Gesetz Vom 18. Juni 1924, Nr. 144 Slg., über die Inkompatibilität

(Unvereinbarkeit)

§ 1

Mit der Mitgliedschaft in der Nationalversammlung ist weder das Eigentum von Erwerbsunternehmungen noch die Teilnahme an ihrer Leitung oder Verwaltung oder die Teilnahme an der Leitung oder Verwaltung irgendeiner auf Gewinn berechneten Vereinigung vereinbar, wenn diese. Unternehmungen oder Vereinigungen im Verhältnisse eines Lieferanten oder Abnehmers, Pächters oder Verpächters zum Staate, zu einer staatlichen oder vom Staate verwalteten Anstalt oder Unternehmung oder zu einem solchen Fonds stehen oder ihnen gewerbemäßig Kredit gewähren oder die Begründung eines der hier angeführten Verhältnisse austreben.

Keine Unvereinbarkeit liegt vor, wo das Gesetz oder allgemein gültige oder vorher kundgemachte Bedingungen es auch anderen Interessenten ermöglichen, unter gleichen Bedingungen in das im Abs. 1 angeführte Verhältnis einzutreten, oder wenn es sich um Unternehmungen von Gemeinden oder um Anstalten handelt, die nach dem Gesetze oder ihrem Statut die Garantie der Gemeinde genießen.

§ 2

Mit der Mitgliedschaft in der Nationalversammlung ist es nicht vereinbar, Parteien rechtsfreundliche Ratschläge oder rechtsfreundliche Vertretung zu gewähren oder als fachmännische (technischer, geschäftlicher u. dgl.) Berater zu wirken, wenn es sich um Lieferungen, um den Bezug, Pachtoder gewerbemäßig gewährten Kredit gegenüber dem Staate, einer staatlichen oder vom Staate, verwalteten Anstalt oder Unternehmung oder einem solchen Fonds handelt, es sei denn, dass es sich um Fälle nach § 1, Abs. 2, handeln würde.

§ 3

Mit der Mitgliedschaft in der Nationalversammlung ist das 'Eigentum oder die Teilnahme an der Leitung oder Verwaltung irgendeiner Unternehmung oder Vereinigung nicht vereinbar, wenn hierbei das Mandat zur Verleitung oder zu einem unzulässigen Einflusse bei Fondaktionären missbraucht wird, die außerhalb der Unternehmung oder Vereinigung stehen, aber im gegebenen Falle auf deren Interessen einen entscheidenden oder wesentlichen Einfluss haben, oder wenn ein Mitglied der Nationalversammlung wissentlich duldet, da eine dritte Person sein Mandat in der hier bezeichneten Weise missbraucht.

§ 4

Unter Teilnahme an der Leitung und Verwaltung im Sinne der §§ 1 und 3 ist namentlich die Mitgliedschaft in der Direktion, dem Vorstande, dem Verwaltungsrate, der Geschäftsleitung, dem Aufsichtsrate, dem Revisorenkollegium und die Stelle des leitenden Beamten, nicht aber die Mitgliedschaft in der Direktion von Gemeindeunternehmungen oder Gemeindeanstalten zu verstehen, welche nach dem Gesetze oder ihrem Statnt die Garantie der Gemeinde genießen.

§ 5

Mit der Mitgliedschaft in der Nationalversammlung ist die Vermittlung von Geschäftsverbindungen mit dem Staate, einer staatlichen oder vom Staate verwalteten Anstalt oder Unternehmung oder einem solchen Fonds gegen unmittelbaren oder mittelbaren materiellen Vorteil nicht vereinbar.

§ 6

Mit der Mitgliedschaft in der Nationalversammlung ist es nicht vereinbar, einen Haupt- oder Nebenberuf oder eine Haupt- oder Nebenbeschäftigung in einer Weise auszuüben, durch die das Mandat zur Erzielung von Entlohnungen missbraucht wird, die sonst für eine ähnliche Leistung in jenem Berufe nicht üblich sind.

Durch Verordnung kann festgesetzt werden, welche Organe die Üblichkeit der Entlohnungen bestimmen, und zwar derart, dass das Mitglied der Nationalversammlung sich von der Üblichkeit der Entlohnungen überzeugen könne, bevor es die Entlohnung verlangt.

§7

Mit der Mitgliedschaft in der Nationalversammlung ist es nicht vereinbar, das Mandat in einer Weise auszuüben, die dem § 22, Abs. 2, der Verfassungsurkunde widerspricht wenn das Einschreiten zu Gunsten einer dritten Person mit der Absicht erfolgt, einem anderen oder sich besondere und unangemessene persönliche Vorteile zu verschaffen.

§ 8

Die Vorsitzenden der Häuser dürfen nicht Mitglieder des Vorstandes oder des Aufsichtsrates oder Vertreter von Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und registrierten Genossenschaften sein, sofern diese Gesellschaften oder Genossenschaften sich mit einer Erwerbstätigkeit befassen.

§ 9

In Angelegenheiten der Unvereinbarkeit nach diesem Gesetze entscheiden:

  • a) der Inkompatibilitätsausschuss des betreffenden Hauses,
  • b) das Wahlgericht.
§ 10

Der Inkompatibilitätsausschuss entscheidet mittels grundsätzlichen Beschlusses darüber, ob bestimmte Tatsachen unter die Vorschriften der §§ 1 bis 8 dieses Gesetzes fallen.

Der Inkompatibilitätsausschussverhandelt über Aufforderung des Vorsitzenden des Hauses, das ihn gewählt hat, auf Grund eines Beschlusses der Vollsitzung des Präsidiums. Hat zu dem Beschlusse des Präsidiums der Fall eines bestimmten Mitgliedes des Hauses Anlass gegeben, so ist demselben vorher die Möglichkeit zu bieten, sich über die Angelegenheit zu äußern. Das Präsidium kann auch die Äußerung des zuständigen Ministeriums oder von Interessenkorporationen u. dgl. einholen.

Zur Beschlussfassung des Inkompatibilitätsausschusses nach Abs. 1 ist die Anwesenheit der absoluten Mehrheit der Mitglieder und die Zustimmung der absoluten Mehrheit der Anwesenden erforderlich; handelt es sich aber um die Änderung eines grundsätzlichen Beschlusses, so ist Dreifünftel Mehrheit der Anwesenden erforderlich.

§ 11

Der Inkompatibilitätsausschuss wird von dem betreffenden Hause gewählt, das auch die Zahl seiner Mitglieder bestimmt. Für jedes Mitglied wird zugleich ein erster und ein zweiter Ersatzmann gewählt. Die Wahl erfolgt stets auf zwei Jahre. Die Mitglieder des Präsidiums des Hauses stimmen bei der Wahl mit, können aber nicht gewählt werden. Gewählt wird nach dem Grundsatze der verhältnismäßigen Vertretung. Parteienkoppelung ist zulässig. Einigen sich alle Parteien, so erfolgt die Wahl des Ausschusses aus dem Plenum. Der Widerspruch einer solchen Zahl von Abgeordneten oder Senatoren, die die Wahlzahl nicht erreicht, steht dem nicht im Wege.

Die Mitglieder des Ausschusses behalten — solange sie Mitglieder der Nationalversammlung bleiben — ihre Funktion, bis die neuen gewählt sind. Für ein Mitglied, das dauernd oder vorübergehend seine Funktion nicht ausüben kann, tritt der erste Ersatzmann ein. Ist auch der erste Ersatzmann verhindert, so vertritt ihn der zweite Ersatzmann. Wenn in einer Wahlperiode des Ausschusses ein Mitglied oder Ersatzmann wegfällt, wird für den Rest der Periode eine Ergänzungswahl vorgenommen. Das neu gewählte Mitglied oder der Ersatzmann muss derselben Gruppe angehören wie das weggefallene Mitglied oder der weggefallene Ersatzmann, außer wenn diese Gruppe entweder keinen Kandidaten vorgeschlagen oder die Teilnahme an der Wahl abgelehnt hat.

§ 12

Soweit sich aus diesem Gesetze nichts anderes ergibt, gelten für die Verhandlungen des Ausschusses sinngemäß die für die Abschlussverhandlungen, beziehungsweise die für die Vollsitzung des Hauses geltenden Vorschriften.

Die Ausschussmitglieder sind zur vollständigen Verschwiegenheit über die Verhandlungen verpflichtet, die als vertraulich erklärt worden sind (§ 27. Ahs. 3, der Geschäftsordnungen). Wegen Verletzung dieser Pflicht kann das Präsidium des Hauses, dem das schuldige Ausschussmitglied angehört, auf Antrag des Ausschusses dieses Mitglied der Mitgliedschaft im Ausschusse entheben.

§ 13

Das Wahlgericht entscheidet mittels Erkenntnisses darüber, ob bei einem bestimmten Mitgliede der Nationalversammlung ein Fall von Unvereinbarkeit nach diesem Gesetze eingetreten ist oder nicht.

Vergl. § 8, Z. 5 Wah1ger.-Ges. (53).

§ 14

Das Wahlgericht entscheidet nur über von dem Vorsitzenden des betreffenden Hauses auf Grund des Beschlusses der Vollsitzung des Präsidiums eingebrachten Antrag. Das Präsidium hat dem Mitgliede des Hauses vorerst die Möglichkeit zu bieten, sich über die Angelegenheit zu äußern. Zu dem Antrage ist die Zustimmung des betreffenden Hauses erforderlich; der Beschluss hierüber wird ohne Debatte mittels einfacher Abstimmung gefasst.

Nach den Umständen des Falles kann das Präsidium vorher einen grundsätzlichen Beschluss des Inkompatibilitätsausschusses einholen.

§ 15

Hat das Wahlgericht erkannt, daß hei einem bestimmten Mitgliede der Nationalversammlung ein Fa von Unvereinbarkeit nach diesem Gesetze eingetreten ist, so spricht es mittels Erkenntnisses aus, daß das Mitglied verpflichtet ist, binnen 14 Talgen vom Tage der Zustellung des Erkenntnisses — für die sinngemäß die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Zustellung von Klagen gelten — die Tätigkeit aufzugeben, die als mit der Mitgliedschaft in der Nationalversammlung unvereinbar erkannt wurde. Wird jedoch festgestellt, daß das Mitglied der Nationalversammlung von unehrenhaften Beweggründen geleitet wurde und dabei entweder das Interesse des Staates ernstlich geschädigt oder sich bereichert hat, so erklärt es das Wahlgericht des Mandates verlustig.

Gibt das Mitglied der Nationalversammlung in der im Abs. 1 angegebenen Frist dem Präsidium des betreffenden Hauses nicht eine schriftliche Erklärung darüber ab, daß es dem Erkenntnisse des Wahlgerichtes entsprochen habe, so wird angenommen, daß es auf das Mandat verzichtet. Setzt ein Mitglied der Nationalversammlung auch nach seiner schriftlichen Erklärung die unvereinbare Tätigkeit fort, so erklärt es das Wahlgericht über neuerlichen Antrag des Präsidiums des Hauses des Mandates verlustig.

§ 16

Die weiteren Einzelheiten des Verfahrens regelt das Gesetz über das Wahlgericht. Vergl. (53).

§ 17

Um Wiederaufnahme des Verfahrens beim Wahlgerichte kann das Präsidium des Hauses oder das in Betracht kommende Mitglied ansuchen, wenn Tatsachen oder Beweise hervorgekommen sind, die geeignet sind, auf den Ausspruch des Wahlgerichtes einen wesentlichen Einfluß auszuüben, und die im ursprünglichen Verfahren nicht geltend gemacht werden konnten.

In dem neuen Erkenntnisse des Wahlgerichtes wird ausgesprochen, ob und inwieweit das ursprüngliche Erkenntnis abgeändert wird. Wenn erkannt wird, daß die im ursprünglichen Erkenntnisse ausgesprochene Unvereinbarkeit nicht vorhanden war, stellt das Wahlgericht durch das neue Erkenntnis jenen Stand wieder her, wie er gewesen wäre, wenn das ursprüngliche Erkenntnis nicht gefällt worden wäre.

§ 18

Macht ein Mitglied eines Hauses eine Mitteilung, die den Anlass zu einem Verfahren nach diesem Gesetze bilden kann und wird festgestellt, daß es bloß die Absicht hatte, ein anderes Mitglied dieses Hauses herabzusetzen oder seiner Ehre nahe zu treten, so wird es vom Präsidium auf Grund eines Beschlusses seiner Vollsitzung durch Entzug der Entschädigung auf längstens sechs Monate bestraft.

Wenn dem Präsidium eines Hauses von jemandem anderen eine nicht genügend belegte oder bloß die Herabsetzung eines Mitgliedes des Hauses oder die Verletzung seiner Ehre bezweckende Mitteilung zukommt, wird eine solche Mitteilung nicht beachtet.

Das Recht des Mitgliedes, der Nationalversammlung gegen das die Mitteilung gerichtet ist, den Anzeiger nach dem Strafgesetze zu verfolgen. bleibt unberührt.

Abbildungsquelle:
Epstein, Leo: Studienausgabe der Verfassungsgesetze der Tschechoslowakischen Republik. Reichenberg, 1932.
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