A N K U N F T "Vlak pøijí¾dí do stanice Brno..." Was? Brünn? Das kann nicht wahr sein? Ich habe verschlafen! "Entschuldigen Sie, ist es wirklich schon Brünn?", fragt sie die so sympathische Frau mit der sie die ganze Zeit im Abteil allein gesessen hat. Leider antwortet diese nicht und jetzt ist es auch zu spät. Sie nimmt das ganze Gepäck, greift noch nach ihrer Jacke und springt in der letzten Minute aus dem Zug. Sie atmet tief durch, sieht sich auf dem Bahnhof um und dann wird ihr erst bewusst, dass sie wirklich hier ist. Sie schaut all die Leute an, für die es so selbstverständlich ist, dass sie hier sind. Es kommen ihr die ganzen Erinnerungen wieder, die sie schon längst für vergessen gehalten hat. Ja, das ist er, der Bahnhof wie vor zwei Jahren. Dieselben Menschen, sogar auf dem Bahnhof lächeln sie einander zu. Wahnsinn. Und hier... hier war doch eine Bäckerei. Ja, ja, es gibt sie immer noch. Hier riecht es so schön. Auch im Chaos des Alltags. "Zwei mal 'kobliha` bitte", zeigt sie auf ihren Lieblingskuchen. Den wird sie nie vergessen! Den süßen Geschmack jeden Morgen, als sie zum Sprachkurs gefahren ist. Zum Frühstück in die Mensa auf Moravské námìstí hat sie es nie geschafft. Das war ihr Morgenritual. Kuchen aus der Bäckerei in der Veveøí-Straße und Kaffee aus dem Automaten neben dem Pförtner. Und fünf Minuten Ruhe auf der Bank, bevor der ganze Stress in den Stunden wieder anfängt. Das ließ sie sich nicht nehmen. Sie bezahlt und setzt sich mit dem Kuchen in die volle Bahnhofshalle. Den Kaffee noch und sie ist zufrieden. Sie lehnt sich entspannt gegen die kalte Marmorplatte und sieht den Menschen zu. Lea ist eine sehr attraktive junge Frau, mit langen dunklen Haaren, dunklen großen Augen, sehr schlank und zart. Mit ihren 25 Jahren hat sie schon vieles hinter sich, was nicht nur mit ihrer jüdischen Religion zusammenhängt. Man würde es kaum glauben, aber noch heute gibt es Menschen, die einen wegen der Herkunft auslachen. Besonders wenn man sich dafür interessiert und die Leute zu einer Stellungsnahme zwingt. Damit hat sie aber schon längst umzugehen gelernt. Das war letztendlich auch der Grund, warum sie ursprünglich nach Brünn gekommen ist. Sie wollte die reiche jüdische Geschichte der Stadt kennen lernen und dann hat sie dieses Angebot des Sprachkurses gesehen: TSCECHISCH FÜR AUSLÄNDER. "Das ist doch was", hat sie damals gedacht. Daraufhin hat sie einen wunderschönen Sommer in Brünn verbracht, hat ziemlich gut tschechisch gelernt und die Stadt so lieb gewonnen. Und jetzt ist sie da und frühstückt ihren Lieblingskuchen mit Automatenkaffe in der Bahnhofshalle, als ob keine zwei Jahre vergangen wären. Was für ein Gefühl! Sie schließt ihre großen Augen und lässt den Kuchen auf ihrer Zunge aufweichen. Im Kopf laufen alle Erinnerungen wie im Film aus den dreißiger Jahren ab. Der Kurs, die Freunde, der alte gutmütige Professor Vojtìch, einfach alles. Was für ein Glück, dass sie ausgerechnet hier das eine Jahr als Lektorin verbringen darf! "Das wird bestimmt ein wunderschönes Jahr in dieser so schönen Stadt! Ich freue mich schon so richtig drauf!" Ihre Gedanken kommen immer schneller und sind kaum zu stoppen. Auf einmal wird ihr bewusst, dass es inzwischen ziemlich spät geworden ist und dass sie sich um 10.00 Uhr an der Fakultät melden muss. Also die höchste Zeit um loszufahren! Sie packt ihre Sachen und tritt aus der Bahnhofshalle heraus. Als sie die Herbstluft in ihre Nase einzieht, wird ihr klar, sie ist wirklich hier! Den so spezifischen Duft der Luft kann man nie vergessen und sie schon gar nicht. Wie komme ich jetzt aber überhaupt zu der Uni? Schließlich war ich schon zwei Jahre nicht mehr hier? Sie wird ein bisschen nervös. Die Nervosität vergeht aber schnell, weil sie auf einmal vor Sonne geblendet wird. Es ist schönes Wetter und alle scheinen so zufrieden und friedlich zu sein. Sie zieht ihren "Spickzettel" mit den Instruktionen aus der Tasche raus. Es steht alles hier: die Adresse, die Straßenbahnnummer und die Telefonnummer. Das Problem ist gelöst. Sie steigt in die Straßenbahn ein und ist mit ihrem vielen Gepäck ein bisschen überfordert. Da hilft ihr ein junger Mann und sie denkt: herzlich willkommen in Brünn. Sie setzt sich und beobachtet die Stadt aus dem Fenster. Am liebsten würde sie gar nicht aussteigen und den ganzen Tag nur so herumfahren, um all die bekannten Plätze wieder sehen zu können. Das ist doch die so berühmte Uhr auf der Èeská-Straße, der fast heilige Treffpunkt aller Verliebten. Auch sie hat hier einige Male gestanden! Sie spürt, wie sich ein Lächeln in ihrem Gesicht breit macht. Wie schön, beobachten ohne beobachtet zu werden. Die Gedanken strömen durch ihren Kopf, aber leider ist die Zeit zum Aussteigen gekommen. Jetzt wieder mit dem ganzen Zeug aus der Straßenbahn, sie wird langsam müde. Vor Begeisterung kann sie kaum atmen und begibt sich in Richtung der Fakultät. Es kommen ihr viele jungen Menschen entgegen, es sind Studenten. "Vielleicht auch meine zukünftigen Studenten", ist ihr eingefallen. Und dann ist es so weit. Sie steht vor der Eingangstür. Eine ganz normale Tür, wie vor zwei Jahren. Ein paar Plakate mit Infos über Veranstaltungen, wie vor zwei Jahren. Warum bin ich dann so aufgeregt? Noch einmal tief durchatmen und los! Sie betritt nach zwei Jahren wieder den Campus. Die Glastür, eine Drehtür...was, eine Drehtür? Die gab es hier damals noch nicht. Also doch was Neues. Sie geht weiter. Komisch dass keiner merkt, dass ich hier bin. Ich bin doch jetzt gerade gekommen und habe mich auf euch so gefreut und ihr geht alle an mir vorbei, ohne irgendetwas zu merken. Ich muss mich ein bisschen zusammenreißen, ist ja klar, dass keiner was bemerkt. Eine junge Frau auf dem Campus ist doch nichts Seltsames. Aber bald werden einige von euch schon wissen, wer ich bin, und wir werden tolle Stunden zusammen haben. Das kann ich euch schon jetzt versprechen! Mit solchen Gedanken läuft sie über das Areal. Block C, zweiter Stock, da muss ich hin! Sie freute sich auf den alten Professor Vojtìch, der ihr alle ->NEUIGKEITEN mit seinem gütigen Lächeln erzählen wird.