&revt, esjaitt oer-aus, weil die Mauer nachgibt. EVA: Nur schade, daß die Ewigkeit hier nicht allzulange dauern wird. ARBEITERIN jammernd: Jetzt hast du's kaputt gemacht! ARBEITERIN: Immer müssen sie tratschen, sticheln oder treten ... VORARBEITER: Die Sozialpartnerschaft hat uns gelehrt, mit jedem Menschen zu reden. EVA: Jawohl. Zuerst reißt sie die Schranke zwischen einem Menschen und dem andren ein, dann läßt sie dich voll in den andren hineinrennen. ARBEITERIN: Für die Sozialdemokratie haben wir unser Blut verspritzt . . . ARBEITERIN: Die Sozialdemokratie hat uns als Gegenleistung mit dem geistigen Rüstzeug versehen, unsre Arbeit durchzustehen. EVA: Zum Glück habt ihr mehr Blut in euch als Bildung. ARBEITERIN: Das wird sich aber rasch geändert haben! EVA: Schon im Krieg habt ihr viel davon hergegeben, und jetzt habt ihr noch immer welches! ARBEITERIN: Aus Büchern kann man über fremde Völker und Länder lernen. EVA wütend: Solang' ihr euch nur nicht drum kümmert, was vor euren Augen vor sich geht! ARBEITERIN dieselbe wie vorhin: Ein Beispiel: die Sozialdemokratie gab ein Treffen auf der Straße. Die Polizei war sehr schneidig. Es kam ein Reitertrupp herbeigesprengt, geführt von einem der feurigsten Reiter. Das Riesenungetüm, auf dem er saß, drängte uns gegen die Alleebäume. ARBEITERIN: Mir war — trotz der schon bekannten Anschauung der übrigen sozialdemokratischen Genossen — nicht wohl zumute. ARBEITERIN: Ich war durch das Pferd so an den Baum gepreßt, daß ich nicht schreien konnte. Der Atem verging mir. EVA: Und jetzt wartest du, daß die Sozialdemokratie sich revanchiert. ARBEITERIN: 1905, ich erinnere mich noch, bei der großen Wahlrechtsde-monstration, konnte euer Bezirk schon eine große Zahl Frauen zu dem gemeinsamen Zug stellen. ARBEITERIN: Herd und Kinder hatten diese Frauen verlassen, um für das Wahlrecht der Männer zu demonstrieren. ARlUilTEKlN: Wohl kein Teilnehmer wird jemals den feierlichen Vorbeimarsch vor dem Parlament vergessen. AHltlilTEUIN: Mäuschenstill war die ungeheure Menschenmenge, mitentblöß-irn Kopien. ARBEITERIN: Der einzige Laut, der in der Umgebung zu hören war, war der feste und sichere SFhritt der Arbeiterbataillone. ARBEITERIN: Das Aufgebot der Enterbten war ja nicht umsonst. ARBEITERIN: . . .nur die Ärmsten, die Frauen, tragen noch die politischen Sklavenketten. EVA: Und jetzt habt ihr ebenfalls eure Ketten weggeworfen und eine eigene Kinderkrippe errungen! Bravo! ARBEITERIN: Mir scheint, du machst dich über bedeutende Sozialleistungen lustig, Eva. ARBEITERIN: Dabei hast du gar kein eigenes Kind, um es in die Krippe zu stellen. ARBEITERIN: Sogar der Besitzer hat versprochen, an der Eröffnung der Krippe für die Allerkleinsten teilzunehmen! EVA schreit: Fällt euch denn nicht auf, warum sie ausgerechnet jetzt mit dem Verschönen anfangen? Nachdem alles hier schon verfallen ist? ARBEITERIN: Sie bereuen es eben und wollen einiges wieder gutmachen. ARBEITERIN: Sie schämen sich jetzt wegen ihrer vorherigen Lieblosigkeit. EVA: Die Berliner Genossen trugen 31 Mitkämpfer zu Grabe, die, als sie trotz des Verbots ihr Recht auf eine friedliche Maidemonstration verteidigten, provoziert wurden! Sie starben unter den Kugeln von SPD-Polizeipräsident Zör-giebel und seinen Schupos! ARBEITERIN: Mein Gott, Eva, das ist doch vorbei! Jetzt hat sich die Sozialdemokratie besonnen. ' NORA die sich starr und abweisend verhalten hat, plötzlich, etwas maniriert: Ich bin eine Frau! Die Geschichte der Frau war bis heute die Geschichte ihrer Ermordung. Ich sehe nicht, wie man Ermordung wieder ausgleichen kann, wenn nicht durch einen Akt neuerlicher Gewalt! ARBEITERIN: Was meinst du? VORARBEITER: Du vergißt, Nora, daß Kapital- und Firmeneigner einen immer kleineren Teil des Gesamteinkommens bekommen, das erscheint uns als Fortschritt, gemessen an den vielen Morden, die an uns begangen wurden. EVA: Jetzt dürfen wir immerhin am Leben bleiben, Nora! NORA: Hier wird alles abgerissen und verkauft weiden, das heißt, verkauft ist es schon, abgerissen noch nicht. VORARBEITER: Die Sozialdemokratie ist der beste Garant, daß nichts mehr über unsre Köpfe hinweg geschehen kann. EVA: Außer, daß eure Köpfe rollen dürfen. ARBEITERIN: Diese Zeiten sind zum Glück vorbei, außer, es kommt ein neuer Krieg, der aber nicht kommen kann. N< >KA: Sic weiden sagen, eure Wohnungen müssen einer Bahnlinie Platz machen, die zu eurem Besten ist, weil ihr damit in die Ferien fahren könnt! HVA: Ferien lassen sich besonders genießen, wenn keine Arbeit dazwischen liegt, weil die Arbeil verloren wurde. NORA: Aber in Wirklichkeit wird etwas viel Gefährlicheres hier gebaut werden und eure Kinderstühlchen in die Luft jagen. ARBEITERIN: Seit der französischen Revolution schimmern Gleichheit und Gerechtigkeit durch die Zweige des Unternehmensbaumes . . . ARBEITERIN: . .. jetzt sind sie endlich erreicht. ARBEITERIN: Nur wer nicht arbeitet, kann auch nichts essen. EVA: So essen denn alle, die nichts arbeiten, nichts. NORA: Weil ihr Frauen seid, deshalb tut man euch das an. Weil ein unheimlich großer Haß auf Frauen da ist. Wahrscheinlich deshalb, weil man die Stärke der Frauen spürt und nichts dagegen unternehmen kann. ARBEITERIN: Das verstehe ich nicht, Nora. NORA: Die Männer spüren die riesige innere Potenz von Frauen. Aus Furcht davor vernichten sie daher dieselben Frauen. VORARBEITER: Wie seltsam du redest, Nora. In deinem Fanatismus erscheinst du mir heute beinahe häßlich! ARBEITERIN: Ja, mir kommt auch vor, als sei sie nicht mehr so schön wie früher. NORA: Das ist eine andre Arr Schönheit, eine innere, die aber noch nicht so modern ist wie die andre, die äußere. ARBEITERIN: Ich möchte lieber von außen her schön sein, damit es jeder sieht. NORA: Alles ist immer noch besser als ein sexueller Parasit sein, der ich nun nicht mehr sein will. ARBEITERIN: Jetzt können wir uns das mit dem Parasiten kaum noch vorstellen, weil du fast häßlich geworden bist. ARBEITERIN: Ja, Frauen wie du werden auch älter . . . NORA: Seht ihr denn nicht meine innere Schönheit, die vom Verstand ausgeht? Meine jetzige Schönheit ist viel wichtiger. EVA: Der Boden, worauf wir stehen, wird abgerissen werden! ARBEITERIN: Neulich wurde ich Zeugin eines widerwärtigen Vorfalls. Ich begab mich nach dem Klosett und sah einen Vorgang, der sich recht oft in solchen Räumen abspielt und der, gelinde gesagt, eine Kulturschande ist. Eine Kollegin, die gerade unwohl ist, benützt die Spülung des Aborts als Waschgelegenheit. NORA: Am meisten von allem wird immer die Frauenwürde verletzt. ARBEITERIN: Inzwischen bleiben Frauenwürde und Hygiene gewahrt. 52 ARBEITERIN: Das wird sich nicht wiederholen können. EVA: Nein, weil es bald überhaupt nichts mehr geben wird. NORA: . . . die Frau gehört sich nicht. Ich gehöre mir von nun an aber. ARBEITERIN: Du bist deshalb häßlich, weil du nicht ein Teil des großen Ganzen sein willst. ARBEITERIN: Wir sind alle Teile des Großen und auch des Ganzen. Wir passen gut zusammen. ARBEITERIN: . . .in dieser Harmonie liegt unsre Schönheit. ARBEITERIN: Die Schönheit des einzelnen Teiles ist nichts gegen die Schönheit einer Masse. EVA: Erinnert ihr euch noch an die Zeit der Sozialistengesetze? Bebels »Frau und der Sozialismus« und das »Kapital« von Karl Marx wurden als staatsfeindlich verboten. ARBEITERIN: Wir haben sie trotzdem gelesen! EVA: In dieser Bibliothek sollen aber nur eine Geschichte der abendländischen Malerei, ein Lehrbuch über graphische Techniken, der erfolgreiche Kleintierzüchter, sowie Wanderwege durch den Harz und ähnliches stehen! ARBEITERIN: Und Wanderwege durch den Schwarzwald! VORARBEITER: Es genügt, daß sie stehen könnten. Sie müssen ja nicht unbedingt stehen, um ein soziales Klima zu vergiften. ARBEITERIN: Es genügt, daß sie stehen könnten, wenn wir nur wollten. NORA: Wenn ich euch so zuhöre, möchte ich am liebsten alles anzünden! ARBEITERIN: Du bist ja verrückt, Nora. ARBEITERIN: Und entstellt, Nora. ARBEITERIN: Und entmenscht, Nora. ARBEITERIN kopfschüttelnd: Anzünden, was uns erst frei gemacht hat; die Maschine! NORA: Wenn eine Frau eine Maschine bedient, verliert sie in dem Moment ihre Weiblichkeit, entmännlicht gleichzeitig den Mann und nimmt ihm, ihn demütigend, das Brot aus dem Munde. Mussolini. ARBEITERIN: Wir haben aber keinen Faschismus hier! EVA: Ja, die Maschinen wird man euch bald aus der Hand nehmen. Die Frau trifft das härter, weil sie die Maschine noch nicht so lange in der Hand hat. NORA: Ihr müßt verbrennen, was euch unfrei macht! Wenn eure Männer mit verbrennen, macht es nichts, denn sie haben euch die Maschine in die Hand gegeben und euch damit doppelt und dreifach belastet, ohne etwas dafür zu geben. ARBEITERIN: Das ist Anarchismus und Terrorismus! NORA: Die Frau ist enthauptet und zerteilt. Man gestattet ihr nur den Körper und schlägt ihr den Kopf ab, weil sich dort etwas denken ließe. 53 ARBEITERIN: Aber ohne unseren Körper . . . NORA: . . .auf dem er draufsteht ... ARBEITERIN: .. hat der Mann doch gar nichts! ARBEITERIN: Wir können unsren Männern, die ohnehin nichts haben. . . ARBEITERIN: .. .nicht auch noch uns selber wegnehmen. NORA: Eure Männer haben euch, ihr habt gar nichts! ARBEITERIN: Das stimmt nicht, es ist beidseitig. ARBEITERIN: Und außerdem haben wir die Kinder. NORA: Die der Mann nicht haben will, der Mann will unbelastet bleiben. VORARBEITER: Auf einen Mann zumindest wirkst du richtig unschön, Nora. Auf eine Frau vielleicht nicht so sehr, aber auf eine Frau kommt es in dieser Frage nicht an. ARBEITERIN: Doch, auch auf eine Frau wirkt sie unschön. ARBEITERIN: Mir gefällt Nora auch nicht. ARBEITERIN: Auch mir nicht! NORA: Indem die Frau nicht mehr gefällt, tut sie den ersten Schritt zu ihrer Freiwerdung. Ein Tritt gegen die Basis einer Pyramide aus stiller Gewalt ... EVA: die einige Zeit geschwiegen hat, fängt plötzlich an zu schreien, sie steigert sich in eine Hysterie hinein, bis man sie festhalten muß. Ich bin auch eine Frau. Ich bin eine Frau wie Nora hier! Ich hüpfe mit kleinen Freudenschreien umher, ich wirble herum, bis man meine Gestalt kaum noch auseinanderdividieren kann, ich hänge mich dem Nächstbesten schmeichelnd um den Hals, ich gebe zu jeder Gelegenheit Küßchen, ich schlittere ausgelassen, wie ein kleines Mädchen, über den Fußboden, fange mich mühsam am andren Ende und werfe jauchzend die Arme um irgendeinen geliebten Mann, ich bedanke mich stürmisch für ein Stück Schokolade, ich gehe auf Händen und stemme mich, laut lachend über den gelungenen Streich, fußüber dem Mann meiner Wahl ins Gesicht, ich spiele »Laßt die Räuber durchmarschieren, durch die goldne Brücke«, ich benenne die Räuber in der Reihenfolge ihres Auftretens: Deutsche Bank AG, Berliner Disconto Bank AG, Dresdner Bank AG, Bank für Handel und Industrie AG, Bank für Gemeinwirtschaft AG, Hypotheken-und Wechselbank AG, Landesbank Girozentrale, Vereinsbank, Berliner Commerzbank AG, Hardy-Slomann Bank GmbH, Bankhaus Marquard und Co., Max Merck jr. & Cie, Conti Bank AG, Simonbank AG, H. J. Stein, Warburg, Brinkmann, Wirtz & Co., ... die Arbeiterinnen beugen sich über sie, verdecken sie und reden mitleidig auf sie ein, der Vorarbeiter bleibt abseits und raucht eine Zigarette, Nora sitzt unbeweglich da. Pause. NORA: Ich könnte die Maskeradenkostüme in hunderttausend Stücke zerreißen. 16 Weygang kommt im Tennisdress herein, Nora fällt ihm um den Hals. NORA: Gleich beichte ich dir etwas, Liebster! Ich halte sie gar nicht mehr aus, diese unnormale Situation zwischen uns. Er kümmert sich kaum um sie, schiebt sie weg. Ich muß dir gestehen, daß ich mich innerlich fast von dir entfernt hatte. Außer Haus jedoch habe ich so entsetzliche Sachen gesehen, daß ich mich dir gleich wieder annähern muß. Ist das nicht fein? WEYGANG: Das finde ich nicht. NORA: Ich habe gesehen, daß Arbeit einen Menschen töten kann. Ich will lieber unversehrt bleiben. Kein innerlicher Schlußstrich, sondern ein neuer Anfang. WEYGANG: Ich finde das gar nicht. NORA: Ich habe ein Ohr für das beinahe Unhörbare. Das Schicksal sagt, daß wir füreinander bestimmt sind. Man darf eine Beziehung nicht gleich hinwerfen, wenn eine Schwierigkeit auftritt. WEYGANG: Kann ich nicht finden. NORA: Ich zweifle jetzt nicht mehr daran, daß uns noch sehr viel verbindet. Du mußt mir bei einem neuen Anfang aber helfen! WEYGANG: Ich zweifle nicht daran, daß dir ein Alter vor dem Tod bevorsteht. Zuvor noch die Wechseljahre. Deine Geschlechtsorgane werden dir zu dieser Zeit bei lebendigem Leib vermodern. Sowas möchte ich persönlich ja nicht erleben. NORA: Falsch! Das Schicksal sagt etwas ganz anderes. Es sagt leise, daß wir für immer zusammengehören. WEYGANG: Der Mann ist ein Toter auf Kredit, die Frau Fäulnis auf Raten. NORA: Das Schicksal will, daß ich noch einen einzigen Versuch mit dir mache. Es hat nicht gesagt, daß ich angeblich verfaule. WEYGANG: Kein weiterer Versuch mehr! Außerdem sehe ich bei dir eine Orangenhaut an Oberschenkeln und Oberarmen, die von Frauen immer gefürchtet wird. Auch den Mann fürchtet die Frau, gleichzeitig sucht sie ihn aus unerfindlichen Gründen immer wieder auf. NORA: Meine Haut ist nicht so mißgestaltet wie du sagst. Und wenn auch: ein liebender Mann sieht hinter die Hülle, auf das Gefühl der Frau. WEYGANG: Drücke die Haut deiner Oberschenkel doch einmal zusammen und schon offenbart sich das Todesurteil: kleine Dellen! Wey gang immer beiläufig, leichthin, sich mit verschiedenen Dingen beschäftigend. NORA: Du glaubst aus Trotz, daß dich etwas von mir wegzieht. Man darf sich 54 55 nicht gegen die Wahrheit wehten, dumm und stolz. Dein Stolz sagt: lasse diese Frau, die dich liebt, jetzt ein wenig zappeln! WEYGANG: Dein Stolz scheint dir im Augenblick überhaupt nichts zu sagen. NORA: Doch, doch. Er sagt mir, ich soll diesem störrischen Manne einen Grund geben, warum er nie mehr von mir fortgehen kann. So erleichtere ich ihm eine Rückkehr, baue ihm eine goldene Brücke. WEYGANG: Da bin ich aber gespannt, geistesabwesend. NORA: Der Grund, warum du mir verfallen mußt, ist die Lerchenau. Dort soll ein industrielles Großprojekt entstehen, du weißt, warum. Dünn besiedelt, jede Menge Kühlwasser. Die Grundstückspreise werden ins Astronomische steigen. Beide gehören wir dir dann, der Grund und ich. WEYGANG: Alles längst überholt, meine Beste. NORA hört ihm überhaupt nicht zu: Ich habe keinem Menschen ein Sterbenswörtchen erzählt! Nur dir öffne ich mich rückhaltlos. WEYGANG: Geschäft bereits vollzogen. Nora nicht auf dem laufenden — wie immer übrigens — Helmer bankrott, Helmer aus der Bank unehrenhaft gefeuert, Tagung der Bankaufsicht. Gewinner auf der ganzen Linie: Weygang. NORA: hört noch immer nicht zu, wedelt mit einem kleinen Spielzeug-Staubwedel neckisch herum. Ein Mensch ohne jeden Stolz würde dies eine Erpressung nennen. Wir stolzen Naturen scheuen uns vor dem Gefühl und schieben stattdessen das Geschäft vor. So ein Geschäft schlage ich dir jetzt vor, mein Liebster. WEYGANG: Ich staune ja. NORA: Damit vergebe ich mir gar nichts. WEYGANG: Wenn du schön still bist, dann werde ich dir persönlich ein kleines Stoffgeschäft oder einen Papierhandel einrichten — was dir lieber ist — wahrscheinlich der Stoff, weil du ja eine Frau bist. NORA: Ich erpresse dich mit der Gewerkschaft, der Presse und nicht zuletzt mit dem Aufsichtsrat der Conti-Bank. WEYGANG: Wieso? NORA: In Wahrheit aber meine ich nur dich, Liebster. Nur um dich geht es mir. WEYGANG: Hörst du mir überhaupt zu? Ich sage, daß ich die in Frage stehenden Liegenschaften bereits gekauft habe. Helmer ist der Blöde. NORA hört noch immer nicht zu: Erpressung, Erpressung, ätsch! unerträglich neckisch und kindisch. Ich bin mutwillig und mache wieder einmal meine ge-licbicn gymnastischen Übungen, um dir meine große Elastizität zu beweisen. will hinüber zum Barren, wird von Weygang festgehalten. WEYGANG ernsthaft: Dein Hängearsch und dein Hängebusen werden sich 56 auf das Unvorteilhafteste bemerkbar machen, sobald du dieses Sportgerät besteigst. Besteige es also nicht! Willst du jetzt lieber Stoff oder Papier? NORA: stutzt, langsam dämmert ihr etwas. Ob ich was will? WEYGANG: Stoff oder Papier? NORA verstört: Ich will lieber bei dir bleiben ... WEYGANG: Dort kannst du nicht bleiben, weil du nämlich immer bei dir bleiben mußt. Ich möchte deswegen ja nicht in deiner Haut stecken. Auch deshalb nicht, weil sich diese Haut immer mehr zu ihrem empfindlichen Nachteil verändert. Nora bleibt starr stehen. 17 Auf dem Barren hängen Strümpfe und Reizwäsche. Nora trägt ein gerüschtes Ballettröckchen in Rosa mit getigertem Plüschoberteil. Kitschig. Sie ist grell geschminkt. Ein halb angezogener Mann geht, sich ganz anziehend, hinaus. Der Minister sitzt, sich ausziehend, auf dem großen rosa Satinbett. Puff-Atmosphäre. MINISTER: Seit einiger Zeit lassen Sie sich nicht mehr allzuviel einfallen, meine Liebste. Schon lange turnten Sie beispielsweise nicht mehr an diesem Turngerät hier, was mich doch stets so erfreute. Bestand doch dabei die Chance, daß Sie, in zwei Teile geborsten, zu Boden stürzten. Das ist mir entschieden zuwenig Einsatz. NORA: Ich bin von diesem Leben sehr angeekelt. MINISTER: Wollen Sie damit behaupten, daß ich Sie anekle? Dazu kann ich nur nochmals betonen, daß eine Frau, die sich verkauft, immer ekelhafter ist als der kaufende Mann. NORA: Ich muß das keine Sekunde länger machen als ich will. MINISTER: Eine Frau in Ihrer Situation, die so etwas sagt, wartet doch nur auf einen Mann, der sie herausholt. NORA: Ich kann jederzeit mein eigenes Geschäft haben. Wann immer ich will. MINISTER: Gratulation! NORA: schmiegt sich an ihn. Sehen Sie in mir mehr ein Eichkätzchen oder eher ein Rehlein, mein Minister? MINISTER: Eher ein Reh, weil Sie den Erdboden nicht mehr verlassen. Für das, was Sie da bieten, kann ich Ihnen keinen Sondertarif zahlen, das sehen Sie doch ein. NORA: Konsul Weygang wollte sich wegen mir sogar umbringen. Er sah keinen Ausweg aus seiner Leidenschaft zu mir als den Freitod. 57 jjiich auch umbringen wollen, wenn ich Sie ständig um entscheiden, wann ich das Geschäft bekomme. MINISTER: Ich wiü mich hätte. , jerzcit i NORA: Ich kann &' ^eygang dafür? MINISTER: Zahlt selbst bestrafen will. Er weiß nicht, daß er jederzeit zu NORA: Ja. Weil ef s'wjer wartet jetzt, daß der andere den ersten Schritt tut. mir zurückkönnt'' j schießt mit einer Wasserpistole herum. Krogstad tritt ein *i Frau Helmer, genausogut könnte das jetzt eine echte KROGSTAD: Sehe9 ' Pistole sein. . ut. Das würde der Werkschutz verhindern. NORA: Könnte es ^crkschutz zu sehen. Wie ich feststellen kann, beschäfti- KROGSTAD: Kei" M Liebesproblemen. Ich persönlich gebe mich mehr mit gen Sie sichgera^ -o0en ab- Ihr früherer Mann, Helmer, will, daß ich Sie finanziellen Ttaf^jnen Aufstieg verhindern. umbringe, weil5,{ Gehen Sie! NORA: Was wölk0 j,er etwas spät dran, wenn Sie erlauben. Wissen Sie denn MINISTER: Sie si^^ ruiniert ist? nicht, daß der Hc^ krankheitshalber komme ich erst heute dazu, einen Mord KROGSTAD: ^ zu begehen. die Ehrenämter dieses Mannes auf, der hoch über Ihnen NORA: Ich zähltr sUl eines lateinamerikanischen Staates und aktiv im inrangiert: Honoi^ nandel, Präsident einer der größten Industrie-und Hanternationalen ^ jent des Verbandes des Groß- und Außenhandels, Vor-delskammcrn, Wirtschaftlichen Vereinigung der chemischen Industrie, der Standsmitglied<*! ^jtgeber im Landesverband. Vereinigung de' ^cht Sie sind offenkundig ein Opfer forcierter und syste- KROGSTAD: »"''^bauplanung. Was ich hier so sehe. matisierter Peß0" jje Ihre Kunden nicht so indiskret einander betrachten, MINISTER: lasse". ^ jcgC ich nachher nichts drauf. meine liebe N"1".'^ nicht ein Minister, den ich aus dem Tagesboten kenne? KROGSTAD: Si" m macht nur neuen Hunger, was beweist, daß die emsige Der reichliche^glichen Sorge für den Bürger den Unmut über unzurei- Ausweitung $S des einzelnen mit Geld und Gütern erst hervorrief. chende Ausst»1"^jetzt empfangen Sie also schon Vertreter. Das ist der An- MINISTER zu findest was mich betrifft. fang vom Endc,!^, keineswegs ein Vertreter, sondern ich bin vom Kapital KROGSTAD: ^ *A dieser Gelegenheit darf ich um Ihre Protektion bitten, geschickt woid^ijjßlich habe ich Sie hier des längeren in einer verfänglichen Herr Minister Stellung bcob»" 58 MINISTER: Sie sind keineswegs das Kapital, was man gleich sieht. In der anderen Sache wenden Sie sich an meinen persönlichen Referenten. KROGSTAD: Ich habe ja nicht gesagt, daß ich es persönlich bin. Das Kapital tritt übrigens nicht mehr persönlich auf, so wie früher, sondern es ist einfach vorhanden. NORA schreit: Wenn ich mein neues Geschäft erst haben werde, muß ich keinen von euch Kötern mehr anblicken für den Rest meines Lebens! Jetzt gehen Sie beide hinaus und nehmen Sie auch Ihre Schwänze mit, sonst werfe ich sie Ihnen hinterdrein! MINISTER: Ich käme ohnedies nie auf die Idee, so etwas einer Frau wie Ihnen hier zu lassen. Keine Sorge. KROGSTAD: Die Zukunft wird eine Zukunft der gierig aufgehaltenen öffentlichen Hände sein. Sie werden dereinst 47,6% des Bruttoinlandprodukts fordern. Was ich im Augenblick jedoch aufhalte, sind meine privaten Hände. Darf ich mich auf Sie berufen, Herr Minister? Werden Sie es auch nicht vergessen ? MINISTER: Ich geh jetzt, hier ist es mir zu unruhig. Ich vermisse das weibliche Fluidum. Auch ist es unsauber. NORA: In meinem Stoffgeschäft wird es vor Sauberkeit blitzen. Ich will keinen von Ihnen dort sehen, weil ich mit der Vergangenheit breche. KROGSTAD: Herr Minister, darf ich versichern, daß ich, wenn Sie mir das Geld für einen neuen Start geben, von den Schaltstellen der Macht her die öffentlichen Hände entschieden bekämpfen werde! MINISTER: So ist es brav. Bekämpfen Sie nur, bekämpfen Sie! NORA: ruft den Abgehenden nach: Warum glauben Sie, daß Ihnen der Minister, mein Gönner, Geld geben sollte? KROGSTAD: setzt zum Sprechen an, macht dann aber eine wegwerfende Handbewegung, weil Nora nichts kapiert, deutet ihr den Vogel und verschwindet. NORA schreit: Lassen Sie sich doch Ihr Geld von der öffentlichen Hand geben! KROGSTAD halb draußen: Die öffentliche Hand nimmt nur, sie gibt nie. Sie nimmt es vom schaffenden Unternehmer. MINISTER von draußen: Aber befriedigen wird er sie nicht so wie ich! Nora denkt kurz nach. Dann versucht sie, sich am Barren hochzuziehen, sie schafft es aber nur mühsam und fällt mit einem leisen Wehlaut wieder herunter. 59 18 Bei Helmers im Eßzimmer. Helmer sitzt beim Abendessen und liest Zeitung, Idyll. Er läßt sich von Nora bedienen. HELMER: nimmt einen Schluck aus der Teetasse. Da sind schon wieder nur drei Stück Zucker statt vier Stück Zucker drinnen! Kannst du nicht achtgeben? NORA: Du kannst nichts als meckern. Gestern nacht erst ließest du mich erneut teilweise unbefriedigt. HELMER: Ich las neulich, daß nur die Bürgerlichen Orgasmusschwierigkeiten haben, und daß das Proletariat sie nicht kenne. NORA: Zum Glück bin ich bürgerlich und nicht proletarisch. HERR: Dieser Liebhaber, der dich sitzenließ, war wohl besser als ich, wie? NORA: Er ließ mich nichr sitzen, wie so oft soll ich dir das noch sagen! Das ständige Leben im Schatten des Kapitals drückte mich zu stark nieder, und ich verlor meinen ganzen Frohsinn, den du doch so an mir liebst. Daher verließ ich das Kapital. Und was ist übrigens mit deinem Direktorenposten? HELMER: Nora, du demütigst einen Mann. NORA: Du bist ein Nichts im Vergleich zu dem, was ich hätte haben können! HELMER: Für mich zählt nur, daß du es nicht hast. NORA: Durch den Verzicht darauf bewies ich jene Charakterstärke, die ich mir erwerben wollte, als ich einst von dir fortging. HELMER: Weißt du, was wir im vergangenen Monat gespart haben? So beginnt ein Kapital, Nora! NORA: Hast du schon die neuen Muster für's Frühjahr durchgesehen, Tor-vald? Die Dessins für die Damenstoffe sind sehr hübsch. Mandels am Haupt-platz haben längst nicht diese Auswahl . . . 11ELMER: Diese Juden werden mir ohnehin langsam zu üppig! Ich muß nachher noch das Klofenster reparieren. N< )KA: Ach, Torvald, dafür können wir doch wirklich einen Handwerker ... IIEI.MER: Kommt nicht in Frage. In dieser Phase der Kapitalbildung darf um Ins sie beeinträchtigen. Pause, er blättert wichtig in der Zeitung. Weißt du übrigens, daß ich schon die von meinem Vater ererbte Pistole in der eiskalten I Luid liihhe, als ich die Nachricht erhielt, daß ich ruiniert sei . . . ? Läßt dich da.>.....In ii.ii hnaj'liih noch am ganzen Leibe fliegen und beben? N< >KA Ai Ii, das ei/.ählsi du mir doch jeden Tag dreimal! HEIMEN witli'i.l Keinen N.u Iiiisch? Du bist lieblos, Nora. Wo ich mich so ml .Ii n r J i. I■ 11 ■ I■ I..... habe' |rm imiK u Ii na< Ii dem Rratcn gleich die Irl ihili in. Im. I..... I....... .In wiiHi, das bekoniiiii uiii nicht! Kinder- stimmchen hinter der Tür, Nora stürzt hin, reißt die Tür auf und schreit. NORA: Wollt ihr wohl eure Schnäbel halten, ihr elenden Bälger! Hört ihr nicht, daß euer Vater jetzt die Wirtschaftsnachrichten hören möchte? Kinder still. Helmer dreht das Radio auf. RADIOSPRECHER: ... wie wir soeben erfahren, fiel die bekannte Textilfa-brik PAF (Payer-Fasern), benannt nach ihrem Gründer Alfred Payer, einem Pionier der Kunstfaser, in der Nachr von Samstag auf Sonntag einem Brand zum Opfer. Wie Sie anschließend auch unsren Wirtschaftsnachrichten entnehmen können, wechselte das Werk kürzlich seinen Besitzer . . . NORA: Hast du das gehörr? Sicher hat er sie angezündet, der kühne Mann! Jetzt kann er auch noch die Versicherungssumme kassieren . . . das nenne ich Weitblick! HELMER: Auch ich blicke oft sehr weit, Nora! Was ich in der Weite erblicke, erschreckt mich jedoch so, daß ich lieber in der Nähe, in unsrem hübschen Heim bleibe . . . NORA: ... ich weiß, daß es ihn mit unsichtbaren Fäden zu mir zieht, war ich doch das wichtigste Erlebnis in seinem an Erlebnissen mit den schönsten Frauen nicht gerade armen Leben . . . aber er hat eine innerliche Scheu, dir, meinem Gatten, erneut gegenüberzutreten . . . HELMER: grinst dreckig. NORA: Jetzt liegen wir jede Nacht mit fiebrigen Augen wach, der eine hier, der andre dort . . . und können zueinander nicht . .. HELMER brutal: Halt's Maul, Ich will zuhören! Nora beleidigt. RADIOSPRECHER: Und nun Wirtschaftsnachrichten. Zunächst die Meldungen: Am 1. März verschmolz die TEXO-Gruppe die Rheinchemie AG mit dem im Besitz der Conti-Bank AG befindlichen Unternehmen Payer-Fasern (PAF) HELMER aufgeregt: Jetzt reden sie gleich von mir! Hörst du! Sie reden von mir! NORA: Wer sich schon für dich interessiert, möchte ich wissen! RADIOSPRECHER: ... das in letzter Zeit mit Absatzschwierigkeiten zu kämpfen hatte. Am 1. Juni verschmolz der neue Konzern Texopa die 66%ige Tex-tiltochter TORACO mit dem Staatsunternehmen Internationale Chemiefaserforschung im Austausch gegen eine 47% ige Beteiligung an der neuen Gesellschaft (INTERTEX), sowie 58 Millionen in bar. Die Regierung wird INTERTEX bis zu einem Zeitraum von 10 Jahren vertragsgemäß im Betrage von ca. 250 Mio. subventionieren. Zur Aufrechterhaltung eines Marktanteils von rd. 12% in Westeuropa wurden der Gesellschaft zudem Kontrakte in der Größenordnung von 900 Mio von seiten des Staates garantierr. Pause. Wie Sie soeben aus r.o 61 den Abendnachrichten erfahren haben, fiel das alte PAF-Werk in der Nacht von gestern auf heute einem Brand zum Opfer. Über die Ursache des Feuers ist zur Stunde nichts bekannt. Über das weitere Schicksal des Werks und der dazugehörenden Arbeitersiedlung konnten wir ebenfalls nichts in Erfahrung bringen. Konsul Fritz Weygang, zu dessen Firmengruppe der Betrieb gehörte, konnte vorerst nur die Versicherung abgeben, daß an einen möglichst raschen Wiederaufbau gedacht sei, um keine Arbeitsplätze zu gefährden. Die Payer-Faser (PAF) hat sich vor allem in der Zusammenarbeit mit ftanzösischen Kaufhauskonzernen und der Herstellung von kleinen aber hochwertigen Serien einen guten internationalen Namen gemacht. HELMER aufgeregt: Hast du gehört? Hast du gehört? Nora?! Sie haben soeben über mich gesprochen! Nora gießt ihm Kaffee ein, aus dem Radio kommt ein Marsch — Anklänge an den frühen deutschen Faschismus! NORA: Ich muß diesen großen Mann wieder einmal zum Kaffee einladen! Das gute Blümchenporzellan haben die Rangen zum Glück noch nicht kaputtgehauen. HELMER: Er kommt ja doch nie, wenn du ihn auch noch hundertmal einlädst NORA: . . . Nur weil er eine innerliche Scheu hat, dir . . . HELMER: Ob das die Juden waren, die das mit dem Anzünden gemacht haben? NORA: geht beleidigt zum Radio und will den Marsch abschalten. HELMER: Laß doch, Nora! Ich höre diese Musik so gern! Während sich die Bühne langsam verdunkelt, hört man die Marschmusik, Vorhang. Clara S. musikalische Tragödie Personen: Clara S. Robert S. Marie Gabriele d'Annunzio, genannt »Commandante« Luisa Baccara Aelis Mazoyer Donna Maria di Gallese, Fürstinn von Montenevoso Cailotta Barra Zwei Irrenwärter (Bullen) Dazu etliche Dienstmädchen, eine junge Prostituierte aus dem Ort. Ort der Handlung: Der Vittoriale bei Gardone, die Villa d'Annunzios Zeit: 1929, Spätherbsr. Was die Stimmung und Kostüme betrifft, so halte man sich eventuell an die Ölgemälde der Tamara de Lempicka. 62