8. Über eine elementare Frage der Mannigfaltigkeitslehre. [Jahresbericht der Deutsch. Math. Vereing. Bd. I, g. 75—78 (1890—91).] In dem Aufsatze, betitelt: Über eine Eigenschaft des Inbegriffs aller reellen algebraischen Zahlen (Journ. Math. Bd. 77, S. 258) [hier S. 115], findet sich wohl zum ersten Male ein Beweis für den Satz, daß es unendliche Mannigfaltigkeiten gibt, die sich nicht gegenseitig eindeutig auf die Gesamtheit aller endlichen ganzen Zahlen 1, 2, 3, . . ., v,.. . beziehen lassen, oder, wie ich mich auszudrücken pflege, die nicht die Mächtigkeit der Zahlenreihe 1, 2, 3,. . ., v,. . . haben. Aus dem in § 2 Bewiesenen folgt nämlich ohne weiteres, daß beispielsweise die Gesamtheit aller reellen Zahlen eines beliebigen Intervalles (\, o>2> ■ • •> mv> darstellen läßt. Es läßt sich aber von jenem Satze ein viel einfacherer Beweis liefern, der unabhängig von der Betrachtung der Irrationalzahlen ist. Sind nämlich m und w irgend zwei einander ausschließende Charaktere, so betrachten wir einen Inbegriff M von Elementen E = (x1; x%, ..., xv, ...), welche von unendlich vielen Koordinaten xx, x2,..., xv,... abhängen, wo jede dieser Koordinaten entweder m oder w ist. M sei die Gesamtheit aller Elemente E. Zu den Elementen von M gehören beispielsweise die folgenden drei: E1 = (m, m,m,m, ...), E11 = (w, w, w, w, ...), Em = (m, w,m, w, ...). Ich behaupte nun, daß eine solche Mannigfaltigkeit M nicht die Mächtigkeit der Reihe 1, 2,.. ., v, . . . hat. Dies geht aus folgendem Satze hervor: „Ist El3 E2,..., Ev,.. . irgendeine einfach unendliche Reihe von Elementen der Mannigfaltigkeit M, so gibt es stets ein Element E0 von M, welches mit keinem Er übereinstimmt." 8. Über eine elementare Frage der Mannigfaltigkeitslehre. 279 Zum Beweise sei E^ = (ffljj, ai,2' ■ ■ ■> al,r> • • •)> E% = (a2,1' a2,2> ■ ■ • > a2, r' ■ ■ ■)• Efl — (an,i> an,2> ■ ■ ■> a.u,v> • • •)• Hier sind die a v in bestimmter Weise m oder w. Es werde nun eine Keine bx, b2,. . ., bv,. . ., so definiert, daß bv auch nur gleich m oder w und von ar r verschieden sei. Ist also av v = m, so ist 6„ = »» und ist ar r = w, so ist = m. Betrachten wir alsdann das Element von M, so sieht man ohne weiteres, daß die Gleichung für keinen positiven ganzzahligen Wert von /u erfüllt sein kann, da sonst für das betreffende fi und für alle ganzzahligen Werte von v K = %,r, also auch im besondern wäre, was durch die Definition von bv ausgeschlossen ist. Aus diesem Satze folgt unmittelbar, daß die Gesamtheit aller Elemente von M sich nicht in die Reihenform: Elt E2,. . .,Ey,. . . bringen läßt, da wir sonst vor dem Widerspruch stehen würden, daß ein Ding Ea sowohl Element von M, wie auch nicht Element von M wäre. Dieser Beweis erscheint nicht nur wegen seiner großen Einfachheit, sondern namentlich auch aus dem Grunde bemerkenswert, weil das darin befolgte Prinzip sich ohne weiteres auf den allgemeinen Satz ausdehnen läßt, daß die Mächtigkeiten wohldefinierter Mannigfaltigkeiten kein Maximum haben oder, was dasselbe ist, daß jeder gegebenen Mannigfaltigkeit L eine andere M an die Seite gestellt werden kann, welche von stärkerer Mächtigkeit ist als L. Sei beispielsweise L ein Linearkontinuum, etwa der Inbegriff aller reellen Zahlgrößen z, die S> 0 und < 1 sind. Man verstehe unter M den Inbegriff aller eindeutigen Funktionen }{x), welche nur die beiden Werte 0 oder 1 annehmen, während x alle reellen Werte, die ^ 0 und ^ 1 sind, durchläuft. Daß M keine kleinere Mächtigkeit hat als L, folgt daraus, daß sich Teilmengen von M angeben lassen, welche dieselbe Mächtigkeit haben wie L, 280 III. Abhandlungen zur Mengenlehre. z. B. die Teilmenge, welche aus allen Funktionen von x besteht, die für einen einzigen Wert x0 von x den Wert 1, für alle andern Werte von x den Wert 0 haben. Es hat aber auch M nicht gleiche Mächtigkeit mit L, da sich sonst die Mannigfaltigkeit M in gegenseitig eindeutige Beziehung zu der Veränderlichen z bringen ließe, und es könnte M in der Form einer eindeutigen Funktion der beiden Veränderlichen x und z cp(x, z) gedacht werden, so daß durch jede Spezialisierung von z ein Element f{x) = m (in der Schreibweise der Kardinalzahlen) vermittels des „Cantorschen Diagonalverfahrens". Um ihn für m = x0 = a auf die Mächtigkeit c des Kontinuums anzuwenden, braucht man noch den Nachweis, daß sich das Kontinuum eineindeutig auf die Menge der formal verschiedenen Dualbrüche abbilden läßt, obwohl doch jede dyadische Ba- 8. Über eine elementare Frage der Mannigfaltigkeitslehre. 281 tionalzahl ^ nicht eine, sondern zwei dyadische Darstellungen (mit lauter Nullen oder lauter Einsen am Ende) gestattet. Da aber diese Dualzahlen selbst eine abzählbare Menge bilden und das Kontinuum selbst abzählbare Teilmengen besitzt, so ergibt sich in derselben abgekürzten Schreibweise c = a + c1 = a + a+c1 = a + c=2a>ct. Vgl. die hier folgende Abhandlung III 9, §4, S. 288. P] Zu S. 280 dritter Absatz: Daß die Gesamtheit aller Mächtigkeiten ein wohlgeordnetes System (wenn auch nicht eine „Menge") bildet, wird an der zitierten Stelle keineswegs „bewiesen", da bei Cantor der Nachweis noch fehlt, daß jede Menge einer Wohlordnung fähig und daher jede Mächtigkeit ein Alef ist.