A M E N (Akt VII.) Feststellung (Akt VII., Szene I.) B: (sitzt in einem Schaukelstuhl, liest Zeitungen) C: (klingelt an der Tür) B: (geht langsam zur Tür) Wer ist das? C: (bitter) Häuschen, Häuschen, wer wohnt hier? B: (öffnet) Hallo, komm rein. C: Was schreibst du jetzt? B: Wie... was schreibe ich? C: Die Studie über das Nibelungenlied oder über Konjunktiv Plusquamperfekt? B: Ich schreibe nichts. Ich lese Zeitungen. Willst du Kaffee? C: Nein, eigentlich habe ich es eilig. Nur wollte ich dich auf etwas aufmerksam machen. Die Gerüchte, die jetzt erzählt werden werden... (nervöser Abbruch) B: Über Werner weiß ich alles. C: Zwar habe ich mit ihm gesprochen, aber es ist nicht wichtig. Oder schon, aber auf eine ein bisschen andere Art und Weise. B: Ist es wieder zum Lachen? C: Diesmal nicht. B: Nicht? C: (flüsternd) Und es geht nicht um Werner. B: (erschrocken) Nicht um Werner? C: Bei ihm habe ich auch den... getroffen, den A. Kennst du ihn? B: (senkt seinen Blick zum Boden, schweigt) C: Was hast du mit ihm zu tun? B: Was sollte ich mit ihm zu tun haben? C: Nach deiner Reaktion... ich kenn´ dich ja ewig... ich würde sagen, dass er derjenige ist, vor dem du Angst hast. B: Warum sollte ich...? C: Ich verstehe dich. So viel Blödsinn und Verleumdungen, die er über dich sagt. B: Was hat er denn gesagt? C: Du weißt es. Oder kannst selber denken. B: Frankfurt? C: Dass du in Frankfurt warst. B: Das ist doch keine Verleumdung. C: Du sollst in dem Museum eine Handschrift ges... dir angeeignet haben. B: Das stimmt. C: Du sollst ihm diese Handschrift angeboten haben. B: Das stimmt auch. C: Du hast es wirklich gestohlen? B: Gestohlen? C: Warum hast du ihm die Handschrift gegeben? B: Was hätte ich mit ihr machen können? C: Statt sie IHM zu geben, hättest du sie lieber wegschmeißen sollen! B: (schweigt) C: Deshalb bist du in der letzten Zeit so... B: (schweigt) C: Sag mal! Das Museum ist so groß, dass da nichts bemerkt werden kann? B: Bitte? C: Na, wenn du es... B: Wie bitte? C: Wenn nicht dieses, wie bist du dann zu der Handschrift gekommen? B: Glaubst du, ich bin ein Dieb? C: Soll ich es glauben? B: Warum? C: Weil du keine andere Wahl hattest. B: Was? C: Womit sonst hättest du ihn bestechen wollen? B: Bestechen? C: Dass du immer etwas gegen die Leitung hast, das ist allgemein bekannt. Dass du nichts außer deiner Arbeit in deinem Leben hast, ist auch bekannt. B: (bitter) Dass ich ein Dieb sein werde, das hatte man schon gewusst, längst bevor ich geboren wurde. C: Ich würde es nicht glauben. B: Du würdest oder wirst es nicht glauben? C: Das ist egal. B: Das ist nicht egal, ob du Konjunktiv oder Indikativ verwendest. Glaube einem Linguisten. C: Ich glaube es nicht. B: Aber der Unterschied ist nachweisbar! C: Ich glaube nicht, dass du ein Dieb bist. Aber... aber mit der Bestechung... das kann ich dir nicht vergessen. Das hätte ich von dir nie geglaubt, dass du so was machst. B: Sowieso war ich unbequem. C: Man hätte deinen informell ausgedrückten Wunsch pensioniert zu werden erfüllt und alles wäre einfacher gewesen. Warum hast du dir die Situation so verkompliziert? B: Jedes Wort wird nach Jahrhunderten ausgegraben und abgestaubt, sobald man es missbrauchen kann. Wo der Wille, dort der Weg. C: Was machst du jetzt? B: Ich kaufe neue Hausschuhe und nehme eine der armen Katzen vom Fakultätshof mit mir nach Hause, um nicht allein zu sein. (bitter) Und all die Wörterbücher schenke ich der Bibliothek. C: Was? B: Ich habe neulich gehört, dass JEMAND das einzige den Studenten zur Verfügung stehende Wörterbuch vor Jahren als Dauerausleih in sein Zimmer gebracht hatte. C: Jemand? Der A? B: Jemand. C: Jetzt ist es zu spät, auf seine Zunge aufzupassen. Noch dazu machst du es an falscher Stelle. Ich bin dir doch nicht gefährlich. B: Was kann ich machen? C: Dein Gewissen erforschen. B: (lacht zynisch) Auch für so einen kann ein gutes Gewissen ein sanftes Ruhekissen sein. C: Mach keine Dummheiten, Bé, man kann auch unter einem anderen Namen verfassen und veröffentlichen, du wirst nicht der erste sein. (umarmt ihn) Einige Freunde kannst du verlieren, aber die wahren bleiben bei dir. B: Ja, geh´ schon, zu viel Sentimentalität ist ungesund. C: Bé, ich werde später noch vorbei kommen, nachdem ich den Termin erledigt hatte. B: Ja, du kannst zu jeder Zeit kommen. C: (geht weg) Gebet (Akt VII., Szene II.) A: Weiß jemand, dass ich kommen sollte? B: Nein. Selbst ich habe es nicht so genau gewusst. A: Am sechsten habe ich gesagt. B: Ich habe gehofft, dass sie schon gekommen sind, als ich im Institut war. A: Ich kenn mich in Ihrem Stundenplan ganz gut aus. Und ob Sie schon gegangen sind, das kann man ja erfragen. B: (schweigt) A: Also, die Handschrift kann mir sehr nützlich sein. B: Deswegen haben Sie sie auch bekommen. A: Deswegen? Ich habe geglaubt, dass es eine... (ironisch) Bitte sein sollte. B: (schweigt) A: Übrigens, ich habe mit dem Dekan gesprochen... Auch Ihr Freund, der.... der... Cé war dabei. B: (schweigt) A: Wollen Sie sich nicht setzen? B: Es lohnt sich nicht. A: Können Sie den XY aus Prag? B: (nickt, setzt sich) A: Also, ab dem ersten des folgenden Monates wird er Ihre Stelle übernehmen. B: Ich danke Ihnen. A: (lächelt affektiert) Es ist nicht der Rede wert. B: Da haben Sie einmal Recht! A: (beleidigt) Was? B: Sie haben richtig gehört. A: Wir beide haben richtig gehört. B: Darf ich eine Frage stellen? A: Es kommt drauf an. B: (schweigt) A: Na, Sie wollten was fragen. B: Wissen Sie auch den Grund? A: Natürlich. B: Der Verfasser muss wissen, was in seinem eigenen Werk steht, oder? A: (lächelt affektiert) B: Hab´s doch g´wusst. A: Was machen Sie also damit? Das ganze Institut weiß jetzt, dass Sie zu mir mit einer Handschrift gekommen sind, die Sie sich unter unklaren Bedingungen irgendwo im Ausland, in einem Museum gesto... ähm besorgt haben... um mich zu bestechen. An Ihrer Stelle würde ich mich irgendwo in einer dunklen Ecke aufhängen. Jetzt oder später. B: Ist mir noch ein Gebet erlaubt? A: Ein Vaterunser, wenn Sie wollen... B: Ata unsar, THu... A: Su? Was ist das? Su? Su? Das muss wohl umgangssprachlich sein! B: (lächelt) Ja, umgangssprachlich, aber nur im Tschechischen. A: Was macht ein tschechisches Wort in unserem Vaterunser? B: Na ja, wissen Sie, Vaterunser ist nicht nur unser... A: Sicher? B: Vater? Sicher? Nein. Mater semper certa est, pater incertus. A: (selbstgefällig) Ich hatte auch mal ´ne Prüfung im Lateinischen. B: Das hat jeder unsereiner... A: Jeder, jeder... Das wichtigste ist, dass ich... B: ...gekommen bin, um... A: Sie sind gekommen? B: Gekommen und verkommen... A: Schon wieder Ihre blöden Witze! B: Diesen nominalen Satz höre ich von Ihnen in der letzten Zeit schon zum dritten Mal. A: Sie wollten doch das Vaterunser... B: Ata unsar, THu in himinam... A: Ist das Deutsch? B: Ungefähr. A: Was für ein Deutsch? Ungefähr. B: Eine Prüfung im Gotischen ha´ma net? A: Ha ´ma net? Das weiß ich auch nicht. B: Da waaß i a net. Übrigens, ist nicht mehr gotisch. A: Gotisch? Und das andere? B: Um Untermarkensdorf herum. A: Der Zungenbrecher geht anders. In Ulm, um Ulm und um Ulm herum. B: Die Katze tritt die Treppe krumm. A: Der Potsdamer Postkutscher putzte den Potsdamer Postkutschkasten, den Potsdamer Postkutschkasten putzte der Potsdamer Postkutscher. B: Am Potsdamer Postamt. A: Das gehört nicht dazu. Aber was machen wir in Potsdam? B: (bissig) Putzen Klinken, ähm den Potsdamer Postkutschkasten, während Fischers Fritz frische Fische fischt. A: (wütend) Ich habe gedacht... B: (fällt ihm ins Wort) Denke nie, gedacht zu haben, denn das Denken des Gedanken ist gedankenlosen Denken. Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst, aber Denken tust du nie. A: Damit meinen Sie mich? B: Ich meine niemanden. A: Aber ich hätte schon den Verdacht... B: Den Verdacht hätte ich auch. A: Sie beleidigen mich! B: Wau, wau, wau, wau. A: (schaut ihn fragend an) B: Getroffene Hunde bellen. Sie beleidigen sich selbst mit Worten, die Sie nicht beleidigen würde, wenn... A: (wütend) Lassen wir das sein! B: Also zurück. A: Wohin? B: Über Potsdam und Ulm bis zum Vaterunser. A: (keine Reaktion) B: Ata unsar, THu in himinam, wíchnaj námo THín, kvimaj THjudinasus THíns. WerTHaj... A: (fällt ihm ins Wort) Was macht das Schloss in unserem, also nicht nur unserem Vaterunser? B: Welches Schloss? A: Wersaj haben Sie gesagt. B: Das ist kein Schloss. A: Ist doch! (buchstabiert) fau -- e -- er -- es -- a -- i -- el -- el -- e -- es. B: Sie haben ein Schloss und ich habe eine Verbform. Dritte Person Singular Optativ vom Verb "werTHan." A: Gott sei Dank habe ich diese Vorlesung nie gehabt! B: WerTHaj wílja THíns, swé in himina jach ana érTHa. Hlajf unsarana THana sintínan gif uns hima daga. Jach aflét uns THatí skulans sijájma, swaswé jach wís aflétam THájm skulam unsarajm. Jach ni bringajs uns in frájstubnjáj, ak lausí uns af THama ubilin, unte THína ist THjudangardi jach machts jach wulTHus in érwins. Amen. A: Fertig? B: Noch Althochdeutsch und Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch. A: Wollen Sie auch Futureinshochdeutsch oder Futurzweihochdeutsch? B: Zwei hoch deutsch? So eine mathematische Formel kenn´ ich nicht. Na ja, ich hätte zu der mathematischen Konferenz nach Berlin fahren sollen! Da hätte ich mir vieles beibringen können! A: (schreit) Sie wollen gar nicht wissen, wie ich mich entschieden habe?! B: Haben Sie schon gesagt. A: Haben Sie noch Fragen? B: Alles klar. A: Wunderbar. B: Mir kommt es nicht so wunderbar vor. A: (ironisch) Danke für die Handschrift. B: Zum Siegfried mit der Handschrift. Epilog (Akt VII., Szene III.) Variante A: C: (steht mit dem Telefonhörer in der Hand) Es muss noch mehr drin gewesen sein als die Pensionierung, wirklich. Er hätte sich nicht nur so für Spaß aufgehängt. Variante B: B: (hängt sich auf)