Recht in der ersten Tschechoslowakischen Republik II.


Übersicht

Statue von Jan Hus auf dem Altstädter Ring – Prag
  1. Entwicklung des Strafrechts
  2. Entwicklung des Zivilrechts
  3. Entwicklung des Handelsrechts
  4. Entwicklung des Pressrechts
  5. Entwicklung der Verwaltung und Selbstverwaltung
  6. Verhältnis zwischen Staat und Kirche
  7. Die Bodenreform
  8. Der Untergang der Republik
  9. Bedrohte Stabilität
  10. Der Weg nach München
Abbildungsquelle:
http://cs.wikipedia.org

Verhältnis von Staat und Kirchen in der Tschechoslowakei in den Jahren 1918-1939

Der tschechoslowakische Staat hatte nach seiner Entstehung mehr oder weniger dringliche Probleme. Eines von ihnen stellte die Problemlösung der Beziehung des Staates zu den Kirchen und den Religionsgesellschaften dar, was infolge unserer historischen Entwicklung vor allem das Verhältnis des Staates zu der römisch - katholischen Kirche bedeutete. (Gemäβ den Taufbüchereintragungen gehörten zu den Katholiken neun Zehntel der Bevölkerung; wie viel es in der Wirklichkeit war, konnte nicht festgestellt werden). In der sog. Washingtoner Deklaration formulierte Prof. Masaryk diese Lösung ziemlich radikal als Trennung von Staat und Kirche. Diese Forderung gab es in den Programmen aller politischen Parteien auβer den katholischen. Aus der heutigen Sicht kann die Tatsache angenommen werden, dass die Trennung von Staat und Kirche bis Ende 1918 gesetzlich verankert worden wäre, hätte sie wahrscheinlich schrittweise durchgeführt werden können. Weil es so nicht passierte, kann man heute nur die einzelnen Schritte verfolgen, die den tschechoslowakischen Staat zur spezifischen Regelung der gemeinsamen Beziehungen (jedoch nicht zur Trennung) führten.

Als die Tusar-Regierung den Verfassungsvorschlag im Februar 1920 der Nationalversammlung vorlegte, lautete sein § 121 folgend: „Zwischen dem Staat und der Kirche sei der Trennungsstand eingeführt“. Auf den ersten Blick sieht man das Dilemma des Antragsvorlegers. Trennung von Staat und Kirchen muss als Programmanspruch in die Verfassung eingeführt werden, aber seine Äuβerung ist sehr vorsichtig. Die angegebene Formulierung führte die Trennung nämlich nicht ein, es handelt sich um eine sui generis Verordnung, bzw. um eine Botschaft des gegenwärtigen Revolutionsparlaments jeder zukünftigen, gemäβ der neuen Verfassung gewählten Nationalversammlung, dass die Trennung in der Zukunft eingeführt wird. Die Erzwingbarkeit ihrer Erfüllung wurde nicht sichergestellt und war nur vom politischen Willen konkreter Regierungskoalitionen abhängig. Auch wenn der Wortlaut des § 121 die Trennung irgendwann in der Zukunft voraussetzte, wehrten sich alle slowakischen Abgeordneten „einhellig“ unabhängig von eigener politischer Ansichten oder Religionszugehörigkeit dagegen. Ihres Erachtens nach war in der Slowakei nicht klar, ob das religiöse Volksbewusstsein nicht stärker sei als das nationale Bewusstsein. Aus dieser Sicht konnte der Kleruseinfluss aus den Menschen aus in Kirchen sehr gefährliche oppositionelle und auch separatistische Täter machen. Aus diesem Grund forderte die slowakische Abgeordnetenfraktion eine Überstilisierung oder völlige Weglassung des Wortlauts des § 121. Vor allem im Interesse der Festigung der Beziehungen der böhmischen Länder, der Slowakei und der Karpatoukraine änderte die tschechoslowakische Regierung ihre Stellung zu Trennung und teilte dies dem Parlamentverfassungsausschuss mit. Mit den Stimmen 12 gegen 4 wurde der ursprüngliche Wortlaut zurückgewiesen und ein neuer vorgeschlagen: „Das Verhältnis zwischen dem Staat und den Kirchen wird von den Sondergesetzen aufgrund der kirchlichen Selbstverwaltung in Hinsicht auf die Staatsinteressen geregelt werden“. Dieser Wortlaut lieβ den Kirchen sowohl Vermögen als auch staatliche Beihilfe und verpflichtete den Staat, wenn er die Trennung durchführen möchte, es auf diese angedeutete Art und Weise durchzuführen. Aber auch dieser Wortlaut blieb ohne Erfolg. Auch gegen ihn protestierten die Stellvertreter der sozialistischen Parteien und drohten mit der Einreichung des Minoritätsvorschlages im Rahmen der Verfassungsverhandlungen im Parlament. In dieser Situation war die einzig mögliche Lösung die Weglassung jedweder Erwähnung der Trennung von Staat und Kirche aus dem Verfassungsvorschlag.

So geschah es, dass die Verfassung der Tschechoslowakischen Republik aus dem Jahre 1920 die Trennung überhaupt nicht erwähnte, jedoch beinhaltete sie andere Bestimmungen (§§117-133), die das Verhältnis von Staat und Kirchen regelte. Das Verbot jedes Teilnahmezwangs an religiösen Handlungen und eine Gewissens- und Bekenntnisfreiheit. Die Verfassungsrechtliche Gewährung dieser Bürgerfreiheit bedeutete nicht nur freies Konfessionswahlrecht (vom Staat anerkannte Konfessionen) für den Bürger, sondern umfasste auch eine freie Wahl des Lebens ohne Glauben. Der tschechoslowakische Bürger durfte künftig(beruflich oder anders) nicht aus Gründen des Glaubens oder des Atheismus benachteiligt werden. Wer sich entschloss von der Kirche getrennt zu leben, konnte dies rechtmäßig tun. Die Verfassung verankerte weiter Bekenntnisgleichheit, womit die bisherige gefährliche Vorherrschaft der römisch-katholischen Kirche abgeschafft wurde.

In der neu gewählten Nationalversammlung (1920) stellten die sozialistischen Parteien einen Gesetzentwurf über die Trennung nach dem französischen Muster vor, die den Vollzug der religiösen Handlungen unter der direkten Staatsaufsicht, die Konfiskation von Kirchenvermögen und das Verbot der diplomatischen Beziehungen mit dem Vatikan beinhaltete. Die Reaktionen auf den Vorschlag waren aber negativ. Das Dessinteresse der anderen politischen Parteien hinsichtlich der Trennung war so markant, dass dieser Gesetzentwurf gar nicht ins Tagungsprogramm der Parlamentsausschüsse aufgenommen wurde. Die Möglichkeit die Trennung von Staat, Kirche und Religionsgesellschaften durchzuführen, rückte in weite Ferne. Dieser Stand blieb in der Zeit des Kommunismus und auch nach der Revolution 1989 erhalten.

Einige Probleme mit der Kirche wurden von der Nationalversammlung durch den Erlass von einzelnen Gesetzen schrittweise gelöst. Weil bei der Gründung der Masaryk-Universität keine theologische Fakultät errichtet wurde, wurden einerseits Cyrilo und Metodejische katholische theologische Fakultät in Olmütz andererseits, die hussitische evangelische theologische Fakultät in Prag errichtet. Gesetz Nr.320/1919 Slg., das die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über die Förmlichkeit des Ehevertrags, über die Trennung und über die Ehehindernisse veränderte, beinhaltete in seiner ursprünglichen Fassung eine obligatorische bürgerliche Eheschlieβung. Unter der Drohung mit Hindernissen erzielte die Volkspartei, dass der Rechtsausschuss den dem Plenum der Nationalversammlung vorgelegten Vorschlag veränderte. Die bürgerliche Eheschlieβung wurde nur als fakultativ vorgeschlagen. Dieses Gesetz ermöglichte die völlige Eheauflösung bei Lebzeiten der Ehegatten durch die Trennung und schaffte zwei Hindernisse für die Eheschlieβung ab: den Ehebruch und das Zölibat des römisch-katholischen Klerus. Jeder ordentlich geweihte Priester konnte jetzt rechtmäβig Ehe schlieβen, ohne dass seine Ehe für ungültig erklärt würde. Selbstverständlich musste die Ehe auch die zivile Form haben.

Der tschechoslowakische Staat konnte nicht alle vorliegenden Probleme allein mit Gesetzen und ohne Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl lösen. Sofern die Trennung nicht durchgeführt wurde, musste sich der Staat mit der katholischen Kirche über viele Sachen einigen. Das dringlichste Problem war eine schnelle Besetzung von aktuell freien vakanten Bischofs- und Erzbischofsämtern. Die erstrangige Aufgabe des Staats als Souverän war die Vereinheitlichung der Staatsgrenzen mit den Grenzen der kirchlichen Bezirke (Diözesen, Erzdiözesen) und Errichtung einer einzigen Provinz mit dem Metropoliten an der Spitze auf dem tschechoslowakischen Staatsgebiet. Dazu musste eine neue Innendellimitation durchgeführt werden und die neuen Bezirke mussten vom Staat unterstützt werden. (Neue Abgrenzung des Umfangs der kirchlichen Bezirke im Staat und ihre territoriale und Finanzdotation). Selbstverständlich musste die bedeutende Frage gelöst werden: Ob der Staat, bzw. seine Regierung oder die päpstliche Kurie mehr Einfluss bei der Nomination der Kirchenwürdenträger haben wird? Zu den weiteren Problemen gehörten die Stellung der Ordenspriester, des kirchlichen Hochschulwesens in der Slowakei, die Löhne bzw. andere Genüsse von Geistlichen (koblina). Deswegen wurden diplomatische Beziehungen mit dem Vatikan noch im Februar und März 1920 angeknüpft.

Bald darauf leitete der tschechoslowakische Botschafter Dr. Kamil Krofta die Verhandlungen über die oben erwähnten Probleme mit den entsprechenden Würdenträgern der päpstlichen Kurie ein. Diese Verhandlungen brachten bestimmte Teilergebnisse relativ schnell, wie z. B. bereits anfangs Dezember 1920 wurden 3 slowakische Bischöfe in ihre Ämter eingesetzt (Nitra, Banská Bystrica, Kapitel von Spiš). Verfolgen wir aber die Verhandlungen aus der Sicht des geplanten Ergebnisses, (d.h. aus der Sicht der komplexen Problemlösung mittels der Vertragsform), scheinen sie zu lang zu sein. Der Modus vivendi wurde erst am Anfang des Jahres 1928, also 10 Jahre nach der Entstehung des Tschechoslowakischen Staates abgeschlossen.

Dafür gab es mehrere Ursachen. Eine von ihnen waren die verschiedenen Auffassungen beider Parteien über die Dringlichkeit einzelner Probleme. Die Tschechoslowakische Regierung wollte zugleich die Frage der Delimitation der kirchlichen Bezirke und der Freigabe des kirchlichen Vermögens lösen. Dieses Vermögen wurde vom Staat sequestriert. (Der Staat verhängte eine zeitlich begrenzte Zwangsverwaltung über den kirchlichen Grundbesitz und über das andere Vermögen auf dem Gebiet der Tschechoslowakischen Republik. Die Kirche verlor das Dispositionsrecht über dieses Vermögen). Im Gegensatz legte die päpstliche Kurie den Schwerpunkt auf die Freigabe ihres Vermögens, ohne die Frage der Delimitation der kirchlichen Bezirke zu lösen. Der kirchliche Grund und Boden wurde aus dem Grund sequestriert, weil manche Ordinarien sich dank der Erstreckung der kirchlichen Bezirke über die Staatsgrenze im Ausland befanden (in Ungarn, in Polen). Die ökonomischen Ergebnisse wurden also nicht in der Tschechoslowakischen Republik ausgenutzt, denn dieser Stand war offensichtlich unerwünscht. Die Frage des kirchlichen Vermögens erreichte aber auch ein anderes Ausmaß. Die Bischofsämter in Nitra und Bánská Bystrica wurden freigestellt, denn die Bischöfe der ungarischen Nationalität (Bathyany und Wolf-Radnay) traten ab und gingen nach Ungarn. Ihr Lebensunterhalt, bzw. Gehalt wurde bisher aus dem Bischofsvermögen gewährt, nach ihrer Abtretung, die quasi durch die Staatsregimeveränderung erzwungen wurde, traten sie an den Vatikan heran, damit ihnen der Tschechoslowakische Staat eine staatliche Pension als Kompensation für das verlorene Amt gewähre, obwohl sie nicht mehr in der Tschechoslowakischen Republik lebten. Dieser Anspruch wurde von der tschechoslowakischen Regierung akzeptiert, weil die Einsetzung von slowakischen Bischöfen einen Erfolg darstellte, denn in der Slowakei sah die Situation so aus, dass z. B. in Rožnava und in Košice noch immer loyale ungarische Ordinarien wirkten, die kein Slowakisch sprachen.

Im Juli 1925 wurden unsere Beziehungen zum Vatikan von einem bekannten Konflikt verletzt. Es handelte sich um die Feier des 510. Jahrestages der Verbrennung von Meister Jan Hus. Die Verhandlungen wurden für 2 Jahre eingestellt. Im Jahre 1925 waren eine Reihe von Vertretern des Staates und der Präsident an dieser Feier beteiligt. Der tschechoslowakische Präsident T. G. Masaryk lieβ sogar eine Hussitenfahne mit dem Kelch an der Prager Burg anbringen. Der Vatikan hielt dies für eine Provokation und Beleidigung der Kirche und des Papstes. Aus der Sicht der päpstlichen Kurie war Meister Jan Hus (und dies bleibt bis heute) ein vom kirchlichen Konzil rechtmäßig verurteilter Häretiker. Der päpstliche Nuntius wurde aus Prag abberufen und unser Botschafter verließ daraufhin Rom. Gemeinsame Beziehungen waren eingefrieren. Der Vatikan gab eindeutig zu erkennen, dass er die für die Tschechoslowakische Republik so wichtigen Verhandlungen nicht wieder fortführt, solange keine Genugtuung erfolge.

Erst im März 1927 wurden inoffizielle Verhandlungsversuche eingeleitet, die den Streit „um Hus“ beilegen konnten. Der Papst beanspruchte die Nichtteilnahme der tschechoslowakischen Regierung an der nächsten Hus-Feier. Für die tschechoslowakische Regierung war es jedoch undenkbar, sich zur Nichtteilnahme an der Hus-Feier zu verpflichteten. Sie konnten einen solchen Einfluss auf die Innenpolitik von Außen nicht zulassen.

Die Bedingungen der päpstlichen Kurie zur Wiederaufnahme der Verhandlungen mit der Tschechoslowakischen Regierung sahen so aus:

  1. Akzeptabler Verlauf von Hus-Feiern, d.h. mit der kleinsten Anzahl von Staatsvertretern
  2. schriftliche Genugtuung, Austausch von diplomatischen Noten
  3. Wiederanknüpfung der diplomatischen Beziehungen, d.h. Austausch von Botschaftern

Im Juni 1927 waren an der Feier nur 3 Minister beteiligt, was wesentlich weniger, als in den vorigen Jahren war. Dem Papst wurde mitgeteilt, dass es „ein Maximum“ ist und dass die tschechoslowakische Regierung nicht mehr dem Drängen nachgebe. Es folgte ein Vorschlag des Auβenministers E. Beneš, damit die Verhandlungen über den Noteninhalt von Hus und über den Vertragsabschluss zwischen dem Vatikan und der Tschechoslowakei gemeinsam stattfinden. Die Auswahl von künftigen Botschaftern wurde auf einen späteren Termin verschoben. Beides wurde akzeptiert und die Verhandlungen über den Modus Vivendi gingen schnell voran. Sie dauerten 12 Tage (vom 6.12. – 17.12.1927). Am 12.Dezember fand das entscheidende Treffen statt, in dessen Rahmen die diplomatischen Noten über Hus ausgetauscht wurden und der Text des Modus Vivendi paraphiert wurde. Der MV trat aber erst in Kraft, als die Noten zwischen dem tschechoslowakischen Auβenministerium (am 29.Jänner 1928) und dem Staatssekretär des Heiligen Stuhls (am 2.Februar 1928) gegenseitig ausgetauscht wurden.

Der Tschechoslowakischen Republik gebührt der historische Verdienst dafür, dass sie die Vertragsform des Modus Vivendi (oder "Art und Weise des Nebeneinanderlebens") von der weltlichen innerstaatlichen Diplomatie auch ins Gebiet der Beziehungen der Kirche und zu dem Staat übertrug. Die traditionelle historische Form der Vereinbarung zwischen dem Staat und der römisch-katholischen Kirche = Konkordat, war für die Tschechoslowakei nicht akzeptabel. In diesem Augenblick war die Trennung vom Staat und Kirchen zwar unerkannt, aber in der Zukunft möglich und deswegen wollte sich die tschechoslowakische Regierung einen offenen Spielraum sichern. Die modernen Konkordate (seit dem 19.Jhr.) wurden in der Form von dauerhaften völkerrechtlichen Abkommen abgeschlossen. Dieses Abkommen musste ratifiziert werden.(D. h. das endgültige unterzeichnete völkerrechtliche Abkommen muss von einem nach der Verfassung berufenen Organ verabschiedet werden. Heute ist bei uns dazu das Parlament befugt.) Moderne Konkordate regeln eine Reihe von Fragen grundlegender Bedeutung. Mit der Trennung von Staat und Kirche wird überhaupt nicht gerechnet. Gewöhnlich wird das Konkordat für eine unbestimmte Zeitdauer abgeschlossen und es ist nicht möglich, es einseitig (ohne Zustimmung der anderen Partei) zu verändern oder aufzuheben. Auch die Rechtsnachfolger von Kompaziszenten (Vertragsparteien) sind an das Konkordat gebunden. Dagegen enthält der Modus Vivendi keine Vereinbarungen, die das prinzipielle Verhältnis von Staat und Kirche regelt. Aus der Sicht des Inhaltes handelt es sich nur um eine rechtliche Übergangsregelung (im Unterschied zu Konkordat), die sich auf die praktisch dringlichsten kirchlich-politischen Probleme konzentriert. Für sein Inkrafttreten ist keine Ratifikation notwendig, es reicht der Austausch von Noten.

Zu den Problemen, die der Modus Vivendi regelte, gehörte vor allem die Frage der Vereinheitlichung der Staatsgrenzen mit den Grenzen der einzelnen kirchlichen Diözesen. Als die tschechoslowakischen Staatsgrenzen an der Pariser Friedenskonferenz festgelegt wurden, wurden die Grenzen der kirchlich territorialen Verwaltungsbezirke außer Acht gelassen. Die Folge war, dass eine Reihe von Diözesen ihren Sitz im Ausland hatte und im Gegenteil die Kompetenz der in der Tschechoslowakei angesessenen Ordinarien bis ins Ausland reichte. (Die Prager Diözese hatte 80 Pfarrbezirke in der Grafschaft Glatz, d.h. in Deutschland, die Olmützer Diözese hatte 46 Pfarrbezirke auch in Deutschland, die Diözese von Spiš hatte 18 Pfarrbezirke in Polen und Diözesen von Rožnava und Košice hatte ein Viertel ihrer Pfarrbezirke in Ungarn; im Gegenteil hatte die Regensburger Diözese hatte einen Pfarrbezirk in Böhmen, die Wiener Diözese hatte 4 Pfarrbezirke in Mähren, die Breslauer Diözese (Deutschland) hatte 78 Pfarrbezirke in Schlesien, die Graner (ostřihomská) Diözese hatte 392 Pfarrbezirke in der Slowakei, die Jagerer Diözese hatte ein Teil ihres Pfarrbezirks in der Slowakei und Satumarer Diözese(Rumänien) hatte in der Slowakei und in der Karpatoukraine 45 Pfarrbezirke.) Aus diesem Grund stellte Art. I. MV fest, dass kein Teil der Tschechoslowakischen Republik einem Ordinarius mit dem Sitz im Ausland untergeordnet wird und zugleich keine tschechoslowakische Diözese die Staatsgrenze übertreten.

Ein weiteres Problem im MV geregeltes entstand dadurch, dass manche Ordinarien inzwischen starben oder ihre Ämter verlieβen. Der Staat musste also auch hier die Verwaltung des kirchlichen Vermögens sicherstellen. Ähnlich musste er das Vermögen von Orden, kirchlichen Einrichtungen und Fonds sicherstellen, deren Zentralen sich im Ausland befanden. Er verhinderte die Abfuhr auf dem tschechoslowakischen Staatsgebiet geschaffener Einkommen ins Ausland. Art. II MV setzt die Restitution dieses Vermögens der Kirche voraus.

Die Frage des Ernennungsrechtes der höheren kirchlichen Würdenträger entstand im Zusammenhang mit der Souveränitätsänderung. In Cisleithanien wurde das Ernennungsrecht für die Ämter der Erzbischöfe, Bischöfe, Chorherren und Generalvikaren dem Kaiser (Ges. Nr.50/1874 RGBl.) eingeräumt. In Ungarn entstammte ein ähnliches Recht des Kaisers aus dem Patronatsrecht des Königs von Ungarn. Das Ernennungsrecht gehörte zum Attribut der vollziehenden Herrschergewalt. Paps Benedikt XV. erklärte in der Allokution von 21.November 1921, dass die in der Vergangenheit vom Heiligen Stuhl durch die Verträge und Vereinbarungen erteilten Privilegien mancher Staaten, bzw. Herrscher, nicht die neuen Staaten angeeignet werden können. Die persönlichen Herrscherprivilegien konnten nicht auf die Regierungen der Nachfolgestaaten übergehen. Die praktische Konsequenz dieses Standpunktes war, dass die päpstliche Kurie die Nominationen (z. B. Aposteladministratoren in Brünn, Rožnava, Košice und Užhorod) durchführte, ohne das Recht der tschechoslowakischen Regierung zu respektieren. Dieses Recht wurde aufgrund der Rezeption des gültigen Rechts (Ges.11/1918 Slg.) eingeräumt. Obwohl diese Ernennungen nicht anerkannt wurde, wurde der Staat praktisch dazu gezwungen, sie zu akzeptieren. Art. IV MV bestimmte, dass der Heilige Stuhl bevor kirchliche Würdenträger ernennt, ist er verpflichtet, ihre Namen der tschechoslowakischen Regierung bekannt zu geben. Die Regierung kann sich davon überzeugen, dass keine politischen Gründe gegen die designierten Personen bestehen. Der Modus Vivendi spezifiziert weiteres die Einwände, deren Erheblichkeit zur Veränderung der Person des designierten Ordinarius führen könnten. Gerade dieser Teil des Modus Vivendi wurde als Misserfolg in den Verhandlungen mit dem Vatikan betrachtet. Die Regierung verlor ihr ausschließliches Ernennungsrecht und hatte nur mehr die Möglichkeit der Erhebung politischer Einwände.

Art. V MV verankerte einen Treueid dem tschechoslowakischen Staat, den die Ordinarien nach ihrer Ernennung noch vor ihrem Amtsantreten ablegen mussten. Aufgrund des Regierungsbeschlusses vom 29.März 1928 wurde der Auβenminister zur Bildung einer Kommission für die Delimitation (Abgrenzung) und Dotation der Diözesen ermächtigt. Die Beratungen über die Durchführung des MV besonders über die neue Diözesendelimitation begannen im Juni 1928. Die Arbeiten setzten sich in den nächsten Jahren fort und wurden in der ersten Hälfte des Jahres 1933 vollendet. Die Vorbereitungsarbeiten waren sehr umfangreich und schwierig, denn der Staat musste sich mit einer Reihe von komplizierten Fragen auseinandersetzen. Es kam zum tschechoslowakisch, ungarischund vatikanischen Interessenskonflikten und es entstanden rechtliche, politische, wirtschaftliche und finanzielle Probleme. Ein neuer ausführlicher Delimitationsplan der Diözesen in der Slowakei musste ausgearbeitet werden. Dieser Plan musste sowohl den Bedürfnissen der kirchlichen Verwaltung als auch den Staatsinteressen entsprechen. Der Staat musste sich mit den kirchlichen Vermögensansprüchen in der Slowakei befassen und eine Vermögensaufteilung für das nach der Durchführung der Bodenreform den einzelnen Diözesen übrigbleibende Vermögen herausarbeiten.

Das Elaborat (als Delimitations- und Dotationsplan benannt) wurde am Ende des Jahres 1933 dem Vatikan zur Beurteilung geschickt. Die optimistischen Erwartungen, dass keine wesentlichen Einwände aus der Sicht der päpstlichen Kurie kommen werden, zeigten sich als übertrieben. Im Jahre 1934 wurde nach Prag mitgeteilt, dass es nicht möglich ist, alle Vorschläge auf einmal durchzuführen, denn der Vatikan wünschte eine schrittweise Durchführung. Die erste Etappe wird eine Auβendelimitation der Diözesen umfassen, d.h. ihre Vereinheitlichung mit den Staatsgrenzen. Als zweite Etappe würde dann eine innere Delimitation stattfinden, d.h. eine neue Aufteilung einiger Diözesen im Rahmen unseres Staatsgebietes und eine neue Aufteilung der kirchlichen Vermögensdotationen zwischen diesen Diözesen.

Nach dem Wunsch der päpstlichen Kurie sollte die Bildung einer selbständigen römisch-katholischen Kirchenprovinz in der Slowakei mit dem Metropoliten an der Spitze durch eine päpstliche Bulle (CB) in der ersten Realisierungsetappe des MV proklamiert werden. Für das Gebiet der ganzen Republik sollten zweite griechisch-katholische Provinzen mit dem Sitz in der Karpatoukraine errichtet werden, zugleich sollte das slowakische Kirchenvermögen vom Sequester enthoben und in die Verwaltung des bevollmächtigten Würdenträgers übertragen werden.

Die Tschechoslowakische Regierung stimmte dem vorgeschlagenen Plan zu. Im Sommer 1935 wurde das sequestrierte Kirchenvermögen in die Verwaltung des päpstlichen Bevollmächtigten – des Aposteladministrators von Trnava Msgr. Jantausch übergeben. Zugleich wurde ein neuer Regierungsvorschlag über die Sequesterauflösung vorbereitet (erschien unter Nr. 204/1937). Die Tschechoslowakei erfüllte die Hauptbedingung für das Erlassen der Delimitationsbulle, jedoch geschah dies erst im Herbst 1937. In der ersten Hälfte des Jahres 1937 entstanden weitere Verzögerungen, die die Haltung Deutschlands gegenüber dem Vatikan veränderte. Es handelte sich um die schon verhandelte Delimitationsfrage der Breslauer Diözese.

Am 2.September 1937 wurde zirkumskripte (fertiggestellte) päpstliche Bulle „Ad eccelsiastici regiminis incrementum“ über die Auβendelimitation von tschechoslowakischen Diözesen erlassen (CB in 19. Jhr. benutzte der Papst diesen Rechtsakt speziell zur Bestimmung von neuen Verwaltungsbezirken, weil sie dank der Napoleonischen Kriege nicht mehr mit den Staatsgrenzen übereinstimmen). Die Grenzdiskrepanzen gegenüber Österreich, Ungarn und Rumänien wurden in Einklang gebracht. Beim Grenzüberstand der Prager und Olmützer Diözese ins preuβische Schlesien, begrenzte sich die Bulle nur auf das Versprechen, dass darüber in geeigneter Zeit entschieden werde. Das Gleiche galt für die Kompetenzentscheidung der Regensburger Diözese in Böhmen und der Breslauer Erzdiözese im mährisch-schlesischen Lande. Am 1.Oktober 1937 nahm die tschechoslowakische Regierung den Inhalt der päpstlichen zirkumskripten Bulle zur Kenntnis und willigte ein. Dem Auβenministerium wurde mitgeteilt, dass der Apostelnuntius Msgr. Ritter die Durchführung der Auβendelimitation (Festsetzung der Außengrenze) einleitete.

Die nachfolgenden Ereignisse erlaubten nicht, die Fortsetzung und Realisierung der zweiten Etappe des Modus vivendi. Aber auch das, was erreicht wurde, war für die Stabilisierung von den Staatsgrenzen von groβer Bedeutung. Ungarn verweigerte lange die neue Delimitation von kirchlichen Verwaltungsbezirken in der Slowakei und in der Karpatoukraine im Einklang mit den tschechoslowakischen Staatsgrenzen. In Ungarns Auffassung bestätigte erst diese Veränderung den unabdingbaren Zerfall des ehemaligen Ungarns.

Quelle:
JUDr. Marta Kadlecová, CSc.
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