S T A R T F E L D Schon wieder auf dem Startfeld, dachte Lea, als sie aus der Straßenbahn ausstieg und sich zur Uni begab. Wie lange ist sie nicht zu Fuß gegangen? Seitdem sie Vladimir seiner Villa entlockt hatte. Schon wieder ist sie schuld, SIE. Als hörte sie ihre Mutter... Schon wieder hast du den vollkommensten, wunderbarsten Mann verlassen? Lea, du bist so starrköpfig und nicht anpassungsfähig, du solltest froh sein, dass du überhaupt jemanden hast. Als hätte die Mutter nicht verstehen wollen, dass sie nicht jemanden will, nur um nicht allein zu sein! Sie hat schon ihre Vorstellung, nur ist sie nicht fähig, diese zu beschreiben. Sie spürt es, erst wenn es da ist. Na ja, die Mutter hätte recht gehabt, alle drei wurden von IHR verlassen... Lea, Lea, du bist immer die Spielverderberin! Obwohl in den Gedanken vertieft, konnte sie die eindringliche unglückliche Stimme eines verkommenen Mannes an der Kirche in der Masarykstraße nicht überhören: "Nový prostor! Nový prostor! Interessante Interviews, Artikel und Reportagen!" Sie steckte dem Obdachlosen ihre Hand entgegen, obwohl sie normalerweise nicht machte, und bekam die neue Nummer der Zeitschrift, die sie noch nie gelesen hatte. "Das ist gut", sagte sie ohne nachzudenken und verließ den erstaunten Bettler. Er konnte seinen Augen nicht trauen, wenn sie ihm das Bild eines Hundertkronenscheines in seiner Hand vermittelten. Lea hat sich nicht für das 80-Kronen-Trinkgeld interessiert, sie dachte zurück an Lukas. Wenn man 17 ist! Lukas, was machen wir heute Abend? Mir ist es egal, was du willst. Und so ging es ein halbes Jahr. So einen braven Jungen hast du gefunden, sagte ihre Mutter. Brav, brav... ist wirklich derjenige so brav, der sich als Fußabtreter benutzen lässt? Lukas! Da hätte sie sich besser einen Hund besorgen sollen. Der wäre genauso gehorsam und dem Schmusen sogar mehr zugetan gewesen! "Wollen Sie den verlassenen Kindern helfen?", fragte ein Mädchen in der Mündung der Masaryèka in den Svoboïák, in der Hand einen Stapel von Lesezeichnen haltend. Lea machte wieder die Geldtasche auf und bezahlte mit einer großzügigen Geste dasselbe, wie vor einer Minute. Für jeden verlassenen ein Hundert... Und für jeden abgelehnten 50 Kronen! War sie wirklich so unerträglich anspruchsvoll? Mit 18 war´s Hans. Den hatte sie verlassen, weil er mit Julia... Na ja, die beste Freundin ist die größte Gefahr. Er war beleidigt, dass ich mit ihm nach dem zweiten Kinobesuch noch nicht ins Bett gehen wollte, und hat eine gefunden, die dagegen nichts hatte... erklärte sie damals ihrer Mutter und glaubte, für diese Einstellung gelobt zu werden. Worauf wartest du, fragte die Mutter damals. Wenn du so weitermachst, bleibst du ein Mauerblümchen! Na und? So bleibt sie ein Mauerblümchen, sicher nicht das einzige in der Welt! Eine Gruppe bemalter Gesichter näherte sich laut. "Beitrag für unsere Abiturfeier", riefen sie. Sie verdienen es mehr als Vladimir den Kugelschreiber... dachte Lea, während ihre drei 50-Scheine Jubel und Beifall hervorriefen. Die Abiturfeier und der Geographielehrer... soll sie lachen oder weinen? Sie sei eine besondere Persönlichkeit, der kein reifer Mann widerstehen könne. Sie lachte über seinen blöden Witz, aber er sprach ernst. Und war nicht betrunken... Ja, er war der einzige, der von ihr nicht verlassen wurde, am zweiten Tag die Mail... es war wunderbar, aber ich will und kann mir keine Wiederholung erlauben. Tschüssi! "Ey, lass mal´n paar Mäuse rüberwachsen!", stieß ein schmutziger Junge in zerrissenen Kleidern mit langem fettigen Haar und 15 Kilo Eisen in den Ohren und in der Nase mit seinem Ellbogen an ihren Arm. Eine Kette hing ihm an den Hüften und ein weißer mittelgroßer Hund setzte sich vor sie, als wollte er sie nicht weitergehen lassen, bis sie seinem Herrn etwas geschenkt hatte. Lea machte die Geldtasche auf... das kleinste drin war ein Zweihunderter, den sie ihm nicht unbedingt geben wollte. Bevor sie die Geldtasche verstecken konnte, hatten seine schlanken langen Finger mit abgebissenen schmutzigen Nägeln einen Self-Service daraus gemacht, ohne danke gesagt zu haben. Die ersten Schritte in der Èeská-Straße, was sollte noch kommen? Der Weg ist noch ziemlich lang... Seit dem Abitur war alles aus diesem Gebiet nur zum Weinen. Die Ablehnungen, die sie den betrunkenen lästigen Arbeitern in der Nachstraßenbahn und Besuchern in den Kneipen erteilt hatte, kann man nicht mehr zusammenzählen. Vladimír schien ganz anders zu sein, als diejenigen, den sie je begegnet war. Kann sie wirklich keinen normalen Mann treffen? Normal... sie will nur einen intelligenten, gebildeten, galanten, romantisch sollte er sein, den sie zu einer Ausstellung oder zu einer Tasse Tee begleiten könnte, ohne von ihm ständig begrapscht zu werden. Vielleicht ist es zu viel. Lea blieb vor dem Kaufhaus Wagner stehen. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Ja, sie hat noch Zeit. Sie ging drei Treppen hoch und ihr Blick wurde von den Regalen mit Luxusschreibwaren gefesselt. Ja, für diesen dunkelblauen Parker mit 18-Karat-Spitze hat sie die ganze Zeit gespart. Bis Weihnachten hätte sie es sicher geschafft, sie wollte es dem Scheißkerl mit Liebe schenken. Nicht einmal einen Bleistift aus Tesco bekommt er von ihr, nichts! Wehe ihm, sollte er heute in die Bibliothek kriechen! Wehe ihm!!! Wenn es nicht so knapp vor der Aufführung wäre, würde sie zu dem Drama noch ein Kapitel dazuschreiben! Und das würde er sich sicher nicht hinter den Spiegel stecken! "Hallo!", hörte sie und ohne sich umzuschauen, stieß sie hervor: "Hab´ ka Kröten mehr!" "Was ist los mit Ihnen, Lea?", erst jetzt erkannte sie ihren Kollegen. Adam, einer, der für sie auch bestimmte Zuneigung empfindet. Und Vojtìch darf sie nicht vergessen. Unwiderstehlich ist sie keinesfalls, aber Kumpel kann sie schon finden. Übrigens, nur unter den reifen Männern, wie damals Franz gesagt hatte. Der Psychologie nach muss sie also Probleme mit ihrem Vater gehabt haben, aber das stimmt nicht. Wäre sie in Regensburg geblieben, hätte Elfriede 'Klavierspielerin II' schreiben können! "Jeder will Kleingeld von mir", lächelte sie entschuldigend. "Einige Tage sind besonders schwierig. Gehen Sie zur Uni?" Lea nickte. "Wie steht es mit dem Theater?" fragte Adam. "Morgen beginnen wir, die Karten zu verkaufen, aber Sie meinen wahrscheinlich etwas anderes. Ich bin mir nicht sicher, ob Vladimír kommt." "Warum? Fährt er nach Regensburg?" lachte Adam. "Das auch." "Sie nehmen ihn in den Sommerurlaub mit, oder wie?" "Sehr witzig, ähm, Entschuldigung. Er hat das Stipendium bekommen." "Das hätte ich nie gedacht! Vielleicht eine impertinente Frage, Sie müssen mir keine Antwort geben. Sie haben ihm das Gutachten..." "Es sieht so aus, aber ich habe die Sache mit dem Stipendium erst vorige Woche von ihm gehört. Ahnen Sie, woher er es haben könnte?" "Nein, gar nicht. Er fährt doch nicht gleich, also warum sollte er nicht kommen? Um Sie zu unterstützen..." "Mich? Ist schon vorbei. Wir sind nicht mehr zusammen. Es tut mir leid, dass ich Ihren Plan in den Sand gesetzt habe." "Lea, Sie müssen sich nicht entschuldigen. Das Stipendium kann ihm nicht mehr genommen werden, also..." "Ich habe geglaubt, es geht in der ganzen Sache um was anderes als um das Stipendium." "Dass es ums Prinzip geht?" "So sagt man es." "Ja, ich wollte damit wirklich etwas anderes bezwecken, aber wenn es nicht klappt, klappt es nicht. Ich habe es niemandem versprochen." Falls du es genauso wie das Drama versprochen hast... "Aber Klara wartet darauf. Rufen Sie sie an, dass die Karten schon zu kaufen sind?" "Ja, das kann ich machen." "Es tut mir leid, aber ich kann es nicht bei Vladimír machen." "Ich versuche es irgendwie..." Was anderes konnte Adam sagen? Er konnte nicht viel mehr von Lea wollen, sie wird sich jetzt lange ihre Wunden lecken. Aber wie sollte ER ihn einladen? Eine persönliche -> EINLADUNG wäre sicher nicht das Beste. STREITEN<- -pj-