Wo sind unsere Berge? // Wo sind (denn) unsere Berge eigentlich? Meine Heimat war ohne Mythologie. Alle/Die Gemeinden hießen anders als früher (die ursprünglichen Namen waren völlig aus dem Gedächntis verschwunden) und die Bände mit den Lokalsagen hatte man aus den ehemals deutschen Häusen / aus den Häusern der (ausgesiedelten) Deutschen / (...aus den Häusern, in denen bis dahin Deutsche gelebt hatten,) hinausgeworfen und zerrissen, was sollte man auch damit, sie waren in Schwabacher Schrift / in Fraktur(schrift) (geschrieben / gedruckt). Und so wurde der Hussitismus zur Ideologie. Die Hussiten waren gute Tschechen[1], die Kreuzritter hingegen waren Deutsche, und erstaunerlicherweise: während Wenzel IV. ein tschechischer König war und also einer von uns, war sein Bruder Sigmund ein deutscher Kaiser und damit / und also / und daher ein Feind. Und Karl der IV., der Vater des Landes, war natürlich ein Tscheche. Ich kann mich nicht erinnern, dass mich an diesen Mythen irgendetwas gestört hätte. Aus dem Fenster sah ich den Hügel, wo 1427 angeblich die berühmte Schlacht bei Tachov zwischen Hussiten und Kreuzrittern stattgefunden hatte / wo sich die ..... abgespielt hatte / sich die .... zugetragen hatte //... hat. In der Hussiten-Straße in unserer Stadt befand sich eine Tafel/ein Schild, auf der / auf dem stand, das sie einst wegen des vielen vergossenen Blutes Blutige Straße geheißen hatte / hieß. Das war sicher das Blut der deutschen Kreuzritter gewesen, wo doch / wenn doch die Hussiten gesiegt hatten, und niemand, wirklich niemand in dieser Stadt / (dort) hat mir je gesagt, dass sie / (die Stadt) mehrmals belagert und eingenommen/erobert worden war / wurde, dass sie abwechelnd katholisch und utraquistisch gewesen war / war. Zur Zeit meiner Kindheit / In meiner Kindheit kannte keiner der Einwohner die Geschichte der Stadt wirklich. Die (damalige) Zeit / Die Zeit damals hatte andere Themen, die Frage der Nation und damit der Heimat war mit der Abschiebung der Deutschen sozusagen gelöst. // war sozusagen mit der Abschiebung der D. gelöst worden. Eine gewisse Beunruhigung riefen die Friedhöfe hervor – in der Zeit, von der ich spreche, war es üblich, die Grabsteine wegzuschaffen und die Friedhöfe aufzulassen / aufzuheben; schließlich konnten die, denen sie eventuell gehörten, sich sowieso nicht mehr um sie kümmern.[2] Ein eigenes/besonderes Kapitel / Ein Sonderkapitel / Ein Kapitel für sich stellten die jüdischen Friedhöfe dar, von denen man wissen musste, so geheim und vesteckt lagen sie in den Wäldern, weit weg von den Dörfern und der Stadt. // abseits der Dörfer und der Stadt. Genau wie / Ebenso wie man nicht davon sprach / nicht davon gesprochen wurde, dass hier in der Gegend Deutsche gelebt hatten, sprach man auch nicht von den Juden; im Übrigen war auch der Holocaust kein Thema. ________________________________ [1] Wenzel IV. war böhmischer König, so ist es historisch korrekt, denn damals waren alle Böhmen (Stichwort: Landespatriotismus, man bezog sich auf das Land, nicht auf die ethnische Zugehörigkeit); hier geht es um eine spätere „Nationalisierung“ der Geschichte, es müsste hier also als heißen: „Karl IV. war Tscheche“ – um die Argumentation der Ideologen aufzudecken, er war ja eh von ganz woanders. [2] Gemeint sind die ausgesiedelten Deutschen