D I E B L E C H T R O M M E L "Der Medienraum ist ganz neu. Wenn ich mich recht erinnere, war er vor zwei Jahren bestimmt noch nicht hier." "Das stimmt. Vorher war an seiner Stelle die alte Bibliothek. Die Umbauarbeiten sind im Herbst des vorigen Jahres beendet worden und der Raum wurde für den Unterricht freigegeben." "Das ist ja gut, jetzt können hier so gelungene Veranstaltungen wie das Seminar des deutschen Filmes durchgeführt werden. Die 'Blechtrommel` hab´ ich zwar schon gesehen, aber diesen Film kann ich nie versäumen." "Ja, mit den technischen Errungenschaften geht alles viel leichter. Aber so einen Raum, der mit modernster Technik ausgestattet ist, gibt´s hier nur einen. Es ist wirklich ein Riesenglück, wenn er dir zugeteilt wird und du dort unterrichten kannst. Die Filmvorführungen finden aber erst abends statt, wie in einem richtigen Kino und dann ist auch nicht so ein großes Gedränge." "Und die Filme suchen die Studenten selber aus?" "Ja, soviel ich weiß, entscheidet sich jede Gruppe der Studenten für einen Film, bereitet eine kurze Einführung vor und schließlich schreibt jeder eine kurze Rezension. Das ist nicht allzu viel Arbeit und es werden ziemlich gelungene Filme gezeigt. Fast in allen Fällen wurden Literaturverfilmungen ausgewählt -- Zögling Törless, Die verlorene Ehre der Katharina Blum und, und... die anderen Namen sind mir jetzt entfallen." Es ist öffentlich und jedes Mal kommen viele Leute. "Und welcher Film wird nächste Woche vorgestellt?" "Nächste Woche, warte mal, ich gucke nach ... ja, 'Wir Kinder vom Bahnhof Zoo`." Abends in der Bierstube hört man viel Gemurmel, Gläserklirren, ab und zu leise Musik. Lea ließ sich schon das zweite 'Pegas` schmecken, das Bier aus der kleinen Brünner Brauerei, deren Gebräu nur in ein paar hiesigen Kneipen zu bekommen ist. Sie hatte das leckere Bier schon damals entdeckt und konnte es nicht mehr vergessen. Heute entschied sie sich für das Kräuterbier. Alles ging ziemlich schnell. Am Nachmittag bot sie Vladimír an, ob er nicht mit ihr in das provisorische Kino gehen wollte. Das 'Warum nicht?` von ihm war sehr nett. Klar, warum nicht, hat sie sich danach nicht die ganze Zeit gesehnt? Sie hatte Mut gefunden! Die letzten Tage begegnete sie Vladimír ziemlich oft, Treffpunkt Bibliothek, von der er immer mehr neue und neue Bücher davontrug. Ob er sie auch irgendwann lesen wird? Na und? Ihr Weg führte auch manchmal durch den Gang des Instituts für Geschichte, obwohl es ganz bestimmt kürzere Wege zum Ausgang gibt. Und jetzt fragte er sie, ob sie auch nächste Woche in den Film geht. Christiane F. und ihre verpfuschte Jugend? "Weiß nicht, ob ich Bock habe auf die naturalistischen, rohen Szenen..." "Und was genau machst du in Regensburg?" "Ich unterrichte eigentlich immer Deutsch als Fremdsprache, auch in Deutschland. Bevor ich nach Brno kam, war ich an der Volkshochschule tätig. Ich führte vor allem Kurse, in denen ich Kinder unterrichtet habe. Aber reden wir mal von was anderem als von der Arbeit. Ich selbst war nicht immer nur Lehrerin. Seit drei Jahren bin ich auch Schülerin, ich lerne nämlich die Zeichensprache. Ich möchte mal Gehörlosen helfen, mit ihnen an verschiedenen Veranstaltungen, Jugendlagern und ähnlichen Programmen teilnehmen. Das wäre mein Wunsch, mein Traum. Mir selbst macht es Freude, wenn ich anderen Menschen helfen kann. Ich möchte auch einen tschechischen Kurs besuchen, um zu sehen, wie sich das tschechische Zeichensystem von dem deutschen unterscheidet." "Und wie lange wirst Du in Brünn bleiben?" "Na, für den Anfang hab´ ich den Vertrag für ein halbes Jahr, aber vielleicht werde ich hier länger bleiben als vorgesehen, wer weiß das schon." Vladimírs Fragen, die sich um Leas Leben, ihre Arbeit ihre Hobbys und vieles mehr drehten, wollten kein Ende nehmen. Kaum hatte sie durchgeatmet, stellte er ihr bereits die nächste Frage. Warte doch Vladimír! Jetzt, stelle ich die Fragen, schließlich will doch auch etwas von dir wissen. Vladimír begann zu sprechen und Lea erfuhr, dass er jetzt hauptsächlich für seine Arbeit lebt, dass er sich für Geschichte interessiert, aber auch die Natur mag. Und er geht gerne in den Bergen spazieren. Aber dafür hat er momentan keine Zeit, weil er ohne Rast und Ruh arbeitet. Also hat er wahrscheinlich keine feste Freundin. Sind es die ersten vorsichtigen, untersuchenden Schritte, die mich so nervös machen? Ich bin doch kein unerfahrenes Entenküken! Oder ist es seine einigermaßen reservierte und Respekt erweckende Art, wie er sich verhält und redet? Oder wirkt es nur deswegen so, weil Deutsch nicht seine Muttersprache ist? Obwohl sie so etwas wie unerklärbare Furcht vor Vladimír hatte, war sie mit dem Abend, den sie mit ihm verbrachte, höchst zufrieden, sie konnte nämlich nichts über ->SCHWARZE GEDANKEN VON V. wissen. ÜBERRASCHUNG OHNE ENDE<-