E N T S C H E I D U N G Mit Schuldgefühlen ging Lea in die nächste Theaterstunde. Sie hat den Leuten fast keine Wahl gelassen. Das ist wohl die Kunst der Diktatur... "Na, liebe Kinder, wie geht´s?" Sie erwartete keine Antwort und setzte fort: "Habt ihr all die Texte gelesen?" "Eigentlich nur flüchtig überflogen", hat jemand im Namen der ganzen Gruppe geantwortet. Das konnte sie glauben, wer anders als Ivan. Die Stimme des Volkes... "Und habt ihr mindestens mitbekommen, worum es geht?" "Ich würde sagen, wir haben´s geschafft", sagte Tereza. "Und habt ihr Fragen?" Diese Frage ist im Lehrerberuf immer ein Risiko, man kann nie genau wissen, was die Studenten im Kopf haben...Lea erwartete vieles, nur nicht das, was kam. Während die anderen erst spielen werden, muss sie schon jetzt etwas vortäuschen, sogar lügen. Geht es anders? Die Farbe kann man erst später bekennen. "Man weiß nicht, wer das Stück verfasst hat, ich habe es angeboten bekommen. Halten wir es also für ein anonymes Werk." Weiter musste sie erklären, dass sie gar nicht ahne, ob es mit dem eigenen Institut zusammenhängen sollte. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, hat ein unauffälliges Mädchen aus dem ersten Jahrgang bemerkt: "Es kann nämlich eine Parallele zu dem Mord sein." Ach du Schreck! Was wissen die Studenten? Vorsicht, Herr Kollege, Vorsicht. Auch die Wände haben Ohren. Das passt ganz gut, da hat Vojtìch Recht gehabt. So eine zeit- und raumunabhängige Aussage... "Mord?" fragte Lea möglichst überrascht. "Der alte Professor Vojtìch hier, in der Germanistik", präzisierte Lucie. Auf diese muss Lea aufpassen, die weiß viel und wird es ohne weiteres auch erzählen... Und dabei ist sie so... stille Wasser... "Der Herr Professor war alt und krank und die Polizei hat es..." Hat ihre Stimme gezittert? So eine schlechte Schauspielerin will eine Gruppe führen? "Lea, gerade am Sonntag hat Columbo... kennst du ihn, er hat so einen Hund, der einfach Hund heißt, trägt immer so einen alten, schmutzigen und zerknitterten Mantel und erzählt immer von seiner Frau, die aber nie gezeigt wird,... einen Mord entdeckt, der von Anfang an wie ein Selbstmord ausgesehen hat." Hat Jitka keine andere Arbeit, als immer vor dem Fernseher zu hocken? "Und gestern Nachmittag sollte Wolff außer Dienst gestellt werden, weil er einen Mord darin geahnt hat, was die Polizei als einen natürlichen Tod abgeschlossen hat..." ergänzte Daniel vergnügt. "Fragen zu den anderen Texten?" Lea sammelte ihre Kräfte und fragte, welcher also von den drei Texten gespielt werden sollte. Alle durcheinander wollten ihre Meinung sagen. So eine Diskussion hat die ganze Germanistik in einem Seminar sicher noch nie erlebt! Ihre Kollegen, mit der ganzen Literatur und Syntax und Geschichte und was immer..., müssten vor Neid erblassen! aHandke sei auszuschließen, da gebe es keine Kostüme und Requisiten, die zum Theater unbedingt gehören. aDie gebe es nicht einmal in dem 'Leben`, also nur die 'alte Dame` bleibe übrig. aMan solle unbedingt das 'Leben` aufführen! aMan dürfe auf keinen Fall das 'Leben` aufführen, die 'alte Dame` sei die beste Möglichkeit, kein anderes Werk habe so einen Aussagewert, Handke und 'Leben` könne man als keine Kunst ansehen. a 'Dame` sei aber technisch zu anstrengend! a 'Leben` auch, aber mindestens seien die Repliken ziemlich verständlich und einfach. Sie hat es Adam nicht versprochen, aber er versprach es Klara. Er hat ihr doch gesagt, dass sie dieses Stück aufführen will. Will sie es überhaupt? Mit den Kindern wird es nicht so einfach sein, die werden darüber sicher weiter erzählen und die Wände mit ihren Ohren... "Was wollt ihr also aufführen?" fragte sie, nach den Worten für die Erklärung suchend, warum sie das 'Leben` bevorzugt. Argumente gab es fast keine, nur Emotionen wurden hörbar. Ivan, der außer dem ersten Satz noch nichts sagte, hat jetzt geschrieen: "Handke ist ein Scheißwerk ohne Handlung und mit einer olten Schochtel will i mi a net beschäftigen!" Alle waren über seinen Versuch, niederösterreichisch zu sprechen, ganz verblüfft, nur Lea hat gelächelt. In dieser Altersgruppe zählen noch Gewaltausdrücke? Verwunderlich. Ivan muss statt der Syntax wieder ->IN 'MAXIM' gesessen haben. Was sage Lea dazu? "Mir kann das egal sein, aber in Budweis geht es auch um Originalität", sagte sie hoffnungsvoll. "Um die geht´s beim Theatermachen immer", ergänzte Markéta, die mit ihrem Satz die Entscheidung eigentlich getroffen hat. "Also spielen wir den V..." Scheiße, der Name darf nicht fallen. Was habe sie gesagt? "Aus dem Leben mehrerer Taugenichtse." Alle waren einverstanden, und diejenigen, die es nicht waren, haben es zumindest nicht gezeigt. Die meisten, die zwar auftreten, aber nicht viel Text lernen wollten, waren eigentlich richtig dankbar für die Chance, die lachenden und klatschenden oder pfeifenden Gäste der Party oder die schlafenden akademischen Arbeiter darstellen zu können. Hätte sie eine geeignetere Gruppe für dieses Stück finden können?? Hoffentlich fragen sie nicht jede Stunde, ob sie schon nach dem Autor gesucht hat. Konnte sie nicht ein Jahr später das Angebot bekommen, nach Brünn zu gehen? Vojtìch wäre vergessen und Adam vielleicht nicht so aufgebracht. Für so ein Abenteuer hätte sie den Aufenthalt in Brünn nicht gehalten! Abenteuer wird es sicher sein, alles, nicht nur ->AUS DEM LEBEN MEHRERER TAUGENICHTSE SCHWARZE GEDANKEN VON LEA<- -pj-